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Die energetische Ertüchtigung geht auch an Baudenkmalen nicht vorbei. Zur Bewahrung
der historischen Substanz bei diesen Maßnahmen sind grundsätzliche Überlegungen zur
Bewertung und Berechnung ebenso wichtig wie die sorgfältige Planung und Ausführung
in der Praxis.
32022
Restaurator im Handwerk
DIE FACHZEITSCHRIFT FÜR RESTAURIERUNGSPRAXIS
14.  JAHRGANG
Deutschland
12
€
Schwerpunktthema
Restaurator
im
Handwerk
•
Ausgabe
3-2022
•
ISSN
1869-7119
Denkmalschutz
										und Klimaschutz
Wie geht das zusammen?
Ernte
von
Seegras
34 Restaurator im Handwerk | 3-2022 | Energetische Ertüchtigung von Denkmalen
Seit einigen Jahren erfährt Seegras als
Dämmstoff eine Renaissance. Dabei ist seine Ver-
wendung Seegras keine neue Erfindung, sondern hat
sich über Jahrhunderte bewährt. Aber was ist Seegras
eigentlich? Warum kann man damit dämmen? Wie
wird es geerntet? Warum ist es der ideale Dämmstoff
für denkmalgeschützte Häuser? Darum geht es in
diesem Beitrag.
Was ist Seegras?
Bei dem Wort denken manche vielleicht spontan an
das Gras, das auf Dünen wächst – der Strandhafer.
Gemeint ist jedoch ein Gras, das in großen Wiesen
am Meeresgrund wächst, und zwar in einer Tiefe von
bis zu 10 m. Die Familie der Seegrasgewächse ist auf
der ganzen Welt verbreitet.
Im Herbst stirbt ein Teil der Blätter der mehrjäh-
rigen Pflanzen ab, das bewegte Wasser reißt sie ab,
und sie treiben in großen Mengen ans Ufer. Vor allem
an der Ostseeküste gehört Seegras zum Strandbild.
Genau wie die Bagger, die sich in den frühen Morgen-
stunden bemühen, es möglichst gründlich zu beseiti-
gen, bevor die Touristen den Strand erobern. Denn
wenn es in großen Haufen mit Algen vermischt liegen
bleibt, fängt es nach einiger Zeit an, einen intensiven
Küstengeruch zu verströmen, und Badende waten na-
türlich auch nicht gerne durch Tangschwaden.
Allein die Gemeinde Scharbeutz (nördlich von
Lübeck) beseitigt jedes Jahr 8.000 Tonnen Seegras,
da kann man sich vorstellen, dass die Gesamtmenge
an der deutschen Ostseeküste gigantisch ist.
Was passiert damit? Seegras gilt als problema-
tisch: Es ist schwer verrottbar, nicht brennbar und
muss entsorgt werden. Das geschieht zum Teil durch
Verstreuen auf Äcker, allerdings wird das durch ver-
schärfte Auflagen immer schwieriger.
Tradition – Seegras als Rohstoff
Seegras als Rohstoff zum Dämmen und Polstern ist
gerade wegen der oben genannten Eigenschaften ein
im wahrsten Sinne des Wortes wertvolles Material,
das unsere Vorfahren zu schätzen wussten.
Die historische Nutzung durch den Menschen
reicht vermutlich bis in die Steinzeit zurück, dazu gibt
es jedoch nur wenige wissenschaftliche Untersuchun-
gen. Relikte dieser historischen Nutzung sind die See-
grasdächer auf der dänischen Insel Læsø1
, von ihnen
sind noch ca. 30 erhalten. Solche Dächer wurden auch
auf Gotland und Island gefunden und waren sicher
noch weiter verbreitet. Die Menschen nutzten das
Material, welches sie vor Ort fanden.
Relativ bekannt ist die Nutzung von Seegras als
Polstermaterial und Matratzenfüllung, der Begriff
„Seegrasmatratze“ hat sogar Einzug in den Duden ge-
funden. Aber auch als Dämmstoff war Seegras weit
Denkmalschutz und Klimaschutz – Wie geht das zusammen?
Swantje Streich und Jörn Hartje
Seegras – ein historischer Dämmstoff
wird wiederentdeckt
Abb. 1
Seegras wird am Ufer geentet
Restaurator im Handwerk | 3-2022 | Energetische Ertüchtigung von Denkmalen 35
verbreitet. So wurden Segelschiffe, Dachböden von
Kirchen und auch ganze Siedlungen damit gedämmt,
beispielsweise in der Stadt Niesky (nahe Bautzen und
Görlitz), wo der moderne Holzbau begründet wurde.
Bis in die 1950er Jahre wurden auch Matten aus
Seegras hergestellt. Dabei wurde das Seegras in Pack-
papier eingesteppt und auf Rollen verkauft. Diese
Matten waren allerdings relativ dünn und dienten vor
allem der Windundurchlässigkeit. Der bekannteste
Hersteller solcher Matten war die Firma Cabot‘s Quilt
in den USA, dort wurden ganze Landstriche und be-
rühmte Gebäude, wie das Rockefeller Center und die
Radio City Music Hall in New York, mit Seegras ge-
dämmt. Es verwundert, was damals schon (928!) in
einer Publikation zu den Matten über Dämmung ge-
schrieben wurde (man würde so einen Text eher aus
den 1980er Jahren erwarten), am Ende kommt dann
auch noch der Hinweis, man hätte schon 30 Jahre
Erfahrung!2
In Deutschland ist die Geschichte der Seegras-
matratzen-Produktion erst vor circa 60 Jahren zu
Ende gegangen, als die Welt von Erdölprodukten
überschwemmt wurde. Allein in Dänemark erreich-
te die Seegrasproduktion zu Hochzeiten 1913 eine
Jahresproduktion von 8 Mio. Tonnen (trockenes See-
gras!) – dreimal mehr als die gesamte Heuernte des-
selben Jahres.
Manchmal findet man in alten Polstermöbeln und
Matratzen noch Seegrasfüllung, z. B. auch in alten
Kutschen, nach Jahrhunderten noch in einer Qualität
wie neu geerntet. Die Materialien drumherum altern,
Seegras nicht.
Hin und wieder erreichen uns Berichte von alten
Häusern und auch ganzen Siedlungen, die mit See-
gras gedämmt waren.
Hier ein Beispiel: Familie Lange saniert ein altes
Bauernhaus ihrer Großeltern auf der Insel Poel.3
Das
Haus ist wahrscheinlich Baujahr 1792. Die Decken
sind teilweise mit Seegras gedämmt. Wie alt die See-
grasdämmung ist, ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall
Abb. 2 Historische Anzeige der Firma Cabot´s Quilt über
Seegras Dämmmatten
Abb. 3 Historische Dämmmatte mit Seegrasdämmung
kann man in vielen alten Häusern noch finden
Abb. 4 Historische Seegras Dämmmatte in
Packpapier eingesteppt ca. 100 Jahre alt
Anzeige
36 Restaurator im Handwerk | 3-2022 | Energetische Ertüchtigung von Denkmalen
sind Seegraszimmerdecken dabei, welche offensicht-
lich erst in den 1940er Jahren gedämmt wurden mit
Zeitungspapier aus diesem Jahrzehnt als Rieselschutz,
aber auch ältere Gebäudeteile bzw. Zimmerdecken,
welche garantiert seit mindestens 1900 unberührt
waren, sind mit Seegras gedämmt. Die alte Seegras-
dämmung wird nun wiederverwendet und soll teil-
weise auch noch durch neues Seegras ergänzt werden.
Man hat offensichtlich immer gerade das genom-
men, was da war. Einige Decken waren nur mit Stroh
gedämmt, und das muss bei der letzten Sanierung
1939 passiert sein. Die ältesten unberührten Decken
im Haus sind eigentlich gar nicht gedämmt. Der Auf-
bau ist von unten nach oben aufgezählt: Lehmputz,
Schilfmatten, Bretter, Spreu (ca. 5 cm), dann Lehm-
wickel bzw. zum Teil auch andere Arten von Brettern
bis hin zu alten Schiffsplanken o. ä., welche in die
Deckenbalken eingeschoben sind, und darauf dann
Lehm bis Oberkante der Deckenbalken.
Moderne Ernte- und Aufbereitungstechnik
In Dänemark wird Seegras von Landwirten geerntet.
Ihre Grundstücke grenzen an die Ostsee. Die Küste
besteht dort aus einem schmalen Kiesstreifen. Regel-
mäßig werden große Massen aus über 90% reinem,
grünem Seegras angeschwemmt. Die Landwirte fah-
ren mit ihren Traktoren an den Ufersaum und nehmen
mit einem Greifer das nasse Seegras auf, dabei wird es
möglichst sortenrein aufgenommen, also ohne Sand,
Müll und älterem Seegras. Aus den bis zu etwa 2 m
hohen Haufen sickert das meiste Meerwasser einen
Tag lang heraus. Danach wird das Seegras mit norma-
len landwirtschaftlichen Geräten auf den angrenzen-
den Wiesen verteilt, wo es je nach Jahreszeit wenige
Tage bis etliche Wochen dauert, bis es nach mehrma-
ligem Wenden trocken ist. Die Seegrasbauern achten
darauf, dass das Seegras ausreichend vom Regen ge-
waschen wird, denn das äußerlich anhaftende Meer-
salz und Plankton sollen abgespült sein, damit der
Dämm- und Polsterstoff später keine Feuchtigkeit aus
der Luft zieht und geruchsneutral ist. Sobald der er-
wünschte Trockenheitsgrad (unter 20%) erreicht ist,
werden circa 150 kg schwere Rundballen gepresst.
Seegras hat eine sehr gute Ökobilanz, es braucht
nicht extra angebaut werden, ein Abfallproduckt wird
wiederverwertet, es wird von Regenwasser gewaschen
und von Sonnenenergie getrocknet, Ernte und Tro-
ckenflächen liegen nah beieinander.
Seegras als Dämmmaterial
Seegras hat einen guten Dämmwert (Wärmeleitfähig-
keit 0,045 W/mK), daher erreicht man mit einer ca. 20
cm dicken Seegrasdämmschicht den KFW 55 Stan-
dard und kann damit die Anforderungen des Gebäu-
de- Energiegesetzes (GEG) einhalten. Wegen seiner
relativ hohen Dichte schützt eine Seegrasdämmung
aber auch vor sommerlicher Hitze. Darüber hinaus
hat Seegras gute Schallschutzwerte, ist aufgrund sei-
nes hohen Silikatgehaltes gegen Insekten resistent
und schwer entflammbar (Feuerschutzklasse B2).
Seegras kann bei Bedarf Feuchtigkeit aufnehmen,
was sehr wichtig für das Raumklima ist.
Solange es wieder austrocknen kann, bleibt die
Dämmwirkung erhalten. Die genannten Eigenschaf-
ten hat Seegras von Natur aus, es müssen nicht – wie
bei vielen anderen (Natur-)Dämmstoffen – Salze oder
andere Chemikalien zugesetzt werden.
Heutzutage ist die Bedeutung eines Materials für
den Klimaschutz von besonderer Brisanz. Neben dem
Einsparen von Heizenergie wird die Betrachtung der
aufgewendeten Energie bei der Herstellung und Ent-
sorgung sowie die Recyclingfähigkeit immer wichti-
ger (graue Energie, Gesamtenergiebilanz). Mittler-
weile stecken bei Neubauten 2/3 der aufgewendeten
Energie in den Baustoffen und „nur“ noch 1/3 in der
Heizenergie während der Nutzungsphase. Da bei
Neubauten kaum noch stärker gedämmt werden kann,
ergibt es Sinn, den Energieaufwand für die Herstel-
lung der Baumaterialien zu reduzieren. Da bieten
Abb. 5
Haus mit histori-
scher Seegrasdäm-
mung auf Poel
Abb. 6
Historische
Seegrasdämmung
in Haus auf Poel
Abb. 7
Die historische
Seegrasdämmung
wird ausgelüftet
und dann
wiederverwendet.
Restaurator im Handwerk | 3-2022 | Energetische Ertüchtigung von Denkmalen 37
nachwachsende Rohstoffe (wie auch Seegras) beson-
dere Vorteile, sie sind in der Herstellung meist wenig
energieaufwendig und binden CO2 dauerhaft im Ge-
bäude. Im Falle von Seegras eben auch über sehr lange
Zeiträume, wie die oben genannten Beispiele zeigen.
Exkurs: Warum Dämmen sinnvoll und notwendig
ist …
Immer wieder gibt es Leute, die behaupten, Däm-
mung würde sich nicht rechnen, dadurch würde
Schimmel entstehen oder historische Gebäude wür-
den keine Dämmung benötigen. In Wirklichkeit ist
das Gegenteil richtig, so gut wie jede Dämmung rech-
net sich nach wenigen Jahren durch die eingesparte
Heizenergie. Schimmel entsteht nur dann, wenn das
Dämmmaterial falsch eingebaut wurde und sich da-
durch Feuchtigkeit in der Dämmung sammeln kann.
Um die Schimmelgefahr auszuschließen, sollte man
diffusionsoffen bauen, dann kann Feuchtigkeit, falls
sie doch einmal auftreten sollte, leicht wieder abge-
führt werden. Seegras bietet hier einen besonderen
Vorteil, weil es sehr feuchtigkeitsresistent ist.
Übrigens wird seit Jahrtausenden gedämmt. Bei
Ausgrabungen wurden historische Wände aus der Ei-
senzeit gefunden, die einen ähnlichen Wandaufbau
aufwiesen wie gedämmte Wände heutzutage: Wind-
dichtung außen und innen und Dämmmaterial in
der Mitte . Besonders bemerkenswert ist, dass solche
Wände bereits einen Dämmwert aufwiesen, wie er im
Baustandard erst wieder 1990 erreicht wurde.4
Seegras als Dämmstoff – Verwendung in
historischen Häusern
bausaniere, weil es sich allen Formen, Ecken und Ni-
schen anpasst, überall lückenlos (selber) mit der Hand
einbringen lässt und sich keiner Norm anpassen muss.
Zusätzlich passt Seegras sehr gut zu anderen in his-
torischen Gebäuden verwendeten Materialien wie
Lehm, Holz, Ziegel.
Seegras wird überall dort als Dämmstoff verwen-
det, wo es nicht in direktem Kontakt mit Wasser und
feuchter Erde steht.
Wir empfehlen einen diffusionsoffenen Wand-
aufbau (bzw. Decken-/Bodenaufbau), weil so die Vor-
züge von Seegras voll ausgeschöpft werden: Es kann
Feuchtigkeit aufnehmen und wieder abgeben. Außer-
dem besteht eine geringere Gefahr der Durchfeuch-
tung der Dämmung, weil sowohl Feuchtigkeit aus der
Raumluft nach außen abgeführt wird als auch even-
tuell von außen eindringende Feuchtigkeit wieder
austrocknet.
Dieser Wandaufbau ist auch aus baubiologi-
scher Sicht sinnvoll, weil ein angenehmes Raumkli-
ma entsteht.
Abb. 8
Verschiedene
Seegras Dämmvari-
anten Dachschräge,
Obere Geschoss-
decke, Außenwand,
Innenwand und
Fassade
Beispiel Landhaus
Landhaus mit Seegras in den Dachschrägen, den Innenwänden
und der oberen Geschossdecke
Landhaus mit Seegras in den Dachschrägen,
die mit Lehm verputzt werden, dieser dient
auch als Dampfbremse
38 Restaurator im Handwerk | 3-2022 | Energetische Ertüchtigung von Denkmalen
Wichtig: Die Dämmung muss immer von innen
und außen winddicht eingebaut werden und der Grad
der Diffusionsoffenheit der verwendeten Materialien
sollte von innen nach außen zunehmen.
Winddicht, damit sich die Wärme in der Däm-
mung hält, ähnlich wie bei einem Wollpullover: Mit
winddichter Jacke darüber wärmt er viel besser.
Obere Geschossdecke
Häufig wird bei der Dämmung die obere Geschossde-
cke vernachlässigt. Sie ist aber sehr sinnvoll und ange-
bracht, wenn der Dachboden nicht genutzt und somit
nicht geheizt wird. Wenn der Raum darunter ge-
heizt wird, steigt die Wärme durch die oft sehr dünne
Decke und heizt den ungedämmten Dachboden un-
nützerweise mit.
Weitere Vorteile bei der Dämmung der oberen
Geschossdecke sind: Die Dämmung lässt sich hier
meist relativ einfach einbringen, es kommt zu kei-
ner Beeinträchtigung der Fassadenansicht, und es gibt
kaum Raumverlust.
Um nun Seegrasdämmung einzubringen, kann
man entweder vorhandene Deckensparren bis zur
Oberkannte mit Seegras auffüllen oder dafür neue
Sparren (z. B. senkrechte Gerüstbohlen) einziehen.
Nach oben hin bleibt die Dämmung einfach offen,
oder sie wird, wenn man den Dachboden später be-
gehen möchte, mit einer diffusionsoffenen Platte oder
mit Dielen belegt. Von OSB-Platten ist hier abzura-
ten, da sie nicht diffusionsoffen sind.
Will man später den Dachboden noch ausbauen,
kann man das Seegras einfach aus der Geschossdecke
wieder herausnehmen und in die Dachschrägen stop-
fen, oder man belässt die Dämmung der oberen Ge-
schossdecke als Trittschalldämmung im Boden.
Vor allem wenn man den Dachboden ausbauen
möchte, ist die Dämmung der Dachschräge als Wär-
medämmung, Schallschutz und auch als sommerli-
cher Wärmeschutz notwendig.
Diese Dämmvariante bietet sich sowohl bei einem
Neubau als auch bei der nachträglichen Dämmung
eines Altbaus an. Bei der nachträglichen Dämmung
deckt man entweder das gesamte Dach neu ein, dann
ist der Aufbau ähnlich wie bei einem Neubau. Oder
man dämmt, wenn man das alte Dach nicht erneuern
will, nachträglich von innen.
Bei den ersten beiden Varianten, also Neubau
oder komplette Dacherneuerung, kann man entweder
zwischen den Sparren dämmen und zusätzlich oder
ausschließlich auf den Sparren (letztere Variante hat
den Vorteil einer durchgängigeren Dämmebene).
Obere Geschoss-
decke mit See-
grasdämmung und
Dielenabdeckung
Seegrasdämmung
des Dachschräge
mit Hinterlüftung
Beispiel Historisches Stadthaus
Historisches Stadthaus: Hier wurden Dachschrägen und Decken
mit Seegras gedämmt Historisches Stadthaus mit Seegras in den Dachschrägen
Restaurator im Handwerk | 3-2022 | Energetische Ertüchtigung von Denkmalen 39
Auch hier erstellt man einen Rahmen aus von
innen nach außen diffusionsoffener werdenden Ma-
terialien und schafft außen eine Hinterlüftungsebene.
Die sogenannte Unterspannbahn wird dabei
außen auf den Dachsparren befestigt, alternativ kann
man auch einseitig gewachste Holzfaserplatten ver-
wenden. Diese sind deutlich stabiler, aber auch um
einiges teurer. Sowohl Unterspannbahn als auch
Holzfaserplatte sind diffusionsoffen und dicht gegen
Wasser von außen. Das ist wichtig, weil Schnee und
Regenwasser durch Spalten zwischen den Dachpfan-
nen durchdringen können.
Reetdächer werden gleichfalls von innen mit See-
gras nachgedämmt.
Das Nachdämmen von innen ist nun etwas kom-
plizierter, denn auch hierbei muss ja eine Hinterlüf-
tungsebene geschaffen werden. Daher bringt man
entweder Stücke diffusionsoffener Plane oder genau
zugeschnittene Holzfaserplatten zwischen den Dach-
sparren an. Nach innen kann man wieder mit einer
verputzten Sparschalung arbeiten oder als Dampf-
bremse geeignete Platten verwenden.
Innendämmung mit Wandheizung
Normalerweise ist es immer besser, Außenwän-
de nachträglich von außen zu dämmen. Bei histori-
schen und denkmalgeschützten Häusern ist das aber
meist nicht möglich und auch nicht erwünscht. Hier
ist dann die Innendämmung eine Alternative. Dabei
muss aber ein kapillar wirksamer Dämmstoff verwen-
det werden (der Feuchtigkeit aufnehmen und nach
außen abführen kann).
Seegras kann dabei in ein innen angebrachtes
Holzständerwerk eingebracht werden. Innen wird
dann wieder eine Dampfbremse angebracht, dazu
kann man eine entsprechende Folie, Lehm- oder
Kalkputz oder als Dampfbremse geeignete Platten-
werkstoffe verwenden.
Besonders zu empfehlen ist dabei die Anbringung
einer Wandheizung, weil diese die Wand zusätzlich
austrocknet, wodurch der Dämmwert steigt.
Innenwände
Die Dämmung der Innenwände dient vor allem dem
Schallschutz und ist bei starkem Temperaturgefäl-
le zwischen zwei Räumen effektiv. Wenn in dem
einen Raum quasi Außentemperatur herrscht, sollte
der gleiche Aufbau wie für eine Außenwand gewählt
werden.
Eine Innenwand kann von beiden Seiten her
gleich aufgebaut sein. Auch hier wird die Dämmung
wieder winddicht eingepackt, das kann durch Putz
oder Platten geschehen.
Natürlich eignet sich Seegras auch für die Au-
ßendämmung sowie für neu errichtete Gebäude. Da
diese Varianten eher in Ausnahmefällen bei denkmal-
geschützten Gebäuden relevant sind, gehen wir darauf
hier nicht ein. Hierzu finden Sie Informationen auf
unserer Homepage (siehe unten).
Das I-Tüpfelchen eines jeden Seegrashauses sind
natürlich noch Seegraskissen oder sogar Seegrasma-
tratzen. Letztere wurden in Wismar noch bis in die
50er Jahre hinein zu Tausenden hergestellt und in alle
Richtungen exportiert. Heute gibt es mehrere Matrat-
zenhersteller, die es sich zur Aufgabe gemacht haben,
moderne Seegrasmatratzen zu entwickeln.
Beispiel Reetdach
Nachdämmung mit Seegras unter Reetdach
Nachdämmung mit Seegras unter Reetdach
40 Restaurator im Handwerk | 3-2022 | Energetische Ertüchtigung von Denkmalen
Ausblick
Seegras hat sich bereits über Jahrhunderte als Dämm-
und Baustoff bewährt. Bei den aktuellen Herausfor-
derungen unserer Zeit (Klimaschutz, Verzicht auf
künstliche Materialien) bietet es ein großes ökologi-
sches Potenzial, um Denkmal-, Bestands- und Neu-
bauten energieeffizient zu ertüchtigen. Abschlie-
ßend sei erwähnt, dass Seegras als ein, wenn nicht
sogar der nachhaltigste ökologische Dämmstoff eine
große Rolle bei energieeffizienten Bauvorhaben spie-
len kann und sollte. Es hat bereits viele Bauherren/-
frauen überzeugt. Seit der Gründung unserer Firma
„Seegrashandel“ 2012 haben wir mehr als 350 Häu-
ser mit Seegras gedämmt. Auch die Rückmeldungen
nach den ersten Erfahrungen mit Seegras waren all-
gemein sehr positiv. In letzter Zeit ist die Nachfrage
nach Seegras stark angestiegen, daher ist es jetzt eine
große Herausforderung, mehr Seegras in guter Qua-
lität zu ernten und aufzubereiten. Noch wird erst ein
Bruchteil von dem Potential, das das Seegras der Ost-
see bietet, ausgeschöpft, es wird hier und dort nur als
störender Ballast gesehen. Daher möchten wir auch
das an der deutschen Ostseeküste angespülte Seegras
nutzen und planen ein Pilotprojekt auf Poel, wo See-
gras aufbereitet wird. Es hat sich dafür schon eine
Projektgruppe gefunden, und es gibt erste positive Si-
gnale aus der Politik zur Unterstützung des Projektes.
Wir wünschen sehr, dass eine neue Kultur der
Seegrasnutzung aufblüht und dass dies in respektvol-
lem Umgang mit der Natur geschieht.
SWANTJE STREICH UND JÖRN HARTJE
kamen durch den Einsatz von Seegrasdämmung bei der
Renovierung ihres hundertjährigen Hauses auf den Bau-
stoff. Aufgrund fehlender Anbieter, haben sie sich 2012
entschlossen, ihre eigene Firma „Seegrashandel“ zu grün-
den. Dabei greifen sie auf das traditionelle Wissen und
das geerntete Seegras dänischer Landwirte zurück. Der
Seegrashandel wurde 2017 mit Nachhaltigkeitspreises der
schleswig-holsteinischen Landesregierung ausgezeichnet
und war dieses Jahr Preisträger beim „Deutschen Award
für Nachhaltigkeitsprojekte“.
Seegrashandel GmbH, Jörn Hartje und Swantje Streich,
Trenthorst 17a, 23847 Westerau
info@seegrashandel.de; www.seegrashandel.de
1
Læsø Museum; tangtag.dk; YouTube: "Det moderne Tanghus“
2
S. https://archive.org/details/BuildWarmHousesWithCabots-
Quilt
3
S. auch: Nordstory "Insel der Einheimischen“ in der NDR-Media-
thek, dort ist das Haus zu sehen.
4
S. Staeves 2011 – Staeves, Irene: „Ein Energiesparhaus vor 3.500
Jahren“ Bildschirmpräsentation, https://www.energiesparak-
tion.de/downloads/Energieberater/Staeves_Aktuelle_Versi-
on_8_9_2011.pdf
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  • 1. Die energetische Ertüchtigung geht auch an Baudenkmalen nicht vorbei. Zur Bewahrung der historischen Substanz bei diesen Maßnahmen sind grundsätzliche Überlegungen zur Bewertung und Berechnung ebenso wichtig wie die sorgfältige Planung und Ausführung in der Praxis. 32022 Restaurator im Handwerk DIE FACHZEITSCHRIFT FÜR RESTAURIERUNGSPRAXIS 14.  JAHRGANG Deutschland 12 € Schwerpunktthema Restaurator im Handwerk • Ausgabe 3-2022 • ISSN 1869-7119 Denkmalschutz und Klimaschutz Wie geht das zusammen? Ernte von Seegras
  • 2. 34 Restaurator im Handwerk | 3-2022 | Energetische Ertüchtigung von Denkmalen Seit einigen Jahren erfährt Seegras als Dämmstoff eine Renaissance. Dabei ist seine Ver- wendung Seegras keine neue Erfindung, sondern hat sich über Jahrhunderte bewährt. Aber was ist Seegras eigentlich? Warum kann man damit dämmen? Wie wird es geerntet? Warum ist es der ideale Dämmstoff für denkmalgeschützte Häuser? Darum geht es in diesem Beitrag. Was ist Seegras? Bei dem Wort denken manche vielleicht spontan an das Gras, das auf Dünen wächst – der Strandhafer. Gemeint ist jedoch ein Gras, das in großen Wiesen am Meeresgrund wächst, und zwar in einer Tiefe von bis zu 10 m. Die Familie der Seegrasgewächse ist auf der ganzen Welt verbreitet. Im Herbst stirbt ein Teil der Blätter der mehrjäh- rigen Pflanzen ab, das bewegte Wasser reißt sie ab, und sie treiben in großen Mengen ans Ufer. Vor allem an der Ostseeküste gehört Seegras zum Strandbild. Genau wie die Bagger, die sich in den frühen Morgen- stunden bemühen, es möglichst gründlich zu beseiti- gen, bevor die Touristen den Strand erobern. Denn wenn es in großen Haufen mit Algen vermischt liegen bleibt, fängt es nach einiger Zeit an, einen intensiven Küstengeruch zu verströmen, und Badende waten na- türlich auch nicht gerne durch Tangschwaden. Allein die Gemeinde Scharbeutz (nördlich von Lübeck) beseitigt jedes Jahr 8.000 Tonnen Seegras, da kann man sich vorstellen, dass die Gesamtmenge an der deutschen Ostseeküste gigantisch ist. Was passiert damit? Seegras gilt als problema- tisch: Es ist schwer verrottbar, nicht brennbar und muss entsorgt werden. Das geschieht zum Teil durch Verstreuen auf Äcker, allerdings wird das durch ver- schärfte Auflagen immer schwieriger. Tradition – Seegras als Rohstoff Seegras als Rohstoff zum Dämmen und Polstern ist gerade wegen der oben genannten Eigenschaften ein im wahrsten Sinne des Wortes wertvolles Material, das unsere Vorfahren zu schätzen wussten. Die historische Nutzung durch den Menschen reicht vermutlich bis in die Steinzeit zurück, dazu gibt es jedoch nur wenige wissenschaftliche Untersuchun- gen. Relikte dieser historischen Nutzung sind die See- grasdächer auf der dänischen Insel Læsø1 , von ihnen sind noch ca. 30 erhalten. Solche Dächer wurden auch auf Gotland und Island gefunden und waren sicher noch weiter verbreitet. Die Menschen nutzten das Material, welches sie vor Ort fanden. Relativ bekannt ist die Nutzung von Seegras als Polstermaterial und Matratzenfüllung, der Begriff „Seegrasmatratze“ hat sogar Einzug in den Duden ge- funden. Aber auch als Dämmstoff war Seegras weit Denkmalschutz und Klimaschutz – Wie geht das zusammen? Swantje Streich und Jörn Hartje Seegras – ein historischer Dämmstoff wird wiederentdeckt Abb. 1 Seegras wird am Ufer geentet
  • 3. Restaurator im Handwerk | 3-2022 | Energetische Ertüchtigung von Denkmalen 35 verbreitet. So wurden Segelschiffe, Dachböden von Kirchen und auch ganze Siedlungen damit gedämmt, beispielsweise in der Stadt Niesky (nahe Bautzen und Görlitz), wo der moderne Holzbau begründet wurde. Bis in die 1950er Jahre wurden auch Matten aus Seegras hergestellt. Dabei wurde das Seegras in Pack- papier eingesteppt und auf Rollen verkauft. Diese Matten waren allerdings relativ dünn und dienten vor allem der Windundurchlässigkeit. Der bekannteste Hersteller solcher Matten war die Firma Cabot‘s Quilt in den USA, dort wurden ganze Landstriche und be- rühmte Gebäude, wie das Rockefeller Center und die Radio City Music Hall in New York, mit Seegras ge- dämmt. Es verwundert, was damals schon (928!) in einer Publikation zu den Matten über Dämmung ge- schrieben wurde (man würde so einen Text eher aus den 1980er Jahren erwarten), am Ende kommt dann auch noch der Hinweis, man hätte schon 30 Jahre Erfahrung!2 In Deutschland ist die Geschichte der Seegras- matratzen-Produktion erst vor circa 60 Jahren zu Ende gegangen, als die Welt von Erdölprodukten überschwemmt wurde. Allein in Dänemark erreich- te die Seegrasproduktion zu Hochzeiten 1913 eine Jahresproduktion von 8 Mio. Tonnen (trockenes See- gras!) – dreimal mehr als die gesamte Heuernte des- selben Jahres. Manchmal findet man in alten Polstermöbeln und Matratzen noch Seegrasfüllung, z. B. auch in alten Kutschen, nach Jahrhunderten noch in einer Qualität wie neu geerntet. Die Materialien drumherum altern, Seegras nicht. Hin und wieder erreichen uns Berichte von alten Häusern und auch ganzen Siedlungen, die mit See- gras gedämmt waren. Hier ein Beispiel: Familie Lange saniert ein altes Bauernhaus ihrer Großeltern auf der Insel Poel.3 Das Haus ist wahrscheinlich Baujahr 1792. Die Decken sind teilweise mit Seegras gedämmt. Wie alt die See- grasdämmung ist, ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall Abb. 2 Historische Anzeige der Firma Cabot´s Quilt über Seegras Dämmmatten Abb. 3 Historische Dämmmatte mit Seegrasdämmung kann man in vielen alten Häusern noch finden Abb. 4 Historische Seegras Dämmmatte in Packpapier eingesteppt ca. 100 Jahre alt Anzeige
  • 4. 36 Restaurator im Handwerk | 3-2022 | Energetische Ertüchtigung von Denkmalen sind Seegraszimmerdecken dabei, welche offensicht- lich erst in den 1940er Jahren gedämmt wurden mit Zeitungspapier aus diesem Jahrzehnt als Rieselschutz, aber auch ältere Gebäudeteile bzw. Zimmerdecken, welche garantiert seit mindestens 1900 unberührt waren, sind mit Seegras gedämmt. Die alte Seegras- dämmung wird nun wiederverwendet und soll teil- weise auch noch durch neues Seegras ergänzt werden. Man hat offensichtlich immer gerade das genom- men, was da war. Einige Decken waren nur mit Stroh gedämmt, und das muss bei der letzten Sanierung 1939 passiert sein. Die ältesten unberührten Decken im Haus sind eigentlich gar nicht gedämmt. Der Auf- bau ist von unten nach oben aufgezählt: Lehmputz, Schilfmatten, Bretter, Spreu (ca. 5 cm), dann Lehm- wickel bzw. zum Teil auch andere Arten von Brettern bis hin zu alten Schiffsplanken o. ä., welche in die Deckenbalken eingeschoben sind, und darauf dann Lehm bis Oberkante der Deckenbalken. Moderne Ernte- und Aufbereitungstechnik In Dänemark wird Seegras von Landwirten geerntet. Ihre Grundstücke grenzen an die Ostsee. Die Küste besteht dort aus einem schmalen Kiesstreifen. Regel- mäßig werden große Massen aus über 90% reinem, grünem Seegras angeschwemmt. Die Landwirte fah- ren mit ihren Traktoren an den Ufersaum und nehmen mit einem Greifer das nasse Seegras auf, dabei wird es möglichst sortenrein aufgenommen, also ohne Sand, Müll und älterem Seegras. Aus den bis zu etwa 2 m hohen Haufen sickert das meiste Meerwasser einen Tag lang heraus. Danach wird das Seegras mit norma- len landwirtschaftlichen Geräten auf den angrenzen- den Wiesen verteilt, wo es je nach Jahreszeit wenige Tage bis etliche Wochen dauert, bis es nach mehrma- ligem Wenden trocken ist. Die Seegrasbauern achten darauf, dass das Seegras ausreichend vom Regen ge- waschen wird, denn das äußerlich anhaftende Meer- salz und Plankton sollen abgespült sein, damit der Dämm- und Polsterstoff später keine Feuchtigkeit aus der Luft zieht und geruchsneutral ist. Sobald der er- wünschte Trockenheitsgrad (unter 20%) erreicht ist, werden circa 150 kg schwere Rundballen gepresst. Seegras hat eine sehr gute Ökobilanz, es braucht nicht extra angebaut werden, ein Abfallproduckt wird wiederverwertet, es wird von Regenwasser gewaschen und von Sonnenenergie getrocknet, Ernte und Tro- ckenflächen liegen nah beieinander. Seegras als Dämmmaterial Seegras hat einen guten Dämmwert (Wärmeleitfähig- keit 0,045 W/mK), daher erreicht man mit einer ca. 20 cm dicken Seegrasdämmschicht den KFW 55 Stan- dard und kann damit die Anforderungen des Gebäu- de- Energiegesetzes (GEG) einhalten. Wegen seiner relativ hohen Dichte schützt eine Seegrasdämmung aber auch vor sommerlicher Hitze. Darüber hinaus hat Seegras gute Schallschutzwerte, ist aufgrund sei- nes hohen Silikatgehaltes gegen Insekten resistent und schwer entflammbar (Feuerschutzklasse B2). Seegras kann bei Bedarf Feuchtigkeit aufnehmen, was sehr wichtig für das Raumklima ist. Solange es wieder austrocknen kann, bleibt die Dämmwirkung erhalten. Die genannten Eigenschaf- ten hat Seegras von Natur aus, es müssen nicht – wie bei vielen anderen (Natur-)Dämmstoffen – Salze oder andere Chemikalien zugesetzt werden. Heutzutage ist die Bedeutung eines Materials für den Klimaschutz von besonderer Brisanz. Neben dem Einsparen von Heizenergie wird die Betrachtung der aufgewendeten Energie bei der Herstellung und Ent- sorgung sowie die Recyclingfähigkeit immer wichti- ger (graue Energie, Gesamtenergiebilanz). Mittler- weile stecken bei Neubauten 2/3 der aufgewendeten Energie in den Baustoffen und „nur“ noch 1/3 in der Heizenergie während der Nutzungsphase. Da bei Neubauten kaum noch stärker gedämmt werden kann, ergibt es Sinn, den Energieaufwand für die Herstel- lung der Baumaterialien zu reduzieren. Da bieten Abb. 5 Haus mit histori- scher Seegrasdäm- mung auf Poel Abb. 6 Historische Seegrasdämmung in Haus auf Poel Abb. 7 Die historische Seegrasdämmung wird ausgelüftet und dann wiederverwendet.
  • 5. Restaurator im Handwerk | 3-2022 | Energetische Ertüchtigung von Denkmalen 37 nachwachsende Rohstoffe (wie auch Seegras) beson- dere Vorteile, sie sind in der Herstellung meist wenig energieaufwendig und binden CO2 dauerhaft im Ge- bäude. Im Falle von Seegras eben auch über sehr lange Zeiträume, wie die oben genannten Beispiele zeigen. Exkurs: Warum Dämmen sinnvoll und notwendig ist … Immer wieder gibt es Leute, die behaupten, Däm- mung würde sich nicht rechnen, dadurch würde Schimmel entstehen oder historische Gebäude wür- den keine Dämmung benötigen. In Wirklichkeit ist das Gegenteil richtig, so gut wie jede Dämmung rech- net sich nach wenigen Jahren durch die eingesparte Heizenergie. Schimmel entsteht nur dann, wenn das Dämmmaterial falsch eingebaut wurde und sich da- durch Feuchtigkeit in der Dämmung sammeln kann. Um die Schimmelgefahr auszuschließen, sollte man diffusionsoffen bauen, dann kann Feuchtigkeit, falls sie doch einmal auftreten sollte, leicht wieder abge- führt werden. Seegras bietet hier einen besonderen Vorteil, weil es sehr feuchtigkeitsresistent ist. Übrigens wird seit Jahrtausenden gedämmt. Bei Ausgrabungen wurden historische Wände aus der Ei- senzeit gefunden, die einen ähnlichen Wandaufbau aufwiesen wie gedämmte Wände heutzutage: Wind- dichtung außen und innen und Dämmmaterial in der Mitte . Besonders bemerkenswert ist, dass solche Wände bereits einen Dämmwert aufwiesen, wie er im Baustandard erst wieder 1990 erreicht wurde.4 Seegras als Dämmstoff – Verwendung in historischen Häusern bausaniere, weil es sich allen Formen, Ecken und Ni- schen anpasst, überall lückenlos (selber) mit der Hand einbringen lässt und sich keiner Norm anpassen muss. Zusätzlich passt Seegras sehr gut zu anderen in his- torischen Gebäuden verwendeten Materialien wie Lehm, Holz, Ziegel. Seegras wird überall dort als Dämmstoff verwen- det, wo es nicht in direktem Kontakt mit Wasser und feuchter Erde steht. Wir empfehlen einen diffusionsoffenen Wand- aufbau (bzw. Decken-/Bodenaufbau), weil so die Vor- züge von Seegras voll ausgeschöpft werden: Es kann Feuchtigkeit aufnehmen und wieder abgeben. Außer- dem besteht eine geringere Gefahr der Durchfeuch- tung der Dämmung, weil sowohl Feuchtigkeit aus der Raumluft nach außen abgeführt wird als auch even- tuell von außen eindringende Feuchtigkeit wieder austrocknet. Dieser Wandaufbau ist auch aus baubiologi- scher Sicht sinnvoll, weil ein angenehmes Raumkli- ma entsteht. Abb. 8 Verschiedene Seegras Dämmvari- anten Dachschräge, Obere Geschoss- decke, Außenwand, Innenwand und Fassade Beispiel Landhaus Landhaus mit Seegras in den Dachschrägen, den Innenwänden und der oberen Geschossdecke Landhaus mit Seegras in den Dachschrägen, die mit Lehm verputzt werden, dieser dient auch als Dampfbremse
  • 6. 38 Restaurator im Handwerk | 3-2022 | Energetische Ertüchtigung von Denkmalen Wichtig: Die Dämmung muss immer von innen und außen winddicht eingebaut werden und der Grad der Diffusionsoffenheit der verwendeten Materialien sollte von innen nach außen zunehmen. Winddicht, damit sich die Wärme in der Däm- mung hält, ähnlich wie bei einem Wollpullover: Mit winddichter Jacke darüber wärmt er viel besser. Obere Geschossdecke Häufig wird bei der Dämmung die obere Geschossde- cke vernachlässigt. Sie ist aber sehr sinnvoll und ange- bracht, wenn der Dachboden nicht genutzt und somit nicht geheizt wird. Wenn der Raum darunter ge- heizt wird, steigt die Wärme durch die oft sehr dünne Decke und heizt den ungedämmten Dachboden un- nützerweise mit. Weitere Vorteile bei der Dämmung der oberen Geschossdecke sind: Die Dämmung lässt sich hier meist relativ einfach einbringen, es kommt zu kei- ner Beeinträchtigung der Fassadenansicht, und es gibt kaum Raumverlust. Um nun Seegrasdämmung einzubringen, kann man entweder vorhandene Deckensparren bis zur Oberkannte mit Seegras auffüllen oder dafür neue Sparren (z. B. senkrechte Gerüstbohlen) einziehen. Nach oben hin bleibt die Dämmung einfach offen, oder sie wird, wenn man den Dachboden später be- gehen möchte, mit einer diffusionsoffenen Platte oder mit Dielen belegt. Von OSB-Platten ist hier abzura- ten, da sie nicht diffusionsoffen sind. Will man später den Dachboden noch ausbauen, kann man das Seegras einfach aus der Geschossdecke wieder herausnehmen und in die Dachschrägen stop- fen, oder man belässt die Dämmung der oberen Ge- schossdecke als Trittschalldämmung im Boden. Vor allem wenn man den Dachboden ausbauen möchte, ist die Dämmung der Dachschräge als Wär- medämmung, Schallschutz und auch als sommerli- cher Wärmeschutz notwendig. Diese Dämmvariante bietet sich sowohl bei einem Neubau als auch bei der nachträglichen Dämmung eines Altbaus an. Bei der nachträglichen Dämmung deckt man entweder das gesamte Dach neu ein, dann ist der Aufbau ähnlich wie bei einem Neubau. Oder man dämmt, wenn man das alte Dach nicht erneuern will, nachträglich von innen. Bei den ersten beiden Varianten, also Neubau oder komplette Dacherneuerung, kann man entweder zwischen den Sparren dämmen und zusätzlich oder ausschließlich auf den Sparren (letztere Variante hat den Vorteil einer durchgängigeren Dämmebene). Obere Geschoss- decke mit See- grasdämmung und Dielenabdeckung Seegrasdämmung des Dachschräge mit Hinterlüftung Beispiel Historisches Stadthaus Historisches Stadthaus: Hier wurden Dachschrägen und Decken mit Seegras gedämmt Historisches Stadthaus mit Seegras in den Dachschrägen
  • 7. Restaurator im Handwerk | 3-2022 | Energetische Ertüchtigung von Denkmalen 39 Auch hier erstellt man einen Rahmen aus von innen nach außen diffusionsoffener werdenden Ma- terialien und schafft außen eine Hinterlüftungsebene. Die sogenannte Unterspannbahn wird dabei außen auf den Dachsparren befestigt, alternativ kann man auch einseitig gewachste Holzfaserplatten ver- wenden. Diese sind deutlich stabiler, aber auch um einiges teurer. Sowohl Unterspannbahn als auch Holzfaserplatte sind diffusionsoffen und dicht gegen Wasser von außen. Das ist wichtig, weil Schnee und Regenwasser durch Spalten zwischen den Dachpfan- nen durchdringen können. Reetdächer werden gleichfalls von innen mit See- gras nachgedämmt. Das Nachdämmen von innen ist nun etwas kom- plizierter, denn auch hierbei muss ja eine Hinterlüf- tungsebene geschaffen werden. Daher bringt man entweder Stücke diffusionsoffener Plane oder genau zugeschnittene Holzfaserplatten zwischen den Dach- sparren an. Nach innen kann man wieder mit einer verputzten Sparschalung arbeiten oder als Dampf- bremse geeignete Platten verwenden. Innendämmung mit Wandheizung Normalerweise ist es immer besser, Außenwän- de nachträglich von außen zu dämmen. Bei histori- schen und denkmalgeschützten Häusern ist das aber meist nicht möglich und auch nicht erwünscht. Hier ist dann die Innendämmung eine Alternative. Dabei muss aber ein kapillar wirksamer Dämmstoff verwen- det werden (der Feuchtigkeit aufnehmen und nach außen abführen kann). Seegras kann dabei in ein innen angebrachtes Holzständerwerk eingebracht werden. Innen wird dann wieder eine Dampfbremse angebracht, dazu kann man eine entsprechende Folie, Lehm- oder Kalkputz oder als Dampfbremse geeignete Platten- werkstoffe verwenden. Besonders zu empfehlen ist dabei die Anbringung einer Wandheizung, weil diese die Wand zusätzlich austrocknet, wodurch der Dämmwert steigt. Innenwände Die Dämmung der Innenwände dient vor allem dem Schallschutz und ist bei starkem Temperaturgefäl- le zwischen zwei Räumen effektiv. Wenn in dem einen Raum quasi Außentemperatur herrscht, sollte der gleiche Aufbau wie für eine Außenwand gewählt werden. Eine Innenwand kann von beiden Seiten her gleich aufgebaut sein. Auch hier wird die Dämmung wieder winddicht eingepackt, das kann durch Putz oder Platten geschehen. Natürlich eignet sich Seegras auch für die Au- ßendämmung sowie für neu errichtete Gebäude. Da diese Varianten eher in Ausnahmefällen bei denkmal- geschützten Gebäuden relevant sind, gehen wir darauf hier nicht ein. Hierzu finden Sie Informationen auf unserer Homepage (siehe unten). Das I-Tüpfelchen eines jeden Seegrashauses sind natürlich noch Seegraskissen oder sogar Seegrasma- tratzen. Letztere wurden in Wismar noch bis in die 50er Jahre hinein zu Tausenden hergestellt und in alle Richtungen exportiert. Heute gibt es mehrere Matrat- zenhersteller, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, moderne Seegrasmatratzen zu entwickeln. Beispiel Reetdach Nachdämmung mit Seegras unter Reetdach Nachdämmung mit Seegras unter Reetdach
  • 8. 40 Restaurator im Handwerk | 3-2022 | Energetische Ertüchtigung von Denkmalen Ausblick Seegras hat sich bereits über Jahrhunderte als Dämm- und Baustoff bewährt. Bei den aktuellen Herausfor- derungen unserer Zeit (Klimaschutz, Verzicht auf künstliche Materialien) bietet es ein großes ökologi- sches Potenzial, um Denkmal-, Bestands- und Neu- bauten energieeffizient zu ertüchtigen. Abschlie- ßend sei erwähnt, dass Seegras als ein, wenn nicht sogar der nachhaltigste ökologische Dämmstoff eine große Rolle bei energieeffizienten Bauvorhaben spie- len kann und sollte. Es hat bereits viele Bauherren/- frauen überzeugt. Seit der Gründung unserer Firma „Seegrashandel“ 2012 haben wir mehr als 350 Häu- ser mit Seegras gedämmt. Auch die Rückmeldungen nach den ersten Erfahrungen mit Seegras waren all- gemein sehr positiv. In letzter Zeit ist die Nachfrage nach Seegras stark angestiegen, daher ist es jetzt eine große Herausforderung, mehr Seegras in guter Qua- lität zu ernten und aufzubereiten. Noch wird erst ein Bruchteil von dem Potential, das das Seegras der Ost- see bietet, ausgeschöpft, es wird hier und dort nur als störender Ballast gesehen. Daher möchten wir auch das an der deutschen Ostseeküste angespülte Seegras nutzen und planen ein Pilotprojekt auf Poel, wo See- gras aufbereitet wird. Es hat sich dafür schon eine Projektgruppe gefunden, und es gibt erste positive Si- gnale aus der Politik zur Unterstützung des Projektes. Wir wünschen sehr, dass eine neue Kultur der Seegrasnutzung aufblüht und dass dies in respektvol- lem Umgang mit der Natur geschieht. SWANTJE STREICH UND JÖRN HARTJE kamen durch den Einsatz von Seegrasdämmung bei der Renovierung ihres hundertjährigen Hauses auf den Bau- stoff. Aufgrund fehlender Anbieter, haben sie sich 2012 entschlossen, ihre eigene Firma „Seegrashandel“ zu grün- den. Dabei greifen sie auf das traditionelle Wissen und das geerntete Seegras dänischer Landwirte zurück. Der Seegrashandel wurde 2017 mit Nachhaltigkeitspreises der schleswig-holsteinischen Landesregierung ausgezeichnet und war dieses Jahr Preisträger beim „Deutschen Award für Nachhaltigkeitsprojekte“. Seegrashandel GmbH, Jörn Hartje und Swantje Streich, Trenthorst 17a, 23847 Westerau info@seegrashandel.de; www.seegrashandel.de 1 Læsø Museum; tangtag.dk; YouTube: "Det moderne Tanghus“ 2 S. https://archive.org/details/BuildWarmHousesWithCabots- Quilt 3 S. auch: Nordstory "Insel der Einheimischen“ in der NDR-Media- thek, dort ist das Haus zu sehen. 4 S. Staeves 2011 – Staeves, Irene: „Ein Energiesparhaus vor 3.500 Jahren“ Bildschirmpräsentation, https://www.energiesparak- tion.de/downloads/Energieberater/Staeves_Aktuelle_Versi- on_8_9_2011.pdf Anzeige