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Neue Zuercher Zeitung
                                       28. Juni 2011



       Das grosse Geld haben die wenigsten gemacht
        Schweizer Auswanderer in der argentinischen Provinz Misiones

Hunderte von arbeitslosen Schweizern sind ab 1936 in die argentinische
Urwaldprovinz Misiones ausgewandert. Die Kolonien bestehen bis heute fort.
Wirklich reich geworden sind jedoch die wenigsten.

Werner Marti, Ruiz de Montoya

In den Jahren 1936 bis 1938 sind gut 900 Familien oder Einzelpersonen mit finanzieller
Unterstützung des Bundes aus der Schweiz ausgewandert, um in der Ferne in der
Landwirtschaft ein neues Auskommen zu finden. Sie alle waren durch die schwere
Wirtschaftskrise arbeitslos geworden. Die Eidgenossenschaft wollte sie auf diese Weise
von der Liste der Bedürftigen streichen. Das entsprechende Gesetz wurde am 20. Juni
1936 vom Parlament verabschiedet. Es sah vor, dass als geeignet betrachtete Bewerber
ein zinsloses Darlehen von maximal 10 000 Franken erhielten, das die Kosten für die
Reise, den Kauf von Land, Haus und Geräten sowie die übrigen anfallenden Ausgaben
bis zur ersten Ernte decken sollte.

                                 Fehlende Erfahrung

Die Auswanderer sollten sich in der Fremde eine neue Existenz aufbauen und
anschliessend das Darlehen, dessen Laufzeit nicht begrenzt war, zurückzahlen. Sie
wurden unter den Bewerbern aufgrund ihrer psychischen und physischen Belastbarkeit
sowie der Fähigkeit zur Eigenverantwortung ausgewählt. Fast die Hälfte von ihnen -
rund 400 - wählte die Urwaldprovinz Misiones im Nordosten Argentiniens als
Destination.

Die Schweizer Auswanderer waren weder von ihrer Herkunft noch vom Klima her auf
das neue Leben in Misiones vorbereitet. Sie stammten aus dem Arbeitermilieu oder aus
kleingewerblichen Betrieben, die wegen der Wirtschaftskrise schliessen mussten. Mit
der Bodenbewirtschaftung hatten sie in den allermeisten Fällen keine Erfahrung,
abgesehen von einem kurzen landwirtschaftlichen Ausbildungskurs im Tessin, den sie
als Bedingung für die Unterstützung durch den Bund absolvieren mussten. Die harte
und ungewohnte Arbeit auf dem Lande wurde zudem durch das feuchtheisse,
subtropische Klima erschwert.

Einer der Orte, in denen sich besonders viele Schweizer niederliessen, ist die damalige
Kolonie Línea Cuchilla, die heute den Namen Ruiz de Montoya trägt. Der Ort ist bis
heute eine Streusiedlung geblieben. Er wird definiert durch die Landparzellen, die
damals dem Urwald abgerungen worden waren und auf denen die Familien auch ihre
Häuser errichteten. Der Ortskern besteht nur aus wenigen Gebäuden, unter anderem
dem Schweizer-Klub. Wie eine Fahrt durch das Siedlungsgebiet der damaligen
Schweizer Einwanderer zeigt, wird dieses bis heute hauptsächlich von deren
Nachfahren bewohnt. Die Namen der Anwohner könnten gut aus einem Schweizer
Telefonbuch stammen: Flückiger, Minder, Muster, Schär, Schedler, Schweri,
Weidmann, Zimmermann usw. In den Häusern wird immer noch Schweizerdeutsch
gesprochen, auch wenn bei der jüngeren Generation Spanisch dominiert.




                    Neue Zuercher Zeitung
                                      28. Juni 2011




Historische Aufnahme von Schweizer Siedlern in Oberá in der argentinischen Provinz
Misiones.
                                                      CAMARA DE COMERCIO SUIZO, BUENOS AIRES




                                52-tägige Reise

Eine der letzten Überlebenden der Gründergeneration ist Ruth Keller-Lienhard, die
1937 als Zehnjährige nach Línea Cuchilla gekommen war. Sie kann sich noch lebhaft an
die damalige Überfahrt und den schwierigen Anfang erinnern. Ihre Familie lebte in
Buchs bei Aarau, so erzählt sie auf der Terrasse ihres Hauses. Ihr Vater, der als Wagner
arbeitete, wurde schwer von der Wirtschaftskrise getroffen. Er musste die Werkstatt
verkaufen und beschloss, mit einem Darlehen des Bundes das Glück in Argentinien zu
versuchen. Am Abend des 1. August 1937 traf man sich mit einer weiteren
auswanderungswilligen Familie am Bahnhof Olten und bestieg den Zug Richtung Le
Havre. «Sozusagen zum Abschied konnten wir von unserem Abteil aus das Feuerwerk
zum Nationalfeiertag mitverfolgen», erzählt Ruth Keller. Das Billett für die Eltern,
ihren Bruder und sie habe 2500 Franken gekostet, erinnert sie sich, damals ein sehr
stolzer Betrag. Inbegriffen waren rund 100 Kilogramm Gepäck pro Person.

Von Le Havre ging es mit dem Schiff dann weiter nach Buenos Aires und von dort
wieder mit dem Zug nach Posadas, der Hauptstadt von Misiones, am südlichen Ende der
Provinz. Weiter nach Norden in das vorgesehene Siedlungsgebiet gab es damals noch
keinen brauchbaren Transportweg über Land durch den Urwald. Die Auswanderer
wurden deshalb per Schiff den Río Paraná hinauf zum Hafen Puerto Rico gebracht, wo
sie am 21. September um Mitternacht schliesslich ihr gelobtes Land erreichten.
Während der ersten zwei Wochen hätten sie dort wie die meisten Schweizer
Einwanderer im noch heute existierenden Hotel Suizo gelebt, erzählt Ruth Keller.
Während dieser Zeit kaufte ihr Vater von einer deutschen Kolonisationsgesellschaft eine
Urwaldparzelle von rund 20 Hektaren und bereitete das neue Heim vor.

Der Anfang war schwierig. Der Urwald musste von Hand gerodet werden - zu Beginn
zwei Hektaren, eine schwere Arbeit, umso mehr als man dies aus der Schweiz nicht
gewohnt war. Für solche Arbeiten taten sich in der Regel mehrere Einwandererfamilien
zusammen; man half sich gegenseitig aus. Wer über mehr Mittel verfügte, konnte lokale
Arbeitskräfte anstellen. Auch das feuchtheisse Klima machte zu schaffen, die tropischen
Krankheiten, die Stechmücken und sonstige Insekten, die giftigen Schlangen und andere
Tiere. Ruth Kellers Vater entwickelte eine Allergie gegen die starke Sonne. Er musste
darauf die Feldarbeit aufgeben und als Schreiner arbeiten. Für die Kinder gab es erst
nach zwei Jahren wieder eine Möglichkeit, die Schule zu besuchen. Doch das Leben
blieb noch lange einfach. Erst 1972 erreichte die Elektrizitätsversorgung das Gebiet, bis
dahin hatte man sich mit Generatoren behelfen müssen. Wegzugehen aus der Schweiz,
habe ihr nicht viel ausgemacht, meint Ruth Keller, sie sei schon immer abenteuerlustig
gewesen. Wenn sie später Heimweh verspürt habe, dann sei sie auf den Dachgiebel
gestiegen und habe die sogenannten blauen Berge am Horizont angeschaut, eine
Hügelkette, die von weitem dem Jura in der alten Heimat gleicht. Sie ist als Einzige
ihrer vierköpfigen Familie wieder für einen Besuch in die Schweiz zurückgekehrt. Sie
meint, heute könnte sie nicht mehr dort leben. Die Schweiz sei für sie zu wild
geworden. Bei ihrer Ausreise 1937 habe es nur ein einziges Auto im Dorf gegeben.

                                 Mit eigenen Mitteln

Vor der Ankunft der sogenannt subventionierten Einwanderer hatte es in Misiones
zwischen 1918 und 1930 bereits eine erste Welle schweizerischer Immigration gegeben.
Im Gegensatz zur zweiten stammten deren Protagonisten aber hauptsächlich aus der
Oberschicht und dem Bürgertum. Sie kamen mit eigenen finanziellen Mitteln nach
Misiones, teilweise um hier angesichts der unsicheren Zeiten in Europa grössere
Beträge in der Landwirtschaft anzulegen. Einige von ihnen waren in Zürich oder
Lausanne an der Eidgenössischen Technischen Hochschule ausgebildete
Agraringenieure. Misiones erschien damals besonders attraktiv als Anbaugebiet für
Yerba Mate, die Blätter des Mate-Baumes, die für ein im südlichen Südamerika
weitverbreitetes Aufgussgetränk verwendet werden. Der Anbau warf so hohen Gewinn
ab, dass Yerba Mate auch als grünes Gold bezeichnet wurde. In den dreissiger Jahren
brachen die Preise wegen Überproduktion ein. 1935 erliess die argentinische Regierung
deswegen ein Verbot von neuen Yerba-Pflanzungen.

Die subventionierten Einwanderer, die in den darauffolgenden Jahren unter anderem
wegen der Verheissung des grünen Goldes nach Misiones kamen, erfuhren vom
Anbauverbot allerdings erst nach ihrer Ankunft. Sie mussten sich neu orientieren und
lebten hauptsächlich vom traditionellen Anbau von Maniok, Süsskartoffeln und Mais
sowie von etwas Viehzucht. Etwas bessere Renditen konnten zeitweise mit Tabak und
mit dem Tungölbaum erwirtschaftet werden, doch brach der Markt bei Letzterem nach
der Entwicklung von Kunstharzen auch wieder ein. Das erhoffte Paradies im fernen
Südamerika fanden deshalb nur die wenigsten Einwanderer. Generell gesagt, meint
Hansruedi Würgler, der langjährige frühere Schweizer Konsul in Misiones, habe am
ehesten eine Chance zum Aufsteigen gehabt, wer mit eigenen Mitteln nach Argentinien
gekommen sei. Aber selbst dann war der Erfolg keineswegs garantiert. Oft machten
Unfälle und Krankheiten einen Strich durch die Rechnung. Von den subventionierten
Einwanderern kamen die wenigsten zu Reichtum. Besonders schwierig hatten es
Arbeiter und Angestellte. Wer in der Schweiz einen eigenen Betrieb besessen habe,
habe eher noch Chancen gehabt zu reüssieren, so Würgler. Nur ein kleiner Teil der
staatlichen Darlehen wurde zurückbezahlt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden den
Auswanderern die verbliebenen Schulden schliesslich ganz erlassen.

In den sechziger Jahren eröffnete sich mit der Hochkonjunktur in Europa eine neue
Verdienstmöglichkeit für die Schweizer Einwanderer in Misiones. Im Gegensatz zu
älteren Schweizer Kolonien verfügten hier auch die Nachkommen der Immigranten in
der Regel noch über den Schweizer Pass. Dies machte sie interessant auf dem
helvetischen Arbeitsmarkt, wo Arbeitskräfte fehlten und Bewilligungen für Ausländer
begrenzt waren. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre zogen zwei Misiones-
Schweizer durch Vermittlung einer Kontaktperson nach Rapperswil, um in einem
dortigen Industriebetrieb eine Stelle anzutreten. Ihnen folgten weitere nach, und bald
waren Arbeitskräfte aus Misiones in der Region so gesucht, dass sich in der Kleinstadt
am oberen Zürichsee ein Argentinier-Klub von mehr als hundert Mitgliedern bilden
konnte.

                                   Platz zum Auftanken

Ein Teil der Misiones-Schweizer entschied sich, definitiv in der alten Heimat zu
bleiben, andere kehren nach vielen Jahren wieder nach Argentinien zurück, wieder
andere arbeiten ein- oder mehrmals temporär in der Schweiz, um nachher das Ersparte
in Misiones zu investieren. Für die Letztgenannten ist die Schweiz so etwas wie ein
Platz zum Auftanken geworden, wo sie ihr oftmals vergleichsweise spärliches
Einkommen aus Misiones aufbessern können. Die Arbeitsbeziehungen zur Schweiz
haben dazu geführt, dass ein lebhaftes Beziehungsnetz zur alten Heimat weiterbesteht.

Heute leben noch rund 2800 Personen mit dem Schweizer Pass in Misiones. Über die
Jahre musste die Eidgenossenschaft eine grössere Anzahl von ihnen, die in soziale Not
geraten waren, finanziell unterstützen. Laut Hansruedi Würgler gibt es heute aber nur
noch fünf Fälle, die Direktunterstützung aus Bern erhalten. Wegen des Spardrucks
musste diese Hilfe stark zurückgefahren werden. Zudem haben die in Misiones
geborenen Schweizer auch den argentinischen Pass, und Doppelbürger werden von der
Schweiz nicht unterstützt.



                Diesen Artikel finden Sie im NZZ E-Paper unter: http://epaper.nzz.ch

                                 NZZ Online: http://www.nzz.ch
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  • 1. Neue Zuercher Zeitung 28. Juni 2011 Das grosse Geld haben die wenigsten gemacht Schweizer Auswanderer in der argentinischen Provinz Misiones Hunderte von arbeitslosen Schweizern sind ab 1936 in die argentinische Urwaldprovinz Misiones ausgewandert. Die Kolonien bestehen bis heute fort. Wirklich reich geworden sind jedoch die wenigsten. Werner Marti, Ruiz de Montoya In den Jahren 1936 bis 1938 sind gut 900 Familien oder Einzelpersonen mit finanzieller Unterstützung des Bundes aus der Schweiz ausgewandert, um in der Ferne in der Landwirtschaft ein neues Auskommen zu finden. Sie alle waren durch die schwere Wirtschaftskrise arbeitslos geworden. Die Eidgenossenschaft wollte sie auf diese Weise von der Liste der Bedürftigen streichen. Das entsprechende Gesetz wurde am 20. Juni 1936 vom Parlament verabschiedet. Es sah vor, dass als geeignet betrachtete Bewerber ein zinsloses Darlehen von maximal 10 000 Franken erhielten, das die Kosten für die Reise, den Kauf von Land, Haus und Geräten sowie die übrigen anfallenden Ausgaben bis zur ersten Ernte decken sollte. Fehlende Erfahrung Die Auswanderer sollten sich in der Fremde eine neue Existenz aufbauen und anschliessend das Darlehen, dessen Laufzeit nicht begrenzt war, zurückzahlen. Sie wurden unter den Bewerbern aufgrund ihrer psychischen und physischen Belastbarkeit sowie der Fähigkeit zur Eigenverantwortung ausgewählt. Fast die Hälfte von ihnen - rund 400 - wählte die Urwaldprovinz Misiones im Nordosten Argentiniens als Destination. Die Schweizer Auswanderer waren weder von ihrer Herkunft noch vom Klima her auf das neue Leben in Misiones vorbereitet. Sie stammten aus dem Arbeitermilieu oder aus kleingewerblichen Betrieben, die wegen der Wirtschaftskrise schliessen mussten. Mit der Bodenbewirtschaftung hatten sie in den allermeisten Fällen keine Erfahrung, abgesehen von einem kurzen landwirtschaftlichen Ausbildungskurs im Tessin, den sie als Bedingung für die Unterstützung durch den Bund absolvieren mussten. Die harte und ungewohnte Arbeit auf dem Lande wurde zudem durch das feuchtheisse, subtropische Klima erschwert. Einer der Orte, in denen sich besonders viele Schweizer niederliessen, ist die damalige Kolonie Línea Cuchilla, die heute den Namen Ruiz de Montoya trägt. Der Ort ist bis heute eine Streusiedlung geblieben. Er wird definiert durch die Landparzellen, die damals dem Urwald abgerungen worden waren und auf denen die Familien auch ihre Häuser errichteten. Der Ortskern besteht nur aus wenigen Gebäuden, unter anderem dem Schweizer-Klub. Wie eine Fahrt durch das Siedlungsgebiet der damaligen Schweizer Einwanderer zeigt, wird dieses bis heute hauptsächlich von deren Nachfahren bewohnt. Die Namen der Anwohner könnten gut aus einem Schweizer
  • 2. Telefonbuch stammen: Flückiger, Minder, Muster, Schär, Schedler, Schweri, Weidmann, Zimmermann usw. In den Häusern wird immer noch Schweizerdeutsch gesprochen, auch wenn bei der jüngeren Generation Spanisch dominiert. Neue Zuercher Zeitung 28. Juni 2011 Historische Aufnahme von Schweizer Siedlern in Oberá in der argentinischen Provinz Misiones. CAMARA DE COMERCIO SUIZO, BUENOS AIRES 52-tägige Reise Eine der letzten Überlebenden der Gründergeneration ist Ruth Keller-Lienhard, die 1937 als Zehnjährige nach Línea Cuchilla gekommen war. Sie kann sich noch lebhaft an die damalige Überfahrt und den schwierigen Anfang erinnern. Ihre Familie lebte in Buchs bei Aarau, so erzählt sie auf der Terrasse ihres Hauses. Ihr Vater, der als Wagner arbeitete, wurde schwer von der Wirtschaftskrise getroffen. Er musste die Werkstatt verkaufen und beschloss, mit einem Darlehen des Bundes das Glück in Argentinien zu versuchen. Am Abend des 1. August 1937 traf man sich mit einer weiteren auswanderungswilligen Familie am Bahnhof Olten und bestieg den Zug Richtung Le Havre. «Sozusagen zum Abschied konnten wir von unserem Abteil aus das Feuerwerk zum Nationalfeiertag mitverfolgen», erzählt Ruth Keller. Das Billett für die Eltern, ihren Bruder und sie habe 2500 Franken gekostet, erinnert sie sich, damals ein sehr stolzer Betrag. Inbegriffen waren rund 100 Kilogramm Gepäck pro Person. Von Le Havre ging es mit dem Schiff dann weiter nach Buenos Aires und von dort wieder mit dem Zug nach Posadas, der Hauptstadt von Misiones, am südlichen Ende der
  • 3. Provinz. Weiter nach Norden in das vorgesehene Siedlungsgebiet gab es damals noch keinen brauchbaren Transportweg über Land durch den Urwald. Die Auswanderer wurden deshalb per Schiff den Río Paraná hinauf zum Hafen Puerto Rico gebracht, wo sie am 21. September um Mitternacht schliesslich ihr gelobtes Land erreichten. Während der ersten zwei Wochen hätten sie dort wie die meisten Schweizer Einwanderer im noch heute existierenden Hotel Suizo gelebt, erzählt Ruth Keller. Während dieser Zeit kaufte ihr Vater von einer deutschen Kolonisationsgesellschaft eine Urwaldparzelle von rund 20 Hektaren und bereitete das neue Heim vor. Der Anfang war schwierig. Der Urwald musste von Hand gerodet werden - zu Beginn zwei Hektaren, eine schwere Arbeit, umso mehr als man dies aus der Schweiz nicht gewohnt war. Für solche Arbeiten taten sich in der Regel mehrere Einwandererfamilien zusammen; man half sich gegenseitig aus. Wer über mehr Mittel verfügte, konnte lokale Arbeitskräfte anstellen. Auch das feuchtheisse Klima machte zu schaffen, die tropischen Krankheiten, die Stechmücken und sonstige Insekten, die giftigen Schlangen und andere Tiere. Ruth Kellers Vater entwickelte eine Allergie gegen die starke Sonne. Er musste darauf die Feldarbeit aufgeben und als Schreiner arbeiten. Für die Kinder gab es erst nach zwei Jahren wieder eine Möglichkeit, die Schule zu besuchen. Doch das Leben blieb noch lange einfach. Erst 1972 erreichte die Elektrizitätsversorgung das Gebiet, bis dahin hatte man sich mit Generatoren behelfen müssen. Wegzugehen aus der Schweiz, habe ihr nicht viel ausgemacht, meint Ruth Keller, sie sei schon immer abenteuerlustig gewesen. Wenn sie später Heimweh verspürt habe, dann sei sie auf den Dachgiebel gestiegen und habe die sogenannten blauen Berge am Horizont angeschaut, eine Hügelkette, die von weitem dem Jura in der alten Heimat gleicht. Sie ist als Einzige ihrer vierköpfigen Familie wieder für einen Besuch in die Schweiz zurückgekehrt. Sie meint, heute könnte sie nicht mehr dort leben. Die Schweiz sei für sie zu wild geworden. Bei ihrer Ausreise 1937 habe es nur ein einziges Auto im Dorf gegeben. Mit eigenen Mitteln Vor der Ankunft der sogenannt subventionierten Einwanderer hatte es in Misiones zwischen 1918 und 1930 bereits eine erste Welle schweizerischer Immigration gegeben. Im Gegensatz zur zweiten stammten deren Protagonisten aber hauptsächlich aus der Oberschicht und dem Bürgertum. Sie kamen mit eigenen finanziellen Mitteln nach Misiones, teilweise um hier angesichts der unsicheren Zeiten in Europa grössere Beträge in der Landwirtschaft anzulegen. Einige von ihnen waren in Zürich oder Lausanne an der Eidgenössischen Technischen Hochschule ausgebildete Agraringenieure. Misiones erschien damals besonders attraktiv als Anbaugebiet für Yerba Mate, die Blätter des Mate-Baumes, die für ein im südlichen Südamerika weitverbreitetes Aufgussgetränk verwendet werden. Der Anbau warf so hohen Gewinn ab, dass Yerba Mate auch als grünes Gold bezeichnet wurde. In den dreissiger Jahren brachen die Preise wegen Überproduktion ein. 1935 erliess die argentinische Regierung deswegen ein Verbot von neuen Yerba-Pflanzungen. Die subventionierten Einwanderer, die in den darauffolgenden Jahren unter anderem wegen der Verheissung des grünen Goldes nach Misiones kamen, erfuhren vom Anbauverbot allerdings erst nach ihrer Ankunft. Sie mussten sich neu orientieren und lebten hauptsächlich vom traditionellen Anbau von Maniok, Süsskartoffeln und Mais sowie von etwas Viehzucht. Etwas bessere Renditen konnten zeitweise mit Tabak und mit dem Tungölbaum erwirtschaftet werden, doch brach der Markt bei Letzterem nach
  • 4. der Entwicklung von Kunstharzen auch wieder ein. Das erhoffte Paradies im fernen Südamerika fanden deshalb nur die wenigsten Einwanderer. Generell gesagt, meint Hansruedi Würgler, der langjährige frühere Schweizer Konsul in Misiones, habe am ehesten eine Chance zum Aufsteigen gehabt, wer mit eigenen Mitteln nach Argentinien gekommen sei. Aber selbst dann war der Erfolg keineswegs garantiert. Oft machten Unfälle und Krankheiten einen Strich durch die Rechnung. Von den subventionierten Einwanderern kamen die wenigsten zu Reichtum. Besonders schwierig hatten es Arbeiter und Angestellte. Wer in der Schweiz einen eigenen Betrieb besessen habe, habe eher noch Chancen gehabt zu reüssieren, so Würgler. Nur ein kleiner Teil der staatlichen Darlehen wurde zurückbezahlt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden den Auswanderern die verbliebenen Schulden schliesslich ganz erlassen. In den sechziger Jahren eröffnete sich mit der Hochkonjunktur in Europa eine neue Verdienstmöglichkeit für die Schweizer Einwanderer in Misiones. Im Gegensatz zu älteren Schweizer Kolonien verfügten hier auch die Nachkommen der Immigranten in der Regel noch über den Schweizer Pass. Dies machte sie interessant auf dem helvetischen Arbeitsmarkt, wo Arbeitskräfte fehlten und Bewilligungen für Ausländer begrenzt waren. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre zogen zwei Misiones- Schweizer durch Vermittlung einer Kontaktperson nach Rapperswil, um in einem dortigen Industriebetrieb eine Stelle anzutreten. Ihnen folgten weitere nach, und bald waren Arbeitskräfte aus Misiones in der Region so gesucht, dass sich in der Kleinstadt am oberen Zürichsee ein Argentinier-Klub von mehr als hundert Mitgliedern bilden konnte. Platz zum Auftanken Ein Teil der Misiones-Schweizer entschied sich, definitiv in der alten Heimat zu bleiben, andere kehren nach vielen Jahren wieder nach Argentinien zurück, wieder andere arbeiten ein- oder mehrmals temporär in der Schweiz, um nachher das Ersparte in Misiones zu investieren. Für die Letztgenannten ist die Schweiz so etwas wie ein Platz zum Auftanken geworden, wo sie ihr oftmals vergleichsweise spärliches Einkommen aus Misiones aufbessern können. Die Arbeitsbeziehungen zur Schweiz haben dazu geführt, dass ein lebhaftes Beziehungsnetz zur alten Heimat weiterbesteht. Heute leben noch rund 2800 Personen mit dem Schweizer Pass in Misiones. Über die Jahre musste die Eidgenossenschaft eine grössere Anzahl von ihnen, die in soziale Not geraten waren, finanziell unterstützen. Laut Hansruedi Würgler gibt es heute aber nur noch fünf Fälle, die Direktunterstützung aus Bern erhalten. Wegen des Spardrucks musste diese Hilfe stark zurückgefahren werden. Zudem haben die in Misiones geborenen Schweizer auch den argentinischen Pass, und Doppelbürger werden von der Schweiz nicht unterstützt. Diesen Artikel finden Sie im NZZ E-Paper unter: http://epaper.nzz.ch NZZ Online: http://www.nzz.ch Copyright (c) Neue Zürcher Zeitung AG