2. welt vollerArbeitslast, tyrannischenVorgesetzen
und zuviel psychischem Druck. Dabei kann es
eine Strategie sein, bewusst nicht (!) mehr gegen
die Widrigkeiten zu kämpfen und Stress statt-
dessen als normalen Bestandteil des Lebens zu
betrachten.Gleiches empfiehlt beispielsweise der
Heidelberger Paartherapeut Arnold Retzer, der
Paaren rät, ihre Ehe von unrealistisch-verwöhn-
tenAnsichten zu entfrachten und wieder zu men-
schengemäßen, erwachsenen Anspruchshaltun-
gen zu gelangen. Dabei prägte Retzer den Begriff
der Resignativen Reife. Es gelte, den Partner zu
akzeptieren, wie er ist (zu resignieren). Dies soll
man aber mit Würde und Achtung tun (Reife). Es
könnte eine Lösung für manche Mediziner sein,
sich von unrealistischen, zu idealisierten Vorstel-
lungen zu entfrachten und sich mit der vorge-
fundenen Realität konstruktiv zu arrangieren.
Die Opferrolle verlassen
Opfer fühlen sich überall und ständig hilflos aus-
geliefert. Wer die Lösung ständig vom Manage-
ment oder dem eigenen Chef erwartet (denen in
vielen Fällen übrigens auch die Hände gebunden
sind), braucht andere Strategien, die eher auf das
eigene Innere und das soziale Miteinander zie-
len, als von anderswoher die Heilung erhoffen.
Wer also lernt, Verantwortung für sein Innenle-
ben und sein Sozialleben zu übernehmen, ist der
Lösung schon einen wesentlichen Schritt näher.
Sinn und Salutogenese stärken
Das Konzept der Salutogenese des Medizinso-
ziologen Aaron Antonovsky untersucht, was
Gesundheit begünstigt, erhält und unterstützt.
Mediziner fragen oft danach, was Menschen
krank macht, Antonovsky dreht den Spieß um
und untersucht, was den Menschen gesund hält.
Im Wesentlichen geht es um die aktive Anpas-
sung des Einzelnen an jeweilige dynamischeVer-
änderungen und das konstruktive Bewältigen
selbst schwer belastender Einflüsse. Besonders
das sogenannte Kohärenzgefühl ist dabei
wesentlich: Es beschreibt die erlebte Sinnhaftig-
keit der eigenen Existenz: „Ich bin am richtigen
Platz. Hier werde ich gebraucht.“ Dass man das
für sich nicht unbedingt leicht beantworten kann,
ist besonders dann verständlich, wenn man sich
nur als Kostenfaktor und Zahlenlieferant fühlt.
Dann braucht ein Arzt den Blick für das Wesent-
liche, weil er oder sie bestimmt nicht in erster
Linie für den kaufmännischen Direktor dort arbei-
tet oder für den eigenen Chef. Ein Arzt arbeitet
für die Patienten. Eine erfahrene Chefärztin for-
mulierte es so: „Am Ende jedenTages nehme ich
mir zehn Minuten Zeit, um zu einem dankbaren
Patienten zu gehen. Ich muss sichergehen, dass
der Patient wirklich dankbar ist. Zu undankbaren
Nörglern gehe ich nicht. Diese zehn Minuten mit
einem dankbaren Patienten zeigen mir, wofür ich
meinen Beruf eigentlich ausübe. Das gibt mir
Kraft und Sinn für meinen stressigen Alltag.“
Gesundheitskonzept: Positives Leadership
Die Effekte eines positiven Gesundheitsmanage-
ments sind unschlagbar: Mehr Arbeitszufrieden-
heit, weniger Krankheitstage, mehr Produktivi-
tät, bessere Kooperation,bessere Rendite.Beson-
ders der Ansatz des Positive Leadership des US-
amerikanischen Managementprofessor Kim
Cameron sucht in vier Konstellationen eine Ver-
besserung der Performance und erforscht positi-
veAbweichungen von der Norm. Sein Fazit: Posi-
tive Kommunikation, Vermittlung von Sinn, ein
positives Klima und positive Beziehungen sorgen
für mehr soziale Stabilität, Stressreduktion und
Sinnerhalt. Greifen wir die Ideen aus dem Positi-
ven Management auf:
Positive Kommunikation
Besonders die Arbeiten des Paarforschers John
Gottman und des Führungspsychologen Marcial
Losada weisen nach, dass beispielsweise mehr
positive als negative Kommunikation (bei Losa-
da mindestens im Verhältnis 3:1, bei Gottman
sogar 5:1) Beziehungen langfristig stabilisiert.
Das Phänomen ist für klinische Zusammenarbeit
besonders interessant, wenn es darum geht, mit-
einander zu kooperieren und weniger zu konkur-
rieren. Positive, gewaltarme Kommunikation
allerdings will mühsam erlernt werden. Interne
Kurse und Coaching können Wunder bewirken.
Vermittlung von Sinn
Es gilt, sich selbst zu fragen, wofür und wozu
man jedenTag in die Klinik geht:Was ist der Sinn
meinerTätigkeit?Wer diese Frage für sich beant-
worten kann, lebt resilienter und kohärent im
Hier und Jetzt. Wer die Sinnfrage für sich nicht
beantworten kann, wünscht sich eine bessere
Vergangenheit wieder her („Früher war alles bes-
ser!“) oder erhofft sich ein zukünftig schöneres
Paradies („Wenn ich erst mal..., dann...“). Beides
geht an der Wirklichkeit im Jetzt vorbei. Es gilt,
sich die eigene Berufsidentität mit gesundem
Selbstwert und Selbststolz In Erinnerung zu rufen
und in den Alltag zu transferieren. Einige Fragen
am Ende des Tages helfen: Was ist mir heute
gelungen?Worauf bin ich heute stolz?Wofür will
ich heute danken? Welche Begegnungen haben
mit gut getan? Was hat heute mein Interesse
geweckt?Was habe ich heute gelernt?Worin bin
ich heute einen Schritt weitergekommen?
Wir sollen den Fokus nicht auf die Defizite des
Alltags lenken (wir werden verlieren!), sondern
auf die „happy moments“, die positiven Abwei-
chungen im Alltag. Einen bessernden Effekt
haben Forscher der Positiven Psychologie in
Langzeitstudien nachweisen können.
Positives Klima
Wer in einem inspirierenden Umfeld arbeitet, in
dem er seine Stärken jeden Tag einbringen kann,
kann sich glücklich schätzen. Das Gallup-Institut
stellt im jährlichen Engagement-Index immer
wieder heraus, dass sich deutsche Arbeitnehmer
in ihren Firmen emotional nicht zuhause fühlen.
Das betrifft auch das Gesundheitswesen.Viel zu
viel wird in Organisationen gejammert und
geklagt, was alles schlecht läuft, defizitär ist und
STRESSMANAGEMENT 021