De viviane reding auch frauen haben politisches talent 2014
1. AUCH FRAUEN HABEN POLITISCHES TALENT
Der Gipfel am 30. August hätte der Tag sein sollen, an dem der gewählte Präsident der
nächsten Exekutive, Jean Claude Juncker, die künftigen Mitglieder der Europäischen
Kommission bekannt gibt. Daraus wird wohl nichts. Da die Staats- und Regierungschefs nur
wenige weibliche Kandidaten für die zu besetzenden Posten vorgeschlagen haben, zeichnet
sich eine neue Blockade ab.
Der Kandidatenvorschlag steht den Staats- und Regierungschefs zu. Dessen Annahme und die
Zuweisung eines Ressorts ist die Zuständigkeit Jean-Claude Junkers. Das Europäische
Parlament seinerseits wird das letzte Wort haben!! Es wird die Mannschaft, die ihm
vorgeschlagen wird, annehmen oder nicht. Das Risiko des Nein besteht, falls ein minimales
Gleichgewicht zwischen Männer- und Frauenanteil nicht erreicht wird.
Der Frauenanteil im Europäischen Parlament beträgt 37%. In der aktuellen Kommission
Barroso II sind 9 der 27 scheidenden Kommissare Frauen. 2009 hatte Kommissionspräsident
Barroso hart dafür kämpfen müssen, mindestens ein Drittel weiblicher Kandidaten
vorschlagen zu können - unter anderem durch die Zuweisung wichtiger Ressorts. Dies war
das absolute Minimum, um grünes Licht vom Europäischen Parlament zu erhalten.
Heute, 2014, hat man das Gefühl zu träumen! Die Mehrheit der europäischen Regierungen
findet anscheinend keine fähigen Kandidaten unter den tausenden talentierten weiblichen
Politikern, die ihre intellektuelle Kapazität und ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt
haben! Seit Jahrzehnten fördert Europa Gleichstellungspolitiken. Artikel 21 der EU-
Grundrechtecharta fordert die Beseitigung von Diskriminierung in allen
Gesellschaftsbereichen. Auf der höchsten Ebene, auf der die Staats- und
Regierungschefs sich beispielhaft verhalten müssten, soll das Gegenteil gelten?
Wie soll sich in einem solchen Kontext das Verhältnis zwischen den Bürgern und Ihren
politischen Führungskräften verbessern? Wie soll die Legitimitätskrise gestoppt werden, die
unser gemeinsames Werk bedroht? In den zwei Jahren als Vizepräsidentin der Europäischen
Kommission habe ich den ganzen Kontinent bereist, um direkt mit den Wählern im Rahmen
der „Bürgerdialoge“ zu diskutieren. Ihre Botschaft ist klar!! Die Bürger wollen ein gerechtes
und ausgewogenes Europa, das jeder und jedem seine Chance gibt. Sie werden sich nicht mit
einer von Männern dominierten Exekutive identifizieren. Europa besteht aus Männern
UND aus Frauen. Beide teilen sich Talent und Einsatz. Sollen sie sich auch die
Verantwortung teilen!
Als ehemaliges Mitglied der europäischen Exekutive in den vergangenen fünfzehn Jahren
rufe ich zur Bildung einer neuen Kommission im Einklang mit dem Gleichheitsprinzip und
dem Nicht-Diskriminierungsgrundsatz auf. Meine Damen und Herren Staats- und
Regierungschefs, haben Sie ein wenig Mut! Überwinden Sie Ihre Archaismen!
Vergessen Sie die Ränkespiele nationaler Politik und handeln Sie für die Zukunft
Europas. Die künftige Europäische Kommission muss Spiegel unserer Gesellschaft und
unserer Wähler sein – die zur Hälfte Wählerinnen sind !
Viviane Reding
Vizepräsidentin der Europäischen Kommission a.D.
Mitglied des Europäischen Parlaments