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10 I 2011
der
arbeitsmarkt
Fokus Pendeln
Ähnlich wie bei Wasserströmungen treten auch bei
Menschenmassen in Bahnhöfen Ebbe und Flut
auf. Personenhydrauliker untersuchen die Gesetz­
mässigkeiten und planen bauliche Massnahmen. Ziel
ist die staufreie, reibungslose Zirkulation der
­Reisenden. Ein Augenschein im Bahnhof Basel SBB.
Text Peter Jeck  Fotos Peter Pfistner
E
s ist zehn Uhr morgens. Das ist nicht die Zeit
des dichtesten Fussgängerstroms am Bahnhof –
die meisten Arbeitspendler und -pendlerinnen­
haben ihren Arbeitsplatz längst erreicht. Dennoch
herrscht ein reges Kommen und Gehen. Basel wird mit
seinen grossen Messen und als Eingangstor aus Frankreich
und Deutschland in die Schweiz auch von Touristinnen
und ­Touristen stark frequentiert. Insgesamt gehen täglich
60000 Personen im Bahnhof Basel SBB als Bahnkunden ein
und aus (Hauptbahnhof Zürich: 320 000).
Der studierte Betriebswirt Oliver Specker beobachtet nicht
nur an diesem Morgen die Reisenden besonders genau. Er
Oliver SpeckerOliver Specker ist ­studierter
Betriebswirt mit ­Schwerpunkt Verkehr. Er
arbeitet seit zehn Jahren bei der SBB im
Bereich Personenverkehr. Bevor er zur
­Abteilung Personenflüsse/Personen­hydraulik
kam, war er zuständig für die Entwicklung
der S-Bahn im Raum Basel/Nordwestschweiz.
P e r s o n e n h y d r a u l i k
Rechts stehen –
links gehen
Andrang kann
sich in Sekun­
den bilden...
Fokus Pendeln
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10 I 2011
der
arbeitsmarkt
Fokus Pendeln
Die Perrons zu verbreitern, ist nicht einfach, denn dies würde
eine Verschiebung aller Gleisachsen im Bahnhof mit sich
bringen. Mit anderen Worten: Ein zeit- und finanzauf­
wendiger Gesamtumbau wäre unabdingbar. Deshalb kommt
diese Lösung in Basel eher nicht in Frage. Möglich ist jedoch,
wie in Bern und Zürich, der Bau weiterer «Querschläge» –
­Passerellen oder Personenunterführungen, die für die
­Kundinnen und Kunden zusätzliche Wegemöglichkeiten im
und durch den Bahnhof schaffen.
Wie werden Problemfelder und Optimierungsmöglich-
keiten erkannt? Heute tragen Flächenorganisatoren dazu
bei, Spezialisten, die ihre Bahnhöfe bis ins Detail kennen. Die
SBB betreibt in den Bereichen Infrastruktur, Immobilien
und ­Personenverkehr Flächenorganisationen. Im Geschäfts­
bereich Infrastruktur Bahnzugang ist diese unterteilt in die
Bereiche Ost (Raum Ostschweiz/Zürich), Mitte (Mittelland/
Basel/Bern/Zentralschweiz),Süd(Tessin)undWest­(Westschweiz).
Derzeit sind die Stellen mit je einer Person besetzt, Mit­
arbeitende an den einzelnen Bahnhöfen unterstützen sie. Die
Flächenorganisatoren melden an eine zentrale Datenbank,
was ihnen aufgefallen ist, wo zum Beispiel regelmässig Perso-
nenstaus auftreten. Ihre subjektive Wahrnehmung sei dabei
das wichtigste Instrument, sagt Oliver Specker. Danach ­werden
die neuralgischen Punkte fotografisch erfasst und auf Basis
der SBB-Standards schliesslich Massnahmen festgelegt.
ist bei SBB Infrastruktur angestellt, seine Themen sind
Bahn­zugängeund Personenhydraulik.DenFahrplankennter
­auswendig, er weiss genau, wann und wo das grösste Perso-
nenaufkommen zu erwarten ist. Und auch, welche weiteren
Faktoren zu berücksichtigen sind. Zum Beispiel, dass viele
Bereiche im Basler Bahnhof einer Mischnutzung unterliegen:
Verkaufsflächen, Billettautomaten, Informationstafeln,
­Abfahrts- und Ankunftsmonitore, Wartezonen und E-Panels
(mannshohe 82-Zoll-Bildschirme für Werbung). Durch
solche Service- und Informationspunkte werde die Kund-
schaft ­optisch und akustisch abgelenkt, sagt Specker.
Optimaler­weise – was den Personenfluss angeht – sollten die
Reisenden die Information zwar sehen und wahrnehmen,
aber nicht lesen.
Rolltreppe: erste Problemzone
Ein Beispiel: Auf der grossen Leuchttafel über den Roll­
treppen, die in die Haupthalle hinunter führen, zeigt eine
bunte Tageszeitung auch längere Texte. Ein Teil der Fuss­
gängerinnen und Fussgänger wird diese wenigstens zum Teil
lesen wollen. Gleichzeitig bleiben andere Reisende stehen,
um auf den Piktogrammen oberhalb der Rolltreppe ihr Ziel
zu suchen. Das Resultat: Stau. Zu stehenden Suchvorgängen
führe auch die Tatsache, dass nur kleine Infotafeln den Weg
zum französischen Bahnhofsteil weisen. Offenbar ging man
bisher davon aus, jedermann wisse, dass dieser Bahnhofsteil
direkt neben dem schweizerischen liegt – ein Irrtum. Bleiben
auch nur einige Leute stehen, bildet sich sofort ein Rückstau:
Zwei schmale Rolltreppen und eine Treppe müssen die
­Menschenmasse aufnehmen, die sich auf den Hauptausgang
zubewegt. Ausserdem gibt es offensichtlich ein psycholo-
gisches Phänomen: Vor einem Engpass verlangsamen die
meisten Passanten aus Vorsicht ihre Schritte, obwohl es nicht
nötig wäre.
Personenhydrauliker wollen optimale Zugangsbedingun­
gen für die Kunden von und zu den Perrons schaffen. Die
Reisenden sollen ohne grosse Hindernisse zu den Zügen und
aus dem Bahnhof gelangen. Die Mischnutzung, wie sie auf
fast allen mittleren und grossen Schweizer Bahnhöfen anzu-
treffen ist, ist aus der Sicht der Personenhydraulik denn auch
eine «suboptimale Lösung und bietet immer wieder Optimie-
rungspotenzial». Fachleute der verschiedenen SBB-Bereiche
suchen gemeinsam nach den besten Kompromissen.
Ziel: Informationen reduzieren
Der Bahnhof Basel SBB ist ein Pilotprojekt der SBB für
«kundenfreundliche Grossbahnhöfe». Anhand von vorge­
gebenen Zonen – Zirkulationszonen, Informationszonen,
Servicezonen, Stand- oder Wartezonen – will sie die ent­
sprechende Nutzung bis hin zum richtigen Inventar konkre-
tisieren. Der Zeithorizont der Umbaumassnahmen beträgt
dreissig Jahre. Bis ins Jahr 2040 sollen die ganze Halle, die
Passerelle und die Perrons nach und nach umgebaut werden;
die Billettautomaten und die Telefonzellen – sie befinden
sich heute mitten in der Halle – werden weggeräumt. Ziel ist
eine grosse, leere Zirkulationsfläche ohne Sichtbehinderung.
Unter anderem soll so der heute fast versteckte Zugang
zum Gleis 4 dann sofort auffindbar sein. «Der Kunde
erreicht sein Ziel einfacher, wenn er es sofort sieht», bemerkt
Oliver Specker.
Ähnlich wie im Bahnhof Bern sollen auch in Basel
­minimale Informationen die Reisenden ab Perron zum
­zentralen Informationspunkt führen, der sich neu in der
­Halle befinden wird. Einzig Schilder mit der Aufschrift «City»
sollen auf den Perronaufgängen zu sehen sein. Heute weisen
Tafeln bereits hier auf alle Bus- und Tramlinien hin – «eine
informative Überforderung», sagt Oliver Specker. «Bei der
­Ankunft wollen die Reisenden nur wissen, wo und wann ihre
nächsten Anschlusszüge fahren oder wie sie aus dem Bahn-
hofherauskommen.»AmzentralenInfopunktwirdderStrom
der Reisenden aufgesplittet und zu den verschiedenen Zielen
geleitet: zum Tram- und Busverkehr auf den Centralbahn-
platz (Bahnhofsvorplatz), zum unterirdischen Veloparking
und zum französischen Bahnhofsteil. Die Ausschilderung
soll dabei dem logischen Denkablauf folgen.
Kleinstmassnahmen und Grossprojekte
Zu den bis 2040 geplanten Umbauten gehören eine neue
Perronerschliessung und unterirdische Perrons. «Schon heu-
te treffen wir aber täglich Kleinstmassnahmen», präzisiert
der Personenhydrauliker. «Wir haben in anderen Bahnhöfen
gesehen, dass nur schon das Wegräumen eines Abfallkübels
eine Ausweitung der Querschnittsfläche darstellt und zur
Verflüssigung des Fussgängerverkehrs beiträgt.» Für bedeu-
tende bauliche Veränderungen ist die Perronbreite die
­massgebende Grösse. Sie bedingt die Breite der Rolltreppen.
M i t d e m E l e k t r o v e l o z u r A r b e i tM i t d e m E l e k t r o v e l o z u r A r b e i t
«Diese Distanz mit dem Elektrovelo zu pendeln, ist keine
Belastung. Im Gegenteil, es hat viele Vorteile: Ich schätze
die räumliche Trennung zwischen Arbeiten und Wohnen;
bei der Hinfahrt stimme ich mich auf den Arbeitstag ein,
auf dem Rückweg kann ich gut abschalten. Meine Fahrzeit
ist zudem wie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln genau
planbar; mit dem Auto würde ich zwischen 25 Minuten
und eineinhalb Stunden brauchen.
Auf dem Elektrofahrrad bin ich aber nicht nur schneller
als mit dem Zug, ich tue auch etwas für mein Wohlbefin­
den. Nach 45 Minuten Radfahren am Morgen bin ich wach
wie nach drei Espressi, und abends erspare ich mir das
Joggen.» pp
Daniel Bolliger, 47, Abteilungsleiter
in der Forschung und Entwicklung bei
­einer Maschinenbaufirma, arbeitet
80 ­Prozent und fährt seit neun Jahren per
Elektrovelo von Luzern nach Cham ZG.
Für die rund 22 Kilometer pro Weg
­benö­tigt er 45 Minuten. Er legt so
jährlich bis zu 4000 Kilometer zurück.
Bei Regen oder eisigen Temperaturen
steigt der Physiker in den Zug.
«Auf dem Elektrovelo bin ich nicht nur«Auf dem Elektrovelo bin ich nicht nur
schneller als mit dem Zug, ich tue auchschneller als mit dem Zug, ich tue auch
etwas für mein Wohlbefinden.»etwas für mein Wohlbefinden.»
M i t d e m Z u g z u r A r b e i tM i t d e m Z u g z u r A r b e i t
«Am Anfang blieb ich unter der Woche in Bern, doch das
war unbefriedigend; mein Privatleben findet in Genf statt.
Deswegen kam es für mich auch nie in Frage, ­umzuziehen.
Seit einigen Jahren kann ich im Zug dank Internetver­
bindung wie in meinem Büro arbeiten – eigentlich sogar
­besser: Niemand will etwas von mir, und ich habe keine
Mühe, mich im Zug zu konzentrieren. Vielmehr fokussiere
ich mich; ich weiss, ich habe maximal eineinhalb Stunden
Zeit für ein Dossier. Auch schätze ich den Rhythmus, den
das Pendeln meinem Tag gibt. Klar ist es auch belastend;
manchmal bin ich zu müde, um die Zeit zu nutzen.
Seit drei, vier Jahren hat es auch deutlich mehr Pendler.
Dafür bietet es interessante Begegnungen. Im Speisewa­
gen sitzen zur Hälfte stets die gleichen Leute. Da ergeben
sich spezielle Gespräche; man weiss, dieser Person werde
ich kaum je in einem andern Kontext begegnen. Diese
­soziale Komponente möchte ich nicht missen.»  pp
Alexandre Füzessery, 42, Bundes­
angestellter Parlamentsdienste Bern,
­pendelt seit zehn Jahren drei- bis viermal
die Woche von Genf nach Bern.
Pro Weg braucht er mit dem Zug 1 Stunde
und 40 Minuten. Er legt so jährlich
40 000 Kilometer zurück – umrundet
­sozusagen einmal die Erde.
«Dank Internetverbindung kann ich«Dank Internetverbindung kann ich
im Zug wie in meinem Büro arbeiten –im Zug wie in meinem Büro arbeiten –
­eigentlich sogar besser.»­eigentlich sogar besser.»
...und wieder
auflösen, wie
hier in der Halle
des Bahnhofs
Basel. Personen­
hydrauliker
wollen den Men­
schenstrom am
Fliessen halten.
M i t d e m Z u g z u r A r b e i tM i t d e m Z u g z u r A r b e i t
«Ich habe kein Auto und habe auch nicht vor, mir dem­
nächst eines zuzulegen. Anstatt mich auf den Verkehr
konzentrieren zu müssen, nutze ich meine Fahrzeit lieber
zum Lesen, Beantworten von Mails oder auch zum
­Schlafen. Zudem fände ich es ökologisch sehr bedenklich,
diese Strecke als Einzelperson mit dem Auto zu fahren.
Leider sind die Züge auf der Strecke zwischen Zürich und
Wädenswil oft überfüllt, und Sitzen ist kaum möglich.
Trotzdem geniesse ich es, wenn ich von Zeit zu Zeit mit
anderen Passagieren ins Gespräch komme – gerade da
die meisten Pendler ungestört bleiben wollen und die
­ganze Fahrt über bloss Musik hören oder Zeitung lesen.
Der Weg zu meinem Arbeitsort ist zwar etwas lang, ich
habe mich jedoch mittlerweile damit abgefunden, und
ein Umzug kommt für mich nicht in Frage. Zudem gefällt
mir mein Job, auch wenn ich nicht vorhabe, diese Stelle
für die nächsten zehn Jahre zu besetzen.»  sf
Iris Tschirren, 25, Facility Manager, ­
pendelt seit einem Jahr täglich
mit dem Zug von Wädenswil ZH
nach Birr AG.
Für die Strecke von 58 Kilometern
pro Weg ist sie jeweils circa
70 Minuten unterwegs.
«Ich geniesse die Gespräche mit«Ich geniesse die Gespräche mit
anderen Passagieren.»anderen Passagieren.»
Fokus Pendeln
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10 I 2011
der
arbeitsmarkt
In Zukunft sollen die Personenflüsse in den grossen Rail-
Cities der SBB mit einem automatischen Zählsystem erfasst
werden. Eine videobasierte Analyse der Ein- und Ausgänge
soll das ermöglichen. Bei diesem datenschutzkonformen
­SystemwirddasBildmaterialnichtgespeichert,und­Gesichter
sind nicht erkennbar. Vielmehr rechnet ein Programm die
Videoaufnahmen in Echtzeit um, die Reisenden erscheinen
als «Strichmännli» auf einer Simulationsoberfläche. Die
­Bilder lassen die Hauptnutzung und die wichtigsten Wege
erkennen.DamitgewinnenPersonenhydraulikereine ­präzise
SichtaufProblemzone.DasZählsystemkannauchAufschluss
darüber geben, wie Kundinnen und Kunden auf bewusst
­hingestellte Hindernisse reagieren. «So lässt sich das System
nicht nur zur Bestandesaufnahme nutzen, sondern künftig
auch als Versuchs- und Analyseanlage.» Der Einbau und die
Kalibrierung wurden im August 2011 vorgenommen. Erste
Ergebnisse sollen Ende Jahr vorliegen.
Haupteingänge: zweite Problemzone
Oliver Specker zeigt die Haupteingänge auf der Nordseite.
Sie stellen im Basler Bahnhof weitere Engpässe dar. Derjenige
zum französischen Bahnhofsteil wird praktisch nicht be-
nützt. Auch der Eingang Ost führt ein eher stiefmütterliches
Dasein: Er ist in Bezug auf den Centralbahnplatz ungünstig
ausgerichtet – zu weit von der Tram- und der Bushaltestelle
entfernt. Deshalb wählen die meisten Reisenden den
­vermeintlich kürzesten Weg, denjenigen zum Eingang
West. Dieser Haupteingang muss ungefähr drei Viertel des
Aufkommens schlucken, obwohl er keine vier Meter breit ist.
Ihn zu verbreitern oder einen neuen zentralen und brei-
ten Eingang an der Nordseite zu errichten, steht nicht zur
Diskussion. Die Haupteingänge müssen in den bestehenden
Dimensionen optimiert werden. Denn der Bahnhof Basel
steht wie viele andere unter Denkmalschutz. Die SBB hat
eine eigene Fachstelle für Denkmalschutzfragen, die solche
Bauprojekte eng begleitet. Der Denkmalschutz stellt ein
­erhebliches Hindernis für Massnahmen dar. Kann man da
überhaupt grössere bauliche Veränderungen vornehmen?
«Ausschliessen will ich es nicht; es ist jedoch schwierig
und erfordert sehr viel Abstimmungsarbeit», meint der
­Fachmann.
Zumindest sollen der Kundschaft möglichst wenige
­Hindernisse im Weg stehen. Die acht bis zehn Zeitungsver­
teilboxen, die heute an der engsten Stelle im Eingangsbe-
reich stehen, müssten nach Oliver Speckers Überzeugung
­«unbedingt um ein paar Meter versetzt werden», um den
­hinein- und hinausströmenden Kunden ungehinderte Wege
zu ­ermöglichen. Verkaufsflächen jeder Art sind aber für die
SBB, die Besitzerin und Betreiberin der Bahnhöfe, von grosser
wirtschaftlicher Bedeutung. Es muss also zwischen den
­betrieblich notwendigen und den kommerziellen Flächen
abgewogen und deren Verhältnis optimiert werden.
Maximale Wartezeit: Sieben Sekunden
Inwieweit befassen sich Personenhydrauliker auch mit
der Psychologie der Pendlerinnen und Pendler? Etwa mit
der ­Frage, was es braucht, dass sich der Fussgänger, die
Fussgängerin wohl fühlt – einen Minimalabstand zu den
nächsten Mitmenschen etwa oder das ideale Licht- und
Farbkonzept? Das Verhalten der Menschen hält Oliver
­Specker für das ­Wichtigste, wenn es darum geht, Personen-
flüsse zu beeinflussen, ohne dass es den Betroffenen auf-
fällt. Vor Roll­treppen auf dem Perron etwa sollen Reisende
maximal ­sieben Sekunden in einer Rückstauzone warten
müssen, so die ­Arbeitsvorgabe für die Spezialisten. Dem-
entsprechend ­müssen die Rolltreppen – die SBB kennt
drei verschiedene Breiten – und deren Vorflächen auf den­
Perrons dimen­sioniert sein. Eine kleine, aber wichtige
Massnahme zur ­Optimierung der Gesamtkapazität der
­Auf- oder Abgänge ist die bekannte Parole «Rechts s­tehen
– links gehen».
Die Flussgeschwindigkeit der Pendlerströme hat auch
eine ökonomische Bedeutung, geht es doch auch hier um
Arbeits- und Freizeit. Jede Warteminute, ja jede Sekunde
kann im Bahnverkehr, wie bei Staus auf Autobahnen, in
­ökonomische Grössen umgerechnet werden. Das tun die
­Personenflussspezialisten bei der SBB aber nicht direkt. «Für
uns ist wichtig, dass die Kunden zufrieden sind und vor allem
zügig ihre Züge erreichen», bringt es Oliver Specker auf den
Punkt. Auch weitere Anschlüsse im Umfeld des Bahnhofs
­sollen rasch erreicht werden. «Wir sind ja vor allem ein Trans-
portunternehmen mit einem klaren Transportauftrag.
­Diesen optimal und wirtschaftlich zu erfüllen, ist unser
­primäres Ziel.» Der Betrieb müsse funktionieren: Abfahrts-
zeiten der Züge müssten eingehalten werden, Anschlusszüge
erreicht werden. «Primär daran misst uns der Kunde. Wenn
er nicht rechtzeitig von Gleis 1 auf Gleis 16 gelangt, neigt er
dazu, uns dafür verantwortlich zu machen.»  n

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  • 1. 25 10 I 2011 der arbeitsmarkt Fokus Pendeln Ähnlich wie bei Wasserströmungen treten auch bei Menschenmassen in Bahnhöfen Ebbe und Flut auf. Personenhydrauliker untersuchen die Gesetz­ mässigkeiten und planen bauliche Massnahmen. Ziel ist die staufreie, reibungslose Zirkulation der ­Reisenden. Ein Augenschein im Bahnhof Basel SBB. Text Peter Jeck  Fotos Peter Pfistner E s ist zehn Uhr morgens. Das ist nicht die Zeit des dichtesten Fussgängerstroms am Bahnhof – die meisten Arbeitspendler und -pendlerinnen­ haben ihren Arbeitsplatz längst erreicht. Dennoch herrscht ein reges Kommen und Gehen. Basel wird mit seinen grossen Messen und als Eingangstor aus Frankreich und Deutschland in die Schweiz auch von Touristinnen und ­Touristen stark frequentiert. Insgesamt gehen täglich 60000 Personen im Bahnhof Basel SBB als Bahnkunden ein und aus (Hauptbahnhof Zürich: 320 000). Der studierte Betriebswirt Oliver Specker beobachtet nicht nur an diesem Morgen die Reisenden besonders genau. Er Oliver SpeckerOliver Specker ist ­studierter Betriebswirt mit ­Schwerpunkt Verkehr. Er arbeitet seit zehn Jahren bei der SBB im Bereich Personenverkehr. Bevor er zur ­Abteilung Personenflüsse/Personen­hydraulik kam, war er zuständig für die Entwicklung der S-Bahn im Raum Basel/Nordwestschweiz. P e r s o n e n h y d r a u l i k Rechts stehen – links gehen Andrang kann sich in Sekun­ den bilden...
  • 2. Fokus Pendeln 26 10 I 2011 der arbeitsmarkt Fokus Pendeln Die Perrons zu verbreitern, ist nicht einfach, denn dies würde eine Verschiebung aller Gleisachsen im Bahnhof mit sich bringen. Mit anderen Worten: Ein zeit- und finanzauf­ wendiger Gesamtumbau wäre unabdingbar. Deshalb kommt diese Lösung in Basel eher nicht in Frage. Möglich ist jedoch, wie in Bern und Zürich, der Bau weiterer «Querschläge» – ­Passerellen oder Personenunterführungen, die für die ­Kundinnen und Kunden zusätzliche Wegemöglichkeiten im und durch den Bahnhof schaffen. Wie werden Problemfelder und Optimierungsmöglich- keiten erkannt? Heute tragen Flächenorganisatoren dazu bei, Spezialisten, die ihre Bahnhöfe bis ins Detail kennen. Die SBB betreibt in den Bereichen Infrastruktur, Immobilien und ­Personenverkehr Flächenorganisationen. Im Geschäfts­ bereich Infrastruktur Bahnzugang ist diese unterteilt in die Bereiche Ost (Raum Ostschweiz/Zürich), Mitte (Mittelland/ Basel/Bern/Zentralschweiz),Süd(Tessin)undWest­(Westschweiz). Derzeit sind die Stellen mit je einer Person besetzt, Mit­ arbeitende an den einzelnen Bahnhöfen unterstützen sie. Die Flächenorganisatoren melden an eine zentrale Datenbank, was ihnen aufgefallen ist, wo zum Beispiel regelmässig Perso- nenstaus auftreten. Ihre subjektive Wahrnehmung sei dabei das wichtigste Instrument, sagt Oliver Specker. Danach ­werden die neuralgischen Punkte fotografisch erfasst und auf Basis der SBB-Standards schliesslich Massnahmen festgelegt. ist bei SBB Infrastruktur angestellt, seine Themen sind Bahn­zugängeund Personenhydraulik.DenFahrplankennter ­auswendig, er weiss genau, wann und wo das grösste Perso- nenaufkommen zu erwarten ist. Und auch, welche weiteren Faktoren zu berücksichtigen sind. Zum Beispiel, dass viele Bereiche im Basler Bahnhof einer Mischnutzung unterliegen: Verkaufsflächen, Billettautomaten, Informationstafeln, ­Abfahrts- und Ankunftsmonitore, Wartezonen und E-Panels (mannshohe 82-Zoll-Bildschirme für Werbung). Durch solche Service- und Informationspunkte werde die Kund- schaft ­optisch und akustisch abgelenkt, sagt Specker. Optimaler­weise – was den Personenfluss angeht – sollten die Reisenden die Information zwar sehen und wahrnehmen, aber nicht lesen. Rolltreppe: erste Problemzone Ein Beispiel: Auf der grossen Leuchttafel über den Roll­ treppen, die in die Haupthalle hinunter führen, zeigt eine bunte Tageszeitung auch längere Texte. Ein Teil der Fuss­ gängerinnen und Fussgänger wird diese wenigstens zum Teil lesen wollen. Gleichzeitig bleiben andere Reisende stehen, um auf den Piktogrammen oberhalb der Rolltreppe ihr Ziel zu suchen. Das Resultat: Stau. Zu stehenden Suchvorgängen führe auch die Tatsache, dass nur kleine Infotafeln den Weg zum französischen Bahnhofsteil weisen. Offenbar ging man bisher davon aus, jedermann wisse, dass dieser Bahnhofsteil direkt neben dem schweizerischen liegt – ein Irrtum. Bleiben auch nur einige Leute stehen, bildet sich sofort ein Rückstau: Zwei schmale Rolltreppen und eine Treppe müssen die ­Menschenmasse aufnehmen, die sich auf den Hauptausgang zubewegt. Ausserdem gibt es offensichtlich ein psycholo- gisches Phänomen: Vor einem Engpass verlangsamen die meisten Passanten aus Vorsicht ihre Schritte, obwohl es nicht nötig wäre. Personenhydrauliker wollen optimale Zugangsbedingun­ gen für die Kunden von und zu den Perrons schaffen. Die Reisenden sollen ohne grosse Hindernisse zu den Zügen und aus dem Bahnhof gelangen. Die Mischnutzung, wie sie auf fast allen mittleren und grossen Schweizer Bahnhöfen anzu- treffen ist, ist aus der Sicht der Personenhydraulik denn auch eine «suboptimale Lösung und bietet immer wieder Optimie- rungspotenzial». Fachleute der verschiedenen SBB-Bereiche suchen gemeinsam nach den besten Kompromissen. Ziel: Informationen reduzieren Der Bahnhof Basel SBB ist ein Pilotprojekt der SBB für «kundenfreundliche Grossbahnhöfe». Anhand von vorge­ gebenen Zonen – Zirkulationszonen, Informationszonen, Servicezonen, Stand- oder Wartezonen – will sie die ent­ sprechende Nutzung bis hin zum richtigen Inventar konkre- tisieren. Der Zeithorizont der Umbaumassnahmen beträgt dreissig Jahre. Bis ins Jahr 2040 sollen die ganze Halle, die Passerelle und die Perrons nach und nach umgebaut werden; die Billettautomaten und die Telefonzellen – sie befinden sich heute mitten in der Halle – werden weggeräumt. Ziel ist eine grosse, leere Zirkulationsfläche ohne Sichtbehinderung. Unter anderem soll so der heute fast versteckte Zugang zum Gleis 4 dann sofort auffindbar sein. «Der Kunde erreicht sein Ziel einfacher, wenn er es sofort sieht», bemerkt Oliver Specker. Ähnlich wie im Bahnhof Bern sollen auch in Basel ­minimale Informationen die Reisenden ab Perron zum ­zentralen Informationspunkt führen, der sich neu in der ­Halle befinden wird. Einzig Schilder mit der Aufschrift «City» sollen auf den Perronaufgängen zu sehen sein. Heute weisen Tafeln bereits hier auf alle Bus- und Tramlinien hin – «eine informative Überforderung», sagt Oliver Specker. «Bei der ­Ankunft wollen die Reisenden nur wissen, wo und wann ihre nächsten Anschlusszüge fahren oder wie sie aus dem Bahn- hofherauskommen.»AmzentralenInfopunktwirdderStrom der Reisenden aufgesplittet und zu den verschiedenen Zielen geleitet: zum Tram- und Busverkehr auf den Centralbahn- platz (Bahnhofsvorplatz), zum unterirdischen Veloparking und zum französischen Bahnhofsteil. Die Ausschilderung soll dabei dem logischen Denkablauf folgen. Kleinstmassnahmen und Grossprojekte Zu den bis 2040 geplanten Umbauten gehören eine neue Perronerschliessung und unterirdische Perrons. «Schon heu- te treffen wir aber täglich Kleinstmassnahmen», präzisiert der Personenhydrauliker. «Wir haben in anderen Bahnhöfen gesehen, dass nur schon das Wegräumen eines Abfallkübels eine Ausweitung der Querschnittsfläche darstellt und zur Verflüssigung des Fussgängerverkehrs beiträgt.» Für bedeu- tende bauliche Veränderungen ist die Perronbreite die ­massgebende Grösse. Sie bedingt die Breite der Rolltreppen. M i t d e m E l e k t r o v e l o z u r A r b e i tM i t d e m E l e k t r o v e l o z u r A r b e i t «Diese Distanz mit dem Elektrovelo zu pendeln, ist keine Belastung. Im Gegenteil, es hat viele Vorteile: Ich schätze die räumliche Trennung zwischen Arbeiten und Wohnen; bei der Hinfahrt stimme ich mich auf den Arbeitstag ein, auf dem Rückweg kann ich gut abschalten. Meine Fahrzeit ist zudem wie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln genau planbar; mit dem Auto würde ich zwischen 25 Minuten und eineinhalb Stunden brauchen. Auf dem Elektrofahrrad bin ich aber nicht nur schneller als mit dem Zug, ich tue auch etwas für mein Wohlbefin­ den. Nach 45 Minuten Radfahren am Morgen bin ich wach wie nach drei Espressi, und abends erspare ich mir das Joggen.» pp Daniel Bolliger, 47, Abteilungsleiter in der Forschung und Entwicklung bei ­einer Maschinenbaufirma, arbeitet 80 ­Prozent und fährt seit neun Jahren per Elektrovelo von Luzern nach Cham ZG. Für die rund 22 Kilometer pro Weg ­benö­tigt er 45 Minuten. Er legt so jährlich bis zu 4000 Kilometer zurück. Bei Regen oder eisigen Temperaturen steigt der Physiker in den Zug. «Auf dem Elektrovelo bin ich nicht nur«Auf dem Elektrovelo bin ich nicht nur schneller als mit dem Zug, ich tue auchschneller als mit dem Zug, ich tue auch etwas für mein Wohlbefinden.»etwas für mein Wohlbefinden.» M i t d e m Z u g z u r A r b e i tM i t d e m Z u g z u r A r b e i t «Am Anfang blieb ich unter der Woche in Bern, doch das war unbefriedigend; mein Privatleben findet in Genf statt. Deswegen kam es für mich auch nie in Frage, ­umzuziehen. Seit einigen Jahren kann ich im Zug dank Internetver­ bindung wie in meinem Büro arbeiten – eigentlich sogar ­besser: Niemand will etwas von mir, und ich habe keine Mühe, mich im Zug zu konzentrieren. Vielmehr fokussiere ich mich; ich weiss, ich habe maximal eineinhalb Stunden Zeit für ein Dossier. Auch schätze ich den Rhythmus, den das Pendeln meinem Tag gibt. Klar ist es auch belastend; manchmal bin ich zu müde, um die Zeit zu nutzen. Seit drei, vier Jahren hat es auch deutlich mehr Pendler. Dafür bietet es interessante Begegnungen. Im Speisewa­ gen sitzen zur Hälfte stets die gleichen Leute. Da ergeben sich spezielle Gespräche; man weiss, dieser Person werde ich kaum je in einem andern Kontext begegnen. Diese ­soziale Komponente möchte ich nicht missen.»  pp Alexandre Füzessery, 42, Bundes­ angestellter Parlamentsdienste Bern, ­pendelt seit zehn Jahren drei- bis viermal die Woche von Genf nach Bern. Pro Weg braucht er mit dem Zug 1 Stunde und 40 Minuten. Er legt so jährlich 40 000 Kilometer zurück – umrundet ­sozusagen einmal die Erde. «Dank Internetverbindung kann ich«Dank Internetverbindung kann ich im Zug wie in meinem Büro arbeiten –im Zug wie in meinem Büro arbeiten – ­eigentlich sogar besser.»­eigentlich sogar besser.» ...und wieder auflösen, wie hier in der Halle des Bahnhofs Basel. Personen­ hydrauliker wollen den Men­ schenstrom am Fliessen halten.
  • 3. M i t d e m Z u g z u r A r b e i tM i t d e m Z u g z u r A r b e i t «Ich habe kein Auto und habe auch nicht vor, mir dem­ nächst eines zuzulegen. Anstatt mich auf den Verkehr konzentrieren zu müssen, nutze ich meine Fahrzeit lieber zum Lesen, Beantworten von Mails oder auch zum ­Schlafen. Zudem fände ich es ökologisch sehr bedenklich, diese Strecke als Einzelperson mit dem Auto zu fahren. Leider sind die Züge auf der Strecke zwischen Zürich und Wädenswil oft überfüllt, und Sitzen ist kaum möglich. Trotzdem geniesse ich es, wenn ich von Zeit zu Zeit mit anderen Passagieren ins Gespräch komme – gerade da die meisten Pendler ungestört bleiben wollen und die ­ganze Fahrt über bloss Musik hören oder Zeitung lesen. Der Weg zu meinem Arbeitsort ist zwar etwas lang, ich habe mich jedoch mittlerweile damit abgefunden, und ein Umzug kommt für mich nicht in Frage. Zudem gefällt mir mein Job, auch wenn ich nicht vorhabe, diese Stelle für die nächsten zehn Jahre zu besetzen.»  sf Iris Tschirren, 25, Facility Manager, ­ pendelt seit einem Jahr täglich mit dem Zug von Wädenswil ZH nach Birr AG. Für die Strecke von 58 Kilometern pro Weg ist sie jeweils circa 70 Minuten unterwegs. «Ich geniesse die Gespräche mit«Ich geniesse die Gespräche mit anderen Passagieren.»anderen Passagieren.» Fokus Pendeln 28 10 I 2011 der arbeitsmarkt In Zukunft sollen die Personenflüsse in den grossen Rail- Cities der SBB mit einem automatischen Zählsystem erfasst werden. Eine videobasierte Analyse der Ein- und Ausgänge soll das ermöglichen. Bei diesem datenschutzkonformen ­SystemwirddasBildmaterialnichtgespeichert,und­Gesichter sind nicht erkennbar. Vielmehr rechnet ein Programm die Videoaufnahmen in Echtzeit um, die Reisenden erscheinen als «Strichmännli» auf einer Simulationsoberfläche. Die ­Bilder lassen die Hauptnutzung und die wichtigsten Wege erkennen.DamitgewinnenPersonenhydraulikereine ­präzise SichtaufProblemzone.DasZählsystemkannauchAufschluss darüber geben, wie Kundinnen und Kunden auf bewusst ­hingestellte Hindernisse reagieren. «So lässt sich das System nicht nur zur Bestandesaufnahme nutzen, sondern künftig auch als Versuchs- und Analyseanlage.» Der Einbau und die Kalibrierung wurden im August 2011 vorgenommen. Erste Ergebnisse sollen Ende Jahr vorliegen. Haupteingänge: zweite Problemzone Oliver Specker zeigt die Haupteingänge auf der Nordseite. Sie stellen im Basler Bahnhof weitere Engpässe dar. Derjenige zum französischen Bahnhofsteil wird praktisch nicht be- nützt. Auch der Eingang Ost führt ein eher stiefmütterliches Dasein: Er ist in Bezug auf den Centralbahnplatz ungünstig ausgerichtet – zu weit von der Tram- und der Bushaltestelle entfernt. Deshalb wählen die meisten Reisenden den ­vermeintlich kürzesten Weg, denjenigen zum Eingang West. Dieser Haupteingang muss ungefähr drei Viertel des Aufkommens schlucken, obwohl er keine vier Meter breit ist. Ihn zu verbreitern oder einen neuen zentralen und brei- ten Eingang an der Nordseite zu errichten, steht nicht zur Diskussion. Die Haupteingänge müssen in den bestehenden Dimensionen optimiert werden. Denn der Bahnhof Basel steht wie viele andere unter Denkmalschutz. Die SBB hat eine eigene Fachstelle für Denkmalschutzfragen, die solche Bauprojekte eng begleitet. Der Denkmalschutz stellt ein ­erhebliches Hindernis für Massnahmen dar. Kann man da überhaupt grössere bauliche Veränderungen vornehmen? «Ausschliessen will ich es nicht; es ist jedoch schwierig und erfordert sehr viel Abstimmungsarbeit», meint der ­Fachmann. Zumindest sollen der Kundschaft möglichst wenige ­Hindernisse im Weg stehen. Die acht bis zehn Zeitungsver­ teilboxen, die heute an der engsten Stelle im Eingangsbe- reich stehen, müssten nach Oliver Speckers Überzeugung ­«unbedingt um ein paar Meter versetzt werden», um den ­hinein- und hinausströmenden Kunden ungehinderte Wege zu ­ermöglichen. Verkaufsflächen jeder Art sind aber für die SBB, die Besitzerin und Betreiberin der Bahnhöfe, von grosser wirtschaftlicher Bedeutung. Es muss also zwischen den ­betrieblich notwendigen und den kommerziellen Flächen abgewogen und deren Verhältnis optimiert werden. Maximale Wartezeit: Sieben Sekunden Inwieweit befassen sich Personenhydrauliker auch mit der Psychologie der Pendlerinnen und Pendler? Etwa mit der ­Frage, was es braucht, dass sich der Fussgänger, die Fussgängerin wohl fühlt – einen Minimalabstand zu den nächsten Mitmenschen etwa oder das ideale Licht- und Farbkonzept? Das Verhalten der Menschen hält Oliver ­Specker für das ­Wichtigste, wenn es darum geht, Personen- flüsse zu beeinflussen, ohne dass es den Betroffenen auf- fällt. Vor Roll­treppen auf dem Perron etwa sollen Reisende maximal ­sieben Sekunden in einer Rückstauzone warten müssen, so die ­Arbeitsvorgabe für die Spezialisten. Dem- entsprechend ­müssen die Rolltreppen – die SBB kennt drei verschiedene Breiten – und deren Vorflächen auf den­ Perrons dimen­sioniert sein. Eine kleine, aber wichtige Massnahme zur ­Optimierung der Gesamtkapazität der ­Auf- oder Abgänge ist die bekannte Parole «Rechts s­tehen – links gehen». Die Flussgeschwindigkeit der Pendlerströme hat auch eine ökonomische Bedeutung, geht es doch auch hier um Arbeits- und Freizeit. Jede Warteminute, ja jede Sekunde kann im Bahnverkehr, wie bei Staus auf Autobahnen, in ­ökonomische Grössen umgerechnet werden. Das tun die ­Personenflussspezialisten bei der SBB aber nicht direkt. «Für uns ist wichtig, dass die Kunden zufrieden sind und vor allem zügig ihre Züge erreichen», bringt es Oliver Specker auf den Punkt. Auch weitere Anschlüsse im Umfeld des Bahnhofs ­sollen rasch erreicht werden. «Wir sind ja vor allem ein Trans- portunternehmen mit einem klaren Transportauftrag. ­Diesen optimal und wirtschaftlich zu erfüllen, ist unser ­primäres Ziel.» Der Betrieb müsse funktionieren: Abfahrts- zeiten der Züge müssten eingehalten werden, Anschlusszüge erreicht werden. «Primär daran misst uns der Kunde. Wenn er nicht rechtzeitig von Gleis 1 auf Gleis 16 gelangt, neigt er dazu, uns dafür verantwortlich zu machen.»  n