Wenn das Schicksal der Videotheken ein Vorbote für das der Bibliotheken ist, sind dann die großen Zentralbibliotheken, die seit Jahren landauf-landab entstehen, zukunftsfähig, oder wird es diesen wie Blockbuster & Co. ergehen, deren Stärke am Markt — ihre Fokussierung auf ein großes Sortiment und eine 24/7-Zugänglichkeit — sich nach eine Phase der Blüte durch den digitalen Medienwandel als Achillessehne erwiesen hat?
Der 'Erfolg' der neuen Bibliotheksgebäude scheint dem augenscheinlich zu widersprechen: Belegen doch die Berichte von nicht enden wollender Überfülle z.T. auch Jahre nach der Eröffnung und der notgedrungenen Einführung von 'Homezones' und 'Parkuhren' das Erfolgsmodell 'Großbibliothek'!
Aber entspricht die Nutzung des Raumes der Bibliothek auch den Nutzungskonzepten, die hinter dem bibliothekarischen Raum- und Servicekonzept standen, oder findet die reale Nutzung davon unabhängig statt — und besteht somit Gefahr, dass die Nutzung der Bibliotheken allein deshalb erfolgt, da es kaum Alternativen gibt?
Vortrag gehalten auf dem Bibliothekartag Bremen 2014
Measures of Central Tendency: Mean, Median and Mode
Megabibliotheken und Microservices
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12. (Der primäre Sucheinstieg für
Wissenschaftler ist mittlerweile
Google, nicht
Bibliothekskataloge oder
Datenbanken!)
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26. Slide 3 TG, Michigan Central Station, Detroit, MI, USA, 2014
Slide 6 Screenshot BING, 2014
Slide 9 http://pixabay.com/en/surrey-canada-british-columbia-86952/, license CC0
Slide 10 TG, World‘s Biggest Bookstore, Toronto 2014
Slide 11 http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ABlockbuster_Store_Closing%2C_
Ypsilanti_ Township%2C_Michigan.JPG By Dwight Burdette (Own work) [CC-BY-3.0
(http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons
Slide 12 http://pixabay.com/en/book-library-education-knowledge-283251/
Slide 14 TG, Grimm Zentrum, Berlin, Sonderlesesaal, 2012
Slide 15 TG, Marburg, Bibliothek Theologie, 2013
Slide 17 TG, Undergraduate Library, Wayne State University, Detroit, MI, USA, 2014
Slide 18 http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Shakespeare_and_Company_Bookshop_-
_Paris_2012-04-07_n2.jpg By Jim Linwood from London [CC-BY-2.0
(http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons
Slide 19 Blockbuster http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ABlockbuster_Store_
Ypsilanti_Township%2C_Michigan.JPG By Dwight Burdette (Own work) [CC-BY-3.0
(http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)]
Starbucks: http://pixabay.com/en/savannah-starbucks-coffee-266651/
Slide 21 TG, Venice Beach, CA, USA, 2014
Slide 22 http://www.morguefile.com/archive/display/86840
Slide 23 http://pixabay.com/en/head-construction-cordless-drill-19901/
Slide 25 http://pixabay.com/en/book-library-education-knowledge-283251/
Editor's Notes
Das Grimm Zentrum in Berlin, die Öffentliche Bibliothek in Stuttgart am Mailänder Platz oder vielleicht bald auch die ZLB in Berlin – wir bauen Anfang des 21. Jh. zahlreiche neue Zentralbibliotheken, die in der Presse als Zentral-, Mega- oder Superbibliotheken bezeichnet werden.
Aber sind die auch zukunftsfähig? Was meinen Sie – wie sehen diese Gebäude in 40 – 50 Jahren aus?
Die Chancen stehen gut, dass unsere Megabibliotheken bald aussehen wie der Hbf von Detroit – 1913 mit großem Pomp eröffnet, um Wohlstand und Relevanz der aufstrebenden Motor City sinnbildlich darzustellen – nun aber seit den 80ern leerstehend und verfallend.
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Photo: TG, Michigan Central Station, Detroit, MI, USA, 2014
Aber wieso diese These, dass die Grossbibliotheken nicht zukunftsfähig seien?
Stuttgart 21 bringt es immerhin zum Bing Wallpaper – und belegt damit eindrücklich die Wirksamkeit der 11. Quality von MacDonald
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Photo: Screenshot BING, 2014
Bibliotheksarchitektur evoziert ein „Wow“-Effekt.
Aber es ist nicht nur die Architektur, die umwerfend ist…
Andrew MacDonalds 11. „Quality of Good Library Space“
https://liber.library.uu.nl/index.php/lq/article/view/URN%3ANBN%3ANL%3AUI%3A10-1-113444/8010
Die Nachrichten zu überlaufenen Bibliotheken nach den Neueröffnungen reißen nicht ab – sei es in Berlin, sei es in Darmstadt, sei es in Birmingham. Parkscheiben und eine strikte One out – one in Policy (erst wenn ein Nutzer die Bibliothek verlässt, darf der nächste hinein) zeigen doch, dass die Bibliotheken äußerst erfolgreich sind!
Die Erfolgsgeschichte der Super/Mega/Zentralbibliotheken zeigt, dass diese Ausdruck des Zeitgeistes sind.
Warum sollten sie auch nicht erfolgreich sein?
Zentralisierung: Neben der Kosteneffizienz ermöglicht eine zentrale Bibliothek bibliotheksfachlichen und technischen Service auf einem hohen Niveau anzubieten und die Bibliothek als ein One-Stop-Shop zu konzipieren: In diesem kann ein umfassender Printbuchbestand ggfs. 24/7 angeboten werden.
Hybrides Arbeiten: Während die Digitalisierung und die digitalen Arbeitsprozesse immer weiter voran schreiten, bleiben doch auch die Printmedien nach wie vor zentral – gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften. In einer großen Zentralbibliothek können die Printmedien vieler verschiedener Fächer zusammen leicht zugänglich gemacht werden, wodurch interdisziplinäres Arbeiten unterstützt wird.
Lernzentrum: Die Bibliotheken legitimieren sich immer stärker als Lernräume (und soziale Räume) für studentisches bzw. gesellschaftliches Leben.
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Photo:
Bibliothek von Surrey, BC, Canada
http://pixabay.com/en/surrey-canada-british-columbia-86952/, license CC0
http://en.wikipedia.org/wiki/Surrey_City_Centre_Public_Library
Dass jedoch One Stop Shop-Konzepte nicht in jedem Fall zukunftsweisend sind, lässt sich in anderen Bereichen bereits jetzt beobachten:
Im Buchhandel geraten die großen Ketten wie Thalia, Barnes & Noble etc., nachdem sie kleine lokale Buchhandlungen vom Markt und aus dem Stadtbild gedrängt haben, aufgrund der Digitalisierung (eBooks), des größeren Angebotes und des besseren Service (Übernacht-Lieferung zur Haustür, Rücknahme, SecondHand-Angebote) vermehrt unter Druck durch Amazon.
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Photo: TG, World‘s Biggest Bookstore, Toronto 2014
Die gleiche Bewegung lässt sich im Videotheksbereich beobachten:
Die ehemals sehr erfolgreiche Videothekenkette Blockbuster (1985 gegründet, 2004 Umsatzpeak) musste 2010 Konkurs anmelden und hat die letzten Filialen Anfang 2014 geschlossen. Das One-Stop-Shop-Geschäftsmodell mit der Fokussierung auf ein großes Sortiment und eine 24/7-Zugänglichkeit wurde durch das Netflix-Geschäftsmodell (ursprünglich Online-Versand von Leih-DVDs, dann Streaming) in kürzester Zeit obsolet gemacht.
Der disruptive Effekt, den Netflix auf Blockbuster hatte, war so massiv, dass „netflix“ bereits als Verb gehandelt wird.
Zitat nach S. Kaplan: The business model innovation factory: how to stay relevant when the world is changing, S 5.
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Photo: cc by 3.0: Dwight Burdette http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Blockbuster_Store_Closing,_Ypsilanti_Township,_Michigan.JPG
So wird die Frage aufgeworfen, ob Bibliotheken (von Google und Amazon) genetflixt werden (vgl. Kaplan, a.a.O. S. 14)?
Immerhin ist der primäre Sucheinstieg sogar von WissenschaftlerInnen mittlerweile Google, nicht mehr der Bibliothekskatalog oder Datenbanken!
Als Gegenargument mag angeführt werden, dass nicht alles digital vorhanden ist und Bibliotheken v.a. durch ihre Printbestände davor geschützt sind, genetflixt zu werden.
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Cf. http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/evaluation_statistik/programm_evaluation/studie_evaluation_sondersammelgebiete.pdf S. 85
Photo: http://pixabay.com/en/book-library-education-knowledge-283251/
Und wie anlässlich der DFG Evaluierung der SSGs erhoben, bleibt gerade für Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen Print relevant.
Die Frage ist: Wer arbeitet mit den Büchern? Die Wissenschaftler_innen. Aber die sind nicht in den Bibliotheken, die holen (oder lassen holen) die Bücher aus den Bibliotheken heraus – hinein in ihre Büros in den Unis, in ihre Arbeitszimmer, die irgendwo – aber immer seltener in räumlicher Nähe zur Uni – sind.
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http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/evaluation_statistik/programm_evaluation/studie_evaluation_sondersammelgebiete.pdf, S. 98
Und arbeiten die Studierenden mit den Büchern?
Sicher! Aber: immer weniger!
Gehen Sie in die Bibliotheken und schauen Sie sich um! Da stehen und liegen, Notebooks, iPads, Skripte – ja und Lehrbücher: mit denen gearbeitet wird! D.h. sie gehören den Studierenden bzw. SchülerInnen, weil sie mit den Büchern intensiv arbeiten müssen.
Die Aufnahme zeigt z.B. den Sonderlesesaal des Grimmzentrums: Auch in den extra klimatisierten Sonderlesesälen arbeiten die Studierenden nicht mit alten Büchern, sondern mit ihren eigenen Lehrbüchern, mit online-Medien, aber nicht mit Bibliotheksmaterialien.
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Photo: TG, Grimm Zentrum, Berlin, Sonderlesesaal, 2012
Wenn Sie aus dem Sonderlesesaal des Grimm-Zentrums herausgehen und in eine beliebige (bes. geisteswissenschaftliche) Fachbibliothek gehen, stoßen Sie auf eine Menge NutzerInnen, die sich – fachlich gesehen – verlaufen haben und dort nicht hingehören. Aber warum kommen sie in die Bibliothek?
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Photo: TG, Marburg, Bibliothek Theologie, 2013
Eigentlich suchen sie nach Plätzen zum Lernen, in dem die Bücher entweder eine sekundäre Funktion haben (Buchtapete)
Oder weil es ruhige Arbeitsplätze sind, oder weil es überhaupt Arbeitsplätze sind.
Bibliotheken für die Nutzer, die mit den Printmaterialien arbeiten und/oder bibliothekarische Hilfe benötigen, brauchen viel weniger Platz!
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Photo: TG, Undergraduate Library, Wayne State University, Detroit, MI, USA, 2014
Neben dem One-Stop-Shop Zentralbibliothek und dem bibliothekslosen Lernzentrum steht an dritter Stelle die Fachbibliothek (oder im ÖB-Bereich entsprechend die Stadtteilbibliothek). Wie kleine lokale Spezialgeschäfte in der Shop Local-Bewegung, die zur Rückkehr der kleinen Läden (und auch Buchhandlungen) führt, bedient die kleine Spezialbibliothek spezifische Bedarfe/Bedürfnisse.
Instituts-/Fachbereichsbibliothek
„Café an der Ecke“-Atmosphäre
Räumliche Nähe (zum Fachbereich)
„Instant access“ auf fachspezifische Literatur (print & online)
Focus auf Individualarbeit
Social space von „Gleichgesinnten“
Ggfs fachspezif. (bibliothekarische) Beratung
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Photo: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Shakespeare_and_Company_Bookshop_-_Paris_2012-04-07_n2.jpg
By Jim Linwood from London [CC-BY-2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons
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Photo 1: Blockbuster: http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ABlockbuster_Store_Ypsilanti_Township%2C_Michigan.JPG By Dwight Burdette (Own work) [CC-BY-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons
Photo 3: Starbucks: http://pixabay.com/en/savannah-starbucks-coffee-266651/
Photos:
Starbucks: http://pixabay.com/en/savannah-starbucks-coffee-266651/
Blockbuster: http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ABlockbuster_Store_Ypsilanti_Township%2C_Michigan.JPG By Dwight Burdette (Own work) [CC-BY-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons
Photo: TG, Venice Beach, CA, USA, 2014
Das bedeutet: genau hinzuschauen, wie Bibliotheken, wie „unsere“ Bibliothek genutzt wird, von wem und wieso? Und zwar „wieso“ in beide Richtungen hin ausbuchstabieren:
In die Vght. (was ist an der Bibliothek, dass Menschen hier freiwillig hinkommen? Wie ist sie lokalisiert, wie ist ihre Infrastruktur, ihre Ausstattung, ihr Raum?) und in die Zukunft: „Zu welchem Behufe“? Was ist ihre Intention? Was wollen sie in der Bibliothek erreichen?
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Photo: http://www.morguefile.com/archive/display/86840
Es kommt niemand in die Bibliothek, weil die Bibliothek toll ist, sondern weil man ein spezifisches Ziel verfolgen und erreichen will.
Wann also ist eine Bibliothek zukunftsfähig?
Welche Daten belegen, dass Bibliotheken einen guten Job machen?
Nicht eine beeindruckende Architektur,
Nicht die Besucherzahlen,
Nicht die Kosteneffizienz,
Nicht die Ausleihen.
Eine Bibliothek ist dann zukunftsfähig, wenn es ihr gelingt, eine Arbeitsumgebung und Infrastruktur anzubieten, die auf die Bedarfe der Nutzer angepasst ist.
Wenn unsere Nutzerinnen in die Bibliothek kommen, weil diese der beste Ort ist, um ihr Ziel zu erreichen, und wenn BibliothekarInnen sie darin optimal unterstützen, dann ist das Raumkonzept der Bibliothek zukunftsfähig.
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Photo: http://pixabay.com/en/book-library-education-knowledge-283251/