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Migration und
Integration
im Blickfeld




Positionen, Denkanstöße, Lösungsansätze
2




Inhaltliche Koordination




                  Mag.a Lucia Bauer
                  Mitarbeiterin im Büro des Vorsitzenden der GPA-djp; Politologin




                  Dr. Martin Bolkovac
                  Mitarbeiter in der GPA-djp Grundlagenabteilung; Politologe




Impressum:
Herausgeber: Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier
             Alfred-Dallinger-Platz 1, 1034 Wien
Redaktion:   Martina Tossenberger, Grundlagenabteilung
Layout:      Anita Schnedl, Marketing
Fotos:       Nurith Wagner-Strauss, David Payr, Fotolia, iStockphoto, Martin Bolkovac, GPA-djp, WBV-GPA
DVR 0046655, ZVR 576439352

Stand: September 2012
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                                                                                   © Nurith Wagner-Strauss




                                                                                                                        © David Payr
Vorwort


Der Begriff Migration stammt vom lateinischen
Wort migra bzw. migrare ab und bedeutet
wandern, bzw. übersiedeln. Aufgrund unterschiedlicher Migrationsformen und -ursachen (so kann der Grund
für Migration etwa ein kultureller, politischer, wirtschaftlicher, religiöser, ökologischer, ethnischer oder sozialer
sein) werden in der Literatur und in den Medien verschiedene Definitionen angewandt. Ihnen allen gemeinsam
ist aber die Erkenntnis, dass Migration ein auf Dauer angelegter Wechsel in eine andere Gesellschaft bzw. in
eine andere Region darstellt.


Im Rahmen des Bundesforums im Herbst 2012 startete die GPA-djp einen ausführlichen internen Diskussions-
prozess zum Thema Migration und Integration, der im Juni 2012 in einem Grundsatzbeschluss des GPA-djp-
Bundesvorstands mündete.


Dieser Grundsatzbeschluss enthält eine Reihe wichtiger Themen, vom Spracherwerb über das Staats-
bürgerschaftsrecht bis zu Anerkennung von im Ausland erworbenen Ausbildungen und der Frage nach der
rechtlichen Vertretung von Menschen ohne Arbeitserlaubnis und schafft damit eine Basis für unser politisches
Handeln. Ausgearbeitet wurden die konkreten Forderungen in mehreren Workshops mit externen und internen
ExpertInnen, den Mitgliedern der work@migration und interessierten BetriebsrätInnen.


Dabei entstand schließlich auch die Idee einige lose Fäden noch einmal aufzugreifen und bei wichtigen
Punkten stärker in die Tiefe zu gehen. Den Raum für diese Diskussionserweitungen bietet die vorliegende
Broschüre. Sie greift Themen wieder auf, die uns im Diskussionsprozess besonders wichtig erschienen, wie
etwa die Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen oder den Erwerb der deutschen Sprache.
In der Broschüre enthalten sind zudem aktuelle Neuerungen der österreichischen Migrationspolitik, die Rot-
Weiß-Rot-Karte und das Lohn- und Sozialdumpinggesetz sowie internationale Fallbeispiele und ein kurzer
Überblick zum Thema Rassismus im Betrieb.


Wir sehen sowohl den Bundesvorstandsbeschluss als auch die Broschüre als wichtigen ersten Schritt einer
wirklich seriösen Auseinandersetzung mit dem Themenfeld Migration und Integration, die damit sicher nicht
abgeschlossen ist. Das liegt nicht nur im Interesse unserer vielen Mitglieder mit Migrationshintergrund sondern
ist auch Teil unseres gesellschaftspolitischen Auftrags als Gewerkschaft.




Dr.in Dwora Stein                                    Wolfgang Katzian
Bundesgeschäftsführerin                              Vorsitzender
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Inhalt

Forderungen der GPA-djp zum Thema Migration und Integration
Zusammenfassung eines Antrages des GPA-djp Bundesvorstandes ........................................ Seite 5

Man schießt die Leute in Out – Interview mit Christian-Paolo Müller
     geführt von Hannah Putz ..................................................................................................................... Seite 9

Alltagsrassismus in Österreich
     Lucia Bauer ..................................................................................................................................... Seite 12

Das Lohn- und Sozialdumping-Gesetz:
Resümee ein Jahr nach dem Auslaufen der Übergangsfristen
     Walter Gagawczuk .......................................................................................................................... Seite 16

Erste Erfahrungen mit dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz
     Ingrid Reischl ................................................................................................................................... Seite 21

Die Rot-Weiss-Rot-Karte: Das neue Modell der Arbeitskräftemigration nach Österreich
     Johannes Peyrl ................................................................................................................................. Seite 24

Wohnen ist ein Grundrecht
     Andrea Holzmann ............................................................................................................................ Seite 29

Kollektivvertragswirksame Anerkennungen
     Gerald Musger ................................................................................................................................ Seite 34

Bildungshürde Migrationshintergrund
     Barbara Kasper ............................................................................................................................... Seite 39

Sprache als Schlüssel zur Integration?
     Verena Plutzar ................................................................................................................................ Seite 44

Man hört wenig von den Ursachen, sondern nur von den Symptomen!
Interview mit Didem Strebinger
     geführt von Hannah Putz ................................................................................................................... Seite 49

(Über-)leben und arbeiten ohne Papiere
     Andrea Schober ............................................................................................................................... Seite 52

Stell dir vor, die willst Arbeit und man gibt dir nur schlechte!
     Clara Fritsch .................................................................................................................................... Seite 54

Kanada – migrationspolitisches Vorzeigeland?
     Martin Bolkovac ............................................................................................................................... Seite 60

Europäische Gewerkschaften und Migration
     Martin Bolkovac ............................................................................................................................... Seite 62
5




Forderungen der GPA-djp
zum Thema Migration und Integration

Zusammenfassung eines Antrags des GPA-djp-Bundesvorstands
beschlossen am 1. Juni 2012



RASCHERE UND LEICHTERE INTEGRATION IN DEN ARBEITSMARKT

In Österreich hatten 2010 18% der Bevölkerung Migrationshintergrund1, deren Arbeitsmarktchancen
bleiben jedoch stark hinter der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund zurück. Sie sind häufiger unter ihrem
Qualifikationsniveau beschäftigt und auch häufiger arbeitslos.


Die GPA-djp tritt daher für das Prinzip „Arbeit vor Sprache“ ein, weil das eine schnellere Arbeits-
marktintegration und damit eine finanzielle Selbstständigkeit von MigrantInnen ermöglicht. Das AMS hat bei
der Arbeitsmarktintegration eine zentrale Aufgabe zu erfüllen, der es bisher nicht ausreichend nachkommt.
Zwar gibt es eine Reihe von Unterstützungen speziell für MigrantInnen, ein schlüssiges Gesamtkonzept ist
allerdings bisher nicht zu erkennen.


Die GPA-djp fordert daher nicht nur die Gleichstellung für Drittstaatsangehörige (dazu
gehören auch Asylsuchende) mit EU-BürgerInnen beim Arbeitsmarktzugang, sondern richtet auch eine Reihe
von Forderungen konkret an das AMS. Dazu gehört eine bessere Schulung von AMS-MitarbeiterInnen genau-
so wie spezielle Mentoringprogramme und Ansprechpersonen für MigrantInnen bei den AMS-Außenstellen.



ANERKENNUNG VON AUS DEM AUSLAND MITGEBRACHTEN QUALIFIKATIONEN

Ein weiterer, ganz zentraler Punkt ist die Anerkennung von Qualifikation. Die Anerkennung und darauf
aufbauend die richtige Einstufung ist im Interesse aller ArbeitnehmerInnen ein ganz zentrales Anliegen, und ein
wirksames Mittel gegen Lohndumping.


Kurz zusammen gefasst, fordert die GPA-djp daher einen Abbau von finanziellen und büro-
kratischen Hürden für den Prozess der Anerkennung. Auch hier soll wiederum dem AMS eine
wichtige Rolle zukommen. Eine zentrale Begutachtungsstelle, die idealer Weise beim AMS angesiedelt werden
soll, soll sicherstellen, dass Bewertungen von Ausbildungen vorgenommen werden, die dann die Basis für die
richtige Einstufung bilden.




1 Laut Definition der Statistik Austria bedeutet das, dass beide Elternteile im Ausland geboren sind. Die Statistik Austria unterscheidet dann noch zwischen
MigratInnen der 1. Generation, die selbst eingewandert sind und MigrantInnen der 2. Generation, die in Österreich geboren wurden.
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FÖRDERUNG DES SPRACHERWERBS

Ebenfalls unverzichtbar ist eine sinnvolle Förderung des Spracherwerbs. Die GPA-djp fordert eine
individuelle, kostenlose Sprachförderung statt Zwang – schon gar nicht VOR der Einreise nach
Österreich. Denn Sprache ist ein Ergebnis eines Integrationsprozesses, nicht aber dessen Vorbedingung.



EINRICHTUNG EINES MINISTERIUMS FÜR INTEGRATION

Die GPA-djp begrüßt die Einrichtung des Integrationsstaatssekretariats, denn damit wurde eine jahrelange
wichtige Forderung der GPA-djp umgesetzt. Weniger erfreulich ist allerdings die Tatsache, dass die Agenden
Asyl und Integration weiterhin dem Innenministerium zugeordnet sind und der Integrationsstaatssekretär diesem
unterstellt ist. Die GPA-djp fordert daher die Einrichtung eines Ministeriums für Integration.



VEREINFACHUNG BEI EINBÜRGERUNG UND STAATSBÜRGERSCHAFT

Für Menschen die dauerhaft in einem Land leben ist schließlich auch zentral, dass sie die Staatsbürgerschaft
ohne unnötige Hürden erwerben können. Österreich hat im internationalen Vergleich eines der striktesten
Staatsbürgerschaftsrechte und eine der niedrigsten Einbürgerungsraten. So sind etwa die Wartefristen auf eine
Einbürgerung im europäischen Vergleich überproportional lang (10 Jahre). Dazu kommt, dass auch die Kosten
für eine Einbürgerung außergewöhnlich hoch sind, sie betragen zwischen EUR 2.000,-- und EUR 5.000,--. Der
europäische Trend geht dagegen in Richtung kostenfreie Staatsbürgerschaft.


Die GPA-djp fordert daher auch, dass Kinder, die in Österreich geboren werden und deren
Eltern sich schon seit mehreren Jahren legal hier aufhalten, automatisch die österreichische Staats-
bürgerschaft erhalten. Zudem soll der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft wesentlich
günstiger werden. Die Wartefrist auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft soll wesentlich
verkürzt werden.



GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE, KOMMUNALES WAHLRECHT, ZUGANG ZU SOZIAL-
LEISTUNGEN

Essentielle Voraussetzung für Integration ist die gleichberechtigte Möglichkeit zur gesellschaftlichen und
politischen Teilhabe für alle Menschen, die hier leben.


Die GPA-djp fordert daher: Das aktive und passive Wahlrecht auf kommunaler Ebene für
alle Menschen, die legal in Österreich leben.


Das soziale Netz muss für alle Menschen, unabhängig von der Staatsbürgerschaft, gleichermaßen zugänglich
sein. Das muss auch für die Sozialleistungen von Ländern und Gemeinden gelten.
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ERLEICHTERUNGEN BEIM FAMILIENNACHZUG

Familienzusammenführung ist ein Grundrecht. Die GPA-djp fordert daher, dass Menschen, deren
Familienangehörige hier leben, rasch und ohne bürokratische Hindernisse einwandern
dürfen. Außerdem ein eigenständiges Aufenthaltsrecht und vollen Arbeitsmarktzugang für alle, die über eine
Familienzusammenführung nach Österreich gekommen sind.



BESSERE AUSBILDUNG FÜR JUGENDLICHE MIT MIGRATIONSHINTERGRUND

Eine ganz zentrale Rolle spielt auch der Bereich der Bildung. Nicht nur Kindern mit Migrationshintergrund,
sondern auch anderen Kindern mit sozialen oder sonstigen Benachteiligungen würde es nützen, wenn unser
Bildungssystem durchlässiger gestaltet würde.


Um die Selektion im österreichischen Bildungssystem anhand ethnischer Kriterien
abzuschwächen, fordert die GPA-djp u.a.:
 eine Ausweitung des verpflichtenden Kindergartenjahres bei rechtzeitiger Feststellung des Förderbedarfs,
 mehr finanzielle Mittel für BegleitlehrerInnen,
 Hilfe bei Sprachschwierigkeiten anstatt Sonderschule,
 mehr Auswahl bei den Fremdsprachen als Pflicht- und Freigegenstände
   (zB Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Türkisch etc. als Maturafach),
 flächendeckende Einführung einer gemeinsamen schulischen Grundausbildung in den ersten neun Jahren
   für alle SchülerInnen mit individuellem Unterricht und Fördermaßnahmen,
 den Ausbau qualitativ hochwertiger Ganztagsschulen und
 eine stärkere Bedachtnahme auf soziale und interkulturelle Durchmischung in Schulen.



WOHNEN IST EIN GRUNDRECHT

MigrantInnen leben in schlechteren Wohnverhältnissen. Sie finden immer schwieriger leistbaren Wohnraum
und müssen einen überdurchschnittlich hohen Anteil ihres Einkommens für Wohnen aufwenden.


Um MigrantInnen den Zugang zu leistbaren Wohnraum zu erleichtern, fordert die GPA-djp
eine Reihe von Punkten, die darauf abzielen, versteckte und offene Diskriminierungen bei der Wohnungs-
suche abzubauen.
 Die Zugangsbestimmungen zu gefördertem Wohnraum sowie zu Beihilfen, wie Wohnbeihilfe oder Eigen-
   mittelersatzdarlehen, sind bundesweit zu vereinheitlichen.
 Zuwanderer sind über die Möglichkeiten und die finanziellen Voraussetzungen, geförderten Wohnraum zu
   erhalten, umfassend zu informieren.
 Beratende und vermittelnde Organisationen in Fragen des Zusammenlebens und bei Nachbarschafts-
   konflikten sind auszubauen.
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MEHR RECHTE FÜR ARBEITNEHMERINNEN OHNE LEGALEN AUFENTHALTSTITEL
UND/ODER ARBEITSPAPIERE

MigrantInnen, denen auf Grund ihres Aufenthaltstatus der Zugang zum formellen Arbeitsmarkt verwehrt ist
und die deshalb im informellen Sektor tätig sind, bewegen sich in einer Grauzone der Rechtlosigkeit und der
Willkür. Das betrifft auch Personen, die einen legalen Aufenthalt, aber keine Beschäftigungsbewilligung
haben. Diese Situation ist aber nicht nur für die einzelnen ArbeitnehmerInnen bedrohlich, sie führt auch
zur Unterminierung von sozial- und kollektivvertragsrechtlichen Standards und stellt damit ein gesamtgesell-
schaftliches Problem dar.


Die GPA-djp fordert daher: Damit ArbeitnehmerInnen ohne legalen Aufenthaltstitel ihre
Ansprüche auf Entgelt und Sozialversicherungsbeiträge geltend machen können, sollen
sie während eines diesbezüglichen laufenden Rechtsstreits nicht abgeschoben oder ausge-
wiesen werden können.


Um diesen Menschen auch Beratungen anbieten zu können, sollen mittelfristig GPA-djp MitarbeiterInnen für
Erstberatungen qualifiziert werden.



ASYL ALS MENSCHENRECHT ABSICHERN

Im Bereich Asyl fordert die GPA-djp schließlich die Abschaffung der Schubhaft, vor allem in der
jetzigen verschärften Form, die mit der Fremdrechtsnovelle vom 1.1.2010 in Kraft getreten ist, und fordert das
Innenministerium dazu auf, eine eingehende Analyse des Fremdenrechts unter Einbeziehung von ExpertInnen
einzuleiten, als Ausgangsbasis für eine Diskussion des Reformbedarfs.
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„Man schießt die Leute ins Out.”

Interview mit Christian-Paolo Müller (geführt von Hannah Putz)


                                                            Du engagierst dich bei work@migration,
                                                            könntest du kurz erklären um was es euch
                                                            dabei geht? Welche Anliegen gibt es?
                                                            Erstens ist es sehr wichtig, dass es diese Interessen-
                                                            gemeinschaft gibt, denn es hat sich das Klima
                                                            innerhalb der österreichischen Gesellschaft sehr
                                                            verschlechtert. Es ist gesellschaftsfähig geworden,
                                                            ausländerfeindlich zu sein.


                                                            Österreich ist da bestimmt in keiner guten Position
                                                            und aus diesem Grund gibt es work@migration.
                                                            Leute mit Migrationshintergrund – das höre ich
                                                            mittlerweile schon gar nicht mehr so gerne – sollen
                                                            ein Sprachrohr für ihre Probleme finden, darin sehe
                                                            ich die Aufgabe für work@migration. Aber auch
                                                            die Vernetzung und natürlich die Unterstützung,
besonders von der GPA-djp und dem ÖGB, für unsere Anträge, Anliegen und Vorstellungen sind von enormer
Bedeutung.


Welche Funktionen nehmt ihr in der GPA-djp wahr?
Wir sind ein Sprachrohr, wir zeigen Probleme auf, bieten Lösungen an und bringen diese auch vor. Darin sehe
ich die wichtigste Aufgabe.


Welche Probleme sind das im Allgemeinen?
Probleme am Arbeitsplatz, am Arbeitsmarkt, in der Wahrnehmung der Gesellschaft. Bildung ist ein großes
Problem, es gibt einen Missstand bei den Bildungseinrichtungen, sogar Wohnraumbeschaffung ist ein Problem.
Es gibt kaum irgendwelche Felder des täglichen Lebens, mit denen wir uns nicht zu befassen haben. Das klingt
zwar sehr düster, aber es ist leider so.


Das heißt es geht auch stark um alltägliche Diskriminierung ...
... ja, und das in allen Lebensbereichen. Ich habe das Glück, davon nicht so betroffen zu sein, aber denken
wir an die Staatsbürgerschaft. Es gibt in Österreich kein Recht der Geburt. Daraus ergibt sich folgende
Problematik, die ich in einem Beispiel aufzeigen will. Ich habe eine Freundin, die 30 Jahre in Österreich lebt,
sie ist Tochter eines Afrikaners und einer Tschechin. Die Eltern haben sich nicht so sehr um die Staatsbürger-
schaft bemüht und man wollte die Frau nach 30 Jahren ausweisen! Sie ist hier aufgewachsen, spricht Deutsch
und ist leider Ihrer „Muttersprache" nicht mächtig. Man muss die deutsche Sprache lernen, das ist richtig, das
hat aber nichts mit der Wahrnehmung der Leute zu tun. Auch der Kontakt mit Behörden, neben Wohnungs-
und Arbeitsbeschaffung sind ein Problem. Ich bin österreichischer Staatsbürger und auch ich bin in der Wahr-
nehmung der Gesellschaft, obwohl ich hier meinen Lebensmittelpunkt habe, ob meines Aussehens kein
richtiger „g´standener“ Österreicher.
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Man versucht auch immer die Ausländer zu trennen: Fußballspieler, Diplomaten und Künstler sind natürlich
die „guten“ Ausländer. Die Deutschen sind überhaupt keine Ausländer. Die Personen, die ihre tägliche Arbeit
an der Baustelle verrichten, im Krankenhaus – ohne Ausländer würde auch unser Gesundheitssystem nicht
funktionieren – in der Fabrik usw., das sind die „schlechten“ Ausländer. Bestimmt auch ein soziales Problem.


Was ärgert dich diesbezüglich am meisten an den geführten Debatten in den
österreichischen Medien?
Am meisten ärgert mich, dass sich die Medien Themen bedienen, die sehr negativ bewertet werden von
bestimmten Leuten und dazu genutzt werden, Stimmung zu machen. Das zeigt natürlich schon auch ein Bild der
Gesellschaft, denn populistisch kann ja nur das sein, was in der breiten Masse schon auch eine Zustimmung
findet. Es gibt relativ wenig Aufklärung, man hat sehr wenig darüber gesprochen. Denn wenn es irgendwo ein
kriminelles Problem gibt, ist es doch kein Integrationsproblem, und das wird leider ziemlich ausgeschlachtet.


Wo siehst du Anknüpfungspunkte für Veränderungen diesbezüglich?
Aufklärung wird wahrscheinlich das Um und Auf sein, ohne Aufklärung wird es nicht möglich sein, die
Wahrnehmung der Leute zu verändern. Immer weiterarbeiten, Aktionstage organisieren, auf uns und auf die
Problematik der Nichtgleichbehandlung aufmerksam machen, wobei ich mir dessen bewusst bin, dass
sich nicht 100% der Leute dafür interessieren. Aber es wird doch einige geben, die zumindest darüber
nachdenken.


Welche Forderungen des Migrationsleitantrags der GPA-djp findest du dringend notwendig?
Dringend notwendig ist es, dass man das Bildungsangebot verbessert. Das Erlernen der deutschen Sprache
ist aber nicht das einzige Manko, dass es im Bildungsangebot gibt. Bildung ist leider kein Garant für eine
Beschäftigung! Da muss sich die Politik und die Gewerkschaft mehr ins Zeug legen, dass hier etwas passiert.
Man muss auch innerhalb der Gewerkschaft manchmal ein bisschen mehr auf uns aufmerksam machen, weil
auch da gibt es manchmal entbehrliche Zurufe.


Liegt es deiner Meinung nach am fehlenden Interesse, wollen sich die Menschen damit nicht
auseinandersetzen?
Es ist schon zum Teil fehlendes Interesse, aber nicht nur, es gibt vor allem auch innerhalb der Gewerkschaft
Aussagen, die nichts mit fehlendem Interesse zu tun haben.


Das heißt, dass es innerhalb der Gewerkschaft Aufholbedarf gibt?
Viel mehr Aufholbedarf, viel mehr Aufklärung! Auch innerhalb der Gewerkschaft sind nur wenige Funktionäre
in höheren Positionen, die einen Migrationshintergrund haben.


Um Forderungen auch politisch umzusetzen, muss es innerhalb der Gewerkschaft mehr
Sensibilisierung geben ...
... es soll vielleicht auch ein bisschen mehr Bedeutung bekommen. Also die Forderungen gibt es ja, es ist ja
nicht so, dass man darüber nicht Bescheid weiß. Vielleicht muss man die mit ein bisschen mehr Nachdruck
einfordern, weil eine Lobby haben wir in den Gremien nicht.
Darin besteht natürlich auch eine Aufgabe von work@migration, dass man sich vernetzt, dass man eine Lobby
bildet.
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Nochmal zu den Forderungen im Migrationsleitantrag ...
... neben den Forderungen zur          Qualifikationsanerkennung, Doppelstaatsbürgerschaft und Familien-
nachzug wird auch die Öffnung des Arbeitsmarktes sehr wichtig sein, weil man auch mit dem Verwehren von
Beschäftigung die Leute ins Out schießt. Es gibt eigentlich nichts, wo nicht Nachholbedarf besteht. Man wird
mit den Forderungen, die man anbringt, auch aussieben müssen, welche dann die wichtigsten sind. Aber in
Wirklichkeit gibt es kein Thema das uns nicht auch betrifft.


Was würdest du jemanden entgegnen, der andere Menschen auf Grund von Herkunft,
Sprache, Hautfarbe etc. diskriminiert? Wie würdest du reagieren, privat oder beruflich?
Zu dieser Haltung würde mir nicht viel einfallen, da gibt es für mich einfach Null Toleranz. Aber da sind wir
dann wieder bei dem Thema Aufklärungsarbeit.
Tauschen wir doch Ausländerangst mit Aufklärung und Integrationsprobleme mit Chancengleichheit!



Vielen Dank für das Gespräch!
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Alltagsrassismus in Österreich

Lucia Bauer, GPA-djp Büro des Vorsitzenden


706 rassistische Vorfälle in ganz Österreich wurden 2011 von der Antirassismusorganisation ZARA2
dokumentiert3 . Rassismus beeinträchtigt nahezu alle Lebensbereiche von Personen, die eine andere ethische
Herkunft, Hautfarbe oder Sprache haben als die Mehrheitsgesellschaft. Rassismus ist kein Kavaliersdelikt,
sondern macht den Betroffenen, im wahrsten Sinne des Wortes, das Leben schwer, behindert bei Arbeitsplatz-
und Wohnungssuche und manchmal sogar beim Einkaufen oder bei einem Lokalbesuch.


Da es keine offizielle und umfassende Dokumentation und Erfassung rassistischer Zwischenfälle in Österreich
gibt, kann man davon ausgehen, dass die von ZARA dokumentierten Fälle nur eine kleine Auswahl
bilden. Trotzdem liefern sie ein gutes Bild darüber ab, was Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich
manchmal zugemutet wird:


Ein Mann aus Kamerun wird an einer Wiener Tankstelle von 2 Männern zusammengeschlagen und schwer
verletzt. Die Kassierin weigert sich die Polizei zu rufen. Pöbeleien in der Straßenbahn, eine versuchte Brand-
stiftung in einem türkisch-islamischen Gebetshaus in Kufstein. Ein rassistisch motivierter Mord an einem Rumänen
in Traun und versuchter Mord an dessen Familie. Einem Mann gambischer Herkunft mit österreichischer Staats-
bürgerschaft wird die Familienbeihilfe für seine Tochter nur befristet gewährt, weil laut Finanzamt der Verdacht
missbräuchlicher Verwendung bestehe. Frauen mit Kopftuch schlägt bei der Arbeitssuche offene Ablehnung
entgegen, mit Kopftuch könne man nicht arbeiten. Menschen mit dunkler Hautfarbe werden in Restaurants
nicht bedient und in Lokale mit Türsteher erst gar nicht eingelassen. Einer Frau aus Chile wird die Eröffnung
eines Kontos verweigert, weil man sie für eine Sexarbeiterin hält. Wohnungs- und Stellengesuche bestehen
auf „Inländer“ und auch im Internet und auf Social Media Plattformen häufen sich laut ZARA die rassistischen
Vorfälle.


Besonders hartnäckig sind Kettenmails, die oft jahrelang immer wieder weiter geschickt werden und so zur
Legendenbildung rund um angebliche privilegierte MigrantInnen beitragen. Nicht tot zu bekommen ist
etwa ein seit 2009 kursierendes Kettenmail, in dem behauptet wird, es gäbe zahllose RumänInnen und
BulgarInnen, die nicht in Österreich wohnen würden, aber hier Ausgleichszulage bezögen.


Die Wahrheit ist, dass die österreichische Pensionsversicherung hier äußerst streng und genau vorgeht und
Ausgleichzulagenbezieher auch wiederholt kontrolliert. Zudem stehen etwas mehr als 800 EU-BürgerInnen,
die hier leben und eine österreichische Ausgleichszulage beziehen alleine 1.300 ÖsterreicherInnen gegen-
über die eine schweizerische Ausgleichzulage beziehen und ähnliches gilt auch für AuslandsösterreicherInnen
in anderen europäischen Staaten. Offizielle Klarstellungen von Pensionsversicherung und Sozialministerium,
die ebenfalls in Umlauf geschickt werden, können den rassistischen Mythos vom ausländischen Sozial-
schmarotzer jedoch nicht durchbrechen.




2   Zivilcourage- und Antirassismusarbeit
3   Rassismus Report 2011. Einzelfallbericht über rassistische Übergriffe und Strukturen in Österreich
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WAS IST EIGENTLICH RASSISMUS?

Rassismus ist eine Ideologie, die menschliche Eigenschaften auf die Zugehörigkeit zu einer biologistisch
begründeten „Rasse“ zurückführt. Menschen mit rassistischen Vorurteilen diskriminieren andere aufgrund
dieser Zuordnung. In seiner institutionalisierten Form bewirkt Rassismus, dass bestimmten Gruppen Vorteile und
Leistungen verweigert werden, während andere Gruppen privilegiert werden. Mit rassistischen Theorien und
Argumentationsmustern lassen sich Menschen für unterschiedliche politische Ziele mobilisieren.



ALLTAGSRASSISMUS

Die von ZARA dokumentierten Vorfälle aus dem Alltagsleben beruhen aber meist
nicht auf einer ausgefeilten Ideologie, sondern sind Folge eines weit verbreiteten
Alltagsrassismus, der alle Menschen, die sich in Hautfarbe, Sprache oder
Religion von der Mehrheitsbevölkerung unterscheiden als „Ausländer“ wahr-
nimmt und zwar unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft. Typisch für den, auch
in einigen Medien verbreiteten, Alltagsrassismus in Österreich ist, dass den „Ausländern“ bestimmte stereotype
Eigenschaften zugeschrieben werden: Sie werden als laut, unzivilisiert, faul oder kriminell bezeichnet. Auch
das klassische „Ausländerdeutsch reden“ ist die Folge eines solchen Stereotyps, das davon ausgeht, dass
MigrantInnen grundsätzlich nicht deutsch verstehen.


Besonders viele Stereotype werden MuslimInnen zugeordnet. Sie werden oft pauschal als Gefahr für die öster-
reichische Gesellschaft betrachtet. Die Folgen dieser rassistischen Anfeindungen und Ausgrenzung sind für die
Betroffenen zum Teil gravierend. Sie führen dazu, dass viele MigrantInnen sich in ihre eigenen Communities
zurück ziehen. Sie bewirken konkrete Benachteiligungen am Wohnungsmarkt und im Bildungsbereich, wenn
Kinder von MigrantInnen aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse zu wenig gefördert werden und sich
soziale Unterschiede auch in die 2. und 3. Generation fortsetzen. Auch im Arbeitsleben bewirken nicht zuletzt
rassistische Vorurteile, das viele MigrantInnen – trotz guter Qualifikationen – in schlecht bezahlten und minder-
qualifizierten Jobs arbeiten müssen.



RASSISMUS AM ARBEITSPLATZ

Rassisitisches Verhalten beginnt auch nicht erst dort, wo offen gepöbelt oder Gewalt ausgeübt wird.
Rassistisches und fremdenfeindliches Verhalten ist Teil unseres Alltagslebens und begegnet uns in allen Lebens-
bereichen, mit der Konsequenz, dass wir uns schließlich daran gewöhnt haben. Wir neigen dazu, rassistische
Bemerkungen von KollegInnen nicht mehr bewusst wahrzunehmen. Rassistisches Verhalten am Arbeitsplatz
und daraus resultierende Diskriminierungen werden daher auch nur selten bewusst angesprochen.


MigrantInnen selbst erleben die mehr oder weniger unterschwelligen Anfeindungen dagegen oft bewusst,
haben aber Hemmungen sie zur Sprache zu bringen. Viele fürchten sich vor möglichen Problemen oder haben
resigniert, weil sie das Gefühl haben, dass Gegenwehr ohnehin nichts bringt. Ungleichbehandlung wird auf
diese Weise leicht zur Normalität sowohl für In- als auch für AusländerInnen.
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Neben den formalen Regeln, die das betriebliche Zusammensein regeln, hat jeder Betrieb auch eine Reihe
informeller Regeln. Diesem „heimlichen“ Gesetzbuch kommt oft eine sehr große Bedeutung zu. Es regelt
Pausenverhalten, Begrüßungen und innerbetrieblichen Aufstieg. „Normal“ ist in diesem Sinne, was im Betrieb
üblich ist und wer neu dazu kommt, muss die Regeln erlernen. Diskriminierendes Verhalten, das Bestandteil
dieses inoffiziellen Regelwerks ist, lässt sich daher besonders schwer bekämpfen.


Eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes hat als weiteren Grund für betriebliche Benachteiligungen
von MigrantInnen festgestellt, dass diese oft durch das „Leistungsprinzip“ begründet und Ungerechtigkeiten so
scheinbar objektiv begründbar werden: MigrantInnen verdienen weniger und machen weniger qualifizierte
Arbeit, weil sie weniger gut Deutsch können und weniger Qualifikationen haben und weniger leisten. So
wird Diskriminierung nicht nur schweigend akzeptiert sondern auch erfolgreich umgedeutet zu einem sachlich
argumentierbaren Unterschied.



STRUKTURELLER RASSISMUS

Rassismus besteht jedoch nicht nur aus einzelnen Vorfällen in Betrieb oder Alltagsleben, sondern tritt auch in
struktureller Form auf. Als strukturellen Rassismus kann man Gesetze bezeichnen, die Menschen aufgrund ihrer
Herkunft politische oder soziale Rechte verweigern. Dass die sogenannten Ausländergesetze in Österreich in
den vergangenen Jahren immer wieder verschärft wurden, trägt ganz wesentlich dazu bei, dass der soziale
Aufstieg von MigrantInnen oft schon im Keim erstickt wird.


Auf Ebene der betrieblichen Mitbestimmung zeigt sich das Problem der strukturellen Benachteiligung nicht
zuletzt beim passiven Wahlrecht zum Betriebsrat/zur Betriebsrätin. Zwar dürfen in Österreich seit 2006
neben EU- und EWR-BürgerInnen auch Menschen aus Ländern, die mit der EU ein Assoziierungsabkommen
abgeschlossen haben, wie etwa die Türkei, zum Betriebsrat kandidieren, alle anderen bleiben aber auch
weiterhin von der Mitarbeit im Betriebsrat ausgeschlossen. Von der GPA-djp seit langem gefordert, ging dieser
Gesetzesänderung ein langer Kampf voraus. Letztlich war dieser wichtige Schritt für mehr Gleichberechtigung
im Betrieb allerdings weniger der Einsicht der politischen EntscheidungsträgerInnen als mehr einem Urteil des
Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2004 zu verdanken.



RASSISMUS IM BETRIEB BEKÄMPFEN

Gegen rassistisches und diskriminierendes Verhalten im Betrieb gibt es zwar kein allgemein gültiges
Rezept, jedoch eine Reihe von einfachen Maßnahmen, die sich in der Praxis bewährt haben und daher zu
Nachahmung empfohlen werden können:


 Zentrale Voraussetzung für alle weiteren Maßnahmen ist, dass sich der Betriebsrat klar und öffentlich
     gegen Rassismus positioniert und die Beschäftigten bestärkt, Diskriminierungen nicht einfach hinzunehmen,
     sondern zu melden.
Kolumnentitel     15




 Als sinnvoll hat es sich auch erwiesen, die Personalpolitik des Betriebes (Einstellungen, Versetzungen,
   Beförderungen,…) gezielt auf strukturelle Benachteiligungen von MigrantInnen zu untersuchen. Auch wenn
   auf den ersten Blick alles korrekt aussieht, kann eine genaue Überprüfung noch Überraschungen bringen.
 Entscheidend für eine Antirassismuspolitik im Betrieb, kann es auch sein, alltägliche rassistische oder
   diskriminierende Bemerkungen zu dokumentieren. Dazu kann ein eigenes Beschwerdebuch angelegt
   werden, aber auch die Betriebsratszeitung bzw. der Betriebsratsblog genutzt werden und/oder regelmäßig
   ein Gleichstellungsbericht erstellt werden. So lässt sich verhindern, dass Alltagsrassismus im Betrieb als
   „normal“ angesehen wird.
 In großen Betrieben kann auch eine Betriebsvereinbarung über den Umgang mit Rassismus im Betrieb
   und/oder den Einsatz von KonfliktlotsInnen sinnvoll sein.



DAS GLEICHBEHANDLUNGSGESETZ

Neben den Maßnahmen, die auf betrieblicher Ebene gesetzt werden können, bietet seit 2004 auch das
Gleichstellungsgesetz Schutz vor Diskriminierung in der Arbeitswelt. Der im Gesetz festgeschriebene Schutz
vor Diskriminierung in der Arbeitswelt gilt bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses, der Festsetzung des
Entgeltes (Lohn/Gehalt, Zulagen, Zuschläge etc.), der Gewährung freiwilliger Sozialleistungen, bei Maß-
nahmen der Aus- und Weiterbildung, bei Beförderungen und beruflichem Aufstieg, bei Benachteiligung bei
sonstigen Arbeitsbedingungen und bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Darüber hinaus richtet sich
das Gleichbehandlungsgesetz auch gegen Diskriminierung in der sonstigen Arbeitswelt. Das betrifft unter
anderem Angebote des Arbeitsmarktservice sowie privater Bildungseinrichtungen (zB BFI, WIFI).


Menschen, die sich diskriminiert fühlen, haben verschiedene Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren. In
jedem Fall ist es wichtig festzuhalten, wer was wann gesagt oder getan hat. Vor allem dann, wenn es nötig
ist, vor Gericht zu gehen. Am besten ist es in diesem Fall, ein Tagebuch zu führen. Opfer von Diskriminierung
können sich entweder an das Gericht wenden und dort Schadenersatz fordern, mit ihrem Fall zur eigens
eingerichteten Gleichbehandlungskommission gehen oder auch beide Wege gleichzeitig einschlagen. Da es
für Betroffene oft schwierig ist, Vorfälle zu beweisen, reicht es aus, dass sie das Vorliegen einer Belästigung
und/oder Diskriminierung vor Gericht glaubhaft machen. Die beklagte Partei muss den Vorwurf der
Diskriminierung widerlegen.


Alle diese Möglichkeiten können dazu beitragen, gegen Rassismus und Diskriminierung im Betrieb vorzugehen
und dadurch letztlich auch das Klima zwischen in- und ausländischen KollegInnen zu verbessern. Klar ist
aber auch: Bei der Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz sind alle gefragt, Arbeit-
nehmerInnen, ArbeitgeberInnen und Gewerkschaften – sie sind gefordert, rassistische Vorfälle ernst zu
nehmen, anzusprechen und ihnen so den Nährboden zu entziehen.


 Wichtige Anregungen, wie Diskriminierung im Betrieb möglichst vermieden werden, und wie, wenn es doch
 dazu kommt, damit umgegangen werden kann, bietet auch eine Broschüre des ÖGB: „Leitfaden gegen
 Diskriminierung“ (zu finden unter: www.oegb.at/antidiskriminierung) siehe diesbzgl. auch das AK/VÖGB-
 Skriptum „PGA-9 Rassismus im Betrieb“ (zu finden unter www.voegb.at)
16        Kolumnentitel




Das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz


RESÜMEE EIN JAHR NACH DEM AUSLAUFEN DER ÜBERGANGSFRISTEN

Walter Gagawczuk, Arbeiterkammer Wien



DIE ARBEITSMARKTÖFFNUNG – EIN BLICK ZURÜCK

Im Jahr 2004 sind 10 Staaten der Europäischen Union beigetreten. Für 8 dieser Staaten wurden in den
Beitrittsverträgen Übergangsfristen am Arbeitsmarkt vereinbart. Dabei handelt es sich um die Länder Estland,
Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. Die Übergangsfristen bedeuteten, dass
für die Beschäftigung von Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen aus diesen Staaten weiterhin Beschränkungen
aufrechterhalten werden konnten. Österreich hat diese Möglichkeit auch bis Ende April 2011 in Anspruch
genommen. Danach musste unabhängig von der Situation am Arbeitsmarkt entsprechend den Beitrittsverträgen
volle Freizügigkeit am Arbeitsmarkt gewährt werden.


In der Übergangszeit von sieben Jahren wurden insbesondere auf Drängen von Arbeiterkammer, ÖGB und
Gewerkschaften Maßnahmen getroffen, um den österreichischen Arbeitsmarkt auf die neue Situation vorzu-
bereiten. Die Lohnunterschiede mit den neuen Mitgliedsländern waren bzw. sind nach wie vor sehr hoch und
die geografischen Entfernungen sind relativ gering. Es war daher davon auszugehen, dass im Falle eines
starken Zustroms von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen nach Österreich die Konkurrenz auf dem Arbeits-
markt steigen würde. Dies vor allem im Bereich der niedrigen Qualifikationsstufen. Dort ist naturgemäß auch
die Gefahr des Arbeitsplatzverlustes am höchsten und die Löhne und Gehälter am niedrigsten.


In den Jahren vor 2011 konnte nun vor allem durch den Ausbau der aktiven Arbeitsmarktpolitik, also
insbesondere durch Schulungsmaßnahmen, die Unterstützungsmöglichkeiten für die Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen ausgebaut werden. Durch die Facharbeiterverordnung kam es zu einem dosierten, auf die
Arbeitsmarktsituation abgestimmten Arbeitsmarktzugang von Arbeitskräften aus den neuen Mitgliedsländern
und die Reduktion der Saisonnierkontingente hatte zum
Ziel in den Bereichen Gastgewerbe und Landwirtschaft
Verdrängungseffekte und Lohnkonkurrenz zu vermeiden.


Als wichtigstes Instrumentarium zur Vorbereitung auf die
Arbeitsmarktöffnung wurde aber das Lohn- und Sozial-
dumping-Bekämpfungsgesetz angesehen. Dieses soll vor
allem in Hinblick auf das große Lohngefälle zu den neuen
Beitrittsländern ein Unterbieten unter dem Kollektivvertrag
verhindern.
Kolumnentitel     17




DAS LOHN- UND SOZIALDUMPING-BEKÄMPFUNGSGESETZ

Auf Grund des großen Lohngefälles gibt es im Prinzip einen starken Anreiz für Unternehmen durch den Einsatz
von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen aus den neuen Mitgliedsländern zu „günstigen“ Löhnen ihre
Leistungen billiger anbieten zu können und sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Die
Einhaltung inländischer kollektivvertraglicher Mindestlöhne ist zwar vorgesehen, aber vor in Kraft treten des
Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes war es grundsätzlich nur möglich eine allfällige Differenz
zwischen tatsächlich erfolgter und kollektivvertraglich vorgeschriebener Entlohnung zivilrechtlich über Gerichte
einzuklagen. In der Praxis ist dies aber kaum je erfolgt.


Meist bekommen die ArbeitnehmerInnen für die Auslandseinsätze mehr als in ihrem Herkunftsland und der
Anreiz, die Differenz einzufordern ist kaum gegeben. Auch müssen ArbeitnehmerInnen damit rechnen, dass
sie nach Einbringung der Klage nicht mehr weiter beschäftigt werden. Insbesondere bei kurzfristig entsandten
oder grenzüberschreitend überlassenen ArbeitnehmerInnen hat die Erfahrung gezeigt, dass die bloße
Möglichkeit, die Ansprüche selbst geltend zu machen, nicht zur Durchsetzung geeignet ist. Auch ist das
Risiko des/der Arbeitgeber(s)in sehr gering. Schlimmstenfalls muss er ja nur das zahlen, was er sowieso zahlen
müsste. Seit Jahren haben Gewerkschaften und Arbeiterkammern daher in Österreich eine behördliche Entgelt-
kontrolle mit Sanktionen bei Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Löhne und Gehälter gefordert.


Das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz sieht derartiges nun seit Mai 2011 vor. Die Höhe der
Sanktionen orientiert sich dabei am Ausländerbeschäftigungsgesetz. Der Strafrahmen liegt zwischen
EUR 1.000,-- und EUR 10.000,-- pro ArbeitnehmerIn. Bei Lohndumping in Bezug auf mehr als drei Arbeit-
nehmerInnen erhöht sich der Strafrahmen pro ArbeitnehmerIn automatisch. Er liegt dann zwischen
EUR 2.000,-- und EUR 20.000,-- pro ArbeitnehmerIn und im Wiederholungsfall zwischen EUR 4.000,-- und
EUR 50.000,--. Würde etwa eine Baufirma damit spekulieren, sich durch unterkollektivvertragliche Löhne einen
Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen und es wird auf der Baustelle Lohndumping in
Bezug auf 5 ArbeitnehmerInnen festgestellt, so wäre die Mindeststrafe EUR 10.000,-- (EUR 2.000,-- x 5) bzw.
der Strafrahmen wäre EUR 10.000,-- bis EUR 100.000,--. Im Wiederholungsfall wäre die Mindeststrafe dann
EUR 20.000,-- und der Strafrahmen EUR 20.000,-- bis EUR 250.000,--. Auch müsste der/die ArbeitgeberIn
mit dem Entzug der Gewerbeberechtigung oder – im Fall eines/r ausländischen Arbeitgeber(s)in – mit der
Untersagung der Tätigkeit in Österreich für zumindest ein Jahr rechnen.


Keine Sanktion erfolgt u.U., wenn eine geringe Unterschreitung des kollektivvertraglich vorgeschriebenen
Mindestlohnes bzw. ein geringes Verschulden des/der Arbeitgeber(s)in vorliegt. Die Umstände, die dafür
hinzutreten müssen sind, dass es sich um das erste Mal handelt und der/die ArbeitgeberIn dem/der Arbeit-
nehmerIn den gebührenden Lohn nachzahlt. Dahinter steht der Gedanke, dass in solchen Fällen der unter-
kollektivvertraglichen Bezahlung nicht das Erzielen eines Wettbewerbsvorteils ausschlaggebend war. Aus-
drücklich hervorgehoben hat der Gesetzgeber auch, dass eine Nachzahlung des gebührenden Entgelts an
den/die ArbeitnehmerIn jedenfalls bei der Strafbemessung strafmildernd zu berücksichtigen ist. Damit wird ein
klarer Anreiz an den/die ArbeitgeberIn zur Nachzahlung gegeben.
18        Kolumnentitel




ERSTE UMSETZUNGSSCHRITTE

Verschiedene Umstände haben dazu geführt, dass für die Vollziehung des Lohn- und Sozialdumping-
Bekämpfungsgesetzes verschiedene Behörden zuständig sind. Konkret sind dies die Finanzpolizei, das bei
der Wiener Gebietskrankenkasse eingerichtete Kompetenzzentrum, die Gebietskrankenkassen der jeweiligen
Bundesländer, die Bauarbeiter-, Urlaubs- und Abfertigungskasse und die Bezirksverwaltungsbehörden. Die
Vollziehung war daher in mehrfacher Hinsicht gefordert. Es ging nicht bloß um ein neues Gesetz, sondern
darüber hinaus war eine gute Koordination dieser Behörden notwendig. Auch handelt es sich oft um Verfahren
mit Auslandsbezug. Ein Umstand, der die Abläufe meist schwieriger und aufwändiger macht und sie mit
zusätzlichem Risiko behaftet. Weiters ist für die Finanzpolizei und die Bezirksverwaltungsbehörden die Lohn-
kontrolle und daher die damit im Zusammenhang stehende notwendige Kenntnis über das Kollektivvertrags-
wesen ein Novum.


Die Behörden hatten zudem wenig Zeit sich auf die neue Rechtslage einzustellen. Es war zwar seit längerem
bekannt, dass ein entsprechendes Gesetz verhandelt wird, die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt erfolgte
jedoch erst am 28.4.2011 und selbst für Insider war der endgültige Inhalt des Lohn- und Sozialdumping-
Bekämpfungsgesetzes erst kurze Zeit vorher bekannt. Es waren daher sehr kurzfristig Schulungen und
Koordinationstreffen der involvierten Behörden auf verschiedenen Ebenen und in den Bundesländern
erforderlich. Dies erfolgte auch. Ein – soweit überblickbar – auf Grund des großen zeitlichen Drucks wenig
koordiniertes, aber trotzdem konzertiertes Zusammenspiel von BMASK, Interessenvertretungen und sonstigen
Einrichtungen ermöglichte es innerhalb weniger Wochen die involvierten Behörden und sonstigen Akteure
über die Inhalte des neuen Gesetzes zu informieren und zu schulen, sowie eine Struktur für die notwendige
Koordination und Kooperation aufzubauen.


Dies war aber nur der erste Schritt. Koordination und Kooperation muss gelebt und gepflegt werden. Es war
der AK und den Gewerkschaften daher ein besonderes Anliegen, dass hier nachhaltig eine Art Monitoring
stattfindet. Zudem ist es notwendig allfällige Schwierigkeiten bei der Vollziehung rasch zu erkennen um darauf
entsprechend reagieren zu können. Auch hier kann man vom gegenwärtigen Standpunkt aus zufrieden sein.
Es erfolgen regelmäßige Treffen der Behörden zwecks Erfahrungsaustausch, Kooperation und Koordination.
Zudem soll – so ausdrücklich die Erläuterungen zum Gesetz – zwei Jahre nach in Kraft treten des Lohn- und
Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes dessen Wirksamkeit überprüft werden.


Sehr bald hat sich gezeigt, dass das neue Gesetz nicht nur bei den zuständigen Behörden auf großes Interesse
gestoßen ist, sondern insbesondere auch bei den unmittelbar und mittelbar Betroffenen. Im Bereich der AN und
insbesondere deren Vertreter und Vertreterinnen war diesbezüglich eine vom BMASK in Zusammenarbeit mit
ÖGB Verlag, Gewerkschaften und Arbeiterkammern organisierte Veranstaltungsreihe im Mai und Juni 2011
sehr erfolgreich. In Linz, Graz, Salzburg und Wien wurden GewerkschaftsvertreterInnen und BetriebsrätInnen
zu Fragen der Arbeitsmarktöffnung nicht bloß mittels Vorträgen etc. informiert, sondern es wurde auch die
Möglichkeit geboten, Fragen und konkrete Problemstelllungen einzubringen, die in Workshops bearbeitet
wurden. An diesen Veranstaltungen haben insgesamt 945 Personen teilgenommen. Näheres dazu unter
http://www.arbeitsmarktoeffnung.at
Kolumnentitel     19




Auch auf ArbeitgeberInnenseite erfolgten Veranstaltungen und schriftliche Informationen, sodass das Lohn- und
Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz innerhalb kurzer Zeit einen hohen Bekanntheitsgrad hatte. Aber nicht nur
innerhalb Österreichs, auch in den Nachbarländern war schnell bekannt, dass Unternehmen bei Lohndumping
in Österreich empfindliche Strafen drohen können.


Eine Art Höhepunkt in diesem Zusammenhang war ein Artikel in einer slowakischen Zeitung, in dem der
slowakische Wirtschaftsminister scharfen Protest gegen die seiner Ansicht nach diskriminierenden neuen
Bestimmungen in Österreich übte, die im Widerspruch zu den Regeln der Union stehen. Der Umstand, dass die
EU-Entsenderichtlinie seit vielen Jahren das Prinzip „gleicher Lohn am gleichen Ort“ vorsieht und die Mitglied-
staaten dazu verpflichtet wirksame Maßnahmen dazu zu treffen, wurde dabei vom slowakischen Wirtschafts-
minister offenbar „übersehen“.



VORLÄUFIGES RESÜMEE

Der große Bekanntheitsgrad und die Aufregung, die das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz in
den ersten Wochen verursachte, weisen auf eine große generalpräventive Wirkung hin. Diese wird auch von
vielen Insidern bestätigt. Der Anreiz für viele ausländische Unternehmen mit Billiglöhnen am österreichischen
Arbeitsmarkt gute Geschäfte zu machen, wurde wesentlich gebremst.


Dennoch musste von den Kontrollbehörden in vielen Fällen Lohndumping festgestellt werden. Im ersten halben
Jahr nach In Kraft treten des Gesetzes traten allein durch die die Bauarbeiter-, Urlaubs- und Abfertigungs-
kasse bei der Überprüfung von 2.310 Baufirmen 181 Verdachtsfälle auf. Die Quote bei den ausländischen
Firmen ist dabei wesentlich höher als bei den inländischen. In Salzburg etwa gab es bei der Überprüfung von
309 inländischen Unternehmen 21 Verdachtsfälle, bei der Überprüfung von 68 ausländischen Betrieben in
31 Fällen einen Verdacht auf Unterentlohnung.


Lohn- und Sozialdumping kann also nicht völlig unterbunden werden. Dies war aber auch nicht zu erwarten.
Um seriös beurteilen zu können, wie gut das neue Gesetz wirkt und welche Verbesserungen erforderlich sind,
sind aber noch weitere Erfahrungswerte notwendig. Prinzipielle Schwachpunkte des Gesetzes waren aber
bereits von Beginn an absehbar. Vor allem der Umstand, dass nur die Kontrolle des Grundlohns vorgesehen
ist, ist problematisch. Ob die nach dem einschlägigen Kollektivvertrag gebührenden Zulagen und Zuschläge
gewährt werden, wird von den Kontrollbehörden nicht geprüft. Diese bilden aber oftmals gerade im Bau-
bereich einen nicht unwesentlichen Teil des Lohns.


Ein brisanter Diskussionspunkt war auch die Frage, wie viele Personen auf den österreichischen Arbeitsmarkt
nach Auslaufen der Übergangsfristen kommen werden. Das WIFO hat vor dem Mai 2011 eine Zahl von
25.000 für das erste Jahr prognostiziert. Damit dürfte man nicht allzu weit von der Realität entfernt gewesen
sein. Das BMASK hat nämlich Anfang 2012 bekannt gegeben, dass auf Grund der Arbeitsmarktöffnung
vom Mai bis November 2011 etwas über 22.000 zusätzliche unselbstständig Beschäftigte aus den neuen
Mitgliedsländern auf dem österreichischen Arbeitsmarkt zu verzeichnen sind.
20          Kolumnentitel




Auffällig war dabei der hohe Anteil an Personen, der sich in Österreich nicht niedergelassen hat, sondern
regelmäßig über die Grenze pendelt. Nicht überraschend waren die hauptsächlich betroffenen Branchen,
nämlich Bau und Tourismus und der Umstand, dass der Schwerpunkt der neu Beschäftigten im Osten
Österreichs liegt.


FAZIT: Die Inanspruchnahme der Übergangsfristen mit den neuen Mitgliedstaaten und die Nutzung dieser
Fristen zur Vorbereitung auf die Öffnung des Arbeitsmarktes sowie dessen schrittweise Öffnung waren überaus
sinnvoll.


Das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz spielte bzw. spielt dabei eine wesentliche Rolle. Es
konnten bislang negative Entwicklungen am Arbeitsmarkt, wie insbesondere Verdrängungseffekte, unfaire
Wettbewerbsbedingungen und Lohndumping weitgehend hintangehalten werden. Es ist aber erforderlich die
weitere Entwicklung aktiv zu beobachten, um gegebenenfalls weitere Maßnahmen zu treffen.
Kolumnentitel     21




Erste Erfahrungen mit dem Lohn- und
Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz

Ingrid Reischl, Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse


Am 1. Mai 2012 feierte das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSDB-G), das ein Jahr zuvor –
nach Ablauf der Übergangsbestimmungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit – erlassen wurde, sein einjähriges
Bestehen. Ziel der Strafbestimmungen des LSDB-G war von Beginn an die Sicherstellung des von Gesetz,
Verordnung oder Kollektivvertrag aus zustehenden Mindestentgelts der in Österreich beschäftigten Arbeit-
nehmerInnen.


Damit hat Österreich konsequent einen Weg weiterbeschritten, der bereits 1996 durch die Entsende-Richtlinie
der Europäischen Gemeinschaft eingeschlagen wurde. Aufgrund dieser Richtlinie, die in Österreich durch das
Arbeitsvertragsrecht-Anpassungsgesetz (AVRAG) umgesetzt wurde, haben ausländische Unternehmen den in
Österreich gewöhnlich beschäftigten bzw. den nach Österreich entsandten bzw. überlassenen ArbeitnehmerInnen
das gesetzliche, durch Verordnung festgelegte bzw. kollektivvertragliche Entgelt zu zahlen.


Während also das AVRAG die Verpflichtung den jeweiligen Kollektivvertragslohn zu zahlen regelt, verpflichtet
das LSDB-G die ausländischen Arbeitgeber zur Bereithaltung jener Unterlagen, die zur Überprüfung, ob das
bezahlte Entgelt den österreichischen Rechtsvorschriften entspricht, notwendig sind.


Die Unterlagen sind prinzipiell am Arbeitsort und in deutscher Sprache für die gesamte Dauer der
Beschäftigung bereit zu halten. Sollte das unzumutbar sein, müssen sie jedenfalls im Inland so bereitgehalten
werden, dass sie auf Verlangen der Abgabebehörde (Finanzpolizei, Bauarbeiter-Urlaubs- bzw. Abfertigungs-
kasse) innerhalb von 24 Stunden übermittelt werden können. Laut den Erläuterungen zum LSDB-G sind die
erforderlichen Lohnunterlagen, die bereitgehalten werden müssen der Arbeitsvertrag/Dienstzettel, Arbeitszeit-
aufzeichnungen und Lohnaufzeichnungen oder Lohnzahlungsnachweise des Arbeitgebers.


Darüber hinaus besteht die Verpflichtung des Arbeitgebers, allen überprüfenden Behörden die Betretung der
Betriebsstätte und der Betriebsräume zu gewähren, Auskünfte zu erteilen sowie Einsicht in die erforderlichen
Unterlagen zu gewähren.


Inländische und ausländische Arbeitgeber machen sich nach dem LSDB-G strafbar, wenn sie nicht den nach
Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehenden Grundlohn zahlen. Für diesen Grundlohn sind auch
die jeweiligen Einstufungskriterien des Kollektivvertrags relevant. Die Erläuterungen des LSDB-G führen als
Einstufungskriterien zB die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit sowie die Anrechnung von Vordienstzeiten, Schul-
zeiten und sonstigen Ausbildungen an. Außerdem sieht das LSDB-G die Möglichkeit vor, die Kollektivvertrags-
Partner, die den zur Anwendung kommenden Kollektivvertrag abgeschlossen haben, anzuhören.


Für die Vor-Ort-Kontrolle ausländischer Arbeitgeber, also zB Baustellenkontrollen, sind die Finanzpolizei und die
Bauarbeiter-Urlaubs- bzw. Abfertigungskasse zuständig. In weiterer Folge laufen sämtliche Kontrollunterlagen
der Finanzpolizei im Kompetenzzentrum der WGKK zusammen und werden zur Erstellung der Anzeigen
aufbereitet, bzw. die Anzeigen eingebracht.
22        Kolumnentitel




Für die Kontrolle inländischer Arbeitgeber sind die Gebietskrankenkassen bzw. wiederum die Bauarbeiter-
Urlaubs- bzw. Abfertigungskasse zuständig. In der Praxis beteiligen sich speziell bei Baustellenkontrollen zu-
meist mehrere Behörden, um alle Bereiche abzudecken.


Das Lohn- und Sozialdumping Bekämpfungsgesetz kann nach etwas mehr als einem Jahr als sehr erfolgreich
bewertet werden. Trotzdem gibt es natürlich Verbesserungsbedarf:


In der Praxis hat sich gezeigt, dass sehr viele ausländische Arbeitgeber die Lohnunterlagen entweder nicht
oder unvollständig oder nicht in deutscher Sprache am Arbeitsort bereit halten. Das führt natürlich dazu, dass
nicht kontrolliert werden kann, ob das zustehende Entgelt auch bezahlt wurde. Da die Strafen für Nichtbereit-
haltung der Unterlagen wesentlich niedriger sind als jene für eine festgestellte Unterentlohnung, besteht die
Gefahr, dass Arbeitgeber dazu verleitet werden, keine Lohnunterlagen zu führen oder diese jedenfalls nicht
den Kontrollbehörden zu übermitteln. Deshalb sollten die Strafbestimmungen für die Nichtbereithaltung der
Lohnunterlagen möglichst rasch an die Strafbestimmungen der Unterentlohnung angeglichen werden.



ZAHLEN UND DATEN

Im ersten Jahr des LSDB-G wurden von der Bauarbeiter-Urlaubs- bzw. Abfertigungskasse über 3.400 Baustellen
mit 4.654 Firmen und über 17.600 ArbeitnehmerInnen kontrolliert. Die Finanzpolizei hat im selben Zeitraum
über 28.300 Kontrollen mit mehr als 54.000 ArbeitnehmerInnen durchgeführt.


Verdachtsfälle auf Unterentlohnung ergaben sich bei 526 Unternehmen mit 2.302 ArbeitnehmerInnen. Davon
waren 378 ausländische Unternehmen und 148 inländische Unternehmen betroffen.


Insgesamt gab es im ersten Jahr 160 Anzeigen wegen Unterentlohnung und 6 rechtskräftige Strafbescheide.
Das Ausmaß der verhängten Geldstrafen war EUR 53.500,--.


Darüber hinaus gab es 378 Anzeigen wegen nicht vorhandener Lohnunterlagen (bzw. Verweigerung der
Einsicht). 29 Bescheide dazu waren per 1. Mai 2012 rechtskräftig und das Ausmaß der verhängten
Geldstrafen war EUR 23.650,--.
Kolumnentitel               23




Statistik – Verteilung der Anzeigen gem. Unterentlohnung (nach Bundesland)


 40

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 20
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  5



  0
            STMK              W                   B                       T                     K                     NÖ                     S                   OÖ




Statistik – Verteilung der Anzeigen gem. Unterentlohnung (nach Herkunftsland)



 50
        45
 45

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Die „Rot-Weiß-Rot – Karte“:
Das neue Modell der Arbeitskräftemigration nach Österreich

Johannes Peyrl, Arbeiterkammer Wien



EINLEITUNG

Mit Juli 2011 wurde die Zuwanderung von (hoch-)qualifizierten Arbeitskräften nach Österreich völlig neu
geordnet. Grundlage dieses neuen Modells ist die Einigung der Sozialpartner von Bad Ischl im Oktober 2010.
Die Arbeitskräftemigration wird dadurch breiter aufgefächert, da es anstelle des früheren eher starren Systems
der Schlüsselkräfte nun drei Säulen des Zuzuges für qualifizierte Erwerbstätige nach Österreich gibt, hinzu
kommen auch Erleichterungen für StudienabsolventInnen.


Eines ist aber wichtig zu wissen: Mit diesem Modell wird nur ein kleiner Teil der Zuwanderung nach Österreich
geregelt, den größten Anteil der Zuwanderung aus Drittstaaten (=Nicht-EWR-Staaten) macht Migration aus
familiären Gründen aus. Die meisten NeuzuwanderInnen nach Österreich kommen zudem aus der EU, diese
Personen benötigen weder einen Aufenthaltstitel noch (sieht man von den Übergangsfristen für BulgarInnen
und RumänInnen ab) eine Arbeitsberechtigung, um in Österreich unselbständig erwerbstätig sein zu dürfen.



BESONDERS HOCHQUALIFIZIERTE

Mit dieser Säule wurde eine Möglichkeit im höchstqualifizierten Segment geschaffen, ohne konkretes
Arbeitsplatzangebot nach Österreich zuwandern zu können. Besonders Hochqualifizierte können daher zum
Zweck der Arbeitssuche für bis zu sechs Monate ein „Visum D“ erhalten. Dieses wird von der zuständigen
österreichischen Botschaft erteilt, wenn das Arbeitsmarktservice dieser mitteilt, dass die erforderliche Mindest-
punkteanzahl erreicht ist. Punkte werden für „besondere Qualifikation und Fähigkeiten“ (insb. Abschluss eines
mindestens vierjährigen Studiums, Habilitation, letztes Bruttogehalt), Berufserfahrung (ausbildungsadäquat
oder in Führungspositionen), Deutsch- oder Englischkenntnisse sowie für Studium in Österreich erteilt. Von
insgesamt 100 möglichen Punkten müssen 70 erreicht werden.


Die   besonders       Hochqualifizierten   müssen     bei
Beantragung des Visums alle Dokumente bzw. Unter-
lagen vorlegen, die belegen, dass eine ausreichende
Punkteanzahl vorliegt. Stellt das AMS fest, dass
genügend Punkte vorliegen, teilt es dies der Botschaft
mit und es wird bei Vorliegen aller sonstigen Voraus-
setzungen ein Visum D erteilt. Wenn einmal bereits ein
solches Visum D zur Arbeitssuche erteilt wurde, ist ein
neuerlicher Antrag erst nach einem Jahr ab Ausreise
möglich.
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In weiterer Folge kann im Inland eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ erteilt werden, wenn die allgemeinen Voraus-
setzungen wie Versicherung, Unterkunft und Unterhalt erfüllt sind und der/die besonders Hochqualifizierte
einen Arbeitsplatz gefunden hat, der „seiner [ihrer] Qualifikation und den sonstigen für die Erteilung des
Aufenthaltsvisums maßgeblichen Kriterien“ entspricht. Dafür muss der Arbeitsvertrag vorgelegt werden. Eine
Arbeitsmarktprüfung im Einzelfall findet nicht statt, es müssen auch nicht zwingend Deutschkenntnisse vor der
Erstantragstellung nachgewiesen werden.



FACHKRÄFTE

Um eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ als Fachkraft erhalten zu können, müssen mehrere Kriterien vorliegen: Die
wichtigste Voraussetzung ist, dass der entsprechende Beruf in der „Fachkräfteverordnung“ als Mangelberuf
angeführt ist, weiters muss eine einschlägige Berufsausbildung vorliegen, das Entgelt muss mindestens betriebs-
üblich sein und es muss eine bestimmte Punkteanzahl erreicht werden.


Zunächst muss der Beruf in der Fachkräfteverordnung aufgezählt sein: In dieser werden (nur im Fall eines
längerfristigen Arbeitskräftebedarfs, der im Inland nicht abgedeckt werden kann, nicht also zB saisonale
Spitzen) Berufe festgelegt, in denen MigrantInnen als Fachkräfte zuwandern dürfen. Als Mangelberuf kann
grundsätzlich gelten, wenn pro gemeldeter offener Stelle nicht mehr als 1,5 Arbeitsuchende gemeldet sind
(„Stellenandrangsziffer“). Das ist aber nur ein Indikator für das Vorliegen eines Mangels. Berufe mit einer
Stellenandrangsziffer bis 1,8 können berücksichtigt werden, wenn weitere Indikatoren wie insbesondere
erhöhte Ausbildungsaktivität der Betriebe zu verzeichnen sind. Vice versa darf auch eine Stellenandrangsziffer
unter 1,5 nicht automatisch zu einer Nennung in der Fachkräfteverordnung führen.


Weiters muss für die Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot – Karte“ als Fachkraft eine einschlägige, abgeschlossene
Berufsausbildung vorliegen. Nicht notwendig ist eine bestimmte Form (zB Lehre), da Berufsausbildungen nicht
in der ganzen Welt in derselben Form angeboten werden. Außerdem muss eine Entlohnung geboten werden,
die nicht nur dem anwendbaren Kollektivvertrag entspricht, sondern auch betriebsübliche Überzahlungen
berücksichtigt. Im Ermittlungsverfahren wird das AMS vermutlich BetriebsrätInnen nach der Betriebsüblichkeit
befragen. In Unternehmen ohne Betriebsrat kann es in Einzelfällen schwierig werden, die konkrete Über-
zahlung für einen bestimmten Beruf zu ermitteln.


Zuletzt muss eine Mindestpunkteanzahl (mindestens 50 Punkten von 75 möglichen Punkten) erreicht werden.
Punkte werden für Qualifikation (von Berufsausbildung bis abgeschlossenes Studium), ausbildungsadäquate
Berufserfahrung, Sprechkenntnisse (deutsch oder englisch) und Alter vergeben.


Wenn sowohl diese Kriterien als auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen für Aufenthaltstitel erfüllt
sind, kann eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ erteilt werden. Es findet keine Arbeitsmarktprüfung im Einzelfall
statt. Den Antrag müssen die MigrantInnen selbst stellen. Dieser muss bereits eine schriftliche Erklärung der
Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers bezüglich der oben angeführten Voraussetzungen des Arbeitsplatzes
enthalten.
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Grundsätzlich muss der Antrag im Ausland gestellt werden, eine Inlandsantragstellung ist nur möglich, wenn
dies aus anderen Gründen (zB visumfreie Einreise) möglich ist. Es müssen keine Deutschkenntnisse vor der
Erstantragstellung nachgewiesen werden.



SONSTIGE SCHLÜSSELKRÄFTE

Sogenannte sonstige Schlüsselkräfte können eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ erhalten, wenn sie ein Bruttoentgelt
von 60% der Höchstbeitragsgrundlage erhalten (im Jahr 2012: EUR 2.538,--), für Personen unter 30 Jahren
ist ein Bruttoentgelt von 50% der HBG ausreichend (2012: EUR 2.115,--). Dazu müssen sie die erforderliche
Mindestpunkteanzahl erreichen (mindestens 50 von 75 möglichen Punkten), wobei Punkte für Qualifikation
(von Berufsausbildung bis abgeschlossenes Studium), ausbildungsadäquate Berufserfahrung, Sprechkenntnisse
(deutsch oder englisch) und Alter vergeben werden.


In dieser Säule kommt es aber zu einer Arbeitsmarktprüfung: Eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ kann daher nur
dann erteilt werden, wenn für die zu besetzende offene Stelle weder ÖsterreicherInnen noch am Arbeitsmarkt
verfügbare AusländerInnen zur Verfügung stehen, die bereits in den Arbeitsmarkt integriert und bereit und in
der Lage sind, die beantragte Beschäftigung auszuüben.


Interessant ist, dass ProfisportlerInnen sowie ProfisporttrainerInnen automatisch 20 Zusatzpunkte erhalten, eine
Differenzierung wie etwa beim Kriterium Ausbildung findet in diesen Fällen nicht statt (es macht daher keinen
Unterschied, ob zB ein Profifußballspieler aus der englischen Premier League oder der dortigen 4. Liga nach
Österreich wechselt). Hintergrund der Regelung ist, dass ansonsten SportlerInnen kaum die erforderlichen
Punkte erreichen dürften. Man stelle sich den Aufschrei in weiten Teilen der österreichischen Bevölkerung vor,
wenn einem Spitzenverein – egal ob in schwarz-weißen, grünen oder violetten Trikots – die Verpflichtung
eines neuen brasilianischen Stürmers mit der Begründung verwehrt würde, es lägen zu wenig Punkte gemäß
AuslBG vor.



STUDIENABSOLVENTINNEN

Für StudienabsolventInnen, die entweder ihr Masterstudium zur Gänze oder ihr Diplomstudium zumindest
ab dem zweiten Studienabschnitt an einer österreichischen Universität, Fachhochschule oder akkreditierten
Privatuniversität absolviert haben, wird der Verbleib in Österreich nach Studienende um vieles einfacher.


Ebenso wurden die Beschäftigungsmöglichkeiten während des Studiums ausgeweitet (nach Abschluss des
Bachelorstudiums bzw. des ersten Studienabschnitts eines Diplomstudiums ist ohne Arbeitsmarktprüfung eine
Erwerbstätigkeit von bis zu 20 Wochenstunden möglich, davor 10 Stunden pro Woche; nötig ist aber eine
Beschäftigungsbewilligung).
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Solche AbsolventInnen können eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ bekommen, wenn sie ein Entgelt erhalten, das für
inländische StudienabsolventInnen für eine vergleichbare Tätigkeit und mit vergleichbarer Berufserfahrung
üblich ist. Das Mindestentgelt (ohne Sonderzahlungen) muss aber 45% der HBG (2012: EUR 1.903,50)
betragen. Die Beschäftigung muss weiters dem Ausbildungsniveau der AbsolventInnen entsprechen: Es
darf sich daher nicht um eine unqualifizierte Tätigkeit handeln, sondern das Aufgabengebiet muss der
akademischen Ausbildung entsprechen. Es findet keine Arbeitsmarktprüfung im Einzelfall statt und es ist keine
Mindestpunkteanzahl erforderlich.


Nach Beendigung des Studiums können AbsolventInnen, wenn sie in Österreich bleiben und eine
„Rot-Weiß-Rot – Karte“ anstreben, eine Bestätigung der Aufenthaltsbehörde erhalten, dass sie für sechs Monate
zum Zweck der Arbeitssuche in Österreich bleiben dürfen. Diese Bestätigung ist nicht verlängerbar. Finden
sie innerhalb dieser sechs Monate eine adäquate Beschäftigung, können sie den Antrag auf Erteilung einer
„Rot-Weiß-Rot – Karte“ im Inland stellen. In der Praxis werden aber drittstaatsangehörige Studien-
absolventInnen eher weiter inskribieren und direkt von einer Aufenthaltsbewilligung – Studierende zu einer
„Rot-Weiß-Rot – Karte“ wechseln.



BLAUE KARTE EU

Neben der „Rot-Weiß-Rot – Karte“ wird der fremdenrechtlichen Farbenlehre nun auch die Blaue Karte EU
hinzugefügt. Diese wird aus europarechtlichen Notwendigkeiten eingeführt. Die Anforderungen (insbesondere
das erforderliche Mindestgehalt) sind sehr hoch, es sind kaum Fälle denkbar, in denen eine Blaue Karte EU,
nicht aber eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ möglich ist. Zudem sind die Vorteile einer Blauen Karte EU gegen-
über der „Rot-Weiß-Rot – Karte“ äußerst marginal, ein Ansturm auf die Blaue Karte EU ist daher nicht zu
erwarten.


Eine Blaue Karte EU kann im Wesentlichen erteilt werden, wenn die/der Fremde über einen Abschluss eines
mindestens dreijährigen Studiums verfügt und für eine dieser Ausbildung entsprechende Tätigkeit ein Brutto-
jahresgehalt bekommt, das mindestens dem Eineinhalbfachen des durchschnittlichen österreichischen Brutto-
jahresgehalts von Vollzeitbeschäftigten entspricht (im Jahr 2012: EUR 3.745,-- pro Monat). Eine Blaue Karte
EU kann nur nach erfolgter Arbeitsmarktprüfung erteilt werden.



WEITERES AUFENTHALTSRECHT VON INHABERINNEN EINER „ROT-WEISS-ROT – KARTE“

Die „Rot-Weiß-Rot – Karte“ nach den oben beschriebenen Voraussetzungen wird für die Dauer eines Jahres
erteilt. Nach einem Jahr der Niederlassung mit „Rot-Weiß-Rot – Karte“ ist die Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot
– Karte plus“ möglich, mit der jede Erwerbstätigkeit ausgeübt werden kann. Voraussetzung ist aber, dass in
diesem Jahr zumindest 10 Monate eine Erwerbstätigkeit „unter den für die Zulassung maßgeblichen Kriterien“
ausgeübt wurde. Liegen weniger Zeiten dieser qualifizierten Erwerbstätigkeit vor, ist meist eine Nieder-
lassungsbewilligung möglich, allerdings ist in diesem Fall für die Arbeitsaufnahme eine Bewilligung nach dem
AuslBG erforderlich. Dies wird in der Praxis wahrscheinlich selten vorkommen.
28        Kolumnentitel




Die „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ kann nach zwei Jahren Niederlassung für drei Jahre erteilt werden. Nach fünf
Jahren Niederlassung ist es möglich, den unbefristeten Titel „Daueraufenthalt – EG“ zu erhalten, allerdings
muss hierfür Modul 2 der Integrationsvereinbarung erfüllt sein, es müssen also Deutschkenntnisse auf dem
Niveau „B1“ des sogenannten Europäischen Referenzrahmens für Sprachen vorliegen.


Im Idealfall ergibt sich daher folgendes „1+1+3-Jahres-Schema“: Zunächst wird eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“
erteilt, mit der eine konkrete, qualifizierte Tätigkeit ausgeübt werden kann. Danach kann eine „Rot-Weiß-
Rot – Karte plus“ für ebenfalls ein Jahr erteilt werden, wobei damit bereits jede Erwerbstätigkeit möglich ist.
Nach Ablauf diesen Jahres kann die „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ für drei Jahre erteilt werden, danach ist ein
unbefristeter Titel „Daueraufenthalt – EG“ möglich.



FAMILIENANGEHÖRIGE DER QUALIFIZIERTEN ARBEITNEHMERINNEN

EhegattInnen (eingetragene PartnerInnen) und minderjährige, ledige Kinder von „Rot-Weiß-Rot – Karte“-
InhaberInnen können quotenfrei eine „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ erhalten, wenn sie die allgemeinen Voraus-
setzungen erfüllen und haben daher sofort unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Allerdings müssen sie
(meist) sowohl das Erfordernis der Deutschkenntnisse bereits bei Erstantragstellung erfüllen sowie die Erfüllung
des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung binnen zwei Jahren nachweisen.


FAZIT: Die Arbeitskräftemigration nach Österreich wurde durch dieses Modell in vielfacher Hinsicht breiter
aufgefächert. Die wesentlichsten Neuerungen sind der Verzicht auf individuelle Arbeitsmarktprüfung in
einigen Bereichen und die Möglichkeit für besonders Hochqualifizierte, zur Arbeitsplatzsuche nach Österreich
einzureisen.


Erste Erfahrungen zeigen, dass der Zweck, die Arbeitskräftemigration bedarfsgerechter zu gestalten, durchaus
erreicht werden könnte. Es darf aber nicht übersehen werden, dass nur wenige Prozent der Zuwanderung
nach Österreich in dieses Schema fallen. Eine Rundumlösung für alle Herausforderungen der Migrationspolitik
kann die „Rot-Weiß-Rot – Karte“ daher nicht sein.
Kolumnentitel           29




Wohnen ist ein Grundrecht

Andrea Holzmann, Wohnbauvereinigung für Privatangestellte


Leistbarer Wohnraum wird zunehmend knapp. In größeren Städten mit wachsender Bevölkerungszahl,
insbesondere in der Bundeshauptstadt, übersteigt die Nachfrage nach kostengünstigen Wohnungen längst
das vorhandene Angebot. Die Wartelisten bei gemeindeeigenen Wohnungsvergabestellen und bei gemein-
nützigen Bauträgern werden immer länger. Billige Substandardwohnungen im privaten Sektor sind aufgrund
erfolgreicher Sanierungsoffensiven in den vergangenen Jahrzehnten kaum noch vorhanden. Engpässe im
öffentlichen Sektor mit negativen Auswirkungen auf die Wohnbauförderung dämmen zusätzlich die Neubau-
tätigkeit ein.4 Die Auswirkungen spüren die ärmeren Bevölkerungsschichten, zu denen MigrantInnen über-
proportional gehören, am meisten.



ZUWANDERER LEBEN IN SCHLECHTEREN WOHNVERHÄLTNISSEN5

Menschen mit Migrationshintergrund leben generell in schlechteren Wohnverhältnissen als eingesessene
ÖsterreicherInnen. Dies zeigt sich zum Beispiel an der Größe des Wohnraums, den eine Person im Schnitt für
sich beanspruchen kann. Während die Wohnfläche pro Kopf in Österreich durchschnittlich 43m2 beträgt und
EU-BürgerInnen im Schnitt 47m2 zur Verfügung haben, wohnen MigrantInnen aus Ex-Jugoslawien auf 26m2
und Zuwanderer aus der Türkei auf 21m2 pro Person. Diese Situation bessert sich insbesondere was
Zuwanderer aus der Türkei betrifft, auch in der zweiten Generation nur unwesentlich.


Auch die Wohnkostenbelastung ist für Personen mit ausländischer Herkunft vergleichsweise höher als für die ein-
gesessene Bevölkerung. Im Durchschnitt der vergangenen drei bis vier Jahre mussten 16% der ÖsterreicherInnen,
jedoch 35% der AusländerInnen über ein Viertel ihres Haushaltseinkommens für Wohnen aufwenden.


Zuwanderer verfügen in deutlich geringerem Ausmaß über Wohnungseigentum. Nur 26% der Haushalte
mit Migrationshintergrund haben ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung, während dies auf 56% der
österreichischen Haushalte zutrifft. Die wenigen noch vorhandenen Substandardwohnungen der Kategorie D,
in denen es kein WC und keine Möglichkeit zur Wasserentnahme in der Wohnung gibt, werden über-
proportional häufig von Zuwanderern bewohnt.



SOZIALE DURCHMISCHUNG UND ZUGANG ZU GEFÖRDERTEM WOHNRAUM

Im Wohnbereich besteht eine latente Tendenz zur Segregation, weil Einwanderer sich nach ihrer Ankunft am
ehesten dort ansiedeln wo ihre Landsleute schon wohnen und vielleicht auch bereits ihre eigene Infrastruktur,
etwa in Form von ethnischen Geschäften und Lokalen, aufgebaut haben. Neu zugewanderte Menschen
verfügen gewöhnlich nur über geringe finanzielle Mittel und suchen billigsten Wohnraum.



4 Vgl. Österreichischer Verband Gemeinnütziger Bauvereinigungen – Revisionsverband http://www.gbv.at/Page/View/4278
5 Vgl. Österreichischer Integrationsfonds: Wohnen. http://www.integrationsfonds.at/zahlen_und_fakten/statistisches_jahrbuch_2011/wohnen_und_raeumlicher_
kontext/wohnen/
30             Kolumnentitel




Dies könnte insbesondere in größeren Städten zur Bildung sozialer Ghettos führen, wie sie etwa die
berüchtigten ‚Banlieus’ in Paris darstellen. Um derartigen Entwicklungen entgegen zu wirken, setzt man in
Österreich gezielte wohnpolitische Maßnahmen. Die Bundeshauptstadt Wien hat, trotz starker Zuwanderung
in den vergangenen Jahrzehnten, keine sozialen Ghettos und auch keine Stadtteile, in denen ausschließlich
MigrantInnen leben. Dies ist kein Zufall, sondern das Ergebnis Jahrzehnte langer sensibler Wohnpolitik auf
unterschiedlichen Ebenen.


In Wien, immer noch weltweite Hochburg des sozialen Wohnbaus, wird seit den Tagen des „Roten Wien“ in
den 1920er Jahren das Prinzip der „Sozialen Durchmischung“ verfolgt. Damals wurden Gemeindebauten für
Arbeiterfamilien mitten in sogenannte Nobelbezirke hinein gebaut um zu verhindern, dass niemand aufgrund
seiner Wohnadresse einer bestimmten sozialen Schicht oder ethnischen Gruppe zugeordnet und womöglich
diskriminiert werden kann. Heute praktiziert Wien mit dem international viel beachteten Konzept der „Sanften
Stadterneuerung“6 eine kluge Sanierungspolitik, die ebenfalls der sozialen Durchmischung verpflichtet ist.
Ganze Häuserblöcke des gründerzeitlichen Altbaubestands bzw. ganze Straßenzeilen werden unter Einbe-
ziehung der Bevölkerung gefördert saniert. Die Förderung stellt sicher, dass die BewohnerInnen auch nach
der Sockelsanierung in ihrem Viertel bleiben können und nicht im Rahmen einer „Gentrifizierung“ von einer
zahlungskräftigeren Klientel verdrängt wird. Gleichzeitig werden – durch Ausbau von Dachgeschoßen zum
Beispiel – neue BewohnerInnen angelockt, die das Viertel beleben und neu durchmischen.


Die wichtigste politische Maßnahme zur sozialen und ethnischen Durchmischung und damit zur Integration
von Zuwanderern ist jedoch die Sicherstellung des Zugangs zu gefördertem Wohnraum – zum einen durch
Öffnung von gemeindeeigenen Wohnungen für Zuwanderer, und zum anderen durch Gewährung von
Förderungen, Beihilfen und Eigenmittelersatzdarlehen für das Anmieten geförderter, von gemeinnützigen
Bauträgern errichteten Wohnungen. Nach einer Zeit mit einer fragwürdigen öffentlichen Diskussion unter
dem Schlagwort „Migranten im Gemeindebau“ haben mittlerweile alle Bundesländer unter bestimmten
Bedingungen Zugang für Zuwanderer zu gefördertem Wohnraum geschaffen.


Die Zugangsregeln sind nicht einheitlich. Laut einer 2011 für diesen Beitrag durchgeführten Erhebung der
Wiener Wohnbauforschung7 setzen alle Bundesländer die Erfüllung der sozialen Förderkriterien voraus,
differieren jedoch was Staatsbürgerschaften bzw. den Aufenthaltsstatus betrifft. In den meisten Bundesländern
genügt für ein Ansuchen um Wohnbauförderung für Miete ein legaler Aufenthaltsstatus unter Erfüllung der EU-
Aufenthalts- und Niederlassungsbedingungen, der bei ÖsterreicherInnen, EU-BürgerInnen, EWR-BürgerInnen
sowie ihnen Gleichgestellten wie zB anerkannten Flüchtlingen gegeben ist. In Vorarlberg ist ein unbefristeter
legaler Aufenthaltsstatus (der erst nach 10 Jahren erreichbar ist) erforderlich, sowie eine achtjährige
Steuerpflicht. Kärnten verlangt von Drittstaatenangehörigen einen mindestens fünfjährigen Aufenthalt und den
Nachweis von Deutschkenntnissen.


In Wien werden EU-BürgerInnen und Gleichgestellten, anerkannte Flüchtlingen und Personen mit
ausländischer Staatsbürgerschaft, die mehr als fünf Jahre in Österreich leben, die gleichen Rechte einräumt wie
österreichischen StaatsbürgerInnen. Eine Vereinheitlichung der Richtlinien wäre wünschenswert und ist politisch
zu fordern.


6   Die Sanfte Stadterneuerung ist seit 1996 ein UN-HABITAT Best Practice und hat 2010 den HABITAT Scroll of Honour erhalten.
7   www.wohnbauforschung.at
Kolumnentitel     31




DER FORMALE ZUGANG REICHT NICHT AUS

Nicht nur der formale Zugang von Zuwanderern zu gefördertem Wohnraum ist sicherzustellen. Zuwanderer
sind über die Möglichkeiten und die finanziellen Voraussetzungen, geförderten Wohnraum zu erhalten, auch
umfassend zu informieren – um dies wirkungsvoll zu bewerkstelligen, wohl auch in ihren Muttersprachen, auch
wenn manche Behörden explizit und im Sinne einer positiven Kompetenzzuschreibung davon ausgehen, dass
die Zuwanderer die deutsche Sprache beherrschen. Das mehrsprachige Angebot in einschlägigen Beratungs-
stellen wird jedenfalls trotzdem eifrig genutzt.


Neben der Einhaltung objektiver Vergabekriterien ist auch durch Bewusstsein bildende Maßnahmen zu verhindern,
dass es zu versteckter Diskriminierung aufgrund nationaler oder ethnischer Zugehörigkeit kommt. Immer
wieder berichten Wohnungssuchende mit ausländisch klingenden Namen oder einem sprachlichen Akzent,
dass Wohnungen, insbesondere im privatwirtschaftlichen Sektor, als „schon vergeben“ deklariert werden, die
dann für den nächsten Anrufer, der sich als eingesessener Österreicher präsentiert, noch zu haben sind.


Es steht außer Zweifel, dass Wohnen – neben Bildung und Arbeit – einer der wesentlichsten Aspekte der
Integration von Zuwanderern in ihrem neuen Heimatland ist. Eine gute Wohnadresse, ein ansprechendes
Wohnumfeld, eine gepflegte Wohnanlage und nicht zuletzt die angemessene Größe und gute Ausstattung
der Wohnung, möglichst mit eigenem Balkon, können durchaus als Gradmesser des Eingebundenseins in die
Aufnahmegesellschaft gesehen werden.



INTERKULTURELLE HAUSVERWALTUNG

Auch im Wohnumfeld haben es MigrantInnen nicht immer leicht. In der kürzlich durchgeführten europäischen
Wertestudie8 trat zutage, dass die ÖsterreicherInnen von allen EuropäerInnen am wenigsten geneigt sind
Einwanderer als Nachbarn zu haben. Der negative politische Diskurs in Bezug auf die Migration, der seit
den 1990er Jahren in Österreich – von bestimmten politischen Gruppierungen geschürt – leider breit geführt
worden ist, hat auch in der wohlmeinenden Bevölkerung, auch wenn sie persönlich keine schlechten Erfahrungen
mit MigrantInnen gemacht hat, ihre Spuren hinterlassen. Misstrauen ist gewachsen, Vorurteile haben
zugenommen und erschweren insbesondere in sozial schwächeren Nachbarschaften – etwa in manchen
Wiener Gemeindebauten – das Zusammenleben. Zwar entpuppen sich Konflikte meist als solche, die in
Nachbarschaften immer schon üblich waren, doch werden sie jetzt vermehrt den kulturellen Eigenschaften der
Zuwanderer zugeschrieben. Wenn der Lärm der spielenden türkischen Kinder stört, vergisst man allzu leicht,
dass man vor Jahrzehnten, als noch keine MigrantInnen da waren, als Kind selbst vom Hausmeister oder von
Hausparteien vom Hof vertrieben worden ist, weil man zu laut war.


Tatsache ist aber, dass wohl auch unterschiedliche Wohnkulturen bestehen, die ethnische Hintergründe
haben. Großfamiliäre Strukturen südländischer MigrantInnen mit hoher gegenseitiger Besuchsfrequenz führen
zu mehr Lärmentwicklung und manchmal zu der sprichwörtlichen „Schuheansammlung“ vor der Wohnungstür
am Gang, die für eingesessene ÖsterreicherInnen irritierend ist.



8 http://ktf.univie.ac.at/wertestudie
32            Kolumnentitel




SüdländerInnen empfinden laut spielende Kinder selten als Ärgernis. Nutzungskonzepte was die gemeinschaft-
lichen Räume im Haus betrifft, sind manchmal durchaus kulturell geprägt und daher unterschiedlich. Es liegt auf
der Hand, dass sich dadurch Konfliktpotenzial ergibt.


In Deutschland sind SozialarbeiterInnen rund um größere Wohnanlagen durchaus keine Seltenheit mehr.
In Wien kümmern sich Organisationen wie die „Wohnpartner“ (in den Gemeindebauten, siehe
http://www.wohnpartner-wien.at/) und die „Gebietsbetreuungen“ für die übrigen Wohnbereiche (siehe
http://www.gbstern.at/) um nachbarschaftliches Miteinander.


Im Übrigen sind es wohl die gemeinnützigen Hausverwaltungen, die durch ihre Nähe zu dem sehr
persönlichen Lebensbereich Wohnen geradezu prädestiniert sind, bei der Integration eine Schlüsselstellung
einzunehmen, denn der interkulturelle Dialog in Wohnanlagen bedarf oft der Hilfestellung. Für einzelne
MieterInnen ist es auch mit gutem Willen nicht immer einfach, den ersten Schritt auf die/den anderen zu zu
tun und das Gespräch mit dem fremden Nachbarn zu beginnen. Hier tut sich ein Handlungsfeld für Haus-
verwaltungen auf, die auf unterschiedliche Weise vermitteln können.


Hausverwaltungen können auf die kulturelle und sprachliche Vielfalt




                                                                                                                                                                 © WBV-GPA
eingehen, zB durch das Verfassen und Vermitteln einer Hausordnung,
die für alle verständlich ist. Dazu können Cartoons ebenso verwendet
werden wie Mehrsprachigkeit. Des Weiteren kann eine Hausverwaltung
Anlässe und Gelegenheiten schaffen, den interkulturellen Dialog in Gang
zu setzen und zu fördern.


So sind etwa Haus- und Hoffeste eine gute Gelegenheit, Anliegen
von MieterInnen aufzunehmen, Botschaften zu vermitteln und im Haus
gemeinschaftsbildend zu wirken. Auch für künstlerische Interventionen,
die die Bewohnerschaft einbeziehen oder für Kulturprojekte wie Chöre
oder Tanzgruppen, sind Wohnanlagen ein idealer Ausgangspunkt und
eine gute Gelegenheit, vor allem auch jugendliche BewohnerInnen
jeglicher Herkunft, in gesellschaftliche Aktivitäten mit einzubeziehen.


Solche Initiativen sind, da sie auf Potenzial statt auf Defizite abstellen, weit wirksamer als traditionelle
Sozialarbeit. Es gibt dazu bereits zahlreiche erfolgreiche Beispiele.9 Interessant sind auch internationale
Modellprojekte wie zB die „Stadtteilmütter“ in Berlin-Neukölln (siehe http://www.stadtteilmuetter.de/), die,
entsprechend adaptiert, auch in österreichischen Städten erfolgreich umgesetzt werden könnten.




9 Die Wohnbauvereinigung für Privatangestellte hat im Kauerhof, einer von Menschen aus 18 verschiedenen Nationen bewohnten Anlage in Wien-Fünfhaus, eine
Kooperation mit dem Kulturverein Superar (http://superar.eu/). Dort wurden im Februar 2012 ein Kinder- und ein Jugendchor etabliert, die unter professioneller
Anleitung täglich proben und demnächst ihre erste öffentliche Aufführung absolvieren werden.
Kolumnentitel     33




INTERKULTURELLE WOHNPROJEKTE

Die Stadt Wien hat in den letzten Jahren mehrmals Wettbewerbe unter dem Motto „Interkulturelles Wohnen“
ausgeschrieben.Die Beiträge wurden in partizipativer Auseinandersetzung durch Bauträger, ArchitektInnen,
GrünraumgestalterInnen und IntegrationsexpertInnen entwickelt, um bauliche und soziale Lösungen zu finden,
die den Bedürfnissen der unterschiedlichen Kulturen gleichermaßen Rechnung tragen.


Interkulturelle Wohnprojekte sollten sowohl im Neubau als auch im Rahmen der Sanierung bzw. der Bezirks-
betreuung gefördert werden, da sie das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen zum Normalfall machen.



POLITISCHE FORDERUNGEN

Die wichtigsten politischen Forderungen mit Implikationen auf die Einbindung von Zuwanderern sind vor allem
die folgenden:


1.) Wohnbauförderung ausschließlich für Mietwohnungen. Im Hinblick auf knapper werdende öffentliche
    Mittel für Wohnbau sollten diese ausschließlich dem Mietsegment zugeführt werden.
2.) Zweckbindung der Wohnbauförderungsmittel des Bundes, die an die Länder gehen, ausschließlich für den
    Wohnbau. Derzeit wird dies nur in Wien praktiziert.
3.) Bundesweite Vereinheitlichung der Zugangsregeln für den geförderten Wohnbau
4.) Ausbau und Förderung von Nachbarschaftsservices und Kulturinitiativen im Wohnumfeld.
5.) Politische Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel, breites Verständnis für die Unterschiedlichkeit von Kulturen
    und Lebensformen zu schaffen in der Gewissheit, dass kulturelle Vielfalt eine große Bereicherung für
    unsere Gesellschaft ist.
34            Kolumnentitel




Kollektivvertragswirksame Anerkennungen

Gerald Musger, GPA-djp Interessengemeinschaften work@professional


97% aller Arbeitsverträge haben als Basis einen Kollektivvertrag. Damit ist Österreich Weltmeister. Zusammen
mit dem Recht des Betriebsrates, die richtige Einstufung im Kollektivvertrag zu überprüfen, gibt es also
rechtlich sehr gute Voraussetzungen, fehlerhafte Verträge und Diskriminierung durch zu geringe Entlohnung,
zu verhindern.


Dennoch ergeben sich viele Fragen der Anerkennung formaler Bildungsabschlüsse, vorgeschriebener
Qualifikationsnachweise sowie informeller Kompetenzen und Berufserfahrungen. Kollektivverträge enthalten
zwar explizit oder implizit das Verbot jeglicher Diskriminierung, dennoch ergeben sich aus Branchen- und
Staatenwechsel, eine Reihe systemischer Hürden, die erst einmal überwunden werden wollen.



UNTERSCHIEDLICHE EINSTUFUNGSKRITERIEN IN DEN KOLLEKTIVVERTRÄGEN

Kollektivverträge stufen die ArbeitnehmerInnen in der Regel in verschiedene (meist zwischen 5 und 11)
Gruppen ein, die nach unterschiedlichen Kriterien gegliedert und mit entsprechenden Tabellen von Mindest-
grundgehältern/Mindestlöhnen kombiniert sind.


Je nach Tradition der Branche und der Berufe, stehen dabei entweder die zertifizierten Qualifikationen
(Zeugnisse, Diplome)10 oder die theoretischen und praktischen Kompetenzen, unabhängig vom formalen
Abschluss11, im Vordergrund. Zusätzlich zu den erwähnten Kollektivvertragsgruppen sehen die meisten
Kollektivverträge auch die Berücksichtigung beruflicher Erfahrung, in zwei- oder mehrjährigen Vorrückungs-
stufen, vor.


Die Frage der Anerkennung stellt sich daher als komplex und auf verschiedenen Stufen dar. Da betriebliche
oder branchenweite Kollektivverträge anderer Länder manchmal weder Qualifikations- oder Tätigkeits-
beschreibungen kennen und auch berufliche Erfahrungen nicht immer berücksichtigen, sind BetriebsrätInnen
gut beraten, all diese Grundlagen einer korrekten kollektivvertraglichen Einstufung in Österreich, bei neu
ankommenden ArbeitsmigrantInnen, genau zu hinterfragen, damit keine Rechte verloren gehen.


Dazu kommt noch, dass in manchen Ländern größere Gruppen qualifizierter ArbeitnehmerInnen von den
Kollektivverträgen ausgenommen sind, während sie in Österreich in ihren Genuss kommen.


10 zB Kollektivvertrag für Gesundheits- und Sozialberufe (BAGS), Verwendungsgruppe 7:
Diplom-SozialbetreuerInnen mit Altenarbeit (AA), Behindertenarbeit (BA), Behindertenbegleitung (BB) und Familienarbeit (FA), Dipl. Gesundheits- und Krankenpflege-
personal (DGKP), DGKP mit Verwendung, zu deren Ausübung eine Sonderausbildung* notwendig ist, GroßküchenleiterInnen, HaustechnikerInnen, SachbearbeiterIn-
nen, Sicherheitsfachkräfte, Kindergarten- und HortpädagogInnen
*Sonderkindergarten- und -hortpädagogInnen, alleinverantwortliche Behindertenfachkräfte, Berufs- und SozialpädagogInnen (zB in dislozierten Wohngruppen und
in der beruflichen Rehabilitation), FrühförderInnen, LehrlingsausbildnerInnen mit Spezialaufgaben (zB im Behindertenbereich), Musik- und SportförderInnen, Lern- und
FreizeitbetreuerInnen, Fachkräfte in der Flüchtlingsbetreuung, alleinverantwortliche Fachkräfte für die Betreuung von TMA.

11 zB Kollektivvertrag Metallindustrie, Beschäftigungsgruppe H:
ArbeitnehmerInnen, die selbstständig schwierige und verantwortungsvolle Tätigkeiten mit beträchtlichem Entscheidungsspielraum verrichten, die besondere Fach-
kenntnisse und praktische Erfahrung erfordern. Weiters ArbeitnehmerInnen, die in beträchtlichem Ausmaß mit der Leitung von Projekten betraut sind und dabei im
Sinne der Tätigkeitsmerkmale der Beschäftigungsgruppe tätig werden. Ferner ArbeitnehmerInnen, die regelmäßig und dauernd mit der selbstständigen Führung,
Unterweisung und Beaufsichtigung von zumindest 4 ArbeitnehmerInnen, worunter sich mindestens 1 ArbeitnehmerIn der BschGr. G und 2 ArbeitnehmerInnen der
BschGr. F befinden müssen, beauftragt sind.
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  • 1. Migration und Integration im Blickfeld Positionen, Denkanstöße, Lösungsansätze
  • 2. 2 Inhaltliche Koordination Mag.a Lucia Bauer Mitarbeiterin im Büro des Vorsitzenden der GPA-djp; Politologin Dr. Martin Bolkovac Mitarbeiter in der GPA-djp Grundlagenabteilung; Politologe Impressum: Herausgeber: Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier Alfred-Dallinger-Platz 1, 1034 Wien Redaktion: Martina Tossenberger, Grundlagenabteilung Layout: Anita Schnedl, Marketing Fotos: Nurith Wagner-Strauss, David Payr, Fotolia, iStockphoto, Martin Bolkovac, GPA-djp, WBV-GPA DVR 0046655, ZVR 576439352 Stand: September 2012
  • 3. 3 © Nurith Wagner-Strauss © David Payr Vorwort Der Begriff Migration stammt vom lateinischen Wort migra bzw. migrare ab und bedeutet wandern, bzw. übersiedeln. Aufgrund unterschiedlicher Migrationsformen und -ursachen (so kann der Grund für Migration etwa ein kultureller, politischer, wirtschaftlicher, religiöser, ökologischer, ethnischer oder sozialer sein) werden in der Literatur und in den Medien verschiedene Definitionen angewandt. Ihnen allen gemeinsam ist aber die Erkenntnis, dass Migration ein auf Dauer angelegter Wechsel in eine andere Gesellschaft bzw. in eine andere Region darstellt. Im Rahmen des Bundesforums im Herbst 2012 startete die GPA-djp einen ausführlichen internen Diskussions- prozess zum Thema Migration und Integration, der im Juni 2012 in einem Grundsatzbeschluss des GPA-djp- Bundesvorstands mündete. Dieser Grundsatzbeschluss enthält eine Reihe wichtiger Themen, vom Spracherwerb über das Staats- bürgerschaftsrecht bis zu Anerkennung von im Ausland erworbenen Ausbildungen und der Frage nach der rechtlichen Vertretung von Menschen ohne Arbeitserlaubnis und schafft damit eine Basis für unser politisches Handeln. Ausgearbeitet wurden die konkreten Forderungen in mehreren Workshops mit externen und internen ExpertInnen, den Mitgliedern der work@migration und interessierten BetriebsrätInnen. Dabei entstand schließlich auch die Idee einige lose Fäden noch einmal aufzugreifen und bei wichtigen Punkten stärker in die Tiefe zu gehen. Den Raum für diese Diskussionserweitungen bietet die vorliegende Broschüre. Sie greift Themen wieder auf, die uns im Diskussionsprozess besonders wichtig erschienen, wie etwa die Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen oder den Erwerb der deutschen Sprache. In der Broschüre enthalten sind zudem aktuelle Neuerungen der österreichischen Migrationspolitik, die Rot- Weiß-Rot-Karte und das Lohn- und Sozialdumpinggesetz sowie internationale Fallbeispiele und ein kurzer Überblick zum Thema Rassismus im Betrieb. Wir sehen sowohl den Bundesvorstandsbeschluss als auch die Broschüre als wichtigen ersten Schritt einer wirklich seriösen Auseinandersetzung mit dem Themenfeld Migration und Integration, die damit sicher nicht abgeschlossen ist. Das liegt nicht nur im Interesse unserer vielen Mitglieder mit Migrationshintergrund sondern ist auch Teil unseres gesellschaftspolitischen Auftrags als Gewerkschaft. Dr.in Dwora Stein Wolfgang Katzian Bundesgeschäftsführerin Vorsitzender
  • 4. 4 Inhalt Forderungen der GPA-djp zum Thema Migration und Integration Zusammenfassung eines Antrages des GPA-djp Bundesvorstandes ........................................ Seite 5 Man schießt die Leute in Out – Interview mit Christian-Paolo Müller geführt von Hannah Putz ..................................................................................................................... Seite 9 Alltagsrassismus in Österreich Lucia Bauer ..................................................................................................................................... Seite 12 Das Lohn- und Sozialdumping-Gesetz: Resümee ein Jahr nach dem Auslaufen der Übergangsfristen Walter Gagawczuk .......................................................................................................................... Seite 16 Erste Erfahrungen mit dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz Ingrid Reischl ................................................................................................................................... Seite 21 Die Rot-Weiss-Rot-Karte: Das neue Modell der Arbeitskräftemigration nach Österreich Johannes Peyrl ................................................................................................................................. Seite 24 Wohnen ist ein Grundrecht Andrea Holzmann ............................................................................................................................ Seite 29 Kollektivvertragswirksame Anerkennungen Gerald Musger ................................................................................................................................ Seite 34 Bildungshürde Migrationshintergrund Barbara Kasper ............................................................................................................................... Seite 39 Sprache als Schlüssel zur Integration? Verena Plutzar ................................................................................................................................ Seite 44 Man hört wenig von den Ursachen, sondern nur von den Symptomen! Interview mit Didem Strebinger geführt von Hannah Putz ................................................................................................................... Seite 49 (Über-)leben und arbeiten ohne Papiere Andrea Schober ............................................................................................................................... Seite 52 Stell dir vor, die willst Arbeit und man gibt dir nur schlechte! Clara Fritsch .................................................................................................................................... Seite 54 Kanada – migrationspolitisches Vorzeigeland? Martin Bolkovac ............................................................................................................................... Seite 60 Europäische Gewerkschaften und Migration Martin Bolkovac ............................................................................................................................... Seite 62
  • 5. 5 Forderungen der GPA-djp zum Thema Migration und Integration Zusammenfassung eines Antrags des GPA-djp-Bundesvorstands beschlossen am 1. Juni 2012 RASCHERE UND LEICHTERE INTEGRATION IN DEN ARBEITSMARKT In Österreich hatten 2010 18% der Bevölkerung Migrationshintergrund1, deren Arbeitsmarktchancen bleiben jedoch stark hinter der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund zurück. Sie sind häufiger unter ihrem Qualifikationsniveau beschäftigt und auch häufiger arbeitslos. Die GPA-djp tritt daher für das Prinzip „Arbeit vor Sprache“ ein, weil das eine schnellere Arbeits- marktintegration und damit eine finanzielle Selbstständigkeit von MigrantInnen ermöglicht. Das AMS hat bei der Arbeitsmarktintegration eine zentrale Aufgabe zu erfüllen, der es bisher nicht ausreichend nachkommt. Zwar gibt es eine Reihe von Unterstützungen speziell für MigrantInnen, ein schlüssiges Gesamtkonzept ist allerdings bisher nicht zu erkennen. Die GPA-djp fordert daher nicht nur die Gleichstellung für Drittstaatsangehörige (dazu gehören auch Asylsuchende) mit EU-BürgerInnen beim Arbeitsmarktzugang, sondern richtet auch eine Reihe von Forderungen konkret an das AMS. Dazu gehört eine bessere Schulung von AMS-MitarbeiterInnen genau- so wie spezielle Mentoringprogramme und Ansprechpersonen für MigrantInnen bei den AMS-Außenstellen. ANERKENNUNG VON AUS DEM AUSLAND MITGEBRACHTEN QUALIFIKATIONEN Ein weiterer, ganz zentraler Punkt ist die Anerkennung von Qualifikation. Die Anerkennung und darauf aufbauend die richtige Einstufung ist im Interesse aller ArbeitnehmerInnen ein ganz zentrales Anliegen, und ein wirksames Mittel gegen Lohndumping. Kurz zusammen gefasst, fordert die GPA-djp daher einen Abbau von finanziellen und büro- kratischen Hürden für den Prozess der Anerkennung. Auch hier soll wiederum dem AMS eine wichtige Rolle zukommen. Eine zentrale Begutachtungsstelle, die idealer Weise beim AMS angesiedelt werden soll, soll sicherstellen, dass Bewertungen von Ausbildungen vorgenommen werden, die dann die Basis für die richtige Einstufung bilden. 1 Laut Definition der Statistik Austria bedeutet das, dass beide Elternteile im Ausland geboren sind. Die Statistik Austria unterscheidet dann noch zwischen MigratInnen der 1. Generation, die selbst eingewandert sind und MigrantInnen der 2. Generation, die in Österreich geboren wurden.
  • 6. 6 FÖRDERUNG DES SPRACHERWERBS Ebenfalls unverzichtbar ist eine sinnvolle Förderung des Spracherwerbs. Die GPA-djp fordert eine individuelle, kostenlose Sprachförderung statt Zwang – schon gar nicht VOR der Einreise nach Österreich. Denn Sprache ist ein Ergebnis eines Integrationsprozesses, nicht aber dessen Vorbedingung. EINRICHTUNG EINES MINISTERIUMS FÜR INTEGRATION Die GPA-djp begrüßt die Einrichtung des Integrationsstaatssekretariats, denn damit wurde eine jahrelange wichtige Forderung der GPA-djp umgesetzt. Weniger erfreulich ist allerdings die Tatsache, dass die Agenden Asyl und Integration weiterhin dem Innenministerium zugeordnet sind und der Integrationsstaatssekretär diesem unterstellt ist. Die GPA-djp fordert daher die Einrichtung eines Ministeriums für Integration. VEREINFACHUNG BEI EINBÜRGERUNG UND STAATSBÜRGERSCHAFT Für Menschen die dauerhaft in einem Land leben ist schließlich auch zentral, dass sie die Staatsbürgerschaft ohne unnötige Hürden erwerben können. Österreich hat im internationalen Vergleich eines der striktesten Staatsbürgerschaftsrechte und eine der niedrigsten Einbürgerungsraten. So sind etwa die Wartefristen auf eine Einbürgerung im europäischen Vergleich überproportional lang (10 Jahre). Dazu kommt, dass auch die Kosten für eine Einbürgerung außergewöhnlich hoch sind, sie betragen zwischen EUR 2.000,-- und EUR 5.000,--. Der europäische Trend geht dagegen in Richtung kostenfreie Staatsbürgerschaft. Die GPA-djp fordert daher auch, dass Kinder, die in Österreich geboren werden und deren Eltern sich schon seit mehreren Jahren legal hier aufhalten, automatisch die österreichische Staats- bürgerschaft erhalten. Zudem soll der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft wesentlich günstiger werden. Die Wartefrist auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft soll wesentlich verkürzt werden. GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE, KOMMUNALES WAHLRECHT, ZUGANG ZU SOZIAL- LEISTUNGEN Essentielle Voraussetzung für Integration ist die gleichberechtigte Möglichkeit zur gesellschaftlichen und politischen Teilhabe für alle Menschen, die hier leben. Die GPA-djp fordert daher: Das aktive und passive Wahlrecht auf kommunaler Ebene für alle Menschen, die legal in Österreich leben. Das soziale Netz muss für alle Menschen, unabhängig von der Staatsbürgerschaft, gleichermaßen zugänglich sein. Das muss auch für die Sozialleistungen von Ländern und Gemeinden gelten.
  • 7. 7 ERLEICHTERUNGEN BEIM FAMILIENNACHZUG Familienzusammenführung ist ein Grundrecht. Die GPA-djp fordert daher, dass Menschen, deren Familienangehörige hier leben, rasch und ohne bürokratische Hindernisse einwandern dürfen. Außerdem ein eigenständiges Aufenthaltsrecht und vollen Arbeitsmarktzugang für alle, die über eine Familienzusammenführung nach Österreich gekommen sind. BESSERE AUSBILDUNG FÜR JUGENDLICHE MIT MIGRATIONSHINTERGRUND Eine ganz zentrale Rolle spielt auch der Bereich der Bildung. Nicht nur Kindern mit Migrationshintergrund, sondern auch anderen Kindern mit sozialen oder sonstigen Benachteiligungen würde es nützen, wenn unser Bildungssystem durchlässiger gestaltet würde. Um die Selektion im österreichischen Bildungssystem anhand ethnischer Kriterien abzuschwächen, fordert die GPA-djp u.a.:  eine Ausweitung des verpflichtenden Kindergartenjahres bei rechtzeitiger Feststellung des Förderbedarfs,  mehr finanzielle Mittel für BegleitlehrerInnen,  Hilfe bei Sprachschwierigkeiten anstatt Sonderschule,  mehr Auswahl bei den Fremdsprachen als Pflicht- und Freigegenstände (zB Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Türkisch etc. als Maturafach),  flächendeckende Einführung einer gemeinsamen schulischen Grundausbildung in den ersten neun Jahren für alle SchülerInnen mit individuellem Unterricht und Fördermaßnahmen,  den Ausbau qualitativ hochwertiger Ganztagsschulen und  eine stärkere Bedachtnahme auf soziale und interkulturelle Durchmischung in Schulen. WOHNEN IST EIN GRUNDRECHT MigrantInnen leben in schlechteren Wohnverhältnissen. Sie finden immer schwieriger leistbaren Wohnraum und müssen einen überdurchschnittlich hohen Anteil ihres Einkommens für Wohnen aufwenden. Um MigrantInnen den Zugang zu leistbaren Wohnraum zu erleichtern, fordert die GPA-djp eine Reihe von Punkten, die darauf abzielen, versteckte und offene Diskriminierungen bei der Wohnungs- suche abzubauen.  Die Zugangsbestimmungen zu gefördertem Wohnraum sowie zu Beihilfen, wie Wohnbeihilfe oder Eigen- mittelersatzdarlehen, sind bundesweit zu vereinheitlichen.  Zuwanderer sind über die Möglichkeiten und die finanziellen Voraussetzungen, geförderten Wohnraum zu erhalten, umfassend zu informieren.  Beratende und vermittelnde Organisationen in Fragen des Zusammenlebens und bei Nachbarschafts- konflikten sind auszubauen.
  • 8. 8 MEHR RECHTE FÜR ARBEITNEHMERINNEN OHNE LEGALEN AUFENTHALTSTITEL UND/ODER ARBEITSPAPIERE MigrantInnen, denen auf Grund ihres Aufenthaltstatus der Zugang zum formellen Arbeitsmarkt verwehrt ist und die deshalb im informellen Sektor tätig sind, bewegen sich in einer Grauzone der Rechtlosigkeit und der Willkür. Das betrifft auch Personen, die einen legalen Aufenthalt, aber keine Beschäftigungsbewilligung haben. Diese Situation ist aber nicht nur für die einzelnen ArbeitnehmerInnen bedrohlich, sie führt auch zur Unterminierung von sozial- und kollektivvertragsrechtlichen Standards und stellt damit ein gesamtgesell- schaftliches Problem dar. Die GPA-djp fordert daher: Damit ArbeitnehmerInnen ohne legalen Aufenthaltstitel ihre Ansprüche auf Entgelt und Sozialversicherungsbeiträge geltend machen können, sollen sie während eines diesbezüglichen laufenden Rechtsstreits nicht abgeschoben oder ausge- wiesen werden können. Um diesen Menschen auch Beratungen anbieten zu können, sollen mittelfristig GPA-djp MitarbeiterInnen für Erstberatungen qualifiziert werden. ASYL ALS MENSCHENRECHT ABSICHERN Im Bereich Asyl fordert die GPA-djp schließlich die Abschaffung der Schubhaft, vor allem in der jetzigen verschärften Form, die mit der Fremdrechtsnovelle vom 1.1.2010 in Kraft getreten ist, und fordert das Innenministerium dazu auf, eine eingehende Analyse des Fremdenrechts unter Einbeziehung von ExpertInnen einzuleiten, als Ausgangsbasis für eine Diskussion des Reformbedarfs.
  • 9. 9 „Man schießt die Leute ins Out.” Interview mit Christian-Paolo Müller (geführt von Hannah Putz) Du engagierst dich bei work@migration, könntest du kurz erklären um was es euch dabei geht? Welche Anliegen gibt es? Erstens ist es sehr wichtig, dass es diese Interessen- gemeinschaft gibt, denn es hat sich das Klima innerhalb der österreichischen Gesellschaft sehr verschlechtert. Es ist gesellschaftsfähig geworden, ausländerfeindlich zu sein. Österreich ist da bestimmt in keiner guten Position und aus diesem Grund gibt es work@migration. Leute mit Migrationshintergrund – das höre ich mittlerweile schon gar nicht mehr so gerne – sollen ein Sprachrohr für ihre Probleme finden, darin sehe ich die Aufgabe für work@migration. Aber auch die Vernetzung und natürlich die Unterstützung, besonders von der GPA-djp und dem ÖGB, für unsere Anträge, Anliegen und Vorstellungen sind von enormer Bedeutung. Welche Funktionen nehmt ihr in der GPA-djp wahr? Wir sind ein Sprachrohr, wir zeigen Probleme auf, bieten Lösungen an und bringen diese auch vor. Darin sehe ich die wichtigste Aufgabe. Welche Probleme sind das im Allgemeinen? Probleme am Arbeitsplatz, am Arbeitsmarkt, in der Wahrnehmung der Gesellschaft. Bildung ist ein großes Problem, es gibt einen Missstand bei den Bildungseinrichtungen, sogar Wohnraumbeschaffung ist ein Problem. Es gibt kaum irgendwelche Felder des täglichen Lebens, mit denen wir uns nicht zu befassen haben. Das klingt zwar sehr düster, aber es ist leider so. Das heißt es geht auch stark um alltägliche Diskriminierung ... ... ja, und das in allen Lebensbereichen. Ich habe das Glück, davon nicht so betroffen zu sein, aber denken wir an die Staatsbürgerschaft. Es gibt in Österreich kein Recht der Geburt. Daraus ergibt sich folgende Problematik, die ich in einem Beispiel aufzeigen will. Ich habe eine Freundin, die 30 Jahre in Österreich lebt, sie ist Tochter eines Afrikaners und einer Tschechin. Die Eltern haben sich nicht so sehr um die Staatsbürger- schaft bemüht und man wollte die Frau nach 30 Jahren ausweisen! Sie ist hier aufgewachsen, spricht Deutsch und ist leider Ihrer „Muttersprache" nicht mächtig. Man muss die deutsche Sprache lernen, das ist richtig, das hat aber nichts mit der Wahrnehmung der Leute zu tun. Auch der Kontakt mit Behörden, neben Wohnungs- und Arbeitsbeschaffung sind ein Problem. Ich bin österreichischer Staatsbürger und auch ich bin in der Wahr- nehmung der Gesellschaft, obwohl ich hier meinen Lebensmittelpunkt habe, ob meines Aussehens kein richtiger „g´standener“ Österreicher.
  • 10. 10 Man versucht auch immer die Ausländer zu trennen: Fußballspieler, Diplomaten und Künstler sind natürlich die „guten“ Ausländer. Die Deutschen sind überhaupt keine Ausländer. Die Personen, die ihre tägliche Arbeit an der Baustelle verrichten, im Krankenhaus – ohne Ausländer würde auch unser Gesundheitssystem nicht funktionieren – in der Fabrik usw., das sind die „schlechten“ Ausländer. Bestimmt auch ein soziales Problem. Was ärgert dich diesbezüglich am meisten an den geführten Debatten in den österreichischen Medien? Am meisten ärgert mich, dass sich die Medien Themen bedienen, die sehr negativ bewertet werden von bestimmten Leuten und dazu genutzt werden, Stimmung zu machen. Das zeigt natürlich schon auch ein Bild der Gesellschaft, denn populistisch kann ja nur das sein, was in der breiten Masse schon auch eine Zustimmung findet. Es gibt relativ wenig Aufklärung, man hat sehr wenig darüber gesprochen. Denn wenn es irgendwo ein kriminelles Problem gibt, ist es doch kein Integrationsproblem, und das wird leider ziemlich ausgeschlachtet. Wo siehst du Anknüpfungspunkte für Veränderungen diesbezüglich? Aufklärung wird wahrscheinlich das Um und Auf sein, ohne Aufklärung wird es nicht möglich sein, die Wahrnehmung der Leute zu verändern. Immer weiterarbeiten, Aktionstage organisieren, auf uns und auf die Problematik der Nichtgleichbehandlung aufmerksam machen, wobei ich mir dessen bewusst bin, dass sich nicht 100% der Leute dafür interessieren. Aber es wird doch einige geben, die zumindest darüber nachdenken. Welche Forderungen des Migrationsleitantrags der GPA-djp findest du dringend notwendig? Dringend notwendig ist es, dass man das Bildungsangebot verbessert. Das Erlernen der deutschen Sprache ist aber nicht das einzige Manko, dass es im Bildungsangebot gibt. Bildung ist leider kein Garant für eine Beschäftigung! Da muss sich die Politik und die Gewerkschaft mehr ins Zeug legen, dass hier etwas passiert. Man muss auch innerhalb der Gewerkschaft manchmal ein bisschen mehr auf uns aufmerksam machen, weil auch da gibt es manchmal entbehrliche Zurufe. Liegt es deiner Meinung nach am fehlenden Interesse, wollen sich die Menschen damit nicht auseinandersetzen? Es ist schon zum Teil fehlendes Interesse, aber nicht nur, es gibt vor allem auch innerhalb der Gewerkschaft Aussagen, die nichts mit fehlendem Interesse zu tun haben. Das heißt, dass es innerhalb der Gewerkschaft Aufholbedarf gibt? Viel mehr Aufholbedarf, viel mehr Aufklärung! Auch innerhalb der Gewerkschaft sind nur wenige Funktionäre in höheren Positionen, die einen Migrationshintergrund haben. Um Forderungen auch politisch umzusetzen, muss es innerhalb der Gewerkschaft mehr Sensibilisierung geben ... ... es soll vielleicht auch ein bisschen mehr Bedeutung bekommen. Also die Forderungen gibt es ja, es ist ja nicht so, dass man darüber nicht Bescheid weiß. Vielleicht muss man die mit ein bisschen mehr Nachdruck einfordern, weil eine Lobby haben wir in den Gremien nicht. Darin besteht natürlich auch eine Aufgabe von work@migration, dass man sich vernetzt, dass man eine Lobby bildet.
  • 11. 11 Nochmal zu den Forderungen im Migrationsleitantrag ... ... neben den Forderungen zur Qualifikationsanerkennung, Doppelstaatsbürgerschaft und Familien- nachzug wird auch die Öffnung des Arbeitsmarktes sehr wichtig sein, weil man auch mit dem Verwehren von Beschäftigung die Leute ins Out schießt. Es gibt eigentlich nichts, wo nicht Nachholbedarf besteht. Man wird mit den Forderungen, die man anbringt, auch aussieben müssen, welche dann die wichtigsten sind. Aber in Wirklichkeit gibt es kein Thema das uns nicht auch betrifft. Was würdest du jemanden entgegnen, der andere Menschen auf Grund von Herkunft, Sprache, Hautfarbe etc. diskriminiert? Wie würdest du reagieren, privat oder beruflich? Zu dieser Haltung würde mir nicht viel einfallen, da gibt es für mich einfach Null Toleranz. Aber da sind wir dann wieder bei dem Thema Aufklärungsarbeit. Tauschen wir doch Ausländerangst mit Aufklärung und Integrationsprobleme mit Chancengleichheit! Vielen Dank für das Gespräch!
  • 12. 12 Alltagsrassismus in Österreich Lucia Bauer, GPA-djp Büro des Vorsitzenden 706 rassistische Vorfälle in ganz Österreich wurden 2011 von der Antirassismusorganisation ZARA2 dokumentiert3 . Rassismus beeinträchtigt nahezu alle Lebensbereiche von Personen, die eine andere ethische Herkunft, Hautfarbe oder Sprache haben als die Mehrheitsgesellschaft. Rassismus ist kein Kavaliersdelikt, sondern macht den Betroffenen, im wahrsten Sinne des Wortes, das Leben schwer, behindert bei Arbeitsplatz- und Wohnungssuche und manchmal sogar beim Einkaufen oder bei einem Lokalbesuch. Da es keine offizielle und umfassende Dokumentation und Erfassung rassistischer Zwischenfälle in Österreich gibt, kann man davon ausgehen, dass die von ZARA dokumentierten Fälle nur eine kleine Auswahl bilden. Trotzdem liefern sie ein gutes Bild darüber ab, was Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich manchmal zugemutet wird: Ein Mann aus Kamerun wird an einer Wiener Tankstelle von 2 Männern zusammengeschlagen und schwer verletzt. Die Kassierin weigert sich die Polizei zu rufen. Pöbeleien in der Straßenbahn, eine versuchte Brand- stiftung in einem türkisch-islamischen Gebetshaus in Kufstein. Ein rassistisch motivierter Mord an einem Rumänen in Traun und versuchter Mord an dessen Familie. Einem Mann gambischer Herkunft mit österreichischer Staats- bürgerschaft wird die Familienbeihilfe für seine Tochter nur befristet gewährt, weil laut Finanzamt der Verdacht missbräuchlicher Verwendung bestehe. Frauen mit Kopftuch schlägt bei der Arbeitssuche offene Ablehnung entgegen, mit Kopftuch könne man nicht arbeiten. Menschen mit dunkler Hautfarbe werden in Restaurants nicht bedient und in Lokale mit Türsteher erst gar nicht eingelassen. Einer Frau aus Chile wird die Eröffnung eines Kontos verweigert, weil man sie für eine Sexarbeiterin hält. Wohnungs- und Stellengesuche bestehen auf „Inländer“ und auch im Internet und auf Social Media Plattformen häufen sich laut ZARA die rassistischen Vorfälle. Besonders hartnäckig sind Kettenmails, die oft jahrelang immer wieder weiter geschickt werden und so zur Legendenbildung rund um angebliche privilegierte MigrantInnen beitragen. Nicht tot zu bekommen ist etwa ein seit 2009 kursierendes Kettenmail, in dem behauptet wird, es gäbe zahllose RumänInnen und BulgarInnen, die nicht in Österreich wohnen würden, aber hier Ausgleichszulage bezögen. Die Wahrheit ist, dass die österreichische Pensionsversicherung hier äußerst streng und genau vorgeht und Ausgleichzulagenbezieher auch wiederholt kontrolliert. Zudem stehen etwas mehr als 800 EU-BürgerInnen, die hier leben und eine österreichische Ausgleichszulage beziehen alleine 1.300 ÖsterreicherInnen gegen- über die eine schweizerische Ausgleichzulage beziehen und ähnliches gilt auch für AuslandsösterreicherInnen in anderen europäischen Staaten. Offizielle Klarstellungen von Pensionsversicherung und Sozialministerium, die ebenfalls in Umlauf geschickt werden, können den rassistischen Mythos vom ausländischen Sozial- schmarotzer jedoch nicht durchbrechen. 2 Zivilcourage- und Antirassismusarbeit 3 Rassismus Report 2011. Einzelfallbericht über rassistische Übergriffe und Strukturen in Österreich
  • 13. 13 WAS IST EIGENTLICH RASSISMUS? Rassismus ist eine Ideologie, die menschliche Eigenschaften auf die Zugehörigkeit zu einer biologistisch begründeten „Rasse“ zurückführt. Menschen mit rassistischen Vorurteilen diskriminieren andere aufgrund dieser Zuordnung. In seiner institutionalisierten Form bewirkt Rassismus, dass bestimmten Gruppen Vorteile und Leistungen verweigert werden, während andere Gruppen privilegiert werden. Mit rassistischen Theorien und Argumentationsmustern lassen sich Menschen für unterschiedliche politische Ziele mobilisieren. ALLTAGSRASSISMUS Die von ZARA dokumentierten Vorfälle aus dem Alltagsleben beruhen aber meist nicht auf einer ausgefeilten Ideologie, sondern sind Folge eines weit verbreiteten Alltagsrassismus, der alle Menschen, die sich in Hautfarbe, Sprache oder Religion von der Mehrheitsbevölkerung unterscheiden als „Ausländer“ wahr- nimmt und zwar unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft. Typisch für den, auch in einigen Medien verbreiteten, Alltagsrassismus in Österreich ist, dass den „Ausländern“ bestimmte stereotype Eigenschaften zugeschrieben werden: Sie werden als laut, unzivilisiert, faul oder kriminell bezeichnet. Auch das klassische „Ausländerdeutsch reden“ ist die Folge eines solchen Stereotyps, das davon ausgeht, dass MigrantInnen grundsätzlich nicht deutsch verstehen. Besonders viele Stereotype werden MuslimInnen zugeordnet. Sie werden oft pauschal als Gefahr für die öster- reichische Gesellschaft betrachtet. Die Folgen dieser rassistischen Anfeindungen und Ausgrenzung sind für die Betroffenen zum Teil gravierend. Sie führen dazu, dass viele MigrantInnen sich in ihre eigenen Communities zurück ziehen. Sie bewirken konkrete Benachteiligungen am Wohnungsmarkt und im Bildungsbereich, wenn Kinder von MigrantInnen aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse zu wenig gefördert werden und sich soziale Unterschiede auch in die 2. und 3. Generation fortsetzen. Auch im Arbeitsleben bewirken nicht zuletzt rassistische Vorurteile, das viele MigrantInnen – trotz guter Qualifikationen – in schlecht bezahlten und minder- qualifizierten Jobs arbeiten müssen. RASSISMUS AM ARBEITSPLATZ Rassisitisches Verhalten beginnt auch nicht erst dort, wo offen gepöbelt oder Gewalt ausgeübt wird. Rassistisches und fremdenfeindliches Verhalten ist Teil unseres Alltagslebens und begegnet uns in allen Lebens- bereichen, mit der Konsequenz, dass wir uns schließlich daran gewöhnt haben. Wir neigen dazu, rassistische Bemerkungen von KollegInnen nicht mehr bewusst wahrzunehmen. Rassistisches Verhalten am Arbeitsplatz und daraus resultierende Diskriminierungen werden daher auch nur selten bewusst angesprochen. MigrantInnen selbst erleben die mehr oder weniger unterschwelligen Anfeindungen dagegen oft bewusst, haben aber Hemmungen sie zur Sprache zu bringen. Viele fürchten sich vor möglichen Problemen oder haben resigniert, weil sie das Gefühl haben, dass Gegenwehr ohnehin nichts bringt. Ungleichbehandlung wird auf diese Weise leicht zur Normalität sowohl für In- als auch für AusländerInnen.
  • 14. 14 Neben den formalen Regeln, die das betriebliche Zusammensein regeln, hat jeder Betrieb auch eine Reihe informeller Regeln. Diesem „heimlichen“ Gesetzbuch kommt oft eine sehr große Bedeutung zu. Es regelt Pausenverhalten, Begrüßungen und innerbetrieblichen Aufstieg. „Normal“ ist in diesem Sinne, was im Betrieb üblich ist und wer neu dazu kommt, muss die Regeln erlernen. Diskriminierendes Verhalten, das Bestandteil dieses inoffiziellen Regelwerks ist, lässt sich daher besonders schwer bekämpfen. Eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes hat als weiteren Grund für betriebliche Benachteiligungen von MigrantInnen festgestellt, dass diese oft durch das „Leistungsprinzip“ begründet und Ungerechtigkeiten so scheinbar objektiv begründbar werden: MigrantInnen verdienen weniger und machen weniger qualifizierte Arbeit, weil sie weniger gut Deutsch können und weniger Qualifikationen haben und weniger leisten. So wird Diskriminierung nicht nur schweigend akzeptiert sondern auch erfolgreich umgedeutet zu einem sachlich argumentierbaren Unterschied. STRUKTURELLER RASSISMUS Rassismus besteht jedoch nicht nur aus einzelnen Vorfällen in Betrieb oder Alltagsleben, sondern tritt auch in struktureller Form auf. Als strukturellen Rassismus kann man Gesetze bezeichnen, die Menschen aufgrund ihrer Herkunft politische oder soziale Rechte verweigern. Dass die sogenannten Ausländergesetze in Österreich in den vergangenen Jahren immer wieder verschärft wurden, trägt ganz wesentlich dazu bei, dass der soziale Aufstieg von MigrantInnen oft schon im Keim erstickt wird. Auf Ebene der betrieblichen Mitbestimmung zeigt sich das Problem der strukturellen Benachteiligung nicht zuletzt beim passiven Wahlrecht zum Betriebsrat/zur Betriebsrätin. Zwar dürfen in Österreich seit 2006 neben EU- und EWR-BürgerInnen auch Menschen aus Ländern, die mit der EU ein Assoziierungsabkommen abgeschlossen haben, wie etwa die Türkei, zum Betriebsrat kandidieren, alle anderen bleiben aber auch weiterhin von der Mitarbeit im Betriebsrat ausgeschlossen. Von der GPA-djp seit langem gefordert, ging dieser Gesetzesänderung ein langer Kampf voraus. Letztlich war dieser wichtige Schritt für mehr Gleichberechtigung im Betrieb allerdings weniger der Einsicht der politischen EntscheidungsträgerInnen als mehr einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2004 zu verdanken. RASSISMUS IM BETRIEB BEKÄMPFEN Gegen rassistisches und diskriminierendes Verhalten im Betrieb gibt es zwar kein allgemein gültiges Rezept, jedoch eine Reihe von einfachen Maßnahmen, die sich in der Praxis bewährt haben und daher zu Nachahmung empfohlen werden können:  Zentrale Voraussetzung für alle weiteren Maßnahmen ist, dass sich der Betriebsrat klar und öffentlich gegen Rassismus positioniert und die Beschäftigten bestärkt, Diskriminierungen nicht einfach hinzunehmen, sondern zu melden.
  • 15. Kolumnentitel 15  Als sinnvoll hat es sich auch erwiesen, die Personalpolitik des Betriebes (Einstellungen, Versetzungen, Beförderungen,…) gezielt auf strukturelle Benachteiligungen von MigrantInnen zu untersuchen. Auch wenn auf den ersten Blick alles korrekt aussieht, kann eine genaue Überprüfung noch Überraschungen bringen.  Entscheidend für eine Antirassismuspolitik im Betrieb, kann es auch sein, alltägliche rassistische oder diskriminierende Bemerkungen zu dokumentieren. Dazu kann ein eigenes Beschwerdebuch angelegt werden, aber auch die Betriebsratszeitung bzw. der Betriebsratsblog genutzt werden und/oder regelmäßig ein Gleichstellungsbericht erstellt werden. So lässt sich verhindern, dass Alltagsrassismus im Betrieb als „normal“ angesehen wird.  In großen Betrieben kann auch eine Betriebsvereinbarung über den Umgang mit Rassismus im Betrieb und/oder den Einsatz von KonfliktlotsInnen sinnvoll sein. DAS GLEICHBEHANDLUNGSGESETZ Neben den Maßnahmen, die auf betrieblicher Ebene gesetzt werden können, bietet seit 2004 auch das Gleichstellungsgesetz Schutz vor Diskriminierung in der Arbeitswelt. Der im Gesetz festgeschriebene Schutz vor Diskriminierung in der Arbeitswelt gilt bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses, der Festsetzung des Entgeltes (Lohn/Gehalt, Zulagen, Zuschläge etc.), der Gewährung freiwilliger Sozialleistungen, bei Maß- nahmen der Aus- und Weiterbildung, bei Beförderungen und beruflichem Aufstieg, bei Benachteiligung bei sonstigen Arbeitsbedingungen und bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Darüber hinaus richtet sich das Gleichbehandlungsgesetz auch gegen Diskriminierung in der sonstigen Arbeitswelt. Das betrifft unter anderem Angebote des Arbeitsmarktservice sowie privater Bildungseinrichtungen (zB BFI, WIFI). Menschen, die sich diskriminiert fühlen, haben verschiedene Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren. In jedem Fall ist es wichtig festzuhalten, wer was wann gesagt oder getan hat. Vor allem dann, wenn es nötig ist, vor Gericht zu gehen. Am besten ist es in diesem Fall, ein Tagebuch zu führen. Opfer von Diskriminierung können sich entweder an das Gericht wenden und dort Schadenersatz fordern, mit ihrem Fall zur eigens eingerichteten Gleichbehandlungskommission gehen oder auch beide Wege gleichzeitig einschlagen. Da es für Betroffene oft schwierig ist, Vorfälle zu beweisen, reicht es aus, dass sie das Vorliegen einer Belästigung und/oder Diskriminierung vor Gericht glaubhaft machen. Die beklagte Partei muss den Vorwurf der Diskriminierung widerlegen. Alle diese Möglichkeiten können dazu beitragen, gegen Rassismus und Diskriminierung im Betrieb vorzugehen und dadurch letztlich auch das Klima zwischen in- und ausländischen KollegInnen zu verbessern. Klar ist aber auch: Bei der Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz sind alle gefragt, Arbeit- nehmerInnen, ArbeitgeberInnen und Gewerkschaften – sie sind gefordert, rassistische Vorfälle ernst zu nehmen, anzusprechen und ihnen so den Nährboden zu entziehen. Wichtige Anregungen, wie Diskriminierung im Betrieb möglichst vermieden werden, und wie, wenn es doch dazu kommt, damit umgegangen werden kann, bietet auch eine Broschüre des ÖGB: „Leitfaden gegen Diskriminierung“ (zu finden unter: www.oegb.at/antidiskriminierung) siehe diesbzgl. auch das AK/VÖGB- Skriptum „PGA-9 Rassismus im Betrieb“ (zu finden unter www.voegb.at)
  • 16. 16 Kolumnentitel Das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz RESÜMEE EIN JAHR NACH DEM AUSLAUFEN DER ÜBERGANGSFRISTEN Walter Gagawczuk, Arbeiterkammer Wien DIE ARBEITSMARKTÖFFNUNG – EIN BLICK ZURÜCK Im Jahr 2004 sind 10 Staaten der Europäischen Union beigetreten. Für 8 dieser Staaten wurden in den Beitrittsverträgen Übergangsfristen am Arbeitsmarkt vereinbart. Dabei handelt es sich um die Länder Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. Die Übergangsfristen bedeuteten, dass für die Beschäftigung von Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen aus diesen Staaten weiterhin Beschränkungen aufrechterhalten werden konnten. Österreich hat diese Möglichkeit auch bis Ende April 2011 in Anspruch genommen. Danach musste unabhängig von der Situation am Arbeitsmarkt entsprechend den Beitrittsverträgen volle Freizügigkeit am Arbeitsmarkt gewährt werden. In der Übergangszeit von sieben Jahren wurden insbesondere auf Drängen von Arbeiterkammer, ÖGB und Gewerkschaften Maßnahmen getroffen, um den österreichischen Arbeitsmarkt auf die neue Situation vorzu- bereiten. Die Lohnunterschiede mit den neuen Mitgliedsländern waren bzw. sind nach wie vor sehr hoch und die geografischen Entfernungen sind relativ gering. Es war daher davon auszugehen, dass im Falle eines starken Zustroms von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen nach Österreich die Konkurrenz auf dem Arbeits- markt steigen würde. Dies vor allem im Bereich der niedrigen Qualifikationsstufen. Dort ist naturgemäß auch die Gefahr des Arbeitsplatzverlustes am höchsten und die Löhne und Gehälter am niedrigsten. In den Jahren vor 2011 konnte nun vor allem durch den Ausbau der aktiven Arbeitsmarktpolitik, also insbesondere durch Schulungsmaßnahmen, die Unterstützungsmöglichkeiten für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ausgebaut werden. Durch die Facharbeiterverordnung kam es zu einem dosierten, auf die Arbeitsmarktsituation abgestimmten Arbeitsmarktzugang von Arbeitskräften aus den neuen Mitgliedsländern und die Reduktion der Saisonnierkontingente hatte zum Ziel in den Bereichen Gastgewerbe und Landwirtschaft Verdrängungseffekte und Lohnkonkurrenz zu vermeiden. Als wichtigstes Instrumentarium zur Vorbereitung auf die Arbeitsmarktöffnung wurde aber das Lohn- und Sozial- dumping-Bekämpfungsgesetz angesehen. Dieses soll vor allem in Hinblick auf das große Lohngefälle zu den neuen Beitrittsländern ein Unterbieten unter dem Kollektivvertrag verhindern.
  • 17. Kolumnentitel 17 DAS LOHN- UND SOZIALDUMPING-BEKÄMPFUNGSGESETZ Auf Grund des großen Lohngefälles gibt es im Prinzip einen starken Anreiz für Unternehmen durch den Einsatz von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen aus den neuen Mitgliedsländern zu „günstigen“ Löhnen ihre Leistungen billiger anbieten zu können und sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Die Einhaltung inländischer kollektivvertraglicher Mindestlöhne ist zwar vorgesehen, aber vor in Kraft treten des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes war es grundsätzlich nur möglich eine allfällige Differenz zwischen tatsächlich erfolgter und kollektivvertraglich vorgeschriebener Entlohnung zivilrechtlich über Gerichte einzuklagen. In der Praxis ist dies aber kaum je erfolgt. Meist bekommen die ArbeitnehmerInnen für die Auslandseinsätze mehr als in ihrem Herkunftsland und der Anreiz, die Differenz einzufordern ist kaum gegeben. Auch müssen ArbeitnehmerInnen damit rechnen, dass sie nach Einbringung der Klage nicht mehr weiter beschäftigt werden. Insbesondere bei kurzfristig entsandten oder grenzüberschreitend überlassenen ArbeitnehmerInnen hat die Erfahrung gezeigt, dass die bloße Möglichkeit, die Ansprüche selbst geltend zu machen, nicht zur Durchsetzung geeignet ist. Auch ist das Risiko des/der Arbeitgeber(s)in sehr gering. Schlimmstenfalls muss er ja nur das zahlen, was er sowieso zahlen müsste. Seit Jahren haben Gewerkschaften und Arbeiterkammern daher in Österreich eine behördliche Entgelt- kontrolle mit Sanktionen bei Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Löhne und Gehälter gefordert. Das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz sieht derartiges nun seit Mai 2011 vor. Die Höhe der Sanktionen orientiert sich dabei am Ausländerbeschäftigungsgesetz. Der Strafrahmen liegt zwischen EUR 1.000,-- und EUR 10.000,-- pro ArbeitnehmerIn. Bei Lohndumping in Bezug auf mehr als drei Arbeit- nehmerInnen erhöht sich der Strafrahmen pro ArbeitnehmerIn automatisch. Er liegt dann zwischen EUR 2.000,-- und EUR 20.000,-- pro ArbeitnehmerIn und im Wiederholungsfall zwischen EUR 4.000,-- und EUR 50.000,--. Würde etwa eine Baufirma damit spekulieren, sich durch unterkollektivvertragliche Löhne einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen und es wird auf der Baustelle Lohndumping in Bezug auf 5 ArbeitnehmerInnen festgestellt, so wäre die Mindeststrafe EUR 10.000,-- (EUR 2.000,-- x 5) bzw. der Strafrahmen wäre EUR 10.000,-- bis EUR 100.000,--. Im Wiederholungsfall wäre die Mindeststrafe dann EUR 20.000,-- und der Strafrahmen EUR 20.000,-- bis EUR 250.000,--. Auch müsste der/die ArbeitgeberIn mit dem Entzug der Gewerbeberechtigung oder – im Fall eines/r ausländischen Arbeitgeber(s)in – mit der Untersagung der Tätigkeit in Österreich für zumindest ein Jahr rechnen. Keine Sanktion erfolgt u.U., wenn eine geringe Unterschreitung des kollektivvertraglich vorgeschriebenen Mindestlohnes bzw. ein geringes Verschulden des/der Arbeitgeber(s)in vorliegt. Die Umstände, die dafür hinzutreten müssen sind, dass es sich um das erste Mal handelt und der/die ArbeitgeberIn dem/der Arbeit- nehmerIn den gebührenden Lohn nachzahlt. Dahinter steht der Gedanke, dass in solchen Fällen der unter- kollektivvertraglichen Bezahlung nicht das Erzielen eines Wettbewerbsvorteils ausschlaggebend war. Aus- drücklich hervorgehoben hat der Gesetzgeber auch, dass eine Nachzahlung des gebührenden Entgelts an den/die ArbeitnehmerIn jedenfalls bei der Strafbemessung strafmildernd zu berücksichtigen ist. Damit wird ein klarer Anreiz an den/die ArbeitgeberIn zur Nachzahlung gegeben.
  • 18. 18 Kolumnentitel ERSTE UMSETZUNGSSCHRITTE Verschiedene Umstände haben dazu geführt, dass für die Vollziehung des Lohn- und Sozialdumping- Bekämpfungsgesetzes verschiedene Behörden zuständig sind. Konkret sind dies die Finanzpolizei, das bei der Wiener Gebietskrankenkasse eingerichtete Kompetenzzentrum, die Gebietskrankenkassen der jeweiligen Bundesländer, die Bauarbeiter-, Urlaubs- und Abfertigungskasse und die Bezirksverwaltungsbehörden. Die Vollziehung war daher in mehrfacher Hinsicht gefordert. Es ging nicht bloß um ein neues Gesetz, sondern darüber hinaus war eine gute Koordination dieser Behörden notwendig. Auch handelt es sich oft um Verfahren mit Auslandsbezug. Ein Umstand, der die Abläufe meist schwieriger und aufwändiger macht und sie mit zusätzlichem Risiko behaftet. Weiters ist für die Finanzpolizei und die Bezirksverwaltungsbehörden die Lohn- kontrolle und daher die damit im Zusammenhang stehende notwendige Kenntnis über das Kollektivvertrags- wesen ein Novum. Die Behörden hatten zudem wenig Zeit sich auf die neue Rechtslage einzustellen. Es war zwar seit längerem bekannt, dass ein entsprechendes Gesetz verhandelt wird, die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt erfolgte jedoch erst am 28.4.2011 und selbst für Insider war der endgültige Inhalt des Lohn- und Sozialdumping- Bekämpfungsgesetzes erst kurze Zeit vorher bekannt. Es waren daher sehr kurzfristig Schulungen und Koordinationstreffen der involvierten Behörden auf verschiedenen Ebenen und in den Bundesländern erforderlich. Dies erfolgte auch. Ein – soweit überblickbar – auf Grund des großen zeitlichen Drucks wenig koordiniertes, aber trotzdem konzertiertes Zusammenspiel von BMASK, Interessenvertretungen und sonstigen Einrichtungen ermöglichte es innerhalb weniger Wochen die involvierten Behörden und sonstigen Akteure über die Inhalte des neuen Gesetzes zu informieren und zu schulen, sowie eine Struktur für die notwendige Koordination und Kooperation aufzubauen. Dies war aber nur der erste Schritt. Koordination und Kooperation muss gelebt und gepflegt werden. Es war der AK und den Gewerkschaften daher ein besonderes Anliegen, dass hier nachhaltig eine Art Monitoring stattfindet. Zudem ist es notwendig allfällige Schwierigkeiten bei der Vollziehung rasch zu erkennen um darauf entsprechend reagieren zu können. Auch hier kann man vom gegenwärtigen Standpunkt aus zufrieden sein. Es erfolgen regelmäßige Treffen der Behörden zwecks Erfahrungsaustausch, Kooperation und Koordination. Zudem soll – so ausdrücklich die Erläuterungen zum Gesetz – zwei Jahre nach in Kraft treten des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes dessen Wirksamkeit überprüft werden. Sehr bald hat sich gezeigt, dass das neue Gesetz nicht nur bei den zuständigen Behörden auf großes Interesse gestoßen ist, sondern insbesondere auch bei den unmittelbar und mittelbar Betroffenen. Im Bereich der AN und insbesondere deren Vertreter und Vertreterinnen war diesbezüglich eine vom BMASK in Zusammenarbeit mit ÖGB Verlag, Gewerkschaften und Arbeiterkammern organisierte Veranstaltungsreihe im Mai und Juni 2011 sehr erfolgreich. In Linz, Graz, Salzburg und Wien wurden GewerkschaftsvertreterInnen und BetriebsrätInnen zu Fragen der Arbeitsmarktöffnung nicht bloß mittels Vorträgen etc. informiert, sondern es wurde auch die Möglichkeit geboten, Fragen und konkrete Problemstelllungen einzubringen, die in Workshops bearbeitet wurden. An diesen Veranstaltungen haben insgesamt 945 Personen teilgenommen. Näheres dazu unter http://www.arbeitsmarktoeffnung.at
  • 19. Kolumnentitel 19 Auch auf ArbeitgeberInnenseite erfolgten Veranstaltungen und schriftliche Informationen, sodass das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz innerhalb kurzer Zeit einen hohen Bekanntheitsgrad hatte. Aber nicht nur innerhalb Österreichs, auch in den Nachbarländern war schnell bekannt, dass Unternehmen bei Lohndumping in Österreich empfindliche Strafen drohen können. Eine Art Höhepunkt in diesem Zusammenhang war ein Artikel in einer slowakischen Zeitung, in dem der slowakische Wirtschaftsminister scharfen Protest gegen die seiner Ansicht nach diskriminierenden neuen Bestimmungen in Österreich übte, die im Widerspruch zu den Regeln der Union stehen. Der Umstand, dass die EU-Entsenderichtlinie seit vielen Jahren das Prinzip „gleicher Lohn am gleichen Ort“ vorsieht und die Mitglied- staaten dazu verpflichtet wirksame Maßnahmen dazu zu treffen, wurde dabei vom slowakischen Wirtschafts- minister offenbar „übersehen“. VORLÄUFIGES RESÜMEE Der große Bekanntheitsgrad und die Aufregung, die das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz in den ersten Wochen verursachte, weisen auf eine große generalpräventive Wirkung hin. Diese wird auch von vielen Insidern bestätigt. Der Anreiz für viele ausländische Unternehmen mit Billiglöhnen am österreichischen Arbeitsmarkt gute Geschäfte zu machen, wurde wesentlich gebremst. Dennoch musste von den Kontrollbehörden in vielen Fällen Lohndumping festgestellt werden. Im ersten halben Jahr nach In Kraft treten des Gesetzes traten allein durch die die Bauarbeiter-, Urlaubs- und Abfertigungs- kasse bei der Überprüfung von 2.310 Baufirmen 181 Verdachtsfälle auf. Die Quote bei den ausländischen Firmen ist dabei wesentlich höher als bei den inländischen. In Salzburg etwa gab es bei der Überprüfung von 309 inländischen Unternehmen 21 Verdachtsfälle, bei der Überprüfung von 68 ausländischen Betrieben in 31 Fällen einen Verdacht auf Unterentlohnung. Lohn- und Sozialdumping kann also nicht völlig unterbunden werden. Dies war aber auch nicht zu erwarten. Um seriös beurteilen zu können, wie gut das neue Gesetz wirkt und welche Verbesserungen erforderlich sind, sind aber noch weitere Erfahrungswerte notwendig. Prinzipielle Schwachpunkte des Gesetzes waren aber bereits von Beginn an absehbar. Vor allem der Umstand, dass nur die Kontrolle des Grundlohns vorgesehen ist, ist problematisch. Ob die nach dem einschlägigen Kollektivvertrag gebührenden Zulagen und Zuschläge gewährt werden, wird von den Kontrollbehörden nicht geprüft. Diese bilden aber oftmals gerade im Bau- bereich einen nicht unwesentlichen Teil des Lohns. Ein brisanter Diskussionspunkt war auch die Frage, wie viele Personen auf den österreichischen Arbeitsmarkt nach Auslaufen der Übergangsfristen kommen werden. Das WIFO hat vor dem Mai 2011 eine Zahl von 25.000 für das erste Jahr prognostiziert. Damit dürfte man nicht allzu weit von der Realität entfernt gewesen sein. Das BMASK hat nämlich Anfang 2012 bekannt gegeben, dass auf Grund der Arbeitsmarktöffnung vom Mai bis November 2011 etwas über 22.000 zusätzliche unselbstständig Beschäftigte aus den neuen Mitgliedsländern auf dem österreichischen Arbeitsmarkt zu verzeichnen sind.
  • 20. 20 Kolumnentitel Auffällig war dabei der hohe Anteil an Personen, der sich in Österreich nicht niedergelassen hat, sondern regelmäßig über die Grenze pendelt. Nicht überraschend waren die hauptsächlich betroffenen Branchen, nämlich Bau und Tourismus und der Umstand, dass der Schwerpunkt der neu Beschäftigten im Osten Österreichs liegt. FAZIT: Die Inanspruchnahme der Übergangsfristen mit den neuen Mitgliedstaaten und die Nutzung dieser Fristen zur Vorbereitung auf die Öffnung des Arbeitsmarktes sowie dessen schrittweise Öffnung waren überaus sinnvoll. Das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz spielte bzw. spielt dabei eine wesentliche Rolle. Es konnten bislang negative Entwicklungen am Arbeitsmarkt, wie insbesondere Verdrängungseffekte, unfaire Wettbewerbsbedingungen und Lohndumping weitgehend hintangehalten werden. Es ist aber erforderlich die weitere Entwicklung aktiv zu beobachten, um gegebenenfalls weitere Maßnahmen zu treffen.
  • 21. Kolumnentitel 21 Erste Erfahrungen mit dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz Ingrid Reischl, Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse Am 1. Mai 2012 feierte das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSDB-G), das ein Jahr zuvor – nach Ablauf der Übergangsbestimmungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit – erlassen wurde, sein einjähriges Bestehen. Ziel der Strafbestimmungen des LSDB-G war von Beginn an die Sicherstellung des von Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag aus zustehenden Mindestentgelts der in Österreich beschäftigten Arbeit- nehmerInnen. Damit hat Österreich konsequent einen Weg weiterbeschritten, der bereits 1996 durch die Entsende-Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft eingeschlagen wurde. Aufgrund dieser Richtlinie, die in Österreich durch das Arbeitsvertragsrecht-Anpassungsgesetz (AVRAG) umgesetzt wurde, haben ausländische Unternehmen den in Österreich gewöhnlich beschäftigten bzw. den nach Österreich entsandten bzw. überlassenen ArbeitnehmerInnen das gesetzliche, durch Verordnung festgelegte bzw. kollektivvertragliche Entgelt zu zahlen. Während also das AVRAG die Verpflichtung den jeweiligen Kollektivvertragslohn zu zahlen regelt, verpflichtet das LSDB-G die ausländischen Arbeitgeber zur Bereithaltung jener Unterlagen, die zur Überprüfung, ob das bezahlte Entgelt den österreichischen Rechtsvorschriften entspricht, notwendig sind. Die Unterlagen sind prinzipiell am Arbeitsort und in deutscher Sprache für die gesamte Dauer der Beschäftigung bereit zu halten. Sollte das unzumutbar sein, müssen sie jedenfalls im Inland so bereitgehalten werden, dass sie auf Verlangen der Abgabebehörde (Finanzpolizei, Bauarbeiter-Urlaubs- bzw. Abfertigungs- kasse) innerhalb von 24 Stunden übermittelt werden können. Laut den Erläuterungen zum LSDB-G sind die erforderlichen Lohnunterlagen, die bereitgehalten werden müssen der Arbeitsvertrag/Dienstzettel, Arbeitszeit- aufzeichnungen und Lohnaufzeichnungen oder Lohnzahlungsnachweise des Arbeitgebers. Darüber hinaus besteht die Verpflichtung des Arbeitgebers, allen überprüfenden Behörden die Betretung der Betriebsstätte und der Betriebsräume zu gewähren, Auskünfte zu erteilen sowie Einsicht in die erforderlichen Unterlagen zu gewähren. Inländische und ausländische Arbeitgeber machen sich nach dem LSDB-G strafbar, wenn sie nicht den nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehenden Grundlohn zahlen. Für diesen Grundlohn sind auch die jeweiligen Einstufungskriterien des Kollektivvertrags relevant. Die Erläuterungen des LSDB-G führen als Einstufungskriterien zB die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit sowie die Anrechnung von Vordienstzeiten, Schul- zeiten und sonstigen Ausbildungen an. Außerdem sieht das LSDB-G die Möglichkeit vor, die Kollektivvertrags- Partner, die den zur Anwendung kommenden Kollektivvertrag abgeschlossen haben, anzuhören. Für die Vor-Ort-Kontrolle ausländischer Arbeitgeber, also zB Baustellenkontrollen, sind die Finanzpolizei und die Bauarbeiter-Urlaubs- bzw. Abfertigungskasse zuständig. In weiterer Folge laufen sämtliche Kontrollunterlagen der Finanzpolizei im Kompetenzzentrum der WGKK zusammen und werden zur Erstellung der Anzeigen aufbereitet, bzw. die Anzeigen eingebracht.
  • 22. 22 Kolumnentitel Für die Kontrolle inländischer Arbeitgeber sind die Gebietskrankenkassen bzw. wiederum die Bauarbeiter- Urlaubs- bzw. Abfertigungskasse zuständig. In der Praxis beteiligen sich speziell bei Baustellenkontrollen zu- meist mehrere Behörden, um alle Bereiche abzudecken. Das Lohn- und Sozialdumping Bekämpfungsgesetz kann nach etwas mehr als einem Jahr als sehr erfolgreich bewertet werden. Trotzdem gibt es natürlich Verbesserungsbedarf: In der Praxis hat sich gezeigt, dass sehr viele ausländische Arbeitgeber die Lohnunterlagen entweder nicht oder unvollständig oder nicht in deutscher Sprache am Arbeitsort bereit halten. Das führt natürlich dazu, dass nicht kontrolliert werden kann, ob das zustehende Entgelt auch bezahlt wurde. Da die Strafen für Nichtbereit- haltung der Unterlagen wesentlich niedriger sind als jene für eine festgestellte Unterentlohnung, besteht die Gefahr, dass Arbeitgeber dazu verleitet werden, keine Lohnunterlagen zu führen oder diese jedenfalls nicht den Kontrollbehörden zu übermitteln. Deshalb sollten die Strafbestimmungen für die Nichtbereithaltung der Lohnunterlagen möglichst rasch an die Strafbestimmungen der Unterentlohnung angeglichen werden. ZAHLEN UND DATEN Im ersten Jahr des LSDB-G wurden von der Bauarbeiter-Urlaubs- bzw. Abfertigungskasse über 3.400 Baustellen mit 4.654 Firmen und über 17.600 ArbeitnehmerInnen kontrolliert. Die Finanzpolizei hat im selben Zeitraum über 28.300 Kontrollen mit mehr als 54.000 ArbeitnehmerInnen durchgeführt. Verdachtsfälle auf Unterentlohnung ergaben sich bei 526 Unternehmen mit 2.302 ArbeitnehmerInnen. Davon waren 378 ausländische Unternehmen und 148 inländische Unternehmen betroffen. Insgesamt gab es im ersten Jahr 160 Anzeigen wegen Unterentlohnung und 6 rechtskräftige Strafbescheide. Das Ausmaß der verhängten Geldstrafen war EUR 53.500,--. Darüber hinaus gab es 378 Anzeigen wegen nicht vorhandener Lohnunterlagen (bzw. Verweigerung der Einsicht). 29 Bescheide dazu waren per 1. Mai 2012 rechtskräftig und das Ausmaß der verhängten Geldstrafen war EUR 23.650,--.
  • 23. Kolumnentitel 23 Statistik – Verteilung der Anzeigen gem. Unterentlohnung (nach Bundesland) 40 36 35 30 25 23 22 20 20 17 17 15 14 11 10 5 0 STMK W B T K NÖ S OÖ Statistik – Verteilung der Anzeigen gem. Unterentlohnung (nach Herkunftsland) 50 45 45 40 35 30 28 26 25 20 15 13 12 10 9 10 7 4 4 5 1 1 0 n n n ei l n h n n h nd ik a ie le lie ar ic ie ue ic ak ug pl la re re en Po än ng Ita ta pu ow rt ch ig er ow m Li Po U Re ts ön st Ru Sl eu Ö Sl K he D es sc gt hi ni ec ei ch er Ts V
  • 24. 24 Kolumnentitel Die „Rot-Weiß-Rot – Karte“: Das neue Modell der Arbeitskräftemigration nach Österreich Johannes Peyrl, Arbeiterkammer Wien EINLEITUNG Mit Juli 2011 wurde die Zuwanderung von (hoch-)qualifizierten Arbeitskräften nach Österreich völlig neu geordnet. Grundlage dieses neuen Modells ist die Einigung der Sozialpartner von Bad Ischl im Oktober 2010. Die Arbeitskräftemigration wird dadurch breiter aufgefächert, da es anstelle des früheren eher starren Systems der Schlüsselkräfte nun drei Säulen des Zuzuges für qualifizierte Erwerbstätige nach Österreich gibt, hinzu kommen auch Erleichterungen für StudienabsolventInnen. Eines ist aber wichtig zu wissen: Mit diesem Modell wird nur ein kleiner Teil der Zuwanderung nach Österreich geregelt, den größten Anteil der Zuwanderung aus Drittstaaten (=Nicht-EWR-Staaten) macht Migration aus familiären Gründen aus. Die meisten NeuzuwanderInnen nach Österreich kommen zudem aus der EU, diese Personen benötigen weder einen Aufenthaltstitel noch (sieht man von den Übergangsfristen für BulgarInnen und RumänInnen ab) eine Arbeitsberechtigung, um in Österreich unselbständig erwerbstätig sein zu dürfen. BESONDERS HOCHQUALIFIZIERTE Mit dieser Säule wurde eine Möglichkeit im höchstqualifizierten Segment geschaffen, ohne konkretes Arbeitsplatzangebot nach Österreich zuwandern zu können. Besonders Hochqualifizierte können daher zum Zweck der Arbeitssuche für bis zu sechs Monate ein „Visum D“ erhalten. Dieses wird von der zuständigen österreichischen Botschaft erteilt, wenn das Arbeitsmarktservice dieser mitteilt, dass die erforderliche Mindest- punkteanzahl erreicht ist. Punkte werden für „besondere Qualifikation und Fähigkeiten“ (insb. Abschluss eines mindestens vierjährigen Studiums, Habilitation, letztes Bruttogehalt), Berufserfahrung (ausbildungsadäquat oder in Führungspositionen), Deutsch- oder Englischkenntnisse sowie für Studium in Österreich erteilt. Von insgesamt 100 möglichen Punkten müssen 70 erreicht werden. Die besonders Hochqualifizierten müssen bei Beantragung des Visums alle Dokumente bzw. Unter- lagen vorlegen, die belegen, dass eine ausreichende Punkteanzahl vorliegt. Stellt das AMS fest, dass genügend Punkte vorliegen, teilt es dies der Botschaft mit und es wird bei Vorliegen aller sonstigen Voraus- setzungen ein Visum D erteilt. Wenn einmal bereits ein solches Visum D zur Arbeitssuche erteilt wurde, ist ein neuerlicher Antrag erst nach einem Jahr ab Ausreise möglich.
  • 25. Kolumnentitel 25 In weiterer Folge kann im Inland eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ erteilt werden, wenn die allgemeinen Voraus- setzungen wie Versicherung, Unterkunft und Unterhalt erfüllt sind und der/die besonders Hochqualifizierte einen Arbeitsplatz gefunden hat, der „seiner [ihrer] Qualifikation und den sonstigen für die Erteilung des Aufenthaltsvisums maßgeblichen Kriterien“ entspricht. Dafür muss der Arbeitsvertrag vorgelegt werden. Eine Arbeitsmarktprüfung im Einzelfall findet nicht statt, es müssen auch nicht zwingend Deutschkenntnisse vor der Erstantragstellung nachgewiesen werden. FACHKRÄFTE Um eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ als Fachkraft erhalten zu können, müssen mehrere Kriterien vorliegen: Die wichtigste Voraussetzung ist, dass der entsprechende Beruf in der „Fachkräfteverordnung“ als Mangelberuf angeführt ist, weiters muss eine einschlägige Berufsausbildung vorliegen, das Entgelt muss mindestens betriebs- üblich sein und es muss eine bestimmte Punkteanzahl erreicht werden. Zunächst muss der Beruf in der Fachkräfteverordnung aufgezählt sein: In dieser werden (nur im Fall eines längerfristigen Arbeitskräftebedarfs, der im Inland nicht abgedeckt werden kann, nicht also zB saisonale Spitzen) Berufe festgelegt, in denen MigrantInnen als Fachkräfte zuwandern dürfen. Als Mangelberuf kann grundsätzlich gelten, wenn pro gemeldeter offener Stelle nicht mehr als 1,5 Arbeitsuchende gemeldet sind („Stellenandrangsziffer“). Das ist aber nur ein Indikator für das Vorliegen eines Mangels. Berufe mit einer Stellenandrangsziffer bis 1,8 können berücksichtigt werden, wenn weitere Indikatoren wie insbesondere erhöhte Ausbildungsaktivität der Betriebe zu verzeichnen sind. Vice versa darf auch eine Stellenandrangsziffer unter 1,5 nicht automatisch zu einer Nennung in der Fachkräfteverordnung führen. Weiters muss für die Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot – Karte“ als Fachkraft eine einschlägige, abgeschlossene Berufsausbildung vorliegen. Nicht notwendig ist eine bestimmte Form (zB Lehre), da Berufsausbildungen nicht in der ganzen Welt in derselben Form angeboten werden. Außerdem muss eine Entlohnung geboten werden, die nicht nur dem anwendbaren Kollektivvertrag entspricht, sondern auch betriebsübliche Überzahlungen berücksichtigt. Im Ermittlungsverfahren wird das AMS vermutlich BetriebsrätInnen nach der Betriebsüblichkeit befragen. In Unternehmen ohne Betriebsrat kann es in Einzelfällen schwierig werden, die konkrete Über- zahlung für einen bestimmten Beruf zu ermitteln. Zuletzt muss eine Mindestpunkteanzahl (mindestens 50 Punkten von 75 möglichen Punkten) erreicht werden. Punkte werden für Qualifikation (von Berufsausbildung bis abgeschlossenes Studium), ausbildungsadäquate Berufserfahrung, Sprechkenntnisse (deutsch oder englisch) und Alter vergeben. Wenn sowohl diese Kriterien als auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen für Aufenthaltstitel erfüllt sind, kann eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ erteilt werden. Es findet keine Arbeitsmarktprüfung im Einzelfall statt. Den Antrag müssen die MigrantInnen selbst stellen. Dieser muss bereits eine schriftliche Erklärung der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers bezüglich der oben angeführten Voraussetzungen des Arbeitsplatzes enthalten.
  • 26. 26 Kolumnentitel Grundsätzlich muss der Antrag im Ausland gestellt werden, eine Inlandsantragstellung ist nur möglich, wenn dies aus anderen Gründen (zB visumfreie Einreise) möglich ist. Es müssen keine Deutschkenntnisse vor der Erstantragstellung nachgewiesen werden. SONSTIGE SCHLÜSSELKRÄFTE Sogenannte sonstige Schlüsselkräfte können eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ erhalten, wenn sie ein Bruttoentgelt von 60% der Höchstbeitragsgrundlage erhalten (im Jahr 2012: EUR 2.538,--), für Personen unter 30 Jahren ist ein Bruttoentgelt von 50% der HBG ausreichend (2012: EUR 2.115,--). Dazu müssen sie die erforderliche Mindestpunkteanzahl erreichen (mindestens 50 von 75 möglichen Punkten), wobei Punkte für Qualifikation (von Berufsausbildung bis abgeschlossenes Studium), ausbildungsadäquate Berufserfahrung, Sprechkenntnisse (deutsch oder englisch) und Alter vergeben werden. In dieser Säule kommt es aber zu einer Arbeitsmarktprüfung: Eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ kann daher nur dann erteilt werden, wenn für die zu besetzende offene Stelle weder ÖsterreicherInnen noch am Arbeitsmarkt verfügbare AusländerInnen zur Verfügung stehen, die bereits in den Arbeitsmarkt integriert und bereit und in der Lage sind, die beantragte Beschäftigung auszuüben. Interessant ist, dass ProfisportlerInnen sowie ProfisporttrainerInnen automatisch 20 Zusatzpunkte erhalten, eine Differenzierung wie etwa beim Kriterium Ausbildung findet in diesen Fällen nicht statt (es macht daher keinen Unterschied, ob zB ein Profifußballspieler aus der englischen Premier League oder der dortigen 4. Liga nach Österreich wechselt). Hintergrund der Regelung ist, dass ansonsten SportlerInnen kaum die erforderlichen Punkte erreichen dürften. Man stelle sich den Aufschrei in weiten Teilen der österreichischen Bevölkerung vor, wenn einem Spitzenverein – egal ob in schwarz-weißen, grünen oder violetten Trikots – die Verpflichtung eines neuen brasilianischen Stürmers mit der Begründung verwehrt würde, es lägen zu wenig Punkte gemäß AuslBG vor. STUDIENABSOLVENTINNEN Für StudienabsolventInnen, die entweder ihr Masterstudium zur Gänze oder ihr Diplomstudium zumindest ab dem zweiten Studienabschnitt an einer österreichischen Universität, Fachhochschule oder akkreditierten Privatuniversität absolviert haben, wird der Verbleib in Österreich nach Studienende um vieles einfacher. Ebenso wurden die Beschäftigungsmöglichkeiten während des Studiums ausgeweitet (nach Abschluss des Bachelorstudiums bzw. des ersten Studienabschnitts eines Diplomstudiums ist ohne Arbeitsmarktprüfung eine Erwerbstätigkeit von bis zu 20 Wochenstunden möglich, davor 10 Stunden pro Woche; nötig ist aber eine Beschäftigungsbewilligung).
  • 27. Kolumnentitel 27 Solche AbsolventInnen können eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ bekommen, wenn sie ein Entgelt erhalten, das für inländische StudienabsolventInnen für eine vergleichbare Tätigkeit und mit vergleichbarer Berufserfahrung üblich ist. Das Mindestentgelt (ohne Sonderzahlungen) muss aber 45% der HBG (2012: EUR 1.903,50) betragen. Die Beschäftigung muss weiters dem Ausbildungsniveau der AbsolventInnen entsprechen: Es darf sich daher nicht um eine unqualifizierte Tätigkeit handeln, sondern das Aufgabengebiet muss der akademischen Ausbildung entsprechen. Es findet keine Arbeitsmarktprüfung im Einzelfall statt und es ist keine Mindestpunkteanzahl erforderlich. Nach Beendigung des Studiums können AbsolventInnen, wenn sie in Österreich bleiben und eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ anstreben, eine Bestätigung der Aufenthaltsbehörde erhalten, dass sie für sechs Monate zum Zweck der Arbeitssuche in Österreich bleiben dürfen. Diese Bestätigung ist nicht verlängerbar. Finden sie innerhalb dieser sechs Monate eine adäquate Beschäftigung, können sie den Antrag auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot – Karte“ im Inland stellen. In der Praxis werden aber drittstaatsangehörige Studien- absolventInnen eher weiter inskribieren und direkt von einer Aufenthaltsbewilligung – Studierende zu einer „Rot-Weiß-Rot – Karte“ wechseln. BLAUE KARTE EU Neben der „Rot-Weiß-Rot – Karte“ wird der fremdenrechtlichen Farbenlehre nun auch die Blaue Karte EU hinzugefügt. Diese wird aus europarechtlichen Notwendigkeiten eingeführt. Die Anforderungen (insbesondere das erforderliche Mindestgehalt) sind sehr hoch, es sind kaum Fälle denkbar, in denen eine Blaue Karte EU, nicht aber eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ möglich ist. Zudem sind die Vorteile einer Blauen Karte EU gegen- über der „Rot-Weiß-Rot – Karte“ äußerst marginal, ein Ansturm auf die Blaue Karte EU ist daher nicht zu erwarten. Eine Blaue Karte EU kann im Wesentlichen erteilt werden, wenn die/der Fremde über einen Abschluss eines mindestens dreijährigen Studiums verfügt und für eine dieser Ausbildung entsprechende Tätigkeit ein Brutto- jahresgehalt bekommt, das mindestens dem Eineinhalbfachen des durchschnittlichen österreichischen Brutto- jahresgehalts von Vollzeitbeschäftigten entspricht (im Jahr 2012: EUR 3.745,-- pro Monat). Eine Blaue Karte EU kann nur nach erfolgter Arbeitsmarktprüfung erteilt werden. WEITERES AUFENTHALTSRECHT VON INHABERINNEN EINER „ROT-WEISS-ROT – KARTE“ Die „Rot-Weiß-Rot – Karte“ nach den oben beschriebenen Voraussetzungen wird für die Dauer eines Jahres erteilt. Nach einem Jahr der Niederlassung mit „Rot-Weiß-Rot – Karte“ ist die Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ möglich, mit der jede Erwerbstätigkeit ausgeübt werden kann. Voraussetzung ist aber, dass in diesem Jahr zumindest 10 Monate eine Erwerbstätigkeit „unter den für die Zulassung maßgeblichen Kriterien“ ausgeübt wurde. Liegen weniger Zeiten dieser qualifizierten Erwerbstätigkeit vor, ist meist eine Nieder- lassungsbewilligung möglich, allerdings ist in diesem Fall für die Arbeitsaufnahme eine Bewilligung nach dem AuslBG erforderlich. Dies wird in der Praxis wahrscheinlich selten vorkommen.
  • 28. 28 Kolumnentitel Die „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ kann nach zwei Jahren Niederlassung für drei Jahre erteilt werden. Nach fünf Jahren Niederlassung ist es möglich, den unbefristeten Titel „Daueraufenthalt – EG“ zu erhalten, allerdings muss hierfür Modul 2 der Integrationsvereinbarung erfüllt sein, es müssen also Deutschkenntnisse auf dem Niveau „B1“ des sogenannten Europäischen Referenzrahmens für Sprachen vorliegen. Im Idealfall ergibt sich daher folgendes „1+1+3-Jahres-Schema“: Zunächst wird eine „Rot-Weiß-Rot – Karte“ erteilt, mit der eine konkrete, qualifizierte Tätigkeit ausgeübt werden kann. Danach kann eine „Rot-Weiß- Rot – Karte plus“ für ebenfalls ein Jahr erteilt werden, wobei damit bereits jede Erwerbstätigkeit möglich ist. Nach Ablauf diesen Jahres kann die „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ für drei Jahre erteilt werden, danach ist ein unbefristeter Titel „Daueraufenthalt – EG“ möglich. FAMILIENANGEHÖRIGE DER QUALIFIZIERTEN ARBEITNEHMERINNEN EhegattInnen (eingetragene PartnerInnen) und minderjährige, ledige Kinder von „Rot-Weiß-Rot – Karte“- InhaberInnen können quotenfrei eine „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ erhalten, wenn sie die allgemeinen Voraus- setzungen erfüllen und haben daher sofort unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Allerdings müssen sie (meist) sowohl das Erfordernis der Deutschkenntnisse bereits bei Erstantragstellung erfüllen sowie die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung binnen zwei Jahren nachweisen. FAZIT: Die Arbeitskräftemigration nach Österreich wurde durch dieses Modell in vielfacher Hinsicht breiter aufgefächert. Die wesentlichsten Neuerungen sind der Verzicht auf individuelle Arbeitsmarktprüfung in einigen Bereichen und die Möglichkeit für besonders Hochqualifizierte, zur Arbeitsplatzsuche nach Österreich einzureisen. Erste Erfahrungen zeigen, dass der Zweck, die Arbeitskräftemigration bedarfsgerechter zu gestalten, durchaus erreicht werden könnte. Es darf aber nicht übersehen werden, dass nur wenige Prozent der Zuwanderung nach Österreich in dieses Schema fallen. Eine Rundumlösung für alle Herausforderungen der Migrationspolitik kann die „Rot-Weiß-Rot – Karte“ daher nicht sein.
  • 29. Kolumnentitel 29 Wohnen ist ein Grundrecht Andrea Holzmann, Wohnbauvereinigung für Privatangestellte Leistbarer Wohnraum wird zunehmend knapp. In größeren Städten mit wachsender Bevölkerungszahl, insbesondere in der Bundeshauptstadt, übersteigt die Nachfrage nach kostengünstigen Wohnungen längst das vorhandene Angebot. Die Wartelisten bei gemeindeeigenen Wohnungsvergabestellen und bei gemein- nützigen Bauträgern werden immer länger. Billige Substandardwohnungen im privaten Sektor sind aufgrund erfolgreicher Sanierungsoffensiven in den vergangenen Jahrzehnten kaum noch vorhanden. Engpässe im öffentlichen Sektor mit negativen Auswirkungen auf die Wohnbauförderung dämmen zusätzlich die Neubau- tätigkeit ein.4 Die Auswirkungen spüren die ärmeren Bevölkerungsschichten, zu denen MigrantInnen über- proportional gehören, am meisten. ZUWANDERER LEBEN IN SCHLECHTEREN WOHNVERHÄLTNISSEN5 Menschen mit Migrationshintergrund leben generell in schlechteren Wohnverhältnissen als eingesessene ÖsterreicherInnen. Dies zeigt sich zum Beispiel an der Größe des Wohnraums, den eine Person im Schnitt für sich beanspruchen kann. Während die Wohnfläche pro Kopf in Österreich durchschnittlich 43m2 beträgt und EU-BürgerInnen im Schnitt 47m2 zur Verfügung haben, wohnen MigrantInnen aus Ex-Jugoslawien auf 26m2 und Zuwanderer aus der Türkei auf 21m2 pro Person. Diese Situation bessert sich insbesondere was Zuwanderer aus der Türkei betrifft, auch in der zweiten Generation nur unwesentlich. Auch die Wohnkostenbelastung ist für Personen mit ausländischer Herkunft vergleichsweise höher als für die ein- gesessene Bevölkerung. Im Durchschnitt der vergangenen drei bis vier Jahre mussten 16% der ÖsterreicherInnen, jedoch 35% der AusländerInnen über ein Viertel ihres Haushaltseinkommens für Wohnen aufwenden. Zuwanderer verfügen in deutlich geringerem Ausmaß über Wohnungseigentum. Nur 26% der Haushalte mit Migrationshintergrund haben ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung, während dies auf 56% der österreichischen Haushalte zutrifft. Die wenigen noch vorhandenen Substandardwohnungen der Kategorie D, in denen es kein WC und keine Möglichkeit zur Wasserentnahme in der Wohnung gibt, werden über- proportional häufig von Zuwanderern bewohnt. SOZIALE DURCHMISCHUNG UND ZUGANG ZU GEFÖRDERTEM WOHNRAUM Im Wohnbereich besteht eine latente Tendenz zur Segregation, weil Einwanderer sich nach ihrer Ankunft am ehesten dort ansiedeln wo ihre Landsleute schon wohnen und vielleicht auch bereits ihre eigene Infrastruktur, etwa in Form von ethnischen Geschäften und Lokalen, aufgebaut haben. Neu zugewanderte Menschen verfügen gewöhnlich nur über geringe finanzielle Mittel und suchen billigsten Wohnraum. 4 Vgl. Österreichischer Verband Gemeinnütziger Bauvereinigungen – Revisionsverband http://www.gbv.at/Page/View/4278 5 Vgl. Österreichischer Integrationsfonds: Wohnen. http://www.integrationsfonds.at/zahlen_und_fakten/statistisches_jahrbuch_2011/wohnen_und_raeumlicher_ kontext/wohnen/
  • 30. 30 Kolumnentitel Dies könnte insbesondere in größeren Städten zur Bildung sozialer Ghettos führen, wie sie etwa die berüchtigten ‚Banlieus’ in Paris darstellen. Um derartigen Entwicklungen entgegen zu wirken, setzt man in Österreich gezielte wohnpolitische Maßnahmen. Die Bundeshauptstadt Wien hat, trotz starker Zuwanderung in den vergangenen Jahrzehnten, keine sozialen Ghettos und auch keine Stadtteile, in denen ausschließlich MigrantInnen leben. Dies ist kein Zufall, sondern das Ergebnis Jahrzehnte langer sensibler Wohnpolitik auf unterschiedlichen Ebenen. In Wien, immer noch weltweite Hochburg des sozialen Wohnbaus, wird seit den Tagen des „Roten Wien“ in den 1920er Jahren das Prinzip der „Sozialen Durchmischung“ verfolgt. Damals wurden Gemeindebauten für Arbeiterfamilien mitten in sogenannte Nobelbezirke hinein gebaut um zu verhindern, dass niemand aufgrund seiner Wohnadresse einer bestimmten sozialen Schicht oder ethnischen Gruppe zugeordnet und womöglich diskriminiert werden kann. Heute praktiziert Wien mit dem international viel beachteten Konzept der „Sanften Stadterneuerung“6 eine kluge Sanierungspolitik, die ebenfalls der sozialen Durchmischung verpflichtet ist. Ganze Häuserblöcke des gründerzeitlichen Altbaubestands bzw. ganze Straßenzeilen werden unter Einbe- ziehung der Bevölkerung gefördert saniert. Die Förderung stellt sicher, dass die BewohnerInnen auch nach der Sockelsanierung in ihrem Viertel bleiben können und nicht im Rahmen einer „Gentrifizierung“ von einer zahlungskräftigeren Klientel verdrängt wird. Gleichzeitig werden – durch Ausbau von Dachgeschoßen zum Beispiel – neue BewohnerInnen angelockt, die das Viertel beleben und neu durchmischen. Die wichtigste politische Maßnahme zur sozialen und ethnischen Durchmischung und damit zur Integration von Zuwanderern ist jedoch die Sicherstellung des Zugangs zu gefördertem Wohnraum – zum einen durch Öffnung von gemeindeeigenen Wohnungen für Zuwanderer, und zum anderen durch Gewährung von Förderungen, Beihilfen und Eigenmittelersatzdarlehen für das Anmieten geförderter, von gemeinnützigen Bauträgern errichteten Wohnungen. Nach einer Zeit mit einer fragwürdigen öffentlichen Diskussion unter dem Schlagwort „Migranten im Gemeindebau“ haben mittlerweile alle Bundesländer unter bestimmten Bedingungen Zugang für Zuwanderer zu gefördertem Wohnraum geschaffen. Die Zugangsregeln sind nicht einheitlich. Laut einer 2011 für diesen Beitrag durchgeführten Erhebung der Wiener Wohnbauforschung7 setzen alle Bundesländer die Erfüllung der sozialen Förderkriterien voraus, differieren jedoch was Staatsbürgerschaften bzw. den Aufenthaltsstatus betrifft. In den meisten Bundesländern genügt für ein Ansuchen um Wohnbauförderung für Miete ein legaler Aufenthaltsstatus unter Erfüllung der EU- Aufenthalts- und Niederlassungsbedingungen, der bei ÖsterreicherInnen, EU-BürgerInnen, EWR-BürgerInnen sowie ihnen Gleichgestellten wie zB anerkannten Flüchtlingen gegeben ist. In Vorarlberg ist ein unbefristeter legaler Aufenthaltsstatus (der erst nach 10 Jahren erreichbar ist) erforderlich, sowie eine achtjährige Steuerpflicht. Kärnten verlangt von Drittstaatenangehörigen einen mindestens fünfjährigen Aufenthalt und den Nachweis von Deutschkenntnissen. In Wien werden EU-BürgerInnen und Gleichgestellten, anerkannte Flüchtlingen und Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft, die mehr als fünf Jahre in Österreich leben, die gleichen Rechte einräumt wie österreichischen StaatsbürgerInnen. Eine Vereinheitlichung der Richtlinien wäre wünschenswert und ist politisch zu fordern. 6 Die Sanfte Stadterneuerung ist seit 1996 ein UN-HABITAT Best Practice und hat 2010 den HABITAT Scroll of Honour erhalten. 7 www.wohnbauforschung.at
  • 31. Kolumnentitel 31 DER FORMALE ZUGANG REICHT NICHT AUS Nicht nur der formale Zugang von Zuwanderern zu gefördertem Wohnraum ist sicherzustellen. Zuwanderer sind über die Möglichkeiten und die finanziellen Voraussetzungen, geförderten Wohnraum zu erhalten, auch umfassend zu informieren – um dies wirkungsvoll zu bewerkstelligen, wohl auch in ihren Muttersprachen, auch wenn manche Behörden explizit und im Sinne einer positiven Kompetenzzuschreibung davon ausgehen, dass die Zuwanderer die deutsche Sprache beherrschen. Das mehrsprachige Angebot in einschlägigen Beratungs- stellen wird jedenfalls trotzdem eifrig genutzt. Neben der Einhaltung objektiver Vergabekriterien ist auch durch Bewusstsein bildende Maßnahmen zu verhindern, dass es zu versteckter Diskriminierung aufgrund nationaler oder ethnischer Zugehörigkeit kommt. Immer wieder berichten Wohnungssuchende mit ausländisch klingenden Namen oder einem sprachlichen Akzent, dass Wohnungen, insbesondere im privatwirtschaftlichen Sektor, als „schon vergeben“ deklariert werden, die dann für den nächsten Anrufer, der sich als eingesessener Österreicher präsentiert, noch zu haben sind. Es steht außer Zweifel, dass Wohnen – neben Bildung und Arbeit – einer der wesentlichsten Aspekte der Integration von Zuwanderern in ihrem neuen Heimatland ist. Eine gute Wohnadresse, ein ansprechendes Wohnumfeld, eine gepflegte Wohnanlage und nicht zuletzt die angemessene Größe und gute Ausstattung der Wohnung, möglichst mit eigenem Balkon, können durchaus als Gradmesser des Eingebundenseins in die Aufnahmegesellschaft gesehen werden. INTERKULTURELLE HAUSVERWALTUNG Auch im Wohnumfeld haben es MigrantInnen nicht immer leicht. In der kürzlich durchgeführten europäischen Wertestudie8 trat zutage, dass die ÖsterreicherInnen von allen EuropäerInnen am wenigsten geneigt sind Einwanderer als Nachbarn zu haben. Der negative politische Diskurs in Bezug auf die Migration, der seit den 1990er Jahren in Österreich – von bestimmten politischen Gruppierungen geschürt – leider breit geführt worden ist, hat auch in der wohlmeinenden Bevölkerung, auch wenn sie persönlich keine schlechten Erfahrungen mit MigrantInnen gemacht hat, ihre Spuren hinterlassen. Misstrauen ist gewachsen, Vorurteile haben zugenommen und erschweren insbesondere in sozial schwächeren Nachbarschaften – etwa in manchen Wiener Gemeindebauten – das Zusammenleben. Zwar entpuppen sich Konflikte meist als solche, die in Nachbarschaften immer schon üblich waren, doch werden sie jetzt vermehrt den kulturellen Eigenschaften der Zuwanderer zugeschrieben. Wenn der Lärm der spielenden türkischen Kinder stört, vergisst man allzu leicht, dass man vor Jahrzehnten, als noch keine MigrantInnen da waren, als Kind selbst vom Hausmeister oder von Hausparteien vom Hof vertrieben worden ist, weil man zu laut war. Tatsache ist aber, dass wohl auch unterschiedliche Wohnkulturen bestehen, die ethnische Hintergründe haben. Großfamiliäre Strukturen südländischer MigrantInnen mit hoher gegenseitiger Besuchsfrequenz führen zu mehr Lärmentwicklung und manchmal zu der sprichwörtlichen „Schuheansammlung“ vor der Wohnungstür am Gang, die für eingesessene ÖsterreicherInnen irritierend ist. 8 http://ktf.univie.ac.at/wertestudie
  • 32. 32 Kolumnentitel SüdländerInnen empfinden laut spielende Kinder selten als Ärgernis. Nutzungskonzepte was die gemeinschaft- lichen Räume im Haus betrifft, sind manchmal durchaus kulturell geprägt und daher unterschiedlich. Es liegt auf der Hand, dass sich dadurch Konfliktpotenzial ergibt. In Deutschland sind SozialarbeiterInnen rund um größere Wohnanlagen durchaus keine Seltenheit mehr. In Wien kümmern sich Organisationen wie die „Wohnpartner“ (in den Gemeindebauten, siehe http://www.wohnpartner-wien.at/) und die „Gebietsbetreuungen“ für die übrigen Wohnbereiche (siehe http://www.gbstern.at/) um nachbarschaftliches Miteinander. Im Übrigen sind es wohl die gemeinnützigen Hausverwaltungen, die durch ihre Nähe zu dem sehr persönlichen Lebensbereich Wohnen geradezu prädestiniert sind, bei der Integration eine Schlüsselstellung einzunehmen, denn der interkulturelle Dialog in Wohnanlagen bedarf oft der Hilfestellung. Für einzelne MieterInnen ist es auch mit gutem Willen nicht immer einfach, den ersten Schritt auf die/den anderen zu zu tun und das Gespräch mit dem fremden Nachbarn zu beginnen. Hier tut sich ein Handlungsfeld für Haus- verwaltungen auf, die auf unterschiedliche Weise vermitteln können. Hausverwaltungen können auf die kulturelle und sprachliche Vielfalt © WBV-GPA eingehen, zB durch das Verfassen und Vermitteln einer Hausordnung, die für alle verständlich ist. Dazu können Cartoons ebenso verwendet werden wie Mehrsprachigkeit. Des Weiteren kann eine Hausverwaltung Anlässe und Gelegenheiten schaffen, den interkulturellen Dialog in Gang zu setzen und zu fördern. So sind etwa Haus- und Hoffeste eine gute Gelegenheit, Anliegen von MieterInnen aufzunehmen, Botschaften zu vermitteln und im Haus gemeinschaftsbildend zu wirken. Auch für künstlerische Interventionen, die die Bewohnerschaft einbeziehen oder für Kulturprojekte wie Chöre oder Tanzgruppen, sind Wohnanlagen ein idealer Ausgangspunkt und eine gute Gelegenheit, vor allem auch jugendliche BewohnerInnen jeglicher Herkunft, in gesellschaftliche Aktivitäten mit einzubeziehen. Solche Initiativen sind, da sie auf Potenzial statt auf Defizite abstellen, weit wirksamer als traditionelle Sozialarbeit. Es gibt dazu bereits zahlreiche erfolgreiche Beispiele.9 Interessant sind auch internationale Modellprojekte wie zB die „Stadtteilmütter“ in Berlin-Neukölln (siehe http://www.stadtteilmuetter.de/), die, entsprechend adaptiert, auch in österreichischen Städten erfolgreich umgesetzt werden könnten. 9 Die Wohnbauvereinigung für Privatangestellte hat im Kauerhof, einer von Menschen aus 18 verschiedenen Nationen bewohnten Anlage in Wien-Fünfhaus, eine Kooperation mit dem Kulturverein Superar (http://superar.eu/). Dort wurden im Februar 2012 ein Kinder- und ein Jugendchor etabliert, die unter professioneller Anleitung täglich proben und demnächst ihre erste öffentliche Aufführung absolvieren werden.
  • 33. Kolumnentitel 33 INTERKULTURELLE WOHNPROJEKTE Die Stadt Wien hat in den letzten Jahren mehrmals Wettbewerbe unter dem Motto „Interkulturelles Wohnen“ ausgeschrieben.Die Beiträge wurden in partizipativer Auseinandersetzung durch Bauträger, ArchitektInnen, GrünraumgestalterInnen und IntegrationsexpertInnen entwickelt, um bauliche und soziale Lösungen zu finden, die den Bedürfnissen der unterschiedlichen Kulturen gleichermaßen Rechnung tragen. Interkulturelle Wohnprojekte sollten sowohl im Neubau als auch im Rahmen der Sanierung bzw. der Bezirks- betreuung gefördert werden, da sie das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen zum Normalfall machen. POLITISCHE FORDERUNGEN Die wichtigsten politischen Forderungen mit Implikationen auf die Einbindung von Zuwanderern sind vor allem die folgenden: 1.) Wohnbauförderung ausschließlich für Mietwohnungen. Im Hinblick auf knapper werdende öffentliche Mittel für Wohnbau sollten diese ausschließlich dem Mietsegment zugeführt werden. 2.) Zweckbindung der Wohnbauförderungsmittel des Bundes, die an die Länder gehen, ausschließlich für den Wohnbau. Derzeit wird dies nur in Wien praktiziert. 3.) Bundesweite Vereinheitlichung der Zugangsregeln für den geförderten Wohnbau 4.) Ausbau und Förderung von Nachbarschaftsservices und Kulturinitiativen im Wohnumfeld. 5.) Politische Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel, breites Verständnis für die Unterschiedlichkeit von Kulturen und Lebensformen zu schaffen in der Gewissheit, dass kulturelle Vielfalt eine große Bereicherung für unsere Gesellschaft ist.
  • 34. 34 Kolumnentitel Kollektivvertragswirksame Anerkennungen Gerald Musger, GPA-djp Interessengemeinschaften work@professional 97% aller Arbeitsverträge haben als Basis einen Kollektivvertrag. Damit ist Österreich Weltmeister. Zusammen mit dem Recht des Betriebsrates, die richtige Einstufung im Kollektivvertrag zu überprüfen, gibt es also rechtlich sehr gute Voraussetzungen, fehlerhafte Verträge und Diskriminierung durch zu geringe Entlohnung, zu verhindern. Dennoch ergeben sich viele Fragen der Anerkennung formaler Bildungsabschlüsse, vorgeschriebener Qualifikationsnachweise sowie informeller Kompetenzen und Berufserfahrungen. Kollektivverträge enthalten zwar explizit oder implizit das Verbot jeglicher Diskriminierung, dennoch ergeben sich aus Branchen- und Staatenwechsel, eine Reihe systemischer Hürden, die erst einmal überwunden werden wollen. UNTERSCHIEDLICHE EINSTUFUNGSKRITERIEN IN DEN KOLLEKTIVVERTRÄGEN Kollektivverträge stufen die ArbeitnehmerInnen in der Regel in verschiedene (meist zwischen 5 und 11) Gruppen ein, die nach unterschiedlichen Kriterien gegliedert und mit entsprechenden Tabellen von Mindest- grundgehältern/Mindestlöhnen kombiniert sind. Je nach Tradition der Branche und der Berufe, stehen dabei entweder die zertifizierten Qualifikationen (Zeugnisse, Diplome)10 oder die theoretischen und praktischen Kompetenzen, unabhängig vom formalen Abschluss11, im Vordergrund. Zusätzlich zu den erwähnten Kollektivvertragsgruppen sehen die meisten Kollektivverträge auch die Berücksichtigung beruflicher Erfahrung, in zwei- oder mehrjährigen Vorrückungs- stufen, vor. Die Frage der Anerkennung stellt sich daher als komplex und auf verschiedenen Stufen dar. Da betriebliche oder branchenweite Kollektivverträge anderer Länder manchmal weder Qualifikations- oder Tätigkeits- beschreibungen kennen und auch berufliche Erfahrungen nicht immer berücksichtigen, sind BetriebsrätInnen gut beraten, all diese Grundlagen einer korrekten kollektivvertraglichen Einstufung in Österreich, bei neu ankommenden ArbeitsmigrantInnen, genau zu hinterfragen, damit keine Rechte verloren gehen. Dazu kommt noch, dass in manchen Ländern größere Gruppen qualifizierter ArbeitnehmerInnen von den Kollektivverträgen ausgenommen sind, während sie in Österreich in ihren Genuss kommen. 10 zB Kollektivvertrag für Gesundheits- und Sozialberufe (BAGS), Verwendungsgruppe 7: Diplom-SozialbetreuerInnen mit Altenarbeit (AA), Behindertenarbeit (BA), Behindertenbegleitung (BB) und Familienarbeit (FA), Dipl. Gesundheits- und Krankenpflege- personal (DGKP), DGKP mit Verwendung, zu deren Ausübung eine Sonderausbildung* notwendig ist, GroßküchenleiterInnen, HaustechnikerInnen, SachbearbeiterIn- nen, Sicherheitsfachkräfte, Kindergarten- und HortpädagogInnen *Sonderkindergarten- und -hortpädagogInnen, alleinverantwortliche Behindertenfachkräfte, Berufs- und SozialpädagogInnen (zB in dislozierten Wohngruppen und in der beruflichen Rehabilitation), FrühförderInnen, LehrlingsausbildnerInnen mit Spezialaufgaben (zB im Behindertenbereich), Musik- und SportförderInnen, Lern- und FreizeitbetreuerInnen, Fachkräfte in der Flüchtlingsbetreuung, alleinverantwortliche Fachkräfte für die Betreuung von TMA. 11 zB Kollektivvertrag Metallindustrie, Beschäftigungsgruppe H: ArbeitnehmerInnen, die selbstständig schwierige und verantwortungsvolle Tätigkeiten mit beträchtlichem Entscheidungsspielraum verrichten, die besondere Fach- kenntnisse und praktische Erfahrung erfordern. Weiters ArbeitnehmerInnen, die in beträchtlichem Ausmaß mit der Leitung von Projekten betraut sind und dabei im Sinne der Tätigkeitsmerkmale der Beschäftigungsgruppe tätig werden. Ferner ArbeitnehmerInnen, die regelmäßig und dauernd mit der selbstständigen Führung, Unterweisung und Beaufsichtigung von zumindest 4 ArbeitnehmerInnen, worunter sich mindestens 1 ArbeitnehmerIn der BschGr. G und 2 ArbeitnehmerInnen der BschGr. F befinden müssen, beauftragt sind.