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Kapitel 12
Das somatosensorische System (Teil 1)

- Somatosensorische Wahrnehmung umfasst das Ertasten von Dingen und das
Empfinden von Schmerz und Kälte.
- Es unterscheidet sich von anderen Sommessystemen in 2 Punkten:
  1. Seine Rezeptoren sind über DEN GANZEN KÖRPER verteilt
  2. Sinnessystem als eine Gruppe von 4 verschiedenen Sinnen
     zusammengefasst werden, die auch wieder Untergruppen haben:
     Tastsinn, Temperatursinn, Schmerzsinn und Propriozeption (also
     alle Körperwahrnehmungen außer Geschmacks-, Geruchs-, Seh-,
     Hör- und Gleichgewichtssinn)
- Ein einzelner Reiz aktiviert viele Sinnesrezeptoren und ein einzelner Sinnesrezeptor
kann so verschiedene Merkmale wie die Intensität, die Dauer, die Position und
manchmal auch die Richtung eines Reizes verarbeiten. Das ZNS interpretiert die
Aktivität aller stimulierenden Rezeptoren und erzeugt so ein stimmiges
Wahrnehmungsbild.

Tastsinn
- 2 Hauttypen: Behaarte (Handrücken) und unbehaarte Haut
              (Handfläche)
- Äußere Schicht der Haut (Epidermis), innere Schicht (Dermis)
- Funktionen der Haut: Schutzfunktion verhindert Verdunstung von
Körperflüssigkeiten und vermittelt direkten Kontakt mit der
Außenwelt

- die meisten Rezeptorzellen sind
Mechanorezeptoren (überall im Körper)
    Abb. 12.1.:
  a. in behaarter und unbehaarter Haut
    (Dermis):
     1. Vater-Pacini-Körperchen
        (größter Rezeptor)
     2. Ruffini-Körperchen
  b. in unbehaarter Haut (Epidermis):
     3. Meissner-Körperchen
     4. Merkelzell-Rezeptoren

- reagieren auf physische Verformungen
- überwachen Hautkontakt, Blutdruck, Dehnungszustand der Verdauungsorgane,
Druckeinwirkung auf die Zähne
(- im Inneren befinden sich nichtmyelinisierte Endigungen der Nervenfasern – diese
Axonterminalen besitzen mechanosensitive Ionenkanäle, die auch mechanische Reize
ansprechen)
- Mechanorezeptoren sprechen auf verschiedene Reizarten an und unterscheiden sich
in ihrere Empfindlichkeit und der Größe ihrer rezeptiven Felder Abb. 12.2. und
12.3.:




                                                                                    1
a. Empfindlichkeit:
     - schnell-adaptierende Rezeptoren (schnelle Reaktion auf Reiz
        und Entladungsrate nimmt schnell ab):
        Meissner- und Pacini-Körperchen
     - langsam-adaptierende Rezeptoren (lang andauernde Antwort
        auf lang anhaltenden Reiz):
        Merkelzell- und Ruffini-Körperchen
  b. Größe der rezeptiven Felder:
     - große: Vater-Pacini- Körperchen und Ruffini-Körperchen
     - kleine: Meissner-Körperchen und Merkelzell-Rezeptoren
- Haare sind Teil des sensiblen Rezeptorsystems
- Haarbildung geschieht in den Haarfollikeln, die durch freue Nervenfasern innerviert
sind
- Die Biegung des Haares verursacht eine Deformation des Follikels und der
umliegenden Hautgewebe es kommt zur Dehnung, Verbiegung der Verflachung
der naheliegenden Nervenendigungen, die daraufhin die Entladungsrate ihrer
Aktionspotenziale erhöhen. Die Mechanorezeptoren der Haarfollikel können langsam
oder schnell adaptierend sein.
- unterschiedliche Sinneswahrnehmungen höchste Empfindlichkeit Pacini-
Körperchen (200-300 Hz), Meissner-Körperchen (50 Hz), Ruffini- und Meissner-
Körpcherchen

Vibration und Pacini-Körperchen
- Pacini-Körperchen: aus 20-70 Gewebsschichten (Perineural- und Schwannzellen)
zusammengesetzt, in der Mitte ist die Axonterminale
- mechanische Verformung mechanische Ernergie überträgt sich auf
Nervenendigung Deformation Öffnung mechanosensitive Ionenkanäle
Ionenfluss erzeugt depolarisierendes Rezeptorpotenzial
- Depolarisation stark Aktionspotenzial wird ausgelöst
- Bei gleichbleibender Reizintensität keine Verformung der Axonterminale und
somit kein Rezeptorpotenzial
- Nimmt Druck wieder ab Terminale wird erneut depolarisiert Aktionspotentiale
werden generiert
- die Kapsel mit den Gewebsschichten ist dafür verantwortlich, dass Pacini-
Körperchen unempfindlich für niedfrequente Reize und T
Reize mit konstanter Druckstärke sind (Adaptationsrate würde durch das Entfernen
der Kapsel verlangsamt)



                                                                                   2
Zweipunktdiskrimination (Fähigkeit, räumlich
eng benachbarte Reize als getrennt wahrzunehmen)
- Zweipunktdiskriminationstest ist eine Methode, das
räumliche Auflösungsvermögen zu bestimmen
- Hohe Variation im ganzen Körper
- Fingerkuppen (nicht Ellenbogen) haben die höchste
Auflösung, da
  1. Höhere Dichte an Mechanorezeptoren

 2. Viele Rezeptortypen mit kleinen rezeptiven
    Feldern
 3. Mehrere Gehirngewebe sind für die
    Verarbeitung der Sinnesinformationen

zugeteilt
  4. Es könnte spezielle neuronale Mechanismen geben, die mit den
     hochauflösenden Diskriminationsleistungen in Zusammenhang
     stehen

Primär afferente Nervenfasern
- primär afferente Nervenfasern:
Nervenfasern, die die von ihren sensorischen
Endigungen aufgenommenen Informationen
zum Rückenmark oder Hirnstamm (ZNS)
weiterleiten. Diese Axone treten durch
die Hinterwurzel ins Rückenmark ein.
Ihre Zellkörper liegen im Spinalganglion
    Abb. 12.8.
- Größenunterschiede: der Durchmesser eines
Axons korreliert mit seiner
Leistungsgeschwindigkeit und mit dem
Sinnesrezeptortyp 12.9.
  - Axone der Haut: Aα, Aβ, Aδ, C
  - Axone der Muskeln/Sehnen: I, II, III, IV
- Leistungsgeschwindigkeit eines
Aktionspotenzials ist vom Durchmesser des Axons
und seiner Myelinisierung abhängig:
  - C-Fasern sind die kleinsten und
    langsamsten (0,5-2 m/s) Axone
    und besitzen keine Myelinschicht. Sie
    sind für die Vermittlung von
    Schmerz- und
    Temperaturwahrnehmungen
    zuständig
  - Aβ sind relativ große und schnelle (75 m/s) Axone, die für die
    Vermittlung von Berührungsreize (über Mechanorezeptoren der
    Haut) zuständig sind

Das Rückenmark
- die meisten


                                                                     3
peripheren Nerven
kommunizieren über
das Rückenmark mit
dem ZNS.
- Es werden 31
Rückenmarkssegmente
in vier Gruppen unter-
teilt
 1. Cervikalsegmente
    (C 1-8) im
    Halsbereich
 2. Thorakalsegmente
    (T 1-12) im Brustbereich)
 3. Lumbalsegmente (L 1-5) im Lendenbereich
 4. Sakralsegmente (S 1-5) im Kreuzbereich
- Dermatom bezeichnet eine Region auf der Haut, die durch die Hinterwurzel eines
Rückenmarksegments innerviert wird.
  - es gibt eine Eins-zu-Eins-Übereinstimmung zwischen
     Dermatomen und Rückenmarkssegmenten
  - benachbarte Dermatomen sind nicht scharf voneinander getrennt,
     sondern überlappen sich. So verliert beim Durchtrennen einer
    Hinterwurzel das Dermatom nicht alle Sinneswahrnehmungen, da
    die benachbarten, überlappenden Hautbereiche innervieren.
  - Der erste Spinalnerv (C 1) hat kein
     Dermatom.

Sensorische Organisation des Rückenmarks
- Neuronen, die sensorischen Input von
den primären Afferenzen erhalten, werden
als sensorische Neuronen zweiter Ordnung
bezeichnet. Die meisten dieser Neuronen
sind in den Hinterhirnregionen des
Rückenmarks lokalisiert
- die großen, myelinisierten Aβ-Axone,
die Infos über Berührungsreize auf der
Haut weiterleiten, treten in das
Hinterhorn ein und verzweigen sich dort.
Der eine Zweig wird im Hinterhorn über
Synapsen auf sensorische Neuronen zweiter Ordnung umgeschaltet (für Reflexe
verantwortlich) und der zweite zieht direkt hinauf zum Gehirn (Empfindung von
Hautreizen)

Exkurs 12.1 Herpes, Gürtelrose und Dermatome
- Herpes-zoster-Virus Windpocken (klingt nach 1 Woche wieder ab
- ABER Virus bleibt danach noch latent in den primär sensorischen Nervenzellen
erhalten
- in einigen Fällen kommt es nach Jahren zu einer Reaktivierung des Virus
Gürtelrose reaktivierte Virus steigert die Erregbarkeit der sensorischen Neuronen,
indem es den Schwellenwert für die Aktivierung der Sinnesrezeptoren stark herabsetzt
oder es zu spontanen Entladungen der infizierten Nervenzellen kommt Schmerz


                                                                                   4
- findet häufig nur in den Neuronen eines einzelnen Spinalganglions statt nur die
Hautbereiche betroffen, die von den dazugehörige Nervenfasern innerviert werden
- es können alle Dermatome betroffen sein, häufig jedoch Brust- und Gesichtsbereich
- Gürtelrose half bei der Kartierung von Dermatomen

Die Hinterstrangbahn
- Hinterstrangbahn ist die für das Berührungsinformation zuständige Leitsystem
- Der zum Hirn aufsteigende Ast der großen Aβ-Axone tritt in den ipsilateralen (auf
der gleichen Körperseite) Hinterstrang des Rückenmarks ein.
- Die Hinterstrangbahnen (primäre sensorische Nervenfasern und Axone zweiter
Ordnung) leiten Informationen über taktile (Tasten) Empfindungen zum Gehirn
weiter. Axone der Hinterstrangbahn enden in den Hinterstrangkernen (zweischen
Rückenmark und Medulla)
- Berührungsinformationen werden ipsilateral repräsentiert. Die von den Zellen der
Hinterstrangkerne ausgehenden Axone krümmen sich jedoch in Richtung der
ventralen und medialen Medulla und kreuzen dort auf die andere Seite. Von diesem
Punkt werden im somato-sensorischen System einer Hirnseite Infos über
Sinnesempfindungen von der jeweils anderen Körperseite verarbeitet.
- Axone aus den Hinterstrangkernen steigen in einem Strang, dem Lemniscus
medialis, aufwärts. Dieser zieht durch die Medulla, Pons und Mittelhirn aufwärts und
seine Axone werden im Thalamus synaptisch auf Neuronen des Nucleus ventralis
posterior (VP-Kern) verschaltet.
- Danach ziehen die Axone zu spezifischen Regionen des primären
somatosensorischen Cortex (S1)
   Abb. 12.14.
- Sowohl in den Hinterstrangkernen als auch in den Kernen des Thalamus findet eine
betächtliche Umwandlung der transportierten Informationen statt – bei jeder Passage
durch eine Synapsengruppe, also bei jeder Verschaltung von einem Neuron auf das
nächste.

Exkurs 12.2 Laterale Hemmung
- Kontrastverstärkung: ein Vorgang bzw. eine Transformation, die die Verstärkung
von Aktivitätsunterschieden benachbarter Neuronen bewirkt. Sie ist ein generelles
Merkmal der Verarbeitung von Sinnesinformationen in sensorischen Bahnen
einschließlich dem somatosensorischen System.
- Ein Mechanismus ist die laterale Hemmung, bei der benachbarte Zellen sich
gegenseitig hemmen

Die trigeminale Bahn
- Die somatosensorischen Empfindungen der Gesichtsregion werden über die
Trigeminusnerven vermittelt, die am Pons in das Gehirn eintreten
- 2 Tregeminusnerven (einen auf jeder Körperseite), teilen sich in 3 periphere
Nervenstränge auf, die das Gesicht, den Mund- und Zungenbereich und die Dura
mater (harte Hinrhaut) innervieren.
- weiter werden Empfindungen von den Ohren, Nasen- und Rachenregion über den
Nervus facialis (VII), den nervus glossopharyngeus (IX) und den nervus vagus (X)
vermittelt.
- die dicken sensorischen Axone des Trigeminusnervs übermitteln taktile Infos von
den Mechanorezeptoren in der Haut. Eine synaptische Verschaltung auf Neuronen



                                                                                    5
zweiter Ordnung findet nur im ipsilateralen Trigeminushauptkern statt. Die von jenem
ausgehende Fasern kreuzen auf die andere Seite und projiezieren in die mediale VP-
Kern-Region des Tahlamus. Von dort wird die Information zum somatosensorischen
Cortex weitergeleitet.

Somatosensorischer Cortex
- Verarbeitung von somatosensorischer Infos:
In der Großhirnrinde, im Parietallappen
    Areal 3b ist der primär somatosensorischer
Cortex (S1) – dieser liegt auf dem Gyrus postcentralis
    Areale 3a, 1 und 2 auf dem Gyrus postcentralis
und Areale 5 und 7 auf dem posterioren Parietal-
cortex sind auch an der Infoverarbeitung beteiligt.
- 3b bildet den primären somatosensorischen
Cortex, weil
   1. viele Afferenzen vom VP-Kern des Thalamus
      empfängt
   2. Ihre Neuronen auf somatosensorische Reize
      ansprechen
   3. Läsionen in diesem Bereich die somato-
      sensorische Wahrnehmung beeinträchtigen
   4. Eime elektrische Stimulation dieser Region
      somatosensorische Wahrnehmung hervorrufen
      kann.
- Area 3a hat die Funktion ist die Wahrnehmung der
Körperhaltung (Infos von vestibulärem System)
- Areae 1 und 2 haben Eingänge von Area 3b:
Projektion von 3b zu Area 1: Infos über strukturelle Beschaffenheit des Reizes
(Textur)
Projektion von 3b zu Area 2: Infos über Größe und Gestalt des Reizes
Kleine Läsionen bewirken Ausfälle im Unterscheidungsvermögen von Textur, Größe
und Gestalt
- somatosensorischer Cortex besitzt eine geschichtete Struktur
    Abb. 12.17
die vom Thalamus an S1 weitergeleitete Signale münden in Schicht IV (vgl.
auditorischer und visueller Cortex). Die Neuronen dieser Schicht projiezieren dann zu
den Zellen anderer Schichten.
S1 Neuronen sind in vertikalen Kolumnen organisiert – jedes Fingerglied wurd durch
ei benachbartes Cortexareal repräsentiert. Innerhalb dieser Repräsentationsbereiche
liegen alternierende Säulen von                                  Zellen, die schnell
adaptierende oder langsam
adaptierende sensorische
Antworten zeigen.
Cortikale Somatotopie
- Somatotopie ist die
geordnete Abbildung von Orten
auf der Körper-oberfläche auf
bestimmte Hirnstrukturen
- somatotope Karten
(Homunculus) werden durch elektrische Stimulation oder


                                                                                  6
durch Ableiteverfahren (Aktivität eines einzelnen Neurons ableiten und die Lage des
rezeptiven Feldes auf der Körperoberfläche be-stimmen) nachgewiesen. Diese Karten
ähneln einem kopfüber hängenden Trapezkünstler
(s.rechts – Querschnitt durch Gyrus postcentralis Neuronen der Abschnitte
sprechen am besten auf Reizung verschiedener Körperbereiche an)
- Zwei Auffälligkeiten bei somatotopen Karten:
   1. Abbildung ist nicht immer kontinuierlich, sondern kann
      unterbrochen sein (vgl. Hand-, Gesichts- und Kopfbereich)
   2. Karte ist im Vergleich zum menschlichen Körper nicht maß-
      stabsgetreu (Mund, Finger und Zunge sind riesig; Arme und Beine
      winzig Größe korreliert mit Dichte der sensorischen Eingänge,
      der Wichtigkeit der erhaltenden sensorischen Signale (Finger vs.
      Ellenbogen) (Mund – Sprache, Berührungs- und
      Geschmacksempfindung als Überlebensmechanismus) und der
      Häufigkeit, mit der das Areal genutzt wird)
- Bedeutung eines Körperteils kann bei bei verschiedenen Spezies stark variieren
Nagetiere: Vibrissen (Tasthaare) vereinnahmen einen großen Bereich von S1
Die in den einzelnen Vibrissenfollikeln erzeugten sensorischen Signale werden an
deine genau definierte Gruppe von S1-Neuronen geleitet, die als Barrel (Fass)
bezeichnet wird. Somatotope Abbildung: 5 Reihen der cortikalen Barrels entsprechen
genau den in 5 Reihen angeordneten Vibrissen.
    Abb. 12.20
- in der Großhirnrinde ist die Somatotopie nicht nur auf eine einzelne Karte
beschränkt, sondern es gibt mehrere verschiedene Abbildungen des Körpers
Plastizität cortikaler Karten
- Was passiert mit somatotopen Karten, wenn
Input ausbleibt (Amputation des 3. Fingers)?
    mit der Zeit findet eine Reorganisation des
Cortex statt, sodass es zu einer Größenzu-
nahme der Repräsentationsareale der Finger 2 und 4 kommt.
- Was passiert, wenn die von einem Finger ausgehende
Inputaktivität erhöht wird (Stimulation von Finger 3
und 4)?
    es kommt ebenfalls zu einer Ausweitung der
cortikalen Repräsentationsareale von 3 und 4
- Das heißt: cortikale Karten sind dynamisch und
werden in Abhängigkeit von der jeweiligen Menge an
sensorischer Erfahrungen angeglichen. Diese Art von
Plastizität kommt häufig im Gehirn vor.
- „Phantomglieder“ – häufig auftretendes Phänomen bei
Amputierten: Wahrnehmung von Sinnesempfindungen in
dem amputierten Körperglied, wenn andere Teile ihres
Körpers berührt werden (z.B. Wahrnehmung im
Phantomarm, wenn das Gesicht stimuliert wird) die
ursprünglich für das Glied zuständigen cortikalen
Regionen
werden nun durch Stimulation des Gesichts aktiviert.
    Verwirrung darüber, wie die von S1 ausgehenden
Signale interpretiert werden sollen.
- Bei Musikern: z.B. Streichern sind die für die Finger


                                                                                 7
der linken Hand zuständigen Cortexregionen stark vergrößert

Exkurs 12.3. Wenn Gehirnkarten kollidieren
- Pseudobulbärparalyse: innerhalb weniger Minuten abwechselnd in Gelächter oder in
Tränen ausbrechen
- Phantomglied: Amutation des linken Arms. Berührung der linken Wange
Empfindung von Berührung an Phantomhand komplette Abbildung der Hand im
unteren Gesichtsbereich des Patienten
- Synästhesie: Person nimmt einzelne Zahlen immer in Verbindung mit einer
bestimmten Farbe wahr.

Der posteriore Parietalcortex
- Die Trennung von Informationen verschiedener Art ist eine allgemeine Regel bei
sensorischen Wahrnehmungssystemen. Das Verschmelzen dieser verschiedenen
Sinneseindrücke ist notwendig für die Entstehung eines vollständigen mentalen Bildes
eines Objektes.
- Die Neuronen des posterioren Parietalcortex besitzen große rezeptive Felder. Es ist
nicht nur für die somatosensorische Wahrnehmung, sondern auch für die visuelle und
für die Planung von Bewegungen von Bedeutung.
- der posteriore Parietalcortex ist für die Wahrnehmung und Interpretation räumlicher
Zusammenhänge, für ein präzises Körperschema und für das Erlernen von Tätigkeiten
zuständig.
- Schädigungen in den Arealen des posterioren Parietalcortex
  1. Agnosie Unfähigkeit, Objekte zu erkennen
     Astereognosie einfache Objekte werden durch Tasten nicht
     erkannt (beschränkt auf die kontralateral zu Schädigung liegende
     Seite)
  2. Neclect-Syndrom ein Teil des Körpers oder ein Teil der Welt
     wird vernachlässigt oder unterdrückt und seine Existenz bestritten
     (Schädigung der rechten Hemisphäre)




                                                                                  8
Kapitel 12/ 2. Teil: Das somatosensorische System

Schmerz
Nozizeptoren
      nocere = „schaden“
      Nervenendungen
      Signalisieren dem Körper drohende/eingetretene Verletzung des Körpergewebes

Unterscheide: Nozizeption und Schmerz!

       Schmerz: unangenehmes Gefühlserlebnis, vor oder nach Gewebeschädigung

       Nozizeption: sensorischer Prozess
          o Stellt die Signale bereit um Schmerz auszulösen

Kognitive Qualität des Schmerzes wird vom Gehirn beeinflusst

Nozizeptoren und die Transduktion schmerzhafter Reize
Gewebeschädigungen durch:
     Mechanische Reize
     Extreme Temperaturen
     Sauerstoffmangel
     Chemikalien

EXKURS Das Elend eines Lebens ohne Schmerzen

Schmerz ist lebenswichtig   Argumente dafür liefern Menschen die von Geburt an keinen
Schmerz empfinden

Sterben häufig früh

Bsp: Frau aus Kanada, verspürte keinen Schmerz, litt unter Degeneration der Gelenke
Infektion  Tod

Nozizeption: verhindert Wundliegen/Verspannungen während Schlafen      sorgt dafür dass
man sich genügend dreht und wendet

Ursachen für Defizit:
      Entwicklungsstörung der peripheren Nozizeptoren
      Störungen bei synaptischen Weiterleitung in den schmerzvermittelnden
      Übertragungsprozessen des ZNS

Wahrnehmung von Wärme und siedender Hitze wird durch verschiedene neuronale
Mechanismen vermittelt

Muskelkater:
Muskelfaserrisse führen zu einer lokalen Entzündung   Schwellung    Erregung der
Nozizeptoren    Dehungsschmerz

Mastzellen:
      In der Haut und Bindegewebe
      Bestandteil des Immunsystems
Bienenstich:
Mastzellen kommen mit fremder Substanz in Berührung   schütten Histamin aus          bewirkt
Depolarisation der Membran
Und erhöhte Durchlässigkeit der Blutgefäße Schwellung/Rötung

  Salben die Hemmung der Histaminrezeptoren bewirken:Antihistaminika


       Typen von Nozizeptoren

Überbegriff: Polymodale Nozizeptoren
      reagieren auf mechanische, chemische und thermische Reize

       mechanische Nozizeptoren: reagieren besonders auf starken Druck
       chemische Nozizeptoren: reagieren besonders auf Histamin und andere Stoffe
       thermische Nozizeptoren: reagieren besonders auf extreme Hitze/Kälte

Nozizeptoren befinden sich in Haut, Knochen, Muskeln, inneren Organen, Blutgefäßen, Herz

NICHT im Gehirn! Ausnahme: Hirnhaut!


       Hyperalgesie

Herabsetzung der Reizschwelle für die Schmerzempfindung
      Haut/Gelenke/Muskeln die schon einmal verletzt waren sind danach überempfindlich

       Primäre Hyperalgesie:
Lokal begrenzt, innerhalb der geschädigten Geweberegion

      Sekundäre Hyperalgesie:
Die umliegenden Gewebe erhöhen dadurch Empfindlichkeit


EXKURS: Scharf und würzig

Capsaicin
      in Chilischoten
      Aktiviert die thermischen Nozizeptoren
      Verspüren von Schärfe

David Julius:
Capsaicin aktiviert TRPV-Kanal (wird auch durch Erhöhung von Temperatur aktiviert)

       Eintritt von Ca2+ und Na+ --> Neuron feuert

TRPV-Kanal bei Vögeln nicht vorhanden
     Sie können die schärfsten Chilischoten ohne Probleme verzehren

Anwendung:

Capsaicin in großen Mengen verursacht Analgesie (Ausbleiben von Schmerzen)
Bei Gürtelrose, Arthritis, Brustamputationen
Sensibilisierende Chemikalien:

       Bradykinin: depolarisiert direkt Nozizeptoren
       Postalglandine:
          o entstehen durch enzymatischen Abbau von Lipidmembranen
          o Bewirken keinen direkten Schmerz aber Zunahme an Sensibilität der
              Nozizeptoren
       Substanz P:
          o wird von Nozizeptoren selbst synthetisiert
          o Bewirkt eine Vasodilatation (Erweiterung der Blutgefäße) und Freisetzung von
              Histamin

Primäre Afferenzen und spinale Mechanismen
       Erster Schmerz:
           o schnell, stechend
           o Über schnelle Aδ-Fasern
       Zweiter Schmerz:
           o länger, dumpf
           o Über langsame C-Fasern

Verbindungen nozizeptiver Axone im Rückenmark:

Zellkörper liegen in Spinalganglien  Treten in Hinterhorn des Rückenmarks ein    Fasern
gehen durch Lissauer Zone      Enden in der Substanzia gelatinosa

       Glutamat ist der Neurotransmitter der schmerzleitenden Afferenzen

Übertragener Schmerz

Es wird Schmerz in viszeralen Organen so wahrgenommen als käme er von der Haut

Bsp: Angina pectoris –> Herz erhält nicht genügend Sauerstoff: Schmerz wird an der oberen
Brustwand, linken Arm wahrgenommen
Blinddarm: Schmerz wird im Bereich des Bauchnabels empfunden


Aufsteigende Schmerzbahnen
Übertragungswege von Schmerzreizen und Berührungsreizen unterscheiden sich in:

       Art der Nervenendungen in der Haut
           o Berührung: spezialisierte Strukturen
           o Schmerz: freie Nervenendungen
       Durchmesser der Axone
           o Berührung: Aβ-Fasern, dick, schnell leitend
           o Schmerz: Aδ-Fasern und C-Fasern, dünn, langsam leitend
       Verschaltungen im Rückenmark
           o Berührung: Aβ-Axone enden im tiefen Hinterhorn
           o Schmerz: Aδ und C Fasern verzweigen sich    durch Lissauer Zone       enden
               in der Substantia gelatinosa
Die spinothalamische Bahn

       Leitet Informationen über Schmerz und Temperatur vom Rückenmark zum Gehirn
       Sofortige Kreuzung der Axone

Spinothalamische Fasern ziehen das Rückenmark hinauf        weiter durch Medulla    Pons
  Mittelhirn  Thalamus
Grafik

Beachte:
      Berührungsinformationen werden ipsilateral (auf der selben Körperhälfte gelegen)
      weitergegeben
      Schmerz-/Temperaturinfos kontralateral (auf der entgegengesetzten gelegen)


        Brown-Séquard-Syndrom:
bei halbseitiger Schädigung des Rückenmarks

Da das Rückenmark sowohl aus absteigenden motorischen als auch aus aufsteigenden
sensiblen Nervenbahnen besteht, die teilweise auf die jeweils andere Seite des Marks
wechseln (kreuzen), resultiert bei lediglich halbseitiger Läsion des Rückenmarks im
Gegensatz zur totalen Querschnittlähmung ein scheinbar diffuses Krankheitsbild:
während es auf der Körperhälfte, auf deren Seite die Läsion im Rückenmark liegt
(ipsilateral), zu einer Lähmung der Willkürmuskulatur und einer Beeinträchtigung der
Sensibilität kommt, treten auf der anderen Seite (kontralateral) Störungen der Temperatur-
und Schmerzwahrnehmung auf.


       Trigeminale Schmerzbahn

Leitet Schmerz. Und Temperaturinfos vom Gesicht oder Kopf zum Thalamus
Über Trigeminusnerv Trigeminuskern      trigeminalen Lemniscus   Thalamus

       Thalamus und Cortex

       Berührungs- und Schmerzwahrnehmungssysteme bleiben dort getrennt
       Belegen separate Regionen
       Von hier aus wird Schmerz und Temperaturinfos in Großhirnrinde geleitet


Regulation der Schmerzempfindung
Schmerzempfinden variiert

       Afferente Kontrolle

Mechanismus: Schmerz kann durch Aktivität der Nozizeptoren auch reduziert werden!
     ES ist angenehm wenn man über gerade geprelltes Schienbein reibt
     Elektrische Behandlung von chronischen Schmerzen
         o Impulsdrähte werden an der Hautoberfläche befestigt
1960: Melzack und Wall

Gate-Control Theorie des Schmerzes
Neuronen des Hinterhorns werden sowohl durch Axone großen Durchmessers als auch
durch nichtmyelinisierte nozizeptive Axone angeregt
ABER
Neuron wird auch gehemmt durch ein Interneuron      nozizeptiven Signale werden
unterdrückt


       Top-Down Kontrolle

Starke Emotionen, Stress, stoische Entschlossenheit    starke Unterdrückung des
Schmerzempfinden
       Folteropfer die bei Folter keine Schmerzen spüren

Gehirnregionen die mit Schmerzunterdrückung in Verbindung stehen:

Periaquäduktale Grau (PAG) im Mittelhirn
       Elektrische Stimulation des PAG Analgesie

PAG-Neuronen senden Axone entlang der Mediallinie der Medulla zu Raphekerne
hinunter zum Hinterhorn des Rückenmarks dort bewirken sie Hemmung der nozizeotiven
Neuronen

       Endogene Opiodide

       Binden an Opioidrezeptoren im Gehirn
       Gehirn produziert selbst morphinartige Substanzen    ENDORPHINE
       Opioide bewirken Analgesie: geringe Mengen injeziert in PAG, Raphekerne oder
       Hinterhorn
       Naloxon: Opioidrezeptor-Blocker



EXKURS: Schmerz und der Placeboeffekt

       Klinische Studien zum Placeboeffekt

Haben sich die Menschen den Schmerz nur eingebildet? NEIN!
Allein der Glaube an die Wirkung reicht aus um die endogenen Schmerzlinderungsprozesse
im Gehirn zu aktivieren
Naxolon kann den analgetischen Effekt des Placebos unterdrücken
        Akupunktur, Hypnose, liebkosender Kuss der Mutter



Temperatur

Thermorezeptoren: besonders temperaturempfindlich
Wärme- und Kältewahrnehmung ist örtlich getrennt  verschiedene Rezeptortypen

Minze/Menthol
      bewirkt eine Kälteempfindung
stimuliert den TRPM8-Rezeptor

sechs unterschiedliche Arten von TRP-Kanälen:
       Grafik siehe S. 465

ZNS weiß nicht, welche Art von Reiz den Rezeptor zum Feuern angeregt hat, aber
interpretiert alle Aktivitäten eines KALTrezeptors als Antwort auf KÄLTEreize und umgekehrt
mit Warmrezeptoren
        Es gibt Kaltrezeptoren die zusätzlich TRPV1 entleeren, wenn Wärmereiz auf solche
        Kaltrezeptoren trifft kann es paradoxerweise zu einem Kältegefühl kommen

Adaption von Thermorezeptoren

Plötzlicher Abfall der Körpertemperatur:
Kaltrezeptor feuert stark, Warmrezeptor verstummt
        Kaltrezeptor adaptiert nach ein paar Sekunden und verringert die Entladungsrate
        Warmrezeptor erhöht leicht Entladungsrate nach ein paar Sekunden

Rückkehr zur warmen Körpertemperatur:
Warmrezeptor feuert stark, Kaltrezeptor verstummt


Die Temperaturbahn
       Gleicht den schmerzleitenden Bahnen
       Kaltrezeptoren sind Endungen von Aδ- UND C-Fasern
       Warmrezeptoren: nur Endungen von C-Fasern

Einseitige Durchtrennung führt zu Verlust der Temperatursensibilität auf der
gegenüberliegenden Körperseite

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Kapitel 12

  • 1. Kapitel 12 Das somatosensorische System (Teil 1) - Somatosensorische Wahrnehmung umfasst das Ertasten von Dingen und das Empfinden von Schmerz und Kälte. - Es unterscheidet sich von anderen Sommessystemen in 2 Punkten: 1. Seine Rezeptoren sind über DEN GANZEN KÖRPER verteilt 2. Sinnessystem als eine Gruppe von 4 verschiedenen Sinnen zusammengefasst werden, die auch wieder Untergruppen haben: Tastsinn, Temperatursinn, Schmerzsinn und Propriozeption (also alle Körperwahrnehmungen außer Geschmacks-, Geruchs-, Seh-, Hör- und Gleichgewichtssinn) - Ein einzelner Reiz aktiviert viele Sinnesrezeptoren und ein einzelner Sinnesrezeptor kann so verschiedene Merkmale wie die Intensität, die Dauer, die Position und manchmal auch die Richtung eines Reizes verarbeiten. Das ZNS interpretiert die Aktivität aller stimulierenden Rezeptoren und erzeugt so ein stimmiges Wahrnehmungsbild. Tastsinn - 2 Hauttypen: Behaarte (Handrücken) und unbehaarte Haut (Handfläche) - Äußere Schicht der Haut (Epidermis), innere Schicht (Dermis) - Funktionen der Haut: Schutzfunktion verhindert Verdunstung von Körperflüssigkeiten und vermittelt direkten Kontakt mit der Außenwelt - die meisten Rezeptorzellen sind Mechanorezeptoren (überall im Körper) Abb. 12.1.: a. in behaarter und unbehaarter Haut (Dermis): 1. Vater-Pacini-Körperchen (größter Rezeptor) 2. Ruffini-Körperchen b. in unbehaarter Haut (Epidermis): 3. Meissner-Körperchen 4. Merkelzell-Rezeptoren - reagieren auf physische Verformungen - überwachen Hautkontakt, Blutdruck, Dehnungszustand der Verdauungsorgane, Druckeinwirkung auf die Zähne (- im Inneren befinden sich nichtmyelinisierte Endigungen der Nervenfasern – diese Axonterminalen besitzen mechanosensitive Ionenkanäle, die auch mechanische Reize ansprechen) - Mechanorezeptoren sprechen auf verschiedene Reizarten an und unterscheiden sich in ihrere Empfindlichkeit und der Größe ihrer rezeptiven Felder Abb. 12.2. und 12.3.: 1
  • 2. a. Empfindlichkeit: - schnell-adaptierende Rezeptoren (schnelle Reaktion auf Reiz und Entladungsrate nimmt schnell ab): Meissner- und Pacini-Körperchen - langsam-adaptierende Rezeptoren (lang andauernde Antwort auf lang anhaltenden Reiz): Merkelzell- und Ruffini-Körperchen b. Größe der rezeptiven Felder: - große: Vater-Pacini- Körperchen und Ruffini-Körperchen - kleine: Meissner-Körperchen und Merkelzell-Rezeptoren - Haare sind Teil des sensiblen Rezeptorsystems - Haarbildung geschieht in den Haarfollikeln, die durch freue Nervenfasern innerviert sind - Die Biegung des Haares verursacht eine Deformation des Follikels und der umliegenden Hautgewebe es kommt zur Dehnung, Verbiegung der Verflachung der naheliegenden Nervenendigungen, die daraufhin die Entladungsrate ihrer Aktionspotenziale erhöhen. Die Mechanorezeptoren der Haarfollikel können langsam oder schnell adaptierend sein. - unterschiedliche Sinneswahrnehmungen höchste Empfindlichkeit Pacini- Körperchen (200-300 Hz), Meissner-Körperchen (50 Hz), Ruffini- und Meissner- Körpcherchen Vibration und Pacini-Körperchen - Pacini-Körperchen: aus 20-70 Gewebsschichten (Perineural- und Schwannzellen) zusammengesetzt, in der Mitte ist die Axonterminale - mechanische Verformung mechanische Ernergie überträgt sich auf Nervenendigung Deformation Öffnung mechanosensitive Ionenkanäle Ionenfluss erzeugt depolarisierendes Rezeptorpotenzial - Depolarisation stark Aktionspotenzial wird ausgelöst - Bei gleichbleibender Reizintensität keine Verformung der Axonterminale und somit kein Rezeptorpotenzial - Nimmt Druck wieder ab Terminale wird erneut depolarisiert Aktionspotentiale werden generiert - die Kapsel mit den Gewebsschichten ist dafür verantwortlich, dass Pacini- Körperchen unempfindlich für niedfrequente Reize und T Reize mit konstanter Druckstärke sind (Adaptationsrate würde durch das Entfernen der Kapsel verlangsamt) 2
  • 3. Zweipunktdiskrimination (Fähigkeit, räumlich eng benachbarte Reize als getrennt wahrzunehmen) - Zweipunktdiskriminationstest ist eine Methode, das räumliche Auflösungsvermögen zu bestimmen - Hohe Variation im ganzen Körper - Fingerkuppen (nicht Ellenbogen) haben die höchste Auflösung, da 1. Höhere Dichte an Mechanorezeptoren 2. Viele Rezeptortypen mit kleinen rezeptiven Feldern 3. Mehrere Gehirngewebe sind für die Verarbeitung der Sinnesinformationen zugeteilt 4. Es könnte spezielle neuronale Mechanismen geben, die mit den hochauflösenden Diskriminationsleistungen in Zusammenhang stehen Primär afferente Nervenfasern - primär afferente Nervenfasern: Nervenfasern, die die von ihren sensorischen Endigungen aufgenommenen Informationen zum Rückenmark oder Hirnstamm (ZNS) weiterleiten. Diese Axone treten durch die Hinterwurzel ins Rückenmark ein. Ihre Zellkörper liegen im Spinalganglion Abb. 12.8. - Größenunterschiede: der Durchmesser eines Axons korreliert mit seiner Leistungsgeschwindigkeit und mit dem Sinnesrezeptortyp 12.9. - Axone der Haut: Aα, Aβ, Aδ, C - Axone der Muskeln/Sehnen: I, II, III, IV - Leistungsgeschwindigkeit eines Aktionspotenzials ist vom Durchmesser des Axons und seiner Myelinisierung abhängig: - C-Fasern sind die kleinsten und langsamsten (0,5-2 m/s) Axone und besitzen keine Myelinschicht. Sie sind für die Vermittlung von Schmerz- und Temperaturwahrnehmungen zuständig - Aβ sind relativ große und schnelle (75 m/s) Axone, die für die Vermittlung von Berührungsreize (über Mechanorezeptoren der Haut) zuständig sind Das Rückenmark - die meisten 3
  • 4. peripheren Nerven kommunizieren über das Rückenmark mit dem ZNS. - Es werden 31 Rückenmarkssegmente in vier Gruppen unter- teilt 1. Cervikalsegmente (C 1-8) im Halsbereich 2. Thorakalsegmente (T 1-12) im Brustbereich) 3. Lumbalsegmente (L 1-5) im Lendenbereich 4. Sakralsegmente (S 1-5) im Kreuzbereich - Dermatom bezeichnet eine Region auf der Haut, die durch die Hinterwurzel eines Rückenmarksegments innerviert wird. - es gibt eine Eins-zu-Eins-Übereinstimmung zwischen Dermatomen und Rückenmarkssegmenten - benachbarte Dermatomen sind nicht scharf voneinander getrennt, sondern überlappen sich. So verliert beim Durchtrennen einer Hinterwurzel das Dermatom nicht alle Sinneswahrnehmungen, da die benachbarten, überlappenden Hautbereiche innervieren. - Der erste Spinalnerv (C 1) hat kein Dermatom. Sensorische Organisation des Rückenmarks - Neuronen, die sensorischen Input von den primären Afferenzen erhalten, werden als sensorische Neuronen zweiter Ordnung bezeichnet. Die meisten dieser Neuronen sind in den Hinterhirnregionen des Rückenmarks lokalisiert - die großen, myelinisierten Aβ-Axone, die Infos über Berührungsreize auf der Haut weiterleiten, treten in das Hinterhorn ein und verzweigen sich dort. Der eine Zweig wird im Hinterhorn über Synapsen auf sensorische Neuronen zweiter Ordnung umgeschaltet (für Reflexe verantwortlich) und der zweite zieht direkt hinauf zum Gehirn (Empfindung von Hautreizen) Exkurs 12.1 Herpes, Gürtelrose und Dermatome - Herpes-zoster-Virus Windpocken (klingt nach 1 Woche wieder ab - ABER Virus bleibt danach noch latent in den primär sensorischen Nervenzellen erhalten - in einigen Fällen kommt es nach Jahren zu einer Reaktivierung des Virus Gürtelrose reaktivierte Virus steigert die Erregbarkeit der sensorischen Neuronen, indem es den Schwellenwert für die Aktivierung der Sinnesrezeptoren stark herabsetzt oder es zu spontanen Entladungen der infizierten Nervenzellen kommt Schmerz 4
  • 5. - findet häufig nur in den Neuronen eines einzelnen Spinalganglions statt nur die Hautbereiche betroffen, die von den dazugehörige Nervenfasern innerviert werden - es können alle Dermatome betroffen sein, häufig jedoch Brust- und Gesichtsbereich - Gürtelrose half bei der Kartierung von Dermatomen Die Hinterstrangbahn - Hinterstrangbahn ist die für das Berührungsinformation zuständige Leitsystem - Der zum Hirn aufsteigende Ast der großen Aβ-Axone tritt in den ipsilateralen (auf der gleichen Körperseite) Hinterstrang des Rückenmarks ein. - Die Hinterstrangbahnen (primäre sensorische Nervenfasern und Axone zweiter Ordnung) leiten Informationen über taktile (Tasten) Empfindungen zum Gehirn weiter. Axone der Hinterstrangbahn enden in den Hinterstrangkernen (zweischen Rückenmark und Medulla) - Berührungsinformationen werden ipsilateral repräsentiert. Die von den Zellen der Hinterstrangkerne ausgehenden Axone krümmen sich jedoch in Richtung der ventralen und medialen Medulla und kreuzen dort auf die andere Seite. Von diesem Punkt werden im somato-sensorischen System einer Hirnseite Infos über Sinnesempfindungen von der jeweils anderen Körperseite verarbeitet. - Axone aus den Hinterstrangkernen steigen in einem Strang, dem Lemniscus medialis, aufwärts. Dieser zieht durch die Medulla, Pons und Mittelhirn aufwärts und seine Axone werden im Thalamus synaptisch auf Neuronen des Nucleus ventralis posterior (VP-Kern) verschaltet. - Danach ziehen die Axone zu spezifischen Regionen des primären somatosensorischen Cortex (S1) Abb. 12.14. - Sowohl in den Hinterstrangkernen als auch in den Kernen des Thalamus findet eine betächtliche Umwandlung der transportierten Informationen statt – bei jeder Passage durch eine Synapsengruppe, also bei jeder Verschaltung von einem Neuron auf das nächste. Exkurs 12.2 Laterale Hemmung - Kontrastverstärkung: ein Vorgang bzw. eine Transformation, die die Verstärkung von Aktivitätsunterschieden benachbarter Neuronen bewirkt. Sie ist ein generelles Merkmal der Verarbeitung von Sinnesinformationen in sensorischen Bahnen einschließlich dem somatosensorischen System. - Ein Mechanismus ist die laterale Hemmung, bei der benachbarte Zellen sich gegenseitig hemmen Die trigeminale Bahn - Die somatosensorischen Empfindungen der Gesichtsregion werden über die Trigeminusnerven vermittelt, die am Pons in das Gehirn eintreten - 2 Tregeminusnerven (einen auf jeder Körperseite), teilen sich in 3 periphere Nervenstränge auf, die das Gesicht, den Mund- und Zungenbereich und die Dura mater (harte Hinrhaut) innervieren. - weiter werden Empfindungen von den Ohren, Nasen- und Rachenregion über den Nervus facialis (VII), den nervus glossopharyngeus (IX) und den nervus vagus (X) vermittelt. - die dicken sensorischen Axone des Trigeminusnervs übermitteln taktile Infos von den Mechanorezeptoren in der Haut. Eine synaptische Verschaltung auf Neuronen 5
  • 6. zweiter Ordnung findet nur im ipsilateralen Trigeminushauptkern statt. Die von jenem ausgehende Fasern kreuzen auf die andere Seite und projiezieren in die mediale VP- Kern-Region des Tahlamus. Von dort wird die Information zum somatosensorischen Cortex weitergeleitet. Somatosensorischer Cortex - Verarbeitung von somatosensorischer Infos: In der Großhirnrinde, im Parietallappen Areal 3b ist der primär somatosensorischer Cortex (S1) – dieser liegt auf dem Gyrus postcentralis Areale 3a, 1 und 2 auf dem Gyrus postcentralis und Areale 5 und 7 auf dem posterioren Parietal- cortex sind auch an der Infoverarbeitung beteiligt. - 3b bildet den primären somatosensorischen Cortex, weil 1. viele Afferenzen vom VP-Kern des Thalamus empfängt 2. Ihre Neuronen auf somatosensorische Reize ansprechen 3. Läsionen in diesem Bereich die somato- sensorische Wahrnehmung beeinträchtigen 4. Eime elektrische Stimulation dieser Region somatosensorische Wahrnehmung hervorrufen kann. - Area 3a hat die Funktion ist die Wahrnehmung der Körperhaltung (Infos von vestibulärem System) - Areae 1 und 2 haben Eingänge von Area 3b: Projektion von 3b zu Area 1: Infos über strukturelle Beschaffenheit des Reizes (Textur) Projektion von 3b zu Area 2: Infos über Größe und Gestalt des Reizes Kleine Läsionen bewirken Ausfälle im Unterscheidungsvermögen von Textur, Größe und Gestalt - somatosensorischer Cortex besitzt eine geschichtete Struktur Abb. 12.17 die vom Thalamus an S1 weitergeleitete Signale münden in Schicht IV (vgl. auditorischer und visueller Cortex). Die Neuronen dieser Schicht projiezieren dann zu den Zellen anderer Schichten. S1 Neuronen sind in vertikalen Kolumnen organisiert – jedes Fingerglied wurd durch ei benachbartes Cortexareal repräsentiert. Innerhalb dieser Repräsentationsbereiche liegen alternierende Säulen von Zellen, die schnell adaptierende oder langsam adaptierende sensorische Antworten zeigen. Cortikale Somatotopie - Somatotopie ist die geordnete Abbildung von Orten auf der Körper-oberfläche auf bestimmte Hirnstrukturen - somatotope Karten (Homunculus) werden durch elektrische Stimulation oder 6
  • 7. durch Ableiteverfahren (Aktivität eines einzelnen Neurons ableiten und die Lage des rezeptiven Feldes auf der Körperoberfläche be-stimmen) nachgewiesen. Diese Karten ähneln einem kopfüber hängenden Trapezkünstler (s.rechts – Querschnitt durch Gyrus postcentralis Neuronen der Abschnitte sprechen am besten auf Reizung verschiedener Körperbereiche an) - Zwei Auffälligkeiten bei somatotopen Karten: 1. Abbildung ist nicht immer kontinuierlich, sondern kann unterbrochen sein (vgl. Hand-, Gesichts- und Kopfbereich) 2. Karte ist im Vergleich zum menschlichen Körper nicht maß- stabsgetreu (Mund, Finger und Zunge sind riesig; Arme und Beine winzig Größe korreliert mit Dichte der sensorischen Eingänge, der Wichtigkeit der erhaltenden sensorischen Signale (Finger vs. Ellenbogen) (Mund – Sprache, Berührungs- und Geschmacksempfindung als Überlebensmechanismus) und der Häufigkeit, mit der das Areal genutzt wird) - Bedeutung eines Körperteils kann bei bei verschiedenen Spezies stark variieren Nagetiere: Vibrissen (Tasthaare) vereinnahmen einen großen Bereich von S1 Die in den einzelnen Vibrissenfollikeln erzeugten sensorischen Signale werden an deine genau definierte Gruppe von S1-Neuronen geleitet, die als Barrel (Fass) bezeichnet wird. Somatotope Abbildung: 5 Reihen der cortikalen Barrels entsprechen genau den in 5 Reihen angeordneten Vibrissen. Abb. 12.20 - in der Großhirnrinde ist die Somatotopie nicht nur auf eine einzelne Karte beschränkt, sondern es gibt mehrere verschiedene Abbildungen des Körpers Plastizität cortikaler Karten - Was passiert mit somatotopen Karten, wenn Input ausbleibt (Amputation des 3. Fingers)? mit der Zeit findet eine Reorganisation des Cortex statt, sodass es zu einer Größenzu- nahme der Repräsentationsareale der Finger 2 und 4 kommt. - Was passiert, wenn die von einem Finger ausgehende Inputaktivität erhöht wird (Stimulation von Finger 3 und 4)? es kommt ebenfalls zu einer Ausweitung der cortikalen Repräsentationsareale von 3 und 4 - Das heißt: cortikale Karten sind dynamisch und werden in Abhängigkeit von der jeweiligen Menge an sensorischer Erfahrungen angeglichen. Diese Art von Plastizität kommt häufig im Gehirn vor. - „Phantomglieder“ – häufig auftretendes Phänomen bei Amputierten: Wahrnehmung von Sinnesempfindungen in dem amputierten Körperglied, wenn andere Teile ihres Körpers berührt werden (z.B. Wahrnehmung im Phantomarm, wenn das Gesicht stimuliert wird) die ursprünglich für das Glied zuständigen cortikalen Regionen werden nun durch Stimulation des Gesichts aktiviert. Verwirrung darüber, wie die von S1 ausgehenden Signale interpretiert werden sollen. - Bei Musikern: z.B. Streichern sind die für die Finger 7
  • 8. der linken Hand zuständigen Cortexregionen stark vergrößert Exkurs 12.3. Wenn Gehirnkarten kollidieren - Pseudobulbärparalyse: innerhalb weniger Minuten abwechselnd in Gelächter oder in Tränen ausbrechen - Phantomglied: Amutation des linken Arms. Berührung der linken Wange Empfindung von Berührung an Phantomhand komplette Abbildung der Hand im unteren Gesichtsbereich des Patienten - Synästhesie: Person nimmt einzelne Zahlen immer in Verbindung mit einer bestimmten Farbe wahr. Der posteriore Parietalcortex - Die Trennung von Informationen verschiedener Art ist eine allgemeine Regel bei sensorischen Wahrnehmungssystemen. Das Verschmelzen dieser verschiedenen Sinneseindrücke ist notwendig für die Entstehung eines vollständigen mentalen Bildes eines Objektes. - Die Neuronen des posterioren Parietalcortex besitzen große rezeptive Felder. Es ist nicht nur für die somatosensorische Wahrnehmung, sondern auch für die visuelle und für die Planung von Bewegungen von Bedeutung. - der posteriore Parietalcortex ist für die Wahrnehmung und Interpretation räumlicher Zusammenhänge, für ein präzises Körperschema und für das Erlernen von Tätigkeiten zuständig. - Schädigungen in den Arealen des posterioren Parietalcortex 1. Agnosie Unfähigkeit, Objekte zu erkennen Astereognosie einfache Objekte werden durch Tasten nicht erkannt (beschränkt auf die kontralateral zu Schädigung liegende Seite) 2. Neclect-Syndrom ein Teil des Körpers oder ein Teil der Welt wird vernachlässigt oder unterdrückt und seine Existenz bestritten (Schädigung der rechten Hemisphäre) 8
  • 9. Kapitel 12/ 2. Teil: Das somatosensorische System Schmerz Nozizeptoren nocere = „schaden“ Nervenendungen Signalisieren dem Körper drohende/eingetretene Verletzung des Körpergewebes Unterscheide: Nozizeption und Schmerz! Schmerz: unangenehmes Gefühlserlebnis, vor oder nach Gewebeschädigung Nozizeption: sensorischer Prozess o Stellt die Signale bereit um Schmerz auszulösen Kognitive Qualität des Schmerzes wird vom Gehirn beeinflusst Nozizeptoren und die Transduktion schmerzhafter Reize Gewebeschädigungen durch: Mechanische Reize Extreme Temperaturen Sauerstoffmangel Chemikalien EXKURS Das Elend eines Lebens ohne Schmerzen Schmerz ist lebenswichtig Argumente dafür liefern Menschen die von Geburt an keinen Schmerz empfinden Sterben häufig früh Bsp: Frau aus Kanada, verspürte keinen Schmerz, litt unter Degeneration der Gelenke Infektion Tod Nozizeption: verhindert Wundliegen/Verspannungen während Schlafen sorgt dafür dass man sich genügend dreht und wendet Ursachen für Defizit: Entwicklungsstörung der peripheren Nozizeptoren Störungen bei synaptischen Weiterleitung in den schmerzvermittelnden Übertragungsprozessen des ZNS Wahrnehmung von Wärme und siedender Hitze wird durch verschiedene neuronale Mechanismen vermittelt Muskelkater: Muskelfaserrisse führen zu einer lokalen Entzündung Schwellung Erregung der Nozizeptoren Dehungsschmerz Mastzellen: In der Haut und Bindegewebe Bestandteil des Immunsystems
  • 10. Bienenstich: Mastzellen kommen mit fremder Substanz in Berührung schütten Histamin aus bewirkt Depolarisation der Membran Und erhöhte Durchlässigkeit der Blutgefäße Schwellung/Rötung Salben die Hemmung der Histaminrezeptoren bewirken:Antihistaminika Typen von Nozizeptoren Überbegriff: Polymodale Nozizeptoren reagieren auf mechanische, chemische und thermische Reize mechanische Nozizeptoren: reagieren besonders auf starken Druck chemische Nozizeptoren: reagieren besonders auf Histamin und andere Stoffe thermische Nozizeptoren: reagieren besonders auf extreme Hitze/Kälte Nozizeptoren befinden sich in Haut, Knochen, Muskeln, inneren Organen, Blutgefäßen, Herz NICHT im Gehirn! Ausnahme: Hirnhaut! Hyperalgesie Herabsetzung der Reizschwelle für die Schmerzempfindung Haut/Gelenke/Muskeln die schon einmal verletzt waren sind danach überempfindlich Primäre Hyperalgesie: Lokal begrenzt, innerhalb der geschädigten Geweberegion Sekundäre Hyperalgesie: Die umliegenden Gewebe erhöhen dadurch Empfindlichkeit EXKURS: Scharf und würzig Capsaicin in Chilischoten Aktiviert die thermischen Nozizeptoren Verspüren von Schärfe David Julius: Capsaicin aktiviert TRPV-Kanal (wird auch durch Erhöhung von Temperatur aktiviert) Eintritt von Ca2+ und Na+ --> Neuron feuert TRPV-Kanal bei Vögeln nicht vorhanden Sie können die schärfsten Chilischoten ohne Probleme verzehren Anwendung: Capsaicin in großen Mengen verursacht Analgesie (Ausbleiben von Schmerzen) Bei Gürtelrose, Arthritis, Brustamputationen
  • 11. Sensibilisierende Chemikalien: Bradykinin: depolarisiert direkt Nozizeptoren Postalglandine: o entstehen durch enzymatischen Abbau von Lipidmembranen o Bewirken keinen direkten Schmerz aber Zunahme an Sensibilität der Nozizeptoren Substanz P: o wird von Nozizeptoren selbst synthetisiert o Bewirkt eine Vasodilatation (Erweiterung der Blutgefäße) und Freisetzung von Histamin Primäre Afferenzen und spinale Mechanismen Erster Schmerz: o schnell, stechend o Über schnelle Aδ-Fasern Zweiter Schmerz: o länger, dumpf o Über langsame C-Fasern Verbindungen nozizeptiver Axone im Rückenmark: Zellkörper liegen in Spinalganglien Treten in Hinterhorn des Rückenmarks ein Fasern gehen durch Lissauer Zone Enden in der Substanzia gelatinosa Glutamat ist der Neurotransmitter der schmerzleitenden Afferenzen Übertragener Schmerz Es wird Schmerz in viszeralen Organen so wahrgenommen als käme er von der Haut Bsp: Angina pectoris –> Herz erhält nicht genügend Sauerstoff: Schmerz wird an der oberen Brustwand, linken Arm wahrgenommen Blinddarm: Schmerz wird im Bereich des Bauchnabels empfunden Aufsteigende Schmerzbahnen Übertragungswege von Schmerzreizen und Berührungsreizen unterscheiden sich in: Art der Nervenendungen in der Haut o Berührung: spezialisierte Strukturen o Schmerz: freie Nervenendungen Durchmesser der Axone o Berührung: Aβ-Fasern, dick, schnell leitend o Schmerz: Aδ-Fasern und C-Fasern, dünn, langsam leitend Verschaltungen im Rückenmark o Berührung: Aβ-Axone enden im tiefen Hinterhorn o Schmerz: Aδ und C Fasern verzweigen sich durch Lissauer Zone enden in der Substantia gelatinosa
  • 12. Die spinothalamische Bahn Leitet Informationen über Schmerz und Temperatur vom Rückenmark zum Gehirn Sofortige Kreuzung der Axone Spinothalamische Fasern ziehen das Rückenmark hinauf weiter durch Medulla Pons Mittelhirn Thalamus Grafik Beachte: Berührungsinformationen werden ipsilateral (auf der selben Körperhälfte gelegen) weitergegeben Schmerz-/Temperaturinfos kontralateral (auf der entgegengesetzten gelegen) Brown-Séquard-Syndrom: bei halbseitiger Schädigung des Rückenmarks Da das Rückenmark sowohl aus absteigenden motorischen als auch aus aufsteigenden sensiblen Nervenbahnen besteht, die teilweise auf die jeweils andere Seite des Marks wechseln (kreuzen), resultiert bei lediglich halbseitiger Läsion des Rückenmarks im Gegensatz zur totalen Querschnittlähmung ein scheinbar diffuses Krankheitsbild: während es auf der Körperhälfte, auf deren Seite die Läsion im Rückenmark liegt (ipsilateral), zu einer Lähmung der Willkürmuskulatur und einer Beeinträchtigung der Sensibilität kommt, treten auf der anderen Seite (kontralateral) Störungen der Temperatur- und Schmerzwahrnehmung auf. Trigeminale Schmerzbahn Leitet Schmerz. Und Temperaturinfos vom Gesicht oder Kopf zum Thalamus Über Trigeminusnerv Trigeminuskern trigeminalen Lemniscus Thalamus Thalamus und Cortex Berührungs- und Schmerzwahrnehmungssysteme bleiben dort getrennt Belegen separate Regionen Von hier aus wird Schmerz und Temperaturinfos in Großhirnrinde geleitet Regulation der Schmerzempfindung Schmerzempfinden variiert Afferente Kontrolle Mechanismus: Schmerz kann durch Aktivität der Nozizeptoren auch reduziert werden! ES ist angenehm wenn man über gerade geprelltes Schienbein reibt Elektrische Behandlung von chronischen Schmerzen o Impulsdrähte werden an der Hautoberfläche befestigt
  • 13. 1960: Melzack und Wall Gate-Control Theorie des Schmerzes Neuronen des Hinterhorns werden sowohl durch Axone großen Durchmessers als auch durch nichtmyelinisierte nozizeptive Axone angeregt ABER Neuron wird auch gehemmt durch ein Interneuron nozizeptiven Signale werden unterdrückt Top-Down Kontrolle Starke Emotionen, Stress, stoische Entschlossenheit starke Unterdrückung des Schmerzempfinden Folteropfer die bei Folter keine Schmerzen spüren Gehirnregionen die mit Schmerzunterdrückung in Verbindung stehen: Periaquäduktale Grau (PAG) im Mittelhirn Elektrische Stimulation des PAG Analgesie PAG-Neuronen senden Axone entlang der Mediallinie der Medulla zu Raphekerne hinunter zum Hinterhorn des Rückenmarks dort bewirken sie Hemmung der nozizeotiven Neuronen Endogene Opiodide Binden an Opioidrezeptoren im Gehirn Gehirn produziert selbst morphinartige Substanzen ENDORPHINE Opioide bewirken Analgesie: geringe Mengen injeziert in PAG, Raphekerne oder Hinterhorn Naloxon: Opioidrezeptor-Blocker EXKURS: Schmerz und der Placeboeffekt Klinische Studien zum Placeboeffekt Haben sich die Menschen den Schmerz nur eingebildet? NEIN! Allein der Glaube an die Wirkung reicht aus um die endogenen Schmerzlinderungsprozesse im Gehirn zu aktivieren Naxolon kann den analgetischen Effekt des Placebos unterdrücken Akupunktur, Hypnose, liebkosender Kuss der Mutter Temperatur Thermorezeptoren: besonders temperaturempfindlich Wärme- und Kältewahrnehmung ist örtlich getrennt verschiedene Rezeptortypen Minze/Menthol bewirkt eine Kälteempfindung
  • 14. stimuliert den TRPM8-Rezeptor sechs unterschiedliche Arten von TRP-Kanälen: Grafik siehe S. 465 ZNS weiß nicht, welche Art von Reiz den Rezeptor zum Feuern angeregt hat, aber interpretiert alle Aktivitäten eines KALTrezeptors als Antwort auf KÄLTEreize und umgekehrt mit Warmrezeptoren Es gibt Kaltrezeptoren die zusätzlich TRPV1 entleeren, wenn Wärmereiz auf solche Kaltrezeptoren trifft kann es paradoxerweise zu einem Kältegefühl kommen Adaption von Thermorezeptoren Plötzlicher Abfall der Körpertemperatur: Kaltrezeptor feuert stark, Warmrezeptor verstummt Kaltrezeptor adaptiert nach ein paar Sekunden und verringert die Entladungsrate Warmrezeptor erhöht leicht Entladungsrate nach ein paar Sekunden Rückkehr zur warmen Körpertemperatur: Warmrezeptor feuert stark, Kaltrezeptor verstummt Die Temperaturbahn Gleicht den schmerzleitenden Bahnen Kaltrezeptoren sind Endungen von Aδ- UND C-Fasern Warmrezeptoren: nur Endungen von C-Fasern Einseitige Durchtrennung führt zu Verlust der Temperatursensibilität auf der gegenüberliegenden Körperseite