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FAKULTÄT FÜR GEISTES-, SOZIAL- UND ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTEN




          Das Erinnerungs- und
           Traumbild bei Gilles
                 Deleuze
               Am Beispiel von „Open Your Eyes“
                                         von
                                     Birgit Lippert




Eingereicht am:     26.01.2012

Dozent:             Prof. Winfried Marotzki

Seminar:            Audio-visuelle Artikulationen der Moderne: Gilles Deleuze WS 09/10

Matrikelnr.:        173694
Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ...........................................................................................................................3

2. Das Zeit-Bild nach Deleuze ................................................................................................4

   2.1 Wahrnehmungsbild .......................................................................................................5

   2.2 Erinnerungsbild ............................................................................................................5

   2.3 Traumbild .....................................................................................................................6

3. Deleuze in der Praxis ..........................................................................................................9

   3.1 Filmauswahl .................................................................................................................9

   3.2 Plot – Story ................................................................................................................. 10

   3.3 Erinnerungsbilder in Open Your Eyes.......................................................................... 12

   3.4 Traumbilder in Open Your Eyes .................................................................................. 15

4. Fazit ................................................................................................................................. 19

   Ausblick ........................................................................................................................... 20

Literaturverzeichnis .............................................................................................................. 21

   Literatur............................................................................................................................ 21

   Filme ................................................................................................................................ 21

Abbildungsverzeichnis ......................................................................................................... 22

Eigenständigkeitserklärung ................................................................................................... 23




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1. Einleitung

Im Sinne der strukturalen Medienbildung ist eine der elementarsten Fragen der
Filmwissenschaft: Wie schaffen es Filme, Reflexionsräume zu eröffnen? Einen Ansatz, der
schon etwas älter, aber dennoch nicht veraltet ist, bietet uns Gilles Deleuze in seiner Kino-
Studie aus den Jahren 1983 und 1985. Besonders interessant sind hierbei die Untersuchungen
des so genannten Zeit-Bildes, dem Deleuze das Potenzial zuschreibt, allein dem Denken
vorbehalten zu sein (vgl. Volland 2009, S. 88). Er definiert, im Anschluss an Bergson, Zeit
„als Einheit von Aktualität und Virtualität“ (dies., S. 90) und sucht nach jener Virtualität,
deren Schlüssel er in der Bildlichkeit des Films sieht. Denn nur der Film schafft es, eine
Gleichzeitigkeit von Sukzession und Simultaneität abzubilden und somit den Raum für
Reflexions- und Denkprozesse zu eröffnen, denn „[a]uf dem Simultanfeld des Virtuellen […]
verlaufen Gedanken in ungewohnten Bahnen – ebenso unsystematisch wie kreativ und
experimentell“ (dies., S. 91).

Visuell erfahren jene Bilder ihre Verwirklichung in der Darstellung von Erinnerungen und
Träumen, die besonders im modernen europäischen Kino den Zuschauer zu neuen
Denkweisen inspirierten. Deleuze beschreibt in „Das Zeit-Bild. Kino 2“, wie Erinnerungs-
und Traumbilder gestaltet werden, wie sie entstehen und was der Zuschauer benötigt, um sie
als solche identifizieren zu können.

Diese Arbeit stellt eine Ausarbeitung der Präsentation „Open Your Eyes“ dar, die von den
Studenten Birgit Lippert, Ingo Naumann und Massimo Tortora im Master-Seminar „Audio-
visuelle Artikulation der Moderne: Gilles Deleuze“ im Wintersemester 2009/2010 an der
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg gehalten wurde. Nachdem einführend die
Thematik des Zeit-Bildes vertieft wird (Kapitel 2), sollen die Begriffe Wahrnehmungs-,
Erinnerungs- und Traumbild nach Deleuze erklärt werden (Kapitel 2.1 – Kapitel 2.3).
Anschließend wird der Ansatz von Gilles Deleuze am Film Open Your Eyes – Virtual
Nightmare aus dem Jahr 1997 angewendet und Erinnerungs- sowie Traumbilder
herausgearbeitet und an Beispielen belegt (Kapitel 3). Das Fazit (Kapitel 4) fasst die
Ergebnisse abschließend zusammen und stellt einen kurzen Ausblick auf die aktuelle
Filmlandschaft hinsichtlich des Deleuze’schen Ansatzes dar.




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2. Das Zeit-Bild nach Deleuze

Um das Zeit-Bild von Deleuze erklären zu können, ist es notwendig, einen kurzen Blick auf
das erste Kino-Buch, „Das Bewegungs-Bild. Kino 1“ zu werfen. In diesem Buch beschreibt
Deleuze das klassische Kino mit seinen aufeinander folgenden Bildern, die er systematisiert
und in Verbindung setzt. Die Zeit ist hierbei der Bewegung untergeordnet, die Bilder erhalten
durch die Verbindung von Aktion und Reaktion ihren Zusammenhang. Die Bewegung des
ersten Bildes erklärt die Bewegung des zweiten Bildes usw. Dabei wird die Zeit, die bei
solchen Bewegungen abläuft, meistens gefälscht1 (vgl. Oestreich 2010). Da der Zuschauer
aber aufgrund von Gewohnheiten, Filmerfahrung und Bewegungsklischees die Bewegungen
mental nachvollziehen kann, stellt diese fiktive Wirklichkeit für ihn kein Problem dar. Auch,
dass ihm die Welt des „Nicht-Sichtbaren (horse-champ)“ (ebd.; Hervorh. im Orig.) durch die
Auswahl des Bildausschnitts verborgen bleibt, erscheint ihm nur allzu logisch, da die Kamera
der Bewegung folgt. Es handelt sich um eine Logik sensomotorischer Schemata, die eine
soziale, sinnhafte Ordnung darstellt.

Nach dem zweiten Weltkrieg, im Kontext von Modernisierungsprozessen, gerät das
Bewegungs-Bild in die Krise. Es tauchen neue Bilder auf, die sich nicht mehr durch die
Bewegung verbinden, sondern durch die Zeit. „Es sind rein optische und rein akustische
Beschreibungen (Opto- und Sonozeichen) von Situationen, auf die [vom Darsteller; Anm. d.
Verf.] nicht reagiert wird“ (ebd.). Der Wechsel hin zum modernen Kino, in dem die Zeit
wesentlich spürbarer wird, bringt Deleuze schließlich zum Zeit-Bild und damit zum zweiten
Band seiner Kino-Reihe.

Bezeichnend für das Zeit-Bild ist die gleichzeitige Präsenz von verschiedenen Zeiten, also
Gegenwart und Erinnerungen, Träume oder Wahnvorstellungen. Das erste Bild kündigt den
Wechsel zu einer anderen Zeit an, der Übergang wird häufig durch einen Effekt (Blende,
Kontrast oder Weichzeichnungen) gekennzeichnet. Das zweite Bild ist das virtuelle Bild,
teilweise noch unterlegt mit der Tonspur aus der Gegenwart, dem ersten Bild. Die Filmfiguren
werden selbst zu Zuschauern: „Wir haben es nunmehr mit einem Kino des Sehenden [cinéma
de voyant] und nicht mehr mit einem Kino der Aktion zu tun“ (Deleuze 1997, S. 13; Hervorh.
im Orig.). Raum und Zeit müssen also nicht mehr miteinander verknüpft sein. Da aus den
Situationen nicht mehr zwangsläufig Handlungen folgen, ergeben sich Reflexionsräume, das

1
 Ausnahmen bilden Werke wie Andy Warhols Empire (1964), welches über acht Stunden lang das Empire State
Building aus einer einzigen Einstellung zeigt
                                                                                                     4
bedeutet auch, dass soziale Ordnungen an Konsistenz und Kontinuität verlieren und somit
dispersiv werden. Diese Filme, die den Zuschauer durch visuelle Schocks verstören, sieht
Deleuze als Möglichkeit, ihn zum Denken zu zwingen (vgl. Ott 2003). Deleuze findet die
Auseinandersetzung    mit    inneren mentalen Zuständen,         bei denen die Situationen
sinnfragmentiert sind (und somit häufig zu rein optischen Situationen werden), besonders im
europäischen Film, unter anderem bei Rosselinis Tetralogie (Deutschland im Jahre Null,
Stromboli, Europa 51 und Reise nach Italien), bei Antonioni (Chronik einer Liebe, Der
Schrei, Die Nacht), Visconti (Besessenheit, Sehnsucht, Rocco und seine Brüder) und Resnais
(Letztes Jahr in Marienbad), aber auch bei Ozu (Der Herbst der Familie Kohayagawa, Early
Summer, Später Frühling).




2.1 Wahrnehmungsbild
Als Wahrnehmungsbild bezeichnet Deleuze jene Bilder, die als Wahrnehmungsereignis oder
Wahrnehmungsprozess verstanden werden können. Dies gilt zwar grundsätzlich für fast alle
Bilder im Film, jedoch gibt es Bilder, „die diese Stufe der Semiose besonders herausstellen,
nicht überdecken bzw. erst freilagen“ (Engell 2002). Sie können als einzelne Bilder auftreten,
zum Beispiel Wasserbilder, die Lichteffekte auf der Oberfläche zeigen, oder auch als
Filmkonzept funktionieren, wenn es um die Konstitution des Sichtbaren durch Wahrnehmung
im Film geht (vgl. ebd.). Im Zusammenhang mit Erinnerungen und Träumen jedoch
korrespondieren sie mit dem dazugehörigen Erinnerungs-/Traumbild.




2.2 Erinnerungsbild
Bei der Erinnerung handelt es sich um ein virtuelles Bild. Dieses wird von einem
Wahrnehmungsbild hervorgerufen, es aktualisiert sich selbst in einem Erinnerungsbild, das
mit dem Wahrnehmungsbild in Verbindung steht: „Gehen wir von einem Wahrnehmungsbild
aus, das seinem Wesen nach aktuell ist. Im Gegensatz dazu ist die Erinnerung […]
notwendigerweise ein virtuelles Bild. Allerdings wird sie insofern aktuell, als sie von einem
Wahrnehmungsbild hervorgerufen wird. Sie aktualisiert sich in einem Erinnerungsbild, das
dem Wahrnehmungsbild korrespondiert“ (Deleuze 1997, S. 80). Das Erinnerungsbild kann
also gar nicht allein auftreten, es braucht immer ein Wahrnehmungsbild, vor- oder
nachgereicht,   das   es    determiniert.   Es   trägt   dabei   nicht   von   sich   aus   ein
Vergangenheitszeichen, es präsentiert lediglich eine vergangene Gegenwart und hier liegt

                                                                                             5
auch die Unterscheidung zwischen Vorstellung und Erinnerung (vgl. ders., S. 76f.). Für die
Erinnerungsbilder gilt dabei: „Es muss ausgeschlossen sein, daß man die Geschichte in der
Gegenwart erzählen könnte“ (ders., S. 69).

Grafik 1 soll vereinfacht darstellen, wie sich der Prozess des Erinnerns im Film in
Wahrnehmungsbild und Erinnerungsbild aufspaltet.




                     Grafik 1 – Darstellen der Erinnerung




Im Allgemeinen wird das Erinnerungsbild in Form einer Rückblende präsentiert, dabei
„kündigt sie sich durch eine Überblendung an, und die von ihr eingeführten Bilder sind oft
überbelichtet oder gerastert, als seien sie mit dem Hinweis versehen: »Achtung,
Erinnerung!«“ (ebd.). Während die Erinnerung durch die bewusste Tätigkeit des Erinnerns
noch recht stark an das Subjekt geknüpft ist, erfährt sie ihre Steigerungsform im Traum, bei
dem der Träumende eine unabhängigere, distanziertere Position einnimmt (vgl. Engell 2002).



2.3 Traumbild
Der Unterschied zwischen Erinnerung und Traum liegt einerseits darin, dass die
Wahrnehmungen des Schlafenden fortbestehen, er ist also von der Innen- und Außenwelt
nicht völlig abgeschlossen. Deleuze sieht auf der anderen Seite die daraus entstehenden
Traumbilder als unendliche Aktualisierung von virtuellen Bildern, als eine Serie von
Anamorphosen (vgl. Deleuze 1997, S. 80). Er erwähnt in diesem Zusammenhang auch
                                                                                          6
Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Fieberträume, die bei ihm ebenso konstruiert sind.
Gemeint sind typische Traumszenen, wie sie auch in Walt Disneys „Dumbo, der fliegende
Elefant“ (1941) auftreten2. Wie in den Screenshots erkennbar wird, geht ein Bild nahezu im
Sekundentakt in ein anderes über, es sind surrealistische Darstellungen, freischwebende
Bilder, losgelöst von jeglicher Realität.




         Screenshot a (02:14)           Screenshot b (02:16)          Screenshot c (02:17)




          Screenshot d (02:18)          Screenshot e (02:19)          Screenshot f (02:21)




Traumbilder können ebenso über den gesamten Film verteilt sein und erst im Zusammenhang
gesehen einen Sinn ergeben. Er erwähnt verschiedene Techniken zur Herstellung von
Traumbildern.        Einerseits    Effekte      wie      Überblendungen,       Überbelichtungen,
Kamerabewegungen und Spezialeffekte, andererseits Montage-Techniken oder direkte
Schnitte (vgl. ders., S. 82).

Gemein ist dem Erinnerungs- und Traumbild, dass sie vom Zuschauer nicht immer ohne
weiteres als solches identifiziert werden können: „Das Traumbild vermag daher ebensowenig
wie das Erinnerungsbild die Unterscheidbarkeit von Realem und Imaginärem zu
gewährleisten“ was aber auch zur Folge hat, dass „[d]as Traumbild […] an die Bedingung
geknüpft [ist], den Traum einem Träumer und das Bewußtsein vom Traum (das Reale) dem
Zuschauer zuzuordnen [ist]“ (der., S. 83).



2
  Wobei es sich hierbei vielmehr um Wahnvorstellungen handelt, die der kleine Elefant aufgrund von
übermäßigen Verzehr von Seifenwasser erleidet
                                                                                                7
Außerdem unterscheidet Deleuze in Anlehnung an Michel Devillers den „impliziten Traum“
(Devillers 1978, zit. n. Deleuze 1997, S. 83), der sich in der Bewegung der Welt manifestiert.
Der Raum dehnt sich aus, die Zeit streckt sich – nicht (nur) die Figuren bewegen sich,
sondern Schatten, Straßen und Möbel, die häufig in Zeitlupe ausgedehnte Gesten vollziehen.
Der implizite Traum befreit die Bewegung der Welt, welche der explizite noch zu zügeln
vermag (vgl. ders., S. 83f.). Die träumende Subjektinstanz kann dabei auch wegfallen, dies ist
die „höchste Stufe“ des Erinnerungs- bzw. Traumbildes.




                                                                                            8
3. Deleuze in der Praxis

Um Deleuze‘ Verständnis von Zeit-Bildern und insbesondere von Erinnerungs- und
Traumbildern besser zu verdeutlichen, sollen seine Definitionen als „Schablone“ über einen
aktuellen Film gelegt werden, der sich mit dem Thema Traum und Erinnerung beschäftigt.



3.1 Filmauswahl
Die Wahl des Films fiel auf Alejandro Amenábars Open Your Eyes – Virtual Nightmare,
welcher unter dem Originaltitel Abre Los Ojos 1997 in Spanien veröffentlicht wurde. Er kann
dem Genre des Science-Fiction-Dramas zugeordnet werden und ist knapp zwei Stunden lang.
In Deutschland wurde er erst Ende 2002 veröffentlicht, ein halbes Jahr nachdem sein
amerikanisches Remake Vanilla Sky3 von Cameron Crowe in die Kinos kam. Dieses Remake
ist wesentlich bekannter und hält sich in seiner Handlungsabfolge und der Mise-en-scène eng
an das Original. Penélope Cruz spielt in beiden Filmen die Rolle der Sofia, die Hauptrolle des
César wird im Original von Eduardo Noriega verkörpert, in weiteren Rollen sind Chete Lera
(als Antonio), Najwa Nimri (als Nuria) und Fele Martínez (als Pelayo) zu sehen. Die
Romanidee stammt von Alejandro Amenábar selbst, als er mit Fieber im Bett lag und unter
Alpträumen litt. Co-Autor war Mateo Gil, der auch 2004 mit Amenábar an Das Meer In Mir4
arbeitete.

Der Film wurde ausgewählt, weil er auf interessante, wenn auch nicht ganz unkomplizierte
Weise die Idee des gezielten Träumens thematisiert und wie einige andere Filme in den späten
90er Jahren, wie zum Beispiel Matrix5 oder eXistenZ6, nach der Wirklichkeit fragt. Gegenüber
dem Remake hat Open Your Eyes den Vorteil, dass der Zuschauer nicht von Hollywood-
Bildern überschwemmt wird. Auch wenn Vanilla Sky ein gelungenes Remake darstellt,
verhält sich das Original besonders bei der Inszenierung der verschiedenen Ebenen im Film
wesentlich subtiler und setzt auf geschicktere Cues, wie zum Beispiel das Wetter, welches bei
Cameron Crowe durch extreme Farbbearbeitung der Bilder (Blau- und Gelb-/Rosétöne)
ersetzt wurde. Auch wenn beide Filme viele versteckte kleine Hinweise (Musik, Fotos,



3
  Crowe, Cameron (2002): Vanilla Sky. USA
4
  Amenábar, Alejandro (2004): Das Meer In Mir. Spanien/Frankreich/Italien
5
  Wachowski, Andy; Wachowski, Lana (1999): Matrix. USA
6
  Cronenberg, David (1999): eXistenZ. Kanada/Großbritannien

                                                                                            9
Redewendungen…) auf die jeweilige Ebene bieten, so wirkt Open Your Eyes im spanischen
Madrid insgesamt „authentischer“ und geschickter, nicht zuletzt wegen einer großartigen
Besetzung der Rollen.



3.2 Plot – Story
In diesem Film, der mehrere Realitäts- und Traumebenen aufweist, ist die Unterscheidung
von Plot und Story elementar für das Grundverständnis des Films. Der Plot des Films
beschreibt dem Zuschauer lediglich einen Ausschnitt aus dem Leben eines jungen Mannes,
César, der einen Geburtstag feiert, dabei eine interessante Frau namens Sofia kennen lernt und
anschließend mit seiner Ex-Geliebten Nuria einen Autounfall hat. Daraufhin fällt er ins Koma
und wacht entstellt wieder auf. Er trifft sich mit Sofia in einer Diskothek wieder und nach
anfänglichen Schwierigkeiten verbringen die beiden eine glückliche Zeit zusammen, bis er
Halluzinationen bekommt und vor eine schwierige Entscheidung auf dem Dach eines Hauses
gestellt wird.

Die Story dagegen deckt auf, dass es sich ab einem bestimmten Punkt im Film (die Nacht
nach dem Diskobesuch) nicht mehr um das reale Leben Césars handelt, sondern um einen
Traum. Dieser kommt zustande, als sich César nach seinem misslungenen Wiedersehen mit
Sofia nach dem Unfall das Leben genommen hat. Er unterschrieb einen Vertrag mit einer
Firma namens „L.E. – Life Extension“, die seinen Körper tiefgefroren, nach circa 150 Jahren
wieder aufgetaut und dann in eine Art künstliches Koma, in einen maschinellen Traum,
versetzt hat. Er träumt also sein Leben weiter, wie er es möchte, sein Gesicht wird wieder
hergestellt und Sofia verliebt sich in ihn. Es kommt jedoch zu Störungen „im System“ und
César sieht statt Sofia seine Ex-Geliebte Nuria und bringt sie aus Verwirrung und
Verzweiflung um. Daraufhin landet er in einer psychiatrischen Anstalt, wo er vom Arzt
Antonio behandelt wird. Anhand von Erinnerungen und Zeichnungen erzählt er Antonio aus
seinem Leben, woran er sich erinnern kann, doch den Selbstmord und den unterzeichneten
Vertrag hat L.E. aus seinem Gedächtnis gelöscht. Durch Hypnose kann er sich wieder
schemenhaft erinnern und als er mit Antonio schließlich in das Bürogebäude fährt, wird er
vom technischen Support des Systems über seinen eigentlichen Zustand aufgeklärt. César
wird vor die Wahl gestellt, er kann seinen Traum fehlerfrei weiterträumen oder in der Zukunft
aufwachen und seinen Körper wieder herstellen lassen. Er entscheidet sich, vom Dach zu
springen – also aufzuwachen.


                                                                                           10
Die Story erscheint dem Zuschauer zunächst überwiegend chronologisch. Zwischendurch
werden ihm jedoch bereits Szenen des Gesprächs zwischen César und Antonio präsentiert, die
einen Hinweis auf die eigentliche Alternationsstruktur7 des Films geben. In mehreren
Gesprächen zwischen den beiden erzählt César von seinem Leben vor dem Unfall, wie er
Sofia kennen lernte sowie von der Zeit danach, als er sie wieder sah und auf Ablehnung stieß.

Grafik 2 zeigt, wie die Story des Films anhand von Rückblenden erzählt wird, ausgehend von
den Psychiatergesprächen (grün), die auch oftmals nur auditiv gekennzeichnet sind. Die 150
Jahre, die eigentlich zwischen den Ereignissen liegen, sieht der Zuschauer nicht, der
Protagonist war (und ist) laut Story eingefroren in Tucson, Arizona.




          Grafik 2 – Alternationsstruktur (eigene Grafik)                    MT = Maschineller Traum
                                                                             PSY = Psychiatergespräch


César erzählt dabei nicht nur seine Erinnerungen an sein Leben, sondern auch von seinen
Träumen. Hinzu kommen die Erinnerungen, die durch Hypnose entstehen (an das eigentlich
von L.E. Gelöschte) und solche, die durch Zeichnungen hervorgerufen werden. Wie die
Übergänge und die Erinnerungs- und Traumbilder selbst im Deleuze’schen Sinne in Open
Your Eyes dargstellt sind, sollen die nächsten beiden Kapitel erläutern.




7
    Die formale Analyse des Films erfolgt hierbei nach Bordwell/Thompson (2006)
                                                                                                        11
3.3 Erinnerungsbilder in Open Your Eyes
Im Film treten vier verschiedene Varianten von Erinnerungsbildern auf, die sich darin
unterscheiden, dass sie nicht nur unterschiedlich dargestellt und visualisiert werden, sondern
auch mit     verschiedenen Arten von Wahrnehmungsbildern korrespondieren. Diese
verdeutlichen, wie versteckt und unzugänglich die Erinnerungen in Césars Kopf sind und wie
es ihm möglich ist, sich an bestimmte Dinge zu erinnern. Die vier Ebenen werden
unterschieden in Erzählungen vom Leben und von Träumen sowie Erinnerungen ans Leben
und an „Gelöschtes“.



Erzählungen vom Leben

Bei dieser Ebene handelt es sich um sämtliche Erzählungen über Césars Leben vor dem
maschinellen Traum, genauer gesagt bis zu seinem Arztbesuch mit dem Erhalt der Maske
nach dem Unfall. Es sind Realitätserfahrungen, an die er sich ohne Probleme erinnert und die
er dem Psychiater Antonio detailliert schildern kann. Die Visualisierung findet also innerhalb
des ersten Gesprächs zwischen César und Antonio statt, bei dem César auf dem Boden seiner
Zelle sitzt und welches beinahe das gesamte erste Drittel des Films umspannt. Das
Wahrnehmungsbild wird dabei meist nachgereicht, oftmals erinnern auch nur die Stimmen
aus dem Off an das Gespräch in der Psychiatrie. Als Beispielszene sei hier die Schilderung
des Arztbesuches genannt, bei der der behandelnde Chirurg César eine Prothese für sein
Gesicht überreicht. Dieser lehnt die Maske ab und schmettert sie zu Boden. Das letzte Bild
dieser Szene ist eine Großaufnahme des Arztes, mit den Worten „Wir können keine Wunder
bewirken“ (00:36:01). Im nächsten Bild, dem dazugehörigen Wahrnehmungsbild, sieht der
Zuschauer einen kleinen Raum, eine Zelle, in deren Vordergrund der Psychiater Antonio auf
einem Stuhl und ihm gegenüber auf dem Boden an der Wand César sitzen. Césars (durch die
Maske) dumpfe Stimme sagt: „Das hat dieser Blödmann zu mir gesagt“ (00:36:03).




     Screenshot 01 (00:36:01)                    Screenshot 02 (00:36:03)
                                                                                           12
Erzählungen von Träumen

Die zweite Variante von Erinnerungsbildern tritt bei der Beschreibung von Césars Träumen in
seinem realen Leben vor dem maschinellen Traum auf. Wieder erläutert er im Rahmen des
ersten Psychiatergesprächs, was sich abgespielt hat. Dem Zuschauer wird erst durch das
nachgereichte Wahrnehmungsbild klar, dass es sich um einen Traum handelt. Es gibt zwei
Träume im Film, die in dieser Form auftreten, beide korrespondieren jedoch nicht mit dem
Psychiatergespräch als Wahrnehmungsbild, sondern mit einer Aufwachszene. Lediglich der
Ton wird aus dem Psychiatergespräch wahrnehmbar. Der erste dieser beiden Träume stellt die
Anfangssequenz des Films dar, das Wahrnehmungsbild wird in Form eines Schwenks auf den
Wecker gestaltet.

Der zweite Traum beschreibt ein Treffen von Sofia und César im Park, bei dem sie sich über
den vergangenen Abend und einen Alptraum Césars unterhalten. Die Szene endet mit dem
fragenden Blick Césars und den Worten „Was für ein Fest?“ (00:31:39). Das
Wahrnehmungsbild       gestaltet   sich   in   Form   eines   aufgrund       von   Weckerklingeln
hochschreckenden Hinterkopfes, der Zuschauer nimmt an, dass es sich um César handelt und
aus dem Off hört man seine dumpfe Stimme „Träume können schon scheiße sein“ (00:31:48)
sagen. Genau wie beim ersten Traum hört man César mit Antonio sprechen, sieht sie aber
nicht. Aber auch ohne den Kommentar zu den Träumen selbst, würde der Zuschauer diese
beiden Träume als solche identifizieren können, eben aufgrund des nachgereichten
Wahrnehmungsbildes.




     Screenshot 03 (00:31:39)                     Screenshot 04 (00:31:48)




                                                                                              13
Erinnerungen ans Leben

Die dritte Form des Erinnerungsbildes in Open Your Eyes umspannt knapp 20 Minuten des
gesamten Films. César bittet Antonio am Ende ihres ersten Gespräches, ihm Zettel und
Bleistift zu geben und beginnt dann zu zeichnen (00:37:06). Er erinnert sich also durch den
Prozess des Zeichnens an seine Vergangenheit, wobei es sich hier um Szenen sowohl vor als
auch während des maschinellen Traums handelt8. Das Wahrnehmungsbild wird dem
Zuschauer in diesem Fall zuerst präsentiert. Die Zeichnung (00:37:26) geht fließend mit einer
Weichblende in das Erinnerungsbild (00:37:33) über, dieses scheint für einen Moment aus
dem Wahrnehmungsbild zu entstehen. Am Ende der Erinnerungssequenz verhält es sich
gegenteilig, das Bild von Sofias Gesicht (00:56:10) geht zu einer Zeichnung (00:56:13) über
(erneute Weichblende), zum Wahrnehmungsbild. Da dieser Erinnerungsteil sehr lang ist, ist
es für den Zuschauer umso hilfreicher, dass sowohl davor, also auch danach diese
Wahrnehmungsbilder präsentiert werden. Zwischen dieser Rahmung hört man auch kein Off-
Gespräch zwischen César und Antonio, dieses findet erst im Anschluss statt, als Antonio sich
die Bilder ansieht (00:56:20).




Screenshot 05 (00:37:06)            Screenshot 06 (00:37:26)            Screenshot 07 (00:37:33)




Screenshot 08 (00:56:10)            Sreenshot 09 (00:56:13)             Screenshot 10 (00:56:20)




8
  An dieser Stelle wird das Erinnerungsbild eigentlich zu einem Traumbild, da dieser Übergang aber weder von
Deleuze, noch an dieser Stelle im Plot thematisiert wird (sondern erst am Ende), soll hier die Gesamtsequenz
innerhalb der Rahmung betrachtet werden, also die gesamte Erinnerung, die César als durchgängig erscheint
                                                                                                         14
Erinnerungen an „Gelöschtes“

Die vierte Erinnerungsebene zeichnet sich in erster Linie durch ihre spezielle Visualisierung
aus. Mit einem malerischen Effekt, einem Aquarellbild gleich, erinnert sich César durch
Hypnose an den Abschnitt in seinen Leben, der eigentlich von L.E. gelöscht wurde: die
Unterzeichnung des Vertrags und seinen Selbstmord. Das Wahrnehmungsbild wird hierbei
vorangestellt, der Zuschauer sieht in Großaufnahme das Gesicht von Antonio und seinen
Finger, den er hin und her bewegt (01:16:56). Dann verschwimmt das Bild, es folgt eine
längere Schwarzblende. Es ertönt Antonios Stimme im Off: „Sehr gut, jetzt wollen wir mal
sehen, ob du mir etwas über diesen Traum erzählen kannst“ (01:17:17). Das Bild danach zeigt
einen kurzen Szenenausschnitt, der bereits vorher im Film auftauchte, jedoch durch den
erwähnten Effekt etwas undeutlich und verschwommen. César steht vor Sofia im Regen und
sagt ihr, dass er von diesem Moment geträumt hätte, mit dem Unterschied, dass es im Traum
nicht regnete (01:17:24). Es ist aber das „falsche“ Erinnerungsbild, Antonio möchte, dass
César sich an den L.E.-Traum erinnert, von dem er ihm zuvor berichtete9. Nach einer weiteren
Schwarzblende erscheint schließlich das „richtige“ Erinnerungsbild, eine Frau hinter einem
Schreibtisch, ebenso sehr undeutlich und nur schemenhaft erkennbar (01:17:31). Im weiteren
Verlauf werden die Bilder abwechselnd etwas klarer und wieder unscharf, die Sequenz endet
mit einem Zoom auf Césars Augen, während er nach der Tabletteneinnahme im Sterben liegt.




Screenshot 11 (01:16:56)            Screenshot 12 (01:17:24)             Screenshot 13 (01:17:31)




3.4 Traumbilder in Open Your Eyes
Genau wie bei den Erinnerungsebenen gibt es auch bei den Träumen in Open Your Eyes vier
verschiedene Varianten, die sich weniger in der Inszenierung kennzeichnen, sondern mehr
von der jeweiligen Interpretationshypothese des Films abhängen. Sie werden unterschieden in

9
  César erinnerte sich bereits zuvor an die Vertragsunterzeichnung (00:57:50), die Erinnerungen waren mit dem
gleichen Effekt gekennzeichnet, stellen von der hier vorgestellten Einteilung aber eine Erzählung eines Traums
dar. Da dieser Traum jedoch innerhalb des maschinellen Traums stattfindet, handelt es sich hierbei wieder um
eine spezielle Vermischung von Erinnerungs- und Traumbild
                                                                                                           15
den Komatraum, Träume in der Realität, den maschinellen Traum und dem Traum im
maschinellen Traum.



Komatraum

Diese erste Traumebene geht von der Interpretation aus, dass es sich bei nahezu dem
gesamten Film um einen Komatraum handelt. Indizien hierfür sind auf der einen Seite die
Erklärungen des technischen Supports der Firma L.E., mit dem Unterschied, dass der
Zuschauer ebenso von einem anderen Verknüpfungszeitpunkt, nämlich am Anfang des Films
noch vor Césars Geburtstag, ausgehen kann. Gleiches würde zutreffen, wenn César – in
welcher Art und aus welchen Gründen auch immer – immer Koma liegen und alles nur
träumen würde. Das Wahrnehmungsbild ist in beiden Fällen das letzte Bild des Films, eine
Schwarzblende. Geprägt wird das „Bild“ durch den Off-Kommentar. Der Zuschauer hört
jemanden tief und aufgeregt atmen, es kann davon ausgegangen werden, dass es sich um
César handelt, der die Augen geschlossen hat. Eine weibliche Stimme sagt „Ganz ruhig, ganz
ruhig. Öffne die Augen“ (01:50:36). Diese Stimme kann nicht zugeordnet werden, der
Zuschauer wird auch nicht aufgeklärt, ob es sich um eine personifizierte Stimme handelt oder
etwa um den Wecker, der auch zu Beginn des Films auftritt. Je nach Interpretation ist dies
entweder das einzige Wahrnehmungsbild, welches die geschlossenen Augen darstellen soll,
oder es ist nur der Übergang zu einem Wahrnehmungsbild, welches eigentlich daraufhin
erscheinen müsste, der Regisseur jedoch bewusst weggelassen hat, um den Zuschauer zu
irritieren und zu weiteren Interpretationen zu ermutigen10. Die Traumsequenz würde somit
mit dem ersten Bild beginnen (zunächst mit einem Traum im Traum), einem verschwommen
Bild der Bettdecke und dem immer lauter werdenden „Öffne die Augen“ (00:01:15) des
Weckers und mit Césars Sprung vom Dach (01:50:29) enden.




              Screenshot 14 (00:01:15)                 Screenshot 15 (01:50:29)

10
  In Vanilla Sky zeigt Crowe zusätzlich zu der Schwarzblende noch eine Detailaufnahme eines sich öffnenden
Auges – ein Wahrnehmungsbild, welches zwar als solches besser erkennbar wird als die Schwarzblende, den
Zuschauer aber ebenso über die Interpretation im Unklaren lässt
                                                                                                       16
Träume in der Realität

Bei dieser Art von Träumen handelt es sich um die Träume, die César vor dem maschinellen
Traum in seinem Leben hatte. Hier treten die gleichen Eigenschaften auf, wie sie auch bei
Erzählungen von Träumen vorzufinden sind, nur der Kontext ist ein anderer. Es geht um den
Traum an sich, nicht an die Erinnerung daran. Somit ist hier das nachgereichte
Wahrnehmungsbild das entscheidende, nicht der Off-Kommentar des Gespräches mit
Antonio. Als Beispiel soll hier die Anfangssequenz des Films, der Alptraum von Madrids
leeren Straßen, die die Angst vor Einsamkeit und Isolation darstellen, dienen. Die
Traumsequenz beginnt mit einem unscharfen Blick auf die Bettdecke (00:01:15) und einem
Schwenk zum Wecker, den eine ins Bild kommende Hand ausdrückt. Er endet mit dem
einsamen César auf Madrids belebtester Straße, der Gran Vía (00:03:32). Nach einer
Schwarzblende wird das Wahrnehmungsbild nachgereicht, in diesem Fall ist es exakt das
gleiche, mit dem der Traum begann, der unscharfe Blick auf die Bettdecke (00:03:39). Dies
soll möglicherweise unterstreichen, wie „real“ Césars Träume sind und wie sehr er sich und
seine Umgebung darin wiedererkennt.




Screenshot 16 (00:01:15)     Screenshot 17 (00:03:32)      Screenshot 18 (00:03:39)




Maschineller Traum

Diese Traumvariante hält sich an die Interpretation, die vom technischen Support im Film
vorgegeben wird. Der so genannte maschinelle Traum, ein künstlich geschaffener Traum, der
durch Césars Wünsche und Gedanken gesteuert wird, beginnt mit dem Wiederaufwachen auf
der Straße nach dem Diskobesuch (00:53:56). Ab diesem Moment ist alles ein Traum,
zunächst sehr schön und erfüllend, dann jedoch schlägt er um in einen Alptraum, teils mit
surrealistischen Elementen (Verwechslung von Sofia, erneute Entstellung, Erschießen von
Antonio). Der technische Support beschreibt diese als Fehler des Systems und Durchdringen
von Césars Unterbewusstsein, dem eigentlichen Willen, aufzuwachen. Auch dieser Traum

                                                                                       17
endet mit dem Sprung vom Dach (01:50:29) und das Wahrnehmungsbild deutet sich wie beim
Komatraum durch die Schwarzblende an. Durch die ausführlichen Erklärungen des
technischen Supports und der Entscheidung Césars, in der Zukunft aufzuwachen, geht der
Zuschauer bei dieser Interpretation jedoch davon aus, dass César tatsächlich im Jahr 2145
aufwacht.




     Screenshot 19 (00:53:56)                      Screenshot 20 (01:50:29)




Traum im maschinellen Traum

Das Konstrukt bei dieser Traumebene ist die gleiche, wie bei den Träumen in der Realität,
mit dem Unterschied, dass es sich um eine Art Meta-Traum, einen Traum im Traum handelt.
Es handelt sich hierbei um einen Alptraum, den César während seines maschinellen Traums
erlebt, wieder gekennzeichnet durch eine hohe Affinität mit seinem „realen“ Leben, sowohl
vor als auch im maschinellen Traum. Er beginnt damit, dass César in seinem Bett aufwacht,
neben ihm Sofia (01:05:28). Er geht ins Bad, macht das Licht an und sieht sein entstelltes
Gesicht, wie es vor der Rekonstruktion war. Panisch verlässt er das Bad und erblickt Sofia,
die schockiert aufschreit (01:06:15). Daraufhin wacht César auf, das Wahrnehmungsbild wird
nachgereicht (01:06:17), unterstützt von dem Dialog: „Was ist denn mit dir?“ – „Diese
Träume sind schrecklich“.




Screenshot 21 (01:05:28)        Screenshot 22 (01:06:17)           Screenshot 23 (01:06:17)

                                                                                              18
4. Fazit

Wie die Analyse von Open Your Eyes gezeigt hat, lässt sich sowohl das Erinnerungsbild als
auch das Traumbild von Deleuze im modernen Film wiederfinden. Im Zusammenhang mit
den zugehörigen Wahrnehmungsbildern konnten Erinnerungsprozesse und Träume als solche
identifiziert werden.

Ganz klar muss jedoch betont werden, dass im Film der 90er Jahre Deleuze‘ Beschreibungen
weitaus zu kurz fassen. Wie bereits in den Beispielszenen gezeigt wurde, weisen die Bilder
teilweise die Eigenschaften von Erinnerung und Traum auf. Besonders bei einem Film wie
Open Your Eyes, der mit der Grenze zwischen Traum und Realität spielt und den Zuschauer
bewusst verwirrt und viel Raum für Interpretationen lässt, ist die eindeutige Zuweisung im
Deleuze’schen Sinne nicht mehr haltbar. Teilweise haben einzelne Bilder bis zu drei
Funktionen, sie dienen gleichzeitig als Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Traumbild – je
nach Interpretationsweise. Grafik 3 veranschaulicht die extreme Verschachtelung der
verschiedenen Bedeutungsebenen der Bilder in Open Your Eyes:




       Grafik 3 – Verschachtelung der Bedeutungsebenen in Open Your Eyes (eigene Grafik)




Besonders bei der Definition des Traumbildes gibt es große Differenzen. Nach Deleuze ist es
schon allein durch seine surrealistischen Elemente und der Aktualisierung in sich selbst als
solches zu erkennen, jedoch gibt es im modernen Film kaum noch Traumszenen, die den

                                                                                           19
Beschreibungen von Deleuze entsprechen. Der Zuschauer benötigt viel mehr als das
Wahrnehmungs- und Traumbild, um den Traum als solches zu identifizieren. Durch die
realitätsnahe Darstellung sind Erklärungen im Film selbst (wie zum Beispiel die
Ausführungen des technischen Supports) oder weitere filmsprachlichen Analyse notwendig.
Für Open Your Eyes bietet Deleuze zwar Definitionen für bestimmte Bilder an, er schlägt aber
keine Interpretationen vor, somit bleibt die Nutzung der „Schablone“ sehr begrenzt.



Ausblick
Mit Blick auf die aktuelle Filmlandschaft lässt sich feststellen, dass die Themen Erinnerung
und Traum nach wie vor gern und ausführlich filmisch bearbeitet werden. Bemerkenswert ist
die immer weiter ansteigende Komplexität, sowohl in Narrationsstruktur als auch in den
Interpretationsebenen, die es dem Zuschauer zunehmend erschweren, den Unterschied
zwischen filmischer Realität und Virtualität zu erkennen und die Zusammenhänge zu
begreifen. Wie Deleuze erkannt hat, bietet genau das Platz für Reflexionen und „schärft den
Blick für das Mögliche, zwingt zu einem Denken in Paradoxa und regt neuartige
Begriffsbildungen an“ (Volland 2009, S. 90).

Als Beispiel soll hier nur auf den Regisseur Christopher Nolan hingewiesen werden, der sich
vorzugsweise mit dieser Thematik auseinander setzt. Für enorm komplexe Erinnerungsarbeit
ist hier der Film Memento11 erwähnenswert, in der der unter Gedächtnisverlust leidende
Protagonist versucht, seiner eigenen Identität und Vergangenheit auf die Spur zu kommen.
Bei der Behandlung von verschiedenen Traumebenen ist Inception12 eines seiner neusten
Werke, in dem es drei Traumebenen gleichzeitig gibt, in die die Protagonisten tiefer
eindringen, indem sie sich in der jeweils vorhergehenden Ebene (durch ein chemisches
Schlafmittel) zum Träumen bringen. Auch hier spielt die Erinnerung eine große Rolle, da die
Zeit sich mit jeder Ebene um ein vielfaches verlängert und „man sich selbst nicht vergessen
darf“. Hier würde der Deleuze’sche Ansatz sicher ebenso bei der Identifizierung greifen, aber
er würde nicht in der Auflösung der Frage helfen, was genau Traum und was Erinnerung ist,
selbst wenn die Bilder ein entsprechendes Wahrnehmungsbild geliefert bekämen. Denn auch
dieser Film hat, wie auch Open Your Eyes, unter anderem ein „offenes“ Ende und ist somit
eine genauere Analyse wert.



11
     Nolan, Christopher (2002): Memento. USA
12
     Nolan, Christopher (2010): Inception. USA/UK
                                                                                          20
Literaturverzeichnis

Literatur


Bordwell, David; Thompson, Kristin (2006): Film Art. An Introduction. Boston: McGraw
Hill; 8. Ed.

Deleuze, Gilles (1997): Das Zeit-Bild. Kino 2. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

Engell, Lorenz (2002): Film als Herausforderung der Semiotik 2. Vorlesungs-Reader. Online:
Universität Weimar; URL: http://www.uni-weimar.de/medien/philosophie/lehre/ws0102/
Semiotik10.pdf [24.01.2012].

Oestreich, Raimar (2010): Die Filmtheorie von Gilles Deleuze. Was sichtbar ist, kann auch
gedacht werden. online: Filmnetz; URL: http://filmnetz.org/articles/29 [24.01.2012].

Ott, Michaela (2003): Virtualität in Philosophie und Filmtheorie von Gilles Deleuze; online:
Zentrum          für    Kunst       und      Medientechnologie         Karlsruhe;      URL:
http://on1.zkm.de/zkm/stories/storyReader$4049 [24.01.2012].

Volland, Kerstin (2009): Zeitspieler: Inszenierungen des Temporalen bei Bergson, Deleuze
und Lynch. Wiesbaden: VS Verlag.




Filme


Amenábar, Alejandro (2002): Open Your Eyes – Virtual Nightmare. Spanien: Artisan
Entertainment.

Youtube (2010): Dumbo – Pink Elephants on Parade by Walt Disney. aus: Armstrong,
Samuel et al. (1941): Dumbo, der fliegende Elefant. USA: Walt Disney Productions. online:
Youtube,         URL:      http://www.youtube.com/watch?v=mIrMfxw9o28&feature=related
[24.01.2012].




                                                                                         21
Abbildungsverzeichnis

Screenshot a – f: Youtube (2010): Dumbo – Pink Elephants on Parade by Walt Disney. aus:
Armstrong, Samuel et al. (1941): Dumbo, der fliegende Elefant. USA: Walt Disney
Productions. online: Youtube, URL: http://www.youtube.com/watch?v=mIrMfxw9o28&
feature=related [24.01.2012].

Screenshot 01 – 23: Amenábar, Alejandro (2002): Open Your Eyes – Virtual Nightmare.
Spanien: Artisan Entertainment.




Grafik 1 – Darstellen der Erinnerung: Figuren URL: http://www.stockxpert.com
[25.01.2010]; TV-Screen URL: http://blogtopf.de/wp-content/uploads/2008/03/google-tv-
ads.jpg [24.01.2012].

Grafik 2 – Alternationsstruktur: eigene Grafik.

Grafik 3 – Verschachtelung der Bedeutungsebenen in Open Your Eyes: eigene Grafik.




                                                                                    22
Eigenständigkeitserklärung

Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit bzw. Leistung eigenständig, ohne
fremde Hilfe und nur unter Verwendung der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Alle
sinngemäß und wörtlich übernommenen Textstellen aus der Literatur bzw. dem Internet habe
ich als solche kenntlich gemacht.

Mir ist bekannt, dass ich im Falle einer Täuschung das Recht auf den Erwerb eines
Leistungsscheins in der Veranstaltung „Audio-visuelle Artikulationen der Moderne: Gilles
Deleuze“ verwirkt habe.

Weiterhin erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit (bzw. Leistung) in dieser oder in leicht
veränderter Form in keiner anderen Lehrveranstaltung zum Zwecke des Erwerbs eines
Leistungsscheins eingereicht habe.




Magdeburg, der 25.01.2012




                                                                                            23

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  • 1. FAKULTÄT FÜR GEISTES-, SOZIAL- UND ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTEN Das Erinnerungs- und Traumbild bei Gilles Deleuze Am Beispiel von „Open Your Eyes“ von Birgit Lippert Eingereicht am: 26.01.2012 Dozent: Prof. Winfried Marotzki Seminar: Audio-visuelle Artikulationen der Moderne: Gilles Deleuze WS 09/10 Matrikelnr.: 173694
  • 2. Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ...........................................................................................................................3 2. Das Zeit-Bild nach Deleuze ................................................................................................4 2.1 Wahrnehmungsbild .......................................................................................................5 2.2 Erinnerungsbild ............................................................................................................5 2.3 Traumbild .....................................................................................................................6 3. Deleuze in der Praxis ..........................................................................................................9 3.1 Filmauswahl .................................................................................................................9 3.2 Plot – Story ................................................................................................................. 10 3.3 Erinnerungsbilder in Open Your Eyes.......................................................................... 12 3.4 Traumbilder in Open Your Eyes .................................................................................. 15 4. Fazit ................................................................................................................................. 19 Ausblick ........................................................................................................................... 20 Literaturverzeichnis .............................................................................................................. 21 Literatur............................................................................................................................ 21 Filme ................................................................................................................................ 21 Abbildungsverzeichnis ......................................................................................................... 22 Eigenständigkeitserklärung ................................................................................................... 23 2
  • 3. 1. Einleitung Im Sinne der strukturalen Medienbildung ist eine der elementarsten Fragen der Filmwissenschaft: Wie schaffen es Filme, Reflexionsräume zu eröffnen? Einen Ansatz, der schon etwas älter, aber dennoch nicht veraltet ist, bietet uns Gilles Deleuze in seiner Kino- Studie aus den Jahren 1983 und 1985. Besonders interessant sind hierbei die Untersuchungen des so genannten Zeit-Bildes, dem Deleuze das Potenzial zuschreibt, allein dem Denken vorbehalten zu sein (vgl. Volland 2009, S. 88). Er definiert, im Anschluss an Bergson, Zeit „als Einheit von Aktualität und Virtualität“ (dies., S. 90) und sucht nach jener Virtualität, deren Schlüssel er in der Bildlichkeit des Films sieht. Denn nur der Film schafft es, eine Gleichzeitigkeit von Sukzession und Simultaneität abzubilden und somit den Raum für Reflexions- und Denkprozesse zu eröffnen, denn „[a]uf dem Simultanfeld des Virtuellen […] verlaufen Gedanken in ungewohnten Bahnen – ebenso unsystematisch wie kreativ und experimentell“ (dies., S. 91). Visuell erfahren jene Bilder ihre Verwirklichung in der Darstellung von Erinnerungen und Träumen, die besonders im modernen europäischen Kino den Zuschauer zu neuen Denkweisen inspirierten. Deleuze beschreibt in „Das Zeit-Bild. Kino 2“, wie Erinnerungs- und Traumbilder gestaltet werden, wie sie entstehen und was der Zuschauer benötigt, um sie als solche identifizieren zu können. Diese Arbeit stellt eine Ausarbeitung der Präsentation „Open Your Eyes“ dar, die von den Studenten Birgit Lippert, Ingo Naumann und Massimo Tortora im Master-Seminar „Audio- visuelle Artikulation der Moderne: Gilles Deleuze“ im Wintersemester 2009/2010 an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg gehalten wurde. Nachdem einführend die Thematik des Zeit-Bildes vertieft wird (Kapitel 2), sollen die Begriffe Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Traumbild nach Deleuze erklärt werden (Kapitel 2.1 – Kapitel 2.3). Anschließend wird der Ansatz von Gilles Deleuze am Film Open Your Eyes – Virtual Nightmare aus dem Jahr 1997 angewendet und Erinnerungs- sowie Traumbilder herausgearbeitet und an Beispielen belegt (Kapitel 3). Das Fazit (Kapitel 4) fasst die Ergebnisse abschließend zusammen und stellt einen kurzen Ausblick auf die aktuelle Filmlandschaft hinsichtlich des Deleuze’schen Ansatzes dar. 3
  • 4. 2. Das Zeit-Bild nach Deleuze Um das Zeit-Bild von Deleuze erklären zu können, ist es notwendig, einen kurzen Blick auf das erste Kino-Buch, „Das Bewegungs-Bild. Kino 1“ zu werfen. In diesem Buch beschreibt Deleuze das klassische Kino mit seinen aufeinander folgenden Bildern, die er systematisiert und in Verbindung setzt. Die Zeit ist hierbei der Bewegung untergeordnet, die Bilder erhalten durch die Verbindung von Aktion und Reaktion ihren Zusammenhang. Die Bewegung des ersten Bildes erklärt die Bewegung des zweiten Bildes usw. Dabei wird die Zeit, die bei solchen Bewegungen abläuft, meistens gefälscht1 (vgl. Oestreich 2010). Da der Zuschauer aber aufgrund von Gewohnheiten, Filmerfahrung und Bewegungsklischees die Bewegungen mental nachvollziehen kann, stellt diese fiktive Wirklichkeit für ihn kein Problem dar. Auch, dass ihm die Welt des „Nicht-Sichtbaren (horse-champ)“ (ebd.; Hervorh. im Orig.) durch die Auswahl des Bildausschnitts verborgen bleibt, erscheint ihm nur allzu logisch, da die Kamera der Bewegung folgt. Es handelt sich um eine Logik sensomotorischer Schemata, die eine soziale, sinnhafte Ordnung darstellt. Nach dem zweiten Weltkrieg, im Kontext von Modernisierungsprozessen, gerät das Bewegungs-Bild in die Krise. Es tauchen neue Bilder auf, die sich nicht mehr durch die Bewegung verbinden, sondern durch die Zeit. „Es sind rein optische und rein akustische Beschreibungen (Opto- und Sonozeichen) von Situationen, auf die [vom Darsteller; Anm. d. Verf.] nicht reagiert wird“ (ebd.). Der Wechsel hin zum modernen Kino, in dem die Zeit wesentlich spürbarer wird, bringt Deleuze schließlich zum Zeit-Bild und damit zum zweiten Band seiner Kino-Reihe. Bezeichnend für das Zeit-Bild ist die gleichzeitige Präsenz von verschiedenen Zeiten, also Gegenwart und Erinnerungen, Träume oder Wahnvorstellungen. Das erste Bild kündigt den Wechsel zu einer anderen Zeit an, der Übergang wird häufig durch einen Effekt (Blende, Kontrast oder Weichzeichnungen) gekennzeichnet. Das zweite Bild ist das virtuelle Bild, teilweise noch unterlegt mit der Tonspur aus der Gegenwart, dem ersten Bild. Die Filmfiguren werden selbst zu Zuschauern: „Wir haben es nunmehr mit einem Kino des Sehenden [cinéma de voyant] und nicht mehr mit einem Kino der Aktion zu tun“ (Deleuze 1997, S. 13; Hervorh. im Orig.). Raum und Zeit müssen also nicht mehr miteinander verknüpft sein. Da aus den Situationen nicht mehr zwangsläufig Handlungen folgen, ergeben sich Reflexionsräume, das 1 Ausnahmen bilden Werke wie Andy Warhols Empire (1964), welches über acht Stunden lang das Empire State Building aus einer einzigen Einstellung zeigt 4
  • 5. bedeutet auch, dass soziale Ordnungen an Konsistenz und Kontinuität verlieren und somit dispersiv werden. Diese Filme, die den Zuschauer durch visuelle Schocks verstören, sieht Deleuze als Möglichkeit, ihn zum Denken zu zwingen (vgl. Ott 2003). Deleuze findet die Auseinandersetzung mit inneren mentalen Zuständen, bei denen die Situationen sinnfragmentiert sind (und somit häufig zu rein optischen Situationen werden), besonders im europäischen Film, unter anderem bei Rosselinis Tetralogie (Deutschland im Jahre Null, Stromboli, Europa 51 und Reise nach Italien), bei Antonioni (Chronik einer Liebe, Der Schrei, Die Nacht), Visconti (Besessenheit, Sehnsucht, Rocco und seine Brüder) und Resnais (Letztes Jahr in Marienbad), aber auch bei Ozu (Der Herbst der Familie Kohayagawa, Early Summer, Später Frühling). 2.1 Wahrnehmungsbild Als Wahrnehmungsbild bezeichnet Deleuze jene Bilder, die als Wahrnehmungsereignis oder Wahrnehmungsprozess verstanden werden können. Dies gilt zwar grundsätzlich für fast alle Bilder im Film, jedoch gibt es Bilder, „die diese Stufe der Semiose besonders herausstellen, nicht überdecken bzw. erst freilagen“ (Engell 2002). Sie können als einzelne Bilder auftreten, zum Beispiel Wasserbilder, die Lichteffekte auf der Oberfläche zeigen, oder auch als Filmkonzept funktionieren, wenn es um die Konstitution des Sichtbaren durch Wahrnehmung im Film geht (vgl. ebd.). Im Zusammenhang mit Erinnerungen und Träumen jedoch korrespondieren sie mit dem dazugehörigen Erinnerungs-/Traumbild. 2.2 Erinnerungsbild Bei der Erinnerung handelt es sich um ein virtuelles Bild. Dieses wird von einem Wahrnehmungsbild hervorgerufen, es aktualisiert sich selbst in einem Erinnerungsbild, das mit dem Wahrnehmungsbild in Verbindung steht: „Gehen wir von einem Wahrnehmungsbild aus, das seinem Wesen nach aktuell ist. Im Gegensatz dazu ist die Erinnerung […] notwendigerweise ein virtuelles Bild. Allerdings wird sie insofern aktuell, als sie von einem Wahrnehmungsbild hervorgerufen wird. Sie aktualisiert sich in einem Erinnerungsbild, das dem Wahrnehmungsbild korrespondiert“ (Deleuze 1997, S. 80). Das Erinnerungsbild kann also gar nicht allein auftreten, es braucht immer ein Wahrnehmungsbild, vor- oder nachgereicht, das es determiniert. Es trägt dabei nicht von sich aus ein Vergangenheitszeichen, es präsentiert lediglich eine vergangene Gegenwart und hier liegt 5
  • 6. auch die Unterscheidung zwischen Vorstellung und Erinnerung (vgl. ders., S. 76f.). Für die Erinnerungsbilder gilt dabei: „Es muss ausgeschlossen sein, daß man die Geschichte in der Gegenwart erzählen könnte“ (ders., S. 69). Grafik 1 soll vereinfacht darstellen, wie sich der Prozess des Erinnerns im Film in Wahrnehmungsbild und Erinnerungsbild aufspaltet. Grafik 1 – Darstellen der Erinnerung Im Allgemeinen wird das Erinnerungsbild in Form einer Rückblende präsentiert, dabei „kündigt sie sich durch eine Überblendung an, und die von ihr eingeführten Bilder sind oft überbelichtet oder gerastert, als seien sie mit dem Hinweis versehen: »Achtung, Erinnerung!«“ (ebd.). Während die Erinnerung durch die bewusste Tätigkeit des Erinnerns noch recht stark an das Subjekt geknüpft ist, erfährt sie ihre Steigerungsform im Traum, bei dem der Träumende eine unabhängigere, distanziertere Position einnimmt (vgl. Engell 2002). 2.3 Traumbild Der Unterschied zwischen Erinnerung und Traum liegt einerseits darin, dass die Wahrnehmungen des Schlafenden fortbestehen, er ist also von der Innen- und Außenwelt nicht völlig abgeschlossen. Deleuze sieht auf der anderen Seite die daraus entstehenden Traumbilder als unendliche Aktualisierung von virtuellen Bildern, als eine Serie von Anamorphosen (vgl. Deleuze 1997, S. 80). Er erwähnt in diesem Zusammenhang auch 6
  • 7. Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Fieberträume, die bei ihm ebenso konstruiert sind. Gemeint sind typische Traumszenen, wie sie auch in Walt Disneys „Dumbo, der fliegende Elefant“ (1941) auftreten2. Wie in den Screenshots erkennbar wird, geht ein Bild nahezu im Sekundentakt in ein anderes über, es sind surrealistische Darstellungen, freischwebende Bilder, losgelöst von jeglicher Realität. Screenshot a (02:14) Screenshot b (02:16) Screenshot c (02:17) Screenshot d (02:18) Screenshot e (02:19) Screenshot f (02:21) Traumbilder können ebenso über den gesamten Film verteilt sein und erst im Zusammenhang gesehen einen Sinn ergeben. Er erwähnt verschiedene Techniken zur Herstellung von Traumbildern. Einerseits Effekte wie Überblendungen, Überbelichtungen, Kamerabewegungen und Spezialeffekte, andererseits Montage-Techniken oder direkte Schnitte (vgl. ders., S. 82). Gemein ist dem Erinnerungs- und Traumbild, dass sie vom Zuschauer nicht immer ohne weiteres als solches identifiziert werden können: „Das Traumbild vermag daher ebensowenig wie das Erinnerungsbild die Unterscheidbarkeit von Realem und Imaginärem zu gewährleisten“ was aber auch zur Folge hat, dass „[d]as Traumbild […] an die Bedingung geknüpft [ist], den Traum einem Träumer und das Bewußtsein vom Traum (das Reale) dem Zuschauer zuzuordnen [ist]“ (der., S. 83). 2 Wobei es sich hierbei vielmehr um Wahnvorstellungen handelt, die der kleine Elefant aufgrund von übermäßigen Verzehr von Seifenwasser erleidet 7
  • 8. Außerdem unterscheidet Deleuze in Anlehnung an Michel Devillers den „impliziten Traum“ (Devillers 1978, zit. n. Deleuze 1997, S. 83), der sich in der Bewegung der Welt manifestiert. Der Raum dehnt sich aus, die Zeit streckt sich – nicht (nur) die Figuren bewegen sich, sondern Schatten, Straßen und Möbel, die häufig in Zeitlupe ausgedehnte Gesten vollziehen. Der implizite Traum befreit die Bewegung der Welt, welche der explizite noch zu zügeln vermag (vgl. ders., S. 83f.). Die träumende Subjektinstanz kann dabei auch wegfallen, dies ist die „höchste Stufe“ des Erinnerungs- bzw. Traumbildes. 8
  • 9. 3. Deleuze in der Praxis Um Deleuze‘ Verständnis von Zeit-Bildern und insbesondere von Erinnerungs- und Traumbildern besser zu verdeutlichen, sollen seine Definitionen als „Schablone“ über einen aktuellen Film gelegt werden, der sich mit dem Thema Traum und Erinnerung beschäftigt. 3.1 Filmauswahl Die Wahl des Films fiel auf Alejandro Amenábars Open Your Eyes – Virtual Nightmare, welcher unter dem Originaltitel Abre Los Ojos 1997 in Spanien veröffentlicht wurde. Er kann dem Genre des Science-Fiction-Dramas zugeordnet werden und ist knapp zwei Stunden lang. In Deutschland wurde er erst Ende 2002 veröffentlicht, ein halbes Jahr nachdem sein amerikanisches Remake Vanilla Sky3 von Cameron Crowe in die Kinos kam. Dieses Remake ist wesentlich bekannter und hält sich in seiner Handlungsabfolge und der Mise-en-scène eng an das Original. Penélope Cruz spielt in beiden Filmen die Rolle der Sofia, die Hauptrolle des César wird im Original von Eduardo Noriega verkörpert, in weiteren Rollen sind Chete Lera (als Antonio), Najwa Nimri (als Nuria) und Fele Martínez (als Pelayo) zu sehen. Die Romanidee stammt von Alejandro Amenábar selbst, als er mit Fieber im Bett lag und unter Alpträumen litt. Co-Autor war Mateo Gil, der auch 2004 mit Amenábar an Das Meer In Mir4 arbeitete. Der Film wurde ausgewählt, weil er auf interessante, wenn auch nicht ganz unkomplizierte Weise die Idee des gezielten Träumens thematisiert und wie einige andere Filme in den späten 90er Jahren, wie zum Beispiel Matrix5 oder eXistenZ6, nach der Wirklichkeit fragt. Gegenüber dem Remake hat Open Your Eyes den Vorteil, dass der Zuschauer nicht von Hollywood- Bildern überschwemmt wird. Auch wenn Vanilla Sky ein gelungenes Remake darstellt, verhält sich das Original besonders bei der Inszenierung der verschiedenen Ebenen im Film wesentlich subtiler und setzt auf geschicktere Cues, wie zum Beispiel das Wetter, welches bei Cameron Crowe durch extreme Farbbearbeitung der Bilder (Blau- und Gelb-/Rosétöne) ersetzt wurde. Auch wenn beide Filme viele versteckte kleine Hinweise (Musik, Fotos, 3 Crowe, Cameron (2002): Vanilla Sky. USA 4 Amenábar, Alejandro (2004): Das Meer In Mir. Spanien/Frankreich/Italien 5 Wachowski, Andy; Wachowski, Lana (1999): Matrix. USA 6 Cronenberg, David (1999): eXistenZ. Kanada/Großbritannien 9
  • 10. Redewendungen…) auf die jeweilige Ebene bieten, so wirkt Open Your Eyes im spanischen Madrid insgesamt „authentischer“ und geschickter, nicht zuletzt wegen einer großartigen Besetzung der Rollen. 3.2 Plot – Story In diesem Film, der mehrere Realitäts- und Traumebenen aufweist, ist die Unterscheidung von Plot und Story elementar für das Grundverständnis des Films. Der Plot des Films beschreibt dem Zuschauer lediglich einen Ausschnitt aus dem Leben eines jungen Mannes, César, der einen Geburtstag feiert, dabei eine interessante Frau namens Sofia kennen lernt und anschließend mit seiner Ex-Geliebten Nuria einen Autounfall hat. Daraufhin fällt er ins Koma und wacht entstellt wieder auf. Er trifft sich mit Sofia in einer Diskothek wieder und nach anfänglichen Schwierigkeiten verbringen die beiden eine glückliche Zeit zusammen, bis er Halluzinationen bekommt und vor eine schwierige Entscheidung auf dem Dach eines Hauses gestellt wird. Die Story dagegen deckt auf, dass es sich ab einem bestimmten Punkt im Film (die Nacht nach dem Diskobesuch) nicht mehr um das reale Leben Césars handelt, sondern um einen Traum. Dieser kommt zustande, als sich César nach seinem misslungenen Wiedersehen mit Sofia nach dem Unfall das Leben genommen hat. Er unterschrieb einen Vertrag mit einer Firma namens „L.E. – Life Extension“, die seinen Körper tiefgefroren, nach circa 150 Jahren wieder aufgetaut und dann in eine Art künstliches Koma, in einen maschinellen Traum, versetzt hat. Er träumt also sein Leben weiter, wie er es möchte, sein Gesicht wird wieder hergestellt und Sofia verliebt sich in ihn. Es kommt jedoch zu Störungen „im System“ und César sieht statt Sofia seine Ex-Geliebte Nuria und bringt sie aus Verwirrung und Verzweiflung um. Daraufhin landet er in einer psychiatrischen Anstalt, wo er vom Arzt Antonio behandelt wird. Anhand von Erinnerungen und Zeichnungen erzählt er Antonio aus seinem Leben, woran er sich erinnern kann, doch den Selbstmord und den unterzeichneten Vertrag hat L.E. aus seinem Gedächtnis gelöscht. Durch Hypnose kann er sich wieder schemenhaft erinnern und als er mit Antonio schließlich in das Bürogebäude fährt, wird er vom technischen Support des Systems über seinen eigentlichen Zustand aufgeklärt. César wird vor die Wahl gestellt, er kann seinen Traum fehlerfrei weiterträumen oder in der Zukunft aufwachen und seinen Körper wieder herstellen lassen. Er entscheidet sich, vom Dach zu springen – also aufzuwachen. 10
  • 11. Die Story erscheint dem Zuschauer zunächst überwiegend chronologisch. Zwischendurch werden ihm jedoch bereits Szenen des Gesprächs zwischen César und Antonio präsentiert, die einen Hinweis auf die eigentliche Alternationsstruktur7 des Films geben. In mehreren Gesprächen zwischen den beiden erzählt César von seinem Leben vor dem Unfall, wie er Sofia kennen lernte sowie von der Zeit danach, als er sie wieder sah und auf Ablehnung stieß. Grafik 2 zeigt, wie die Story des Films anhand von Rückblenden erzählt wird, ausgehend von den Psychiatergesprächen (grün), die auch oftmals nur auditiv gekennzeichnet sind. Die 150 Jahre, die eigentlich zwischen den Ereignissen liegen, sieht der Zuschauer nicht, der Protagonist war (und ist) laut Story eingefroren in Tucson, Arizona. Grafik 2 – Alternationsstruktur (eigene Grafik) MT = Maschineller Traum PSY = Psychiatergespräch César erzählt dabei nicht nur seine Erinnerungen an sein Leben, sondern auch von seinen Träumen. Hinzu kommen die Erinnerungen, die durch Hypnose entstehen (an das eigentlich von L.E. Gelöschte) und solche, die durch Zeichnungen hervorgerufen werden. Wie die Übergänge und die Erinnerungs- und Traumbilder selbst im Deleuze’schen Sinne in Open Your Eyes dargstellt sind, sollen die nächsten beiden Kapitel erläutern. 7 Die formale Analyse des Films erfolgt hierbei nach Bordwell/Thompson (2006) 11
  • 12. 3.3 Erinnerungsbilder in Open Your Eyes Im Film treten vier verschiedene Varianten von Erinnerungsbildern auf, die sich darin unterscheiden, dass sie nicht nur unterschiedlich dargestellt und visualisiert werden, sondern auch mit verschiedenen Arten von Wahrnehmungsbildern korrespondieren. Diese verdeutlichen, wie versteckt und unzugänglich die Erinnerungen in Césars Kopf sind und wie es ihm möglich ist, sich an bestimmte Dinge zu erinnern. Die vier Ebenen werden unterschieden in Erzählungen vom Leben und von Träumen sowie Erinnerungen ans Leben und an „Gelöschtes“. Erzählungen vom Leben Bei dieser Ebene handelt es sich um sämtliche Erzählungen über Césars Leben vor dem maschinellen Traum, genauer gesagt bis zu seinem Arztbesuch mit dem Erhalt der Maske nach dem Unfall. Es sind Realitätserfahrungen, an die er sich ohne Probleme erinnert und die er dem Psychiater Antonio detailliert schildern kann. Die Visualisierung findet also innerhalb des ersten Gesprächs zwischen César und Antonio statt, bei dem César auf dem Boden seiner Zelle sitzt und welches beinahe das gesamte erste Drittel des Films umspannt. Das Wahrnehmungsbild wird dabei meist nachgereicht, oftmals erinnern auch nur die Stimmen aus dem Off an das Gespräch in der Psychiatrie. Als Beispielszene sei hier die Schilderung des Arztbesuches genannt, bei der der behandelnde Chirurg César eine Prothese für sein Gesicht überreicht. Dieser lehnt die Maske ab und schmettert sie zu Boden. Das letzte Bild dieser Szene ist eine Großaufnahme des Arztes, mit den Worten „Wir können keine Wunder bewirken“ (00:36:01). Im nächsten Bild, dem dazugehörigen Wahrnehmungsbild, sieht der Zuschauer einen kleinen Raum, eine Zelle, in deren Vordergrund der Psychiater Antonio auf einem Stuhl und ihm gegenüber auf dem Boden an der Wand César sitzen. Césars (durch die Maske) dumpfe Stimme sagt: „Das hat dieser Blödmann zu mir gesagt“ (00:36:03). Screenshot 01 (00:36:01) Screenshot 02 (00:36:03) 12
  • 13. Erzählungen von Träumen Die zweite Variante von Erinnerungsbildern tritt bei der Beschreibung von Césars Träumen in seinem realen Leben vor dem maschinellen Traum auf. Wieder erläutert er im Rahmen des ersten Psychiatergesprächs, was sich abgespielt hat. Dem Zuschauer wird erst durch das nachgereichte Wahrnehmungsbild klar, dass es sich um einen Traum handelt. Es gibt zwei Träume im Film, die in dieser Form auftreten, beide korrespondieren jedoch nicht mit dem Psychiatergespräch als Wahrnehmungsbild, sondern mit einer Aufwachszene. Lediglich der Ton wird aus dem Psychiatergespräch wahrnehmbar. Der erste dieser beiden Träume stellt die Anfangssequenz des Films dar, das Wahrnehmungsbild wird in Form eines Schwenks auf den Wecker gestaltet. Der zweite Traum beschreibt ein Treffen von Sofia und César im Park, bei dem sie sich über den vergangenen Abend und einen Alptraum Césars unterhalten. Die Szene endet mit dem fragenden Blick Césars und den Worten „Was für ein Fest?“ (00:31:39). Das Wahrnehmungsbild gestaltet sich in Form eines aufgrund von Weckerklingeln hochschreckenden Hinterkopfes, der Zuschauer nimmt an, dass es sich um César handelt und aus dem Off hört man seine dumpfe Stimme „Träume können schon scheiße sein“ (00:31:48) sagen. Genau wie beim ersten Traum hört man César mit Antonio sprechen, sieht sie aber nicht. Aber auch ohne den Kommentar zu den Träumen selbst, würde der Zuschauer diese beiden Träume als solche identifizieren können, eben aufgrund des nachgereichten Wahrnehmungsbildes. Screenshot 03 (00:31:39) Screenshot 04 (00:31:48) 13
  • 14. Erinnerungen ans Leben Die dritte Form des Erinnerungsbildes in Open Your Eyes umspannt knapp 20 Minuten des gesamten Films. César bittet Antonio am Ende ihres ersten Gespräches, ihm Zettel und Bleistift zu geben und beginnt dann zu zeichnen (00:37:06). Er erinnert sich also durch den Prozess des Zeichnens an seine Vergangenheit, wobei es sich hier um Szenen sowohl vor als auch während des maschinellen Traums handelt8. Das Wahrnehmungsbild wird dem Zuschauer in diesem Fall zuerst präsentiert. Die Zeichnung (00:37:26) geht fließend mit einer Weichblende in das Erinnerungsbild (00:37:33) über, dieses scheint für einen Moment aus dem Wahrnehmungsbild zu entstehen. Am Ende der Erinnerungssequenz verhält es sich gegenteilig, das Bild von Sofias Gesicht (00:56:10) geht zu einer Zeichnung (00:56:13) über (erneute Weichblende), zum Wahrnehmungsbild. Da dieser Erinnerungsteil sehr lang ist, ist es für den Zuschauer umso hilfreicher, dass sowohl davor, also auch danach diese Wahrnehmungsbilder präsentiert werden. Zwischen dieser Rahmung hört man auch kein Off- Gespräch zwischen César und Antonio, dieses findet erst im Anschluss statt, als Antonio sich die Bilder ansieht (00:56:20). Screenshot 05 (00:37:06) Screenshot 06 (00:37:26) Screenshot 07 (00:37:33) Screenshot 08 (00:56:10) Sreenshot 09 (00:56:13) Screenshot 10 (00:56:20) 8 An dieser Stelle wird das Erinnerungsbild eigentlich zu einem Traumbild, da dieser Übergang aber weder von Deleuze, noch an dieser Stelle im Plot thematisiert wird (sondern erst am Ende), soll hier die Gesamtsequenz innerhalb der Rahmung betrachtet werden, also die gesamte Erinnerung, die César als durchgängig erscheint 14
  • 15. Erinnerungen an „Gelöschtes“ Die vierte Erinnerungsebene zeichnet sich in erster Linie durch ihre spezielle Visualisierung aus. Mit einem malerischen Effekt, einem Aquarellbild gleich, erinnert sich César durch Hypnose an den Abschnitt in seinen Leben, der eigentlich von L.E. gelöscht wurde: die Unterzeichnung des Vertrags und seinen Selbstmord. Das Wahrnehmungsbild wird hierbei vorangestellt, der Zuschauer sieht in Großaufnahme das Gesicht von Antonio und seinen Finger, den er hin und her bewegt (01:16:56). Dann verschwimmt das Bild, es folgt eine längere Schwarzblende. Es ertönt Antonios Stimme im Off: „Sehr gut, jetzt wollen wir mal sehen, ob du mir etwas über diesen Traum erzählen kannst“ (01:17:17). Das Bild danach zeigt einen kurzen Szenenausschnitt, der bereits vorher im Film auftauchte, jedoch durch den erwähnten Effekt etwas undeutlich und verschwommen. César steht vor Sofia im Regen und sagt ihr, dass er von diesem Moment geträumt hätte, mit dem Unterschied, dass es im Traum nicht regnete (01:17:24). Es ist aber das „falsche“ Erinnerungsbild, Antonio möchte, dass César sich an den L.E.-Traum erinnert, von dem er ihm zuvor berichtete9. Nach einer weiteren Schwarzblende erscheint schließlich das „richtige“ Erinnerungsbild, eine Frau hinter einem Schreibtisch, ebenso sehr undeutlich und nur schemenhaft erkennbar (01:17:31). Im weiteren Verlauf werden die Bilder abwechselnd etwas klarer und wieder unscharf, die Sequenz endet mit einem Zoom auf Césars Augen, während er nach der Tabletteneinnahme im Sterben liegt. Screenshot 11 (01:16:56) Screenshot 12 (01:17:24) Screenshot 13 (01:17:31) 3.4 Traumbilder in Open Your Eyes Genau wie bei den Erinnerungsebenen gibt es auch bei den Träumen in Open Your Eyes vier verschiedene Varianten, die sich weniger in der Inszenierung kennzeichnen, sondern mehr von der jeweiligen Interpretationshypothese des Films abhängen. Sie werden unterschieden in 9 César erinnerte sich bereits zuvor an die Vertragsunterzeichnung (00:57:50), die Erinnerungen waren mit dem gleichen Effekt gekennzeichnet, stellen von der hier vorgestellten Einteilung aber eine Erzählung eines Traums dar. Da dieser Traum jedoch innerhalb des maschinellen Traums stattfindet, handelt es sich hierbei wieder um eine spezielle Vermischung von Erinnerungs- und Traumbild 15
  • 16. den Komatraum, Träume in der Realität, den maschinellen Traum und dem Traum im maschinellen Traum. Komatraum Diese erste Traumebene geht von der Interpretation aus, dass es sich bei nahezu dem gesamten Film um einen Komatraum handelt. Indizien hierfür sind auf der einen Seite die Erklärungen des technischen Supports der Firma L.E., mit dem Unterschied, dass der Zuschauer ebenso von einem anderen Verknüpfungszeitpunkt, nämlich am Anfang des Films noch vor Césars Geburtstag, ausgehen kann. Gleiches würde zutreffen, wenn César – in welcher Art und aus welchen Gründen auch immer – immer Koma liegen und alles nur träumen würde. Das Wahrnehmungsbild ist in beiden Fällen das letzte Bild des Films, eine Schwarzblende. Geprägt wird das „Bild“ durch den Off-Kommentar. Der Zuschauer hört jemanden tief und aufgeregt atmen, es kann davon ausgegangen werden, dass es sich um César handelt, der die Augen geschlossen hat. Eine weibliche Stimme sagt „Ganz ruhig, ganz ruhig. Öffne die Augen“ (01:50:36). Diese Stimme kann nicht zugeordnet werden, der Zuschauer wird auch nicht aufgeklärt, ob es sich um eine personifizierte Stimme handelt oder etwa um den Wecker, der auch zu Beginn des Films auftritt. Je nach Interpretation ist dies entweder das einzige Wahrnehmungsbild, welches die geschlossenen Augen darstellen soll, oder es ist nur der Übergang zu einem Wahrnehmungsbild, welches eigentlich daraufhin erscheinen müsste, der Regisseur jedoch bewusst weggelassen hat, um den Zuschauer zu irritieren und zu weiteren Interpretationen zu ermutigen10. Die Traumsequenz würde somit mit dem ersten Bild beginnen (zunächst mit einem Traum im Traum), einem verschwommen Bild der Bettdecke und dem immer lauter werdenden „Öffne die Augen“ (00:01:15) des Weckers und mit Césars Sprung vom Dach (01:50:29) enden. Screenshot 14 (00:01:15) Screenshot 15 (01:50:29) 10 In Vanilla Sky zeigt Crowe zusätzlich zu der Schwarzblende noch eine Detailaufnahme eines sich öffnenden Auges – ein Wahrnehmungsbild, welches zwar als solches besser erkennbar wird als die Schwarzblende, den Zuschauer aber ebenso über die Interpretation im Unklaren lässt 16
  • 17. Träume in der Realität Bei dieser Art von Träumen handelt es sich um die Träume, die César vor dem maschinellen Traum in seinem Leben hatte. Hier treten die gleichen Eigenschaften auf, wie sie auch bei Erzählungen von Träumen vorzufinden sind, nur der Kontext ist ein anderer. Es geht um den Traum an sich, nicht an die Erinnerung daran. Somit ist hier das nachgereichte Wahrnehmungsbild das entscheidende, nicht der Off-Kommentar des Gespräches mit Antonio. Als Beispiel soll hier die Anfangssequenz des Films, der Alptraum von Madrids leeren Straßen, die die Angst vor Einsamkeit und Isolation darstellen, dienen. Die Traumsequenz beginnt mit einem unscharfen Blick auf die Bettdecke (00:01:15) und einem Schwenk zum Wecker, den eine ins Bild kommende Hand ausdrückt. Er endet mit dem einsamen César auf Madrids belebtester Straße, der Gran Vía (00:03:32). Nach einer Schwarzblende wird das Wahrnehmungsbild nachgereicht, in diesem Fall ist es exakt das gleiche, mit dem der Traum begann, der unscharfe Blick auf die Bettdecke (00:03:39). Dies soll möglicherweise unterstreichen, wie „real“ Césars Träume sind und wie sehr er sich und seine Umgebung darin wiedererkennt. Screenshot 16 (00:01:15) Screenshot 17 (00:03:32) Screenshot 18 (00:03:39) Maschineller Traum Diese Traumvariante hält sich an die Interpretation, die vom technischen Support im Film vorgegeben wird. Der so genannte maschinelle Traum, ein künstlich geschaffener Traum, der durch Césars Wünsche und Gedanken gesteuert wird, beginnt mit dem Wiederaufwachen auf der Straße nach dem Diskobesuch (00:53:56). Ab diesem Moment ist alles ein Traum, zunächst sehr schön und erfüllend, dann jedoch schlägt er um in einen Alptraum, teils mit surrealistischen Elementen (Verwechslung von Sofia, erneute Entstellung, Erschießen von Antonio). Der technische Support beschreibt diese als Fehler des Systems und Durchdringen von Césars Unterbewusstsein, dem eigentlichen Willen, aufzuwachen. Auch dieser Traum 17
  • 18. endet mit dem Sprung vom Dach (01:50:29) und das Wahrnehmungsbild deutet sich wie beim Komatraum durch die Schwarzblende an. Durch die ausführlichen Erklärungen des technischen Supports und der Entscheidung Césars, in der Zukunft aufzuwachen, geht der Zuschauer bei dieser Interpretation jedoch davon aus, dass César tatsächlich im Jahr 2145 aufwacht. Screenshot 19 (00:53:56) Screenshot 20 (01:50:29) Traum im maschinellen Traum Das Konstrukt bei dieser Traumebene ist die gleiche, wie bei den Träumen in der Realität, mit dem Unterschied, dass es sich um eine Art Meta-Traum, einen Traum im Traum handelt. Es handelt sich hierbei um einen Alptraum, den César während seines maschinellen Traums erlebt, wieder gekennzeichnet durch eine hohe Affinität mit seinem „realen“ Leben, sowohl vor als auch im maschinellen Traum. Er beginnt damit, dass César in seinem Bett aufwacht, neben ihm Sofia (01:05:28). Er geht ins Bad, macht das Licht an und sieht sein entstelltes Gesicht, wie es vor der Rekonstruktion war. Panisch verlässt er das Bad und erblickt Sofia, die schockiert aufschreit (01:06:15). Daraufhin wacht César auf, das Wahrnehmungsbild wird nachgereicht (01:06:17), unterstützt von dem Dialog: „Was ist denn mit dir?“ – „Diese Träume sind schrecklich“. Screenshot 21 (01:05:28) Screenshot 22 (01:06:17) Screenshot 23 (01:06:17) 18
  • 19. 4. Fazit Wie die Analyse von Open Your Eyes gezeigt hat, lässt sich sowohl das Erinnerungsbild als auch das Traumbild von Deleuze im modernen Film wiederfinden. Im Zusammenhang mit den zugehörigen Wahrnehmungsbildern konnten Erinnerungsprozesse und Träume als solche identifiziert werden. Ganz klar muss jedoch betont werden, dass im Film der 90er Jahre Deleuze‘ Beschreibungen weitaus zu kurz fassen. Wie bereits in den Beispielszenen gezeigt wurde, weisen die Bilder teilweise die Eigenschaften von Erinnerung und Traum auf. Besonders bei einem Film wie Open Your Eyes, der mit der Grenze zwischen Traum und Realität spielt und den Zuschauer bewusst verwirrt und viel Raum für Interpretationen lässt, ist die eindeutige Zuweisung im Deleuze’schen Sinne nicht mehr haltbar. Teilweise haben einzelne Bilder bis zu drei Funktionen, sie dienen gleichzeitig als Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Traumbild – je nach Interpretationsweise. Grafik 3 veranschaulicht die extreme Verschachtelung der verschiedenen Bedeutungsebenen der Bilder in Open Your Eyes: Grafik 3 – Verschachtelung der Bedeutungsebenen in Open Your Eyes (eigene Grafik) Besonders bei der Definition des Traumbildes gibt es große Differenzen. Nach Deleuze ist es schon allein durch seine surrealistischen Elemente und der Aktualisierung in sich selbst als solches zu erkennen, jedoch gibt es im modernen Film kaum noch Traumszenen, die den 19
  • 20. Beschreibungen von Deleuze entsprechen. Der Zuschauer benötigt viel mehr als das Wahrnehmungs- und Traumbild, um den Traum als solches zu identifizieren. Durch die realitätsnahe Darstellung sind Erklärungen im Film selbst (wie zum Beispiel die Ausführungen des technischen Supports) oder weitere filmsprachlichen Analyse notwendig. Für Open Your Eyes bietet Deleuze zwar Definitionen für bestimmte Bilder an, er schlägt aber keine Interpretationen vor, somit bleibt die Nutzung der „Schablone“ sehr begrenzt. Ausblick Mit Blick auf die aktuelle Filmlandschaft lässt sich feststellen, dass die Themen Erinnerung und Traum nach wie vor gern und ausführlich filmisch bearbeitet werden. Bemerkenswert ist die immer weiter ansteigende Komplexität, sowohl in Narrationsstruktur als auch in den Interpretationsebenen, die es dem Zuschauer zunehmend erschweren, den Unterschied zwischen filmischer Realität und Virtualität zu erkennen und die Zusammenhänge zu begreifen. Wie Deleuze erkannt hat, bietet genau das Platz für Reflexionen und „schärft den Blick für das Mögliche, zwingt zu einem Denken in Paradoxa und regt neuartige Begriffsbildungen an“ (Volland 2009, S. 90). Als Beispiel soll hier nur auf den Regisseur Christopher Nolan hingewiesen werden, der sich vorzugsweise mit dieser Thematik auseinander setzt. Für enorm komplexe Erinnerungsarbeit ist hier der Film Memento11 erwähnenswert, in der der unter Gedächtnisverlust leidende Protagonist versucht, seiner eigenen Identität und Vergangenheit auf die Spur zu kommen. Bei der Behandlung von verschiedenen Traumebenen ist Inception12 eines seiner neusten Werke, in dem es drei Traumebenen gleichzeitig gibt, in die die Protagonisten tiefer eindringen, indem sie sich in der jeweils vorhergehenden Ebene (durch ein chemisches Schlafmittel) zum Träumen bringen. Auch hier spielt die Erinnerung eine große Rolle, da die Zeit sich mit jeder Ebene um ein vielfaches verlängert und „man sich selbst nicht vergessen darf“. Hier würde der Deleuze’sche Ansatz sicher ebenso bei der Identifizierung greifen, aber er würde nicht in der Auflösung der Frage helfen, was genau Traum und was Erinnerung ist, selbst wenn die Bilder ein entsprechendes Wahrnehmungsbild geliefert bekämen. Denn auch dieser Film hat, wie auch Open Your Eyes, unter anderem ein „offenes“ Ende und ist somit eine genauere Analyse wert. 11 Nolan, Christopher (2002): Memento. USA 12 Nolan, Christopher (2010): Inception. USA/UK 20
  • 21. Literaturverzeichnis Literatur Bordwell, David; Thompson, Kristin (2006): Film Art. An Introduction. Boston: McGraw Hill; 8. Ed. Deleuze, Gilles (1997): Das Zeit-Bild. Kino 2. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. Engell, Lorenz (2002): Film als Herausforderung der Semiotik 2. Vorlesungs-Reader. Online: Universität Weimar; URL: http://www.uni-weimar.de/medien/philosophie/lehre/ws0102/ Semiotik10.pdf [24.01.2012]. Oestreich, Raimar (2010): Die Filmtheorie von Gilles Deleuze. Was sichtbar ist, kann auch gedacht werden. online: Filmnetz; URL: http://filmnetz.org/articles/29 [24.01.2012]. Ott, Michaela (2003): Virtualität in Philosophie und Filmtheorie von Gilles Deleuze; online: Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe; URL: http://on1.zkm.de/zkm/stories/storyReader$4049 [24.01.2012]. Volland, Kerstin (2009): Zeitspieler: Inszenierungen des Temporalen bei Bergson, Deleuze und Lynch. Wiesbaden: VS Verlag. Filme Amenábar, Alejandro (2002): Open Your Eyes – Virtual Nightmare. Spanien: Artisan Entertainment. Youtube (2010): Dumbo – Pink Elephants on Parade by Walt Disney. aus: Armstrong, Samuel et al. (1941): Dumbo, der fliegende Elefant. USA: Walt Disney Productions. online: Youtube, URL: http://www.youtube.com/watch?v=mIrMfxw9o28&feature=related [24.01.2012]. 21
  • 22. Abbildungsverzeichnis Screenshot a – f: Youtube (2010): Dumbo – Pink Elephants on Parade by Walt Disney. aus: Armstrong, Samuel et al. (1941): Dumbo, der fliegende Elefant. USA: Walt Disney Productions. online: Youtube, URL: http://www.youtube.com/watch?v=mIrMfxw9o28& feature=related [24.01.2012]. Screenshot 01 – 23: Amenábar, Alejandro (2002): Open Your Eyes – Virtual Nightmare. Spanien: Artisan Entertainment. Grafik 1 – Darstellen der Erinnerung: Figuren URL: http://www.stockxpert.com [25.01.2010]; TV-Screen URL: http://blogtopf.de/wp-content/uploads/2008/03/google-tv- ads.jpg [24.01.2012]. Grafik 2 – Alternationsstruktur: eigene Grafik. Grafik 3 – Verschachtelung der Bedeutungsebenen in Open Your Eyes: eigene Grafik. 22
  • 23. Eigenständigkeitserklärung Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit bzw. Leistung eigenständig, ohne fremde Hilfe und nur unter Verwendung der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe. Alle sinngemäß und wörtlich übernommenen Textstellen aus der Literatur bzw. dem Internet habe ich als solche kenntlich gemacht. Mir ist bekannt, dass ich im Falle einer Täuschung das Recht auf den Erwerb eines Leistungsscheins in der Veranstaltung „Audio-visuelle Artikulationen der Moderne: Gilles Deleuze“ verwirkt habe. Weiterhin erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit (bzw. Leistung) in dieser oder in leicht veränderter Form in keiner anderen Lehrveranstaltung zum Zwecke des Erwerbs eines Leistungsscheins eingereicht habe. Magdeburg, der 25.01.2012 23