Dr. Achim Gmilkowsky: Vertragsgestaltung für Fotografen, Teil 1
Inga Seidler: Creative Cities – Chancen und Risiken kulturbasierter Entwicklungsstrategien
1. B 2.6
Creative Cities – Chancen und Risiken
kulturbasierter Entwicklungsstrategien
Inga Seidler
Am Übergang zur Wissensgesellschaft gilt menschliche Kreativität als Schlüssel zu Prosperität und
Zukunftsfähigkeit und die „Creative Industries“ werden zum Hoffnungsträger des ökonomischen
Aufschwungs. Als Reaktion versuchen städtische Regierungen weltweit, Anreize und Infrastruktu-
ren zur Ansiedelung kreativer Leistungsträger zu schaffen. Begleitet von Maßnahmen einer Kultur-
und Stadtentwicklungspolitik, die sich auf kulturelle Großprojekte konzentriert, wird städtische
Kultur zunehmend auf einen Standortfaktor reduziert und immer stärker instrumentalisiert.
Gliederung Seite
1. Das Versprechen der Kreativität 2
2. Konzeptioneller Rahmen kultureller Entwicklungsstrategien 3
2.1 Creative Industries/Kultur- und Kreativwirtschaft 3
2.2 Creative Class 4
2.3 Creative City 6
3. Kulturelle Strategien auf dem Weg zur „Creative City“ 8
3.1 Stadtmarketing und kulturelle Großprojekte als Strategie 9
3.2 Strategie „Kreativwirtschaft fördern – Stadt entwickeln“ 11
4. Bewertung kultureller Stadtentwicklungsstrategien 13
4.1 Probleme kulturbasierter Stadtentwicklungsstrategien 13
4.2 Möglichkeiten kulturbasierter Entwicklungsstrategien 16
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2. B 2.6 Kultur und Politik
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
1. Das Versprechen der Kreativität
Hoffnungsträger Im „Jahr der Kreativität und Innovation“ hat sich die Europäische
Kreativwirtschaft Union die „Förderung der Kreativität für alle“ zum Ziel gesetzt. Mit
dem Ende des Industriezeitalters gilt die menschliche Kreativität als
Schlüssel zu Zukunftsfähigkeit und Prosperität einer Gesellschaft. Als
Zentren von Innovation und Produktivität erleben die Großstädte
weltweit eine Renaissance. Und überall beschwören Stadtplaner, Wirt-
schaftswissenschaftler und Politiker die „Creative Industries“ als
Hoffnungsfeld für ökonomischen Aufschwung und stadträumliche
Aufwertung.
Die Anforderung an städtische Regierung, Planer und Entwickler lau-
tet heute, die Kreativität in der Stadt zu fördern und kreative, hoch
spezialisierte Menschen anzuziehen, um innovations- und wettbe-
werbsfähig zu bleiben. So haben in den vergangenen Jahren Städte
und Metropolregionen weltweit auf leitbildartige Entwicklungsmodel-
le einer kreativen sowie wissensbasierten Stadtentwicklung gesetzt.
Kultur und Kreativität Dieser Trend lässt sich zum einen auf die Entdeckung der „Creative
Industries“ als zukunftsträchtiges Wirtschaftsfeld zurückführen, das
durch die Schaffung und Verwertung geistigen Eigentums Wohlstand
und Arbeit gewährleisten soll. Zum anderen ist die zunehmende Be-
achtung von Kreativität als personengebundene Zukunftsressource
und von Kultur als Faktor in der Stadtentwicklung dem Stichwortge-
ber Richard Florida zuzuschreiben. Im Fahrwasser seines Bestsellers
„The Rise of the Creative Class“, in dem der Regionalökonom die
These aufstellt, die positive Entwicklung von Städten und Regionen
sei auf ihre Ansammlung kreativer Menschen zurückzuführen, ist die
Anziehung kreativer Menschen weltweit zum Bestandteil zahlreicher
Stadtentwicklungskonzepte geworden. Gleichzeitig haben die für die
Stadtplanung traditionellen Instrumente der Standortentwicklung –
wie z. B. Infrastrukturausbau, Verkehrsanschlüsse etc. – im Zuge der
Transformationsprozesse auf dem Weg in die Wissensgesellschaft an
Bedeutung verloren. Standorte mit kulturellen Möglichkeiten haben
durch ihre große Anziehungskraft auf kreative Menschen an Einfluss
gewonnen.1
Weiche Faktoren wie das städtische Kulturleben bilden damit heute
den entscheidenden Wettbewerbsvorteil und ein differenzierendes
Merkmal in der globalen Städtekonkurrenz um kreatives „Humanka-
pital“.
Soziale und integrative Die Auseinandersetzung mit kulturbasierten Entwicklungsmaßnahmen
Aspekte von Kultur berührt die elementare Frage nach den Wirkungsweisen von Kultur
nutzen und kulturellen Aktivitäten. Für den erfolgreichen Einsatz kultureller
Maßnahmen in der Stadtentwicklung bedarf es einer Besinnung auf
die sozialen und integrativen Aspekte von Kultur. In diesem Sinne
sollten kulturbasierte Entwicklungsstrategien und kulturpolitische
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3. Kultur und Politik B 2.6
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
Maßnahmen aktivierend eingesetzt werden, die auf die endogenen
(Kreativ-)Potentiale, auf Vielfalt und Teilhabe sowie auf soziale Ver-
antwortung abzielen und sich in einem behutsamen, kleinteiligen
Stadtumbau materialisieren.
Mit einem sensiblen Einsatz kulturbasierter Methoden kann sich eine
Stadt zur „Kreativen Stadt“ entwickeln, die mit Leuchtturmprojekten
internationale Ausstrahlung erreicht, darüber hinaus ihre Kreativen
fördert und den Bürgern die Möglichkeit bietet, sich kreativ am städti-
schen Kulturleben zu beteiligen. Erst indem die Stadtregierung freien
Zugang und aktive Teilhabe an Kunst und Kultur ermöglicht, kann sie
im Sinne einer „Kreativität für alle“ das kreative Potential der Bewoh-
ner für eine ganzheitliche und nachhaltige Entwicklung aktivieren.
2. Konzeptioneller Rahmen kultureller
Entwicklungsstrategien
In den letzten Jahren ist im globalen Städtewettbewerb ein Trend zur
öffentlichkeitswirksamen Positionierung als „Kreative Stadt“ zu beo-
bachten, v. a. gekoppelt an die drei Konzepte „Creative Industries“
bzw. städtische Kultur- und Kreativwirtschaft, „Creative Class“2 und
„Creative City“.3
Die dahinter stehenden Konzepte sind zwar eher vage definiert, zeich- Drei zentrale Konzepte
nen sich aber dadurch aus, dass sie auf der ganzen Welt auf nahezu
identische Art und Weise umgesetzt werden. Im Wesentlichen basieren
die Konzepte auf der Auffassung von Kultur als Standort- und Image-
faktor („Creative Class“, „Creative City“) sowie ihrer gestiegenen
Bedeutung als Wirtschaftsfaktor („Creative Industries“).
In ihnen finden die Verbindung von Kultur und Ökonomie sowie die
Vorstellung von Kultur als Wachstumsmotor, als Hoffnungsträger der
städtischen Ökonomie und Garant metropolitaner Wettbewerbsfähig-
keit, ihren Ausdruck.
2.1 Creative Industries/Kultur- und Kreativwirtschaft
Ihre gestiegene Beachtung als Faktor in der Stadt- und Regionalent-
wicklung verdankt Kultur v. a. ihrer Wahrnehmung als zukunftsträch-
tiger Wirtschaftszweig am Übergang zur Wissensgesellschaft.
Im Wesentlichen geht das Konzept auf die Definition der „Creative
Industries“ im „Creative Industries Mapping Document“4 der briti-
schen Labour-Regierung von 1998 zurück. Sie macht die individuelle
Kreativität zum Ausgangspunkt der Branchenerfassung, wobei die
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4. B 2.6 Kultur und Politik
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
Copyright-Basis aller Produkte und Dienstleistungen den Zugang zum
Verständnis der „Creative Industries“ bildet. Der in Deutschland ge-
bräuchliche Begriff „Kulturwirtschaft“ bildet in diesem Modell ledig-
lich den Kern des Wirtschaftsfeldes ab.
Grundmodell In Deutschland wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und
der Kreativwirtschaft Technologie 2009 erstmals ein abgestimmtes Grundmodell zur Defini-
tion und Abgrenzung der Kultur- und Kreativwirtschaft vorgelegt.5
Dieses Modell stimmt sowohl mit den Festlegungen der Wirtschafts-
ministerkonferenz der Länder als auch mit den Ergebnissen der En-
quetekommission „Kultur in Deutschland“ überein und ist auch mit
der Kernabgrenzung der EU-Kommission und mit dem Referenzmo-
dell der britischen „Creative Industries“ kompatibel.
Branchen der Kultur- Die Definition der Kultur- und Kreativwirtschaft umfasst elf Kern-
und Kreativwirtschaft branchen oder Teilmärkte:
Musikwirtschaft, Buchmarkt, Kunstmarkt, Filmwirtschaft, Rundfunk-
wirtschaft, Markt für darstellende Künste, Designwirtschaft, Architek-
turmarkt, Pressemarkt, Werbemarkt sowie Software-/Games-Industrie.
Die wirtschaftlich relevante Ausgangsbasis von Produkten oder
Dienstleistungen liegt in den Teilmärkten. Ihr
verbindendes Merkmal ist der „schöpferische
Akt“.
Kultur- und
Kreativwirtschaft Als Wachstumsbranche und Beschäftigungs-
motor weckt dieses heterogene Wirtschafts-
„Unter Kultur- und Kreativwirtschaft werden feld in der Stadtentwicklungspolitik die Hoff-
diejenigen Kultur- und Kreativunternehmen nung auf ökonomischen Aufschwung und
erfasst, welche überwiegend erwerbswirtschaft-
stadträumliche Aufwertung, was sich in der
lich orientiert sind und sich mit der Schaffung,
Produktion, Verteilung und/oder medialen Ver-
Einbettung in stadtpolitische Leitbilder und
breitung von kulturellen/kreativen Gütern und Programme nach dem Motto „Kulturwirt-
Dienstleistungen befassen.“6 schaft fördern – Stadt entwickeln“7 wider-
spiegelt.
2.2 Creative Class
Der kreative Mensch Dass so umfassend von einer zukunftsweisenden Kreativwirtschaft
im Mittelpunkt gesprochen wird, lässt sich nicht zuletzt auch auf die Wachstumstheo-
rie von Richard Florida zurückführen. Ausgangspunkt von „The Rise
of the Creative Class“ bildet die Erkenntnis, dass menschliche Kreati-
vität die zentrale Produktivkraft in der heutigen Zeit darstellt. Florida
rückt also den kreativen Menschen bzw. die Angehörigen der „Creative
Class“ in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Im Gegensatz zum
Konzept der Kreativ- und Kulturwirtschaft beschreibt Florida die
„Kreative Klasse“ als ziemlich weit gefasstes Berufsgruppenkonzept,
das über die künstlerischen, kulturellen und kreativen Berufsgruppen
hinausgeht.8
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