Im HR Today erschien ein Pro und mein Kontra zur gendergerechten Sprache. Während die Online-Kommunikations-Dozentin Su Franke Schräg- und Bindestriche für einen Anachronismus hält, plädiert die ZHAW-Professorin Christiane Hohenstein für die geschlechtsspezifische Anpassung von Texten. (Das Wort Anachronismus hätte ich nicht benutzt, aber finde es dennoch passend)
2010: Artikel Braucht die Unternehmenskommunikation Social Media?
HR Today gendergerechte Sprache Pro und Kontra
1. Meinung Debatte
HR Today 4 | 201754
Ein Beispiel aus dem Organisationsalltag: Eine Kadersitzung,
zehn Frauen, vier Männer sowie ein Referent, der eine neue
Applikationvorstellt.DerReferentträgtlebhaftundpraxisnah
vor. Er gibt viele Beispiele, in denen der Vorgesetzte mit seinen
Mitarbeitern das Programm anwendet. Nach fünfzehn Minu-
tenwirdesimPublikumunruhig.EinKollegebemerktzueiner
Kollegin, es sei ausgesprochen auffällig, dass der Referent im-
mer nur von Männern spreche, wo doch im Raum und in der
Organisationseinheit überwiegend Frauen beschäftigt seien.
Die Unruhe steigt, die Aufmerksamkeit im Raum lässt nach.
Der Referent verliert Wirkung
und Publikum, weil er die Wirk-
lichkeit um sich herum sprach-
lich nicht angemessen erfasst
hat. Darauf angesprochen, ver-
änderte er seine Redeweise und
konnte sein Publikum zurückge-
winnen.
Sprache stellt Wirklichkeit
herundbestimmtsounserDenken.DieswirdseitWilhelmvon
Humboldt diskutiert. Aber gendergerechte Sprache wird im-
mer wieder kritisiert. Gegner bezweifeln, dass sprachliche
Gleichbehandlung etwas bewirken könne. Die oben geschil-
derte Szene widerlegt dies jedoch. Häufig wird argumentiert,
Frauen seien mitgemeint in der generischen männlichen
Form. Replizierbare Untersuchungen zeigen aber, dass dies
nicht so ist. Machen Sie den Versuch, mit sich und mit ande-
ren: Nennen Sie fünf bekannte Sänger! Wäre es Ihnen bei
dieser Frage in den Sinn gekommen, eine Frau zu benennen?
Deshalb reicht es nicht, sich zu exkulpieren, indem Sie am
Anfang eines Textes anmerken, männliche Formen meinten
auch Frauen. Auch wenn Sie denken, dass derText sonst nicht
mehrlesbarwäre:EingutverfassterTextistklar,eindeutigund
abwechslungsreich geschrieben und verwendet eine Vielzahl
an Ausdrücken. Das trifft auch auf gendergerechte Texte zu.
Wenn ein Artikel von «Patienten, die abgetrieben haben»
spricht, ist das schlicht falsch, es sei denn, Männer würden
schwanger werden. Auch die Stellenanzeige eines Unterneh-
mens, das eine «Chefsekretärin (m/w)» sucht, ist eher rätsel-
haft als zweckdienlich. Kritische Stimmen behaupten, man
müsse mehr nachdenken, wie
man wem gegenüber was sage,
um Männer und Frauen sprach-
lich gleich zu behandeln. Gute
Kommunikation ist jedoch im
Arbeitsleben zentral.
Sie wollen Männer wie
Frauen für sich gewinnen, Ihr
Gegenüber respektvoll behan-
deln und eine wertschätzende Kultur des Umgangs miteinan-
der prägen? – Dafür lohnt es sich nachzudenken, ungeachtet
dessen, ob es sich um ein E-Mail an Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter handelt, eine Stellenanzeige oder um ein Arbeitsge-
spräch. Ein Kollege fragte mich: «Und wo bleibt die Redefrei-
heit, wenn ich gezwungen bin, meine Sprache zu normieren
und zu kontrollieren?» Niemand wird dazu gezwungen. Jede
und jeder kann überlegen und frei entscheiden, wie diskrimi-
nierungsfreikommuniziertwird.IstesIhnennichtauchwich-
tig, im Berufsalltag respektvoll und gleichwertig angespro-
chen zu werden? ■
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Während die Online-Kommunikations-Dozentin Su Franke Schräg- und Bindestriche für einen Anachronismus
hält, plädiert die ZHAW-Professorin Christiane Hohenstein für die geschlechtsspezifische Anpassung vonTexten.
Gendergerechte Sprache?
«Sprache stellt Wirklichkeit her
und dies bestimmt unser Denken.»
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Christiane Hohen-
stein ist Professorin
für Interkulturalität
und Sprachdiversi-
tät sowie Diversity-
Beauftragte an der
Zürcher Hochschule
für Angewandte
Wissenschaften.
Pro
2. Debatte Meinung
HR Today 4 | 2017 55
In den 90ern hörte ich in einer Satiresendung «Liebe Höre-
rinnen und Hörer an den Radioapparatinnen». Danach habe
ich viel über das künstliche Sprachhindernis der genderge-
rechten Formulierungen nachgedacht. Innere Einstellungen
werden wir damit nicht verändern. Gendergerechte Formulie-
rungen stehen uns beim Sprechen und Schreiben meist im
Weg. Sätze klingen aufgedunsen oder unpersönlich, beson-
ders in unserer Kurznachrichtenwelt. Universitäten veröffent-
lichen Leitfäden, die helfen sollen, korrekt, aber lesefreundlich
zuformulieren.InGeschäftsberichtenwirdeinführenddarauf
verwiesen, dass nachfolgend
stets beide Geschlechter gemeint
sind.SchreibendeMenschenha-
ben längst ihre Wege und Ab-
kürzungen gefunden, die einer
gleichstellenden Schreibweise
gerecht werden sollen. Varian-
ten mit Schräg- und Bindestri-
chen trennen, was sie eigentlich
vereinen sollten. Worte werden unaussprechlich, aber man
würdigt zumindest die gute Absicht des Autors. Ich könnte
auch «frau würdigt» schreiben, aber das ist orthografisch
nicht korrekt. Sagt eine Geschäftsführerin «liebe Mitarbeiter/-
innen», fühlen sich die männlichen Kollegen nicht angespro-
chen. Formuliert sie «liebe Mitarbeitende», kommt das bei mir
nicht an, weil es nicht meiner Muttersprache entspricht.
Bei manchen Wörtern ist es leichter, männliche und weib-
licheFormenzunutzen.NiemandstellteineGeschäftsführerin
oder Ärztin in Frage. Oder staunen wir im Jahr 2017 noch,
dasses«sogar»eineFraugeschaffthat?Fallsja,istfürmichdas
Ziel weit verfehlt, wollten wir doch gleiche Chancen über die
Sprachesuggerieren.UnserDenkenbeeinflusst,waswirsagen
und schreiben, und umgekehrt.
Aber können wir über eine unnatürliche Formulierung
tatsächlich das Denken verändern? Ich habe Leute gesehen,
die daran verzweifeln, die geforderten Schreibweisen für
Gleichstellung einzuhalten. Unauffälliges Augen-Verdrehen
hilft der Sache nicht. Im Gegenteil: Es ist ein unangenehmes
Hindernis entstanden. Und auch dieses beeinflusst unser Den-
ken. Wird die (sprachliche) Gleichstellung der Frau als an-
strengend oder gar lächerlich
empfunden, wie sollen sich Men-
schen dann beim Handeln dafür
einsetzen?WirsolltenGleichstel-
lung in einen grösseren Kontext
stellen. Gleichstellen sollten wir
Menschen in ihrer Vielfalt.
Transgender, Schwangere, äl-
tere und jüngere Leute, unge-
wöhnliche Lebensformen sowie Menschen mit Behinde-
rungen, aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen oder
fremden Kulturen. Manche Sprachen kommen ohne ge-
schlechtsspezifische Pronomen aus. Dort ist «der» Mensch
weder männlich noch weiblich, sondern ein Mensch. Statt
Sprachhindernisse weiter zu verteidigen, enttarnen wir lieber
Diskriminierung im alltäglichen Handeln. Ich wünsche mir,
dass wir unsere Sprache in klaren, verständlichen Formen
nutzen, um damit mehr Gleichheit zu schaffen. Mit hinder-
lichen Sprachregelungen haben wir es jedenfalls nicht
geschafft. ■
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«Gendergerechte Formulierungen
stehen uns beim Sprechen und
Schreiben meist im Weg.»
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Su Franke ist selb-
ständige Beraterin
und Dozentin für
Online-Kommuni-
kation, vorwiegend
an der FHNW in
Olten.
Kontra