1. Umdruck Nr. [ 8 ] Stand: [29.09.2015]
Änderungsantrag der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD
Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der
Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie
- Bundestags-Drs. 18/5010 -
Stichwort: Delisting
I. Änderung
1. In der Inhaltsübersicht werden nach der Angabe zu Artikel XX folgende
Angaben eingefügt:
„Artikel XX Änderung des Börsengesetzes
Artikel XX Änderung der WpÜG-Angebotsverordnung
Artikel XX Änderung des Kapitalanleger-
Musterverfahrensgesetzes“.
2. Nach Artikel XX wird folgender Artikel XX eingefügt:
‚Artikel XX
Änderung des Börsengesetzes
Das Börsengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Juli 2007
(BGBl. I S. 1330, 1351), das zuletzt durch Artikel 14 des Gesetzes vom 15.
Juli 2014 (BGBl. I S. 934) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. § 39 wird wie folgt geändert:
a) Absatz 2 wird wie folgt gefasst:
„(2) Die Geschäftsführung kann die Zulassung im Sinne des
Absatzes 1 auch auf Antrag des Emittenten widerrufen. Der
Widerruf darf nicht dem Schutz der Anleger widersprechen. Bei
Wertpapieren im Sinne des § 2 Absatz 2 des Wertpapiererwerbs-
und Übernahmegesetzes ist ein Widerruf nur zulässig, wenn
1. bei Antragstellung unter Hinweis auf den Antrag eine
Unterlage über ein Angebot zum Erwerb aller Wertpapiere, die
Gegenstand des Antrags sind, nach den Vorschriften des
Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes veröffentlicht
wurde oder
2. -2-
2. die Wertpapiere weiterhin zugelassen sind
a) an einer anderen inländischen Börse zum Handel im
regulierten Markt oder
b) in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union
oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über
den Europäischen Wirtschaftsraum zum Handel an einem
organisierten Markt, sofern für einen Widerruf der
Zulassung zum Handel an diesem Markt Nummer 1 oder
Nummer 2 entsprechende Voraussetzungen gelten.“
b) Folgende Absätze 3 bis 6 werden angefügt:
„(3) Im Fall des Absatzes 2 Satz 3 Nummer 1 darf das Angebot
nicht von Bedingungen abhängig gemacht werden. Auf das
Angebot ist § 31 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes
mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die
Gegenleistung in einer Geldleistung in Euro bestehen und
mindestens dem gewichteten durchschnittlichen inländischen
Börsenkurs der Wertpapiere während der letzten sechs Monate vor
der Veröffentlichung nach § 10 Absatz 1 Satz 1 oder § 35 Absatz 1
Satz 1 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes
entsprechen muss. Hat während dieses Zeitraums
1. der Emittent entgegen § 15 des Wertpapierhandelsgesetzes oder
einer entsprechenden Vorschrift des anwendbaren
ausländischen Rechts eine Insiderinformation, die ihn
unmittelbar betrifft, nicht unverzüglich veröffentlicht oder in
einer Mitteilung nach § 15 des Wertpapierhandelsgesetzes oder
einer entsprechenden Vorschrift des anwendbaren
ausländischen Rechts eine unwahre Insiderinformation, die ihn
unmittelbar betrifft, veröffentlicht, oder
2. der Emittent oder der Bieter in Bezug auf die Wertpapiere, die
Gegenstand des Antrags sind, gegen das Verbot der
Marktmanipulation nach § 20a des Wertpapierhandelsgesetzes
verstoßen,
so ist der Bieter zur Zahlung des Unterschiedsbetrags zwischen der
im Angebot genannten Gegenleistung und der Gegenleistung
verpflichtet, die dem anhand einer Bewertung des Emittenten
ermittelten Wert des Unternehmens entspricht; dies gilt nicht,
soweit die in Nummern 1 und 2 bezeichneten Verstöße gegen die
§§ 15 und 20a des Wertpapierhandelsgesetzes nur unwesentliche
Auswirkungen auf den nach Satz 2 errechneten Durchschnittskurs
hatten. Sind für die Wertpapiere des Emittenten, auf die sich das
Angebot bezieht, während der letzten sechs Monate vor der
Veröffentlichung nach § 10 Absatz 1 Satz 1 oder § 35 Absatz 1
Satz 1 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes an weniger
als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt worden
und weichen mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um
mehr als 5 Prozent voneinander ab, so ist der Bieter zur Zahlung
einer Gegenleistung verpflichtet, die dem anhand einer Bewertung
des Emittenten ermittelten Wert des Unternehmens entspricht.
(4) Auf Emittenten mit Sitz im Ausland finden im Hinblick auf
das Angebot nach Absatz 2 die Vorschriften des
Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes nach Maßgabe des
Absatzes 3 entsprechende Anwendung.
3. -3-
(5) Die Geschäftsführung hat einen Widerruf nach Absatz 2
unverzüglich im Internet zu veröffentlichen. Der Zeitraum
zwischen der Veröffentlichung und der Wirksamkeit des Widerrufs
darf zwei Jahre nicht überschreiten. Nähere Bestimmungen über
den Widerruf sind in der Börsenordnung zu treffen.
(6) Im Hinblick auf die Anforderungen des Absatzes 3 bleibt die
Rechtmäßigkeit des Widerrufs unberührt.“
2. § 52 wird folgender Absatz 9 angefügt:
„(9) Auf Anträge auf Widerruf der Zulassung von Wertpapieren im
Sinne des § 2 Absatz 2 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes
zum Handel im regulierten Markt, die nach dem 7. September 2015 und
vor dem … [einsetzen: Datum des Inkrafttretens nach Artikel 17 Absatz
1 dieses Gesetzes] gestellt worden sind und über die am … [einsetzen:
Datum des Inkrafttretens nach Artikel 17 Absatz 1 dieses Gesetzes]
noch nicht bestands- oder rechtskräftig entschieden worden ist, ist § 39
Absatz 2 bis 6 in der ab dem … [einsetzen: Datum des Inkrafttretens
nach Artikel 17 Absatz 1 dieses Gesetzes] geltenden Fassung mit der
Maßgabe anzuwenden, dass abweichend von § 39 Absatz 2 Satz 3
Nummer 1 in der ab dem … [einsetzen: Datum des Inkrafttretens nach
Artikel 17 Absatz 1 dieses Gesetzes] geltenden Fassung ein
Erwerbsangebot auch nach Antragstellung veröffentlicht werden
kann.“‘
3. Nach Artikel XX wird folgender Artikel XXX eingefügt:
‚Artikel XXX
Änderung der WpÜG-Angebotsverordnung
Nach § 2 Nummer 7 der WpÜG-Angebotsverordnung vom 27. Dezember
2001 (BGBl. I S. 4263), die zuletzt durch Artikel 17 des Gesetzes vom 6.
Dezember 2011 (BGBl. I S. 2481) geändert worden ist, wird folgende
Nummer 7a eingefügt:
„7a. bei Angeboten nach § 39 Absatz 2 Satz 3 Nummer 1 des
Börsengesetzes Angaben zu dem bevorstehenden Antrag der
Zielgesellschaft auf einen Widerruf der Zulassung der betroffenen
Wertpapiere zum Handel im regulierten Markt; die Angaben müssen
einen ausdrücklichen Hinweis auf mögliche Einschränkungen der
Handelbarkeit der betroffenen Wertpapiere als Folge des Widerrufs und
die damit einhergehende Möglichkeit von Kursverlusten enthalten;“‘
4. Nach Artikel XX wird folgender Artikel XX eingefügt:
‚Artikel XX
Änderung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes
In § 1 Absatz 1 Nummer 3 des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes
vom 19. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2182), das zuletzt durch Artikel 147 der
Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist,
werden nach den Wörtern „Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz“ die
Wörter „, einschließlich eines Anspruchs nach § 39 Absatz 3 Satz 3 und 4
des Börsengesetzes,“ eingefügt.‘
II. Begründung
4. -4-
Zur Inhaltsübersicht
Wegen der Einfügung des neuen Artikels XX - Änderung des Börsengesetzes -
und des neuen Artikels XX - Änderung der WpÜG-Angebotsverordnung - ist
die Inhaltsübersicht entsprechend zu ergänzen.
Zu Artikel XX (Änderung des Börsengesetzes)
Zu Nummer 1 (§ 39)
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in der „Frosta“-Entscheidung (Beschluss vom
8. Oktober 2013, II ZB 26/12) seine bisherige Rechtsprechung (Urteil vom 25.
November 2002, II ZR 133/01 „Macrotron“) zu den Voraussetzungen eines
Widerrufs der Zulassung von Aktien zum Handel im regulierten Markt auf
Veranlassung der Gesellschaft (sog. Delisting) grundlegend revidiert und
entschieden, dass weder ein Hauptversammlungsbeschluss noch ein im
Spruchverfahren überprüfbares Barabfindungsgebot an die Aktionäre
Voraussetzung für ein solches Delisting ist. Seit dieser Entscheidung unterliegt
das Delisting primär den Anforderungen des Kapitalmarktrechts: Nach dem
Börsengesetz (BörsG) darf der Widerruf der Zulassung von Wertpapieren zum
Handel im regulierten Markt dem Schutz der Anleger nicht widersprechen (§ 39
Absatz 2 Satz 2 BörsG), nähere Bestimmungen sind in der jeweiligen
Börsenordnung zu treffen (§ 39 Absatz 2 Satz 5 BörsG). Diese Vorgabe wird in
den Börsenordnungen der einzelnen Börsen unterschiedlich ausgestaltet;
regelmäßig wird dort nur der Ablauf einer mehrmonatigen Frist zwischen der
Veröffentlichung und dem Wirksamwerden des Delistings verlangt.
Im Nachgang zu der „Frosta“-Entscheidung ist die Zahl der Emittenten, die
einen Widerruf der Zulassung ihrer Aktien zum Handel im regulierten Markt
beantragt und den Rückzug vollzogen haben, stark angestiegen. Das geltende
Recht knüpft aber gerade an die Zulassung zum Handel im regulierten Markt
besondere Pflichten für die Unternehmen im Aktien-, Bilanz- und
Wertpapierrecht (§ 3 Absatz 2 des Aktiengesetzes (AktG), § 264d des
Handelsgesetzbuchs (HGB), § 2 Absatz 5 des Wertpapierhandelsgesetzes
(WpHG) und § 1 Absatz 1 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes
(WpÜG)). Der Rückzug eines Emittenten aus dem regulierten Markt kann im
Falle eines vollständigen Börsenrückzugs den Verlust der Handelbarkeit des
betroffenen Wertpapiers, im Falle eines Wechsels in den (qualifizierten)
Freiverkehr (sog. Downlisting) zumindest eine Beeinträchtigung der
Veräußerungschancen bedeuten. In der Zeit zwischen der Ankündigung und
dem Wirksamwerden des Delistings kann es daher zu erheblichen Kursverlusten
kommen. In der Praxis waren Kursverluste nach Ankündigung von Delisting
festzustellen.
Vor diesem Hintergrund erscheint eine gesetzliche Verbesserung des
Anlegerschutzes beim Widerruf der Zulassung eines Wertpapiers zum Handel
am regulierten Markt (also einschließlich des Downlistings) erforderlich. Da es
sich beim Delisting – ebenso wie beim Listing – um einen
kapitalmarktrechtlichen Vorgang und nicht um eine gesellschaftsrechtliche
Strukturmaßnahme handelt, ist eine Regelung im Börsengesetz sachgerecht. Ein
Widerruf der Zulassung von Wertpapieren im Sinne des § 2 Absatz 2 des
WpÜG zum Handel im regulierten Markt kann unter den in Absatz 2 Satz 3 und
Absatz 3 genannten Voraussetzungen erfolgen.
5. -5-
Absatz 2 Satz 3 Nummer 1 sieht als wesentliche Voraussetzung für die
Zulässigkeit eines Widerrufs das Vorliegen eines aktuellen Erwerbsangebots
nach dem WpÜG vor. Auf dieses Angebot sind grundsätzlich die Vorschriften
über einfache Erwerbsangebote nach dem WpÜG anwendbar; die Vorschriften
über Übernahme- und Pflichtangebote gelten hingegen nur soweit eine Geltung -
– wie im Falle des § 31 WpÜG – ausdrücklich angeordnet wird.
Zur Erreichung eines umfassenden Schutzes für alle Inhaber von Wertpapieren
im Sinne des § 2 Absatz 2 WpÜG muss das Angebot auf den Erwerb aller
Wertpapiere gerichtet sein, die Gegenstand des Angebots sind. Teilangebote
reichen danach nicht aus. Da die Geltung des § 31 WpÜG angeordnet ist, muss
der Bieter den Wertpapierinhabern eine angemessene Gegenleistung anbieten.
Für die Berechnung der anzubietenden Gegenleistung gelten nach Absatz 3 Satz
2 in Verbindung mit § 31 Absatz 7 WpÜG daher die §§ 3 bis 7 der WpÜG-
Angebotsverordnung entsprechend. In Abweichung von § 31 Absatz 2 Satz 1
WpÜG hat die angebotene Gegenleistung allerdings stets in einer Geldleistung
in Euro zu bestehen. Zudem ist abweichend von § 5 Absatz 1 WpÜG-
Angebotsverordnung für die Bestimmung der Angemessenheit der
Gegenleistung der gewichtete durchschnittliche inländische Börsenkurs während
der letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung nach § 10 Absatz 1 Satz 1
oder der Kontrollerlangung nach § 35 Absatz 1 Satz 1 WpÜG maßgeblich.
Damit wird dem von Übernahmesituationen regelmäßig abweichenden
Börsenumfeld in Delisting-Fällen Rechnung getragen.
Die Orientierung der Höhe der Abfindung am einfach festzustellenden
Börsenkurs sowie an Vorerwerben im Sinne des § 4 WpÜG-
Angebotsverordnung ermöglicht im Regelfall ein transparentes und
rechtssicheres Verfahren, das auch für die betroffenen Emittenten handhabbar ist
und keine übermäßigen bürokratischen Hürden aufbaut. Gleichzeitig ist eine
prinzipielle Berechnung der Abfindung auf Grundlage des Börsenkurses vor
dem Hintergrund sachgerecht, dass durch ein Delisting lediglich die leichtere
Handelbarkeit der Aktie beeinträchtigt wird, die Mitgliedschaft des Aktionäre
als solche aber nicht berührt wird (BVerfG, Urteil vom 11. Juli 2012, 1 BvR
3242/07, 1 BvR 1569/08). Aus diesem Grund erscheint eine Berechnung der zu
leistenden Abfindung anhand einer Unternehmensbewertung anders als in den
Fällen der Umwandlung (§ 29 des Umwandlungsgesetzes) oder des Squeeze-
outs (§ 327b des Aktiengesetzes) im Grundsatz weder geboten noch
systemgerecht.
Eine Bemessung der anzubietenden Gegenleistung nicht anhand des
Börsenkurses, sondern anhand einer Unternehmensbewertung hat nach Absatz 3
Satz 3 Nummer 1 aber dann zu erfolgen, wenn der Emittent entgegen § 15
Absatz 1 WpHG oder bei Emittenten, die keine Inlandsemittenten im Sinne
dieser Vorschrift sind, entgegen einer entsprechenden Vorschrift des
anwendbaren ausländischen Rechts eine Insiderinformation nicht unverzüglich
veröffentlicht oder in einer Mitteilung nach § 15 WpHG oder einer
entsprechenden anwendbaren ausländischen Vorschrift eine unwahre
Insiderinformation veröffentlicht hat. Eine Berechnung der Gegenleistung auf
Grundlage einer Unternehmensbewertung ist in diesen Fällen sachgerecht, da
die Aussagekraft des Börsenkurses durch eine unterlassene oder unzutreffende
Veröffentlichung kursrelevanter Informationen regelmäßig beeinträchtigt wird.
Zur Gewährleistung eines effektiven Anlegerschutzes besteht in diesen Fällen
abweichend von den allgemeinen übernahmerechtlichen Bestimmungen ein
Zahlungsanspruch in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen der im Angebot
6. -6-
genannten Gegenleistung und der Gegenleistung, die dem anhand einer
Bewertung des Emittenten ermittelten Wert des Unternehmens entspricht, ohne
dass der einzelne Anleger auf die Geltendmachung eines
Schadensersatzanspruchs nach § 37b oder § 37c WpHG verwiesen wäre. Die
Formulierung ist dabei an § 31 Absatz 5 WpÜG angelehnt und trägt zum einen
dem Umstand Rechnung, dass dem Bieter ein Verstoß des Emittenten gegen die
Ad-hoc-Bestimmungen im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Angebots nicht
notwendigerweise bekannt sein muss und daher bei der Berechnung der im
Rahmen der Veröffentlichung des Angebots anzubietenden Gegenleistung in der
Regel nicht berücksichtigt werden kann. Zum anderen gewährleistet die
Formulierung im Interesse eines effektiven Anlegerschutzes, dass die auf
Grundlage des Börsenkurses errechnete Gegenleistung auch im Falle eines Ad-
hoc-Verstoßes die Untergrenze für die zu leistende Gegenleistung darstellt. Dies
gilt nach Absatz 3 Satz 3 Nummer 2 auch in Fällen, in denen der Emittent oder
der Bieter gegen § 20a WpHG verstoßen hat. Eine Bemessung der
anzubietenden Gegenleistung nicht anhand des Börsenkurses, sondern anhand
einer Unternehmensbewertung setzt sowohl in den Fällen des Absatzes 3 Satz 3
Nummer 1 als auch Nummer 2 voraus, dass ein Verstoß gegen §§ 15 und 20a
WpHG durch die zuständigen Behörden rechts- oder bestandskräftig festgestellt
wurde.
Ein Verstoß gegen §§ 15 und 20a WpHG begründet regelmäßig Zweifel an der
Aussagekraft des durchschnittlichen Börsenkurses im Hinblick auf eine
sachgerechte Unternehmensbewertung, sodass in diesen Fällen in der Regel von
einer am Börsenkurs orientierten Bewertung des Emittenten abgesehen werden
sollte. Bei Verstößen gegen §§ 15 und 20a WpHG, die nur unwesentliche
Auswirkungen auf den Durchschnittskurs haben, bestehen jedoch keine
hinreichenden Zweifel. Um daher einen Automatismus dahingehend zu
vermeiden, auch in Fällen von nur unwesentlichen Auswirkungen auf den
Durchschnittskurs von einer am Börsenkurs orientierten Bewertung des
Emittenten absehen zu müssen, soll der Bieter die Möglichkeit erhalten,
nachzuweisen, dass der jeweilige Verstoß gegen §§ 15 oder 20a WpHG nur
unwesentliche Auswirkungen auf den Durchschnittskurs hatte und es deshalb
nicht gerechtfertigt ist, von einer am Börsenkurs orientierten Bewertung des
Emittenten abzusehen.
Klarstellend ist darauf hinzuweisen, dass ein Verstoß gegen § 15 WpHG dann
nicht vorliegt, wenn der Emittent nach § 15 Absatz 3 WpHG die
Veröffentlichung einer Insiderinformation zulässigerweise aufschiebt. Nach der
gesetzlichen Wertung des § 15 Absatz 3 WpHG ist ein etwaiges
Informationsungleichgewicht in diesem Fall zum Schutz der berechtigten
Interessen des Emittenten gerechtfertigt und die Heranziehung des
Börsenkurses als Bewertungsgrundlage weiterhin sachgerecht. Gleichermaßen
ist eine Berechnung der Gegenleistung auf Grundlage einer
Unternehmensbewertung dann nicht veranlasst, wenn Verstöße gegen das
Verbot der Marktmanipulation nach § 20a WpHG durch einen Dritten vorliegen,
die weder dem Emittenten noch dem Bieter zuzurechnen sind.
Eine Bemessung der anzubietenden Gegenleistung nicht anhand des
Börsenkurses, sondern anhand einer Unternehmensbewertung hat nach Absatz 3
Satz 4 in Anlehnung an § 5 Absatz 4 der WpÜG-Angebotsverordnung auch in
den Fällen zu erfolgen, in denen der Börsenkurs nach übernahmerechtlichen
Maßstäben nicht in aussagekräftiger Weise festgestellt werden kann. In diesen
Fällen hat der Anleger, der das Angebot angenommen hat, einen Anspruch auf
7. -7-
Zahlung einer angemessenen Gegenleistung, die anhand einer
Unternehmensbewertung zu berechnen ist.
Im Falle eines zum Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung noch laufenden
Angebotsverfahrens ist zudem sicherzustellen, dass die erfolgreiche Abwicklung
des Verfahrens gewährleistet ist. Das Angebot nach Absatz 2 Satz 3 Nummer 1
ist daher nach Absatz 3 Satz 1 bedingungsfeindlich: Es darf insbesondere weder
unter die Bedingung eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung des
Bieters gestellt werden, noch vom Erreichen einer bestimmten
Mindestannahmequote abhängig gemacht werden. §§ 18 und 25 WpÜG finden
dementsprechend im Rahmen eines Angebots nach Absatz 2 Satz 3 Nummer 1
keine Anwendung.
Darüber hinaus darf ein Widerrufsantrag erst gestellt werden, wenn eine
Angebotsunterlage nach § 14 Absatz 2 WpÜG veröffentlicht wurde. Damit ist
gewährleistet, dass die Angebotsunterlage vor Antragstellung nach § 14 Absatz
1 WpÜG der Bundesanstalt zur Prüfung übermittelt und das Angebot von dieser
nicht nach § 15 WpÜG untersagt wurde. Damit wird insbesondere sichergestellt,
dass die nach § 31 WpÜG zu gewährende Gegenleistung nicht offensichtlich
unangemessen ist und eine entsprechende Finanzierungsbestätigung vorliegt.
Die Bundesanstalt achtet zudem darauf, dass der für die Bestimmung der
Angemessenheit der Gegenleistung grundsätzlich maßgebliche Börsenkurs
zutreffend berechnet wurde. Die Verpflichtung zur Erstellung einer
Angebotsunterlage ermöglicht der Geschäftsführung der jeweils betroffenen
Börse darüber hinaus in einem einfachen und rechtssicheren Verfahren über den
Widerruf der Zulassung zu entscheiden, indem diese lediglich formal die
Veröffentlichung eines Angebots nach dem WpÜG und das Bestehen einer
Zulassung an einer anderen Börse nach Absatz 2 zu prüfen hat, nicht aber die
weitergehenden inhaltlichen Anforderungen nach Absatz 3, die von der BaFin
im Rahmen der Prüfung der Angebotsunterlage geprüft werden.
Dementsprechend ist in Absatz 6 klargestellt, dass die Angemessenheit der
Gegenleistung sowie die übrigen Anforderungen nach Absatz 3 nicht
Gegenstand des verwaltungsrechtlichen Rechtschutzes gegen die Entscheidung
über den Widerruf durch die Geschäftsführung der jeweiligen Börse sind.
Der Rechtsschutz des Anlegers richtet sich insoweit ausschließlich nach Absatz
3 Satz 3 und 4 sowie nach dem WpÜG. Der Anleger kann danach insbesondere
die Angemessenheit der Gegenleistung in einem zivilrechtlichen Verfahren
überprüfen lassen. Durch die Geltung des § 31 WpÜG sowie die ausdrückliche
Anordnung der Zahlungsansprüche in Absatz 3 Satz 3 und 4 ist sichergestellt,
dass jeder Anleger, der das Angebot angenommen hat, einen Anspruch gegen
den Bieter auf Entrichtung einer angemessenen Gegenleistung hat, der vor den
Zivilgerichten durchgesetzt werden kann. Dies entspricht der Rechtslage im
Übernahmerecht (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2014, II ZR 353/12). Die
Erhebung einer zivilrechtlichen Klage auf angemessene Abfindung lässt die
Entscheidung der Börsengeschäftsführung über den Widerruf der
Börsenzulassung unberührt. Damit wird einerseits dem veräußerungswilligen
Anleger Rechtsschutz im Hinblick auf die Angemessenheit der Gegenleistung
gewährt. Andererseits wird gewährleistet, dass das Delisting-Verfahren
durchgeführt werden kann, ohne durch Streitigkeiten über die Höhe der
Abfindung belastet zu werden.
Im Rahmen der Entscheidung des Gerichts über die Kosten des Rechtsstreits
betreffend die Angemessenheit der Gegenleistung gelten die §§ 91 ff ZPO.
8. -8-
Insbesondere kann das Gericht dem Beklagten nach Maßgabe von § 92 Absatz 2
Nummer 2 ZPO die gesamten Prozesskosten auferlegen.
§ 39 BörsG betrifft allein den Widerruf der Zulassung zum Handel im
regulierten Markt an einer einzelnen (inländischen) Börse. Besondere
Schutzregelungen sind daher dann nicht erforderlich, wenn das Delisting der
fraglichen Wertpapiere lediglich an einem Börsenplatz erfolgt, an einem anderen
gleichwertigen Handelsplatz aber weiter zum Handel zugelassen sind. Aus
diesem Grund sieht Absatz 2 Satz 3 Nummer 2 vor, dass ein Widerruf der
Zulassung auch ohne ein Erwerbsangebot zulässig ist, wenn die Wertpapiere
weiterhin entweder an einer anderen inländischen Börse zum Handel im
regulierten Markt oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union
oder einem andern Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen
Wirtschaftsraum zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Im
zweiten Fall ist allerdings Voraussetzung, dass an diesem Markt für einen
Widerruf der Zulassung zum Handel Nummer 1 oder Nummer 2 entsprechende
Voraussetzungen gelten. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die
anlegerschützenden Voraussetzungen des § 39 BörsG über ein Zweitlisting an
einem ausländischen organisierten Markt umgangen werden.
Nachdem das WpÜG lediglich für inländische Emittenten uneingeschränkte
Anwendung findet, ordnet Absatz 4 die entsprechende Geltung der für das
Angebot nach Absatz 2 geltenden Vorschriften des WpÜG für ausländische
Emittenten an, deren Wertpapiere an einer inländischen Börse zugelassen sind.
Erweiterte Mitentscheidungsrechte für die Aktionäre, wie sie die
Rechtsprechung bislang durch den von ihr geforderten
Hauptversammlungsbeschluss verlangte, sind vor dem Hintergrund der nunmehr
vorgesehenen umfassenden kapitalmarktrechtlichen Schutzbestimmungen nicht
geboten.
Zu Nummer 2 (§ 52)
Die Regelungen nach § 39 Absatz 2 Satz 3 BörsG finden auch auf laufende
Delisting-Verfahren Anwendung, die nach dem Tag der öffentlichen Anhörung
vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages am 7. September 2015
eingeleitet worden sind. Nachdem das Bundesverfassungsgericht entschieden
hatte (BVerfG, Urteil vom 11. Juli 2012, 1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08), dass
der Widerruf der Börsenzulassung für den regulierten Markt auf Antrag des
Emittenten den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts des Aktionärs
grundsätzlich nicht berührt, hatte der Bundesgerichtshof in der „Frosta“-
Entscheidung ( Beschluss vom 8. Oktober 2013, II ZB 26/12) seine bisherige
Rechtsprechung zu den Voraussetzungen eines Widerrufs der Zulassung von
Aktien zum Handel im regulierten Markt auf Veranlassung der Gesellschaft
revidiert und die bisherigen Vorgaben für die Zulässigkeit eines Delistings
aufgegeben. Ein schützenswertes Vertrauen in den Erhalt der durch die
Änderung der Rechtsprechung geschaffenen Rechtslage bestand spätestens seit
der öffentlichen Anhörung nicht mehr. Im Interesse der Gewährleistung eines
angemessenen Anlegerschutzes ist eine Vorverlagerung des
Anwendungsbereichs der Regelungen nach § 39 Absatz 2 Satz 3 BörsG geboten.
9. -9-
Zu Artikel XX (Änderung der WpÜG-Angebotsverordnung)
Nach § 39 Absatz 2 Satz 3 Nummer 1 und 2 BörsG ist ein Widerruf der
Zulassung von Wertpapieren im Sinne des § 2 Absatz 2 WpÜG zum Handel am
regulierten Markt nur zulässig, wenn ein den übernahmerechtlichen
Anforderungen entsprechendes Angebot unterbreitet wurde, in dem auf den
bevorstehenden Antrag des Emittenten auf Widerruf hingewiesen wurde. Um
den Wertpapierinhabern die Risiken zu verdeutlichen, die mit einer Nicht-
Annahme des Angebots einhergehen, muss ausdrücklich auf mögliche
Einschränkungen der Handelbarkeit als Folge des Widerrufs der Zulassung der
Wertpapiere zum regulierten Markt und die damit einhergehende Möglichkeit
von Kursverlusten hingewiesen werden.
Zu Artikel XX (Änderung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes)
Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) stellt ein
Musterfeststellungsverfahren zur Verfügung, das sich als taugliches Instrument
zur Bewältigung von Massenklagen im Bereich des Kapitalmarktrechts bewährt
hat. Durch die Änderung wird der bisherige Anwendungsbereich des KapMuG
sachgerecht erweitert. In den Fällen des § 39 Absatz 3 Satz 3 Nummer 1 und
Nummer 2 und Satz 4 BörsG erscheint es nicht ausgeschlossen, dass im
Einzelfall auf demselben Lebenssachverhalt beruhende Ansprüche auf die
erhöhte Gegenleistung nach § 39 Absatz 3 Satz 3 BörsG in größerer Zahl
entstehen können, wobei der im Streit stehende Geldbetrag im Einzelfall gering
ausfallen kann. Gerade in solchen Fällen besteht die Gefahr, dass individuelle
Ansprüche nicht isoliert verfolgt werden, da der erforderliche Aufwand und das
– wegen notwendiger Sachverständigengutachten mitunter erhebliche –
Prozessrisiko aus Sicht des Betroffenen unverhältnismäßig erscheinen. Dies
kann letztlich dazu führen, dass kapitalmarktrechtliche Haftungsnormen ihre
ordnungspolitische Steuerungsfunktion zu einem wesentlichen Teil einbüßen.
Die Anwendung des KapMuG ist geeignet, entsprechend Abhilfe zu schaffen
sowie eine konzentrierte – und damit für den Einzelnen kostengünstigere –
Erledigung verallgemeinerungsfähiger Tatsachen- und Rechtsfragen bei der
Geltendmachung von Ansprüchen nach § 39 Absatz 3 Satz 3 und 4 des
Börsengesetzes zu ermöglichen. Dabei bietet sich für einen Musterentscheid
sowohl die Frage an, ob die Voraussetzungen von § 39 Absatz 3 Satz 3 Nummer
1 und Nummer 2 und Satz 4 BörsG vorliegen, als auch, ob und um wieviel die
Gegenleistung erhöht ist.
Die Ergänzung dient der Klarstellung, dass auch die Ansprüche nach dem BörsG
erfasst werden.