2. RHEINISCHE FACHHOCHSCHULE KÖLN
University of Applied Sciences
Fachbereich: Wirtschaft & Recht
Studiengang: Wirtschaft II
Diplomarbeit
Analyse der Einsatzmöglichkeiten von Social Media für
Non-Profit-Organisationen
Diplomarbeit vorgelegt von: Deniz Kilic
Matrikelnummer: MW01062027
1. Prüfer: Bernd Schmitz
2. Prüfer: Prof. Dr. Gisela Schmalz
Wintersemester 2009/2010
3. Dieses Werk ist unter einem Creative Commons Namensnennung-Keine kom-
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lifornia 94105, USA.
4. Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung .................................................................................... 1
1.1 Thema und Ziel der Arbeit ................................................................... 3
1.2 Aufbau der Arbeit ................................................................................. 3
2 Nonprofit-Organisationen ......................................................... 4
2.1 Definition des NPO-Begriffs ................................................................. 4
2.2 Gesellschaftliche Bedeutung von NPOs .............................................. 7
2.3 Gegenwart von NPOs und aktuelle Tendenzen ................................... 8
2.4 Finanzierung von NPOs ..................................................................... 10
2.4.1 Der Spendenmarkt ................................................................... 10
2.4.2 Erwartungen der Spender ........................................................ 12
2.4.3 Der Online-Spendenmarkt ........................................................ 14
2.5 Zusammenfassung und Konklusion ................................................... 16
3 Kommunikationspolitik von NPOs ......................................... 18
3.1 Besonderheiten der Kommunikation von NPOs................................. 19
3.2 Online-Kommunikation von NPOs ..................................................... 20
3.3 Annahme über Einsatzmöglichkeiten von Social Media für NPOs ..... 20
3.3.1 Stakeholder-Management ........................................................ 21
3.3.2 eCampaigning .......................................................................... 23
3.3.3 Online-Fundraising ................................................................... 25
3.4 Zusammenfassung ............................................................................ 27
4 Social Media ............................................................................. 28
4.1 Bedeutung von Social Media in Zahlen ............................................. 29
4.2 Klassifikation von Social Media.......................................................... 31
4.3 Social Media im Kontext des Web 2.0 ............................................... 32
4.4 User Empowerment und Word of Mouth durch Social Media ............ 33
4.5 Aktuelle Zahlen zur Internetnutzung .................................................. 36
4.6 Chancen für die NPO-Kommunikation ............................................... 38
4.7 Aktuelle Situation in Deutschland ...................................................... 40
5 Social-Media-Instrumente ....................................................... 42
5.1 Facebook ........................................................................................... 42
5.2 YouTube ............................................................................................ 49
6. 1
1 Einleitung
"Greenpeace ist bereits 2009 bereit, eine sog. Community in diesem Internet anzubieten. Bisher:
Briefkommunikation. #next09 #medienpartner"
Sascha Lobo, 1 am 06.05.2009 per Twitter
Wir leben in einer vernetzten Gesellschaft, in der das Internet aus vielen Le-
bensbereichen nicht mehr wegzudenken ist: im Privaten wie auch im Be-
ruflichen. Bereits mehr als zwei Drittel der Deutschen nutzen das "Netz der Net-
ze". Und dank innovativer Technologien wird das Internet immer mobiler.
Dieser hohe Grad an Vernetzung hat vieles in unserem Leben verändert - wie
wir Medien nutzen, wie wir ein Restaurant auswählen oder auch wie wir an der
Demokratie teilhaben. Es gibt kaum noch Organisationen - staatliche, kommer-
zielle oder gemeinnützige - ohne eine Online-Präsenz. Viele dieser Organisa-
tionen verlagern immer größere Teile ihrer Wertschöpfung ins Internet. Indes-
sen erwarten Konsumenten, Bürger oder Spender, dass die Organisationen, mit
denen sie in Beziehung stehen, ihre Produkte und Dienstleistungen auch online
anbieten.
Allerdings verändert sich das Internet sowie auch unser Online-Verhalten rapi-
de. Das Web 1.0, bei dem der Nutzer lediglich passiver Konsument war, ist ein
Auslaufmodell - das Web 2.0 hingegen ist Schlagwort und Megatrend zugleich.
Geprägt von Social Media sind die Anwendungen und Dienste im Web 2.0 in
hohem Maße interaktiv und vernetzt.
Millionen Menschen nutzen tagtäglich Social Media, indem sie Inhalte publizie-
ren und diese innerhalb ihrer Interessennetzwerke mit anderen teilen. Sie ge-
hen online, um ihre Meinung zu äußern und sich mit anderen Usern oder inner-
halb Communities auszutauschen. So hat sich seit der "Dotcom-Blase" das
Internet zum "sozialen Web" entwickelt.
1
Sascha Lobo ist Blogger, Buchautor, Journalist, Werbetexter und Galionsfigur der Internet-
Szene, siehe auch: www.saschalobo.com.
7. 2
Charakteristisch für die sozialen Medien ist der Dialog. Als Empowerment-
Instrument birgt diese Art der Kommunikation ein hohes Potential für Non-Profit-
Organisationen (NPOs). Schließlich engagieren sich immer mehr Menschen
sozialpolitisch auch über das Internet - oder täten es, würde man sie nur richtig
ansprechen. Welche Chancen bieten also Social Networks, Blogs und Co.?
Kaum ein Kommunikationsinstrument ist derzeit so interessant und so in Bewe-
gung. Über Social-Media-Plattformen wie Facebook, MySpace oder Twitter ha-
ben NPOs kostengünstige Möglichkeiten, ihre Anliegen öffentlich zu machen.
Dabei bietet das "Mitmachnetz" nicht nur eine Plattform, höhere Spendenein-
nahmen zu generieren - gerade beim Aufbau und bei der Kultivierung von Be-
ziehungen zeigt das Web 2.0 seine Stärken. Durch die Einbindung der Men-
schen kann die Glaubwürdigkeit der Organisation gestärkt werden - neben Geld
das wichtigste Kapital für NPOs. Dennoch nutzen viele NPOs das Potential von
Social Media nicht oder nur sehr vorsichtig. "Wir haben bei nahezu allen For-
men der modernen Online-Kommunikation erheblichen Nachholbedarf", geben
Marcia Poole und Markus Beeko, Kommunikationschefs von Amnesty Interna-
tional, im Wirtschaftsmagazin brand eins zu. 2 Auch im Branchenmagazin Fund-
raiser heißt es: "Deutsche Non-Profit-Organisationen und Web 2.0: Stiefmütter-
licher könnte eine Beziehung kaum sein". 3
Wechselnde Trends sowie die Angst vor Macht- und Kontrollverlust sorgen für
Unsicherheit. Fehlendes Know-how und eine mangelnde Strategie, wie die On-
line-Aktivitäten in das Marketing und Fundraising eingebunden werden können,
kommen als mögliche Gründe hinzu.
Dabei ist es weit weniger problematisch, die Häme eines Sascha Lobo über
Twitter zu ernten (s.o.), als das Risiko einzugehen, nicht im Web 2.0 aktiv zu
sein. Vor allem jüngere Zielgruppen können mit Social Media wesentlich besser
erreicht werden als mit anderen Marketing-Maßnahmen. Fast jeder 14-29-
Jährige nutzt das Internet. Hier gilt es, die interaktiven Erwartungen der "Gene-
ration Facebook" 4 zu berücksichtigen. Denn Sie sind die Spender von Morgen.
2
Poole/Beeko zit. bei Ramge: Glaubwürdigkeit, 2009, S. 51.
3
Vgl. Daberstiel: Im Niemandsland des Web 2.0, 2009, S. 30.
4
Titelthema stern, Heft Nr. 37 vom 3. Sept. 2009.
8. 3
1.1 Thema und Ziel der Arbeit
Die vorliegende Arbeit analysiert die Einsatzmöglichkeiten von Social Media für
NPOs. Der Status Quo des Nonprofit-Sektors sowie die Besonderheiten der
Kommunikationspolitik von NPOs bilden die theoretische Basis dieser Arbeit.
Darauf aufbauend wird untersucht, welche Spezifika das Web 2.0 und seine so-
zialen Medien aufweisen, um anschließend ausgewählte Instrumente im Haupt-
teil zu untersuchen. Zu diesem Zwecke werden auch Case Studies betrachtet.
Ziel der Arbeit ist, zu analysieren, welche Social-Media-Instrumente sich für
welche Zwecke eignen. Allzu oft bleibt die Betrachtung in der aktuellen wissen-
schaftlichen Literatur bei den Themen Marketing und Fundraising stehen, im
Kontext des Web 2.0 ist bis heute jedoch weitestgehend eine Forschungslücke
zu erkennen. Somit richtet sich diese Arbeit an Interessierte aus Forschung und
Praxis zugleich, die die Potentiale von Social Media in einem wissenschaftli-
chen Rahmen dargestellt haben möchten.
Das Web 2.0 bietet eine verwirrende und selbst für den Experten schwer zu
fassende Vielfalt an Social-Media-Instrumenten. Aus arbeitsökonomischen
Gründen - sowohl für den Verfasser als auch den späteren Praktiker - soll nur
auf die wichtigsten Anwendungen eingegangen werden. 5 Desweiteren konzent-
riert sich diese Arbeit auf Spenden sammelnde Organisationen.
1.2 Aufbau der Arbeit
Nach der Einleitung beschäftigt sich das zweite Kapitel mit NPOs im Allgemei-
nen sowie den Trends und Tendenzen im Nonprofit-Sektor. Kapitel 3 erklärt die
Besonderheiten der NPO-Kommunikation und stellt für einzelne Einsatzberei-
che Annahmen über die Vorteile von Social Media auf. Kapitel 4 erklärt Social
Media im Kontext des Web 2.0. Danach führt Kapitel 5 die beiden Untersu-
chungsgestände zusammen. Ausgewählte Social-Media-Instrumente werden
auf ihre Relevanz für die NPO-Kommunikation hin überprüft, ausgewählte Case
Studies stellen dabei den Bezug zur Praxis her. Das Fazit in Kapitel 6 bildet den
Abschluss dieser Arbeit und gibt Ausblick, Anregungen sowie Hinweise für ei-
nen effizienten Einsatz von Social Media in der NPO-Kommunikation.
5
Gemessen an Bedeutung, Popularität und Nutzerzahlen.
9. 4
2 Nonprofit-Organisationen
Die Leistungen von NPOs in den Bereichen Gesundheit, soziale Dienste, Ent-
wicklung, Umwelt- und Naturschutz etc. haben in den industrialisierten Ländern
traditionell eine hohe Bedeutung. Spätestens seit dem UN-Gipfel in Rio de Ja-
neiro 1992 ist darüber hinaus auch die Beteiligung von NPOs an der Politik ins
öffentliche Bewusstsein gelangt. 6 Zudem hat der Nonprofit-Sektor in den ver-
gangenen 40 Jahren im Verhältnis zu seiner Größe sowohl den privatwirtschaft-
lichen als auch den öffentlichen Sektor in der Schaffung neuer Arbeitsplätze
überholt. 7 Zwischen 1990 und 1995 ist der Nonprofit-Sektor - gemessen an-
hand der Arbeitsmarktentwicklung - fast viermal schneller als die restliche Wirt-
schaft gewachsen. Die Wirtschaftskraft des internationalen Nonprofit-Sektors
wurde im Jahr 1995 mit 1,1 Mrd. US-Dollar Umsatz angegeben, wobei in
Deutschland der Anteil des Nonprofit-Sektors an der Gesamtbeschäftigung in
den 90ern bei 4,9% lag. Zusätzlich muss - neben den ca. 19 Mio. hauptamtlich
Beschäftigten im internationalen Nonprofit-Sektor - auch die Leistung der
ehrenamtlichen Mitarbeiter berücksichtigt werden, die insgesamt über 10 Mio.
Vollzeitbeschäftigungen entspricht. 8 Somit kommt den NPOs neben der gesell-
schaftlichen Verantwortung eine zunehmende ökonomische Bedeutung zu.
2.1 Definition des NPO-Begriffs
Der aus dem Englischen abgeleitete Begriff Non-Profit-Organisation konnte sich
trotz oft gebrauchter Synonyme wie Freiwilligenorganisation, Zivilgesellschaftli-
che Organisation oder Nongovernmental Organization (NGO) 9 im deutschen
Sprachgebrauch etablieren. Dennoch trifft man in der wissenschaftlichen Litera-
tur zur Begriffsbestimmung auf Definitionen, die je nach Forschungsdisziplin
oder gesellschaftlichen Kontext zum Teil stark voneinander divergieren. 10
Die folgende Definition bildet die Basis für diese Arbeit.
6
Vgl. Klein: Der Diskurs der Zivilgesellschaft, 2001, S. 230.
7
Vgl. Anheier/Seibel: Nonprofit Sector in Germany, 2001, S. 1 f.
8
Vgl. Zimmer/Priller: Gemeinnützige Organisationen, 2007, S. 38 f.
9
Als NGO werden meist humanitäre, international agierende NPOs genannt. Der Begriff führt
jedoch zu Missverständnissen; vgl. dazu auch Badelt et al.: Wiener Schule, 2007, S. 5.
10
Eine Darstellung der Vielfältigen Definitionsversuche finden sich bei Simsa: Einflussformen
von NPOs, 2001, S. 67 ff.
10. 5
In Abgrenzung zu Profit-Organisationen definieren Schwarz et al. private, nicht-
gewinnorientierte Organisationen - also NPOs - als "jene produktiven sozialen
Systeme, welche ergänzend zu Staat und marktgesteuerten erwerbswirtschaft-
lichen Unternehmungen spezifische Zwecke der Bedarfsdeckung, Förderung
und/oder Interessenvertretung/Beeinflussung (Sachzieldominanz) für ihre Mitg-
lieder (Selbsthilfe) oder Dritte wahrnehmen." 11 In dieser Definition steckt bereits
ein besonders in den Sozialwissenschaften verwendeter Ansatz, der den Nonp-
rofit-Bereich als "Dritten Sektor" zwischen Staat und Markt bezeichnet. 12
Eine Definition, die international zunehmend rezepiert wird und weit verbreitet
ist, ist die im Rahmen des "Johns Hopkins Comparative Sectore Project" 13 ent-
wickelte. 14 Nach dieser sind zum Nonprofit-Sektor all diejenigen Organisationen
zu rechnen, die
• formell strukturiert,
• organisatorisch unabhängig vom Staat und
• nicht gewinnorientiert sind,
• eigenständig verwaltet
• sowie auch von freiwilligen Leistungen getragen werden. 15
Letzteres impliziert ehrenamtliche Hilfe und Spenden sowie den Ausschluss von
Zwangsmitgliedschaften.
NPOs verfügen somit über eine eigenständige Rechtsform, die jedoch stark va-
riieren kann. Das Spektrum reicht in Deutschland vom eingetragenen Verein
über die private Stiftung bis hin zur gemeinnützigen GmbH und gemeinnützigen
Genossenschaft. 16
11
Schwarz/Purtschert/Giroud: Management-Modell, 2005, S. 30.
12
Vgl. von Hippel: Grundprobleme von NPOs, 2007, S. 9.
13
Das 'Johns Hopkins Comparative Sectore Project' zählt aktuell zu den größten internatio-
nalen Forschungsprojekten zur quantitativen wie auch qualitativen Erfassung des Nonprofit-
Sektors. Siehe dazu auch: ‚Center for Civil Society Studies’ an der Johns Hopkins Universi-
tät: www.jhu.edu/~cnp/.
14
Vgl. Zimmer/Priller: Gemeinnützige Organisationen, 2007, S. 29 f.
15
Vgl. Salomon/Anheier: Defining the nonprofit sector, 1997, S. 30 ff.
16
Vgl. Zimmer/Priller: Gemeinnützige Organisationen, 2007, S. 32.
11. 6
Weiterhin lassen sich NPOs aufgrund ihrer Heterogenität und vielfältigen Ziele -
vom radikalen politischen Protest bis zum folkloristischen Tanz - in unterschied-
liche Tätigkeitsbereiche einteilen. 17 Die 1992 entwickelte Differenzierungssys-
tematik der "International Classification of Nonprofit Organizations" (ICNPO) 18
hat sich mittlerweile fest in der NPO-Forschung etabliert und findet im einschlä-
gigen Schrifttum häufig Anwendung: 19
1. Kultur und Erholung
2. Bildung- und Forschungswesen
3. Gesundheitswesen
4. Soziale Dienste
5. Umwelt- und Naturschutz
6. Entwicklung, Wohnungswesen und Beschäftigung
7. Vertretung von Bürger- und Verbraucherinteressen
8. Stiftungs- und Spendenwesen, Ehrenamtlichkeit
9. Internationale Aktivitäten
10. Religion
11. Wirtschafts- und Berufsverbände, Gewerkschaften
12. Sonstige. 20
Festzuhalten bleibt, dass NPOs zwar keine Gewinne ausschütten dürfen (not-
for-profit), 21 aber das Ziel verfolgen, mit den ihnen zur Verfügung stehenden
Überschüssen im Interesse des gewählten Zwecks einen maximal Nutzen zu
generieren. 22 Dabei werden NPOs als Dienstleistungsunternehmen betrachtet.
Ihre oberste Aufgabe - die Mission - ist die Erzielung von Wirkungen bei ihren
Anspruchsgruppen ("Stakeholder") durch verschiedene Dienstleistungen. 23
17
Vgl. Zimmer/Priller: Gemeinnützige Organisationen, 2004, S. 38.
18
Vgl. Salamon/Anheier: In Search of the Non-Profit Sector II, 1992, S. 125 ff; ebenso: Sala-
mon/Anheier: The International Classification of Nonprofit Organizations, 1996, S. 7, online:
www.ccss.jhu.edu/.
19
Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: International Classification of Nonprofit Organizati-
ons (ICNPO), online: www.wirtschaftslexikon.gabler.de.
20
Detailliertere Systematik bei Zimmer/Priller in: Gemeinnützige Organisationen, 2007, S. 35 f.
21
Vgl. von Hippel/Hopt/Walz: Nonprofit-Organisationen, 2005, S. 35.
22
Vgl. Helmig/Purtschert/Beccarelli: Nonprofit but Management, 2006, S. 4.
23
Vgl. Horak/Heimerl: Management von NPOs, 2007, S. 67.
12. 7
Dieser Sachzieldominanz gehen Ideen und Werte voraus, 24 die sich in unter-
schiedlichen Leistungserbringungen niederschlagen.
Beispiele für populäre NPOs sind Amnesty International im Bereich der Men-
schenrechte, der WWF (World Wildlife Fund) im Umweltschutz, die Arbeiter-
wohlfahrt im Bereich soziale Arbeit, CARE in der Entwicklungszusammenarbeit
oder auch Attac als globalisierungskritisches Netzwerk. Im Fokus dieser Arbeit
stehen Spenden sammelnde NPOs, die durch Information, Aufklärung, Entwick-
lungsarbeit und Protestaktionen Einfluss auf politische, gesellschaftliche, ökolo-
gische oder wirtschaftliche Entscheidungen ausüben wollen.
2.2 Gesellschaftliche Bedeutung von NPOs
NPOs wird vielfach die Rolle einer Ausgleichskraft zugeschrieben. Nach Simsa
können NPOs z.B. als konkurrierende oder zusätzliche Leistungserbringer zu
staatlichen oder wirtschaftlichen Organisationen in den Bereichen Kultur, sozia-
le Arbeit, Ausbildung oder Kinderbetreuung auftreten. NPOs als Leistungspio-
niere zeichnen sich in ihrem Tätigkeitsrahmen durch eine Expertise aus, z.B. im
Bereich der Umweltpolitik. NPOs als Kontrollinstanzen wiederum versuchen
staatliche oder wirtschaftliche Organisationen zur Einhaltung bereits formulierter
Aufgaben oder Abkommen und Richtlinien zu bewegen. Ferner üben NPOs als
Themenpioniere eine gesellschaftliche "Alarmfunktion" aus. Habermas betont in
Bezug auf Risiken wie z.B. atomares Wettrüsten, Atomenergie, Genforschung,
ökologische Gefahren, Verelendung der Dritten Welt und Probleme der Wirt-
schaftsordnung: 25 "Fast keines dieser Themen ist zuerst von Exponenten des
Staatsaparates, der großen Organisationen oder gesellschaftlichen Funktions-
systeme aufgebracht worden." 26 So sehen viele die Bedeutung der sozialen
Dienstleister für die Gesellschaft in der Rolle der Sozialanwälte, 27 die als Rep-
räsentanten der Zivil- oder Bürgergesellschaft soziale Probleme öffentlich ma-
chen und gesellschaftliche Probleme mildern sollen (z.B. Obdachlosigkeit). 28
24
Vgl. Helmig/Purtschert/Beccarelli: Nonprofit but Management, 2006, S. 7.
25
Habermas: Faktizität und Geltung, 1992, S. 461., zit. nach Simsa: Einflussformen von Nonp-
rofit-Organisationen, 2001, S. 133.
26
Simsa: Einflussformen von Nonprofit-Organisationen, 2001, S. 133.
27
Vgl. Tiebel: Management in Non Profit Organisationen, 2006, S. 4.
28
Vgl. Simsa: NPOs und die Gesellschaft, 2007, S. 121.
13. 8
2.3 Gegenwart 29 von NPOs und aktuelle Tendenzen
Laut einer Vereinsstatistik aus dem Jahr 2008 gibt es in Deutschland 554.401
eingetragene Vereine (e.V.). 30 Davon sind laut Bundesregierung 240.000 bis
280.000 ge-meinnützige Organisationen. 31 Das Deutsche Zentralinstitut für so-
ziale Fragen (DZI) 32 schätzt, dass von den gemeinnützigen Organisationen
20.000 aktiv Spenden sammeln; davon treten wiederum 10% durch überregio-
nale Spen-denaufrufe in Erscheinung. 33 248 Organisationen, die derzeit in
Deutschland überregional Spenden sammeln, tragen das DZI-Spendensiegel
(Stand: Oktober 2009). 34 Weitere Spenden sammelnde Organisationen sind
Stiftungen. Laut Bundesverband Deutscher Stiftungen gibt es 16.406 rechtsfä-
hige Stiftungen bürgerlichen Rechts - 6% mehr als im Vorjahr 2008. 35
Somit ist der Nonprofit-Sektor geprägt von einer polypolistischen Anbieterstruk-
tur. Neben dieser Entwicklung ist zu beobachten, dass der Wegfall oder die
Kürzung staatlicher Mittel im sozialen Bereich 36 einen wesentlichen Einflussfak-
tor für die Ausrichtung vieler NPOs darstellt. Aufgrund der verschärften Wettbe-
werbssituation sehen Helmig et al. eine Tendenz zunehmender Ökonomisie-
rung und Kommerzialisierung - auch im Sinne einer Professionalisierung - im
Dritten Sektor. Hinzukommen neu auf den Markt drängende Ableger erfolgrei-
cher ausländischer Organisationen. 37 Die Zahl der amerikanischen NPOs mit
internationalen Programmen wird mittlerweile auf über 2.500 geschätzt. 38
In Anlehnung an Horak und Heimerl sowie Andreasen und Kotler werden ak-
tuelle Trends im Nonprofit-Sektor mit Professionalisierungsfolgen aufgeführt:
29
Auf einen umfangreichen historischen Überblick soll an dieser Stelle verzichtet werden.
Diesen verschaffen Zimmer und Priller in: Gemeinnützige Organisationen, 2007, S. 45 ff.
30
Vgl. Vereinsstatistik 2008, online: www.npo-info.de.
31
Vgl. Deutscher Fundraising Verband (Hrsg.), online: www.sozialmarketing.de nach:
Deutscher Bundestag: Humanitäres Spendenwesen, 1994, S.5.
32
Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen vergibt das DZI-Spendensiegel an Spenden
sammelnde Organisationen des humanitär-karitatven Bereiches. Das DZI-Siegel ist eine Art
Qualitätssiegel für vertrauenswürdige Organisationen, siehe dazu auch: www.dzi.de.
33
Vgl. Deutscher Fundraising Verband, online: www.dfrv.de.
34
Vgl. Deutsches Zentralinsititut für soziale Fragen, online: www.dzi.de.
35
Vgl. Bundesverband Deutscher Stiftungen, online: www.stiftungen.org.
36
Vgl. Viest: Online-Kommunikation, 2008, S. 14.
37
Vgl. Helmig/Purtschert/Beccarelli: Nonprofit but Management, 2006, S. 5.
38
Vgl. Kotler/Andreasen: Strategic Marketing for NPOs, 2007, S.10.
14. 9
• Zunehmender Rechtfertigungsdruck: NPOs sind sehr von der Unterstützung
anderer abhängig. Diese Unterstützer wollen verstärkt darüber informiert
werden, was mit ihren Mitteln bewirkt wird. Diese Informationen müssen mit
Hilfe von Kommunikationsinstrumenten beschafft werden.
• Zunehmender Zeitdruck: Moderne Kommunikationsmittel ermöglichen ra-
schere Informationssammlung, die aber höheren Zeitdruck beim Treffen von
Entscheidungen mit sich bringt. Kombiniert mit dem Rechtfertigungsdruck
entsteht ein Effizienzdruck wie man ihn auch in der freien Wirtschaft kennt.
• Rückzug der öffentlichen Hand: Die generelle Mittelknappheit bzw. die
schrittweise Reduktion des Einsatzes der öffentlichen Hand zwingen NPOs
zu einem Finanzierungsmix.
• Rasche technologische Entwicklung: Das Zeitalter der Informationstechno-
logie hat auch für NPOs enorme Bedeutung. Der Umgang mit der entspre-
chenden Technologie (z.B. Internet) ist Grundvoraussetzung für die Aufga-
benbewältigung. Gleichzeitig gibt das Informationszeitalter der Zivilgesell-
schaft die Möglichkeit, sich zu vernetzen und soziales Engagement besser
zu koordinieren. Dieser Umstand gibt der Zivilgesellschaft Aufschub.
• Komplexe Beziehungen: Viele Anspruchsgruppen ("Stakeholder") haben
sehr unterschiedliche Bedürfnisse. Es wird zunehmend schwieriger, diesen
gerecht zu werden.
• Unzufriedenheit der Bürger mit den Lösungsvorschlägen und -ansätzen von
Staat und Politik in sozialen, ökonomischen und ökologischen Krisen. 39
Einerseits steigt die Bedeutung des NPO-Sektors, während andererseits die
Organisationen unter Kürzungen staatlicher Fördermittel zu leiden haben. Die
marktähnliche Situation und die Suche nach Finanzierungsalternativen haben
Themen wie Marketing und Fundraising in den Mittelpunkt der Branche ge-
rückt. 40 NPOs suchen verstärkt nach neuen Instrumenten der Spenderbindung
sowie die Erschließung neuer Spenderzielgruppen. Dem Marketing und der
Kommunikationspolitik kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu.
39
Vgl. Horak/Heimerl: Management von NPOs, 2007, S. 168;
Andreasen/Kotler: Strategic Marketing for NPOs, 2008, S. 17.
40
Vgl. Viest: Online-Kommunikation, 2008, S. 14.
15. 10
2.4 Finanzierung von NPOs
Der größte Teil der Einnahmen kommt weiterhin aus wirtschaftlichem Ge-
schäftsbetrieb und von der öffentlichen Hand. Das zeigt die folgende Grafik:
Abbildung 1: Einnahmestruktur deutscher NPOs 1999 in Prozent.
Quelle: eigene nach Hohn: Internet-Marketing für NPOs, 2001, S. 24.
2.4.1 Der Spendenmarkt
Die Schätzungen über das Spendenaufkommen in Deutschland gehen weit
auseinander. Das liegt vor allem an unterschiedlichen Erhebungen, Erhe-
bungsmethoden und Definitionen. 41 Da die Stichprobe der Gesellschaft für
Konsumforschung (GfK) am größten aber auch die Methode sowie der Informa-
tionsgehalt im Hinblick auf die Empirie am aussagekräftigsten ist, 42 wird an-
schließend ausschließlich diese berücksichtigt.
Laut "GfK CharityScope" lag demnach das Spendenaufkommen der Bevölke-
rung der Bundesrepublik Deutschland 2006 bei 1,97 Mrd. €, 2007 bei 2,08 Mrd.
€ (+5,5%). 43 Demgegenüber steht ein Rückgang der Spenderanzahl von 13,6
auf 12,9 Mio. Personen. 44 Im Jahr 2008 ist das Spendenaufkommen - der Wirt-
41
Vgl. Deutscher Fundraising Verband, online: www.dfrv.de.
42
Die Basis des GfK CharityScope ist das Spendenvolumen der privaten deutschen Bevölke-
rung ab einem Lebensalter von 10 Jahren. Mit Mitteln der Marktforschung werden monatlich
Daten über das Spendenverhalten einer Testgruppe von 10.000 Bundesbürgern erhoben.
43
Nicht enthalten sind Erbschaften und Unternehmensspenden.
44
Vgl. GfK (Hrsg.): Bilanz des Helfens, 2008, S. 5, online: www.spendenrat.de.
16. 11
schaftskrise zum trotz - noch mal um 4% angestiegen (siehe Abbildung 2). 45
Gemessen am Anteil der Spender liegt Deutschland unter vergleichbaren euro-
päischen Ländern dennoch nur an neunter Stelle.
Abbildung 2: Spendensumme und Spendenanzahl.
Quelle: Gfk (Hrsg.): Bilanz des Helfens, 2008, S. 6.
Das höchste Spendenaufkommen 2007 erzielten die Hermann-Gmeiner-Fonds
mit 116,8 Mio. Euro, es folgen SOS Kinderdorf e.V. mit 115,5 Mio. Euro, UNI-
CEF mit 85,5 Mio. Euro vor der Johanniter Unfallhilfe (82,9 Mio. Euro) und der
Deutschen Krebshilfe (81,9 Mio. Euro). 46 Die Einnahmestrukturen dieser Orga-
nisationen sind sehr verschieden. Ein Beispiel: Während bei der Caritas knapp
15% der Einnahmen aus Spenden stammen, sind es beim Deutschen Roten
Kreuz knapp 40%. Die Caritas bezieht über 50% ihrer Einnahmen aus Zus-
chüssen, das Deutsche Rote Kreuz nur 30%. 47
Noch immer stehen die Menschen über 60 Jahre für mehr als die Hälfte des
gesamten Spendenaufkommens in der Bundesrepublik (54,6%). Die Unter-40-
Jährigen hingegen sind mit 15,7% unterrepräsentiert - im Vergleich zu älteren
Menschen aber auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern. Seit 2007
ist der Anteil dieser Altersgruppe sogar noch um 0,6% gesunken. 48
45
Vgl. Adler: Spenden in der Wirtschaftskrise, 2009, S. 4, online: www.gfkps.com.
46
Vgl. Deutscher Fundraising Verband, online: www.dfrv.de.
47
Vgl. Caritas Bundesverband: Jahresbericht 2008, www.caritas.de, sowie DRK
Bundesverband: Geschäftsbericht 2007, www.drk.de (14. Sept. 2009).
48
Vgl. GfK (Hrsg.): Bilanz des Helfens, 2008, S. 7, online: www.spendenrat.de.
17. 12
Neben Geld- und Sachspenden können Zeitspenden in Form von ehrenamtli-
chen Tätigkeiten NPOs zur Verfügung gestellt werden. Laut "GfK CharityScope"
ist über die Hälfte der Bundesbürger ehrenamtlich tätig. Zeitspender sind auch
aktivere Geldspender als Nicht-Zeitspender. 49
2.4.2 Erwartungen der Spender
75,5% der von der "GfK CharityScope" Befragten glauben, dass zu viele der
Spendengelder für die Verwaltung der NPOs verloren gehen. 65% würden sich
mehr Transparenz bei Spendenorganisationen wünschen. So informieren sich
heute Interessierte und Spender ausführlich und kritisch über Sinn und Struktur
der Empfängerorganisation. 50 "Das Anliegen der Organisation liegt mir am Her-
zen" ist mit nur 68% der wichtigste Grund einer Organisation zu spenden. 51
Eine aktuelle Studie der Wirtschaftsprüfungs- und beratungsgesellschaft Price-
waterhouseCoopers (PwC) 52 kommt zu Ergebnissen, die noch deutlicher zu
mehr Transparenz und Informationen aufrufen: 53
• Öffentliche Rechenschaft über Einnahmen und Ausgaben ist für 74% der
Befragten das wichtigste Kriterium, um die Vertrauenswürdigkeit einer kari-
tativen Einrichtung einschätzen zu können.
• Knapp 70% legen zudem Wert darauf, dass die Organisation von sich aus
und nicht erst auf Nachfrage über Projekte und Aktivitäten berichtet.
• Hierbei signalisieren die Befragten, dass sie sich durchaus über Organisa-
tionen informieren: Knapp die Hälfte (43%) gibt an, sich sehr intensiv mit ei-
ner Organisation zu befassen, der sie Geld zukommen lassen möchte.
• Diejenigen, die sich intensiv über Spendenorganisationen informieren,
spenden eher regelmäßig (42%); diejenigen, die sich weniger informieren,
spenden eher anlassbezogen (45%).
49
Vgl. Deutscher Fundraisingverband, online: www.dfrv.de (14. Sept. 2009).
50
Vgl. Viest: Online-Kommunikation, 2008, S. 17.
51
Vgl. GfK (Hrsg.): Bilanz des Helfens, 2008, S. 5, online: www.spendenrat.de (07.09.2009).
52
PwC engagiert sich seit dem Jahr 2005 durch die Initiative Transparenzpreis für eine bessere
Berichterstattung deutscher Hilfsorganisationen ihren Spendern gegenüber.
53
Eine Befragung von 500 privaten Spendern in Deutschland zu ihrem Spendenverhalten, ih-
rem Vertrauen in Spendenorganisationen und ihren Motiven zu spenden - oder auch nicht;
online: www.pwc.de (10. Sept. 2009).
18. 13
• Veröffentlichungen wie Jahresberichte, Broschüren oder auch die Webseite
sind für drei von vier Befragten die wichtigste Informationsquelle.
• Dabei spielt das Internet eine immer wichtigere Rolle: 60% der Spender nut-
zen das Medium zur Informationsbeschaffung - bei der Gruppe der unter 40-
Jährigen sind dies sogar knapp 90%. 54
Negativschlagzeilen über Spendenorganisationen - wie im Falle UNICEF 55 -
bilden für die Hälfte der Spender einen Grund, gar keine karitative Einrichtung
mehr zu unterstützen. Drei von vier Nicht-Spendern spenden kein Geld mehr,
weil sie sich nach eigener Einschätzung nicht mehr darauf verlassen können,
dass die Spenden dort ankommen, wo sie hin sollen.
Weiterhin ist der Studie zu entnehmen, dass sich nur wenige Spender über
Werbung und Testimonials motivieren lassen. Nur 12% der Befragten spenden,
weil Prominente in Zeitungen, Funk und Fernsehen oder im Rahmen einer
Spendengala dazu aufrufen. Allerdings spielen die Medien eine wichtige Rolle
bei der Information über potentielle Spendenempfänger. So sagen 65% der
Spender, dass Medienberichte ihnen deutlich machen, wie wichtig ihre Unters-
tützung für Menschen in Not ist. Gute Erfahrungen sind für 55% ein Grund, für
eine Organisation wiederholt zu spenden. 56
"Vertrauen ist das wichtigste Kapital karitativer Einrichtungen. Organisationen
mit einer transparenten und offensiven Informationspolitik haben im Wettbewerb
um private Spenden klare Vorteile, da sie Spekulationen und Befürchtungen
über unsachgemäße Mittelverwendung keinen Raum geben", betont Dieter
Horst, Experte zum Thema Spenden bei PwC. 57
Nach Ansicht von Philip Hof, Geschäftsführer der Hilfsorganisation Stiftungs-
zentrum.de, haben Spender oft falsche Erwartungen zur Höhe der Verwal-
tungskosten: "Die eigentliche Ursache liegt (...) in der Ansicht der Spender,
54
Vgl. o.V.: Deutsche Spender, 2009, S. 64.
55
Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF, soll jahrelang Spenden veruntreut ha-
ben, was zu einem Verlust des Spendensiegels vom DZI geführt hat; für eine chronologische
Übersicht des Falls siehe: www.fr-online.de.
56
Vgl. o.V.: Deutsche Spender, 2009, S. 64.
57
Horst zit. bei o.V.: Deutsche Spender, 2009, S. 64.
19. 14
dass Verwaltungskosten per se schlecht sind. Sie werden als nicht notwendig
erachtet, geringe Kosten gelten als Qualitätsmerkmal. Deshalb tun sich Hilfsor-
ganisationen schwer, über die wirklichen Kosten zu informieren. Auf der ande-
ren Seite ist der Anspruch der Spender hoch: Sie wollen in Bild und Ton über
die zu lindernde Not informiert werden (...) und hätten gerne noch einen persön-
lichen Ansprechpartner für weitergehende Fragen." 58
Es kann festgehalten werden, dass trotz leicht steigenden Spendenvolumens
die allgemeine Spendenbereitschaft ab- und die Skepsis zunimmt. Gleichzeitig
steigt der Informationsbedarf, während zu hohe Verwaltungskosten kritisch ge-
sehen werden. Für NPOs bedeutet das eine nicht einfache Gratwanderung.
2.4.3 Der Online-Spendenmarkt
Gerademal 1% ihrer Spenden erhalten die meisten Organisationen per Inter-
net. 59 Dabei liegt die Durchschnittsspende in Deutschland bei 24 Euro, wohin-
gegen bei einer Online-Spende durchschnittlich 58 Euro gespendet werden. 60
NPOs investieren zwar 63% ihrer Werbeausgaben in das Direktmarketing aber
bisher kaum im Internet - der mit Abstand größte Teil entfällt laut Reichenbach
auf das Fundraising per Direct Mail 61 (2007: 31%). 62 Da über personalisierte
Mailings knapp ein Drittel des gesamten Geldspendenvolumens in Deutschland
eingeworben wird, konstatiert die "GfK CharityScope": "Das Mailing stellt die
wichtigste Säule der Geldspendengenerierung dar." 63 Aus einer anderen Pers-
pektive aus formuliert es Kai Fischer von der Agentur Spendwerk 64 im Bran-
chenmagazin Fundraiser: "Online-Fundraising steckt in Deutschland immer
noch in den Kinderschuhen. Ich behaupte sogar, wir sind von der internationa-
len Entwicklung längst abgehängt und viel zu Direct-Mail-fixiert." 65
58
Hof in: Interview in der Süddeutschen Zeitung, 20. Aug. 2008, online: www.sueddeutsche.de.
59
Damit sind Spenden über das Online-Formular einer Webseite gemeint, nicht jedoch Spen-
den, die per Online-Banking überwiesen werden.
60
Vgl. Ritzmann/Stolze: Die Kraft virtueller Netzwerke, 2009, S. 18.
61
Bei einer Direct Mail handelt es sich um eine persönlich adressierte, massenhaft vervielfältig-
te Briefsendung.
62
Vgl. Reichenbach: Online Fundraising, 2007, S. 19, online: www.online-fundraising.org.
63
Vgl. Deutscher Funraising Verband, online: www.dfrv.de.
64
Siehe: www.spendwerk.de.
65
Fischer zit. bei Daberstiel: Im Niemandsland des Web 2.0, 2009, S. 30.
20. 15
Reichenbach relativiert: "Größere Organisationen mit Spendeneinnahmen über
einer Mio. Euro dürften heutzutage bis zu fünf Prozent online erlösen, im zeitlich
eng begrenzten Umfeld einer medial begleiteten Naturkatastrophe ist für Hu-
manitäre Hilfsorganisationen ein Anteil von bis zu 20% realistische Zielgröße." 66
Während große Organisationen und Projekte einen steigenden Anteil an Onli-
ne-Spenden haben dürften, zeigt der Branchendurchschnitt (s.o.), dass die
Streuung sehr groß ist und sich vor allem kleinere Organisationen versäumen,
sich im Internet gut aufzustellen. Dass es zudem zum Thema Online-Spenden
in Deutschland keine umfassenden empirischen Untersuchungen gibt, ist sehr
ernüchternd. Weder in der Literatur noch bei den Verbänden sind valide Zahlen
für die Jahre 2006 bis 2008 zu finden. Ganz anders in den USA.
Online-Spendenmarkt in den USA
In Sachen Online-Fundraising spielen die USA eine Vorreiterrolle. Nach dem
11. September wurden 11% online gespendet, nach der Tsunami-Katastrophe
25%, nach Hurricane Katrina sogar 50%. Zwischen 7 und 12% der US-
Bevölkerung spendet online. 67 Höher sind nicht nur die Online-Spendenquoten
in den USA, weiter ist auch die Forschung zu diesem Thema.
Die jüngste Studie der Target Analytics Group vom März 2009 in Kooperation
mit 24 großen NPOs 68 ergibt, dass das Volumen der Online-Spenden auch von
2007 zu 2008 weiter stark angewachsen ist (+ 39%). Online-Spender sind laut
der Studie deutlich jünger als Offline-Spender, haben ein höheres Einkommen
und leisten eine deutlich höhere Durchschnittsspende. Zudem stellen sie einen
bedeutenden Anteil an Neuspendern dar. Kritisch stellt die Studie aber auch
fest: "While online giving is proving to be a great source of new donor acquisi-
tion, it is not clear that online donors are being cultivated to their true potential
once they are brought onto the file." 69
66
Vgl. Reichenbach: Online Fundraising, 2007, S. 19, online: www.online-fundraising.org.
67
Vgl. Austin: ePhilantrophy Revolution, 2007, S. 7.
68
U.a. Amnesty International, Earthjustice, Doctors Without Borders, Save The Children.
69
Vgl. Flannery et al.: Internet Giving Benchmarking Analysis, 2009, S. 1 f., online:
www.blackbaud.com.
21. 16
2.5 Zusammenfassung und Konklusion
Die Beschreibung des NPO-Begriffs und der Entwicklungen auf diesem Sektor
haben gezeigt, welche Bedeutung diese Organisationen für Gesellschaft und
Wirtschaft haben.
Bei immer knapper werdenden öffentlichen Kassen hat die Bedeutung der pri-
vaten Mittelbeschaffung für gemeinnützige Organisationen in den letzten Jahren
stark zugenommen. Allerdings agieren NPOs in einem vergleichsweise stagnie-
renden Spendenmarkt bei steigendem Wettbewerbsdruck. Wem es gelingt, bei
zunehmenden Effizienzdruck, knapperen Mitteln und rascher technologischer
Entwicklung, einen soliden Spenderstamm dialogorientiert zu pflegen, systema-
tisch Neuspender und Unterstützer zu gewinnen sowie Upgrading-Chancen zu
nutzen, der kann mit stabilen Einnahmen rechnen. Um sich Wettbewerbsvortei-
le in der Spenderbindung zu verschaffen, ist es wichtig, sich mit individueller
und innovativer Kommunikation nachhaltig und klar bei Spendern und Unters-
tützern zu positionieren. Allerdings steht eine Steigerung der Kommunikations-
und Fundraising-Aktivitäten dem Rechtfertigungsdruck durch die Spender ent-
gegen. Spender erwarten Transparenz und Offenheit 70 sowie eine klare und ak-
tive Informationspolitik bei gleichzeitig minimalen Verwaltungskosten. Diese
Problematik gilt es "kreativ" und "innovativ" zu lösen. 71
Desweiteren zeigen die Zahlen zu Online-Spenden, dass sie immer noch einen
sehr geringen Anteil an den Gesamtspenden ausmachen. Dem Online-
Fundraising wird in Zukunft eine wesentlich höhere Bedeutung zukommen
(müssen), auch im Hinblick auf die Entwicklungen und Zahlen aus den USA.
Bereits über zwei Drittel der Bevölkerung nutzt das Internet regelmäßig, inso-
fern ist die technologische Barriere überwunden. Darüber hinaus besucht die
Mehrzahl der Spender - egal, ob sie on- oder offline spenden - zuerst die Web-
seite der präferierten NPO. So ist davon auszugehen, dass ein hoher Anteil an
Spendern wenige Klicks vom Online-Spenden entfernt ist. Wenn sie zu Online-
Spendern geworden sind, tendieren sie dazu, mehr als offline zu zu spenden.
70
Vgl. auch: Anhang A, Interview 1.
71
Vgl. Tiebel: Management von NPOs, 2006, S. 10.
22. 17
Der geringe Anteil der Online-Spenden in Deutschland ist auf ein zu passives
Fundraising im Internet zurückzuführen. Vor allem die Potentiale der neuen so-
zialen Medien werden nicht ausreichend genutzt.
Priller und Zimmer weisen zudem darauf hin, dass die Bereitschaft zur aktiven
Mitarbeit in der Bevölkerung längst nicht ausgeschöpft ist. So wäre jeder vierte
Bundesbürger vorbehaltlos bereit, sich überhaupt oder auch noch stärker zu
engagieren. 72 Gleichzeitig liegen die Motive gesellschaftlichen Engagements
heute weniger in politischen und religiösen Überzeugungen oder gesellschaftli-
cher Anerkennung als vielmehr in der Selbsterfahrung und der Realisierung von
Kontakten zu anderen Menschen. 73 Attraktiv ist zunehmend das "Lockere, das
Informelle, das Interessante, das was Spaß macht, was zum gleichberechtigten
Mitmachen einlädt." 74 Dialog, Partizipation und Transparenz werden somit zu-
nehmend wichtiger.
"Jene Organisation, die nach außen hin transparent ist und gesprächsbereit, die
zur Partizipation einlädt und ihre Botschaft mit Passion vertritt, wird zu den Ge-
winnern des Wettbewerbs gehören", so Brigitte Reiser, Beraterin für NPOs. 75
Während die Verknüpfung von Social Media und NPOs in der deutschen wis-
senschaftlichen Literatur bisher nur rudimentär oder unter lediglich verwandten
spezifischen Gesichtspunkten (z.B. Online-Kommunikation 76 ) beschrieben wur-
de, wird in einigen Blogs teils fleißig über die Einsatzmöglichkeiten von Social
Media für NPOs diskutiert. 77 Diese Diskussion hat es auch in die Offline-Welt
durch die Social Bars und das Socialcamp in Berlin geschafft, wo sich "Techies"
mit NPO-Mitarbeitern austauschen. 78
Im Folgenden werden die Spezifika der NPO-Kommunikation beleuchtet.
72
Vgl. Zimmer/Priller: Ende der Mitgliederorganisationen?, 1999, S. 135.
73
Vgl. Priller: Ergebnisse der Dritte Sektor-Forschung, 1999, S. 38.
74
Vgl. Zimmer/Priller: Ende der Mitgliederorganisationen?, 1999, S. 136.
75
Reiser: Voraussetzungen, online: www.nonprofits-online.de.
76
Vgl. Viest: Online-Kommunikation, 2008.
77
Siehe u.a. www.blog.helpedia.de, www.socialblogger.de, www.blog.nonprofits-vernetzt.de.
78
Vgl. www.socialcamp-berlin.de.
23. 18
3 Kommunikationspolitik von NPOs
Der Kommunikationspolitik als Teil des Marketing-Mix muss aufgrund der Er-
kenntnisse aus Kapitel 2.3.2 eine besondere Bedeutung zugemessen werden,
da ihre Aufgabe darauf abzielt, direkt mit Anspruchsgruppen in Kontakt zu tre-
ten und Ausgaben in diesem Bereich seitens der Öffentlichkeit besonders kri-
tisch hinterfragt werden. NPO-Marketing ist dabei "eine verbindliche Grundhal-
tung innerhalb einer NPO [...], die eine konsequente Ausrichtung aller mittelbar
oder unmittelbar den 'Markt' betreffenden Entscheidungen an den Wünschen
und Bedürfnissen aller Stakeholder [...] verlangt." 79
NPO-Marketing ist widerum Teilgebiet des Sozialmarketings, das aufbauend
auf Kotlers Verständnis wie folgt definiert wird: "Sozialmarketing umfasst alle
Planungen und Aktionen, die dafür sorgen, dass eine soziale Organisation, ein
soziales Angebot, Produkt oder eine soziale Aktion einzelnen Menschen oder
der Öffentlichkeit bekannt wird und Erfolg hat. Dabei greift Sozialmarketing wie
im klassischen Marketing in die Produktentwicklung [Product], die Preisgestal-
tung [Price], die Kommunikation [Promotion] und die Verteilung [Placement] ein.
Erfolgreiches Sozialmarketing sorgt für einen optimalen Austausch zwischen
den verschiedenen Handlungsgruppen.“ 80 Diese Definition zeigt, dass innerhalb
der 4P’s ein Schwerpunkt auf die Kommunikation zu legen ist, da sie bei den
Zielgruppen für die nötige Bekanntheit sorgt. Dieser Aussage stimmt auch Kot-
ler zu, der den Schwerpunkt im Absatzmarketing bei der Produktpolitik sieht, im
Sozialmarketing jedoch im Bereich der Kommunikation, 81 weshalb sie im Hinb-
lick auf den Schwerpunkt der Arbeit im Fokus der Betrachtungen steht.
NPOs betreiben kein Social Marketing im Sinne einer Verkäufer-Käufer-
Beziehung. Die Kunden der Wirtschaftsunternehmen werden hier ersetzt durch
die Anspruchsgruppen wie Spender, Förderer, Medien etc. Diese Gruppen sol-
len motiviert werden, finanzielle, personelle oder ideologische Ressourcen für
soziale, politische oder gemeinnützige Zwecke zur Verfügung zu stellen, ohne
79
Helmig: Marketing, 2004, S. 3.
80
Vgl. Gromberg: Handbuch Sozialmarketing, 2006, S. 19.
81
Vgl. Schumacher: Grundlagen des Sozialmarketing, 2004, S. 23., zit. bei: Moitz: Kommunika-
tionskonzepte, 2008, S. 19 f.
24. 19
eine direkte Gegenleistung zu erwarten. 82 Neben Zielen der Akquisition und
Bindung von Unterstützern verfolgen NPOs mit ihren Marketingaktivitäten
hauptsächlich image- oder informationsbezogene Ziele. Potentielle Unterstützer
sollen von der Intention, der Glaubwürdigkeit und dem positiven Image der NPO
überzeugt werden. 83 Letztlich werden auch Zustands- und Verhaltensänderun-
gen angestrebt, die Drucker als "Changed Human Being umschreibt".
Für die Kommunikation als Teil des Marketing-Mix ergeben sich zusammenfas-
send folgende Ziele:
1. Leistungswirkungsziele: NPOs möchten bei bestimmten Gruppen oder
Personen - den Stakeholdern - Wirkungen erzielen, um ihre Mission (Vgl.
Kapitel 2.1) zu erfüllen.
2. Beeinflussungsziele: NPOs streben Zustands- und Verhaltensänderungen
an (z.B. ökologisches Verhalten, AIDS-Prävention).
3. Ressourcenorientierte Ziele: Um Leistungen zu erbringen, sind Potenziale
in Form von Personal, Finanzmittel etc. erforderlich. Deren Soll-Zustand ist
Gegenstand von ressourcenorientierten Zielen. 84
3.1 Besonderheiten der Kommunikation von NPOs
Die Statuierung von Sachzielen (vgl. Kapitel 2.1), heterogäne Anspruchsgrup-
pen (s.o.), die Eigenart des Leistungsangebots (Dienstleistungen, Ideologien)
sowie die spezielle Finanzierungsart (vgl. Kapitel 2.3) sind als direkte Einfluss-
größen auf die Ausgestaltung der Kommunikationspolitik von NPOs zurückzu-
führen. 85 Ein weiterer Einfluss ergibt sich aus der starken Emotionalisierung des
Nonprofit-Sektors, sowie der Tatsache, dass die Marketing-aktivitäten teilweise
auf schwer zu erfassende Dienstleistungen ausgerichtet sein müssen, z.B. die
Kommunizierung von Werten. 86 In der aktuellen Literatur werden deswegen der
Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations, kurz: PR), Formen der Multimediakom-
82
Vgl. Bruhn: Marketing für NPOs, 2005, S. 37.
83
Vgl. Hohn: Internetmarketing für NPOs, 2001, S. 29 f.
84
Vgl. Horak/Matul/Scheuch: Ziele und Strategien für NPOs, 2007, S. 179 f.
85
Vgl. Schewe/Nienaber/Kienitz: Kommunikations-Mix, 2009, S. 3.
86
"Der Turnschuh hat es einfach. Der schreit einfach: 'Kauf mich!' Eine Kampagne zu Men
schenrechten und Armutsbekämpfung hat es da deutlich schwerer.", vgl. Range: Glaubwür-
digkeit als Kapital, 2009, S. 51.
25. 20
munikation sowie der persönliche Kommunikation als Aktivitäten mit hoher bis
sehr hoher Bedeutung erarchtet. 87 Eng mit der PR hängt das Campaining zu-
sammen, das mit dem Schaffen von Ereignissen mit medialen Aufmerksam-
keitswert wie Protestaktionen einhergeht. 88
3.2 Online-Kommunikation von NPOs
In Anlehnung an Pleil werden der Online-Kommunikation für NPOs folgende
Funktionen zugeschrieben:
1. Selbstdarstellung und Darstellung der Ziele
2. Herstellen von Öffentlichkeit
3. Herstellen von Transparenz
4. Darstellen der eigenen Expertise
5. Campaigning
6. Fundraising
7. Gewinnen neuer Mitglieder/Unterstützer
8. Herstellen eines Dialogs mit Stakeholdern 89
3.3 Annahme über Einsatzmöglichkeiten von Social Media für NPOs
Aufgrund von Überschneidungen der Funktionalitäten und den oben beschrie-
benen Kommunikationszielen lassen sich die Einsatzmöglichkeiten der zu-
nächst allgemein gefassten Online-Kommunikation auf
• Stakeholder-Management (Leistungswirkungsziele, umfasst außerdem in-
sbesondere die oben genannten Punkte 1-8)
• Online-Fundraising (ressourcenorientierte Ziele, umfasst außerdem insbe-
sondere die oben genannten Punkte 1-8) und
• eCampaigning (Beeinflussungsziele, umfasst außerdem die oben ge-
nannten Punkte 1 - 2, 4 - 7) zusammenfassen.
87
Vgl. Schewe/Nienaber/Kienitz: Kommunikations-Mix, 2009, S. 14.
88
Vgl. Pleil: Nonprofit-PR, 2005, S. 7.
89
Vgl. Pleil: Nonprofit-PR, 2005, S. 10 f.
26. 21
Dass Stakeholder-Management, eCampaining und Online-Fundraising dank
Social Media ein starkes Empowerment erfahren können, soll diese Arbeit an
anschließender Stelle überprüfen. Bevor diese vorübergehende Annahme in
Kapitel 4 und 5 näher analysiert und gegebenenfalls validiert wird, sollen zu-
nächst die Begriffe "Stakeholder-Management", "eCampaining" und "Online-
Fundraising" definiert werden.
3.3.1 Stakeholder-Management
Stakeholder 90 sind Anspruchsgruppen, also alle internen und externen Perso-
nengruppen, die von den organisationalen Tätigkeiten gegenwärtig oder in der
Zukunft direkt oder indirekt betroffen sind. Gemäß Stakeholder-Ansatz wird ih-
nen das Recht zugesprochen, ihre Interessen gegenüber der Organisation
geltend zu machen. 91
In Anlehnung an Horak, Matul und Scheuch werden den Stakeholdern drei cha-
rakterisierende Eigenschaften zugeordnet. Stakeholder sind:
1. beeinflussend: Sie üben auf ihr Umfeld und auf die NPO sowie auf deren
Zielerreichung unterschiedlich starken Einfluss aus.
2. dynamisch: Ihre Ziele, Einstellungen und Ansprüche können sich rasch und
dramatisch ändern.
3. vernetzt: Sie dürfen in ihrer Beziehung zu der NPO nicht isoliert betrachtet
werden, sondern stehen in einem dichten, wiederum dynamischen Bezie-
hungsgeflecht mit anderen Anspruchsgruppen. 92
Im Unterschied zu betriebswirtschaftlichen Konzepten werden die Beziehungen
zu den Stakeholdern im Sinne dieser Arbeit nicht als Kostenfaktor, der kontrol-
liert werden muss, betrachtet. Im Gegenteil: Die Beziehungen zu den Stakehol-
dern bilden das soziale Kapital von gemeinnützigen Organisationen. Nach
Fuchs-Heinritz und König besteht das soziale Kapital "aus Möglichkeiten, ande-
90
Das englische „to have a stake“ kann mit „interessiert sein, Anteil haben“ übersetzt werden.
Als Synonym zum Begriff Stakeholder wird in dieser Arbeit der Begriff Anspruchsgruppen
verwendet.
91
Vgl. Gabler Verlag (Hrg.), Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Anspruchsgruppen, online
iwww.wirtschaftslexikon.gabler.de
92
Vgl. Horak/Matul/Scheuch: Ziele und Strategien von NPOs, 2007, S. 197.
27. 22
re um Hilfe, Rat oder Information zu bitten sowie aus den mit Gruppenzugehö-
rigkeiten verbundenen Chancen sich durchzusetzen. Substrat dieser Kapitalsor-
te ist das Netz der sozialen Beziehungen (Freundschaften, Vertrauensbezie-
hungen, Bekanntschaftsbeziehungen, Geschäftsverbindungen), die man einge-
gangen ist, sowie die Mitgliedschaften in Gruppen, (...), Klubs." 93 In Voraus-
schau zur Bedeutung von Social Media könnte man noch Social Networks an
dieser Stelle einfügen.
Aus den Beziehungen zu ihren Stakeholdern bzw. dem Sozialkapital gewinnen
NPOs ihre Ressourcen wie Geld, Zeit, politische Unterstützung, Ideen, Wissen
usw. Anders formuliert: Allen Ressourcen einer NPO liegt eine Beziehung zu-
grunde. 94
Annahmen über die Bedeutung von Social Media für das
Stakeholder-Management
Es wird angenommen, dass Social Media dabei helfen könnte, Außenkontakte
auf eine schnelle und persönliche Art und Weise zu pflegen, neue Stakeholder
in die eigene Arbeit zu integrieren, das eigene Netzwerk zu vergrößern und
Glaubwürdigkeit und Image als gemeinnützige Organisation zu stärken. Dabei
geht es darum, sich von der Abhängigkeit staatlicher Geldgeber zu lösen, das
Potential des eigenen gesellschaftlichen Umfelds zu nutzen, die Organisation in
Netzwerke zu integrieren, auf Freiwillige zurückzugreifen und die Wertschät-
zung aller Unterstützer offen zu zeigen. So könnte Mittels Social Media im So-
cial Web Sozialkapital aufgebaut werden.
Reiser warnt vor der Nichtnutzung von Social Media: "Wer gegenüber Stake-
holdern nicht gesprächsbereit ist, wird langfristig Spender verlieren. Denn die
sozialen Märkte im Internet wachsen massiv und damit auch die Konkurrenz um
Spenden und Unterstützer. Jeder Internetnutzer kann heutzutage auf Online
Fundraising-Plattformen zwischen tausenden von Nonprofit-Anbietern auswäh-
len." 95
93
Fuchs-Heinritz/König: Pierre Bordieu, 2005, S. 166.
94
Vgl. Reiser: Soziales Kapital, 2009, S. 32; vgl. auch: Anhang A, Interview 2.
95
Vgl. Reiser: Voraussetzungen, online: www.nonprofits-online.de.
28. 23
Best-Practice-Beispiel
Die Umweltorganisation Greenpeace Deutschland ist auf Facebook, 96 My-
Space, 97 Twitter 98 und YouTube 99 vertreten. Somit kann die Organisation aus
Hamburg in den populärsten Social Networks mit ihren Stakeholdern in Kontakt
treten und einen Dialog aufbauen. Schnell, kostengünstig und dazu noch mit
multimedialen Inhalten verknüpft. Auf dem Greenpeace-Blog 100 bloggen ver-
schiedene Mitarbeiter über die aktuellen Greenpeace-Aktionen. Kommentar-
funktionen erlauben es den Stakeholdern Feedback zu geben, Fragen zu stel-
len oder Kritik zu äußern. Die neue Community GreenAction.de 101 bringt die
Vorteile von Social Media sogar auf eine organisationseigene Plattform und
bindet somit die Stakeholder noch mehr an die "Marke" Greenpeace.
3.3.2 eCampaigning
Die Operationsform des Protests ist eng geknüpft an soziale Bewegungen.
Simsa definiert soziale Bewegungen als "Netzwerke aus Gruppen und Organi-
sationen, die sozialen Wandel durch Protest herbeiführen wollen." 102 NPOs sind
eng mit sozialen Bewegungen verbunden. Mangels Geld und Macht ist Reso-
nanz in der Öffentlichkeit, vermittelt über die Medien, ein zentrales Erfolgskrite-
rium für soziale Bewegungen wie auch für die meisten politisch tätigen
NPOs. 103 Dieses Vermitteln nennt man Campaining.
Unter Campaigning als PR-Kommunikationsform werden hier dramaturgisch
angelegte, thematisch begrenzte, zeitlich befristete kommunikative Strategien
zur Erzeugung öffentlicher Aufmerksamkeit verstanden, die auf ein Set unter-
schiedlicher kommunikativer Instrumente und Techniken - werbliche Mittel,
marketing-spezifische Instrumente und klassische PR-Maßnahmen - zurück-
greifen. Aufmerksamkeit zu erwecken, ist das Minimalziel des Campaigning.
Ziel ist darüber hinaus, Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Organisation und
96
Siehe: www.facebook.com.
97
Siehe: www.myspace.com.
98
Siehe: www.twitter.com.
99
Siehe: www.youtube.com.
100
Vgl. www.blog.greenpeace.de.
101
Vgl. www.greenaction.de.
102
Simsa: NPOs und Gesellschaft, 2007, S. 124.
103
Vgl. Simsa: NPOs und Gesellschaft, 2007, S. 124.
29. 24
Zustimmung zur eigenen Mission oder aber der Leistungserbringung zu erzeu-
gen. 104 Im Wesentlichen zielen sie entweder auf eine Verhaltens-, Einstellungs-
oder Werteänderung ab oder haben eine Form von Protest (z.B. Boykott oder
Petition) zum Inhalt. Solche Sozialkampagnen haben eine möglichst hohe Me-
dienresonanz zum Ziel. Medienresonanz und Bevölkerungsmobilisier-
ungspotential bedingen sich gegenseitig. eCampaigning nennt man Kam-
pagnenpraktiken mit der Zuhilfenahme von Online-Medien.
Annahmen über die Bedeutung von Social Media für das
eCampaigning
Die obige Definition enthält die Begriffe "Netzwerke" und "Organisationen" -
Systeme, die im Web 2.0 durch Netzwerkeffekte und Selbstorganisation ver-
stärkt werden können. Darüber hinaus ist das Internet ein orts- und zeitunge-
bundes Medium. Insofern wird angenommen, dass eCampaining in neuer Form
mittels Social Media möglich sein könnte. Ferner ist für Aktivisten die Bedeu-
tung des Social Web zu betonen, das auf einer radikalen Demokratisierung des
Wissens und auf die Pluralisierung von Stimmen, Quellen und Perspektiven be-
ruht. 105 Winter stellt dazu fest: "Das Internet wird zu einem performativen
Raum. Handlungen werden vollzogen, indem sie geäußert werden. Auf diese
Weise ermöglichen digitale Technologien auch weniger dichten und orga-
nisierten Netzwerken, Themen zu setzen, alternative Perspektiven zu entfalten
und ihnen eine eigenständige Bedeutung zu geben." 106 Hinzukommt, dass im
Internet die "Gatekeeper"-Funktion der Medien wegfällt. Der Schleusenwärter
entscheidet im Fernsehen, welche Nachricht erscheint. Durch die Publikation im
Internet wird diese Hürde umgangen. Graswurzelbewegungen könnten also
heute ihre Vernetzung über Social Media verstärken und von den Inhalten ihrer
Nutzer profitieren.
Urs Gasser von der Universität St. Gallen betont: "Wenn jemand (...) den Nerv
der Zeit trifft und ein echtes gesellschaftliches Anliegen aufgreift, treten plötzlich
starke Netzwerkeffekte auf. Über Nacht können sich, wenn richtig angespro-
104
Vgl. Röttger: Campaigns (f)or a better world?, 2006, S. 10.
105
Vgl. Winter: Perspektiven eines alternativen Internet, 2008, S. 23.
106
Winter: Perspektiven eines alternativen Internet, 2008, S. 26.
30. 25
chen, Tausende Menschen virtuellen Gruppen anschließen." 107 Social Net-
works wie Facebook, MySpace oder Twitter könnten also effektiv die Kampag-
nen integriert werden. So könnten Aktionen angekündigt und um Spenden so-
wie um Unterstützung gebeten werden. Ziel wäre, möglichst viele "Freunde" für
das Anliegen zu finden, die wiederum ihre Freunde und Bekannte aktivieren.
Best-Practice-Beispiele
Die Meta-NPO Campact.de 108 hat beinahe 200.000 potenzielle E-Mail-
Aktivisten vernetzt, die sich in kurzer Zeit zur digitalen Demonstration zusam-
menschließen können. Bspw. übersendeten 13.000 Campact-Aktive im Herbst
2008 Mails an drei große Banken, um gegen eine Finanzierung zweier Atom-
reaktoren in Bulgarien zu protestieren. In 60 Städten bereiteten Menschen
koordiniert über das Internet Aktionen vor den Filialen der Banken vor. Drei Ta-
ge vor Beginn der Aktionswoche verzichteten die Banken auf die Kredite. 109
3.3.3 Online-Fundraising
Fundraising bezeichnet im engen Sinne die professionelle Methodik des Spen-
densammelns. 110 Der Begriff entspringt aus dem Englischen und setzt sich zu-
sammen aus dem Substantiv "fund" (Geld, Kapital) und dem verb "to raise"
(steigern, erhöhen). Online-Fundraising ist Fundraising im und über das Inter-
net. Mit verschiedenen Zahlungssystemen wie Lastschrift, Kreditkarte oder
PayPal können die Spenden online direkt ausgelöst werden.
In Abgrenzung zur obigen Definition nimmt Ken Burnett eine spenderorientierte-
re Perspektive ein: "Fundraising is not about raising money. It's about meeting
needs and bringing about change." 111 Der Autor betont ferner "'Relationship
fundraising' is where people matter most.", 112 wodurch der Spender und das
Schaffen einer nachhaltigen Beziehung zwischen der Organisation und dem
107
Gasser zit. bei Blech et al.: Nackt unter Freunden, 2009, S. 127.
108
Nach dem US-Vorbild MoveOn.org bietet die NPO Campact ein internetbasiertes
Beteiligungsforum, mit dem Protest-Emails nicht vereinzelt, sondern gebündelt an politische
Entscheidungsträger gerichtet werden können. Der Name kommt von „campaign“ -
Kampagne - und „action“.
109
Vgl. www.campact.de.
110
Vgl. Jastram: Strategisches Fundraising, 2007, S. 2.
111
Burnett: Relationship Fundraising, 1992, S. 39.
112
Burnet: Relationship Fundraising, 1992, S. 47.
31. 26
Spender im Zentrum aller Fundraising-Aktivitäten rückt. Demnach muss die
Grundlage aller Überlegungen zum Fundraising die Orientierung am Spender
und Wettbewerb sein. Die Distanz ist eines der größten Hindernisse im Fund-
raising. Jastram betont deshalb, wie wichtig es ist, durch Marktforschung, Ein-
sichten über die Bedürfnisse gegenwärtiger und potentieller Spender zu erlan-
gen (vgl. Kapitel 2.3.1), und darüber hinaus, das Angebot und die Kommunika-
tionstechniken des Wettbewerbs zu kennen und sich davon abzugrenzen. 113
Übergeordnetes Ziel ist dennoch die Generierung von (möglichst hohen) Spen-
den. 114
Annahmen über die Bedeutung von Social Media für das
Online-Fundraising
Wenn man einen Spendenbrief bekommt, kann man ihn lesen, spenden oder
den Brief wegschmeißen. Der Brief hält keinen "Forward-Button", keinen "Sha-
re-Button", eine Aufforderung "teile es mit deinem Netzwerk" oder Ähnliches be-
reit. Kurz gesagt: virale Netzwerkeffekte sind kaum möglich.
In einem Fachvortrag an der FH Osnabrück zum Thema "Non-Profits und Web
2.0" formulierte der Referent und "SocialBlogger" Ole Seidenberg die Vorteile
des Online-Fundraising etwas lapidar aber (vermutlich) treffend: "Im Netz er-
reicht Ihr Zielgruppen, die Ihr mit Direktmailings schon lange nicht mehr erreicht
– und das um ein vielfaches effektiver. Erstens gibt es Netzwerkeffekte, die
Euch einen kostenfreien Zusatznutzen bringen (denn Ihr zahlt ja nix extra, wenn
jemand Eure coole Kampagne in seinem Netzwerk verbreitet) und zweitens fin-
det die junge Generation Empfehlungen von Freunden auf Facebook und Twit-
ter nunmal glaubwürdiger als den zwanzigsten Spendenbrief zu Weihnachten
mit Anschreiben vom Vorstand (und scheinheilig eingescannter Unter-
schrift)." 115 Solcherlei Aktivitäten zielen vor allem auf jüngere Zielgruppen. Laut
Gerhard Wallmayer, Fundraising-Chef von Greenpeace, wirkt bei den Jüngeren
"alles, wo es zu einem direkten menschlichen Kontakt kommt." 116
113
Vgl. Jastram: Strategisches Fundraising, 2007, S. 3 ff.
114
Vgl. Reichenbach: Online-Fundraising, 2006, S. 7 f, online: www.online-fundraising.org.
115
Seidenberg: Von der Theorie zur Praxis, online: www.socialblogger.de.
116
Wallmayer zit. bei Jastram: Strategisches Fundraising, 2007, S. 21.
32. 27
Darüber hinaus könnte durch die direkte Einbindung der Spender in das Ge-
schehen der NPO zugleich Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der Einrichtung be-
sonders gestärkt werden. Vorraussetzung hierfür ist die Pflege einer freund-
schaftlichen Beziehung. Dies kann über Partizipation und Interaktion geschehen
- zwei signifikante Eigenschaften von Social Media wie an anschließender Stel-
le noch festgestellt werden soll.
Best-Practice-Beispiel
Eines der besten Beispiele dafür, wie eine NPO mittels Social Media erfolgreich
Online-Fundraising betreibt ist charity: water. 117 Das Ziel der noch sehr jungen
NPO ist es, Entwicklungsländer mit ausreichend sauberem Trinkwasser zu ver-
sorgen. Die Organisation generierte 250.000 Dollar an Spenden via Twesti-
val 118 (Motto: Tweet. Meet. Give). 119 Dies ist ein via Twitter organisiertes Social-
Networking-Event, das in über 200 Städten die Twittergemeinde von chari-
ty:water zusammenbrachte. Die NPO bringt es bei Twitter auf fast 1 Mio. Fol-
lower, 120 ist allgemein online und auf Social-Media-Seiten, darunter Facebook,
Twitter und Youtube sehr präsent. Die ganze Story ist auf Youtube zu sehen. 121
3.4 Zusammenfassung
In Kapitel 3 wurden die Bedeutung und die Besonderheiten der NPO-
Kommunikation zusammengefasst. Abgeleitet aus der Online-Kommunikation
wurden drei Einsatzmöglichkeiten von Social Media für NPOs aufgeführt: Sta-
keholder-Management, eCampaigning und Online-Fundraising. Welche Bedeu-
tung Social Media für diese drei Themengebiete haben könnte, wurde in An-
nahmen zusammengefasst, die in den nächsten Kapitel überprüft werden. Hier-
zu soll zunächst der Begriff Social Media im Kontext des Web 2.0 erörtert wer-
den. Im Kapitel 5 werden dann die einzelnen Social-Media-Instrumente, die im
Kontext der Kommunikationspolitik von NPOs in Frage kommen, ausführlich
analysiert und die vorangestellten Annahmen überprüft.
117
Siehe: www.charitywater.org.
118
Siehe: www.twestival.com.
119
Vgl. www.charitywater.org,
120
Siehe: www.twitter.com.
121
Vgl. www.youtube.com.
33. 28
4 Social Media
Unter Social Media versteht man Anwendungen und Dienste im Web 2.0, die
eine Vernetzung und den Dialog zwischen Usern sowie die Erstellung von In-
halten aus Text, Bild, Audio oder Video ermöglichen. Social Media basiert auf
Social Software. Der Begriff Social Software wird in der Regel für Systeme ver-
wendet, die in einem sozialen Kontext den Informationsaustausch, den Bezie-
hungsaufbau und die Kommunikation unterstützen. 122 Alby fügt als Kriterium
hinzu, "dass [Social Software] den Aufbau und das Selbstmanagement einer
Community fördern und unterstützen muss." 123 Aufgrund der einfachen Bedie-
nung der Social Software publizieren User ihre eigenen Inhalte (User-
Generated Content, kurz: UGC) und können im Internet flexibel in ihrer Rolle
vom Publikum zum Autor wechseln, ohne dass dafür Programmierkenntnisse
nötig sind. Social Media bildet darüber hinaus die Beziehung zwischen Inhalten
und Personen ab. Email-Kommunikation ist in diesem Sinne kein soziales Me-
dium, da zwar Interaktion und Kommunikation ermöglicht wird, diese jedoch
nicht durch Dritte einsehbar ist. Social-Media-Dienste sind i.d.R. kostenlos.
Social Media, auch "People Media" genannt, wandelt mediale Monologe (one-
to-many) in soziale Diaologe (many-to-many) um, was für viele Menschen den
Wunsch nach sozialem Austausch befriedigt. So erklärt sich auch, warum zwei
Drittel der weltweiten Internetnutzer in Social Networks zu finden sind - ein Be-
reich, der zehnmal schneller wächst als alle anderen Internetanwendungen und
die Verwendung von E-Mails bereits überholt hat. 124
Anders als bei anderen Medien, kreieren die Betreiber der sozialen Medien zu-
meist keine eigenen Inhalte und übernehmen keine redaktionellen Aufgaben.
Sie stellen lediglich die Plattformen oder den Dienst zur Verfügung und definie-
ren letzlich, welche Funktionalitäten und Module das Angebot enthält und wel-
che grundlegenden Regeln die User zu beachten haben (siehe Twitter). 125
122
Vgl. Hippner: Social Software, 2006, S. 7.
123
Alby: Web 2.0, 2007, S. 89.
124
Vgl. Nielsen Global Faces and Networked Places, 2009, S. 2; online: www.server-
uk.imrworldwide.com (PDF).
125
Vgl. Stanoevska-Slabeva: Web 2.0, 2008, S. 16.
34. 29
4.1 Bedeutung von Social Media in Zahlen
Oftmals wird im Zusammenhang mit Social Media von einer Revolution oder ei-
nem Paradigmenwechsel gesprochen. Skeptiker hingegen sprechen von einer
Modeerscheinung. Ob es sich tatsächlich um solch eine handelt oder nicht, ver-
sucht ein Youtube-Video mit dem Titel "Social Media Revolution" 126 , veröffent-
licht vom Autor des Buches "Socialnomics" 127 , zu beantworten. Im Folgenden
eine Auswahl erstaunlicher Zahlen und Fakten aus jenem Video:
• Bis 2010 werden die "Digital Natives" 128 die Generation "Baby-Boomer" an
Zahl übertreffen, 96% von ihnen werden Social Networks nutzen. 129
• Social Media hat "Pornografie" als die häufigste Aktivität im Web überholt. 130
• Jahre um 50 Mio. Nutzer zu erreichen: Radio (38 Jahre), TV (13 Jahre),
Internet (4 Jahre), 131 iPod (3 Jahre); Facebook brauchte weniger als 9 Mo-
nate für 100 Mio. Nutzer, 132 iPhone-Applikationen erreichten 1 Mrd. Men-
schen in 9 Monaten. 133
• Wenn Facebook ein Land wäre, hätte es die viertmeisten Bewohner. 134
• Die am schnellsten wachsende Nutzergruppe auf Facebook sind Frauen
zwischen 55 und 65 Jahren. 135
• 80% der Twitter-Nachrichten werden von unterwegs erstellt 136 - die User
aktualisieren von überall und jederzeit.
• YouTube ist mit über 100 Mio. Videos die zweitgrößte Suchmaschine der
Welt. 137
126
Siehe: www.youtube.com; das Video hatte bisher (Oktober 2009) fast eine Mio. Views.
127
Siehe: www.socialnomics.net.
128
Als "Digital Natives" wird die Generation der Bevölkerung genannt, die nach 1980 geboren
wurde und jetzt (2009) ein Lebensalter von Mitte 20 aufweist. Es handelt sich um eine Gen
eration, die mit digitalen Technologien aufgewachsen ist; siehe: www.de.wikipedia.org.
Vgl. Windisch/Medman: Understanding The Digital Natives, 2008, S. 1 ff.; online:
www.ericsson.com (PDF).
129
Vgl.: Grundwald Associates: National Study, 2007; zit. bei Weiss: Social Network Users,
2007; online: www.trendsspotting.com.
130
Vgl. Goldsmith: Porn passed over as Web users become social, 2008; online:
www.reuters.com.
131
Vgl. o.V.: United Nations Cyberschoolbus, S. 1; online: www0.un.org (PDF).
132
Vgl. Kremp: Facebook-Gründer im Geldrausch, 2007; online: www.spiegel.de.
133
Vgl. www.apple.com.
134
Vgl. www.facebook.com.
135
Vgl. Smith: Women over 55, 2009; online: www.insidefacebook.com.
136
Vgl. Qualman: Social Media Is Bigger Than You Think, 2009; online: www.socialnomics.net.
35. 30
• Es gibt über 200 Mio. Blogs. 138
• 54% der Blogger publizieren Inhalte oder twittern täglich. 139
• 25% der Suchergebnisse für die 20 weltgrößten Marken sind Links zu User-
Generated Content. 140
• 34% der Blogger schreiben Meinungen zu Produkten und Marken. 141
• 24 der 25 größten Zeitungen verzeichnen Auflageneinbrüche - wir suchen
nicht mehr nach Nachrichten, sondern die Nachrichten kommen zu uns. 142
• Mehr als 1,5 Mio. Inhalte wie Weblinks, News Stories, Blog-Posts, Videos,
Fotos usw. werden auf Facebook mit anderen geteilt - täglich. 143
Qualmans Fazit lautet entsprechend: "Social Media isn't a fad, it's a fundamen-
tal shift in the way we communicate." 144 - auch im Hinblick auf die Kommunika-
tion von Unternehmen und Organisationen. Zusammengerechnet verzeichnen
Facebook, Myspace und Youtube über 250 Mio. Unique Visitors - monatlich. 145
Medienunternehmen, die vor sechs Jahren noch nicht einmal existierten, wäh-
rend traditonelle Medien mit sinkenden Reichweiten zu kämpfen haben.
Mögen sich einige dieser Statistiken zwar auf die USA beziehen, kann dennoch
angenommen werden, dass diese Trendlinien sich auch in Deutschland zeigen
werden bzw. es schon tun (vgl. Kapitel 4.7). Social Media ist also Teil des mo-
dernen Lebensstils. Trotzdem muss bei der Popularität "sozialer Medien" von
einem Meta-Trend gesprochen werden, der sich erst mit der Philosophie des
Web 2.0 entfalten konnte. 146 Kapitel 4.3 setzt Social Media entsprechend in den
Kontext des Web 2.0. Vorher soll jedoch zunächst eine Klassifikation der ver-
schiedenen Anwendungen, Plattformen und Dienste erläutert werden.
137
Vgl. Hill: Youtube surpasses Yahoo as world's #2 search engine, 2008; online:
www.tgdaily.com.
138
Vgl. www.technocratie.com.
139
Vgl. Arons et al.: Blogs and User Generated Content, 2009, S. 24 f.
140
ebenda.
141
Vgl. o.V.: Social Media Research Wave 3, 2008; online: www.slideshare.net.
142
Vgl. Qualman: Social Media Is Bigger Than You Think, 2009; online: www.socialnomics.net.
143
Vgl. www.facebook.com.
144
Vgl. Qualman: Social Media Is Bigger Than You Think, 2009; online: www.socialnomics.net.
145
Vgl. www.siteanalytics.compete.com
146
Manchmal werden die Begriffe durcheinander gebracht.
36. 31
4.2 Klassifikation von Social Media
Grundlage von Social Media sind aktive Nutzer und UGC. Ausgehend von der
Art des UGC, können content- und beziehungsorientierte Social-Media-
Anwendungen und -dienste, -plattformen sowie virtuelle Welten unterschieden
werden:
1. Content-orientierte soziale Medien unterstützen das Kreieren, Verwalten,
Konsumieren und Austauschen von unterschiedlichen textuellen oder multi-
medialen Inhalten. Sie können unterteilt werden in:
Blogs
Wikis
Pod- und Vodcasts
Media Sharing Plattformen (z.B. YouTube oder Flickr)
Plattformen zum Austausch von Informationen (z.B. Twitter)
Social-Tagging- und Social-Bookmarking-Plattformen (z.B. Delicious)
2. Beziehungsorientierte Plattformen bieten Funktionalitäten zur Abbildung und
Verwaltung von sozialen Netzwerken verschiedenster Art (z.B. StudiVZ,
XING)
3. Virtuelle Welten basieren auf dreidimensionalen virtuellen Abbildungen der
Welt (z.B. Second Life).
4. Mischformen wie Facebook oder Myspace können sowohl als bezieh-
ungsorientierte als auch Media-Sharing-Plattformen bezeichnet werden. 147
Social Media vereint Mitmachplattformen für UGC und neue interaktive Kom-
munikationsinstrumente mit der neuen, sozialeren Rolle des Anwenders (vgl.
das folgende Kapitel). In Kapitel 4 werden die populärsten Vertreter der Social-
Media-Anwendungen mit relevanz für die externe Kommunikation von NPOs
näher analysiert. Dazu zählen Blogs, Facebook, Myspace, Twitter, Youtube,
Podcasts und die eigene Online-Community. Weitere Dienste werden unter
"Sonstiges" zusammengefasst. Zunächst wird jedoch Social Media als Bestand-
teil des Phänomens Web 2.0 vorgestellt.
147
Vgl. Stanoevska-Slabeva: Web 2.0, 2008, S. 17.
37. 32
4.3 Social Media im Kontext des Web 2.0
Obwohl schon Tim Berner-Lee, Erfinder des World Wide Web, 148 ein Medium
vor Augen hatte, das für den Austausch von Informationen und Inhalten für je-
dermann zur Verfügung stehen sollte, 149 war dessen Nutzung zunächst über-
wiegend Personen mit Expertenwissen vorbehalten. Das Bereitstellen von In-
halten fand fast ausschließlich auf der Seite von Unternehmen und etablierten
(Online-)Medien - sog. Content Providern - statt, die das Web hauptsächlich als
Vertriebs- und Marketing-Kanal nutzten. Nur wenige Anbieter wie Amazon oder
Ebay räumten dem Usern oder Konsumenten eine aktive Rolle ein.
Der von Tim O'Reilly im Jahr 2004 geprägte Begriff "Web 2.0" 150 steht für die
Metamorphose des Internets, ausgelöst durch die Nutzer selbst. Diese Pers-
pektive nimmt auch Miriam Meckel ein: "Web 2.0 beschreibt das Phänomen ei-
nes Veränderten Internets, in dem sich Vielfalt über die Kreativität der vielen
Einzelnen definiert." 151 Das Web hat sich zu einer Plattform zum Austausch di-
gitaler Medien und gegenseitiger Interaktion entwickelt. Die Technologien der
"sozialen Medien" waren die Auslöser und sind die Treiber dieser Revolution.
Der Ausdruck "Web 2.0" wurde geprägt, um diesen sozio-technischen Struktur-
wandel zu beschreiben. 152 Das Internet hat sich also vom Netz der statischen
Webpräsenzen großer Unternehmen und Organisationen zu einem interaktivem
Netz von Personen, ihrem Wissen und ihren sozialen Verknüpfungen entwi-
ckelt. Anders als im Web 1.0 sind es nicht nur die Seiten, die verlinkt sind, son-
dern auch die Menschen, die sich täglich neu vernetzen. Es sind die sozialen
Zusammenhänge, in denen Kommunikationsprozesse stattfinden, welche die
Rahmenbedingungen der Kommunikation entscheidend bestimmen und durch
das Web 2.0 nachhaltige Veränderungen erfahren. 153 So wird das neue Internet
heutzutage auch als "Social Web" im Sinne eines sozialen Raumes 154 bezeich-
net. In diesem hat der einzelne Akteur dank Social Media die Möglichkeit, seine
148
Siehe dazu auch: www.w3.org/History/.
149
Vgl. Berners-Lee: So I have a blog, 2005, online: www.dig.csail.mit.edu.
150
Vgl. O'Reilly: What is Web 2.0?, 2005, online: www.oreilly.de.
151
Meckel: Wie Web 2.0 unsere Kommunikation verändert, 2008, S. 17.
152
Vgl. Duschinski: Web 2.0, 2007, S. 25.
153
Vgl. Zerfass: Corporate Blogs, 2005, S. S 1 ff.; online: www.zerfass.de (PDF).
154
Vgl. Stegbauer: Raumzeitliche Struktur, 2008, S. 3.
38. 33
Botschaft im Internet zu verbreiten. Web 2.0 ist aber vielmehr eine Haltung als
eine Technologie, gekennzeichnet durch Interaktivität und Partizipation, direk-
tem Kontakt zwischen den Nutzern und der gemeinschaftlichen Wissensgene-
rierung unter Nutzung der kollektiven Intelligenz. 155 Das "Mitmach-Netz" ist
deshalb ein weiteres Synonym für Web 2.0. Jeder kann selber Inhalte erstellen,
der Konsument wird so zum Produzenten ("Prosument"). 156 Ironischerweise ist
Bertold Brechts Radiotheorie erst mit dem Medium Internet wahr geworden. 157
Egal ob Facebook oder Blogs, dank Social Media wird nämlich mit der Vorstel-
lung einer "Sender-Empfänger-Beziehung" zwischen Kommunikator und Rezi-
pient ebenso aufgeräumt wie mit klassischen Hierarchien. 158
Zusammenfassend zeichnet sich das Web 2.0 durch interaktive und partizipati-
ve Anwendungen (Social Media) für UGC und durch die veränderte, aktive und
extrovertierte Rolle der Nutzer aus.
4.4 User Empowerment und Word of Mouth durch Social Media
Bereits 2006 kürte das Time Magazine "you" zur Person des Jahres - also wir
alle, die täglich Inhalte auf Social-Media-Seiten wie YouTube, Flickr, MySpace
usw. hochladen und somit das Bild des Webs im entscheidenden Maße prägen.
Das Magazin charakterisiert die dramatischen Veränderungen des digitalen
Zeitalters rhetorisch mit "community and collaboration", "power to the people",
“seizing the reins of global media", “citizen to citizen, person to person” und
“massive social experiment”. 159
Die Usability des Web 2.0 und die zunehmende Medienkompetenz quer durch
alle gesellschaftlichen Schichten hat auch zu einer verstärkten Teilnahme der
Bürger- und Zivilgesellschaft an demokratischen Prozessen geführt. Dies betrifft
auch die Konstituierung von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeiten und die
Möglichkeiten politischer Information, Deliberation und Partizipation. 160 Dank
Social Media wie Blogs oder Twitter ist auch von einer neuen Form des Gras-
155
Vgl. O'Reilly: What is Web 2.0?, 2005, online: www.oreilly.de.
156
Friebe/Lobo: Wir nennen es Arbeit, 2006, S. 215.
157
Vgl. Brecht: Radio - Eine vorsintflutliche Erfindung?, 1967, S. 119 ff.
158
Vgl. Meckel: Wie Web 2.0 unsere Kommunikation verändert, 2008, S. 18 f.
159
Vgl. Grossmann: Time's Person of the Year: You, 2006, online: www.time.com.
160
Vgl. Grunwald et al.: Netzöffentlichkeit und digitale Demokratie, 2006, S. 13.
39. 34
wurzel- oder Bürgerjournalismus die Rede. Auch deshalb wird das Web 2.0 von
sozialen Bewegungen genutzt; vor allem um zu mobilisieren, Proteste oder an-
dere Aktivitäten zu bestimmten Anlässen (z.B. Klimagipfel) und Themen (z.B.
Genfood) zu koordinieren. Die Plattform WikiWoods.org oder Utopia.de sind
hierfür gute Beispiele. Auch Weblogs, die Einfluss auf die Agenda der Politik
und Massenmedien nehmen, sind vermehrt zu beobachten. Das "demokrati-
sche Web" wird auf dem Portal buergerwirken.de deutlich: Dort stellen sich je-
weils zwei ökosoziale Projekte in einem Blog vor und die Nutzer stimmen ab,
nach welchem Verhältnis das von einem Sponsor bereitgestellte Geld aufgeteilt
werden soll. Auf betterplace.org - einem Portal für Projekte, die nicht zwang-
sweise an eine gemeinnützige Organisation gebunden sind, bewerten Nutzer
die Projekte und bilden das sogenannte "Web of Trust" eines Projektes. 161
Ein wichtiges Prinzip im Web 2.0 ist die Mund-zu-Mund-Propaganda (Word-of-
Mouth). Der Begriff beschreibt die informelle Kommunikation unter Freunden
und Bekannten mit werblichen Effekten. Mundpropaganda ist sehr gezielt, denn
Freunde erzählen anderen Freunden üblicherweise nur etwas, das sie interes-
siert. Darüber hinaus ist Mundpropaganda unabhängig von kommerziellen
Interessen und sie reduziert die Komplexität bei Entscheidungen, da der Erfah-
rungswert einer Vertrauensperson das eigene Entscheidungrisiko reduziert. 162
Studien zeigen, dass 78% der Konsumenten Empfehlungen aus ihrem sozialen
Umfeld ("Peers") aber nur 14% der Werbung vertrauen. 163
Oetting schreibt dazu: "Individuen gewinnen an Medienmacht und nutzen sie,
bewusst oder unbewusst, um Meinungen zu Produkten, Marken und Dienstleis-
tungen zu streuen." 164 Und so geschieht im Internet immer mehr Marketing, das
von Unternehmen oder Organisationen weder gesteuert noch geplant werden
kann. Verantwortlich dafür sind die Netzwerkeffekte, die durch das Prinzip des
Teilens, Verlinkens und Weiterleitens im Web 2.0 entstehen. Bspw. sind Blogs
über Links und Trackbacks stark verlinkt und können so zu viralen Effekten bei-
161
Siehe: www.wikiwoods.org, www.utopia.de, de.indymedia.org, www.huffingtonpost.com,
www.buergerwirken.de, www.betterplace.org.
162
Vgl. Oetting: Wie Web 2.0 das Marketing revolutioniert, 2006, S. 180 f.
163
Vgl. Weber: Marketing to the Social Web, 2007; zit. bei: Qualman: Social Media Is Bigger
Than You Think, 2009; online: www.socialnomics.net.
164
Oetting: Wie Web 2.0 das Marketing revolutioniert, 2006, S. 184.
40. 35
tragen. Durch eine zunehmende Verflechtung der sozialen Medien unter-
einander, kann sich ihre Reichweite multiplizieren. Alby beschreibt einen viralen
Effekt als "das Ergebnis, wenn bestehende soziale Netzwerke genutzt werden,
um eine Information zu verbreiten", 165 und behauptet weiter, dass Blogs wie
klassisches Word-of-Mouth funktionieren - und so auch Social Networks.
Der gleiche Effekt ist heute beim Microblogging-Dienst Twitter zu beobachten.
Über die Funktion "Retweet" werden die 140-Zeichen-Botschaften von einem
Netzwerk zu einem anderen transponiert. Solche Social Networks können für
Produkte, ein Unternehmen oder eine Organisation entscheidend sein, da sie
positive oder negative Nachrichten über deren Existenz an andere potentielle
User verbreiten oder einen Mitbewerber empfehlen. 166 Die spezifischen Eigen-
schaften von Social Media ermöglichen, dass sich schnell Mehrheiten bilden
und sich individuelle Meinungen zu Mehrheiten verdichten. Der Medientheoreti-
ker Howard Rheingold prägte dafür den Begriff "Smart Mobs". In seinem Buch
"Smart Mobs: The Next Revolution" beschreibt er das Potential kollektiver Intel-
ligenz beschleunigt durch die modernen Kommunikationsmittel. 167 Das aktuell-
ste Beispiel für Social Media als Meinungsmedium und Koordinationswerkzeug
ist der Einsatz von Twitter in der iranischen Protestbewegung nach den umstrit-
tenen Wahlen im Juni 2009. 168 Aber auch auf die Reputation von Unternehmen
und Organisationen hat die Munpropaganda im Internet mit viralen Effekten ei-
nen großen Einfluss. Durch die schnelle Vernetzung verbreiten sich sowohl gu-
te als auch schlechte Nachrichten im Web sehr schnell. Die (Werbe-) Botschaft
wird, wenn sie gut gefällt und gut verpackt ist, einfach weitertransportiert (emp-
fohlen), ohne dass man dafür Werbegeld ausgeben muss. 169 Soziale Plattfor-
men können ideale Marketing-Instrumente sein, wenn die User Begeisterung für
eine Sache empfinden und verbreiten. Auch für NPOs ist dieses Prinzip ent-
scheidend: Unterstützer können Empfehlungsmarketing betreiben, indem sie
durch ihre Aktion (Blog, Tweet etc.) die Anliegen
"ihrer Organisation" in ihr persönliches Netzwerk tragen.
165
Alby: Web 2.0, 2007, S. 32.
166
Vgl. Shuen: Die Web 2.0-Strategie, 2008, S. 76.
167
Vgl. www.smartmobs.com.
168
Vgl. Stöcker: Propagandakrieg um Twitter, 2009, online: www.spiegel.de.
169
Vgl. o.V.: Die Perfekte Verpackung - Werbung im Internet, 2007, online: www3.ndr.de.
41. 36
4.5 Aktuelle Zahlen zur Internetnutzung
Mitentscheidend für den Erfolg des Internets im "zweiten Anlauf" und somit So-
cial Media waren aus Perspektive der Nutzer vor allem: schnellere Datenüber-
tragung, Preisverfall im Bereich der Onlinekosten sowie die flächendeckende
Verbreitung von Digital Subscriber Line (DSL). 170 Außerdem kann man heutzu-
tage sowohl mit PCs als auch Laptops, Handys und Spielekonsolen online ge-
hen. Das hat dazu geführt, dass fast 1,7 Mrd. Menschen - ein Viertel der Welt-
bevölkerung - aktuell das Internet nutzen - eine Steigerung um 362% im Ver-
gleich zum Jahr 2000. 171
Das Internet ist inzwischen der Deutschen liebstes Medium - vor Buch und
Fernsehen. 172 Der Anteil der Internetnutzer in Deutschland ist laut ARD/ZDF-
Online-Studie 2009 (siehe Tabelle 1) auf 67,1% angestiegen. 43,5 Mio. der
Deutschen ab 14 Jahren sind online. Die größten Wachstumspotenziale werden
weiterhin von der älteren Generation ausgehen. Mit 5,3 Millionen sind mehr ab
60-Jährige im Netz als 14- bis 19-Jährige. Tendenz steigend.
Tabelle 1: Entwicklung der Online-Nutzung in Deutschland 1997 - 2009
Quelle: ARD-Onlinestudie 1997, ARD/ZDF-Onlinestudie 1998 - 2009;
www.ard-zdf-onlinestudie.de.
170
Vgl. Alby: Web 2.0, 2007, S. 3 ff.
171
Vgl. www.internetworldstats.com.
172
Vgl. Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hrsg.): Das Buch im Medienportfolio, 2009,
S. 1 ff., online: www.boersenverein.de (PDF).
42. 37
Letzteres ist eine wichtige Größe hinsichtlich des Anteils dieser Altersgruppe
am Gesamtspendenmark (vgl. Kapitel 2.4.1). Laut ACTA, der Allensbacher
Computer- und Technikanalyse 2009, nutzen sogar fast 80% der Deutschen
das Netz; der Zuwachs bei den 60-64-Jährigen seit 2007 beträgt 16%. 173
Die aktuelle Internetentwicklung in Deutschland ist - anders als in den letzten
Jahren - weniger durch die wachsende Internetverbreitung als durch die zu-
nehmende Einbindung des Internets in den Alltag der Menschen gekennzeich-
net. 71,6% aller Internetnutzer gehen täglich ins Netz. Die zunehmende Aus-
stattung mit Flatrates kommt multimedialen und kommunikativen Anwendungen
entgegen: 34% aller Onliner schauen sich 2009 mindestens einmal pro Woche
Videos im Internet an, dies entspricht einem Zuwachs von 10 Prozentpunkten
gegenüber dem Vorjahr. Diese Entwicklung ist vor allem auf Videoportale - vor
allem YouTube - zurückzuführen, die von 21 auf 26% zugelegt haben.
In der Nutzung der Web-2.0-Angebote führt
• Wikipedia mit 65%,
• Videoportale wie YouTube nutzen 52%,
• private Netzwerke (Social Networks) 34%,
• Fotosammlungen 25%,
• berufliche Netzwerke wie XING 9%,
• und Weblogs 8%. 174
Die Nielsen-Studie "Global Faces and Networked Places" kommt zu deutliche-
ren Ergebnisen: Social Networks und Blogs haben hierzulande einen Zuwachs
von 39% von 2007 auf 2008. Inzwischen seien 51% der deutschen Internetnut-
zer in Social Networks oder Blogs engagiert (weltweit sollen es 67% sein). Die
zweite, potentiell wichtige Zahl betrifft die Nutzungsdauer von Social-Network-
Angeboten in Deutschland. Diese stieg im letzten Jahr um 140%. 175
173
Vgl.: Allensbacher Computer- und Technik-Analysen 2009, S. 3; www.acta-online.de (PDF).
174
Vgl. ARD/ZDF-Online-Studie 2009, online: www.ard-zdf-onlinestudie.de.
175
Vgl. Nielsen Global Faces, 2009, online: http://server-uk.imrworldwide.com/ (PDF).
43. 38
4.6 Chancen für die NPO-Kommunikation
Neben den in Kapitel 4.4 beschriebenen Herausforderungen, hat das Web 2.0
mit Social Media neue Kommunikationsinstrumente hervorgebracht. Diese kön-
nen von NPOs für das diaologorientierte Stakeholder-Management, eCampaig-
ning und Online-Fundraising verwendet werden (Vgl. Kapitel 3.3).
Menschen bilden zunehmend situative Allianzen, setzen auf Kooperationen,
Dialog, Vernetzung und praktische Teilhabe, um selbstbestimmt, direkt, unmit-
telbar und gemeinsam mit Gleichgesinnten auf ihre Umwelt in Social Networks
Einfluss zu nehmen 176 - und das oftmals ohne eine große Mitgliederorganisati-
on betreten zu müssen. 177 Während die Selbstorganisation im Web mit Social
Media in der Regel ohne die Hilfe einer Organisation stattfinden kann, entsteht
sie dennoch oftmals im Namen einer Organisation, deren Anliegen im Interesse
von Usern oder ganzen Netzwerken ist. Laut Allison Fine kann Social Media:
"geometrically increase the number of people who can connect to a cause or
organization (...). In a connected world, power is defined entirely differently. It
comes directly from an organization's supporters; the more numerous and more
diffuse they are the more power they generate. And, these supporters (...) can
become a loyal network of donors as well." 178 Im Herzen dieser Netzwerke ste-
hen Beziehungen. Entweder von bestehenden Bekanntschaften zwischen
Freunden und Kollegen oder von neuen Bekanntschaften, entstanden in Online-
Communities, in deren Mittelpunkt Produkte, Politik oder andere Interessen ste-
hen. In den meisten Fällen besteht die Beziehung nicht zwischen User und Or-
ganisation, sondern zwischen einem User und einem anderen oder einem
Netzwerk von Usern, die die gleichen Interessen teilen. Dieser Paradigmen-
wechsel im Netz ist von großer Bedeutung für NPOs, die sich Social Media zu-
nutze machen wollen. 179
Die NPO-Kommunikation muss sich primär an der nachhaltigen Logik von
Offenheit, Wechselseitigkeit, Partizipation und unkontrollierbarer Weiterverar-
beitung ausrichten. Brotherton/Schneider schreiben: "On virtually any issue -
176
Vgl. Dettmann: Teamwork von Anfang an, 2009, S. 59.
177
Vgl. Fine: Social Change, 2006, S. 39.
178
Fine: Social Change, 2006, S. 39.
179
Vgl. auch Anhang A.
44. 39
from animal rights and childhood obesity, to climate change and global devel-
opement - there are web communities, forums and virtual gathering places
where lively discussions play out on a daily basis. It's not about drawing people
to your web site anymore; it's about getting your content out there in the web
wherever people are or wherever the conversation happens." 180
Wie man die Massen mittels Social Media mobilisiert, zeigte Obama im Präsi-
dentschaftswahlkampf 2008. Auf My.BarackObama.com gab es für seine An-
hänger die Möglichkeit, zu spenden, sich für Treffen zu verabreden sowie alles
zu kommentieren, Fragen zu stellen und Gruppen zu bilden. Auch Facebook,
MySpace, Flickr, Twitter und YouTube wirkten sich deutlich auf den Wahlkampf
aus. Obama ließ seine Anhänger partizipieren, vernetzen und kollaborieren.
Fast 300 Mio. US-Dollar an Online-Spenden kamen so zusammen. 181
Der Schlüssel zum Erfolg dieser Kampagne lag darin, bestehende Spender da-
zuzubringen, ihre Netzwerke, Kollegen, Freunde etc. um Unterstützung zu bit-
ten, weshalb Phil King von Artez Interactive und Nicci Noble von The Salvation
Army 182 ausdrücklich betonen: "People give to people, even online!" 183 Man
könnte auch sagen: Menschen interessieren Menschen. Die Stärke des
Social Web liegt deshalb darin, dass - wenn einmal aktiviert - Menschen selber
zu Fundraisern werden können. Ein Spender, der im Namen einer NPO zu ei-
ner Spende aufruft oder Werbung für das Anliegen der Organisation macht, ist
überzeugender und glaubwürdiger. Zudem kann er schneller durch das Durch-
einander des Web 2.0 navigieren. Kurz: Es ist eine Sache, jemanden um Un-
terstützung zu bitten aber eine völlig andere, wenn ein Mensch einem anderen
Menschen auf Basis von Beziehung und gemeinsamen Interessen erzählt, wie
und warum er oder sie sich für das Anliegen einer NPO einsetzt und um Hilfe
bittet. 184 Social Media kann NPOs bei Ausbau und Pflege des sozialen Netz-
werks unterstützen und somit helfen, Sozialkapital zu vermehren. Noch nie
konnten so viele Menschen so kostengünstig und einfach erreicht werden.
180
Brotherton/Schneiderer: Come On In, 2008, S. 18.
181
Vgl. Moorstedt: Wahlkampf im Netz, 2008, online: www.spiegel.de.
182
Siehe: http://www.artez.com und www.salvationarmy.org.
183
King/Noble: Peer-to-Peer-Fundraising, 2007, S. 62.
184
Vgl. Andresen/Strathmann: Crafting the Marketing Strategy, 2007, S. 78 ff.
45. 40
4.7 Aktuelle Situation in Deutschland
Während in den USA laut Nonprofit Social Network Survey von fast 1.000 Be-
fragten NPOs knapp drei Viertel auf Facebook, fast die Hälfte auf YouTube und
Twitter sowie ein Viertel auf MySpace aktiv ist 185 , und sowohl die Diskussion in
Literatur und Blogs als auch die professionelle Praxis in den Staaten wesentlich
weiter fortgeschritten ist, nutzen nur äußerst wenige deutsche NPOs das Poten-
tial von Social Media für ihre Kommunikation. Überblicksstudien und Zahlen für
den Dritten Sektor in Deutschland fehlten bislang vollständig. Im Rahmen ihrer
Masterarbeit "NGOs im Social Web" untersuchte Katrin Kiefer daher die Social-
Media-Angebote von 60 deutschen gemeinnützigen Organisationen (siehe Ab-
bildung 3). 186 Ihrer Stichprobe zufolge setzt ein Drittel der untersuchten Organi-
sationen kein einziges Social-Media-Instrument (einschließlich RSS-Feeds und
Tag-Clouds) ein. 33 der 60 Organisationen bieten dagegen konkrete Social-
Media-Angebote an. 187 In den USA tun das 86,2% der NPOs.
Abbildung 3: Einsatz von Social Media deutscher NPOs.
Quelle: eigene nach Kiefer: NGOs im Social Web, 2009; online: www.netzwerkpr.de.
185
Vgl. www.nonprofitsocialnetworksurvey.com (PDF, Download nur mit Anmeldung möglich).
186
Für die Stichprobe wurden jeweils die 20 mitgliederstärksten Organisationen aus den drei
Themenwirkungsfeldern – Umwelt-, Natur- und Tierschutz; Internationale Aktivitäten
(Entwicklungshilfe) und Soziale Dienste (Wohlfahrtspflege) ausgewählt.
187
Vgl. Kiefer: NGOs im Social Web, 2009; online: www.netzwerkpr.de; seit dem Ende der
Studie (März) sind natürlich neue Profile und Aktivitäten hinzugekommen.