Vorsorgelücken im Überblick
von Stephan Wirz
Das Dreisäulensystem der Schweiz gilt weit herum als vorbildlich, was die Vorsorge
für Alter, Tod und Erwerbsausfall anbelangt. Betrachtet man allerdings
genauer, inwiefern das Vorsorgesystem die krankheitsbedingte Invalidität absichert,
lassen sich grosse Lücken erkennen.
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Im Dreisäulensystem wird man besser nicht krank
1. 40 kmu life · 04/2012
Finanzen & Versicherungen
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ird ein Angestellter durch Krank-
heit arbeitsunfähig, ist der Ar-
beitgeber zu einer gesetzlichen
Lohnfortzahlung verpflichtet, die
allerdings auf wenige Wochen beschränkt ist.
In der Praxis verfügen die meisten Arbeitgeber
aber über eine kollektive Krankentaggeldversi-
cherung, die den Lohnausfall während maximal
720 Tagen zu rund 80 Prozent finanziert. Führt
die Krankheit zur Invalidität, setzen nach dieser
Frist die Leistungen aus der Invalidenversiche-
rung (IV) und der Pensionskasse ein. Allerdings
decken sie dann je nach Lohnniveau und Pen-
sionskassenreglement nur noch 50 bis 60 Pro-
zent des Lohnausfalls ab. Dies im Gegensatz zu
einer Invalidität durch Unfall, wo der Lohn von
Angestellten mit den Leistungen aus der ersten
Säule (IV) und der Komplementärrente aus der
Unfallversicherung des Arbeitgebers zu rund
90 Prozent gedeckt ist und dies lebenslänglich.
Vorsorgelücke im Krankheitsfall
Grundsätzlich liesse sich die Vorsorgelücke im
Krankheitsfall zwar schliessen, indem eine Ka-
pitalversicherung bei Tod oder Invalidität bei
einer Krankenkasse abgeschlossen wird. Eine
weitere Möglichkeit ist die Erwerbsunfähig-
keitsrente im Rahmen der privaten Vorsorge.
Solche Versicherungsdeckungen sind jedoch
teuer und übersteigen vielfach die finanziellen
Möglichkeiten eines Angestellten. Die Prä-
mien der Erwerbsunfähigkeitsrenten werden
abgesehen vom Alter des Versicherungsneh-
mers und der Höhe der versicherten Rente
zusätzlich durch den Beruf beeinflusst. Hand-
werker bezahlen in der Regel höhere Prämien
als beispielsweise kaufmännische Angestellte.
Raucher bezahlen ebenfalls häufig höhere Prä-
mien. Weiter bedingt der Abschluss solcher
Versicherungsdeckungen einen guten Gesund-
heitszustand. Bei bestehenden Leiden kann ein
solches Produkt nicht abgeschlossen werden.
Die Invalidität stellt auch für Hausfrauen, Stu-
denten und Kinder ein grosses Risiko dar. Bei ei-
ner Erwerbsunfähigkeit werden zwar Leistungen
aus der 1. Säule entrichtet. Die Höhe dieser Leis-
tungen wird aufgrund des durchschnittlichen
AHV-Einkommens berechnet, einem Durch-
schnittswert der vergangenen Jahre. Es liegt auf
der Hand, dass diese Renten somit tief ausfallen.
Ein erwerbsunfähiger Jugendlicher wird nach Er-
reichen des 18. Altersjahres lediglich CHF 1547
pro Monat erhalten. Das gilt auch für den Stu-
denten, der zwar bereits eine Stelle in Aussicht
hat, aber vor dem Stellenantritt eine Krankheit
erleidet, die zur Invalidität führt. Kinder und
Studenten erhalten keine Leistungen aus der 2.
Säule, da sie noch kein Erwerbseinkommen er-
zielt haben. Sie sind auf Ergänzungsleistungen
angewiesen, wenn sie arbeitsunfähig werden.
Es kann davon ausgegangen werden, dass die
Mehrheit der Hausfrauen, Studenten und Kinder
bei Invalidität durch Krankheit schlecht versi-
chert sind. Denn um ihre finanziellen Möglich-
keiten, die Vorsorgelücke zu schliessen ist es
meist noch schlechter bestellt als bei Angestell-
ten. Potential für neue Versicherungslösungen,
die Hausfrauen besser absichern, würde auch
dahingehend bestehen, als bei ihrem krank-
heits- oder unfallbedingten Ausfall zusätzliche
Kosten für eine externe Haushaltshilfe und/oder
Kinderbetreuung anfallen.
Vorsorgelücke durch steigende
Lebenserwartung
Eine mögliche Vorsorgelücke eröffnet sich auch
durch die steigende Lebenserwartung. Die vor
diesem Hintergrund nötige Senkung des Um-
wandlungssatzes in der beruflichen Vorsorge
und eine mögliche Senkung der AHV-Renten
haben zur Folge, dass die zukünftigen Rent-
nergenerationen weniger Geld zur Verfügung
haben werden. Tatsache ist jedoch, dass diese
Generationen in den ersten zehn bis 15 Jahren
nach der Pensionierung meist nicht weniger
Geld brauchen werden, als in ihrer aktiven Be-
rufszeit. Nach diesem Zeitpunkt wird der Be-
darf an Leistungen im Bereich der Pflege und
Palliativmedizin allerdings erheblich steigen,
und dies im Umfeld einer überalternden Bevöl-
kerung – ist doch schon 2025 über ein Drittel
der Bevölkerung über 65 Jahre alt. Dement-
sprechend müssten die Versicherten für das ge-
brechliche Alter vorsorgen, auch wenn das für
viele, die 30 Jahre und mehr in AHV und Pen-
sionskasse einbezahlt haben, auf den ersten
Blick Unverständnis hervorruft. Doch im Pfle-
gefall ist das verbleibende Vorsorgevermögen
rasch aufgebraucht. Die Versicherten müssen
sich auch bewusst sein, dass dies bei rückläu-
figen Renten unter Umständen zu finanziellen
Engpässen respektive Einschränkungen führen
kann, wenn sie mit dem Schliessen dieser Vors-
orgelücke erst im Rentenalter beginnen.
Szenarien herausarbeiten um
Vorsorgelücken zu schliessen
Im Bereich der Vorsorge für den Pflegefall ist
auch das grösste Potential für neue Versiche-
rungslösungen auszumachen. Vorstellbar wäre
beispielsweise eine freie Vorsorge im Rahmen
einer neu zu schaffenden Säule 3c, um die
nächste Familie finanziell zu entlasten sowie
Vorsorgelücken im Überblick
Das Dreisäulensystem der Schweiz gilt weit herum als vorbildlich, was die Vor-
sorge für Alter, Tod und Erwerbsausfall anbelangt. Betrachtet man allerdings
genauer, inwiefern das Vorsorgesystem die krankheitsbedingte Invalidität ab-
sichert, lassen sich grosse Lücken erkennen.
von Stephan Wirz
Im Dreisäulensystem wird
man besser nicht krank
2. 41kmu life · 04/2012
Finanzen & Versicherungen
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die öffentliche Hand und damit alle Steuerzah-
ler. Bezogen auf die Situation in der beruflichen
Vorsorge wäre auch vorstellbar, dass der tech-
nische Zinssatz frei gegeben wird, er sich also
entsprechend der Wirtschaftslage entwickelt.
Parallel dazu könnten in der dritten Säule fle-
xible Produkte entwickelt werden, die insbe-
sondere in den Tiefzinsphasen vermögensseitig
den Ausgleich schaffen.
Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich,
dass der Versicherte mit Hilfe einer professio-
nellen Beratung möglichst früh die möglichen
Szenarien im Fall von Alter, Tod und Invalidität
durchspielt und erkennt, welche Vorsorgelü-
cken sich daraus ergeben können, respektive
dass er Lösungen präsentiert bekommt, die er
im Rahmen der vorhandenen Mittel ausschöp-
fen kann, um allfällige Lücken zu schliessen.
Leider ist es häufig so, dass die Einsicht erst im
Schadenfall und damit zu spät kommt.
In jungen Jahren lebt der Versicherte unbe-
schwert und will keine Gedanken an später
verschwenden. Dies ist aber meist genau die
Phase, wo er viel Geld zur Verfügung hat. Denn
gründet er erst einmal Familie, wird das verfüg-
bare Budget schmaler. Und mit 45 bis 50 Jahren
wird die Zeit dann bereits wieder knapp, eine
ausreichende Vorsorge aufzubauen. Bedenken
sollte er auch, dass ihn die Invalidität im Krank-
heitsfall jederzeit treffen kann.
Finanzielles Risiko bei
Konkubinatspaaren
Die verschiedenen Szenarien und die daraus
entstehenden Risiken zu betrachten, wird auch
angesichts der Tatsache, dass heute viele Ver-
sicherte im Konkubinat in Patchworkfamilien
leben, immer wichtiger. So hat der überleben-
de Partner im Todesfall keinen gesetzlichen
Anspruch auf Witwen- bzw. Witwerrenten.
Bei Konkubinatspaaren mit Kindern besteht
beim Wegfall eines Erwerbseinkommens infol-
ge eines Todesfalls ein erhebliches finanzielles
Risiko – unabhängig davon, ob es gemeinsame
Kinder sind oder nicht. Der überlebende Kon-
kubinatspartner muss für das Haushalteinkom-
men aufkommen, ohne dass er oder sie Wit-
wen- bzw. Witwerrenten erhält. Dieses Risiko
muss im Rahmen der privaten Vorsorge abge-
sichert werden.
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Stephan Wirz
ist Mitglied der Geschäftsleitung
und Sozialversicherungsfachmann
mit eidg. FA.
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