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Internet-Implementierungsprojekte: Manchmal ist eine Kulturrevolution nötig

Die rein technischen Aufgaben markieren nur die Spitze des Eisbergs – die eigentliche
Herausforderung sind die daraus resultierenden Veränderungen

von Hauke Thun, PM Firefighters

Projekte, welche die Einführung neuer IT-Infrastrukturen oder neuer digitaler Produkte zum
Ziel haben, stehen heute auch in Unternehmen auf der Tagesordnung, die nicht originär aus
der Internet-Wirtschaft stammen. Gerade die Unternehmen der Offline-Wirtschaft sehen in
der aktuellen Expansionsphase die Chance, mit ehrgeizigen Vorhaben ihren Anteil vom
Internet-Kuchen zu erobern und neue Absatzpotenziale zu erschließen. Aber natürlich sind
auch die Unternehmen der digitalen Wirtschaft aufgrund des Innovationsdrucks laufend mit
Implementierungsprojekten befasst.

Charakteristisch für viele aktuell anstehende Projekte ist ihre weitreichende Dimension:
Während Internet-Projekte in der Vergangenheit meist isolierte, an die bestehenden
Betriebsstrukturen angeflanschte Lösungen darstellten, nehmen sie heute eine strategische
Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens ein. Sie wirken sich daher auf fast
alle zentralen Bereiche des Betriebs aus und greifen zum Beispiel tief in die Logistik- und
Vertriebsprozesse ein. Zudem üben bei Projekten dieser Art in der Regel viele
unterschiedliche Stakeholder Einfluss aus. Charaktere aus den verschiedensten Abteilungen
und Arbeitskulturen treffen dabei aufeinander. Auf diese Weise entstehen gewaltige
Herausforderungen für alle, die mit der Einführung neuer Plattformen und Systeme befasst
sind – von der Geschäftsführung, über das Projektmanagement bis zu den eingebundenen
Mitarbeitern. Herausforderungen, deren Ausmaß allzu oft unterbewertet wird.

Häufig wird nämlich vor allem von den Geschäftsführungen unterschätzt, in welcher
Dimension neue strategische Ziele mit erheblichen Veränderungen in der Ablauf- und
Aufbauorganisation einhergehen. Das Management muss unter Umständen ganze Teams
und Unternehmenseinheiten in neue Strukturen überführen und sie entsprechend
qualifizieren. Eine Führungsaufgabe, die es auch erforderlich macht, einen neuen Spirit, eine
neue Unternehmenskultur in den Abteilungen zu verankern. Grob geschätzt macht die
technische Arbeit an den Plattformen und Systemen heute noch höchstens 50 Prozent des
Gesamtprojektaufwandes aus, während in die daraus folgende Neustrukturierung, Prozess-
Anpassung, Schulungen und Informationsmaßnahmen noch einmal mindestens ebenso viel
investiert werden muss.

Vor diesem Hintergrund sind Unternehmen meist schlecht beraten, wenn sie zum Beispiel
von dem Anbieter ihres neuen Content Management Systems (CMS) auch gleich das
Projektmanagement für die Implementierung erwarten. Die mit der Einführung von neuen
Systemen verbundenen Veränderungen müssen immer von innen her angelegt sein. Mehr
noch: Sie sind Chefsache. Dem Anbieter der CMS-Lösung hingegen fehlt dafür die nötige
Weitsicht innerhalb der Organisation. Zudem liegt es nicht in seinem Aufgabenbereich, sich
mit diesen Themen auseinanderzusetzen.

Empfehlenswert ist es, ein Projektmanagement-Office aufzubauen, das direkt an den
Lenkungsausschuss beziehungsweise die Geschäftsführung angedockt ist und keinesfalls
an einen Fachbereich gekoppelt werden sollte. Genauso essentiell ist es, die Interessen der
Nutzer und der Projekt-Sponsoren sowie der Stakeholder genau zu kennen, um sie ohne

PM FIREFIGHTERS Project Management GmbH l Gänsemarkt 44 l 20354 Hamburg l E-Mail: kontakt@pmff.eu
Reibungsverlust umsetzen zu können. Sonst sind spätere Konflikte – etwa zwischen den
Mitarbeitern des Technikbereichs und denjenigen, die mit Inhalten befasst sind -
vorprogrammiert.

Entscheidend für Verlauf und Ergebnis des Projekts sind intensive Gespräche mit sämtlichen
Stakeholdern in den ersten Wochen. Hier geht es darum, verschiedene Interessenlagen,
Motivationen und Konflikte zu erkennen und zu bewerten. In diesem Rahmen wird deutlich,
welches Ausmaß die aus dem Projekt resultierende Veränderung einnimmt, wie sie
methodisch anzulegen ist und wer involviert sein wird.

In dieser frühen Phase des Projekts werden darüber hinaus Rollen, Zuständigkeiten und
Spielregeln der Projektarbeit im Unternehmen definiert. Diese Festlegungen können sich im
weiteren Verlauf zur Blaupause für die zukünftige Organisation entwickeln. Die Dynamik des
Projekts stößt Türen auf, schafft neue Freiräume und trägt dazu bei, ein neues Denken
einzuüben. Um das zu erreichen, bedarf es eines regelrechten „Projektmarketings“, das vom
Projektbüro im Unternehmen betrieben wird. Dazu können beispielsweise Projekt-
Newsletter, ein eigenes Logo, interne Präsentationen, eine Roadshow (bei Bedarf auch in
Dependancen im Ausland) sowie zentrale Zugriffsmöglichkeiten auf Informationen (zum
Beispiel über Sharepoint oder Projektwiki) gehören.

Derart weitreichende Veränderungen sind mit Ängsten bei den Beteiligten verbunden. „Wenn
das alles fertig ist – wo bleibe ich da?“ Dieser berechtigten Frage ist nur mit Transparenz und
Vertrauen zu begegnen. Die Mitarbeiter müssen von Anfang an mit in den
Veränderungsprozess einbezogen werden. Einbeziehen heißt hier nicht nur: regelmäßig
informieren. Vielmehr muss sich das Unternehmen die persönlichen Erfahrungswerte seiner
Arbeitskräfte vor Ort so nutzbar machen, dass ihre Fachkompetenz, selbstständiges Denken
und Eigenverantwortung wesentlicher Bestandteil der Projektergebnisse werden.

Keine ganz leichte Aufgabe. Denn die Einbindung darf nicht zu einem Wünsch-Dir-Was-
Konzert ohne Ende ausufern. Die Erwartungen der Arbeitskräfte müssen rigide gemanagt
werden. Deshalb ist es wichtig, dass das Projektmanagement vorab mit dem Auftraggeber
und der der Geschäftsführung beziehungsweise dem Lenkungsausschuss die Spielregeln
und die Rollen definiert, die den Mitarbeitern im Projekt zukommen soll. Das setzt beim
Management eine ordentliche Portion Fingerspitzengefühl für die notwendigen langfristigen
Veränderungen voraus.

Hamburg, 27. September 2010

Der Autor
                       Hauke Thun ist Gründer und Inhaber von PM Firefighters (www.pm-firefighters.eu).
                       Vor der Gründung seines Unternehmens im Jahr 2003 war der Dipl.-Ing. der
                       Technischen Informatik 18 Jahre in unterschiedlichen Funktionen in den Bereichen
                       Software-Entwicklung, Projektmanagement und Unternehmensführung tätig. Zu seinen
                       Stationen gehören die IDM Inc., G+J EMS GmbH, HTC Babelsberg GmbH, e-dict
                       GmbH (Geschäftsführer), 7d AG (Vorstand), divine GmbH (Director Quality
                       Management). Thun verfügt über Zertifizierungen nach GPM / IPMA Level D und PMI /
                       PMP. Er engagiert sich außerdem international, so etwa als Assessor für den
                       International Project Excellence Award (IPMA).




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  • 2. Reibungsverlust umsetzen zu können. Sonst sind spätere Konflikte – etwa zwischen den Mitarbeitern des Technikbereichs und denjenigen, die mit Inhalten befasst sind - vorprogrammiert. Entscheidend für Verlauf und Ergebnis des Projekts sind intensive Gespräche mit sämtlichen Stakeholdern in den ersten Wochen. Hier geht es darum, verschiedene Interessenlagen, Motivationen und Konflikte zu erkennen und zu bewerten. In diesem Rahmen wird deutlich, welches Ausmaß die aus dem Projekt resultierende Veränderung einnimmt, wie sie methodisch anzulegen ist und wer involviert sein wird. In dieser frühen Phase des Projekts werden darüber hinaus Rollen, Zuständigkeiten und Spielregeln der Projektarbeit im Unternehmen definiert. Diese Festlegungen können sich im weiteren Verlauf zur Blaupause für die zukünftige Organisation entwickeln. Die Dynamik des Projekts stößt Türen auf, schafft neue Freiräume und trägt dazu bei, ein neues Denken einzuüben. Um das zu erreichen, bedarf es eines regelrechten „Projektmarketings“, das vom Projektbüro im Unternehmen betrieben wird. Dazu können beispielsweise Projekt- Newsletter, ein eigenes Logo, interne Präsentationen, eine Roadshow (bei Bedarf auch in Dependancen im Ausland) sowie zentrale Zugriffsmöglichkeiten auf Informationen (zum Beispiel über Sharepoint oder Projektwiki) gehören. Derart weitreichende Veränderungen sind mit Ängsten bei den Beteiligten verbunden. „Wenn das alles fertig ist – wo bleibe ich da?“ Dieser berechtigten Frage ist nur mit Transparenz und Vertrauen zu begegnen. Die Mitarbeiter müssen von Anfang an mit in den Veränderungsprozess einbezogen werden. Einbeziehen heißt hier nicht nur: regelmäßig informieren. Vielmehr muss sich das Unternehmen die persönlichen Erfahrungswerte seiner Arbeitskräfte vor Ort so nutzbar machen, dass ihre Fachkompetenz, selbstständiges Denken und Eigenverantwortung wesentlicher Bestandteil der Projektergebnisse werden. Keine ganz leichte Aufgabe. Denn die Einbindung darf nicht zu einem Wünsch-Dir-Was- Konzert ohne Ende ausufern. Die Erwartungen der Arbeitskräfte müssen rigide gemanagt werden. Deshalb ist es wichtig, dass das Projektmanagement vorab mit dem Auftraggeber und der der Geschäftsführung beziehungsweise dem Lenkungsausschuss die Spielregeln und die Rollen definiert, die den Mitarbeitern im Projekt zukommen soll. Das setzt beim Management eine ordentliche Portion Fingerspitzengefühl für die notwendigen langfristigen Veränderungen voraus. Hamburg, 27. September 2010 Der Autor Hauke Thun ist Gründer und Inhaber von PM Firefighters (www.pm-firefighters.eu). Vor der Gründung seines Unternehmens im Jahr 2003 war der Dipl.-Ing. der Technischen Informatik 18 Jahre in unterschiedlichen Funktionen in den Bereichen Software-Entwicklung, Projektmanagement und Unternehmensführung tätig. Zu seinen Stationen gehören die IDM Inc., G+J EMS GmbH, HTC Babelsberg GmbH, e-dict GmbH (Geschäftsführer), 7d AG (Vorstand), divine GmbH (Director Quality Management). Thun verfügt über Zertifizierungen nach GPM / IPMA Level D und PMI / PMP. Er engagiert sich außerdem international, so etwa als Assessor für den International Project Excellence Award (IPMA). PM FIREFIGHTERS Project Management GmbH l Gänsemarkt 44 l 20354 Hamburg l E-Mail: kontakt@pmff.eu