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Siedlungsmorphologische Analyse ∙ Igls bei Innsbruck
Die siedlungsmorphologische Analyse der Gemeinde Igls ermöglicht die künftige räumliche
Ortskernentwicklung von Igls den Bedingungen, Voraussetzungen und dem Wesen der Ge-
meinde entsprechend zu gestalten.
Annäherung5
Siedlungsmorphologie5
Konzept der Analyse 5
Ziel der Analyse 6
Abgrenzungen7
Siedlungsgeschichte1
1
Urzeit13
Antike17
Mittelalter19
Neuzeit21
Zeitgeschichte23
Klima39
Sonne39
Temperatur39
Sonnenscheindauer41
Nebel49
Niederschlag49
Winde49
Mittelgebirge51
Eiszeitliche Terrassen 55
Eiszerfallslandschaft55
Seen55
Strudellöcher57
Bodenerosion57
Ressourcen59
Verfügbarkeit59
Richtungsdynamiken61
Erschließung67
Isolation67
Anbindung69
Einbindung69
Stoßrichtungen69
Erschließungssystem71
Vertikalität73
Vertikale Metros 73
Patscherkofel Achse 75
Vis à vis 81
Repräsentation85
Lage in der Landschaft 85
Bauelemente89
Bauprogramme95
Siedlungsstrukturkategorien95
Baukulturelle Abbilder 97
Monographie Dorfmitte  103
Zugänge und Tore				 105
Arena						 107
Platzecken					 1
10
Doppelplatz					 1
1
1
Polyzentralität 					 1
13
Ausblick1
15
Anhang1
16
Impressum				 127
Inhalt
Siedlungsgeschichte
Siedlungsentwicklung
Siedlungsbau
Siedlungsgeographie
Siedlungsökologie
Geologie
Humanbiologie
Sprachwissenschaft
Psychologie
Kulturwissenschaft
Archäologie
S i e d l u n g s f o r s c h u n g
N
a
t
u
r
w
i
s
s
e
n
s
c
h
a
f t
Siedlungsm
orphologe
Fragestellung formales Forschungsgebiet Forschungspfad eines Siedlungsmorphologen
Abbildung 1: Forschungsgebiet der Siedlungsmorphologie
Siedlungsmorphologie
Noch nie sind zwei idente Siedlungskörper entstanden, noch nie konnte ein Ort erfolgreich
kopiert werden und noch nie konnte die Entwicklung eines Ortes langfristig vorherbestimmt
werden. Im Sinne eines „genius loci“1
beschreiben verschiedene ortsgebundene Kriterien
eine jede Siedlung. Jede Siedlung wird dadurch zu einem Unikum. Ein Kriterium, das jeden Ort
einzigartig macht, sind die Strukturen und Formen einer Siedlung.
Die Siedlungsmorphologie befasst sich mit diesen baulich - physischen Strukturen, inklu-
sive deren Organisationsprinzipien und dem Formenprinzip. Im Mittelpunkt stehen dabei die
Entstehungsbedingungen der jeweiligen Zeit und die räumlichen Eigenarten. „Urban morpho-
logists focus on the tangible results of social and economic forces: they study the outcomes
of ideas and intentions as they take shape on the ground and mould our cities.”2
Die Form einer Siedlung lässt sich anhand von Netzen, Baukörpern, deren Zwischenräumen,
der Topographie und der Integration anderer den Raum formender Elemente nachvollziehen.
Durch den Zusammenhang dieser Elemente wird die Morphologie konkret. Erst durch die
Aufnahme von Eigenschaften wie Stabilität, Kontinuität, Elastizität, Heterogenität, Ho-
mogenität, Anpassungsfähigkeit und Maßstäblichkeit in der Betrachtung über die Zeit
wird der Morphologiebegriff ausreichend weit gefasst.
Das Phänomen der „strukturellen Permanenz“ unterstützt die Erforschung. Die zu Grunde
liegende Theorie besagt, dass „aktualisierte Zustände Strukturphänomene früherer Zustände
beinhalten“3
, da häufig ältere Strukturen beibehalten und überformt werden. Demgemäß be-
inhaltet die gebaute Struktur Informationen aus der Entstehungszeit und der Zeit danach. Die
strukturelle Permanenz ist als Trägheitsmoment der städtischen Transformation zu verstehen,
die sich den Veränderungskräften widersetzt. Nur in Ausnahmefällen - bei absolutistischen
Herrschaftsverhältnissen oder während wirtschaftlicher Boomzeiten - sind die Veränderungs-
kräfte größer als das Trägheitsmoment.
Zurzeit beherrschen drei Theorieansätze den siedlungsmorphologischen Diskurs:
-
- Die „Figure and Ground Theory“ umfasst prinzipiell die Inhalte eines Schwarz-Weiß Plans.
Es werden die Zusammenhänge zwischen überbauten und nicht überbauten Flächen un-
tersucht.
-
- Die „Linkage Theory“ erstellt ihre Hypothesen aus den verbindenden Netzwerken zwi-
schen den physischen Strukturen.
-
- Die „Place Theory“ legt den Schwerpunkt auf Bedeutungsdichten kultureller Ladungen
und die Entwicklungspotentiale konkreter Orte. Die Siedlung wird dabei wie ein Text un-
tersucht.
Im Allgemeinen lassen sich unterschiedliche strukturformende Kräfte beobachten, die für
die Morphogenese von Siedlungen verantwortlich sind:
-
- Die Minimierung des Wegeaufwandes war in früherer Zeit eine wesentliche strukturfor-
mende Kraft, die mit Fortschreiten der Motorisierung des Individualverkehrs schwächer
wurde.
-
- Über die Zeit erhielten unterschiedliche Produktionskräfte mehr oder weniger Bedeutung.
Unterschiedliche Produktionskräfte stellen unterschiedliche Anforderungen an den Raum.
Die Reaktion des Raums führt zu Transformationsprozessen.
-
- Mit fortschreitendem Wohlstand löst das Bedürfnis nach Abwechslung immer mehr die
rational ressourceneffizienten Entscheidungen ab. Es entstehen Variationen von morpho-
logischen Strukturen, wie spezielle Orientierungspunkte oder Abwechslungen in der Frei-
raumstruktur.
-
- Dem entgegen steht allerdings die Ratio. Das Bedürfnis nach Ordnung entsteht aus dem
Wunsch nach geringeren sensorischen Anstrengungen. Da aber auch das Ordnen Res-
sourcen verschlingt, folgt dem Ordnungszeitgeist meist ein Rückfall in die Unordnung.
-
- Aktionsmuster der Mensch selbst wirken strukturformend. Die Sozialgebundenheit des
Menschen an die Struktur führt zu bestimmten sozialräumlichen Organisationsmustern.
Die Bevölkerung nützt diese zur Identifikation.
-
- Als strukturprägende Kraft wirkt den strukturformenden Kräften die Trägheit der physi-
schen Struktur entgegen.
Konzept der Analyse
Die siedlungsmorphologische Analyse zielt darauf ab, ein Verständnis für die bestehenden
territorialen Strukturen, von den ortstypischen Bebauungs- und Raumstrukturen und ganz
allgemein den Wechselbeziehungen zwischen allen raumrelevanten Elementen auf verschie-
denen Maßstabs­
ebenen zu entwickeln. Die in Beziehung zu setzenden Maßstabsebenen sind
...
-
- Territorium (Landschaft)
-
- Siedlungskörper und zugehörige Freiflächen
-
- Nachbarschaften bzw. Ensembles
-
- Gebäudetypen bzw. Bauprogramme
-
- Parzellierung
-
- ortstypische Sonderthemen
Annäherung
5
Siedlungsmorphologische Analyse Annäherung
Entscheidend dabei ist, jene „Programme“ zu identifizieren, die hinter den sichtbaren „Bildern“
für die bisherigen Entwicklungen maßgeblich waren. Dazu gehören beispielsweise Aspekte
der Topographie, des Klimas, der Geschichte, politischer Machtverhältnisse, der Ökonomie
und der Ökologie.
Methodisch wird dabei zwischen Aspekten unterschieden, die über das Betrachtungsgebiet
hinaus verallgemeinerbar sind - also großmaßstäbliche Regelwerke, die Igls nur als ein Ele-
ment einer Reihe entweder gleichartiger oder konträrer Elemente formten - und solchen, die
es nur im Betrachtungsgebiet gibt und damit seine Identität und Unverwechselbarkeit aus-
machen.
Ziel der Untersuchung ist es, jene Themen und Kriterien zu finden und argumentativ abzusi-
chern, die für zukunftsweisende Überlegungen maßgeblich sein können.
Morphologisch-typologische Analysen sollen jene immanenten Systemeigenschaften
baulich-räumlicher Verhältnisse aufzeigen, die Stärken und Schwächen, Potenziale und
Hemmnisse für Zukunftsentwicklungen bedingen. Die Kenntnis dieser Eigenschaften bietet
wesentliche Voraussetzungen dafür, den Bestand als Ressource interpretieren und ressour-
ceneffizient weiterentwickeln zu können. Es geht um ein entwicklungs- und prozessorientier-
tes Raumverständnis im Sinne der Leitbilder nachhaltiger Raumentwicklung und damit um die
Schaffung langfristig aktivierbarer Entwicklungspotenziale, die auf gesellschaftlichen Wandel
konstruktiv reagieren können. Der Raum wird mit allen seinen baulichen Elementen in Hinblick
auf seine Stabilitäten, Robustheiten, Veränderungsangebote und Dynamisierungspotenziale
charakterisiert.
Ein besonderes Augenmerk gilt der Identifikation der ortsspezifischen Besonderheiten,
jener Themen des Ortes, die kulturell relevant und auch von symbolischer Bedeutung sind.
Auch in dieser Hinsicht geht es nicht vordergründig um defensive Bewahrungsstrategien, son-
dern um die Frage, wie die Charakteristiken des Ortes aktualisiert und aufgewertet werden
können. Insgesamt führt die morphologisch-typologische Analyse zu einem vertieften Ver-
ständnis der Prägung und Programmierung des Lebensraumes.
Am Beginn einer siedlungsmorphologischen Analyse steht das Erlangen eines Grundver-
ständnisses für die Strukturen und Elemente des Ortes durch eine professionelle Beobach-
tung („Ortslektüre“). Es folgt eine Literaturrecherche, um aus Quellen der Geschichtsfor-
schung - Urkunden, Rechnungen, Schriftwerke, Abbildungen u.ä. - Erkenntnisse aufgreifen
zu können. Über all das, was nicht durch wissenschaftliche Dokumente eruiert werden kann,
muss der Ort selbst als unmittelbarste Quelle Auskunft geben. Gerade im Zuge von sied-
lungsmorphologischen Fragestellungen ist es nur bedingt möglich, auf bestehende Unter-
suchungen in Form eines Planes oder Textes zurückzugreifen. „Pläne oder schriftliche Un-
terlagen über die Planung mittelalterlicher Städte [beispielsweise] existieren nicht. Das ist
zwar schade, aber für die Rekonstruktion nicht unbedingt erforderlich, weil der Baubestand
der Stadtanlagen selbst das wichtigste Dokument darstellt. Bei diesem gibt es [vorteil-
hafterweise] zum Unterschied von Urkunden keine Möglichkeit der Fälschung, sondern
höchstens seine falsche Auslegung“4
. Statt auf Sekundärliteratur zurückzugreifen, kann die
Bausubstanz selbst befragt werden, wobei der wissenschaftlichen Literatur eine unterstützen-
de Rolle zur Deutung dieser physischen Gegebenheiten zukommt. Hier schließt die Methodik
der „Stadtspaziergangswissenschaft“ an.
Die Wurzeln der Spaziergangswissenschaft liegen im Bereich der Kunst - insbesondere
der Literatur - mit der Beschreibung von Empfundenem und Gesehenem. In den Naturwis-
senschaften wird die Spaziergangswissenschaft beispielsweise in Form von Kartierungen und
Erhebungen angewandt, in den Sozialwissenschaften beim Aufsuchen von Phänomenen oder
beim Beobachten im Feld. Lucius Burckhardt begründete in den 1980er Jahren offiziell die
„Promenadologie“, die als Analysewerkzeug angewandt werden kann und sich bis heute auch
als urbane Praxis etablieren konnte.5
Es handelt sich um „eine Theorie des Blicks und der
Perspektive, die sich mit den Sequenzen beschäftigt, in denen der Betrachter seine Umwelt
wahrnimmt. Die Wahrnehmung des vermeintlich Typischen der Stadt oder der Landschaft
ist zum einen Selektionsprozess und zum anderen Integrationsleistung des Wahrnehmen-
den. Die einzelnen Stationen werden in der Wahrnehmung des Betrachters wie Perlen
auf eine Kette gereiht und zu einer Kontinuität zusammengefügt. Das Erkenntnisinteresse
bei den Spaziergängen besteht darin, die absichtlichen und die unabsichtlichen Effekte
der Stadtgestaltung auszuloten und auf die Gefühle und das Verhalten der Nutzer hin zu
befragen. Bereits in den 1960er Jahren stellten die umherstreifenden Situationisten eine
Verbindung von Psychologie und Geographie her, die sich bei Burckhardt zu einer konkre-
ten Utopie von Stadtgebrauch weiterentwickelte.“6
Ziel der Analyse
Das Planen und Bauen kann mit der Befassung von ortsspezifischen Regelwerken wieder
jenes kollektive Bewusstsein entfalten, das den historischen Siedlungen die Harmonie, die
Orientierung, die Flexibilität, die Signifikanz und damit individuelle Bedeutung verliehen hat, die
6
sie in der Moderne und im Fordismus mit dem aufkeimenden egozentrischen Individualismus
verlor. Das Steuern und Planen hat noch nie zum gewünschten Ergebnis geführt. Stets sind
die physischen Prozesse in einer starken Dynamik. Ohne Wissen über die Regeln hinter die-
sen Prozessen können diese nicht zielgenau beeinflusst werden. Ungeahnte Veränderungen,
die nicht den planerischen Prognosen entsprechen, bringen die funktionalistische Planungs-
methode in Bedrängnis, während das morphologische Modell Flexibilität ermöglicht.7
Die „stabilitas loci“ spielt dabei eine wesentliche Rolle. Es sind ortsspezifische Themen wie
die Topographie oder die Ökologie, die verlässliche Stadtkonzepte ermöglichen. An den Sied-
lungen muss im Sinne der jeweiligen Siedlung weitergebaut werden. Die Siedlungen müssen
dafür in Form bleiben. Dieses „in Form Bleiben“ bedeutet, dass die Siedlung ständig trainiert,
An­
passungs­
prozesse vorzunehmen. Dabei kann es durchaus zu Fehlern kommen, die später
korrigiert werden können. Im Gegensatz dazu ist das „Form Haben“ ein bereits bestehendes
Potential der Siedlung, mit Veränderungen umzugehen.
Die siedlungsmorphologische Annäherung stellt eine tiefgreifende Entwurfsmethodik für
architektonische, siedlungsentwicklungspolitische oder auch künstlerische Lösungsvorschlä-
ge dar. Sie arbeitet mit dem tatsächlich gewachsenen Bestand und versucht, das Wesen der
gebauten Umwelt, das sich nur über die Veränderungen begreifen lässt, einzufangen, um kon-
zeptionell konsequente, logische, bauliche oder andere entwicklungspolitische Lösungen zu
finden. Die Stadtmorphologie „sollte daher auch auf einer theoretischen Ebene dazu beitra-
gen können, jene planerischen Kriterien bereitzustellen, die langfristig wirksame Entschei-
dungen von den Argumentationslinien der Tagespolitik und den Anfechtungen zeitgeistiger
Moden freispielen können.“8
„Besonders auffällig ist bei einem Langzeitvergleich von Stadtstrukturen, dass sich die in
den Frühphasen der Entwicklung festgelegten Prinzipien der Erschließung kaum noch ver-
ändern. Vor­
handene Strukturen setzen der Veränderung physikalischen und rechtlich-öko-
nomischen Widerstand entgegen. Die Stadtplanung und Stadtpolitik muss daher erhebli-
che politische, finanzielle, personelle und zeitliche Kraft aufwenden, wenn sie Strukturen
gegen deren innere Logik von außen verändern möchte. Dies gelingt zumeist nur in einigen
Teilbereichen.“9
Sobald diese innere Logik begriffen und ein adäquater Umgang damit ge-
funden wird, können finanzielle, kognitive und zeitliche Ressourcen eingespart werden. Es
rentiert sich, wenn Planer siedlungsmorphologische Fragestellungen beachten und somit zu
ressourcenschonenden und damit vergleichsweise besseren Lösungen gelangen. „Städte
waren und sind nie fertig! Immer müssen auf veränderte Bedingungen neue Antworten
gefunden werden. Die Morphologie der Stadt, bestehend aus ihren Netzen (Straßen, Kor-
ridoren) ihren Baustrukturen (Geometrie und Dichte der Baublöcke und Baubereiche) und
Freiräumen, setzt dem Wandel unterschiedlichen Widerstand entgegen. Wandel zuzulas-
sen und dennoch die den Stadtcharakter prägenden Bereiche zu erhalten, ist die Kunst der
Stadtentwicklung und Stadterneuerung.“10
Unweigerlich stößt man bei Erneuerungsmaßnahmen im Bestand europäischer Siedlungen
auf geschichtliche Regelwerke, die teils im Verborgenen liegen, jedoch ein wesentliches
Know How über den Ort vermitteln. Ein Verständnis für diese Regelwerke und eine gewisse
Routine im Umgang mit diesen sollten Voraussetzung für jede Planung sein. „Zusammen mit
dem Beharrungsvermögen der Stadtstruktur, die einen beruhigenden und disziplinieren-
den Einfluss ausübt, können in der Kontinuität der grundlegenden Ordnungsstruktur die
notwendigen Experimente und Proben jeder Generation Raum und Form finden, solange
die in den Strukturen eingebaute Logik beachtet wird. In der Geschichte der Struktur steckt
die Logik von meist Jahrhunderte langer Erfahrung vor Ort, deren leichtfertige Aufgabe
erhebliche negative Folgen für das Gesamtsystem zeigen kann.“11
Das Ergebnis der siedlungsmorphologischen Analyse ist ein ausführliches Porträt des Ge-
meindegebiets von Igls, aufbereitet mit Texten, Bildern, Plänen, Zeichnungen, Photos, Skizzen
sowie einer Rekonstruktion der historischen Entwicklung. Das morphologische „Porträt“ ei-
nes Ortes führt zu einem profunden Apparat an Argumenten und Aspekten, die in zukünftige
Konzeptions- und Planungsprozesse einfließen. Damit werden nachvollziehbare Grundlagen
zur Versachlichung und inhaltlichen Erweiterung zukünftiger Diskussionen geschaffen. Ein
Mehrwert liegt erfahrungsgemäß schon darin, den vertrauten Lebensraum mit anderen Au-
gen sehen und ganzheitlicher verstehen zu können. Die Entwicklung von Zukunftsszenarien
wird auf Basis einer bestehenden Ortsmonographie professionalisiert und als sinnvolle Fort-
schreibung bzw. Korrektur historischer bzw. aktueller Entwicklungen verständlich und besser
argumentierbar.
Abgrenzungen
Räumliche Abgrenzung
Jede Siedlung steht in unmittelbarer Beziehung zu ihrem Umland. Siedlung und Umland
können nicht getrennt voneinander existieren. Damit gehen auch Regelwerke einher, die für
7
Siedlungsmorphologische Analyse Annäherung
eine symbiotische Morphologie verantwortlich sind. Eine siedlungsmorphologische Analyse
ist damit nie komplett von regionalen Inhalten trennbar. Auch wenn der Schwerpunkt auf der
Siedlung liegt, wird doch immer wieder auf Verbindungen zur Region verwiesen. Innerhalb
der Siedlung bleibt zu überdenken, ob alle Bereiche (gleichwertig) untersucht werden sollen.
Eine Siedlung ist erst durch die Summe und das Zusammenwirken ihrer Netze zu verstehen.
Daher wird zwar das gesamte Gemeindegebiet von Igls betrachtet, doch ist die inhaltliche
Tiefe in den Kernzonen auf Grund der größeren Anzahl historischer Schichten und größeren
kulturellen Ladung größer.
Thematische Abgrenzung
Siedlungsmorphologische Themen lassen sich wie ein Katalog auflisten. Welche Themen für
welchen Ort relevant sind, lässt sich aber nur über die Analyse der konkreten Siedlung erfah-
ren. Die Relevanz der Themen ergibt sich erst nach einer intensiven Beschäftigung mit jedem
Ort. So kristallisierten sich die relevanten Themen und deren Gewicht auch in dieser Analyse
erst im Laufe der Untersuchung heraus. Der Fokus liegt bewusst auf den für Igls relevanten
Themen. Eine Allgemeingültigkeit ist davon nicht abzuleiten.
Zeitliche Abgrenzung
Was immer sich in den Formen Igls heute abbildet, kann in dieser Arbeit aufgegriffen werden.
Manches ist physisch noch vorhanden, manches nur noch über Aufzeichnungen – zumeist
Abbildungen und literarische Überlieferungen - nachvollziehbar. Damit ist keine klare zeitliche
Eingrenzung der Untersuchung möglich und auch nicht sinnvoll. Jede Epoche kann bis in
die heutige Zeit durch die gebaute Struktur fortwirken. Unterschiedliche Zeiten haben unter-
schiedlich intensiv Wirkung auf die gebaute Substanz gezeigt. Parallel dazu erhöht sich die
Bedeutungsdichte tendenziell mit Voranschreiten der Zeit. Nur durch einen aktiven Bedeu-
tungsraub wie beispielsweise klischeehafte Verschleierungen der Gebäude kann die Bedeu-
tungsdichte sinken. Diese Eingrenzung erfolgt aber nicht aktiv sondern ergibt sich aus dem
Untersuchungsgegenstand selbst.
Abgrenzung zu verwandten Forschungsgebieten
Die Siedlungsmorphologie versteht sich in gewisser Weise als Querschnitt unterschiedlicher
Forschungsgebiete, wobei sie durch deren Kombination zu vernetzten Theorien, Hypothesen
und Antworten gelangt. Abbildung 1 demonstriert schemenhaft ein vieldimensionales The-
mensystem, graphisch auf zwei Dimensionen vereinfacht. Einzelne Punkte symbolisieren ein-
zelne Fragestellungen. Clustern sich mehrere Fragestellungen auf Grund ihrer inhaltlichen
Nähe, so bilden sich formale Forschungsgebiete. Diese überschneiden sich im mehrdimen-
sionalen Raum. Das System ist dynamisch und ändert sich in Folge von Erkenntnisgewinnen
durch das Zutun der im System tätigen Akteure. Einzelne Akteure durchschreiten als Forscher
unterschiedliche Felder und legen somit individuelle Forschungspfade. Der Siedlungsmorpho-
loge legt auf seiner Suche nach den Hintergründen der Morphologie einer Siedlung weite,
quer zu herkömmlichen Forschungspfaden liegende Wege zurück und eröffnet damit den Zu-
gang zu einem spannenden Hypothesenraum.
Um die inhaltliche Ausrichtung der siedlungsmorphologischen Analyse begreiflich zu machen,
folgt eine Abgrenzung zu den Kernaussagen verwandter Forschungsgebiete ...
... zu Siedlungsgeschichte
Die Siedlungsmorphologie bezieht viele Erkenntnisse aus der Siedlungsgeschichtsforschung.
„Urban form can only be understood historically since the elements of which it is com-
prised undergo continuous transformation and replacement.“12
Siedlungsmorphologie meint
jedoch weniger die Beschreibung historischer Entwicklungen und daraus folgender Ergebnis-
se, sondern vielmehr das „Warum“, die Logik hinter den physischen Strukturen. „Diese Logik
interessiert hier aber nicht nur im Sinne einer archäologisch-stadthistorischen Forschung,
die danach fragt, wie es genau zu einer bestimmten Form und Struktur kam, sondern hier
geht es um die Eigenschaften (Qualitäten, Mängel, Stabilität, Homogenität, Heterogeni-
tät, Elastizitäten usw.), die ein Strukturgefüge hat.“13
Die Siedlungsmorphologie ergänzt die
siedlungshistorischen Quellen (Literatur und Abbildungen) mit jener der gebauten Strukturen.
... zu Siedlungsentwicklung
„Siedlungsentwicklung“ kann sowohl transitiv als auch intransitiv verstanden werden. Sowohl
als Planungsvorgang als auch als passives Geschehnis befasst sie sich mit strategischen (vgl.
8
im Gegensatz Stadtplanung) Entwicklungen struktureller, räumlicher und historischer Natur.
Als Planung ist Siedlungsentwicklung zukunftsorientiert und kreativ, als Geschehnis ist sie
rückwärtsgerichtet und beschreibend. Anders als die Siedlungsmorphologie ist sie nicht pri-
mär an Formen und deren kontextuellen Ursachen interessiert, sondern mehr an gesellschaft-
lichen, wirtschaftlichen, kulturellen und ökologischen Entwicklungen.
... zu Städtebau
So wie die „planende Siedlungsentwicklung“ hat der Städtebau einen Gestaltungsauftrag. Der
Unterschied liegt darin, dass der Städtebau weniger strategisch als räumlich konkret arbeitet.
Er ist also für die Verwirklichung gesellschaftspolitischer Zielvorstellungen verantwortlich.
... zu Siedlungsgeographie
Im Gegensatz zur deskriptiven, an strukturellen Merkmalen der Siedlung interessierten Sied-
lungsgeographie sucht die Siedlungsmorphologie die Ursachen, Wirkungszusammenhänge
und Verbindungen zwischen diesen Strukturen.
... zu Siedlungsforschung
Die Siedlungsforschung ist ein Überbegriff unterschiedlicher Forschungsgebiete. Sie beinhal-
tet eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Siedlungen, wobei hier ökonomische, soziale,
ökologische, geographische, administrative, soziokulturelle und städtebauliche Aspekte unter-
sucht werden. Die Siedlungsmorphologie ist ein Forschungsgebiet der Siedlungsforschung.14
9
Siedlungsmorphologische Analyse Annäherung
1800
1500
1000
500
0
-500
1496 erste Erwähnung
eines Badhauses
1286 Kirche
15 v. Eroberung durch die
Römer
um 600 germanische
Reihengräber oberhalb
des Hotel Maximilians
1200 erstmalige urkundli-
che Erwähnung „Jgels“
1312 „Jgels“ wird als
eigenständiger Ort im
Inntaler Steuerbuch mit ei-
genem Dorfmeister und 16
steuerpflichtigen Grundei-
gentümern genannt
um 1350 Hohenburg ist
namentlich nachweisbar
1662 Errichtung
der Wallfahrtskir-
che Heiligwasser
500 bis 200 v. Häuser am
Goambichl
Abbildung 2: Zeitleiste Igls15
10
1883 Großbrand
1928 Inbetriebnahme
der Patscherkofelbahn
2015
2010
2000
1990
1980
1970
1960
1950
1940
1930
1920
1910
1900
1890
1880
1870
1942 Eingemeindung
Igls zur Stadt Innsbruck
1887 Kurpark 1900 Eröffnung der
Mittelgebirgsbahn
1909 Ernennung
zum klimatischen
Kurort Österreichs
1881 Großgasthof Iglerhof
1936 Elektrifizierung
der Mittelgebirgsbahn
1906 Fertigstellung Kai-
ser Franz-Josef-Straße
1925 Igler Straße
an Autoverkehr
angepasst
Vill Häuserbestand
Igls Häuserbestand
1761/66 Nachweis der
ersten Bierwirtschaft im
Haus Hilberstraße Nr. 8
1962 Bobbahn zwi-
schen Ellbögen und Igls
für die Olympischen
Winterspiele 1964
1967 Fertigstellung des
Kurhauses und Musik-
pavillons
2007 Eröffnung des
Congressparks Igls
Siedlungsgeschichte
1
1
Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
12
Urzeit
Erste menschliche Siedlungsspuren im Inntal entstammen der jüngeren Steinzeit. Eine stär-
kere Besiedlung des Inntals dürfte in der Bronze- und Latenezeit eingesetzt haben.16
Da der
nacheiszeitliche Inntalboden durchwegs versumpft, landwirtschaftlich ungeeignet und unweg-
bar gewesen sein muss, dürften entlang des Tals die Berghänge die ersten Siedlungsräume
gewesen sein. Als erste menschliche Siedlungsspuren Igls gelten bronzene Nadeln, Lanzen-
spitzen, Pfahlbautenüberreste u.ä. von vor der Zeitwende. Vermutlich sind diese dem illyri-
schen Stamm der Breonen zuzuordnen.17
Auch wenn die Herkunft des Ortsnamens Igls viel
gedeutet bleibt, so scheint er sicherlich vorrömisch bzw. illyrischen Ursprungs zu sein.18
Des
Weiteren wurden einige prähistorische Siedlungsanlagen, Wallburgen und Wohngruben in Igls,
z.B. oberhalb des Tirolerhofes, festgestellt.19
Am Goldbichl bestand zumindest seit der Bronzezeit im 19. Jh. v. Chr. ein mächtiges offenes
Heiligtum: Ein Ort des gemeinsames Kultes und der gemeinsamen Feier und Erinnerung einer
regionalen Gemeinschaft. Prähistorische alpine Heiligtümer bestanden aus Altären, auf denen
Tiere verbrannt wurden. Diese Gruppe von Heiligtümern in den Alpen wird Brandopferplatz
genannt und ist seit dem 3. Jt. v. Chr. nachgewiesen. Der erste Altar am Goldbichl bestand aus
einer Lehmplattform, der später mittels Trockenmauer eingefasst wurde. Zwei bis drei weitere
Altäre dürften im Laufe der Bronzezeit ergänzt worden sein. Eine bronzezeitliche und eine
eisenzeitliche Mauer ab dem 4. Jh. v. Chr. umsäumten den Hain. Hausterrassen befanden sich
am Westhang des Goldbichl. Eine im 4. Jh. v. Chr. angelegte steinerne Rampe steigt von Süd-
westen auf den Goldbichl an, und visiert dabei genau jenen Punkt am Horizont an, an dem die
Sonne morgens zur Sommersonnenwende hinter dem Rofangebirge bei Jenbach aufsteigt.
Am Goldbichl besteht weiter Ausblick ins Wipp-, Stubai- und Inntal. Damit waren zahlreiche
vorgeschichtliche Siedlungen sichtbar bzw. der Goldbichl von diesen aus sichtbar.20
Auch auf dem Plateau zwischen Vill und Igls ist eine urzeitliche Siedlungstätigkeit nachge-
wiesen. Auf dem Goambichl wurden Häuser vom 5. bis 2. Jh. v. Chr. freigelegt. Nebenan
befanden sich acht Körpergräber des 5./6. Jh. n. Chr.21
Siedlungsgeschichte
Abbildung 4: Übersichtsplan der Häuser am Goambichl (BDA, Innsbrucker Verschönerungsverein 2015)
René Mayr
 Abbildung 3: Siedlungsgeschichte Urzeit ca. -1000 (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a)
13
Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
Nummer Fund
1 unteres Plateau
2 oberes Plateau
3 Wall mit Grabungen
4 Bereich der Brandaltäre
5 Siedlungsterrassen und Haus
6 Felsabbruch mit Halbhöhlen
7 Altweg
8 Quellfassung
9 verlandeter Tümpel
^ Tabelle 1: Prähistorische Fundstellen am Goldbichl (Verein Goldbichl, 2015)
 Abbildung 5: Prähistorische Fundstellen am Goldbichl (Verein Goldbichl 2015)
v Abbildung 6: Eisenzeitliche Rampe auf den Goldbichl (Verein Goldbichl 2015)
14
Abbildung 7: Brandopferplätze in Nordtirol und Bayern (gem. Verein Goldbichl 2015)
15
Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
16
Antike
15 v. Chr. wurde Tirol, so auch die Gebiete der Breonen, von den Römern erobert. Damals
führte die auch heute so genannte Römerstraße u.a. zum Salztransport von Hall durch das
Gemeindegebiet von Igls bis zum Brenner. Das besiedelte Ortsgebiet von Igls und Vill lag
allerdings abseits. Nach dem Niedergang des Weströmischen Reiches setzte die Völkerwan-
derung ein. Aus dieser Zeit um 600 n. Chr. stammen germanische Reihengräber, die in Igls
oberhalb des Hotels Maximilian gefunden wurden.22
 Abbildung 8: Siedlungsgeschichte Antike ca. 500 (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a)
17
Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
18
Mittelalter
Es folgt bis 1200 die Zeit der dürftigen Quellenlage. Um 1200 ist Igls erstmals in einem Urbar
des Klosters Tegernsee als Siedlung erwähnt. Das Dorf dürfte aus einer Kirche und ein paar
Höfen rundherum bestanden haben. Ein Igler Hof gehörte dem Kloster Tegernsee. Eine wei-
tere Hube gehörte nach den Grafen von Andechs den Grafen von Tirol.23
Igls ist hinsichtlich
seiner ersten bekannten Nennung jünger als seine Nachbarorte Sistrans (1050), Lans (1
180),
Vill (1240) und Patsch (1249).24
Patsch war die Urpfarre von Igls und Vill.25
Sonnenburg war deren gemeinsamer Landesge-
richtssitz. Die dreimal im Jahr stattfindenden Gerichtstage versammelten alle Dorfbewohner
von Vill und Igls. Aus dem Spätmittelalter ist die Funktion des Dorfmeisters belegt, der sowohl
für Igls als auch für Vill die Abgaben an das landesfürstliche Gerichts- und Urbaramt einsam-
meln musste. Igls und Vill stellten demgemäß über lange Zeit einen gemeinsamen Gemeinde-
verband dar.25
Schule, Kapelle, Vereine und die Tatsache zu Innsbruck zu gehören verbinden
die beiden Orte noch heute.27
Zumindest seit 1286 existiert in Igls eine Kirche.28
Seit 1358 wurde dort eine wöchentliche
Messe gelesen. Ende des 15. Jh. wurde die kleine romanische Kirche im gotischen Stil um-
gebaut. 1701 erhielt die Kirche in vergrößerter Form ihre heutige barocke Gestalt. Das Pres-
byterium blieb dabei bestehen, das Kirchenschiff wurde länger und breiter neu aufgebaut.29
Erst 1808 wurde eine Quasipfarrei und 1891 eine kirchenrechtlich vollständige Pfarre einge-
richtet.30
 Abbildung 9: Siedlungsgeschichte Hochmittelalter ca. 1200 (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a)
19
Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
20
Neuzeit
Den vermeintlichen Anfang der kurörtlichen Bedeutung von Igls bildete ein Badehaus. Ur-
kundlich erwähnt ist es 1496.31
Weiters ist es urkundlich an der Ellbögner Straße seit 1650 bis
1750 als heilkräftiges Schwefelbad nachzuweisen. Damals hatte zwar ein Drittel aller Häuser
eine eigene „Padstuben“, eine Art Saunahäuschen, doch jenes Bad an der Ellbögner Straße
war allgemein zugänglich.32
1856 wird in der Katastermappe wieder ein „Badhaus“ erwähnt.
Eine weitere Badanlage wurde 1920 an einer moor- und eisenhaltigen Quelle errichtet.33
Bis in die Mitte des 19. Jh.s gab es seit 1761 in der Hilberstraße 834
und seit 1803 in die Hil-
berstraße 17 verlegt35
als gastronomisches Angebot ansonsten nur einen Bierausschank,
den späteren Altwirt, der 1889 dort neu erbaut und später noch aufgestockt wurde. Die Gast-
häuser der Gegend befanden sich verkehrsgünstig am Weg von Hall zum Brenner in Patsch
und Lans und damit nicht in Igls und Vill.36
Der Grünwalderhof bestand verkehrsgünstig bereits
1550.37
1627 standen in Igls 30 Behausungen einschließlich einer Mühle, zweier Schmieden und ei-
nes Hirtenhäuschens.38
Um ca. 1660 wurde die Wallfahrtskirche Heiligwasser vom Prämons-
tratenserstift Wilten errichtet.39
1785 dürfte die Schule für Igls und Vill im Burggasser Haus, südwestlich der alten Friedhof-
mauer bei der Kirche, errichtet worden sein. Das Gebäude brannte 1883 ab. Zwischen 1812
und 1893 war die Schule im Parterre im südöstlichen Teil des Pfarrwidums untergebracht.
1893 wurde die neue Schule, das spätere Rathaus, fertiggestellt. Dessen Obergeschoße wur-
den in den Sommermonaten an Touristen vermietet.40
Heute liegt die Volksschule nahe dem
neuen Friedhof.
Bis 1883 war Igls rein bäuerlich geprägt. Die Viehhaltung zur Milchgewinnung überwog den
Getreideanbau. „Dabei mag die stadtnahe Lage Igls eine entscheidende Rolle spielen. Das
Fehlen einer Kühlkette und die beschränkten Transportmöglichkeiten der damaligen Zeit
machten es notwendig, dass sich Innsbruck mit Milch aus seiner nächsten Umgebung einde-
cken musste.“41
Außerdem bietet der Igler Boden zwar ausreichend Kalk, jedoch nicht genug
Phosphor und Kali, um rentablen Ackerbau, der über die Subsistenz hinausgeht, zu betreiben.
Die Vorläufer der Sommerfrische waren seit der Antike dem Adel vorbehalten gewesen.
Durch die Industrialisierung der Städte im 19. Jh. verbreitete sich Wohlstand im geschäfts-
treibenden Bürgertum. Damit wurde die Sommerfrische „massentauglicher“. In Ballungszen-
trennähe wurde Abkühlung von den industriell erhitzten Städten am Land in größerer Höhe
gesucht. Die Erschließung mittels Eisenbahn bzw. im 20. Jh. durch das Automobil machte
diese Gebiete erreichbar. Nach Igls kamen Mitte des 19. Jh. zuerst die reichen Innsbrucker
Bürger und erbauten dort Villen. Bald darauf zog der Kurort auch ausländische Gäste, wie
z.B. ab 1895 die holländische Königin, nach Igls. Nach 1870 gab es neben dem Altwirt mit
dem Neuwirt einen zweiten Gasthof im Ort. Seit 1880 war die Straße aus Innsbruck immer
weiter verbessert worden. 1881 errichtete Michael Obexer den Großgasthof Iglerhof. Dieser
wurde 1889 in ein Grandhotel ersten Ranges umgebaut. 1885 wurde der Verschönerungs-
verein gegründet. 1887 wurde der Kurpark angelegt. 1888 erhielt der Patscherkofel eine be-
wirtschaftete Unterkunft, das Kaiser-Franz-Josef-Schutzhaus. 1890 gab es in Igls die erste
Fremdenliste. Zur Sommerfrische gesellte sich ab 1900 der Wintersport mit Rodelbahn in
Heiligwasser, künstlicher Bobbahn, Patscherkofler Schiabfahrten und gefrorenem Lansersee.
Es entstanden das Hotel Maximilian, der Gasthof Stern, der Altwirt, das Parkhotel, 1908 das
Kurhaus am Girgl und einige Pensionen und Sommerhäuser.42
1904 erließ Igls eine eigene
Kurordnung. 1904 standen in Igls 6 Hotels und Gasthöfe mit ca. 1000 Betten.43
1907 wurde
der Wintersportverein Igls gegründet.44
1883 erfolgt eine Zäsur in der Entwicklung von Igls. Ein Dorfbrand wie schon 156045
ver-
nichtete den halben bis dahin rein bäuerlichen Gebäudebestand (14 Häuser samt Zu- und
Ökonomiegebäuden vollständig), die meisten Häuser an der Hilberstraße, den Kirchturm und
das Kirchendach.46
Die abgebrannten Bereiche wurden in der Folge modern, das heißt dem
damaligen Kurstil entsprechend städtisch, wieder aufgebaut. Die Nordseite der Hilberstraße
hat daher heute ein älteres Erscheinungsbild als die Südseite. Strahlenförmig verteilten sich
neue Gebäude um den Ortskern. Es entstanden der Iglerhof, das Parkhotel, das Schloßhotel,
das Sporthotel, der Tirolerhof, das Batzenhäusl.
1900 wurde die Mittelgebirgsbahn im Dampfbetrieb von Innsbruck nach Igls eröffnet. 1936
erfolgte die Elektrifizierung der Strecke.
1906 wurde die Kaiser Franz Josef-Straße als Verbindung nach Patsch und Lans mit Benüt-
zung der prächtigen Römerstraße fertiggestellt und Teile der Dorfbeleuchtung elektrifiziert.47
1909 wurde Igls zum klimatischen Kurort deklariert.
 Abbildung 10: Siedlungsgeschichte Neuzeit 1856 (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a)
21
Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
22
Zeitgeschichte
1925 wurde die Straße von Innsbruck nach Igls dem Autoverkehr angepasst.
1928 wurde die Seilschwebebahn auf den Patscherkofel erbaut.
Im Großdeutschen Reich wurden die Gemeindegrenzen neu definiert. Igls wurde 1942 in die
Stadtgemeinde Innsbruck eingegliedert.
Im Zuge der Weltkriege brach der Fremdenverkehr zeitweise ein. In der französischen Besat-
zungszeit wurden 1
1 Betriebe mit 419 Betten beschlagnahmt und vermehrt dauervermietet.48
Bis in die 60er Jahre war die Marke Igls als Weltkulturort wieder gefestigt. Allerdings war Igls
nicht mehr der feudale Kurort der Vorkriegsjahre sondern für alle sozialen Schichten zugäng-
lich.
Erst nach den Weltkriegen setzte eine neue intensive Bautätigkeit ein. Ein gesteigerter In-
dividualverkehr machte Igls auch als Wohnort tauglich. Die Bereitschaft, größere Distanzen
in den Urlaub zurückzulegen, verringerte Igls Rolle einer Tourismusdestination. Entlang der
aus dem Ortskern führenden Straßen wurden hauptsächlich dem reinen Wohnen dienende
Einfamilienhäuser und Freizeithäuser errichtet. Des Weiteren entstanden bis 1961 die Hotels
Astoria, Sonnenhof und Waldhotel.49
Die Fremdenverkehrsfunktion wurde immer mehr von der
Wohnfunktion in Nähe zu Innsbruck verdrängt.
 Abbildung 1
1: Siedlungsgeschichte Ende 2. Weltkrieg 1947 (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a)
v Abbildung 12: Siedlungsgeschichte Nachkriegszeit 1973 (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a)
v Abbildung 13: Siedlungsgeschichte Heute 2015 (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald, Gebäude, Wege: Land Tirol
2015a)
23
Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
24
25
Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
Abbildung 14: Burglechner 161
1 1611
26
Abbildung 15: Atlas Tyrolensis 1774 1774
27
Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
Abbildung 16: Straßenkarte 1804 1804
28
Abbildung 17: 1. Landaufnahme 1821 1821
29
Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
Abbildung 18: Kulturenskelettkarte 1860 1860
30
Abbildung 19: Innsbruck Umgebung 1935 1935
31
Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
Abbildung 20: Spezialkarte 1943 1943
32
Abbildung 21: Luftbild 1947 (Land Tirol 2015a) 1947
33
Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
Abbildung 22: Luftbild 1958 (Land Tirol 2015a) 1958
34
Abbildung 23: Luftbild 1973 (Land Tirol 2015a) 1973
35
Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
Abbildung 24: Luftbild 1997 (Land Tirol 2015a) 1997
36
Abbildung 25: Luftbild 2015 (Land Tirol 2015a) 2015
37
Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
RÖMERSTRASSE
PATSCHERKOFEL
IGLS
Auf Grund seiner höheren Lage auf dem Mittelgebirge, seiner schweren Erreichbarkeit, der
topographischen Zerklüftung und seiner Entfernung vom Talboden wurde Igls zu keinem
Hauptsiedlungsraum. Einige klimatische Vorzüge in Folge seiner Höhenlage machten die
Besiedlung in Igls aber möglich. Hinsichtlich der Sommerfrische wurde Igls zu einem sogar
bevorzugten Standort. Igls durfte nach 1900 die Bezeichnung „klimatischer Kurort“ führen.50
Sonne
Die Sonne ist eine wichtige Energie- und Wärmequelle für den Menschen. Sie wirkt sich auf
einen geringeren Heiz- und Belichtungsenergiebedarf aus und unterstütz das Wachstum von
überlebenswichtigen Pflanzen und Tieren. Wenig verwunderlich ist demnach ihr Einfluss auf
das Siedlungswesen, insbesonders im präfossilen Energiezeitalter. Mehr Sonnenenergie kann
durch einen möglichst rechtwinkligen Sonnenstrahleneinfall auf die Oberfläche, durch eine
möglichst lange Sonnenscheindauer und eine möglichst ungetrübte Atmosphäre empfangen
werden.
Der Einfallwinkel wird hauptsächlich von der geographischen Breite, der Jahreszeit und der
Hangneigung vor Ort definiert. Bei der geographischen Breite und der Jahreszeit hat Igls
keine Wahl, bei der Hangneigung sehr wohl. Während beispielsweise die ersten Sommervillen
den kühlenden Schatten der Nordhänge aufsuchten, sammeln sich die neuen Wohnbauten
um die Zimmerwiese nur auf dem nach Süden geneigten Hang.
Die effektiv mögliche Sonnenscheindauer wird durch den Landschaftshorizont, d.h. durch
die Topographie der Umgebung, definiert. Dies wirkt sich entscheidend auf die Wahl des Sied-
lungsplatzes aus. Igls liegt an einem der seltenen Orte auf der südlichen Inntalseite, die gegen
Süden hin frei sind. Das Brennertal garantiert eine gute Besonnung und die Versorgung mit
Föhn. Igls ist von der eigentlich begehrenswerten Lage an der Römerstraße nach Norden weit
genug abgerückt, um nicht all zu sehr vom Patscherkofel verschattet zu werden (s. Abbildung
26).
Der Licht blockierende Partikelanteil in der Atmosphäre schwächt die effektiv mögliche Son-
nenscheindauer zur tatsächlichen Sonnenscheindauer ab. Eine wolken-, nebel oder smogfreie
Zone wirkt sich günstig auf die empfangbare Sonnenenergie aus. Darauf wird im Kapitel „Ne-
bel“ S.49 näher eingegangen.
Temperatur
Auf der Mittelgebirgslage werden die klimatischen Extremwerte von Innsbruck etwas abge-
schwächt. Die durchschnittlichen Sommertemperaturen sind in Igls etwas niedriger als in Inns-
bruck, die durchschnittlichen Wintertemperaturen sind in Igls etwas höher als in Innsbruck.51
Dies war eine begünstigende Ausgangslage für die Besiedlung des Mittelgebirges trotz seiner
Abgeschiedenheit. Das Mittelgebirge erwärmt sich unter Tags nicht so stark wie der Talkessel.
Die nächtliche Abkühlung fällt auf dem Mittelgebirge ebenfalls schwächer aus als im Tal. Die
morgendliche Insolation fällt auf dem Mittelgebirge durch die Beschattung schwächer aus als
im Tal, wodurch die Erwärmung am Vormittag verzögert wird. Am Abend hingegen wird die
Abkühlung verzögert, indem auf 900m Seehöhe in Igls lange Zeit Sonne einstrahlen kann.52
Klima
Abbildung 26: Verschattung des südlichen Igls durch den Patscherkofel
39
Siedlungsmorphologische Analyse Klima
40
Sonnenscheindauer
Sommersonnenwende
Abbildung 27 zeigt die in der Früh um 6:00 als erstes von der Sonne beschienenen Flächen
zur Sommersonnenwende, also an jenem Tag mit der größten theoretisch möglichen Sonnen-
scheindauer in Igls. Deutlich besser besonnt wird in der Früh natürlich die nach Osten abfal-
lende Bergflanke am linken Sillufer. Dennoch lassen sich einzelne ausgewählte Plätze an der
nach Westen abfallenden Bergflanke am rechten Sillufer finden, die bereits um 6:00 besonnt
werden. Westlich des Goldbichls liegt ein kleiner Hügel, dessen Ostflanke auf Grund seiner
Höhenlage als erstes von der am östlichen Ende des Inntals aufsteigenden Sonne getroffen
wird. Diese Situation wussten die Menschen bereits in der Urzeit zu huldigen. Resultat dieser
Huldigung ist die eisenzeitliche Rampe zu den Brandopferplätzen am Goldbichl. Die Rampe
zeigt genau auf jenen Punkt am Horizont, an dem zur Sommersonnenwende die Sonne als
erstes erscheint (vgl. Abbildung 6). Angesichts der nun wieder kürzer werdenden Tage konn-
ten auf den Brandopferplätzen Opfer für ein gutes Überstehen dieser schwereren Jahreshälf-
te dargebracht werden. Zu Tagesbeginn gut besonnt wird des Weiteren das Gewerbeareal an
der Römerstraße, womit die bereits im Franziszäischen Kataster eingetragene Rodungsinsel
um das alte Badhaus nachvollziehbar wird. Die stets von Bebauung freigehaltenen und damit
der Landwirtschaft überlassenen Flächen am Abfall der Terrassenkante nördlich von Igls nei-
gen sich nach Nordosten in Richtung Sonnenaufgang, womit sie zu Beginn des Tages stärker
belichtet werden. Ähnlich ist die Situation bei der Girgl. Westlich von Vill liegt ein weiterer
Hang, der sich in Richtung Sonnenaufgang neigt.
Die Mittagssonne erreicht um 12:00 in Abbildung 28 beinahe alle Flächen um Igls. Einzig die
nach Norden stark abfallenden, bis heute bewaldeten Bergflanken sind vor der prallen Sonne
geschützt. An zwei solche Flanken schmiegten sich die ersten Igler Sommervillen: nördlich der
Girgl und bei der Hohenburg.
Die späte Abendsonne um 20:30 auf den nordwestlichen Abhängen des Patscherkofels in
Abbildung 29 machte die Almbewirtschaftung des Patscherkofels attraktiv. Davon betroffen
ist unter anderem die alte Rodungsinsel an der Römerstraße. In einem kleineren Maßstab
findet sich die selbe Situation am südöstlichen Ende der alten Rodungsinsel um die Patscher-
kofler Talstation. Darüber hinaus wird jener Bogen, in dem sich Igls an den Patscherkofler
Hangfuß drückt, abends am längsten besonnt. Damit rückte das alte bäuerliche Igls dicht an
den Hangfuß von Ulle und Girgl. Das gleiche Spiel findet an den Abhängen zur Sillschlucht
statt, wovon die Viller Höfe profitieren.
 Abbildung 27: Sonnenstudie 21.Juni 6:00 (e.D., KGL Luftbild und Besonnung: Google Earth 2015)
v Abbildung 28: Sonnenstudie 21.Juni 12:00 (e.D., KGL Luftbild und Besonnung: Google Earth 2015)
v Abbildung 29: Sonnenstudie 21.Juni 20:30 (e.D., KGL Luftbild und Besonnung: Google Earth 2015)
41
Siedlungsmorphologische Analyse Klima
42
43
Siedlungsmorphologische Analyse Klima
44
Wintersonnenwende
Bedeutsamer als der sehr frühe und sehr späte und damit sehr lange Sonnenenergieeintrag
zur Sommersonnenwende ist allerdings jener zur Wintersonnenwende, da sich angesichts der
kurzen Tage eine längere Sonneneinstahlung in Relation stärker auf den Energiehaushalt der
Siedlung auswirkt. Um 9:45 erreichen erste Sonnenstrahlen den Igler Siedlungsraum wie in
Abbildung 30 dargestellt. Unter den bevorzugten Flächen befinden sich einmal mehr die alte
Rodungsinsel an der Römerstraße und die Flächen westlich des urzeitlich besiedelten Gold-
bichls. Auffällig ist die gute Besonnung des Weiteren am Osthang der Rodungsinsel um die
Patscherkofler Talstation. Die dortigen Wohnbauten orientieren sich in ihrer Lage an der früher
besonnten Fläche. Im Bereich der früheren großzügigen und erst in den letzten Jahrzehnten
teilweise verbauten Ackerflächen südwestlich des alten Igls ist ebenfalls eine besonders frühe
Besonnung auszumachen. Das alte bäuerliche Igls lag damit zwischen den beiden gut be-
sonnten Flächen Unteregebreite bzw. Oberegebreite und Oberfeld. Die eiszeitliche Gliederung
des Mittelgebirges und die Einmündung des Silltals ermöglichen punktuell unterschiedlichste
Hangausrichtungen zur Sonne. Überraschenderweise entstehen so auf dem Nordhang des
Patscherkofels befindliche Südhänge in unmittelbarer Nähe zum Igler Siedlungskern. Der
größte Repräsentant dieser Art ist der Hang südlich des Lanser Kopfes.
Bis 11:30 in Abbildung 31 bleiben die best besonnten Zonen um Igls die gleichen, während
die reinen Nordhänge stark verschattet sind.
Selbst bis zum Sonnenuntergang um 16:45 in Abbildung 32 bleiben die best besonnten Stel-
len die gleichen. Dies muss die frühzeitige Rodung an der Römerstraße und in dem kleinen
Kessel südöstlich vom Igler Siedlungskern sehr attraktiv gemacht haben. Vill und Igls werden
in unmittelbarer Nähe entlang der Silltalschlucht mit auch im Winter abends gut besonnten
Flächen versorgt.
 Abbildung 30: Sonnenstudie 21.Dezember 9:45 (e.D., KGL Luftbild und Besonnung: Google Earth 2015)
v Abbildung 31: Sonnenstudie 21.Dezember 1
1:30 (e.D., KGL Luftbild und Besonnung: Google Earth 2015)
v Abbildung 32: Sonnenstudie 21.Dezember 16:45 (e.D., KGL Luftbild und Besonnung: Google Earth 2015)
45
Siedlungsmorphologische Analyse Klima
46
47
Siedlungsmorphologische Analyse Klima
48
Nebel
Unmittelbar auf die Besonnung wirkt sich der Anteil von die Atmosphäre verdunkelnden Ele-
menten in der Luft aus. Neben Verunreinigungen der Luft wie Staub, Rußpartikel oder Sand
hält hauptsächlich Wasser in Form von Wolken oder Nebel Sonnenstrahlen von deren Ein-
treffen auf der Erdoberfläche ab.
Igls wird auf Grund seiner Höhenlage eine geringe Bodennebelbildung attestiert.53
Im Inntal
bilden sich besonders an klaren, schönen Wintertagen Kälteseen wie in Abbildung 33, die
durch die Inversionslage nicht nach oben, also nicht nach Igls, entweichen können. Über
diesen Kälteseen erwärmt die Sonne die Luft und die Oberflächen, wodurch in Igls höhere
Wintertemperaturen bestehen als im Tal. Die warme und dadurch leichte Luft in Igls hindert
die kalte und dadurch schwere Luft aus dem Inntal am Aufsteigen. Im Hochwinter ist Igls ca.
1°C wärmer als der Talboden.54
Bis zu ca. 10°C Unterschied kann zwischen der Temperatur am
Inntalboden und jener auf dem Patscherkofel liegen.
Auch wenn Igls zeitweise von der Bodennebeldecke betroffen ist, so liegt zwischen Igls und
Sonne doch immer eine geringere Nebelschicht als zwischen Talboden und Sonne. Dieser
Zustand macht Igls trotz seiner Abgeschiedenheit zu einem gewählten Siedlungsplatz und
später zu einem Kurort.
Niederschlag
Igls und seine unmittelbare Umgebung sind relativ niederschlagsarm und trocken.55
Die rela-
tive Niederschlagsarmut erleichert die allgemeine Siedlungstätigkeit und hat insbesonders
beim Aufschwung zum Sommerfrischeort geholfen. Die an der Nordseite der Kalkalpen zum
Aufsteigen gezwungenen feuchten West-, Nordwest- und Nordwinde des atlantischen Klimas
müssen ihren Wasserdampfgehalt bereits in den nördlichen Kalkalpen niederschlagen, bevor
sie auf das Inntal treffen.56
Während das nördlich der Kalkalpen gelegene Rosenheim noch
1380mm Jahresniederschlag hat, reduziert sich dieser bis ins Inntal auf 870mm.57
Winde
Igls liegt an einer sehr windigen Lage.58
Die Talwinde aus dem Inn- und dem Wipptal treffen
sich bei deren Kreuzungspunkt am Berg Isel und streichen nach Igls kühlend auf. An heißen
Sommertagen entwickelt sich oft ein von Osten kommender, kühlender Wind.59
Dieser ist am
Talboden weniger bemerkbar als auf dem offener liegenden Mittelgebirge.60
Igls ist vor den feuchten und kalten Nordwinden durch das Karwendelgebirge geschützt. Der
Scharnitzer Wind aus Seefeld gelangt nicht in die Höhen von Igls.61
Während Igls vor von Norden kommenden kühlen Winden geschützt ist, ist es zu den aus
Süden kommenden warmen Winden offen. Der Föhn, der durch das Silltal über Innsbruck
das Inntal entlang bis ins Alpenvorland ausstreifen kann, erwirkt eine Temperaturerhöhung
im Jahresmittel um 0,6°C.62
Das weite Waldrevier zwischen Igls und Heiligwasser ist durch
seine Ausrichtung nach Norden relativ windgeschützt. Die windoffenen Mittelgebirgsflächen
im Bereich Patsch, Igls und Vill und die Westflanke des Patscherkofels sind schneeärmer.63
Die von Südwesten nach Nordosten gerichtete Bebauung entlang der Hilberstraße blockiert
den von Nordwesten kommenden kühlen Wind während sie den aus Südwesten kommenden
Föhn in die Ortsmitte gleiten lässt. Einzig der die Hilberstraße nach Südwesten abschließende
niedrige, alte Brosenhof zerstreut den Föhn, womit der Windeinschlag milder ausfällt.
Entlang des Ramsbaches kann bei Schönwettertagen tagesperiodisch eine Berg- und Tal-
windzirkulation einsetzen. Am Vormittag erwärmt sich der Berghang durch die frühere Son-
neneinstrahlung schneller als das Tal, womit es zu einem Hangaufwind (Talwind) kommt. Am
Abend kühlt der zur Atmosphäre offenere Hang schneller ab als das Energie speichernde Tal,
womit es zu einem Hangabwind (Bergwind) kommt. Die topographische und nutzungsspe-
zifische Gliederung entlang des Ramsbaches hilft, die kühlen Hangabwinde am Abend vor
Igls ein wenig abzubremsen. Zum ersten ist der Patscherkofler Hang bewaldet. Danach kann
er allerdings ungehindert über den Golfplatz weiter. Zwischen Golfplatz und Oberfeld liegt
allerdings ein Waldstreifen an einer kleinen Kuppe, der den Wind abzuschwächen vermag.64
Hat der restliche Ramsbach-Wind das Oberried passiert, muss er durch die Enge zwischen
Ulle und Girgl. Dabei kann der Wind verdichten und etwas stärker werden. Der Ortskern Igls
liegt allerdings nicht beim dortigen Strömungsaustritt des Ramsbach-Windes, sondern weicht
leicht nach Westen aus. Möglicherweise hat sich deswegen der alte Ortskern sehr bewusst
einhüftig, seitlich des Ramsbaches entwickelt.
 Abbildung 33: Inversionslage bei Innsbruck (e.D., Photo: Hammer, Hermann 201
1)
49
Siedlungsmorphologische Analyse Klima
Abbildung 34: Geologisches Profil der Alpen (Haack Weltatlas 2008 S.77)
50
Durch die Wanderung der Afrikanischen Platte nach Norden entstehen durch Deckenüber-
schiebung und Faltung die Alpen. Dort, wo dabei eine tektonische Bruchlinie entstand, liegt
das Inntal, wie in Abbildung 34 gezeigt. Es teilt den Alpenraum in die nördlichen Kalkalpen
und die Zentralalpen. Die nördlichen Kalkalpen sind schroffer, geprägt durch langgezogene
Ketten, scharfe Grate, hoch aufragende Wände und weit herabreichende Schutthalden. Sie
eignen sich daher kaum für Siedlungen. Die nördlich von Innsbruck gelegene Hungerburg bie-
tet nur wenig Platz für Siedlungstätigkeit. Mehr Platz bietet die südlich von Innsbruck gelegene
Mittelgebirgsterrasse. Die Zentralalpen sind auf Grund der dort wechselnden Gesteinshärte
stärker von Klammen, Stufen und Weitungen gegliedert und bieten auch in höheren Lagen auf
Grund des wasserundurchlässigen Gneis Quellen. Damit ist eine Ausrichtung der Siedlungen
im Inntal nach Süden vorprogrammiert.65
Igls ist eine dieser Siedlungen.
Die Siedlungskörper der anfänglichen Besiedlung in Tirol bestanden nur im Inntal, das durch
die letzte Eiszeit vor 10.000 Jahren zu einem gut besiedelbaren Trogtal geformt wurde. Abbil-
dung 36 zeigt den mit lockerem Material aufgefüllten Talboden und die glazialen Schürfränder.
Lockeres Material, das die Gletscher hinterließen, bildet breite Terrassen, die Mittelgebirge.66
Mittelgebirge
Abbildung 35: Querschnitt durch Mittelgebirge (Wikipedia 2015b)
Abbildung 36: Inntalquerprofil Hötting-Innsbruck-Igls (Patzelt und Resch 1986 S.50)
51
Siedlungsmorphologische Analyse Mittelgebirge
52
Das Tiroler Mittelgebirge präsentiert sich als eigene Siedlungsregion, eine Terrassenland-
schaft zwischen 100 und 500 Meter über dem Inntalboden. Solche Hangschultern von Ge-
birgszügen sind ansonsten flussabwärts (s. Abbildung 37) …
-
- Sonnenterrasse mit Serfaus, Fiss und Ladis (1200-1400m)
-
- Mieminger Plateau mit Obsteig Mieming, Untermieming und Wildermieming (800-1000m)
-
- Seefelder-Plateau mit Seefeld, Scharnitz und Leutasch (900-1200m)
-
- Gnadenwalder Terrasse mit Wiesenhof, Gnadenwald, Eggen, Schlögelsbach und Umlberg
(800-900m)
-
- Terrasse von Weerberg mit Tholer, Weerberg, Kreith und Niederpillberg (800-900m)
-
- Terrasse von Vomperberg mit Vomperberg (800-900m)
-
- Terrasse am Mündungspunkt zum Alpbachtal mit Ried, Reith und Mehrn (600-700m)
-
- Angerberg mit Moosen, Haus, Berg, Schönau, Baumgarten (600-700m)
-
- Terrasse von Häring und Schwoich mit Bad Häring und Schwoich (500-600m)
Den genannten Zonen ist eine ähnliche Höhenlage in Relation zum Inntalboden, die touristi-
sche Ausrichtung, Siedlungsverteilung und Naherholungsfunktion gemein. Das Tiroler Mittel-
gebirge kann in ein nördliches und südliches, das südliche Mittelgebirge weiter in ein östliches
und westliches unterteilt werden. Das westliche südliche Mittelgebirge ist einheitlicher in einer
Höhenlage flächig, das östliche südliche Mittelgebirge ist durch unterschiedliche Höhenla-
gen und Taleinschnitte stärker gegliedert. Die Ortschaften bilden damit einen jeweils sehr
eigenständigen Charakter, der sich von dem der angrenzenden unterscheidet. Zwischen ihnen
waren schließlich stets Höhenunterschiede zurückzulegen.
 Abbildung 37: Mittelgebirge im Inntal (e.D., KGL Relief Land Tirol 2015a und NASA 2000)
53
Siedlungsmorphologische Analyse Mittelgebirge
Eiszeitliche Terrassen
Terrasse
Terrassenkante
Terrassenauslauf
Weg in Einschnitt
weitere Einschnitte
Gewässer
Haus auf Sporn
54
Eiszeitliche Terrassen
Die sanfte und vielfältige Geländegliederung der südlichen Mittelgebirgslandschaft ist durch
eiszeitliche Überformungen entstanden (s. Abbildung 35). Diese eiszeitlichen Überformungen
üben einen wesentlichen Einfluss auf die Siedlungsgestalt von Igls aus. Sie bieten gut nutz-
bare Terrassen und schlecht nutzbare Mulden, die nur eine differenzierte Besiedlung zulassen.
Der nördliche Abfall der Igler Terrasse in Richtung Vill und der Hangfuß von Girgl und Ulle
bildet großteils die gewidmete und realisierte Baulandgrenze. Damit liegt der Großteil des
Siedlungskörpers von Igls kompakt auf einheitlicher Höhe, was innerhalb der Siedlung kurze
und trotz Berglage horizontale Wege ermöglicht.
Der mittlere Siedlungsraum im Bereich der alten Ortsmitte bietet die größte Siedlungsflä-
che auf der Terrasse. Nördlich und südlich davon führen nur schmale Terrassenkörper an den
Hang geschmiegt entlang, die nur für eine linearere Siedlungsentwicklung Platz boten. Ein-
zig der Siedlungskörper auf der Ulle liegt auf keiner Terrasse, weswegen hier größere Hö-
henunterschiede überwunden werden müssen und die Besiedlung erst deutlich später er-
folgte. Auch der südliche Terrassenstreifen am Gletscherblick wurde erst später zur Zeit der
Sommerfrische besiedelt, noch später der von der Terrasse auslaufende Bereich um den
Professor-Ficker-Weg. Deutlich setzt sich das Bild der auf einzelnen Terrassen gruppierten
Baukörper in Lans fort.
Eiszerfallslandschaft
Die Terrassen sind an ihrer Talseite stark zerklüftet. Die Zerklüftung der Eisrandterrasse um
Igls entstand durch Abflussgerinne in der Zeit des Gletscherrückzugs. Zog sich ein Gletscher
zurück, bildete das Schmelzwasser viele kleine Gerinne, die quer zur vom Gletscher gebilde-
ten Terrassenkante zum Tal flossen und damit Einschnitte in die Terrassenkante bildeten.
Zwischen diesen zahlreichen Einschnitten entstanden Sporne. Diese repräsentative Lage
wussten die ersten Häuser der Sommerfrische zu schätzen, was im Kapitel „Repräsentati-
on“ S.85 näher diskutiert wird. Den größten Einschnitt an der Terrassenkante bildet der
Ramsbach. Grundsätzlich liegt jeweils nur ein Haus auf einem Sporn. Der Sporn ist ein na-
türlicher Determinator für die erste Parzellenbildung. Einzig am Grätschenwinkelweg liegen
zwei Häuser auf einem Sporn. Fast alle Spornlagen sind von Sommervillen oder ehemaligen
Sommervillen besetzt. Einzig der Friedhof erhielt als spirituell hochwertige Nutzung ebenfalls
eine bedeutsame, weil am weitesten auskragende Spornlage.
In größerer Maßstäblichkeit bildet der Ramsbach schon bevor er den Terrassenrand erreicht
einen Keil zwischen Ulle und Girgl. Auch die hier den Ramsbach flankierenden Sporne, die
Ulle und die Girgl, wussten die ersten Sommervillen als aussichtsreiche Lage zu nutzen.
Die Einschnitte erwiesen sich als günstige Lagen für Wege, da dort die Terrassenkante mit
geringerer Steigung überwunden werden kann und der Weg automatisch zwischen zwei Häu-
sern und nicht direkt bei einem Haus auf der Terrasse ankommt, da diese neben den Ein-
schnitten auf den Spornen stehen. Auch der Graben zwischen Ulle und Girgl ist die logische
Verbindung von der Igler Ortsmitte in Richtung Zimmerwiese.
Seen
Als Überreste eiszeitlicher Oberflächenformungen im Mittelgebirge blieben wassergefüllte
Becken wie das Viller Moor zurück. Der alte Viller See, der ehemalige Winkelsee bei der Ho-
henburg (1752), ein Weiher am Fuße des Galtbichls (1555), der Lanser See, das Lanser Moor,
der Mühlsee und der Herzsee sind vergangene oder die heute letzten Reste dieser wasserge-
füllten Becken. Die Wasser von den Zuflüssen vom Berg ansammelnden sumpfigen Flächen
in der Mitte und am Tiefpunkt des Mittelgebirges eignen sich nicht für eine Bebauung, womit
die Zone zwischen Igls und Vill von dichterer Bebauung frei blieb. Dieses Phänomen setzt sich
nach Osten über Lans und Sistrans fort. Die Siedlungen liegen entweder ein wenig den Hang
oder in Richtung Mittelgebirgsstufe zum Inntalboden empor gerückt.
Der seit 1270 nachweisbare Viller See ist bereits zum Viller Moor verlandet. Im Mittelalter war
das Viller Moor künstlich eingedämmt und von den Herren von Sistrans und vom Stift Wilten
als Fischteich genutzt worden. 1803 erwarben ihn die Bauern und ließen den Teich zur Ge-
winnung von landwirtschaftlicher Fläche ab. 1920 und 1921 wurde von der Alpenländischen
Torfindustrie-Gesellschaft m.b.H. ein wenig rentabler Torfstich betrieben.
Der Lanser See liegt in einer Toteismulde.67
„Zustande kommt sie durch das Nachsacken des
 Abbildung 38: Baukörpergruppen auf eiszeitlichen Terrassen (e.D., KGL Relief, Gewässer, Gebäude: Land Tirol
2015a)
55
Siedlungsmorphologische Analyse Mittelgebirge
mittlere Erosion
geringe Erosion
keine Erosion
Abbildung 39: Bodenerosion um Igls (Lebensministerium 2015)
56
Bodens über sogenannten Toteisblöcken. Bei Kreuzungen von mehreren Gletscherzungen
schieben sich die Sedimente des einen über den anderen. Beim Rückzug des Gletschers
bleibt ein Eisblock unter den Sedimenten zurück. Beim allmählichen Abschmelzen dieses Ei-
ses entsteht unter der Sedimentschicht ein Hohlraum. Wenn dieser einbricht, entsteht eine
Toteismulde. Das eindringende Schmelzwasser kann dann möglicherweise über einen kurzen
Zeitraum (quasi über Nacht) einen See entstehen lassen.“68
Strudellöcher
Eine weitere Zergliederung der Terrassenlandschaft erfolgt in Igls durch das Phänomen der
Strudellöcher. Als das Inntal noch mit einem Gletscher gefüllt war, brachen Seitentalgletscher
in den Inntalgletscher herab. Dabei ronnen sie über einen topographischen Höhensprung.
Hierbei bewegte sich die untere Gletscherseite langsamer als die obere Gletscherseite, wo-
durch Querspalten an der Oberfläche entstanden. Wo sich immer wieder Querspalten bildeten,
brach das vorerst auf der Gletscheroberfläche abrinnende Schmelzwasser kontinuierlich auf
den selben Punkt auf der topographischen Oberfläche herab und spühlte an diesem Punkt ein
Loch in den Boden. Auf der Suche nach einer Abflussmöglichkeit des Wassers bildeten sich
dort Strudel. Da Igls an einem topographischen Höhensprung liegt, finden wir dort Strudellö-
cher. Dazu gesellen sich Moränenablagerungen und Gletscherschliffe.69
Bodenerosion
Ein wesentlicher Parameter für die Eignung eines Ortes für Siedlungstätigkeit ist die Stabilität
des Bodens. Abbildung 39 zeigt, wie zielgenau die alten Siedlungsplätze auf weniger erodie-
renden Böden entstanden. Die grundrissliche Siedlungsform von Igls bildet sich in etwa in ei-
ner nicht erodierenden Fläche ab. Interessant ist, dass der Bereich um die Patscherkoflerbahn
Talstation, der schon früh als Rodungsfläche in alten Karten ausgewiesen wird, eine ebenso
gute Bodenstabilität hat. Auch das alte Vill liegt deutlich auf einer nicht erodierenden Fläche.
57
Siedlungsmorphologische Analyse Mittelgebirge
W
AS SER
W
A
SSER
WASSER
ACKER
ACKER
WALD
WALD
WALD
WALD
WALD
WIESE
WIESE
WIESE
WIESE
SCHUTZ
SCHUTZ
58
Verfügbarkeit
Zu Beginn der Siedlungstätigkeit benötigten Siedlungen bestimmte Ressourcen in unmit-
telbarer Nähe, um zuerst entstehen und danach wachsen zu können: guter Boden für den
Ackerbau und die Viehzucht, Fließwasser für das Handwerk, die Hygiene und die Trinkwas-
serversorgung, Wald für Brennholz, Handwerk und Baumaterial bzw. für die Jagt und eine
topographische Erhöhung als schützender Rückzugsort. Igls wurde mit den genannten Res-
sourcen im unmittelbaren Umfeld versorgt.
Hochwertige Ackerböden garantierten jahrhundertelang das Überleben einer Siedlung. In
Abbildung 43 zeigt sich Igls umringt von hochwertigen und zumindest mittelwertigen Acker-
böden. Teilweise frisst sich die Bebauung von Igls bereits in die hochwertigen Ackerböden vor.
Diese lagen früher noch näher am alten Siedlungskern.
Das gleiche Bild gibt sich bei der Betrachtung der Wertigkeit für Grünland. Igls liegt umringt
vom den alten Ort versorgenden Grünland und minimiert damit die Summe aller zurückzu-
legenden täglichen Distanzen zur und von der Wiese oder dem Acker. Sowohl die mit alten
Flurnamen beschriebenen Flächen Unteregebreite, Oberegebreite, Annakreuz, Bachgang als
auch Oberfeld umringen Igls kreisförmig.
Die von den genannten Fluren nicht belegten Flächen sind bis heute mit Wald bewachsen und
lieferten das Brenn- und Bauholz.
Ulle und Girgl konnten als topographische Erhebungen kurzzeitig Schutz bieten. Igls rückt
möglichst nah an diese Erhebungen heran.
Der Ramsbach durchfließt zwischen Ulle und Girgl das Zentrum von Igls und liefert kontinu-
ierlich Frischwasser. Er ist für Igls, wie der Flur zum Hinterzimmer, ein Weg zur Zimmerwiese
und als solche Verbindung Mittel der Orientierung. Nahes Fließwasser war stets für das frühe
Handwerk bedeutsam. Ein Vorgänger der ersten bekannten Mühle 1627 im Oberdorf (Bilgeri-
straße Nr.14) war 1499 die „Mul und Mulslag zu Ygels“ bis spätestens 1627. Im 19. Jh. tritt eine
weitere Mühle am Ramsbach (Heiligwasserweg 1) und eine weitere Schmiede (Eichlerstraße
23) hinzu.70
Einerseits führt die Römerstraße durch das alte Katastralgemeindegebiet von Igls und an-
dererseits die Lanser- bzw. Patscherstraße. Damit war in einer regionalisierenden Welt des
Mittelalters die Anbindung an die Welt gesichert, was die Ressource Information sicherstellte.
Die Ressourcenzugänglichkeit erwirkt in Igls eine Siedlungsachse entlang dem Ramsbach
und der Patscherkofelflanke.
Ressourcen
 Abbildung 40: Ressourcenzugänglichkeit entlang des Ramsbaches (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald, Wege: Land
Tirol 2015a)
59
Siedlungsmorphologische Analyse Ressourcen
TALSTATION
KONGRESS
FREIZEITRAUM
SPORTHALLE
TAXBURG Rodungsband
Wald
Rodungsbandrand
Rodungsinselrand
Ortschaften
alte Sommervilllen
Hinterfeld
60
Richtungsdynamiken
Im Folgenden soll geklärt werden, warum Igls stärker in bestimmte Richtungen gewachsen
ist als in andere.
Die erste Richtungsdynamik der Igler Siedlungsentwicklung wird von der oben beschriebenen
Rohstoffverteilung um den Ramsbach festgelegt. Weitergeführt wird sie von der Patscher-
kofelflanke. An ihr hat man den wesentlichen Vorteil, über Zugänge zum Inntal und Wipptal
zu verfügen und an Innsbruck über die Straße über Vill angeschlossen zu sein. Die Wasser-
versorgung hatte für diverse Nutzungen wie Handwerk und Alltag so viel Nutzen, dass die
alte bäuerliche Bebauung in einem Bogen nach Osten den Ramsbach entlang emporwuchs.
Entlang des Ramsbaches liegen die wichtigen Rodungsflächen Zimmerwiese und jene um
das Badhaus, wodurch entlang des Ramsbaches Wiesen und Felder und automatisch unmit-
telbarer Waldzugang entstanden.
Auf dem Mittelgebirge reihen sich sämtliche bebauten Flächen innerhalb eines zusammen-
hängenden linearen Rodungsstreifens nacheinander (s. Abbildung 41). Einzig die Rodungsin-
sel um die Zimmerwiese ist ein bebauter Bereich abseits dieses Rodungsstreifens, indem er
seitlich von diesem wegsteht. Daher kommt dieser Rodungsinsel keine klassische Siedlungs-
funktion zu. Aus der Zimmmerwiese wird ein verstecktes „Hinterzimmer“. War seine frühere
Nutzung, geschützte zusätzliche Wiesenflächen zu bieten, so ist die heutige markanteste Nut-
zung die Patscherkofelseilbahntalstation.
Die Weglängen wurden in alten Siedlungen immer minimiert, um das Verhältnis zwischen Res-
sourcenaufwand und wirtschaftlichem Output zu optimieren. Daher liegt Igls von ressourcen-
spendenden Naturräumen umsäumt. So wie die Platzierung der gesamten Siedlung ressour-
censchonend war, so erwartet man sich das auch innerhalb des Siedlungskörpers. Die logische
Folge ist die Siedlungsform des Haufendorfs. Sie bietet keine konkrete Entwicklungsrichtung
sondern entfaltet sich in alle Richtungen gleichermaßen. Die Folge ist eine flächige Auffül-
lung der Igler Terrasse um die Ortsmitte. Die Anordnung der einzelnen Häuser zueinander
als Haufendorf erscheint zunächst nicht ressourceneffizient, bis wir in Kapitel „Bauprogram-
me“ S.95 die bäuerliche Hoftypologie des Unterinntaler Einhofs bzw. des Mitteltennenhofs
untersuchen. Neben der Organisationslogik des Einhofs und Mitteltennenhofs kann jedoch
auch der Brandschutz im früher großteils aus Holzhäusern bestandenen Igls Einfluss auf die
distanzierte Anordnung der Höfe zueinander gehabt haben. Dass aber viele Städte aus Holz
trotz der Brandgefahr dicht gebaut wurden, zeigt wie wenig Einfluss der Faktor Brandschutz
auf die Ausformung als Haufendorf gehabt haben muss. Vielmehr Einfluss hatte wohl der
Wunsch nach räumlicher Nähe zum Vieh, das zeitweise zwischen den Höfen weiden konnte
statt auf die ferne Weide getrieben zu werden. Damit konnte man das Vieh vor Dieben und
Raubtieren schützen und mit geringem Wegeaufwand wirtschaften. Ein Abstand zum Nach-
barn war unabdingbar, wollte man um den eigenen Hof herum sein Vieh halten. Indem diese
Regel auf fast alle Häuser im Dorf zutrifft, da das Dorf bäuerlich geprägt war, erhielt Igls seine
Haufendorfkomponente.
Die einzelnen Gebäude folgen im Haufendorf keinem offensichtlichem Ordnungsprinzip. Je-
des Gebäude ist für sich so angeordnet, dass die Standortbedingungen wie Gelände, Be-
lichtungsverhältnisse, Wetterschutz, Ausrichtung zur Kirche u.ä. individuell bestmöglich aus-
genützt werden. In der eingehenden Siedlungslektüre kann man jedoch einige gemeinsame
Ordnungsprinzipien erkennen, auf die folglich noch eingegangen wird.
Ein systematischer Vorteil des planlosen Haufendorfes besteht darin, dass im Bestand einzel-
ne Gebäude entfernt und hinzugefügt werden können, ohne dass der Charakter des Dorfes
verändert wird. In Zeiten des Wachstums konnte durch neue Gebäude nachverdichtet werden,
in Zeiten der Schrumpfung konnten Gebäude wieder entfernt werden. Die Funktionalität des
Dorfes blieb ohne strukturelle Adaptionen stets erhalten. Igls ist beispielsweise zumindest
zweimal von einem Dorfbrand betroffen gewesen (1560 und 1883). Dies zerstörte zwar viele
Häuser und Habseligkeiten, doch konnte es der Siedlungsstruktur wenig Schaden zufügen.
Ein Straßendorf müsste hier mehr Zwängen bei der Wiedererrichtung folgen, was am südli-
chen Ende der Hilberstraße, die eher der Straßendorflogik folgt, sichtbar ist. Dort liegen die
Höfe nach wie vor dicht gedrängt der Straße entlang nebeneinander. Die Haufendorfkompo-
nente schuf beim Wiederaufbau mehr Freiheiten auf die neuen Gegebenheiten zu reagieren.
Damit wurde der relativ reibungslose und ressourcenschonende Wandel von einem bäuerli-
chen Dorf zu einem Kurort und später Wohnort unterstützt.
Die Richtungsdynamik entlang des Ramsbaches aufnehmend, startet auf der Zimmerwiese
die Patscherkofelbahn und verläuft den Ramsbach entlang den Patscherkofel empor. Tribut
zollt die Patscherkofelbahn dem Schnittpunkt zwischen Römerstraße und Ramsbach durch
eine eigene Mittelstation.
Die oben beschriebene Richtungsdynamik wird allerdings durch eine zweite gestört. Igls steht
nämlich auch in der Tradition jener Orte innerhalb eines länglichen Rodungsstreifens am Pla-
 Abbildung 41: Niveaugleicher Rodungsstreifen auf dem Mittelgebirge (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald, Gebäude,
Wege: Land Tirol 2015a)
61
Siedlungsmorphologische Analyse Ressourcen
PATSCHERKOFELBAHN
LAN
SER
STRASSE
P
A
T
S
C
H
E
R
S
T
R
A
S
S
E
I
G
L
E
R
S
T
R
A
S
S
E
R
Ö
M
E
R
S
T
R
A
S
S
E
RAMSBACH
R
A
M
S
B
A
C
H
Richtungsdynamiken
Siedlungsknoten
Horizontalweg
Vertikalweg
Entwicklungsrichtung
Grünkeil
Ramsbach
62
teau des Mittelgebirges (s. Abbildung 41), die sich längs der Höhenschichtlinien mit einer
Straßendorfkomponente entwickelt haben. So reihen sich im alten Igls die Bauernhöfe ent-
lang der Hilberstraße aneinander, die ihrerseits parallel zur Höhenschichtlinie liegt und ihre
Verlängerung in der Lanser Straße und Patscher Straße findet. Sternenartig können so viele
Höfe direkten Zugang zu den Wiesen- und Ackerflächen auf der Terrasse erhalten. Die Zu-
gänglichkeit der Flächen wird weiter erhöht, indem die Hilberstraße eine dem Patscherkofler
Hang folgende Kurve ausbildet. Die Außenkurve liegt talseitig, wo das Gros der Acker- und
Wiesenflächen zur Verfügung steht. An der Außenkurve finden mehr Höfe Platz als dies an
der Innenkurve tun würden. Damit wird mehr Höfen Zugang zu Wirtschaftsflächen geboten,
als wenn die Hilberstraße gegengleich gekurvt wäre (s. Abbildung 40). Die Entwicklung ent-
lang der Höhenschichtlinie schafft Orte die untereinander ziemlich niveaugleich ohne größere
Energieaufwendungen erreichbar sind. In den Nachbarorten Lans, Sistrans und Patsch setzt
sich die Richtungsdynamik entlang der Höhenschichtlinie fort. Zwischen diesen Orten befin-
den sich angesichts der Gebirgslage nur relativ geringe Höhenanstiege. Von diesem niveau-
gleichen Weg zweigen nur besondere Nutzungen hangaufwärts ab. Nur wenigen Nutzungen
war die besonders erhöhte Lage mit schwererer Erreichbarkeit vorbehalten. In der Gegend
um Igls lassen sich diese nur direkt in Igls finden. Im Igler Hinterfeld liegen z.B. die ältesten
Sommervillen, die Hohenburg und die Taxburg, der Kongress, die Sporthalle, die Patscherko-
felseilbahntalstation und der Freizeitbereich um die Zimmerwiese (s. Abbildung 41).
Igls ist damit Schnittpunkt zweier unterschiedlicher Richtungsdynamiken. Das erzeugt im
Siedlungsbild Irritationen:
-
- Es treffen Patscher- und Lanserstraße in hangparalleler Richtung auf Ramsbach in hang-
abfallender Richtung. An diesem Punkt wurde eine heute stark belebte Kreuzung mitten
in der dortigen Kurve nötig.
-
- 100 Höhenmeter weiter oben besteht der zweite Schnittpunkt. Dort trifft die Römerstraße
auf den Ramsbach. Die Römerstraße verläuft ziemlich geradlinig von Lans nach Patsch.
Nur im Bereich des Ramsbaches buchtet sie nach Osten um 250m aus und reagiert damit
auf die Achse der Patscherkoflerflanke.
-
- Eine weitere Störung der Richtungsdynamik entlang der Höhenschichtlinien erfolgt durch
die Iglerstraße, wo sie auf die Hilberstraße trifft. Dort blockieren die alten Höfe ein gerad-
liniges Fortlaufen der Hilberstraße.
Igls Siedlungsstruktur ist Produkt zweier Richtungsdynamiken, was im sternenförmigen
Siedlungsbild leicht abzulesen ist. Zwischen den Sternarmen verbleiben Grünbereiche, die so
trotz Ortswachstums weit in die Ortsmitte vorstoßen. In der europäischen Stadtgeschichte
haben Städte schon oft auf eine solche sternenförmige Achsialentwicklung gesetzt, um trotz
Wachsum Grünräume als Keile weit in die Stadt hineinführen zu können. Nur mit großem po-
litischem Willen konnten solche Grünkeile von weiter drohender Verbauung freigehalten wer-
den, da genau dort die attraktivsten Flächen in Grünlage lagen und die Grundstücke abseits
der Erschließungsachsen durch deren geringere Erreichbarkeit billiger waren. Igls konnte sich
seine Grünkeile ob seiner geringeren Größe bislang bewahren.
 Abbildung 42: Richtungsdynamiken und Schnittpunkte schematisch (e.D., KGL: Relief: Land Tirol 2015a)
63
Siedlungsmorphologische Analyse Ressourcen
geringwertig
geringwertig - mittelwertig
mittelwertig
mittelwertig - hochwertig
hochwertig
Abbildung 43: Wertigkeit von Ackerland (Lebensministerium 2015)
64
Beachtenswert ist folgendes in Abbildung 44 gezeigtes Resultat der zwei Richtungsdynami-
ken. Entlang der niveaugleichen Mittelgebirgsstraße dehnt sich Igls in die Länge. Beidseits
dieser Dehnung liegen zwei Bereiche, die trotz ihrer unterschiedlichen Nutzungsform und To-
pographie die verblüffend gleiche Grundrissgeometrie aufweisen. Während der westliche
Teil dem flächig verbauten und bewohnten Igls gewidmet ist, liegt östlich der ruhige geschütz-
te Gegenpol der Freizeitgestaltung, die Zimmerwiese. Die westliche Form wird hauptsächlich
durch Baukörper auf der eiszeitlichen Terrasse gebildet, die östliche Form ist im Rodungskör-
per ablesbar. Beide Geometriefelder haben in ihrem Mittelpunkt Gebäude besonderer Be-
deutung. In der westlichen Mitte steht das alte Rathaus, in der östlichen Mitte die Patscher-
kofelseilbahntalstation. Das Rathaus ist der Mittelpunkt eines bebauten Siedlungsraums, eine
Seilbahnstation kann der Mittelpunkt einer Freizeitgestaltung sein. Von diesen Mitten gegen
den Uhrzeigersinn blickend liegen zeitlich später und flächig verbaute Wohngebiete. Von die-
sen Mitten im Uhrzeigersinn blickend liegen vermehrt Sondernutzungen wie Freizeiteinrich-
tungen, Sommerfrischevillen und Hotels.
Abbildung 44: Gleiche Geometrien beidseits der Hilberstraße unterschiedlicher Nutzungsform (e.D., KGL: Relief,
Wald, Gebäude: Land Tirol 2015a)
65
Siedlungsmorphologische Analyse Ressourcen
IGLS
PASCHBERG
ULLE
GIRGL
SILLSCHLUCHT
RÖ
M
E
R
S
T
R
A
S
S
E
B
R
E
N
N
E
R
S
T
R
A
S
S
E
INNTAL
66
Isolation
Igls sowie Vill sind die beiden einzigen Stadtteile von Innsbruck, die vom Weichbild der Stadt
durch den ca. drei Kilometer breiten Waldgürtel des Paschbergs getrennt liegen und sehr lan-
ge bis zur Anpassung der heutigen Igler Straße an den Autoverkehr 1925 abseits historischer
Haupt- oder Landstraße lagen. Noch heute steht an der Straßeneinfahrt zu Igls eine Ortstafel,
obwohl Igls ein Stadtteil Innsbrucks ist.71
Die Römerstraße bzw. Salzstraße war die Durchzugsstraße auf dem Mittelgebirge und trug
Verkehr zwischen Inntal und Brenner. Igls liegt deutlich neben der Römerstraße. Die tiefe Sill-
schlucht war eine schwer überwindbare Grenze zur Brennerstraße am linken Sillufer. Abbil-
dung 45 und Abbildung 46 zeigen die Igler Abseitslage von Verkehrsachsen.
Einerseits folgte daraus, dass Igls und Vill eine bescheidene Entwicklung als Bauerndörfer
hatten. Andererseits folgt daraus, dass Igls noch um 1900 eine beschauliche Rückzugslage
für die Sommerfrischler bot und so zum Kurort jener Qualität wachsen konnte, die sich heute
in den noch bestehenden alten Prachtbauten abbildet. Ähnlich ruhige Qualitäten werden heu-
te von den in Igls Wohnenden geschätzt.
Erschließung
Abbildung 46: Straßenkarte 1804 (Land Tirol 2015a)
 Abbildung 45: Igler Abseitslage von Verkehrsachsen (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a)
67
Siedlungsmorphologische Analyse Erschließung
IGLS
VILL
MUTTERS
NATTERS
LANS
SISTRANS
ALDRANS
PATSCH
PASCHBERG
ULLE
GIRGL
SILLSCHLUCHT
R
Ö
M
E
R
S
T
R
A
S
S
E
B
R
E
N
N
E
R
S
T
R
A
S
S
E
INNTAL
An- und Einbindung
überregionales Netz
Anbindung
Einbindung
topographische Barriere
68
Anbindung
Natürlich wurden in Igls über die Jahrhunderte gezielt Anstrengungen unternommen, um An-
teil am Durchzugsverkehr zu finden, was bis heute seine Spuren im Siedlungsbild hinter-
lassen hat.
Zur Brennerstraße am linken Sillufer wurde ein Übergang über den deutlich tiefer liegenden
Zenzenhof geschaffen. Dies war allein schon deswegen nötig, um den Zugang für die Viller
und Igler zum gemeinsamen Landesgerichtssitz in Sonnenburg zu ermöglichen. Dieser Weg
sollte ob seiner großen Höhendifferenzen aber untergeordnet bleiben. Die spätere Brenner-
bahn und Brennerautobahn erhielten beim Zenzenhof keine Haltestelle bzw. Ausfahrt.
Schon naheliegender war die Anbindung an das in der Siedlungshierarchie deutlich höher ste-
hende Innsbruck, für das Igls Teile seiner landwirtschaftlichen Versorgung übernahm und das
das kulturelle und gesellschaftspolitische Zentrum der Umgebung war. Innsbruck ist schließ-
lich über den Flughafen mit der gesamten Welt verbunden, über den Hauptbahnhof mit ganz
Europa und über die Inntalautobahn bzw. Brennerautobahn mit den Nachbarstaaten. Über die
Poltenhütte am Paschberg führte bereits lange ein fußläufig begehbarer Weg nach Vill und
somit auch nach Igls. Angesichts der 300 Höhenmeter Differenz zwischen Igls und Innsbruck
brachte aber erst die Mittelgebirgsbahn um 1900 eine unmittelbare Anbindung Igls an Inns-
bruck. 1925 wurde die Straße von Innsbruck über Vill nach Igls dem Autoverkehr angepasst.
Heute verkehrt die Buslinie J der Innsbrucker Verkehrsbetriebe auf der Strecke.
Die leichteste Anbindung bot allerdings die nur gut 100m höher liegende Römerstraße. Der
kürzeste Weg zur Römerstraße war ein auf ihr im rechten Winkel stehender Weg. Ein alter Fuß-
und Karrenweg entlang des Ramsbachs zur Römerstraße ermöglichte den Iglern schon im
Mittelalter ihr mit Patsch hart umkämpftes und danach geteiltes Recht, Vorspanndienst72
auf
der Römerstaße auszuführen und damit Geld zu verdienen. Ohnedies waren die Igler stets zu
Erhaltungsarbeiten der Römerstraße herangezogen worden, da sie durch ihr Gemeindegebiet
führte. Auf die Nebeneinnahmen durch den Vorspanndienst wollten sie daher nicht verzichten.
1905 wurde dieser Weg zu einer Straße ausgebaut. Die deutlich imposantere Anbindung Igls
an die Römerstraße war ab 1928 jene über die Patscherkofelseilbahn, indem sowohl der ge-
baute Ort Igls als auch die Römerstraße eine Station erhielten.
Einbindung
Neben der Anbindung an überregional bedeutsame Verkehrsadern war Igls auch regional
eingebunden. Dem Mittelgebirge entlang verband und verbindet heute noch ein Weg die Sied-
lungen Patsch (990m), Igls (870m), Lans (860m), Sistrans (920m), Rinn (910m) und Tulfes
(920m) auf in etwa der selben Höhe. 1906 wurde diese Verbindung verbessert, indem die
Kaiser Franz Josef-Straße als Verbindung nach Patsch und Lans fertiggestellt wurde.
Stoßrichtungen
Die beiden in Kapitel „Richtungsdynamiken“ S.61 angesprochenen Richtungsdynamiken
bilden sich in der Erschließung ab. Aus der Erschließung leitet sich sehr deutlich die in zwei
Richtungen begrenzte strahlenförmige Entwicklung der Siedlung Igls ab.
Die alte lineare Verbauung um die Hilberstraße im alten Ortskern orientiert sich eindeutig
an der alten regionalen Einbindung. Sie ist verantwortlich für den Igler Straßencharakteranteil.
Die haufenförmige Entwicklung war durch die südöstliche Bergkante und die nordwestliche
Terrassenkante begrenzt. Dies ist auch in Lans oder Patsch deutlich abzulesen. In der nordöst-
lichen Verlängerung der Igler Dorfmitte liegt ein länglicher Siedlungskeil, der der Straße nach
Lans und dem Verlauf der Mittelgebirgsbahn folgt. In der südlichen Verlängerung liegt ein
weiterer länglicher Siedlungskeil in Richtung Patsch.
Mit der massenhaften Verbreitung des PKW, wurden die möglichen Tagesdistanzen größer
und eine vertikale Anbindung an z.B. Innsbruck sinnvoll. In Richtung Innsbrucks hangabwärts
liegt in der Folge der flächigste Siedlungsvorsoß parallel zur Igler Straße. Hangaufwärts ver-
läuft nur die Grabenverbauung zwischen Ulle und Girgl.
 Abbildung 47: Igler Anbindung an Verkehrsachsen (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a)
69
Siedlungsmorphologische Analyse Erschließung
ERSCHLIESSUNGSSYSTEM
DURCHFAHRTSTRASSE
SAMMELSTRASSE
ZUFAHRT
FUSSWEG
SACKGASSE
NACHBARSCHAFT
70
Erschließungssystem
Die An- und Einbindung in überregionale und regionale Erschließungssysteme erzeugt die
erste Erschließungshierarchie innerhalb von Igls. Diese Wege sind die einzigen, die durch den
Ort durchführen, sie besetzen die kürzesten Routen mit den angesichts der Topographie ge-
ringst möglichen Steigungsverhältnissen. Alle anderen Wege sind Sammelstraßen, die von
diesen Durchfahrtsstraßen abzweigen.
Die Sammelstraßen sammeln den lokalen Verkehr zusammen, ehe er auf das regionale Er-
schließungsnetz trifft. Sie enden alle in Sackgassen, da das Schließen der Schlaufen topogra-
phisch verungünstigt wird. Es entstehen auf der einen Seite Straßen, die die Hauptlast des
Verkehrs tragen, und auf der anderen Seite äußerst verkehrsberuhigte, voneinander getrennte
Seitensysteme.
Diese voneinander getrennten Seitensysteme bilden einzelne Nachbarschaften,73
welche die
ansonsten flächig zusammengewachsen wirkende Siedlungsstruktur strukturieren. Deutlich
kann man sein eigenes Haus einer solchen Nachbarschaft zuordnen, abhängig von welchem
Seitensystem es erschlossen wird. Die Privatheit der eigenen Nachbarschaft wird auch da-
durch erzeugt, indem das Betreten für Fremde keinen Sinn machen würde, da er nicht durch-
gehen kann. Betritt ein Fremder dennoch die Nachbarschaft, so scheint klar, dass er, sofern er
nicht auf Besuch ist, nichts gutes im Schilde führt. Im osmanischen Städtebau war dies eine
wesentliche Schutzfunktion der Nachbarschaft. Beeinflusst wird die Bildung der Seitensyste-
me und damit die Bildung der Nachbarschaften durch die Topographie, die Gewässer und dem
Wunsch nach kurzen Wegen.
Es entsteht ein relativ unwegbares Sackgassennetz. Einzelne nur dem Fußgeher gewidmete
Wege durchbrechen daher die Struktur der Seitensysteme, um die Fußwege innerhalb des
Siedlungsverbands zu verkürzen und die beliebte Freizeitnutzung des Spazierengehens zu be-
günstigen. Das Durchbrechen der geplanten Struktur der Seitensysteme führt dazu, dass die
Fußwege nicht auf den geplanten Schauseiten der Häuser und Gärten entlangführen, sondern
entlang der informellen Rückseiten. Durch das Benützen der Fußwege tritt man ein Stück weit
in die Privatsphäre der Bewohner ein.
 Abbildung 48: Erschließungssystem Igls
71
Siedlungsmorphologische Analyse Erschließung
72
Vertikalität
Vertikale Metros
In Tirol reiht sich auf Grund des alpinen Charakters ein Tal neben das nächste. Der Sied-
lungsraum begrenzt sich dabei zum Großteil auf die flachen Talsohlen (s. Abbildung 51). Das
Inntal bietet die größte Talsohle, womit es zum größten Siedlungsraum wurde. Dieser fällt
entlang des Tals natürlich linear aus. Die Erschließungsstruktur fällt entlang des Tals ebenso
linear aus. Stehen nur zwei Richtungen für die Fortbewegung zur Verfügung, werden damit die
durchschnittlichen täglichen Wege länger. Logischerweise wurde daher in Folge von Wachs-
tum versucht, auch die Dimension quer zum Inntal die Hänge hinauf zu nutzen. Dazu musste
die Dimension quer zum Inntal erschlossen werden. Saumwege, Karren- und Fußwege führten
anfangs die Hänge des Inntals empor, ehe Straßen ausgebaut wurden und Eisenbergbahnen
bzw. „vertikale Metros“74
, d.h. Seilbahnen, ergänzt wurden (s. Abbildung 50). Auf Grund der
Enge des Inntals wurden diese Querrelationen integraler Bestandteil des Tiroler Verkehrs-
netzes und die Siedlungsplätze an den Hängen integraler Bestandteil des Tiroler Siedlungs-
raums.75
Entlang des Inntals reihen sich Talstationen von Bahnen oder Seilbahnen, die auf die flankie-
renden Hänge und Berge emporführen (s. Abbildung 49). Es bildet sich entlang des Inntals
eine rythmische Sequenz von Querachsen auf die flankierenden Berge, die mit Nordkette,
Patscherkofel, Mutterer Alm, Rangger Köpfl und Glungezer um Innsbruck verdichtet.
Die Nordseite ist mit folgenden vertikalen Metros versorgt:
-
- Mösern - Gschwandtkopf
-
- Hungerburg - Nordkette
-
- Kramsach - Sonnwendjoch
Die Südseite ist mit folgenden vertikalen Metros versorgt:
-
- Kappl - Diasalpe
-
- See - Medrigjoch
-
- Zams - Venet
-
- Oberperfuss - Rangger Köpfl
-
- Mutters - Mutterer Alm und Axamer Lizum
-
- Igls - Patscherkofel
-
- Tulfes - Glungezer
 Abbildung 49: Seilbahnen in Tirol (e.D., KGL Relief Innsbruck und Seilbahnen: Land Tirol 2015a, Relief Tirol: NASA
2000)
Abbildung 50: TirolCITYmap (YEAN 2005 S.120f)
Abbildung 51: Tiroler Dauersiedlungsraum (YEAN 2005 S.32f)
73
Siedlungsmorphologische Analyse Vertikalität
IGLS
TALSTATION
RÖMERSTRASSE
HEILIGWASSER
PATSCHERKOFEL
INNSBRUCK
VILL
Achse
Verkehrsachse
Nutzungsknoten
Lichtungsgrenze
Lichtungstrennlinie
74
-
- Weerberg - Hausstattlift
-
- Schwaz - Kellerjochbahn
-
- Reith im Alpbachtal - Reither Kogel
Diese Achsen sind teilweise in mehrere Abschnitte gegliedert. Es verbindet oftmals ein öf-
fentlicher Zubringer wie Bahn oder Bus den Talboden mit der Talstation auf einer etwas höher
liegenden Terrasse. In Igls erfolgt eine solche Anbindung des Talbodens durch die Mittelge-
birgsbahn bzw. durch die Buslinie J der Verkehrsbetriebe Innsbruck an die Patscherkofelseil-
bahntalstation.
Patscherkofel Achse
Verkehrstechnische Verbindung
Ursprünglich durch die Suche nach einer Anbindung an die Römerstraße und an Innsbruck
entstand die Igls in vielweitiger Weise prägende Achse Innsbruck - Igls - Patscherkofel. Igls
Ortszentrum ist über den historischen Fuß- und Karrenweg, die Igler Bundesstraße und die
Mittelgebirgsbahn an Innsbruck angebunden. Um 1900 wurde die Mittelgebirgsbahn zwi-
schen Bergiselbahnhof und Igls eröffnet. Der Bergiselbahnhof liegt exakt in der südlichen
Verlängerung der Marien-Theresien-Straße bzw. der Hauptachse der Altstadt (s. Abbildung
53). Von dort aus startete auch die Stubaital-Bahn. Die Mittelgebirgsbahn wurde 1920 sogar
vom Bergiselbahnhof bis in die Maria-Theresien-Straße verlängert, womit die Anbindung Igls
an Innsbruck vorläufig vollendet war. Seit der Elektrifizierung 1936 fuhr die Mittelgebirgs-
bahn als Linie 6 ohne Umsteigen am Bergiselbahnhof in die Innenstadt. Das Fortleben der
Mittelgebirgsbahn war zwar durch das Automobil, die Inntalautobahn und Omnibusse auf die
Mittelgebirgsterrasse durch die Ortskerne gefährdet, doch durch Einsprüche der Bevölkerung
erwirkt worden. Zwischen 1987 und 1996 wurde die Mittelgebirgsbahn über die Innsbrucker
Innenstadt hinaus bis zur Hungerburgbahn-Talstation im Saggen verlängert, womit beide
Hangflanken des Inntals um Innsbruck miteinander direkt in Verbindung standen. Seit 2005
 Abbildung 52: Patscherkofel Achse durch Nutzungsknoten, Verkehrsnetz und Rodung (e.D., KGL Relief, Gewässer,
Wald, Gebäude: Land Tirol 2015a)
 Abbildung 53: Stadtplan Innsbruck 1910 mit direkter Straßenverbindung zwischen Bergiselbahnhof und Maria-
Theresien-Straße (Wikipedia 2007)
75
Siedlungsmorphologische Analyse Vertikalität
76
Allg. Landeskrankenhaus G4
Amt der Tiroler Landesreg. (Landhaus 1) H4
Amt der Tiroler Landesreg. (Landhaus 2) H4
Bezirksgericht H4
Bezirkshauptmannschaft Innsbruck H4
Congress Innsbruck G3
Finanzamt Innsbruck G4
Flughafen Innsbruck C5
Freizeitanlage Rossau/Baggersee L4
Hallenbad Amraser Straße H4
Hallenbad Höttinger Au F4
Hallenbad Olympisches Dorf L3
Hauptbahnhof H4
Hauptpost G4
Innsbruck Information Bahnhof H4
Innsbruck Information Burggraben G4
Innsbrucker Messe H3
IVB-Kundencenter G4
Jugendherberge Innsbruck J3
Landesgericht G4
Landessportcenter I5
Landestheater H3
Leitstelle Tirol H5
MCI H3
Olympiaworld I5
Pädagogische Hochschule H6
Polizeidirektion H3
Rathaus/Magistrat d. Stadt Innsbruck G4
Rotes Kreuz H5
Sanatorium Barmh. Schwestern I2
Stadion Tivoli Neu I5
Tiroler Gebietskrankenkasse H4
Tivoli Freibad I5
Universität Campus Innrain F4
Universität Campus Technik C4
Universität Campus Universitätsstr. H3
Wichtige Gebäude
Index of important buildings /
Index des bâtiments importants /
Indice degli edifici importanti
startet die Bahn wieder erst beim Bergiselbahnhof.76
Attraktive Fußwege binden die Mittelgebirgsbahnstation an die Patscherkofelseilbahntalstati-
on an bzw. wurde in Verlängerung der Mittelgebirgsbahn sogar ein 450m langer Streifen bis
zur Kirche von jeglicher Bebauung ausgespart, um eine allfällige spätere Verlängerung der
Bahn in den Ortskern zu ermöglichen.77
Die Buslinie J aus Innsbruck hat ihre Endstation bei
der Patscherkofelseilbahntalstation. Von dort führt die Achse über den alten Fuß- und Karren-
weg bzw. über die Patscherkofelseilbahn zur Römerstraße bzw. verlief früher die Bobbahn bis
ins Zentrum. Die Buslinie J wird teilweise bist zur Patscherkofelseilbahnmittelstation geführt.
Weiter führen Wanderwege über die Heiligwasserkapelle auf den Patscherkofel bzw. die Pat-
scherkofelseilbahn bis zur Bergstation. Sehr deutlich bildet das Verkehrssystem diese Achse
ab. Igls ist damit ein zentraler Abschnitt der Patscherkofel Achse. Igls ist der Patscherkofel
Achse untergeordnete Drehachse.
Knotenpunkte
Entlang der Achse verteilen sich unterschiedlichste Nutzungsknoten unterschiedlicher Quali-
täten in unterschiedlichen Höhenlagen. Sie sind über das oben beschriebene Verkehrssystem
miteinander verbunden. Innsbruck (570m) steht in der Talsole für Distribution, gesellschaftspo-
litischen Mittelpunkt, Wissen, Kultur u.ä. Vill (820m) steht für Landwirtschaft und Wohnen. Igls
(870m) steht für Erholung und Wohnen. Der Bereich um die Patscherkoflerseilbahntalstation
(900m) steht für lokale Freizeitgestaltung. Der Bereich bei der Römerstraße (980m) steht für
regionale Freizeitgestaltung. Heiligwasser (1240m) ist spiritueller Ort und forstwirtschaftlich
genutzt. Der Patscherkofel (2250m) steht für Natur und Almwirtschaft.
Rodungsfelder
Abbild der genannten Nutzungsknoten auf unterschiedlichen Höhenlagen sind die Rodungs-
felder, die - inzwischen etwas aufgelockert - noch heute existieren. Der kulturgeschichtliche
Aktionsraum des Menschen wird durch die Waldfreiheit markiert. Der Wald ist der informelle
Gegenpol zum formellen kulturlandschaftlichen Raum. Zur Zeit der Sommerfrische galt dieser
informelle Wald als wertvolle Ressource. „Ein Hauptanziehungspunkt von Igls bietet in ozon-
reicher Alpenluft der herrliche Wald. Es kommt ihm in dieser Richtung kein Fremden- oder
Erholungsheim von ganz Tirol gleich oder auch nur nahe. An der Schwelle von Igls beginnt er
und verbreitet sich sozusagen bodenflach studenlang.“78
„Schon in alten Büchern ist von Bur-
gen und vom Baumwuchs der Iglerwälder die Rede.“79
Jeder Nutzungsknoten hat sein eigenes
Rodungsfeld. Im größten Rodungsfeld Tirols, in der Inntalsohle, liegt Innsbruck. Im nächsten
Rodungsfeld liegt Vill auf dem Mittelgebirge. Das Igler Rodungsfeld ist zwar schon längst mit
dem Viller zusammengewachsen, doch trennt heute wieder ein Waldstreifen entlang der nörd-
lichen Terrassenkante das bebaute Igls von den Äckern und Wiesen um Vill ab (s. Abbildung
55). Das Feld um die Patscherkofelseilbahntalstation bildet sich, topographisch durch die Eng-
stelle nach Igls unterstütz, deutlich ab. Ebenso isoliert liegt die Rodung um die Römerstraße
und die kleine um die Heiligwasserkirche. Der Gipfel des Patscherkofel liegt gerade über der
Baumgrenze und erscheint damit als natürliche Lichtung.
Die Rodungsfelder machen die Nutzungsknoten entlang der Patscherkofel Achse in der Um-
Abbildung 55: Waldstreifen an Igler Terrassenkante (Land Tirol 2015a)
 Abbildung 54: Liniennetzplan 2015 IVB
77
Siedlungsmorphologische Analyse Vertikalität
FLUGHAFEN INNSBRUCK
PATSCHERKOFEL ACHSE
PFARRKIRCHE VILL
FRIEDHOF IGLS
MARTERL
PFARRKIRCHE IGLS
HEILIGWASSER
GIPFELKREUZ
PATSCHERKOFLER ACHSE
Sakrale Elemente
Seilbahn
Achse
Achsenzugang
78
gebung sichtbar, machen die Achse gangbar bzw. die Nutzungsknoten auf ihr zugänglich, at-
traktivieren die Achse für menschliches Handeln und bringen damit gesellschaftliche Aktivität
auf die Achse. Damit sind die Rodungsfelder eng verbunden mit der Programmierung der
Achse und stärken diese in der menschlichen Wahrnehmung.
Spirit
Die oben beschriebene kulturhistorisch entwickelte Patscherkofel Achse durch Igls zeichnet
sich auch auf sakraler Ebene ab. Unumstritten ist Innsbruck mit all seinen Sakralbauten das
administrativ kulturell sakrale Zentrum des Inntals und damit Startpunkt der sakralen Pat-
scherkofel Achsenkomponente. Auf dem Mittelgebirge liegt zuerst die Pfarrkirche Vill. Es folgt
der von Marterln begleitete Weg zum neuen Friedhof von Igls und der Friedhof selbst. In Igls
Dorfmitte steht die Pfarrkirche Igls umringt von Kreuzen des alten Friedhofs. Auf halber Höhe
des Patscherkofels steht die Kirche Heiligwasser. Den Abschluss der Achse bildet der Gipfel
des Patscherkofels inklusive Gipfelkreuz mit religiöser Symbolik und inklusive 50m hohem
Sendeturm als Teil eines neuen, die alten Kirchtürme ablösenden medialen Netzes. Gewiss hat
dieser repräsentativ in der Landschaft stehende Gipfel einen hohen spirituellen Stellenwert.
Blicken wir sodann zurück zum Beginn der Achse auf der Inntalsohle, so erkennen wir dort den
Flughafen von Innsbruck. Gemeinsam ist der Spiritualität des Gipfels und dem Flugzeug ein
Aktionsbereich in höheren Ebenen. Der Gipfel ist jener Punkt auf der Erde, an dem man dem
Himmel am nächsten ist. Nur durch das Besteigen eines Flugzeugs kann man dem Himmel
noch näher sein. Damit wird der Flughafen Teil einer spirituell aufgeladenen Patscherkofel
Achse.
Entlang der sich so abzeichnenden Achse verläuft nicht nur der Ramsbach, sondern relativ
genau auch die Patscherkofel Seilbahn. Talstation, Mittelstation und Bergstation reihen sich
entlang der Achse auf. Die Seilverbindung entlang der spirituellen Achse des Patscherko-
fels lässt Vergleiche mit Seilen sakraler Rolle zu. Im Mittelalter erfolgten Kirchengründungen
zumeist entlang besonderer Achsen. „Die weltliche Macht versuchte ihre Aktionen [Stadter-
weiterungen inkl. Kirchengründungen] zu heiligen, indem sie an heiligen Tagen stattfanden.
Die [z.B. Linzer] Pfarrkirche wurde so ausgerichtet, dass die Sonne am Ostersonntag des
Gründungsjahres 1207 genau im Kreuzungspunkt von Pfarrkirchenturm und Horizont (Pfen-
ningberg) aufging, sofern man vom Absteckpunkt aus in Richtung Pfarrkirche blickte.“ „1693
fand diese Achse nochmals Verwendung, indem die große Glocke vom Hauptplatz aus entlang
dieser (...) heiligen Linie mittels Seil in den Turm gehievt, damit der profanen Welt entzogen und
der geistlichen Welt zugeführt wurde.“80
Diese Seilverbindung entlang der heiligen Achse von
Linz erinnert an jene der Patscherkofelseilbahn entlang der sakralen Patscherkofler Achse,
nur dass hier keine Glocke der profanen Welt entzogen wird sondern der für Igls so wichtige
Tourist bzw. Sommerfrischler aus dem „profanen“ Alltag.
Dazu passend verteilen sich entlang der Achse und konzentrieren sich auf diese dutzen-
de Gelegenheiten der Freizeit. Neben der Patscherkofelseilbahn selbst sind dies der Igler
Hauptplatz, die Zimmerwiese inklusive Schipiste, der dortige Jugendspielplatz bzw. Genera-
tionenplatz, da dort u.a. durch sonnige Bänke und Funcourt unterschiedlichste Altersklassen
aufeinandertreffen, der Golfplatz, weitere Schipisten, eine Bobbahn, die Heiligwasserkirche als
beliebtes Ausflugsziel mit Gastwirtschaft usw.
Die konzeptionelle Einheit dieser Achse wird durch deren eingeschränkte Zugänglichkeit
verdeutlicht. Nur wenige topographische Einschnitte führen zur Achse. Die Römerstraße ist die
eine Querung, die Patscher- bzw. Lanserstraße die andere Querung. Beide Querungspunkte
erhalten über Seilbahnstationen Anschluss an die Achse.
Die in Abbildung 3 und Abbildung 8 gezeigten frühgeschichtlichen und spätantiken Fundstät-
ten entlang der Achse schreiben dieser eine schon frühe historische Bedeutung zu. Damals
positiv dürfte aufgefallen sein, dass entlang dieser Achse sowohl Inntal als auch Wipptal über-
blickt werden können.
Die Achse Innsbruck-Igls-Patscherkofel bildet sich demnach in unterschiedlichsten Fassetten
ab und ist für die Siedlungscharakteristik von Igls prägend. Sie bindet die ansonsten verstreut
liegenden Rodungsfelder Römerstraße, Zimmerwiese und Igls Ortsmitte aneinander.
 Abbildung 56: Spiritualität der Patscherkofel Achse (e.D., KGL Relief, Gebäude, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a)
79
Siedlungsmorphologische Analyse Vertikalität
Siedlungsmorphologische Analyse ∙ Igls bei Innsbruck
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Siedlungsmorphologische Analyse ∙ Igls bei Innsbruck

  • 2. Die siedlungsmorphologische Analyse der Gemeinde Igls ermöglicht die künftige räumliche Ortskernentwicklung von Igls den Bedingungen, Voraussetzungen und dem Wesen der Ge- meinde entsprechend zu gestalten.
  • 3. Annäherung5 Siedlungsmorphologie5 Konzept der Analyse 5 Ziel der Analyse 6 Abgrenzungen7 Siedlungsgeschichte1 1 Urzeit13 Antike17 Mittelalter19 Neuzeit21 Zeitgeschichte23 Klima39 Sonne39 Temperatur39 Sonnenscheindauer41 Nebel49 Niederschlag49 Winde49 Mittelgebirge51 Eiszeitliche Terrassen 55 Eiszerfallslandschaft55 Seen55 Strudellöcher57 Bodenerosion57 Ressourcen59 Verfügbarkeit59 Richtungsdynamiken61 Erschließung67 Isolation67 Anbindung69 Einbindung69 Stoßrichtungen69 Erschließungssystem71 Vertikalität73 Vertikale Metros 73 Patscherkofel Achse 75 Vis à vis 81 Repräsentation85 Lage in der Landschaft 85 Bauelemente89 Bauprogramme95 Siedlungsstrukturkategorien95 Baukulturelle Abbilder 97 Monographie Dorfmitte 103 Zugänge und Tore 105 Arena 107 Platzecken 1 10 Doppelplatz 1 1 1 Polyzentralität 1 13 Ausblick1 15 Anhang1 16 Impressum 127 Inhalt
  • 4. Siedlungsgeschichte Siedlungsentwicklung Siedlungsbau Siedlungsgeographie Siedlungsökologie Geologie Humanbiologie Sprachwissenschaft Psychologie Kulturwissenschaft Archäologie S i e d l u n g s f o r s c h u n g N a t u r w i s s e n s c h a f t Siedlungsm orphologe Fragestellung formales Forschungsgebiet Forschungspfad eines Siedlungsmorphologen Abbildung 1: Forschungsgebiet der Siedlungsmorphologie
  • 5. Siedlungsmorphologie Noch nie sind zwei idente Siedlungskörper entstanden, noch nie konnte ein Ort erfolgreich kopiert werden und noch nie konnte die Entwicklung eines Ortes langfristig vorherbestimmt werden. Im Sinne eines „genius loci“1 beschreiben verschiedene ortsgebundene Kriterien eine jede Siedlung. Jede Siedlung wird dadurch zu einem Unikum. Ein Kriterium, das jeden Ort einzigartig macht, sind die Strukturen und Formen einer Siedlung. Die Siedlungsmorphologie befasst sich mit diesen baulich - physischen Strukturen, inklu- sive deren Organisationsprinzipien und dem Formenprinzip. Im Mittelpunkt stehen dabei die Entstehungsbedingungen der jeweiligen Zeit und die räumlichen Eigenarten. „Urban morpho- logists focus on the tangible results of social and economic forces: they study the outcomes of ideas and intentions as they take shape on the ground and mould our cities.”2 Die Form einer Siedlung lässt sich anhand von Netzen, Baukörpern, deren Zwischenräumen, der Topographie und der Integration anderer den Raum formender Elemente nachvollziehen. Durch den Zusammenhang dieser Elemente wird die Morphologie konkret. Erst durch die Aufnahme von Eigenschaften wie Stabilität, Kontinuität, Elastizität, Heterogenität, Ho- mogenität, Anpassungsfähigkeit und Maßstäblichkeit in der Betrachtung über die Zeit wird der Morphologiebegriff ausreichend weit gefasst. Das Phänomen der „strukturellen Permanenz“ unterstützt die Erforschung. Die zu Grunde liegende Theorie besagt, dass „aktualisierte Zustände Strukturphänomene früherer Zustände beinhalten“3 , da häufig ältere Strukturen beibehalten und überformt werden. Demgemäß be- inhaltet die gebaute Struktur Informationen aus der Entstehungszeit und der Zeit danach. Die strukturelle Permanenz ist als Trägheitsmoment der städtischen Transformation zu verstehen, die sich den Veränderungskräften widersetzt. Nur in Ausnahmefällen - bei absolutistischen Herrschaftsverhältnissen oder während wirtschaftlicher Boomzeiten - sind die Veränderungs- kräfte größer als das Trägheitsmoment. Zurzeit beherrschen drei Theorieansätze den siedlungsmorphologischen Diskurs: - - Die „Figure and Ground Theory“ umfasst prinzipiell die Inhalte eines Schwarz-Weiß Plans. Es werden die Zusammenhänge zwischen überbauten und nicht überbauten Flächen un- tersucht. - - Die „Linkage Theory“ erstellt ihre Hypothesen aus den verbindenden Netzwerken zwi- schen den physischen Strukturen. - - Die „Place Theory“ legt den Schwerpunkt auf Bedeutungsdichten kultureller Ladungen und die Entwicklungspotentiale konkreter Orte. Die Siedlung wird dabei wie ein Text un- tersucht. Im Allgemeinen lassen sich unterschiedliche strukturformende Kräfte beobachten, die für die Morphogenese von Siedlungen verantwortlich sind: - - Die Minimierung des Wegeaufwandes war in früherer Zeit eine wesentliche strukturfor- mende Kraft, die mit Fortschreiten der Motorisierung des Individualverkehrs schwächer wurde. - - Über die Zeit erhielten unterschiedliche Produktionskräfte mehr oder weniger Bedeutung. Unterschiedliche Produktionskräfte stellen unterschiedliche Anforderungen an den Raum. Die Reaktion des Raums führt zu Transformationsprozessen. - - Mit fortschreitendem Wohlstand löst das Bedürfnis nach Abwechslung immer mehr die rational ressourceneffizienten Entscheidungen ab. Es entstehen Variationen von morpho- logischen Strukturen, wie spezielle Orientierungspunkte oder Abwechslungen in der Frei- raumstruktur. - - Dem entgegen steht allerdings die Ratio. Das Bedürfnis nach Ordnung entsteht aus dem Wunsch nach geringeren sensorischen Anstrengungen. Da aber auch das Ordnen Res- sourcen verschlingt, folgt dem Ordnungszeitgeist meist ein Rückfall in die Unordnung. - - Aktionsmuster der Mensch selbst wirken strukturformend. Die Sozialgebundenheit des Menschen an die Struktur führt zu bestimmten sozialräumlichen Organisationsmustern. Die Bevölkerung nützt diese zur Identifikation. - - Als strukturprägende Kraft wirkt den strukturformenden Kräften die Trägheit der physi- schen Struktur entgegen. Konzept der Analyse Die siedlungsmorphologische Analyse zielt darauf ab, ein Verständnis für die bestehenden territorialen Strukturen, von den ortstypischen Bebauungs- und Raumstrukturen und ganz allgemein den Wechselbeziehungen zwischen allen raumrelevanten Elementen auf verschie- denen Maßstabs­ ebenen zu entwickeln. Die in Beziehung zu setzenden Maßstabsebenen sind ... - - Territorium (Landschaft) - - Siedlungskörper und zugehörige Freiflächen - - Nachbarschaften bzw. Ensembles - - Gebäudetypen bzw. Bauprogramme - - Parzellierung - - ortstypische Sonderthemen Annäherung 5 Siedlungsmorphologische Analyse Annäherung
  • 6. Entscheidend dabei ist, jene „Programme“ zu identifizieren, die hinter den sichtbaren „Bildern“ für die bisherigen Entwicklungen maßgeblich waren. Dazu gehören beispielsweise Aspekte der Topographie, des Klimas, der Geschichte, politischer Machtverhältnisse, der Ökonomie und der Ökologie. Methodisch wird dabei zwischen Aspekten unterschieden, die über das Betrachtungsgebiet hinaus verallgemeinerbar sind - also großmaßstäbliche Regelwerke, die Igls nur als ein Ele- ment einer Reihe entweder gleichartiger oder konträrer Elemente formten - und solchen, die es nur im Betrachtungsgebiet gibt und damit seine Identität und Unverwechselbarkeit aus- machen. Ziel der Untersuchung ist es, jene Themen und Kriterien zu finden und argumentativ abzusi- chern, die für zukunftsweisende Überlegungen maßgeblich sein können. Morphologisch-typologische Analysen sollen jene immanenten Systemeigenschaften baulich-räumlicher Verhältnisse aufzeigen, die Stärken und Schwächen, Potenziale und Hemmnisse für Zukunftsentwicklungen bedingen. Die Kenntnis dieser Eigenschaften bietet wesentliche Voraussetzungen dafür, den Bestand als Ressource interpretieren und ressour- ceneffizient weiterentwickeln zu können. Es geht um ein entwicklungs- und prozessorientier- tes Raumverständnis im Sinne der Leitbilder nachhaltiger Raumentwicklung und damit um die Schaffung langfristig aktivierbarer Entwicklungspotenziale, die auf gesellschaftlichen Wandel konstruktiv reagieren können. Der Raum wird mit allen seinen baulichen Elementen in Hinblick auf seine Stabilitäten, Robustheiten, Veränderungsangebote und Dynamisierungspotenziale charakterisiert. Ein besonderes Augenmerk gilt der Identifikation der ortsspezifischen Besonderheiten, jener Themen des Ortes, die kulturell relevant und auch von symbolischer Bedeutung sind. Auch in dieser Hinsicht geht es nicht vordergründig um defensive Bewahrungsstrategien, son- dern um die Frage, wie die Charakteristiken des Ortes aktualisiert und aufgewertet werden können. Insgesamt führt die morphologisch-typologische Analyse zu einem vertieften Ver- ständnis der Prägung und Programmierung des Lebensraumes. Am Beginn einer siedlungsmorphologischen Analyse steht das Erlangen eines Grundver- ständnisses für die Strukturen und Elemente des Ortes durch eine professionelle Beobach- tung („Ortslektüre“). Es folgt eine Literaturrecherche, um aus Quellen der Geschichtsfor- schung - Urkunden, Rechnungen, Schriftwerke, Abbildungen u.ä. - Erkenntnisse aufgreifen zu können. Über all das, was nicht durch wissenschaftliche Dokumente eruiert werden kann, muss der Ort selbst als unmittelbarste Quelle Auskunft geben. Gerade im Zuge von sied- lungsmorphologischen Fragestellungen ist es nur bedingt möglich, auf bestehende Unter- suchungen in Form eines Planes oder Textes zurückzugreifen. „Pläne oder schriftliche Un- terlagen über die Planung mittelalterlicher Städte [beispielsweise] existieren nicht. Das ist zwar schade, aber für die Rekonstruktion nicht unbedingt erforderlich, weil der Baubestand der Stadtanlagen selbst das wichtigste Dokument darstellt. Bei diesem gibt es [vorteil- hafterweise] zum Unterschied von Urkunden keine Möglichkeit der Fälschung, sondern höchstens seine falsche Auslegung“4 . Statt auf Sekundärliteratur zurückzugreifen, kann die Bausubstanz selbst befragt werden, wobei der wissenschaftlichen Literatur eine unterstützen- de Rolle zur Deutung dieser physischen Gegebenheiten zukommt. Hier schließt die Methodik der „Stadtspaziergangswissenschaft“ an. Die Wurzeln der Spaziergangswissenschaft liegen im Bereich der Kunst - insbesondere der Literatur - mit der Beschreibung von Empfundenem und Gesehenem. In den Naturwis- senschaften wird die Spaziergangswissenschaft beispielsweise in Form von Kartierungen und Erhebungen angewandt, in den Sozialwissenschaften beim Aufsuchen von Phänomenen oder beim Beobachten im Feld. Lucius Burckhardt begründete in den 1980er Jahren offiziell die „Promenadologie“, die als Analysewerkzeug angewandt werden kann und sich bis heute auch als urbane Praxis etablieren konnte.5 Es handelt sich um „eine Theorie des Blicks und der Perspektive, die sich mit den Sequenzen beschäftigt, in denen der Betrachter seine Umwelt wahrnimmt. Die Wahrnehmung des vermeintlich Typischen der Stadt oder der Landschaft ist zum einen Selektionsprozess und zum anderen Integrationsleistung des Wahrnehmen- den. Die einzelnen Stationen werden in der Wahrnehmung des Betrachters wie Perlen auf eine Kette gereiht und zu einer Kontinuität zusammengefügt. Das Erkenntnisinteresse bei den Spaziergängen besteht darin, die absichtlichen und die unabsichtlichen Effekte der Stadtgestaltung auszuloten und auf die Gefühle und das Verhalten der Nutzer hin zu befragen. Bereits in den 1960er Jahren stellten die umherstreifenden Situationisten eine Verbindung von Psychologie und Geographie her, die sich bei Burckhardt zu einer konkre- ten Utopie von Stadtgebrauch weiterentwickelte.“6 Ziel der Analyse Das Planen und Bauen kann mit der Befassung von ortsspezifischen Regelwerken wieder jenes kollektive Bewusstsein entfalten, das den historischen Siedlungen die Harmonie, die Orientierung, die Flexibilität, die Signifikanz und damit individuelle Bedeutung verliehen hat, die 6
  • 7. sie in der Moderne und im Fordismus mit dem aufkeimenden egozentrischen Individualismus verlor. Das Steuern und Planen hat noch nie zum gewünschten Ergebnis geführt. Stets sind die physischen Prozesse in einer starken Dynamik. Ohne Wissen über die Regeln hinter die- sen Prozessen können diese nicht zielgenau beeinflusst werden. Ungeahnte Veränderungen, die nicht den planerischen Prognosen entsprechen, bringen die funktionalistische Planungs- methode in Bedrängnis, während das morphologische Modell Flexibilität ermöglicht.7 Die „stabilitas loci“ spielt dabei eine wesentliche Rolle. Es sind ortsspezifische Themen wie die Topographie oder die Ökologie, die verlässliche Stadtkonzepte ermöglichen. An den Sied- lungen muss im Sinne der jeweiligen Siedlung weitergebaut werden. Die Siedlungen müssen dafür in Form bleiben. Dieses „in Form Bleiben“ bedeutet, dass die Siedlung ständig trainiert, An­ passungs­ prozesse vorzunehmen. Dabei kann es durchaus zu Fehlern kommen, die später korrigiert werden können. Im Gegensatz dazu ist das „Form Haben“ ein bereits bestehendes Potential der Siedlung, mit Veränderungen umzugehen. Die siedlungsmorphologische Annäherung stellt eine tiefgreifende Entwurfsmethodik für architektonische, siedlungsentwicklungspolitische oder auch künstlerische Lösungsvorschlä- ge dar. Sie arbeitet mit dem tatsächlich gewachsenen Bestand und versucht, das Wesen der gebauten Umwelt, das sich nur über die Veränderungen begreifen lässt, einzufangen, um kon- zeptionell konsequente, logische, bauliche oder andere entwicklungspolitische Lösungen zu finden. Die Stadtmorphologie „sollte daher auch auf einer theoretischen Ebene dazu beitra- gen können, jene planerischen Kriterien bereitzustellen, die langfristig wirksame Entschei- dungen von den Argumentationslinien der Tagespolitik und den Anfechtungen zeitgeistiger Moden freispielen können.“8 „Besonders auffällig ist bei einem Langzeitvergleich von Stadtstrukturen, dass sich die in den Frühphasen der Entwicklung festgelegten Prinzipien der Erschließung kaum noch ver- ändern. Vor­ handene Strukturen setzen der Veränderung physikalischen und rechtlich-öko- nomischen Widerstand entgegen. Die Stadtplanung und Stadtpolitik muss daher erhebli- che politische, finanzielle, personelle und zeitliche Kraft aufwenden, wenn sie Strukturen gegen deren innere Logik von außen verändern möchte. Dies gelingt zumeist nur in einigen Teilbereichen.“9 Sobald diese innere Logik begriffen und ein adäquater Umgang damit ge- funden wird, können finanzielle, kognitive und zeitliche Ressourcen eingespart werden. Es rentiert sich, wenn Planer siedlungsmorphologische Fragestellungen beachten und somit zu ressourcenschonenden und damit vergleichsweise besseren Lösungen gelangen. „Städte waren und sind nie fertig! Immer müssen auf veränderte Bedingungen neue Antworten gefunden werden. Die Morphologie der Stadt, bestehend aus ihren Netzen (Straßen, Kor- ridoren) ihren Baustrukturen (Geometrie und Dichte der Baublöcke und Baubereiche) und Freiräumen, setzt dem Wandel unterschiedlichen Widerstand entgegen. Wandel zuzulas- sen und dennoch die den Stadtcharakter prägenden Bereiche zu erhalten, ist die Kunst der Stadtentwicklung und Stadterneuerung.“10 Unweigerlich stößt man bei Erneuerungsmaßnahmen im Bestand europäischer Siedlungen auf geschichtliche Regelwerke, die teils im Verborgenen liegen, jedoch ein wesentliches Know How über den Ort vermitteln. Ein Verständnis für diese Regelwerke und eine gewisse Routine im Umgang mit diesen sollten Voraussetzung für jede Planung sein. „Zusammen mit dem Beharrungsvermögen der Stadtstruktur, die einen beruhigenden und disziplinieren- den Einfluss ausübt, können in der Kontinuität der grundlegenden Ordnungsstruktur die notwendigen Experimente und Proben jeder Generation Raum und Form finden, solange die in den Strukturen eingebaute Logik beachtet wird. In der Geschichte der Struktur steckt die Logik von meist Jahrhunderte langer Erfahrung vor Ort, deren leichtfertige Aufgabe erhebliche negative Folgen für das Gesamtsystem zeigen kann.“11 Das Ergebnis der siedlungsmorphologischen Analyse ist ein ausführliches Porträt des Ge- meindegebiets von Igls, aufbereitet mit Texten, Bildern, Plänen, Zeichnungen, Photos, Skizzen sowie einer Rekonstruktion der historischen Entwicklung. Das morphologische „Porträt“ ei- nes Ortes führt zu einem profunden Apparat an Argumenten und Aspekten, die in zukünftige Konzeptions- und Planungsprozesse einfließen. Damit werden nachvollziehbare Grundlagen zur Versachlichung und inhaltlichen Erweiterung zukünftiger Diskussionen geschaffen. Ein Mehrwert liegt erfahrungsgemäß schon darin, den vertrauten Lebensraum mit anderen Au- gen sehen und ganzheitlicher verstehen zu können. Die Entwicklung von Zukunftsszenarien wird auf Basis einer bestehenden Ortsmonographie professionalisiert und als sinnvolle Fort- schreibung bzw. Korrektur historischer bzw. aktueller Entwicklungen verständlich und besser argumentierbar. Abgrenzungen Räumliche Abgrenzung Jede Siedlung steht in unmittelbarer Beziehung zu ihrem Umland. Siedlung und Umland können nicht getrennt voneinander existieren. Damit gehen auch Regelwerke einher, die für 7 Siedlungsmorphologische Analyse Annäherung
  • 8. eine symbiotische Morphologie verantwortlich sind. Eine siedlungsmorphologische Analyse ist damit nie komplett von regionalen Inhalten trennbar. Auch wenn der Schwerpunkt auf der Siedlung liegt, wird doch immer wieder auf Verbindungen zur Region verwiesen. Innerhalb der Siedlung bleibt zu überdenken, ob alle Bereiche (gleichwertig) untersucht werden sollen. Eine Siedlung ist erst durch die Summe und das Zusammenwirken ihrer Netze zu verstehen. Daher wird zwar das gesamte Gemeindegebiet von Igls betrachtet, doch ist die inhaltliche Tiefe in den Kernzonen auf Grund der größeren Anzahl historischer Schichten und größeren kulturellen Ladung größer. Thematische Abgrenzung Siedlungsmorphologische Themen lassen sich wie ein Katalog auflisten. Welche Themen für welchen Ort relevant sind, lässt sich aber nur über die Analyse der konkreten Siedlung erfah- ren. Die Relevanz der Themen ergibt sich erst nach einer intensiven Beschäftigung mit jedem Ort. So kristallisierten sich die relevanten Themen und deren Gewicht auch in dieser Analyse erst im Laufe der Untersuchung heraus. Der Fokus liegt bewusst auf den für Igls relevanten Themen. Eine Allgemeingültigkeit ist davon nicht abzuleiten. Zeitliche Abgrenzung Was immer sich in den Formen Igls heute abbildet, kann in dieser Arbeit aufgegriffen werden. Manches ist physisch noch vorhanden, manches nur noch über Aufzeichnungen – zumeist Abbildungen und literarische Überlieferungen - nachvollziehbar. Damit ist keine klare zeitliche Eingrenzung der Untersuchung möglich und auch nicht sinnvoll. Jede Epoche kann bis in die heutige Zeit durch die gebaute Struktur fortwirken. Unterschiedliche Zeiten haben unter- schiedlich intensiv Wirkung auf die gebaute Substanz gezeigt. Parallel dazu erhöht sich die Bedeutungsdichte tendenziell mit Voranschreiten der Zeit. Nur durch einen aktiven Bedeu- tungsraub wie beispielsweise klischeehafte Verschleierungen der Gebäude kann die Bedeu- tungsdichte sinken. Diese Eingrenzung erfolgt aber nicht aktiv sondern ergibt sich aus dem Untersuchungsgegenstand selbst. Abgrenzung zu verwandten Forschungsgebieten Die Siedlungsmorphologie versteht sich in gewisser Weise als Querschnitt unterschiedlicher Forschungsgebiete, wobei sie durch deren Kombination zu vernetzten Theorien, Hypothesen und Antworten gelangt. Abbildung 1 demonstriert schemenhaft ein vieldimensionales The- mensystem, graphisch auf zwei Dimensionen vereinfacht. Einzelne Punkte symbolisieren ein- zelne Fragestellungen. Clustern sich mehrere Fragestellungen auf Grund ihrer inhaltlichen Nähe, so bilden sich formale Forschungsgebiete. Diese überschneiden sich im mehrdimen- sionalen Raum. Das System ist dynamisch und ändert sich in Folge von Erkenntnisgewinnen durch das Zutun der im System tätigen Akteure. Einzelne Akteure durchschreiten als Forscher unterschiedliche Felder und legen somit individuelle Forschungspfade. Der Siedlungsmorpho- loge legt auf seiner Suche nach den Hintergründen der Morphologie einer Siedlung weite, quer zu herkömmlichen Forschungspfaden liegende Wege zurück und eröffnet damit den Zu- gang zu einem spannenden Hypothesenraum. Um die inhaltliche Ausrichtung der siedlungsmorphologischen Analyse begreiflich zu machen, folgt eine Abgrenzung zu den Kernaussagen verwandter Forschungsgebiete ... ... zu Siedlungsgeschichte Die Siedlungsmorphologie bezieht viele Erkenntnisse aus der Siedlungsgeschichtsforschung. „Urban form can only be understood historically since the elements of which it is com- prised undergo continuous transformation and replacement.“12 Siedlungsmorphologie meint jedoch weniger die Beschreibung historischer Entwicklungen und daraus folgender Ergebnis- se, sondern vielmehr das „Warum“, die Logik hinter den physischen Strukturen. „Diese Logik interessiert hier aber nicht nur im Sinne einer archäologisch-stadthistorischen Forschung, die danach fragt, wie es genau zu einer bestimmten Form und Struktur kam, sondern hier geht es um die Eigenschaften (Qualitäten, Mängel, Stabilität, Homogenität, Heterogeni- tät, Elastizitäten usw.), die ein Strukturgefüge hat.“13 Die Siedlungsmorphologie ergänzt die siedlungshistorischen Quellen (Literatur und Abbildungen) mit jener der gebauten Strukturen. ... zu Siedlungsentwicklung „Siedlungsentwicklung“ kann sowohl transitiv als auch intransitiv verstanden werden. Sowohl als Planungsvorgang als auch als passives Geschehnis befasst sie sich mit strategischen (vgl. 8
  • 9. im Gegensatz Stadtplanung) Entwicklungen struktureller, räumlicher und historischer Natur. Als Planung ist Siedlungsentwicklung zukunftsorientiert und kreativ, als Geschehnis ist sie rückwärtsgerichtet und beschreibend. Anders als die Siedlungsmorphologie ist sie nicht pri- mär an Formen und deren kontextuellen Ursachen interessiert, sondern mehr an gesellschaft- lichen, wirtschaftlichen, kulturellen und ökologischen Entwicklungen. ... zu Städtebau So wie die „planende Siedlungsentwicklung“ hat der Städtebau einen Gestaltungsauftrag. Der Unterschied liegt darin, dass der Städtebau weniger strategisch als räumlich konkret arbeitet. Er ist also für die Verwirklichung gesellschaftspolitischer Zielvorstellungen verantwortlich. ... zu Siedlungsgeographie Im Gegensatz zur deskriptiven, an strukturellen Merkmalen der Siedlung interessierten Sied- lungsgeographie sucht die Siedlungsmorphologie die Ursachen, Wirkungszusammenhänge und Verbindungen zwischen diesen Strukturen. ... zu Siedlungsforschung Die Siedlungsforschung ist ein Überbegriff unterschiedlicher Forschungsgebiete. Sie beinhal- tet eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Siedlungen, wobei hier ökonomische, soziale, ökologische, geographische, administrative, soziokulturelle und städtebauliche Aspekte unter- sucht werden. Die Siedlungsmorphologie ist ein Forschungsgebiet der Siedlungsforschung.14 9 Siedlungsmorphologische Analyse Annäherung
  • 10. 1800 1500 1000 500 0 -500 1496 erste Erwähnung eines Badhauses 1286 Kirche 15 v. Eroberung durch die Römer um 600 germanische Reihengräber oberhalb des Hotel Maximilians 1200 erstmalige urkundli- che Erwähnung „Jgels“ 1312 „Jgels“ wird als eigenständiger Ort im Inntaler Steuerbuch mit ei- genem Dorfmeister und 16 steuerpflichtigen Grundei- gentümern genannt um 1350 Hohenburg ist namentlich nachweisbar 1662 Errichtung der Wallfahrtskir- che Heiligwasser 500 bis 200 v. Häuser am Goambichl Abbildung 2: Zeitleiste Igls15 10
  • 11. 1883 Großbrand 1928 Inbetriebnahme der Patscherkofelbahn 2015 2010 2000 1990 1980 1970 1960 1950 1940 1930 1920 1910 1900 1890 1880 1870 1942 Eingemeindung Igls zur Stadt Innsbruck 1887 Kurpark 1900 Eröffnung der Mittelgebirgsbahn 1909 Ernennung zum klimatischen Kurort Österreichs 1881 Großgasthof Iglerhof 1936 Elektrifizierung der Mittelgebirgsbahn 1906 Fertigstellung Kai- ser Franz-Josef-Straße 1925 Igler Straße an Autoverkehr angepasst Vill Häuserbestand Igls Häuserbestand 1761/66 Nachweis der ersten Bierwirtschaft im Haus Hilberstraße Nr. 8 1962 Bobbahn zwi- schen Ellbögen und Igls für die Olympischen Winterspiele 1964 1967 Fertigstellung des Kurhauses und Musik- pavillons 2007 Eröffnung des Congressparks Igls Siedlungsgeschichte 1 1 Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
  • 12. 12
  • 13. Urzeit Erste menschliche Siedlungsspuren im Inntal entstammen der jüngeren Steinzeit. Eine stär- kere Besiedlung des Inntals dürfte in der Bronze- und Latenezeit eingesetzt haben.16 Da der nacheiszeitliche Inntalboden durchwegs versumpft, landwirtschaftlich ungeeignet und unweg- bar gewesen sein muss, dürften entlang des Tals die Berghänge die ersten Siedlungsräume gewesen sein. Als erste menschliche Siedlungsspuren Igls gelten bronzene Nadeln, Lanzen- spitzen, Pfahlbautenüberreste u.ä. von vor der Zeitwende. Vermutlich sind diese dem illyri- schen Stamm der Breonen zuzuordnen.17 Auch wenn die Herkunft des Ortsnamens Igls viel gedeutet bleibt, so scheint er sicherlich vorrömisch bzw. illyrischen Ursprungs zu sein.18 Des Weiteren wurden einige prähistorische Siedlungsanlagen, Wallburgen und Wohngruben in Igls, z.B. oberhalb des Tirolerhofes, festgestellt.19 Am Goldbichl bestand zumindest seit der Bronzezeit im 19. Jh. v. Chr. ein mächtiges offenes Heiligtum: Ein Ort des gemeinsames Kultes und der gemeinsamen Feier und Erinnerung einer regionalen Gemeinschaft. Prähistorische alpine Heiligtümer bestanden aus Altären, auf denen Tiere verbrannt wurden. Diese Gruppe von Heiligtümern in den Alpen wird Brandopferplatz genannt und ist seit dem 3. Jt. v. Chr. nachgewiesen. Der erste Altar am Goldbichl bestand aus einer Lehmplattform, der später mittels Trockenmauer eingefasst wurde. Zwei bis drei weitere Altäre dürften im Laufe der Bronzezeit ergänzt worden sein. Eine bronzezeitliche und eine eisenzeitliche Mauer ab dem 4. Jh. v. Chr. umsäumten den Hain. Hausterrassen befanden sich am Westhang des Goldbichl. Eine im 4. Jh. v. Chr. angelegte steinerne Rampe steigt von Süd- westen auf den Goldbichl an, und visiert dabei genau jenen Punkt am Horizont an, an dem die Sonne morgens zur Sommersonnenwende hinter dem Rofangebirge bei Jenbach aufsteigt. Am Goldbichl besteht weiter Ausblick ins Wipp-, Stubai- und Inntal. Damit waren zahlreiche vorgeschichtliche Siedlungen sichtbar bzw. der Goldbichl von diesen aus sichtbar.20 Auch auf dem Plateau zwischen Vill und Igls ist eine urzeitliche Siedlungstätigkeit nachge- wiesen. Auf dem Goambichl wurden Häuser vom 5. bis 2. Jh. v. Chr. freigelegt. Nebenan befanden sich acht Körpergräber des 5./6. Jh. n. Chr.21 Siedlungsgeschichte Abbildung 4: Übersichtsplan der Häuser am Goambichl (BDA, Innsbrucker Verschönerungsverein 2015) René Mayr Abbildung 3: Siedlungsgeschichte Urzeit ca. -1000 (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a) 13 Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
  • 14. Nummer Fund 1 unteres Plateau 2 oberes Plateau 3 Wall mit Grabungen 4 Bereich der Brandaltäre 5 Siedlungsterrassen und Haus 6 Felsabbruch mit Halbhöhlen 7 Altweg 8 Quellfassung 9 verlandeter Tümpel ^ Tabelle 1: Prähistorische Fundstellen am Goldbichl (Verein Goldbichl, 2015) Abbildung 5: Prähistorische Fundstellen am Goldbichl (Verein Goldbichl 2015) v Abbildung 6: Eisenzeitliche Rampe auf den Goldbichl (Verein Goldbichl 2015) 14
  • 15. Abbildung 7: Brandopferplätze in Nordtirol und Bayern (gem. Verein Goldbichl 2015) 15 Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
  • 16. 16
  • 17. Antike 15 v. Chr. wurde Tirol, so auch die Gebiete der Breonen, von den Römern erobert. Damals führte die auch heute so genannte Römerstraße u.a. zum Salztransport von Hall durch das Gemeindegebiet von Igls bis zum Brenner. Das besiedelte Ortsgebiet von Igls und Vill lag allerdings abseits. Nach dem Niedergang des Weströmischen Reiches setzte die Völkerwan- derung ein. Aus dieser Zeit um 600 n. Chr. stammen germanische Reihengräber, die in Igls oberhalb des Hotels Maximilian gefunden wurden.22 Abbildung 8: Siedlungsgeschichte Antike ca. 500 (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a) 17 Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
  • 18. 18
  • 19. Mittelalter Es folgt bis 1200 die Zeit der dürftigen Quellenlage. Um 1200 ist Igls erstmals in einem Urbar des Klosters Tegernsee als Siedlung erwähnt. Das Dorf dürfte aus einer Kirche und ein paar Höfen rundherum bestanden haben. Ein Igler Hof gehörte dem Kloster Tegernsee. Eine wei- tere Hube gehörte nach den Grafen von Andechs den Grafen von Tirol.23 Igls ist hinsichtlich seiner ersten bekannten Nennung jünger als seine Nachbarorte Sistrans (1050), Lans (1 180), Vill (1240) und Patsch (1249).24 Patsch war die Urpfarre von Igls und Vill.25 Sonnenburg war deren gemeinsamer Landesge- richtssitz. Die dreimal im Jahr stattfindenden Gerichtstage versammelten alle Dorfbewohner von Vill und Igls. Aus dem Spätmittelalter ist die Funktion des Dorfmeisters belegt, der sowohl für Igls als auch für Vill die Abgaben an das landesfürstliche Gerichts- und Urbaramt einsam- meln musste. Igls und Vill stellten demgemäß über lange Zeit einen gemeinsamen Gemeinde- verband dar.25 Schule, Kapelle, Vereine und die Tatsache zu Innsbruck zu gehören verbinden die beiden Orte noch heute.27 Zumindest seit 1286 existiert in Igls eine Kirche.28 Seit 1358 wurde dort eine wöchentliche Messe gelesen. Ende des 15. Jh. wurde die kleine romanische Kirche im gotischen Stil um- gebaut. 1701 erhielt die Kirche in vergrößerter Form ihre heutige barocke Gestalt. Das Pres- byterium blieb dabei bestehen, das Kirchenschiff wurde länger und breiter neu aufgebaut.29 Erst 1808 wurde eine Quasipfarrei und 1891 eine kirchenrechtlich vollständige Pfarre einge- richtet.30 Abbildung 9: Siedlungsgeschichte Hochmittelalter ca. 1200 (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a) 19 Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
  • 20. 20
  • 21. Neuzeit Den vermeintlichen Anfang der kurörtlichen Bedeutung von Igls bildete ein Badehaus. Ur- kundlich erwähnt ist es 1496.31 Weiters ist es urkundlich an der Ellbögner Straße seit 1650 bis 1750 als heilkräftiges Schwefelbad nachzuweisen. Damals hatte zwar ein Drittel aller Häuser eine eigene „Padstuben“, eine Art Saunahäuschen, doch jenes Bad an der Ellbögner Straße war allgemein zugänglich.32 1856 wird in der Katastermappe wieder ein „Badhaus“ erwähnt. Eine weitere Badanlage wurde 1920 an einer moor- und eisenhaltigen Quelle errichtet.33 Bis in die Mitte des 19. Jh.s gab es seit 1761 in der Hilberstraße 834 und seit 1803 in die Hil- berstraße 17 verlegt35 als gastronomisches Angebot ansonsten nur einen Bierausschank, den späteren Altwirt, der 1889 dort neu erbaut und später noch aufgestockt wurde. Die Gast- häuser der Gegend befanden sich verkehrsgünstig am Weg von Hall zum Brenner in Patsch und Lans und damit nicht in Igls und Vill.36 Der Grünwalderhof bestand verkehrsgünstig bereits 1550.37 1627 standen in Igls 30 Behausungen einschließlich einer Mühle, zweier Schmieden und ei- nes Hirtenhäuschens.38 Um ca. 1660 wurde die Wallfahrtskirche Heiligwasser vom Prämons- tratenserstift Wilten errichtet.39 1785 dürfte die Schule für Igls und Vill im Burggasser Haus, südwestlich der alten Friedhof- mauer bei der Kirche, errichtet worden sein. Das Gebäude brannte 1883 ab. Zwischen 1812 und 1893 war die Schule im Parterre im südöstlichen Teil des Pfarrwidums untergebracht. 1893 wurde die neue Schule, das spätere Rathaus, fertiggestellt. Dessen Obergeschoße wur- den in den Sommermonaten an Touristen vermietet.40 Heute liegt die Volksschule nahe dem neuen Friedhof. Bis 1883 war Igls rein bäuerlich geprägt. Die Viehhaltung zur Milchgewinnung überwog den Getreideanbau. „Dabei mag die stadtnahe Lage Igls eine entscheidende Rolle spielen. Das Fehlen einer Kühlkette und die beschränkten Transportmöglichkeiten der damaligen Zeit machten es notwendig, dass sich Innsbruck mit Milch aus seiner nächsten Umgebung einde- cken musste.“41 Außerdem bietet der Igler Boden zwar ausreichend Kalk, jedoch nicht genug Phosphor und Kali, um rentablen Ackerbau, der über die Subsistenz hinausgeht, zu betreiben. Die Vorläufer der Sommerfrische waren seit der Antike dem Adel vorbehalten gewesen. Durch die Industrialisierung der Städte im 19. Jh. verbreitete sich Wohlstand im geschäfts- treibenden Bürgertum. Damit wurde die Sommerfrische „massentauglicher“. In Ballungszen- trennähe wurde Abkühlung von den industriell erhitzten Städten am Land in größerer Höhe gesucht. Die Erschließung mittels Eisenbahn bzw. im 20. Jh. durch das Automobil machte diese Gebiete erreichbar. Nach Igls kamen Mitte des 19. Jh. zuerst die reichen Innsbrucker Bürger und erbauten dort Villen. Bald darauf zog der Kurort auch ausländische Gäste, wie z.B. ab 1895 die holländische Königin, nach Igls. Nach 1870 gab es neben dem Altwirt mit dem Neuwirt einen zweiten Gasthof im Ort. Seit 1880 war die Straße aus Innsbruck immer weiter verbessert worden. 1881 errichtete Michael Obexer den Großgasthof Iglerhof. Dieser wurde 1889 in ein Grandhotel ersten Ranges umgebaut. 1885 wurde der Verschönerungs- verein gegründet. 1887 wurde der Kurpark angelegt. 1888 erhielt der Patscherkofel eine be- wirtschaftete Unterkunft, das Kaiser-Franz-Josef-Schutzhaus. 1890 gab es in Igls die erste Fremdenliste. Zur Sommerfrische gesellte sich ab 1900 der Wintersport mit Rodelbahn in Heiligwasser, künstlicher Bobbahn, Patscherkofler Schiabfahrten und gefrorenem Lansersee. Es entstanden das Hotel Maximilian, der Gasthof Stern, der Altwirt, das Parkhotel, 1908 das Kurhaus am Girgl und einige Pensionen und Sommerhäuser.42 1904 erließ Igls eine eigene Kurordnung. 1904 standen in Igls 6 Hotels und Gasthöfe mit ca. 1000 Betten.43 1907 wurde der Wintersportverein Igls gegründet.44 1883 erfolgt eine Zäsur in der Entwicklung von Igls. Ein Dorfbrand wie schon 156045 ver- nichtete den halben bis dahin rein bäuerlichen Gebäudebestand (14 Häuser samt Zu- und Ökonomiegebäuden vollständig), die meisten Häuser an der Hilberstraße, den Kirchturm und das Kirchendach.46 Die abgebrannten Bereiche wurden in der Folge modern, das heißt dem damaligen Kurstil entsprechend städtisch, wieder aufgebaut. Die Nordseite der Hilberstraße hat daher heute ein älteres Erscheinungsbild als die Südseite. Strahlenförmig verteilten sich neue Gebäude um den Ortskern. Es entstanden der Iglerhof, das Parkhotel, das Schloßhotel, das Sporthotel, der Tirolerhof, das Batzenhäusl. 1900 wurde die Mittelgebirgsbahn im Dampfbetrieb von Innsbruck nach Igls eröffnet. 1936 erfolgte die Elektrifizierung der Strecke. 1906 wurde die Kaiser Franz Josef-Straße als Verbindung nach Patsch und Lans mit Benüt- zung der prächtigen Römerstraße fertiggestellt und Teile der Dorfbeleuchtung elektrifiziert.47 1909 wurde Igls zum klimatischen Kurort deklariert. Abbildung 10: Siedlungsgeschichte Neuzeit 1856 (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a) 21 Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
  • 22. 22
  • 23. Zeitgeschichte 1925 wurde die Straße von Innsbruck nach Igls dem Autoverkehr angepasst. 1928 wurde die Seilschwebebahn auf den Patscherkofel erbaut. Im Großdeutschen Reich wurden die Gemeindegrenzen neu definiert. Igls wurde 1942 in die Stadtgemeinde Innsbruck eingegliedert. Im Zuge der Weltkriege brach der Fremdenverkehr zeitweise ein. In der französischen Besat- zungszeit wurden 1 1 Betriebe mit 419 Betten beschlagnahmt und vermehrt dauervermietet.48 Bis in die 60er Jahre war die Marke Igls als Weltkulturort wieder gefestigt. Allerdings war Igls nicht mehr der feudale Kurort der Vorkriegsjahre sondern für alle sozialen Schichten zugäng- lich. Erst nach den Weltkriegen setzte eine neue intensive Bautätigkeit ein. Ein gesteigerter In- dividualverkehr machte Igls auch als Wohnort tauglich. Die Bereitschaft, größere Distanzen in den Urlaub zurückzulegen, verringerte Igls Rolle einer Tourismusdestination. Entlang der aus dem Ortskern führenden Straßen wurden hauptsächlich dem reinen Wohnen dienende Einfamilienhäuser und Freizeithäuser errichtet. Des Weiteren entstanden bis 1961 die Hotels Astoria, Sonnenhof und Waldhotel.49 Die Fremdenverkehrsfunktion wurde immer mehr von der Wohnfunktion in Nähe zu Innsbruck verdrängt. Abbildung 1 1: Siedlungsgeschichte Ende 2. Weltkrieg 1947 (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a) v Abbildung 12: Siedlungsgeschichte Nachkriegszeit 1973 (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a) v Abbildung 13: Siedlungsgeschichte Heute 2015 (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald, Gebäude, Wege: Land Tirol 2015a) 23 Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
  • 24. 24
  • 26. Abbildung 14: Burglechner 161 1 1611 26
  • 27. Abbildung 15: Atlas Tyrolensis 1774 1774 27 Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
  • 29. Abbildung 17: 1. Landaufnahme 1821 1821 29 Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
  • 31. Abbildung 19: Innsbruck Umgebung 1935 1935 31 Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
  • 33. Abbildung 21: Luftbild 1947 (Land Tirol 2015a) 1947 33 Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
  • 34. Abbildung 22: Luftbild 1958 (Land Tirol 2015a) 1958 34
  • 35. Abbildung 23: Luftbild 1973 (Land Tirol 2015a) 1973 35 Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
  • 36. Abbildung 24: Luftbild 1997 (Land Tirol 2015a) 1997 36
  • 37. Abbildung 25: Luftbild 2015 (Land Tirol 2015a) 2015 37 Siedlungsmorphologische Analyse Siedlungsgeschichte
  • 38.
  • 39. RÖMERSTRASSE PATSCHERKOFEL IGLS Auf Grund seiner höheren Lage auf dem Mittelgebirge, seiner schweren Erreichbarkeit, der topographischen Zerklüftung und seiner Entfernung vom Talboden wurde Igls zu keinem Hauptsiedlungsraum. Einige klimatische Vorzüge in Folge seiner Höhenlage machten die Besiedlung in Igls aber möglich. Hinsichtlich der Sommerfrische wurde Igls zu einem sogar bevorzugten Standort. Igls durfte nach 1900 die Bezeichnung „klimatischer Kurort“ führen.50 Sonne Die Sonne ist eine wichtige Energie- und Wärmequelle für den Menschen. Sie wirkt sich auf einen geringeren Heiz- und Belichtungsenergiebedarf aus und unterstütz das Wachstum von überlebenswichtigen Pflanzen und Tieren. Wenig verwunderlich ist demnach ihr Einfluss auf das Siedlungswesen, insbesonders im präfossilen Energiezeitalter. Mehr Sonnenenergie kann durch einen möglichst rechtwinkligen Sonnenstrahleneinfall auf die Oberfläche, durch eine möglichst lange Sonnenscheindauer und eine möglichst ungetrübte Atmosphäre empfangen werden. Der Einfallwinkel wird hauptsächlich von der geographischen Breite, der Jahreszeit und der Hangneigung vor Ort definiert. Bei der geographischen Breite und der Jahreszeit hat Igls keine Wahl, bei der Hangneigung sehr wohl. Während beispielsweise die ersten Sommervillen den kühlenden Schatten der Nordhänge aufsuchten, sammeln sich die neuen Wohnbauten um die Zimmerwiese nur auf dem nach Süden geneigten Hang. Die effektiv mögliche Sonnenscheindauer wird durch den Landschaftshorizont, d.h. durch die Topographie der Umgebung, definiert. Dies wirkt sich entscheidend auf die Wahl des Sied- lungsplatzes aus. Igls liegt an einem der seltenen Orte auf der südlichen Inntalseite, die gegen Süden hin frei sind. Das Brennertal garantiert eine gute Besonnung und die Versorgung mit Föhn. Igls ist von der eigentlich begehrenswerten Lage an der Römerstraße nach Norden weit genug abgerückt, um nicht all zu sehr vom Patscherkofel verschattet zu werden (s. Abbildung 26). Der Licht blockierende Partikelanteil in der Atmosphäre schwächt die effektiv mögliche Son- nenscheindauer zur tatsächlichen Sonnenscheindauer ab. Eine wolken-, nebel oder smogfreie Zone wirkt sich günstig auf die empfangbare Sonnenenergie aus. Darauf wird im Kapitel „Ne- bel“ S.49 näher eingegangen. Temperatur Auf der Mittelgebirgslage werden die klimatischen Extremwerte von Innsbruck etwas abge- schwächt. Die durchschnittlichen Sommertemperaturen sind in Igls etwas niedriger als in Inns- bruck, die durchschnittlichen Wintertemperaturen sind in Igls etwas höher als in Innsbruck.51 Dies war eine begünstigende Ausgangslage für die Besiedlung des Mittelgebirges trotz seiner Abgeschiedenheit. Das Mittelgebirge erwärmt sich unter Tags nicht so stark wie der Talkessel. Die nächtliche Abkühlung fällt auf dem Mittelgebirge ebenfalls schwächer aus als im Tal. Die morgendliche Insolation fällt auf dem Mittelgebirge durch die Beschattung schwächer aus als im Tal, wodurch die Erwärmung am Vormittag verzögert wird. Am Abend hingegen wird die Abkühlung verzögert, indem auf 900m Seehöhe in Igls lange Zeit Sonne einstrahlen kann.52 Klima Abbildung 26: Verschattung des südlichen Igls durch den Patscherkofel 39 Siedlungsmorphologische Analyse Klima
  • 40. 40
  • 41. Sonnenscheindauer Sommersonnenwende Abbildung 27 zeigt die in der Früh um 6:00 als erstes von der Sonne beschienenen Flächen zur Sommersonnenwende, also an jenem Tag mit der größten theoretisch möglichen Sonnen- scheindauer in Igls. Deutlich besser besonnt wird in der Früh natürlich die nach Osten abfal- lende Bergflanke am linken Sillufer. Dennoch lassen sich einzelne ausgewählte Plätze an der nach Westen abfallenden Bergflanke am rechten Sillufer finden, die bereits um 6:00 besonnt werden. Westlich des Goldbichls liegt ein kleiner Hügel, dessen Ostflanke auf Grund seiner Höhenlage als erstes von der am östlichen Ende des Inntals aufsteigenden Sonne getroffen wird. Diese Situation wussten die Menschen bereits in der Urzeit zu huldigen. Resultat dieser Huldigung ist die eisenzeitliche Rampe zu den Brandopferplätzen am Goldbichl. Die Rampe zeigt genau auf jenen Punkt am Horizont, an dem zur Sommersonnenwende die Sonne als erstes erscheint (vgl. Abbildung 6). Angesichts der nun wieder kürzer werdenden Tage konn- ten auf den Brandopferplätzen Opfer für ein gutes Überstehen dieser schwereren Jahreshälf- te dargebracht werden. Zu Tagesbeginn gut besonnt wird des Weiteren das Gewerbeareal an der Römerstraße, womit die bereits im Franziszäischen Kataster eingetragene Rodungsinsel um das alte Badhaus nachvollziehbar wird. Die stets von Bebauung freigehaltenen und damit der Landwirtschaft überlassenen Flächen am Abfall der Terrassenkante nördlich von Igls nei- gen sich nach Nordosten in Richtung Sonnenaufgang, womit sie zu Beginn des Tages stärker belichtet werden. Ähnlich ist die Situation bei der Girgl. Westlich von Vill liegt ein weiterer Hang, der sich in Richtung Sonnenaufgang neigt. Die Mittagssonne erreicht um 12:00 in Abbildung 28 beinahe alle Flächen um Igls. Einzig die nach Norden stark abfallenden, bis heute bewaldeten Bergflanken sind vor der prallen Sonne geschützt. An zwei solche Flanken schmiegten sich die ersten Igler Sommervillen: nördlich der Girgl und bei der Hohenburg. Die späte Abendsonne um 20:30 auf den nordwestlichen Abhängen des Patscherkofels in Abbildung 29 machte die Almbewirtschaftung des Patscherkofels attraktiv. Davon betroffen ist unter anderem die alte Rodungsinsel an der Römerstraße. In einem kleineren Maßstab findet sich die selbe Situation am südöstlichen Ende der alten Rodungsinsel um die Patscher- kofler Talstation. Darüber hinaus wird jener Bogen, in dem sich Igls an den Patscherkofler Hangfuß drückt, abends am längsten besonnt. Damit rückte das alte bäuerliche Igls dicht an den Hangfuß von Ulle und Girgl. Das gleiche Spiel findet an den Abhängen zur Sillschlucht statt, wovon die Viller Höfe profitieren. Abbildung 27: Sonnenstudie 21.Juni 6:00 (e.D., KGL Luftbild und Besonnung: Google Earth 2015) v Abbildung 28: Sonnenstudie 21.Juni 12:00 (e.D., KGL Luftbild und Besonnung: Google Earth 2015) v Abbildung 29: Sonnenstudie 21.Juni 20:30 (e.D., KGL Luftbild und Besonnung: Google Earth 2015) 41 Siedlungsmorphologische Analyse Klima
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  • 44. 44
  • 45. Wintersonnenwende Bedeutsamer als der sehr frühe und sehr späte und damit sehr lange Sonnenenergieeintrag zur Sommersonnenwende ist allerdings jener zur Wintersonnenwende, da sich angesichts der kurzen Tage eine längere Sonneneinstahlung in Relation stärker auf den Energiehaushalt der Siedlung auswirkt. Um 9:45 erreichen erste Sonnenstrahlen den Igler Siedlungsraum wie in Abbildung 30 dargestellt. Unter den bevorzugten Flächen befinden sich einmal mehr die alte Rodungsinsel an der Römerstraße und die Flächen westlich des urzeitlich besiedelten Gold- bichls. Auffällig ist die gute Besonnung des Weiteren am Osthang der Rodungsinsel um die Patscherkofler Talstation. Die dortigen Wohnbauten orientieren sich in ihrer Lage an der früher besonnten Fläche. Im Bereich der früheren großzügigen und erst in den letzten Jahrzehnten teilweise verbauten Ackerflächen südwestlich des alten Igls ist ebenfalls eine besonders frühe Besonnung auszumachen. Das alte bäuerliche Igls lag damit zwischen den beiden gut be- sonnten Flächen Unteregebreite bzw. Oberegebreite und Oberfeld. Die eiszeitliche Gliederung des Mittelgebirges und die Einmündung des Silltals ermöglichen punktuell unterschiedlichste Hangausrichtungen zur Sonne. Überraschenderweise entstehen so auf dem Nordhang des Patscherkofels befindliche Südhänge in unmittelbarer Nähe zum Igler Siedlungskern. Der größte Repräsentant dieser Art ist der Hang südlich des Lanser Kopfes. Bis 11:30 in Abbildung 31 bleiben die best besonnten Zonen um Igls die gleichen, während die reinen Nordhänge stark verschattet sind. Selbst bis zum Sonnenuntergang um 16:45 in Abbildung 32 bleiben die best besonnten Stel- len die gleichen. Dies muss die frühzeitige Rodung an der Römerstraße und in dem kleinen Kessel südöstlich vom Igler Siedlungskern sehr attraktiv gemacht haben. Vill und Igls werden in unmittelbarer Nähe entlang der Silltalschlucht mit auch im Winter abends gut besonnten Flächen versorgt. Abbildung 30: Sonnenstudie 21.Dezember 9:45 (e.D., KGL Luftbild und Besonnung: Google Earth 2015) v Abbildung 31: Sonnenstudie 21.Dezember 1 1:30 (e.D., KGL Luftbild und Besonnung: Google Earth 2015) v Abbildung 32: Sonnenstudie 21.Dezember 16:45 (e.D., KGL Luftbild und Besonnung: Google Earth 2015) 45 Siedlungsmorphologische Analyse Klima
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  • 48. 48
  • 49. Nebel Unmittelbar auf die Besonnung wirkt sich der Anteil von die Atmosphäre verdunkelnden Ele- menten in der Luft aus. Neben Verunreinigungen der Luft wie Staub, Rußpartikel oder Sand hält hauptsächlich Wasser in Form von Wolken oder Nebel Sonnenstrahlen von deren Ein- treffen auf der Erdoberfläche ab. Igls wird auf Grund seiner Höhenlage eine geringe Bodennebelbildung attestiert.53 Im Inntal bilden sich besonders an klaren, schönen Wintertagen Kälteseen wie in Abbildung 33, die durch die Inversionslage nicht nach oben, also nicht nach Igls, entweichen können. Über diesen Kälteseen erwärmt die Sonne die Luft und die Oberflächen, wodurch in Igls höhere Wintertemperaturen bestehen als im Tal. Die warme und dadurch leichte Luft in Igls hindert die kalte und dadurch schwere Luft aus dem Inntal am Aufsteigen. Im Hochwinter ist Igls ca. 1°C wärmer als der Talboden.54 Bis zu ca. 10°C Unterschied kann zwischen der Temperatur am Inntalboden und jener auf dem Patscherkofel liegen. Auch wenn Igls zeitweise von der Bodennebeldecke betroffen ist, so liegt zwischen Igls und Sonne doch immer eine geringere Nebelschicht als zwischen Talboden und Sonne. Dieser Zustand macht Igls trotz seiner Abgeschiedenheit zu einem gewählten Siedlungsplatz und später zu einem Kurort. Niederschlag Igls und seine unmittelbare Umgebung sind relativ niederschlagsarm und trocken.55 Die rela- tive Niederschlagsarmut erleichert die allgemeine Siedlungstätigkeit und hat insbesonders beim Aufschwung zum Sommerfrischeort geholfen. Die an der Nordseite der Kalkalpen zum Aufsteigen gezwungenen feuchten West-, Nordwest- und Nordwinde des atlantischen Klimas müssen ihren Wasserdampfgehalt bereits in den nördlichen Kalkalpen niederschlagen, bevor sie auf das Inntal treffen.56 Während das nördlich der Kalkalpen gelegene Rosenheim noch 1380mm Jahresniederschlag hat, reduziert sich dieser bis ins Inntal auf 870mm.57 Winde Igls liegt an einer sehr windigen Lage.58 Die Talwinde aus dem Inn- und dem Wipptal treffen sich bei deren Kreuzungspunkt am Berg Isel und streichen nach Igls kühlend auf. An heißen Sommertagen entwickelt sich oft ein von Osten kommender, kühlender Wind.59 Dieser ist am Talboden weniger bemerkbar als auf dem offener liegenden Mittelgebirge.60 Igls ist vor den feuchten und kalten Nordwinden durch das Karwendelgebirge geschützt. Der Scharnitzer Wind aus Seefeld gelangt nicht in die Höhen von Igls.61 Während Igls vor von Norden kommenden kühlen Winden geschützt ist, ist es zu den aus Süden kommenden warmen Winden offen. Der Föhn, der durch das Silltal über Innsbruck das Inntal entlang bis ins Alpenvorland ausstreifen kann, erwirkt eine Temperaturerhöhung im Jahresmittel um 0,6°C.62 Das weite Waldrevier zwischen Igls und Heiligwasser ist durch seine Ausrichtung nach Norden relativ windgeschützt. Die windoffenen Mittelgebirgsflächen im Bereich Patsch, Igls und Vill und die Westflanke des Patscherkofels sind schneeärmer.63 Die von Südwesten nach Nordosten gerichtete Bebauung entlang der Hilberstraße blockiert den von Nordwesten kommenden kühlen Wind während sie den aus Südwesten kommenden Föhn in die Ortsmitte gleiten lässt. Einzig der die Hilberstraße nach Südwesten abschließende niedrige, alte Brosenhof zerstreut den Föhn, womit der Windeinschlag milder ausfällt. Entlang des Ramsbaches kann bei Schönwettertagen tagesperiodisch eine Berg- und Tal- windzirkulation einsetzen. Am Vormittag erwärmt sich der Berghang durch die frühere Son- neneinstrahlung schneller als das Tal, womit es zu einem Hangaufwind (Talwind) kommt. Am Abend kühlt der zur Atmosphäre offenere Hang schneller ab als das Energie speichernde Tal, womit es zu einem Hangabwind (Bergwind) kommt. Die topographische und nutzungsspe- zifische Gliederung entlang des Ramsbaches hilft, die kühlen Hangabwinde am Abend vor Igls ein wenig abzubremsen. Zum ersten ist der Patscherkofler Hang bewaldet. Danach kann er allerdings ungehindert über den Golfplatz weiter. Zwischen Golfplatz und Oberfeld liegt allerdings ein Waldstreifen an einer kleinen Kuppe, der den Wind abzuschwächen vermag.64 Hat der restliche Ramsbach-Wind das Oberried passiert, muss er durch die Enge zwischen Ulle und Girgl. Dabei kann der Wind verdichten und etwas stärker werden. Der Ortskern Igls liegt allerdings nicht beim dortigen Strömungsaustritt des Ramsbach-Windes, sondern weicht leicht nach Westen aus. Möglicherweise hat sich deswegen der alte Ortskern sehr bewusst einhüftig, seitlich des Ramsbaches entwickelt. Abbildung 33: Inversionslage bei Innsbruck (e.D., Photo: Hammer, Hermann 201 1) 49 Siedlungsmorphologische Analyse Klima
  • 50. Abbildung 34: Geologisches Profil der Alpen (Haack Weltatlas 2008 S.77) 50
  • 51. Durch die Wanderung der Afrikanischen Platte nach Norden entstehen durch Deckenüber- schiebung und Faltung die Alpen. Dort, wo dabei eine tektonische Bruchlinie entstand, liegt das Inntal, wie in Abbildung 34 gezeigt. Es teilt den Alpenraum in die nördlichen Kalkalpen und die Zentralalpen. Die nördlichen Kalkalpen sind schroffer, geprägt durch langgezogene Ketten, scharfe Grate, hoch aufragende Wände und weit herabreichende Schutthalden. Sie eignen sich daher kaum für Siedlungen. Die nördlich von Innsbruck gelegene Hungerburg bie- tet nur wenig Platz für Siedlungstätigkeit. Mehr Platz bietet die südlich von Innsbruck gelegene Mittelgebirgsterrasse. Die Zentralalpen sind auf Grund der dort wechselnden Gesteinshärte stärker von Klammen, Stufen und Weitungen gegliedert und bieten auch in höheren Lagen auf Grund des wasserundurchlässigen Gneis Quellen. Damit ist eine Ausrichtung der Siedlungen im Inntal nach Süden vorprogrammiert.65 Igls ist eine dieser Siedlungen. Die Siedlungskörper der anfänglichen Besiedlung in Tirol bestanden nur im Inntal, das durch die letzte Eiszeit vor 10.000 Jahren zu einem gut besiedelbaren Trogtal geformt wurde. Abbil- dung 36 zeigt den mit lockerem Material aufgefüllten Talboden und die glazialen Schürfränder. Lockeres Material, das die Gletscher hinterließen, bildet breite Terrassen, die Mittelgebirge.66 Mittelgebirge Abbildung 35: Querschnitt durch Mittelgebirge (Wikipedia 2015b) Abbildung 36: Inntalquerprofil Hötting-Innsbruck-Igls (Patzelt und Resch 1986 S.50) 51 Siedlungsmorphologische Analyse Mittelgebirge
  • 52. 52
  • 53. Das Tiroler Mittelgebirge präsentiert sich als eigene Siedlungsregion, eine Terrassenland- schaft zwischen 100 und 500 Meter über dem Inntalboden. Solche Hangschultern von Ge- birgszügen sind ansonsten flussabwärts (s. Abbildung 37) … - - Sonnenterrasse mit Serfaus, Fiss und Ladis (1200-1400m) - - Mieminger Plateau mit Obsteig Mieming, Untermieming und Wildermieming (800-1000m) - - Seefelder-Plateau mit Seefeld, Scharnitz und Leutasch (900-1200m) - - Gnadenwalder Terrasse mit Wiesenhof, Gnadenwald, Eggen, Schlögelsbach und Umlberg (800-900m) - - Terrasse von Weerberg mit Tholer, Weerberg, Kreith und Niederpillberg (800-900m) - - Terrasse von Vomperberg mit Vomperberg (800-900m) - - Terrasse am Mündungspunkt zum Alpbachtal mit Ried, Reith und Mehrn (600-700m) - - Angerberg mit Moosen, Haus, Berg, Schönau, Baumgarten (600-700m) - - Terrasse von Häring und Schwoich mit Bad Häring und Schwoich (500-600m) Den genannten Zonen ist eine ähnliche Höhenlage in Relation zum Inntalboden, die touristi- sche Ausrichtung, Siedlungsverteilung und Naherholungsfunktion gemein. Das Tiroler Mittel- gebirge kann in ein nördliches und südliches, das südliche Mittelgebirge weiter in ein östliches und westliches unterteilt werden. Das westliche südliche Mittelgebirge ist einheitlicher in einer Höhenlage flächig, das östliche südliche Mittelgebirge ist durch unterschiedliche Höhenla- gen und Taleinschnitte stärker gegliedert. Die Ortschaften bilden damit einen jeweils sehr eigenständigen Charakter, der sich von dem der angrenzenden unterscheidet. Zwischen ihnen waren schließlich stets Höhenunterschiede zurückzulegen. Abbildung 37: Mittelgebirge im Inntal (e.D., KGL Relief Land Tirol 2015a und NASA 2000) 53 Siedlungsmorphologische Analyse Mittelgebirge
  • 54. Eiszeitliche Terrassen Terrasse Terrassenkante Terrassenauslauf Weg in Einschnitt weitere Einschnitte Gewässer Haus auf Sporn 54
  • 55. Eiszeitliche Terrassen Die sanfte und vielfältige Geländegliederung der südlichen Mittelgebirgslandschaft ist durch eiszeitliche Überformungen entstanden (s. Abbildung 35). Diese eiszeitlichen Überformungen üben einen wesentlichen Einfluss auf die Siedlungsgestalt von Igls aus. Sie bieten gut nutz- bare Terrassen und schlecht nutzbare Mulden, die nur eine differenzierte Besiedlung zulassen. Der nördliche Abfall der Igler Terrasse in Richtung Vill und der Hangfuß von Girgl und Ulle bildet großteils die gewidmete und realisierte Baulandgrenze. Damit liegt der Großteil des Siedlungskörpers von Igls kompakt auf einheitlicher Höhe, was innerhalb der Siedlung kurze und trotz Berglage horizontale Wege ermöglicht. Der mittlere Siedlungsraum im Bereich der alten Ortsmitte bietet die größte Siedlungsflä- che auf der Terrasse. Nördlich und südlich davon führen nur schmale Terrassenkörper an den Hang geschmiegt entlang, die nur für eine linearere Siedlungsentwicklung Platz boten. Ein- zig der Siedlungskörper auf der Ulle liegt auf keiner Terrasse, weswegen hier größere Hö- henunterschiede überwunden werden müssen und die Besiedlung erst deutlich später er- folgte. Auch der südliche Terrassenstreifen am Gletscherblick wurde erst später zur Zeit der Sommerfrische besiedelt, noch später der von der Terrasse auslaufende Bereich um den Professor-Ficker-Weg. Deutlich setzt sich das Bild der auf einzelnen Terrassen gruppierten Baukörper in Lans fort. Eiszerfallslandschaft Die Terrassen sind an ihrer Talseite stark zerklüftet. Die Zerklüftung der Eisrandterrasse um Igls entstand durch Abflussgerinne in der Zeit des Gletscherrückzugs. Zog sich ein Gletscher zurück, bildete das Schmelzwasser viele kleine Gerinne, die quer zur vom Gletscher gebilde- ten Terrassenkante zum Tal flossen und damit Einschnitte in die Terrassenkante bildeten. Zwischen diesen zahlreichen Einschnitten entstanden Sporne. Diese repräsentative Lage wussten die ersten Häuser der Sommerfrische zu schätzen, was im Kapitel „Repräsentati- on“ S.85 näher diskutiert wird. Den größten Einschnitt an der Terrassenkante bildet der Ramsbach. Grundsätzlich liegt jeweils nur ein Haus auf einem Sporn. Der Sporn ist ein na- türlicher Determinator für die erste Parzellenbildung. Einzig am Grätschenwinkelweg liegen zwei Häuser auf einem Sporn. Fast alle Spornlagen sind von Sommervillen oder ehemaligen Sommervillen besetzt. Einzig der Friedhof erhielt als spirituell hochwertige Nutzung ebenfalls eine bedeutsame, weil am weitesten auskragende Spornlage. In größerer Maßstäblichkeit bildet der Ramsbach schon bevor er den Terrassenrand erreicht einen Keil zwischen Ulle und Girgl. Auch die hier den Ramsbach flankierenden Sporne, die Ulle und die Girgl, wussten die ersten Sommervillen als aussichtsreiche Lage zu nutzen. Die Einschnitte erwiesen sich als günstige Lagen für Wege, da dort die Terrassenkante mit geringerer Steigung überwunden werden kann und der Weg automatisch zwischen zwei Häu- sern und nicht direkt bei einem Haus auf der Terrasse ankommt, da diese neben den Ein- schnitten auf den Spornen stehen. Auch der Graben zwischen Ulle und Girgl ist die logische Verbindung von der Igler Ortsmitte in Richtung Zimmerwiese. Seen Als Überreste eiszeitlicher Oberflächenformungen im Mittelgebirge blieben wassergefüllte Becken wie das Viller Moor zurück. Der alte Viller See, der ehemalige Winkelsee bei der Ho- henburg (1752), ein Weiher am Fuße des Galtbichls (1555), der Lanser See, das Lanser Moor, der Mühlsee und der Herzsee sind vergangene oder die heute letzten Reste dieser wasserge- füllten Becken. Die Wasser von den Zuflüssen vom Berg ansammelnden sumpfigen Flächen in der Mitte und am Tiefpunkt des Mittelgebirges eignen sich nicht für eine Bebauung, womit die Zone zwischen Igls und Vill von dichterer Bebauung frei blieb. Dieses Phänomen setzt sich nach Osten über Lans und Sistrans fort. Die Siedlungen liegen entweder ein wenig den Hang oder in Richtung Mittelgebirgsstufe zum Inntalboden empor gerückt. Der seit 1270 nachweisbare Viller See ist bereits zum Viller Moor verlandet. Im Mittelalter war das Viller Moor künstlich eingedämmt und von den Herren von Sistrans und vom Stift Wilten als Fischteich genutzt worden. 1803 erwarben ihn die Bauern und ließen den Teich zur Ge- winnung von landwirtschaftlicher Fläche ab. 1920 und 1921 wurde von der Alpenländischen Torfindustrie-Gesellschaft m.b.H. ein wenig rentabler Torfstich betrieben. Der Lanser See liegt in einer Toteismulde.67 „Zustande kommt sie durch das Nachsacken des Abbildung 38: Baukörpergruppen auf eiszeitlichen Terrassen (e.D., KGL Relief, Gewässer, Gebäude: Land Tirol 2015a) 55 Siedlungsmorphologische Analyse Mittelgebirge
  • 56. mittlere Erosion geringe Erosion keine Erosion Abbildung 39: Bodenerosion um Igls (Lebensministerium 2015) 56
  • 57. Bodens über sogenannten Toteisblöcken. Bei Kreuzungen von mehreren Gletscherzungen schieben sich die Sedimente des einen über den anderen. Beim Rückzug des Gletschers bleibt ein Eisblock unter den Sedimenten zurück. Beim allmählichen Abschmelzen dieses Ei- ses entsteht unter der Sedimentschicht ein Hohlraum. Wenn dieser einbricht, entsteht eine Toteismulde. Das eindringende Schmelzwasser kann dann möglicherweise über einen kurzen Zeitraum (quasi über Nacht) einen See entstehen lassen.“68 Strudellöcher Eine weitere Zergliederung der Terrassenlandschaft erfolgt in Igls durch das Phänomen der Strudellöcher. Als das Inntal noch mit einem Gletscher gefüllt war, brachen Seitentalgletscher in den Inntalgletscher herab. Dabei ronnen sie über einen topographischen Höhensprung. Hierbei bewegte sich die untere Gletscherseite langsamer als die obere Gletscherseite, wo- durch Querspalten an der Oberfläche entstanden. Wo sich immer wieder Querspalten bildeten, brach das vorerst auf der Gletscheroberfläche abrinnende Schmelzwasser kontinuierlich auf den selben Punkt auf der topographischen Oberfläche herab und spühlte an diesem Punkt ein Loch in den Boden. Auf der Suche nach einer Abflussmöglichkeit des Wassers bildeten sich dort Strudel. Da Igls an einem topographischen Höhensprung liegt, finden wir dort Strudellö- cher. Dazu gesellen sich Moränenablagerungen und Gletscherschliffe.69 Bodenerosion Ein wesentlicher Parameter für die Eignung eines Ortes für Siedlungstätigkeit ist die Stabilität des Bodens. Abbildung 39 zeigt, wie zielgenau die alten Siedlungsplätze auf weniger erodie- renden Böden entstanden. Die grundrissliche Siedlungsform von Igls bildet sich in etwa in ei- ner nicht erodierenden Fläche ab. Interessant ist, dass der Bereich um die Patscherkoflerbahn Talstation, der schon früh als Rodungsfläche in alten Karten ausgewiesen wird, eine ebenso gute Bodenstabilität hat. Auch das alte Vill liegt deutlich auf einer nicht erodierenden Fläche. 57 Siedlungsmorphologische Analyse Mittelgebirge
  • 59. Verfügbarkeit Zu Beginn der Siedlungstätigkeit benötigten Siedlungen bestimmte Ressourcen in unmit- telbarer Nähe, um zuerst entstehen und danach wachsen zu können: guter Boden für den Ackerbau und die Viehzucht, Fließwasser für das Handwerk, die Hygiene und die Trinkwas- serversorgung, Wald für Brennholz, Handwerk und Baumaterial bzw. für die Jagt und eine topographische Erhöhung als schützender Rückzugsort. Igls wurde mit den genannten Res- sourcen im unmittelbaren Umfeld versorgt. Hochwertige Ackerböden garantierten jahrhundertelang das Überleben einer Siedlung. In Abbildung 43 zeigt sich Igls umringt von hochwertigen und zumindest mittelwertigen Acker- böden. Teilweise frisst sich die Bebauung von Igls bereits in die hochwertigen Ackerböden vor. Diese lagen früher noch näher am alten Siedlungskern. Das gleiche Bild gibt sich bei der Betrachtung der Wertigkeit für Grünland. Igls liegt umringt vom den alten Ort versorgenden Grünland und minimiert damit die Summe aller zurückzu- legenden täglichen Distanzen zur und von der Wiese oder dem Acker. Sowohl die mit alten Flurnamen beschriebenen Flächen Unteregebreite, Oberegebreite, Annakreuz, Bachgang als auch Oberfeld umringen Igls kreisförmig. Die von den genannten Fluren nicht belegten Flächen sind bis heute mit Wald bewachsen und lieferten das Brenn- und Bauholz. Ulle und Girgl konnten als topographische Erhebungen kurzzeitig Schutz bieten. Igls rückt möglichst nah an diese Erhebungen heran. Der Ramsbach durchfließt zwischen Ulle und Girgl das Zentrum von Igls und liefert kontinu- ierlich Frischwasser. Er ist für Igls, wie der Flur zum Hinterzimmer, ein Weg zur Zimmerwiese und als solche Verbindung Mittel der Orientierung. Nahes Fließwasser war stets für das frühe Handwerk bedeutsam. Ein Vorgänger der ersten bekannten Mühle 1627 im Oberdorf (Bilgeri- straße Nr.14) war 1499 die „Mul und Mulslag zu Ygels“ bis spätestens 1627. Im 19. Jh. tritt eine weitere Mühle am Ramsbach (Heiligwasserweg 1) und eine weitere Schmiede (Eichlerstraße 23) hinzu.70 Einerseits führt die Römerstraße durch das alte Katastralgemeindegebiet von Igls und an- dererseits die Lanser- bzw. Patscherstraße. Damit war in einer regionalisierenden Welt des Mittelalters die Anbindung an die Welt gesichert, was die Ressource Information sicherstellte. Die Ressourcenzugänglichkeit erwirkt in Igls eine Siedlungsachse entlang dem Ramsbach und der Patscherkofelflanke. Ressourcen Abbildung 40: Ressourcenzugänglichkeit entlang des Ramsbaches (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald, Wege: Land Tirol 2015a) 59 Siedlungsmorphologische Analyse Ressourcen
  • 61. Richtungsdynamiken Im Folgenden soll geklärt werden, warum Igls stärker in bestimmte Richtungen gewachsen ist als in andere. Die erste Richtungsdynamik der Igler Siedlungsentwicklung wird von der oben beschriebenen Rohstoffverteilung um den Ramsbach festgelegt. Weitergeführt wird sie von der Patscher- kofelflanke. An ihr hat man den wesentlichen Vorteil, über Zugänge zum Inntal und Wipptal zu verfügen und an Innsbruck über die Straße über Vill angeschlossen zu sein. Die Wasser- versorgung hatte für diverse Nutzungen wie Handwerk und Alltag so viel Nutzen, dass die alte bäuerliche Bebauung in einem Bogen nach Osten den Ramsbach entlang emporwuchs. Entlang des Ramsbaches liegen die wichtigen Rodungsflächen Zimmerwiese und jene um das Badhaus, wodurch entlang des Ramsbaches Wiesen und Felder und automatisch unmit- telbarer Waldzugang entstanden. Auf dem Mittelgebirge reihen sich sämtliche bebauten Flächen innerhalb eines zusammen- hängenden linearen Rodungsstreifens nacheinander (s. Abbildung 41). Einzig die Rodungsin- sel um die Zimmerwiese ist ein bebauter Bereich abseits dieses Rodungsstreifens, indem er seitlich von diesem wegsteht. Daher kommt dieser Rodungsinsel keine klassische Siedlungs- funktion zu. Aus der Zimmmerwiese wird ein verstecktes „Hinterzimmer“. War seine frühere Nutzung, geschützte zusätzliche Wiesenflächen zu bieten, so ist die heutige markanteste Nut- zung die Patscherkofelseilbahntalstation. Die Weglängen wurden in alten Siedlungen immer minimiert, um das Verhältnis zwischen Res- sourcenaufwand und wirtschaftlichem Output zu optimieren. Daher liegt Igls von ressourcen- spendenden Naturräumen umsäumt. So wie die Platzierung der gesamten Siedlung ressour- censchonend war, so erwartet man sich das auch innerhalb des Siedlungskörpers. Die logische Folge ist die Siedlungsform des Haufendorfs. Sie bietet keine konkrete Entwicklungsrichtung sondern entfaltet sich in alle Richtungen gleichermaßen. Die Folge ist eine flächige Auffül- lung der Igler Terrasse um die Ortsmitte. Die Anordnung der einzelnen Häuser zueinander als Haufendorf erscheint zunächst nicht ressourceneffizient, bis wir in Kapitel „Bauprogram- me“ S.95 die bäuerliche Hoftypologie des Unterinntaler Einhofs bzw. des Mitteltennenhofs untersuchen. Neben der Organisationslogik des Einhofs und Mitteltennenhofs kann jedoch auch der Brandschutz im früher großteils aus Holzhäusern bestandenen Igls Einfluss auf die distanzierte Anordnung der Höfe zueinander gehabt haben. Dass aber viele Städte aus Holz trotz der Brandgefahr dicht gebaut wurden, zeigt wie wenig Einfluss der Faktor Brandschutz auf die Ausformung als Haufendorf gehabt haben muss. Vielmehr Einfluss hatte wohl der Wunsch nach räumlicher Nähe zum Vieh, das zeitweise zwischen den Höfen weiden konnte statt auf die ferne Weide getrieben zu werden. Damit konnte man das Vieh vor Dieben und Raubtieren schützen und mit geringem Wegeaufwand wirtschaften. Ein Abstand zum Nach- barn war unabdingbar, wollte man um den eigenen Hof herum sein Vieh halten. Indem diese Regel auf fast alle Häuser im Dorf zutrifft, da das Dorf bäuerlich geprägt war, erhielt Igls seine Haufendorfkomponente. Die einzelnen Gebäude folgen im Haufendorf keinem offensichtlichem Ordnungsprinzip. Je- des Gebäude ist für sich so angeordnet, dass die Standortbedingungen wie Gelände, Be- lichtungsverhältnisse, Wetterschutz, Ausrichtung zur Kirche u.ä. individuell bestmöglich aus- genützt werden. In der eingehenden Siedlungslektüre kann man jedoch einige gemeinsame Ordnungsprinzipien erkennen, auf die folglich noch eingegangen wird. Ein systematischer Vorteil des planlosen Haufendorfes besteht darin, dass im Bestand einzel- ne Gebäude entfernt und hinzugefügt werden können, ohne dass der Charakter des Dorfes verändert wird. In Zeiten des Wachstums konnte durch neue Gebäude nachverdichtet werden, in Zeiten der Schrumpfung konnten Gebäude wieder entfernt werden. Die Funktionalität des Dorfes blieb ohne strukturelle Adaptionen stets erhalten. Igls ist beispielsweise zumindest zweimal von einem Dorfbrand betroffen gewesen (1560 und 1883). Dies zerstörte zwar viele Häuser und Habseligkeiten, doch konnte es der Siedlungsstruktur wenig Schaden zufügen. Ein Straßendorf müsste hier mehr Zwängen bei der Wiedererrichtung folgen, was am südli- chen Ende der Hilberstraße, die eher der Straßendorflogik folgt, sichtbar ist. Dort liegen die Höfe nach wie vor dicht gedrängt der Straße entlang nebeneinander. Die Haufendorfkompo- nente schuf beim Wiederaufbau mehr Freiheiten auf die neuen Gegebenheiten zu reagieren. Damit wurde der relativ reibungslose und ressourcenschonende Wandel von einem bäuerli- chen Dorf zu einem Kurort und später Wohnort unterstützt. Die Richtungsdynamik entlang des Ramsbaches aufnehmend, startet auf der Zimmerwiese die Patscherkofelbahn und verläuft den Ramsbach entlang den Patscherkofel empor. Tribut zollt die Patscherkofelbahn dem Schnittpunkt zwischen Römerstraße und Ramsbach durch eine eigene Mittelstation. Die oben beschriebene Richtungsdynamik wird allerdings durch eine zweite gestört. Igls steht nämlich auch in der Tradition jener Orte innerhalb eines länglichen Rodungsstreifens am Pla- Abbildung 41: Niveaugleicher Rodungsstreifen auf dem Mittelgebirge (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald, Gebäude, Wege: Land Tirol 2015a) 61 Siedlungsmorphologische Analyse Ressourcen
  • 63. teau des Mittelgebirges (s. Abbildung 41), die sich längs der Höhenschichtlinien mit einer Straßendorfkomponente entwickelt haben. So reihen sich im alten Igls die Bauernhöfe ent- lang der Hilberstraße aneinander, die ihrerseits parallel zur Höhenschichtlinie liegt und ihre Verlängerung in der Lanser Straße und Patscher Straße findet. Sternenartig können so viele Höfe direkten Zugang zu den Wiesen- und Ackerflächen auf der Terrasse erhalten. Die Zu- gänglichkeit der Flächen wird weiter erhöht, indem die Hilberstraße eine dem Patscherkofler Hang folgende Kurve ausbildet. Die Außenkurve liegt talseitig, wo das Gros der Acker- und Wiesenflächen zur Verfügung steht. An der Außenkurve finden mehr Höfe Platz als dies an der Innenkurve tun würden. Damit wird mehr Höfen Zugang zu Wirtschaftsflächen geboten, als wenn die Hilberstraße gegengleich gekurvt wäre (s. Abbildung 40). Die Entwicklung ent- lang der Höhenschichtlinie schafft Orte die untereinander ziemlich niveaugleich ohne größere Energieaufwendungen erreichbar sind. In den Nachbarorten Lans, Sistrans und Patsch setzt sich die Richtungsdynamik entlang der Höhenschichtlinie fort. Zwischen diesen Orten befin- den sich angesichts der Gebirgslage nur relativ geringe Höhenanstiege. Von diesem niveau- gleichen Weg zweigen nur besondere Nutzungen hangaufwärts ab. Nur wenigen Nutzungen war die besonders erhöhte Lage mit schwererer Erreichbarkeit vorbehalten. In der Gegend um Igls lassen sich diese nur direkt in Igls finden. Im Igler Hinterfeld liegen z.B. die ältesten Sommervillen, die Hohenburg und die Taxburg, der Kongress, die Sporthalle, die Patscherko- felseilbahntalstation und der Freizeitbereich um die Zimmerwiese (s. Abbildung 41). Igls ist damit Schnittpunkt zweier unterschiedlicher Richtungsdynamiken. Das erzeugt im Siedlungsbild Irritationen: - - Es treffen Patscher- und Lanserstraße in hangparalleler Richtung auf Ramsbach in hang- abfallender Richtung. An diesem Punkt wurde eine heute stark belebte Kreuzung mitten in der dortigen Kurve nötig. - - 100 Höhenmeter weiter oben besteht der zweite Schnittpunkt. Dort trifft die Römerstraße auf den Ramsbach. Die Römerstraße verläuft ziemlich geradlinig von Lans nach Patsch. Nur im Bereich des Ramsbaches buchtet sie nach Osten um 250m aus und reagiert damit auf die Achse der Patscherkoflerflanke. - - Eine weitere Störung der Richtungsdynamik entlang der Höhenschichtlinien erfolgt durch die Iglerstraße, wo sie auf die Hilberstraße trifft. Dort blockieren die alten Höfe ein gerad- liniges Fortlaufen der Hilberstraße. Igls Siedlungsstruktur ist Produkt zweier Richtungsdynamiken, was im sternenförmigen Siedlungsbild leicht abzulesen ist. Zwischen den Sternarmen verbleiben Grünbereiche, die so trotz Ortswachstums weit in die Ortsmitte vorstoßen. In der europäischen Stadtgeschichte haben Städte schon oft auf eine solche sternenförmige Achsialentwicklung gesetzt, um trotz Wachsum Grünräume als Keile weit in die Stadt hineinführen zu können. Nur mit großem po- litischem Willen konnten solche Grünkeile von weiter drohender Verbauung freigehalten wer- den, da genau dort die attraktivsten Flächen in Grünlage lagen und die Grundstücke abseits der Erschließungsachsen durch deren geringere Erreichbarkeit billiger waren. Igls konnte sich seine Grünkeile ob seiner geringeren Größe bislang bewahren. Abbildung 42: Richtungsdynamiken und Schnittpunkte schematisch (e.D., KGL: Relief: Land Tirol 2015a) 63 Siedlungsmorphologische Analyse Ressourcen
  • 64. geringwertig geringwertig - mittelwertig mittelwertig mittelwertig - hochwertig hochwertig Abbildung 43: Wertigkeit von Ackerland (Lebensministerium 2015) 64
  • 65. Beachtenswert ist folgendes in Abbildung 44 gezeigtes Resultat der zwei Richtungsdynami- ken. Entlang der niveaugleichen Mittelgebirgsstraße dehnt sich Igls in die Länge. Beidseits dieser Dehnung liegen zwei Bereiche, die trotz ihrer unterschiedlichen Nutzungsform und To- pographie die verblüffend gleiche Grundrissgeometrie aufweisen. Während der westliche Teil dem flächig verbauten und bewohnten Igls gewidmet ist, liegt östlich der ruhige geschütz- te Gegenpol der Freizeitgestaltung, die Zimmerwiese. Die westliche Form wird hauptsächlich durch Baukörper auf der eiszeitlichen Terrasse gebildet, die östliche Form ist im Rodungskör- per ablesbar. Beide Geometriefelder haben in ihrem Mittelpunkt Gebäude besonderer Be- deutung. In der westlichen Mitte steht das alte Rathaus, in der östlichen Mitte die Patscher- kofelseilbahntalstation. Das Rathaus ist der Mittelpunkt eines bebauten Siedlungsraums, eine Seilbahnstation kann der Mittelpunkt einer Freizeitgestaltung sein. Von diesen Mitten gegen den Uhrzeigersinn blickend liegen zeitlich später und flächig verbaute Wohngebiete. Von die- sen Mitten im Uhrzeigersinn blickend liegen vermehrt Sondernutzungen wie Freizeiteinrich- tungen, Sommerfrischevillen und Hotels. Abbildung 44: Gleiche Geometrien beidseits der Hilberstraße unterschiedlicher Nutzungsform (e.D., KGL: Relief, Wald, Gebäude: Land Tirol 2015a) 65 Siedlungsmorphologische Analyse Ressourcen
  • 67. Isolation Igls sowie Vill sind die beiden einzigen Stadtteile von Innsbruck, die vom Weichbild der Stadt durch den ca. drei Kilometer breiten Waldgürtel des Paschbergs getrennt liegen und sehr lan- ge bis zur Anpassung der heutigen Igler Straße an den Autoverkehr 1925 abseits historischer Haupt- oder Landstraße lagen. Noch heute steht an der Straßeneinfahrt zu Igls eine Ortstafel, obwohl Igls ein Stadtteil Innsbrucks ist.71 Die Römerstraße bzw. Salzstraße war die Durchzugsstraße auf dem Mittelgebirge und trug Verkehr zwischen Inntal und Brenner. Igls liegt deutlich neben der Römerstraße. Die tiefe Sill- schlucht war eine schwer überwindbare Grenze zur Brennerstraße am linken Sillufer. Abbil- dung 45 und Abbildung 46 zeigen die Igler Abseitslage von Verkehrsachsen. Einerseits folgte daraus, dass Igls und Vill eine bescheidene Entwicklung als Bauerndörfer hatten. Andererseits folgt daraus, dass Igls noch um 1900 eine beschauliche Rückzugslage für die Sommerfrischler bot und so zum Kurort jener Qualität wachsen konnte, die sich heute in den noch bestehenden alten Prachtbauten abbildet. Ähnlich ruhige Qualitäten werden heu- te von den in Igls Wohnenden geschätzt. Erschließung Abbildung 46: Straßenkarte 1804 (Land Tirol 2015a) Abbildung 45: Igler Abseitslage von Verkehrsachsen (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a) 67 Siedlungsmorphologische Analyse Erschließung
  • 69. Anbindung Natürlich wurden in Igls über die Jahrhunderte gezielt Anstrengungen unternommen, um An- teil am Durchzugsverkehr zu finden, was bis heute seine Spuren im Siedlungsbild hinter- lassen hat. Zur Brennerstraße am linken Sillufer wurde ein Übergang über den deutlich tiefer liegenden Zenzenhof geschaffen. Dies war allein schon deswegen nötig, um den Zugang für die Viller und Igler zum gemeinsamen Landesgerichtssitz in Sonnenburg zu ermöglichen. Dieser Weg sollte ob seiner großen Höhendifferenzen aber untergeordnet bleiben. Die spätere Brenner- bahn und Brennerautobahn erhielten beim Zenzenhof keine Haltestelle bzw. Ausfahrt. Schon naheliegender war die Anbindung an das in der Siedlungshierarchie deutlich höher ste- hende Innsbruck, für das Igls Teile seiner landwirtschaftlichen Versorgung übernahm und das das kulturelle und gesellschaftspolitische Zentrum der Umgebung war. Innsbruck ist schließ- lich über den Flughafen mit der gesamten Welt verbunden, über den Hauptbahnhof mit ganz Europa und über die Inntalautobahn bzw. Brennerautobahn mit den Nachbarstaaten. Über die Poltenhütte am Paschberg führte bereits lange ein fußläufig begehbarer Weg nach Vill und somit auch nach Igls. Angesichts der 300 Höhenmeter Differenz zwischen Igls und Innsbruck brachte aber erst die Mittelgebirgsbahn um 1900 eine unmittelbare Anbindung Igls an Inns- bruck. 1925 wurde die Straße von Innsbruck über Vill nach Igls dem Autoverkehr angepasst. Heute verkehrt die Buslinie J der Innsbrucker Verkehrsbetriebe auf der Strecke. Die leichteste Anbindung bot allerdings die nur gut 100m höher liegende Römerstraße. Der kürzeste Weg zur Römerstraße war ein auf ihr im rechten Winkel stehender Weg. Ein alter Fuß- und Karrenweg entlang des Ramsbachs zur Römerstraße ermöglichte den Iglern schon im Mittelalter ihr mit Patsch hart umkämpftes und danach geteiltes Recht, Vorspanndienst72 auf der Römerstaße auszuführen und damit Geld zu verdienen. Ohnedies waren die Igler stets zu Erhaltungsarbeiten der Römerstraße herangezogen worden, da sie durch ihr Gemeindegebiet führte. Auf die Nebeneinnahmen durch den Vorspanndienst wollten sie daher nicht verzichten. 1905 wurde dieser Weg zu einer Straße ausgebaut. Die deutlich imposantere Anbindung Igls an die Römerstraße war ab 1928 jene über die Patscherkofelseilbahn, indem sowohl der ge- baute Ort Igls als auch die Römerstraße eine Station erhielten. Einbindung Neben der Anbindung an überregional bedeutsame Verkehrsadern war Igls auch regional eingebunden. Dem Mittelgebirge entlang verband und verbindet heute noch ein Weg die Sied- lungen Patsch (990m), Igls (870m), Lans (860m), Sistrans (920m), Rinn (910m) und Tulfes (920m) auf in etwa der selben Höhe. 1906 wurde diese Verbindung verbessert, indem die Kaiser Franz Josef-Straße als Verbindung nach Patsch und Lans fertiggestellt wurde. Stoßrichtungen Die beiden in Kapitel „Richtungsdynamiken“ S.61 angesprochenen Richtungsdynamiken bilden sich in der Erschließung ab. Aus der Erschließung leitet sich sehr deutlich die in zwei Richtungen begrenzte strahlenförmige Entwicklung der Siedlung Igls ab. Die alte lineare Verbauung um die Hilberstraße im alten Ortskern orientiert sich eindeutig an der alten regionalen Einbindung. Sie ist verantwortlich für den Igler Straßencharakteranteil. Die haufenförmige Entwicklung war durch die südöstliche Bergkante und die nordwestliche Terrassenkante begrenzt. Dies ist auch in Lans oder Patsch deutlich abzulesen. In der nordöst- lichen Verlängerung der Igler Dorfmitte liegt ein länglicher Siedlungskeil, der der Straße nach Lans und dem Verlauf der Mittelgebirgsbahn folgt. In der südlichen Verlängerung liegt ein weiterer länglicher Siedlungskeil in Richtung Patsch. Mit der massenhaften Verbreitung des PKW, wurden die möglichen Tagesdistanzen größer und eine vertikale Anbindung an z.B. Innsbruck sinnvoll. In Richtung Innsbrucks hangabwärts liegt in der Folge der flächigste Siedlungsvorsoß parallel zur Igler Straße. Hangaufwärts ver- läuft nur die Grabenverbauung zwischen Ulle und Girgl. Abbildung 47: Igler Anbindung an Verkehrsachsen (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a) 69 Siedlungsmorphologische Analyse Erschließung
  • 71. Erschließungssystem Die An- und Einbindung in überregionale und regionale Erschließungssysteme erzeugt die erste Erschließungshierarchie innerhalb von Igls. Diese Wege sind die einzigen, die durch den Ort durchführen, sie besetzen die kürzesten Routen mit den angesichts der Topographie ge- ringst möglichen Steigungsverhältnissen. Alle anderen Wege sind Sammelstraßen, die von diesen Durchfahrtsstraßen abzweigen. Die Sammelstraßen sammeln den lokalen Verkehr zusammen, ehe er auf das regionale Er- schließungsnetz trifft. Sie enden alle in Sackgassen, da das Schließen der Schlaufen topogra- phisch verungünstigt wird. Es entstehen auf der einen Seite Straßen, die die Hauptlast des Verkehrs tragen, und auf der anderen Seite äußerst verkehrsberuhigte, voneinander getrennte Seitensysteme. Diese voneinander getrennten Seitensysteme bilden einzelne Nachbarschaften,73 welche die ansonsten flächig zusammengewachsen wirkende Siedlungsstruktur strukturieren. Deutlich kann man sein eigenes Haus einer solchen Nachbarschaft zuordnen, abhängig von welchem Seitensystem es erschlossen wird. Die Privatheit der eigenen Nachbarschaft wird auch da- durch erzeugt, indem das Betreten für Fremde keinen Sinn machen würde, da er nicht durch- gehen kann. Betritt ein Fremder dennoch die Nachbarschaft, so scheint klar, dass er, sofern er nicht auf Besuch ist, nichts gutes im Schilde führt. Im osmanischen Städtebau war dies eine wesentliche Schutzfunktion der Nachbarschaft. Beeinflusst wird die Bildung der Seitensyste- me und damit die Bildung der Nachbarschaften durch die Topographie, die Gewässer und dem Wunsch nach kurzen Wegen. Es entsteht ein relativ unwegbares Sackgassennetz. Einzelne nur dem Fußgeher gewidmete Wege durchbrechen daher die Struktur der Seitensysteme, um die Fußwege innerhalb des Siedlungsverbands zu verkürzen und die beliebte Freizeitnutzung des Spazierengehens zu be- günstigen. Das Durchbrechen der geplanten Struktur der Seitensysteme führt dazu, dass die Fußwege nicht auf den geplanten Schauseiten der Häuser und Gärten entlangführen, sondern entlang der informellen Rückseiten. Durch das Benützen der Fußwege tritt man ein Stück weit in die Privatsphäre der Bewohner ein. Abbildung 48: Erschließungssystem Igls 71 Siedlungsmorphologische Analyse Erschließung
  • 72. 72
  • 73. Vertikalität Vertikale Metros In Tirol reiht sich auf Grund des alpinen Charakters ein Tal neben das nächste. Der Sied- lungsraum begrenzt sich dabei zum Großteil auf die flachen Talsohlen (s. Abbildung 51). Das Inntal bietet die größte Talsohle, womit es zum größten Siedlungsraum wurde. Dieser fällt entlang des Tals natürlich linear aus. Die Erschließungsstruktur fällt entlang des Tals ebenso linear aus. Stehen nur zwei Richtungen für die Fortbewegung zur Verfügung, werden damit die durchschnittlichen täglichen Wege länger. Logischerweise wurde daher in Folge von Wachs- tum versucht, auch die Dimension quer zum Inntal die Hänge hinauf zu nutzen. Dazu musste die Dimension quer zum Inntal erschlossen werden. Saumwege, Karren- und Fußwege führten anfangs die Hänge des Inntals empor, ehe Straßen ausgebaut wurden und Eisenbergbahnen bzw. „vertikale Metros“74 , d.h. Seilbahnen, ergänzt wurden (s. Abbildung 50). Auf Grund der Enge des Inntals wurden diese Querrelationen integraler Bestandteil des Tiroler Verkehrs- netzes und die Siedlungsplätze an den Hängen integraler Bestandteil des Tiroler Siedlungs- raums.75 Entlang des Inntals reihen sich Talstationen von Bahnen oder Seilbahnen, die auf die flankie- renden Hänge und Berge emporführen (s. Abbildung 49). Es bildet sich entlang des Inntals eine rythmische Sequenz von Querachsen auf die flankierenden Berge, die mit Nordkette, Patscherkofel, Mutterer Alm, Rangger Köpfl und Glungezer um Innsbruck verdichtet. Die Nordseite ist mit folgenden vertikalen Metros versorgt: - - Mösern - Gschwandtkopf - - Hungerburg - Nordkette - - Kramsach - Sonnwendjoch Die Südseite ist mit folgenden vertikalen Metros versorgt: - - Kappl - Diasalpe - - See - Medrigjoch - - Zams - Venet - - Oberperfuss - Rangger Köpfl - - Mutters - Mutterer Alm und Axamer Lizum - - Igls - Patscherkofel - - Tulfes - Glungezer Abbildung 49: Seilbahnen in Tirol (e.D., KGL Relief Innsbruck und Seilbahnen: Land Tirol 2015a, Relief Tirol: NASA 2000) Abbildung 50: TirolCITYmap (YEAN 2005 S.120f) Abbildung 51: Tiroler Dauersiedlungsraum (YEAN 2005 S.32f) 73 Siedlungsmorphologische Analyse Vertikalität
  • 75. - - Weerberg - Hausstattlift - - Schwaz - Kellerjochbahn - - Reith im Alpbachtal - Reither Kogel Diese Achsen sind teilweise in mehrere Abschnitte gegliedert. Es verbindet oftmals ein öf- fentlicher Zubringer wie Bahn oder Bus den Talboden mit der Talstation auf einer etwas höher liegenden Terrasse. In Igls erfolgt eine solche Anbindung des Talbodens durch die Mittelge- birgsbahn bzw. durch die Buslinie J der Verkehrsbetriebe Innsbruck an die Patscherkofelseil- bahntalstation. Patscherkofel Achse Verkehrstechnische Verbindung Ursprünglich durch die Suche nach einer Anbindung an die Römerstraße und an Innsbruck entstand die Igls in vielweitiger Weise prägende Achse Innsbruck - Igls - Patscherkofel. Igls Ortszentrum ist über den historischen Fuß- und Karrenweg, die Igler Bundesstraße und die Mittelgebirgsbahn an Innsbruck angebunden. Um 1900 wurde die Mittelgebirgsbahn zwi- schen Bergiselbahnhof und Igls eröffnet. Der Bergiselbahnhof liegt exakt in der südlichen Verlängerung der Marien-Theresien-Straße bzw. der Hauptachse der Altstadt (s. Abbildung 53). Von dort aus startete auch die Stubaital-Bahn. Die Mittelgebirgsbahn wurde 1920 sogar vom Bergiselbahnhof bis in die Maria-Theresien-Straße verlängert, womit die Anbindung Igls an Innsbruck vorläufig vollendet war. Seit der Elektrifizierung 1936 fuhr die Mittelgebirgs- bahn als Linie 6 ohne Umsteigen am Bergiselbahnhof in die Innenstadt. Das Fortleben der Mittelgebirgsbahn war zwar durch das Automobil, die Inntalautobahn und Omnibusse auf die Mittelgebirgsterrasse durch die Ortskerne gefährdet, doch durch Einsprüche der Bevölkerung erwirkt worden. Zwischen 1987 und 1996 wurde die Mittelgebirgsbahn über die Innsbrucker Innenstadt hinaus bis zur Hungerburgbahn-Talstation im Saggen verlängert, womit beide Hangflanken des Inntals um Innsbruck miteinander direkt in Verbindung standen. Seit 2005 Abbildung 52: Patscherkofel Achse durch Nutzungsknoten, Verkehrsnetz und Rodung (e.D., KGL Relief, Gewässer, Wald, Gebäude: Land Tirol 2015a) Abbildung 53: Stadtplan Innsbruck 1910 mit direkter Straßenverbindung zwischen Bergiselbahnhof und Maria- Theresien-Straße (Wikipedia 2007) 75 Siedlungsmorphologische Analyse Vertikalität
  • 76. 76
  • 77. Allg. Landeskrankenhaus G4 Amt der Tiroler Landesreg. (Landhaus 1) H4 Amt der Tiroler Landesreg. (Landhaus 2) H4 Bezirksgericht H4 Bezirkshauptmannschaft Innsbruck H4 Congress Innsbruck G3 Finanzamt Innsbruck G4 Flughafen Innsbruck C5 Freizeitanlage Rossau/Baggersee L4 Hallenbad Amraser Straße H4 Hallenbad Höttinger Au F4 Hallenbad Olympisches Dorf L3 Hauptbahnhof H4 Hauptpost G4 Innsbruck Information Bahnhof H4 Innsbruck Information Burggraben G4 Innsbrucker Messe H3 IVB-Kundencenter G4 Jugendherberge Innsbruck J3 Landesgericht G4 Landessportcenter I5 Landestheater H3 Leitstelle Tirol H5 MCI H3 Olympiaworld I5 Pädagogische Hochschule H6 Polizeidirektion H3 Rathaus/Magistrat d. Stadt Innsbruck G4 Rotes Kreuz H5 Sanatorium Barmh. Schwestern I2 Stadion Tivoli Neu I5 Tiroler Gebietskrankenkasse H4 Tivoli Freibad I5 Universität Campus Innrain F4 Universität Campus Technik C4 Universität Campus Universitätsstr. H3 Wichtige Gebäude Index of important buildings / Index des bâtiments importants / Indice degli edifici importanti startet die Bahn wieder erst beim Bergiselbahnhof.76 Attraktive Fußwege binden die Mittelgebirgsbahnstation an die Patscherkofelseilbahntalstati- on an bzw. wurde in Verlängerung der Mittelgebirgsbahn sogar ein 450m langer Streifen bis zur Kirche von jeglicher Bebauung ausgespart, um eine allfällige spätere Verlängerung der Bahn in den Ortskern zu ermöglichen.77 Die Buslinie J aus Innsbruck hat ihre Endstation bei der Patscherkofelseilbahntalstation. Von dort führt die Achse über den alten Fuß- und Karren- weg bzw. über die Patscherkofelseilbahn zur Römerstraße bzw. verlief früher die Bobbahn bis ins Zentrum. Die Buslinie J wird teilweise bist zur Patscherkofelseilbahnmittelstation geführt. Weiter führen Wanderwege über die Heiligwasserkapelle auf den Patscherkofel bzw. die Pat- scherkofelseilbahn bis zur Bergstation. Sehr deutlich bildet das Verkehrssystem diese Achse ab. Igls ist damit ein zentraler Abschnitt der Patscherkofel Achse. Igls ist der Patscherkofel Achse untergeordnete Drehachse. Knotenpunkte Entlang der Achse verteilen sich unterschiedlichste Nutzungsknoten unterschiedlicher Quali- täten in unterschiedlichen Höhenlagen. Sie sind über das oben beschriebene Verkehrssystem miteinander verbunden. Innsbruck (570m) steht in der Talsole für Distribution, gesellschaftspo- litischen Mittelpunkt, Wissen, Kultur u.ä. Vill (820m) steht für Landwirtschaft und Wohnen. Igls (870m) steht für Erholung und Wohnen. Der Bereich um die Patscherkoflerseilbahntalstation (900m) steht für lokale Freizeitgestaltung. Der Bereich bei der Römerstraße (980m) steht für regionale Freizeitgestaltung. Heiligwasser (1240m) ist spiritueller Ort und forstwirtschaftlich genutzt. Der Patscherkofel (2250m) steht für Natur und Almwirtschaft. Rodungsfelder Abbild der genannten Nutzungsknoten auf unterschiedlichen Höhenlagen sind die Rodungs- felder, die - inzwischen etwas aufgelockert - noch heute existieren. Der kulturgeschichtliche Aktionsraum des Menschen wird durch die Waldfreiheit markiert. Der Wald ist der informelle Gegenpol zum formellen kulturlandschaftlichen Raum. Zur Zeit der Sommerfrische galt dieser informelle Wald als wertvolle Ressource. „Ein Hauptanziehungspunkt von Igls bietet in ozon- reicher Alpenluft der herrliche Wald. Es kommt ihm in dieser Richtung kein Fremden- oder Erholungsheim von ganz Tirol gleich oder auch nur nahe. An der Schwelle von Igls beginnt er und verbreitet sich sozusagen bodenflach studenlang.“78 „Schon in alten Büchern ist von Bur- gen und vom Baumwuchs der Iglerwälder die Rede.“79 Jeder Nutzungsknoten hat sein eigenes Rodungsfeld. Im größten Rodungsfeld Tirols, in der Inntalsohle, liegt Innsbruck. Im nächsten Rodungsfeld liegt Vill auf dem Mittelgebirge. Das Igler Rodungsfeld ist zwar schon längst mit dem Viller zusammengewachsen, doch trennt heute wieder ein Waldstreifen entlang der nörd- lichen Terrassenkante das bebaute Igls von den Äckern und Wiesen um Vill ab (s. Abbildung 55). Das Feld um die Patscherkofelseilbahntalstation bildet sich, topographisch durch die Eng- stelle nach Igls unterstütz, deutlich ab. Ebenso isoliert liegt die Rodung um die Römerstraße und die kleine um die Heiligwasserkirche. Der Gipfel des Patscherkofel liegt gerade über der Baumgrenze und erscheint damit als natürliche Lichtung. Die Rodungsfelder machen die Nutzungsknoten entlang der Patscherkofel Achse in der Um- Abbildung 55: Waldstreifen an Igler Terrassenkante (Land Tirol 2015a) Abbildung 54: Liniennetzplan 2015 IVB 77 Siedlungsmorphologische Analyse Vertikalität
  • 78. FLUGHAFEN INNSBRUCK PATSCHERKOFEL ACHSE PFARRKIRCHE VILL FRIEDHOF IGLS MARTERL PFARRKIRCHE IGLS HEILIGWASSER GIPFELKREUZ PATSCHERKOFLER ACHSE Sakrale Elemente Seilbahn Achse Achsenzugang 78
  • 79. gebung sichtbar, machen die Achse gangbar bzw. die Nutzungsknoten auf ihr zugänglich, at- traktivieren die Achse für menschliches Handeln und bringen damit gesellschaftliche Aktivität auf die Achse. Damit sind die Rodungsfelder eng verbunden mit der Programmierung der Achse und stärken diese in der menschlichen Wahrnehmung. Spirit Die oben beschriebene kulturhistorisch entwickelte Patscherkofel Achse durch Igls zeichnet sich auch auf sakraler Ebene ab. Unumstritten ist Innsbruck mit all seinen Sakralbauten das administrativ kulturell sakrale Zentrum des Inntals und damit Startpunkt der sakralen Pat- scherkofel Achsenkomponente. Auf dem Mittelgebirge liegt zuerst die Pfarrkirche Vill. Es folgt der von Marterln begleitete Weg zum neuen Friedhof von Igls und der Friedhof selbst. In Igls Dorfmitte steht die Pfarrkirche Igls umringt von Kreuzen des alten Friedhofs. Auf halber Höhe des Patscherkofels steht die Kirche Heiligwasser. Den Abschluss der Achse bildet der Gipfel des Patscherkofels inklusive Gipfelkreuz mit religiöser Symbolik und inklusive 50m hohem Sendeturm als Teil eines neuen, die alten Kirchtürme ablösenden medialen Netzes. Gewiss hat dieser repräsentativ in der Landschaft stehende Gipfel einen hohen spirituellen Stellenwert. Blicken wir sodann zurück zum Beginn der Achse auf der Inntalsohle, so erkennen wir dort den Flughafen von Innsbruck. Gemeinsam ist der Spiritualität des Gipfels und dem Flugzeug ein Aktionsbereich in höheren Ebenen. Der Gipfel ist jener Punkt auf der Erde, an dem man dem Himmel am nächsten ist. Nur durch das Besteigen eines Flugzeugs kann man dem Himmel noch näher sein. Damit wird der Flughafen Teil einer spirituell aufgeladenen Patscherkofel Achse. Entlang der sich so abzeichnenden Achse verläuft nicht nur der Ramsbach, sondern relativ genau auch die Patscherkofel Seilbahn. Talstation, Mittelstation und Bergstation reihen sich entlang der Achse auf. Die Seilverbindung entlang der spirituellen Achse des Patscherko- fels lässt Vergleiche mit Seilen sakraler Rolle zu. Im Mittelalter erfolgten Kirchengründungen zumeist entlang besonderer Achsen. „Die weltliche Macht versuchte ihre Aktionen [Stadter- weiterungen inkl. Kirchengründungen] zu heiligen, indem sie an heiligen Tagen stattfanden. Die [z.B. Linzer] Pfarrkirche wurde so ausgerichtet, dass die Sonne am Ostersonntag des Gründungsjahres 1207 genau im Kreuzungspunkt von Pfarrkirchenturm und Horizont (Pfen- ningberg) aufging, sofern man vom Absteckpunkt aus in Richtung Pfarrkirche blickte.“ „1693 fand diese Achse nochmals Verwendung, indem die große Glocke vom Hauptplatz aus entlang dieser (...) heiligen Linie mittels Seil in den Turm gehievt, damit der profanen Welt entzogen und der geistlichen Welt zugeführt wurde.“80 Diese Seilverbindung entlang der heiligen Achse von Linz erinnert an jene der Patscherkofelseilbahn entlang der sakralen Patscherkofler Achse, nur dass hier keine Glocke der profanen Welt entzogen wird sondern der für Igls so wichtige Tourist bzw. Sommerfrischler aus dem „profanen“ Alltag. Dazu passend verteilen sich entlang der Achse und konzentrieren sich auf diese dutzen- de Gelegenheiten der Freizeit. Neben der Patscherkofelseilbahn selbst sind dies der Igler Hauptplatz, die Zimmerwiese inklusive Schipiste, der dortige Jugendspielplatz bzw. Genera- tionenplatz, da dort u.a. durch sonnige Bänke und Funcourt unterschiedlichste Altersklassen aufeinandertreffen, der Golfplatz, weitere Schipisten, eine Bobbahn, die Heiligwasserkirche als beliebtes Ausflugsziel mit Gastwirtschaft usw. Die konzeptionelle Einheit dieser Achse wird durch deren eingeschränkte Zugänglichkeit verdeutlicht. Nur wenige topographische Einschnitte führen zur Achse. Die Römerstraße ist die eine Querung, die Patscher- bzw. Lanserstraße die andere Querung. Beide Querungspunkte erhalten über Seilbahnstationen Anschluss an die Achse. Die in Abbildung 3 und Abbildung 8 gezeigten frühgeschichtlichen und spätantiken Fundstät- ten entlang der Achse schreiben dieser eine schon frühe historische Bedeutung zu. Damals positiv dürfte aufgefallen sein, dass entlang dieser Achse sowohl Inntal als auch Wipptal über- blickt werden können. Die Achse Innsbruck-Igls-Patscherkofel bildet sich demnach in unterschiedlichsten Fassetten ab und ist für die Siedlungscharakteristik von Igls prägend. Sie bindet die ansonsten verstreut liegenden Rodungsfelder Römerstraße, Zimmerwiese und Igls Ortsmitte aneinander. Abbildung 56: Spiritualität der Patscherkofel Achse (e.D., KGL Relief, Gebäude, Gewässer, Wald: Land Tirol 2015a) 79 Siedlungsmorphologische Analyse Vertikalität