Web 2.0 aus Sicht der Mediennutzer (Taddicken et al)
Privatsphaere 2.0 (Reinecke & Trepte)
1. Privatsphäre 2.0: Konzepte von Privatheit, Intimsphäre und Werten im
Umgang mit user-generated-content
Vortrag auf dem Workshop „Das neue Netz“, 20. bis 22. September 2007 in Bamberg
Leonard Reinecke, Sabine Trepte
Hamburg Media School
2. Die Preisgabe privater Informationen ist gängige Praxis im
Web 2.0
Informationen aus dem Privatleben und persönliche Erfahrungen stellen
einen Großteil der Inhalte privater Blogs dar (Herring et al., 2005; Schmidt &
Wilbers, 2006)
Berichten über eigene Aktivitäten und Ereignisse im privaten Kontext ist eine
der Hauptmotivationen von Bloggern (Lenhart & Fox, 2006; Nardi, Schiano &
Gumbrecht, 2004)
Die Mehrheit der Autoren ist nicht anonym, sondern gibt Hinweise auf ihre
reale Identität (Huffaker & Calvert, 2005; Qian & Scott, 2007)
Forschungsfrage:
Wie unterscheiden sich Web 2.0 affine Internetnutzer von Personen, die
weniger user-generated-content nutzen, hinsichtlich ihrer Konzepte von
Privatsphäre und ihres allgemeinen Wertekanons?
2
3. Web 2.0: Privatsphäre und ihre psychologischen Korrelate
Eine Reihe psychologischer Konstrukte wurde zur Erforschung des
Zusammenhangs von Web 2.0 Nutzung und Privatsphäre ausgewählt
Need for Privacy Geschützte Werte
• Allgemeines psycholo- • Schutz der Privatsphäre
gisches Bedürfnis nach als unveräußerlicher
Privatsphäre Grundwert
Self-disclosure Wertekanon
• Generelle Bereitschaft Web 2.0 • 10 Wertetypen nach
zur Selbstoffenbarung Nutzung Schwartz (1992)
online und offline
3
4. Affinität zum Web 2.0: Self-Disclosure
Wichtige Gratifikationen der Web 2.0 Nutzung sind mit self-disclosure
verbunden, z.B. Motive für das Bloggen (Nardi et al., 2004)
Gleichzeitig ist self-disclosure mit Risiken verbunden (Qian & Scott, 2007)
Trotzdem geben viele Blogger Hinweise auf ihre reale Identität (Huffaker &
Calvert, 2005)
Web 2.0 Services sollten daher für solche Nutzer attraktiver sein, die eine
höhere generelle Bereitschaft zur Selbstoffenbarung haben
Hypothesen 1a/1b:
Personen, die häufig das Web 2.0 nutzen, zeigen eine höhere Bereitschaft zu self-
H1a
disclosure in offline Kontexten als Personen, die selten das Web 2.0 nutzen.
Personen, die häufig das Web 2.0 nutzen, zeigen eine höhere Bereitschaft zu self-
H1b
disclosure in online Kontexten als Personen, die selten das Web 2.0 nutzen.
4
5. Affinität zum Web 2.0: Need for privacy
Das psychologische Bedürfnis nach Privatsphäre unterliegt interindividueller
Varianz (Marshall, 1974)
Dies hat Auswirkungen auf das Kommunikationsverhalten. Menschen mit
hohem Need for Privacy zeigen:
- weniger Interesse an interpersonaler Kommunikation (Larson & Bell, 1988)
- größere Sorge in Bezug auf den Schutz ihrer Privatsphäre im Internet
(Yao, Rice & Wallis, 2007)
Web 2.0 Nutzung als „soziale Handlung“ (Miller & Shepherd, 2004) sollte
demnach für Personen mit geringerem Need for Privacy attraktiver sein
Hypothese 2:
Personen, die häufig das Web 2.0 nutzen, haben ein geringeres psychologisches
H2
Bedürfnis nach Privatsphäre als Personen, die selten das Web 2.0 nutzen.
5
6. Affinität zum Web 2.0: Privatsphäre als geschützter Wert
Geschützte Werte sind solche Werte, die Menschen unter keinen Umständen
aufzugeben bereit sind (Baron & Spranca, 1997)
Anders als andere Werte werden geschützte Werte keinen Kosten-Nutzen-
Abwägungen unterworfen, sondern gelten als unveräußerlich (Tetlock et al.,
2000)
Personen, für die der Schutz der Privatsphäre einen geschützten Wert darstellt,
laufen Gefahr, bei der Nutzung des Web 2.0 mit diesem Grundwert in Konflikt
zu geraten
Hypothese 3:
Personen, die häufig das Web 2.0 nutzen, erachten den Schutz der Privatsphäre
H3 mit geringerer Wahrscheinlichkeit als geschützten Wert als Personen, die selten
das Web 2.0 nutzen.
6
7. Affinität zum Web 2.0: Allgemeiner Wertekanon
Schwartz (1992) legt ein universelles und kulturübergreifendes Wertesystem
vor, in dem 10 Wertetypen mit unterschiedlicher motivationaler Ausrichtung
unterschieden werden
Die Breite der Wertetypologie nach
Schwartz macht es schwer,
gerichtete Hypothesen zu möglichen Self- Universa-
Werteunterschieden von Nutzern mit Direction lism
unterschiedlicher Affinität zum Web 2.0
zu formulieren
Stimulation Benevolence
Die Studie bleibt in diesem Punkt
daher explorativ
Conformity Tra-
Hedonsim
dition
F1
Forschungsfrage: Unterscheiden
sich Personen, die häufig das Achievment Security
Web 2.0 nutzen, in ihrem allge-
meinen Wertekanon von Personen, Power
die selten das Web 2.0 nutzen?
7
8. Methode: Online-Umfrage
Um eine Stichprobe mit möglichst heterogener Internetnutzung zu
generieren, wurde von verschiedenen Web-Portalen auf die Online-Studie
verlinkt
Im Erhebungszeitrum von Anfang Juli bis Mitte August 2007 wurden so
insgesamt 702 vollständige Datensätze gesammelt
83,8 Prozent Männer, Altersdurchschnitt 28,37 Jahre (SD = 9,83),
durchschnittlich 325 Minuten Internetnutzung pro Tag (SD = 258,9)
n = 30
n = 197
n=8
Online-
Fragebogen
n = 465 n=2
N = 702
8
9. Methode: Datenauswertung
Eine Clusteranalyse führte zur Extraktion von drei Nutzergruppen mit
unterschiedlicher Affinität zum Web 2.0
Ausprägung der abhängigen Variablen
Self-Disclosure
Web 2.0
Produzenten
Clusteranalyse: (n = 229)
Need for
Nutzungsintensi- Privacy
Web 2.0
tät Internet
Umfragedaten Rezipienten
(N = 702) (n = 374)
Nutzung von Privatsphäre als
Blogs,Chat,Foren geschützter Wert
Web 2.0
Abstinenzler
(n = 99) Allgemeiner
Wertekanon
9
10. Ergebnisse: Self-Disclosure
Web 2.0 Produzenten zeigen sowohl online als auch offline eine höhere
Bereitschaft zur Selbstoffenbarung als weniger Web 2.0 affine Nutzer
4,00 3,85
3,65
3,50 3,45
3,00
a b b 2,68
2,50 2,45
2,23
2,07 2,08 Web 2.0 Produzenten
2,00 1,86
Web 2.0 Rezipienten
1,50 Web 2.0 Abstinenzler
a b c a b c
1,00
0,50
0,00
Self-Disclosure: Self-Disclosure: fremde Self-Disclosure: fremde
befreundete Person Person offline Person online
offline
10
11. Ergebnisse: Need for Privacy
Web 2.0 affine und nicht affine Nutzer unterscheiden sich nicht signifikant
hinsichtlich ihres psychologischen Bedürfnis nach Privatsphäre
Ein signifikanter Unterschied findet sich nur in Bezug auf self-disclosure
7,00
6,00
5,00
4,26 4,45 n.s.
n.s. 4,11 Web 2.0 Produzenten
4,00 Web 2.0 Rezipienten
n.s.
Web 2.0 Abstinenzler
3,00 a ab b
2,00
1,00
Neef for Privacy Subskala Self- Subskala Subskala
Gesamtscore Disclosure Concealment Personal Space
11
12. Ergebnisse: Privatsphäre als geschützter Wert
Item 1: „Intime Details aus dem Privatleben von Personen ohne deren
Einverständnis öffentlich zugänglich machen“
Web 2.0 Produzenten Web 2.0 Rezipienten Web 2.0 Abstinenzler
niemals akzeptabel 89,96 % 85,56 % 93,94 %
akzeptabel, wenn
Gewinn groß genug 10,04 % 14,44 % 6,06 %
Chi² = 6,3; p = .043
Die Affinität zum Web 2.0 hat einen statistisch signifikanten Einfluss auf die
Bewertung des Schutzes der Privatsphäre als geschützten Wert
Web 2.0 Rezipienten bezeichnen den Schutz der Privatsphäre mit geringerer
Wahrscheinlichkeit als geschützten Wert, als Web 2.0 Produzenten und Web
2.0 Abstinenzler
12
13. Affinität zum Web 2.0: Allgemeiner Wertekanon nach Schwartz
Signifikante Unterschiede zeigen sich bei den Wertetypen Stimulation,
Hedonism, Benevolence und Security
4,78a
Benevolence 4,58b Community-Orientierung?
4,53b
3,06a
Security 3,09ab
3,42b
4,19a
Hedonism 3,85b
3,47c
Offenheit für Innovationen?
3,56a
Web 2.0 Produzenten
Stimulation 3,25b
Web 2.0 Rezipienten
3,12b
Web 2.0 Abstinenzler
0,00 1,00 2,00 3,00 4,00 5,00 6,00
13
14. Zusammenfassung der Ergebnisse
Der Vergleich der drei Nutzercluster führt zu folgenden Ergebnissen:
1. Self-Disclosure: Web 2.0 Produzenten haben sowohl offline als auch
online eine höhere Bereitschaft zur Selbstoffenbarung, als Nutzer mit
geringerer Affinität zum Web 2.0
2. Need for Privacy: Über die Bereitschaft zu self-disclosure hinaus, lassen
sich keine Unterschiede im psychologischen Bedürfnis nach Privatsphäre
zwischen Personen mit unterschiedlicher Affinität zum Web 2.0 feststellen
3. Privatsphäre als geschützter Wert: Web 2.0 Rezipienten, die von der
Selbstoffenbarung Anderer im Web 2.0 profitieren, halten die Privatsphäre
seltener für einen geschützten Wert als Web 2.0 Produzenten und
Abstinenzler
4. Allgemeiner Wertekanon: Web 2.0 Produzenten zeigen signifikant höhere
Community-Orientierung und größere Offenheit für Innovationen. Web 2.0
Abstinenzler zeichnen sich durch ein signifikant stärkeres Sicherheits-
bedürfnis aus
14
15. Diskussion
Die Gratifikationstruktur des Web 2.0 macht es insbesondere für solche
Personen interessant, die zumindest ein grundlegendes Interesse an der
Offenbarung privater Informationen haben
Dennoch ist das Web 2.0 kein Raum des grenzenlosen Exhibitionismus:
Auch für die Produzenten von user-genrated-content hat die Privatsphäre einen
hohen Stellenwert
Web 2.0 Produzenten bewegen sich daher in einem Spagat zwischen ihrem
Bedürfnis nach Mitteilung auf der einen Seite und ihrem Bedürfnis nach
Privatsphäre auf der anderen Seite
Am ehesten zu Kompromissen in Bezug auf den Schutz der Privatsphäre
bereit sind Web 2.0 Rezipienten, die vom Zugang zu privaten Informationen
Anderer profitieren, ohne die damit verbundenen Risiken tragen zu müssen
15
16. Ausblick
Die Generalisierbarkeit der vorliegenden Studie unterliegt Einschränkungen, da:
- eine anfallende Stichprobe zugrunde gelegt wurde, die nicht repräsentativ
für die Grundgesamtheit der Onliner ist
- die Einteilung ist Nutzer-Cluster auf der Nutzung von Blogs, Chat und
Foren basiert, andere Web 2.0 Angebote aber ausgespart wurden
Zwar belegt die vorliegende Studie die Relevanz des Themenkomplex Privat-
sphäre in Bezug auf das Web 2.0
Gleichzeitig bleiben einige wichtige Fragen unbeantwortet:
- Welche Wirkung hat die Nutzung von user-generated-content auf den
Stellenwert der Privatsphäre?
- Welchen Reiz macht das Offenbaren privater Informationen für die
Gruppe der Web 2.0 Produzenten aus?
- Welchen Reiz macht die Rezeption privater Informationen für die Gruppe
der Web 2.0 Rezipienten aus?
16
17. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Kontakt:
Leonard Reinecke
Hamburg Media School
Finkenau 35
22081 Hamburg
+ 49 (0)40 413468-25
l.reinecke@hamburgmediaschool.com
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