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56 | REISEN
«Sie werden sich bei uns wunderbar ent-
spannen können», verspricht Ana von
der Montagne Alternative. «Wir holen
Sie unten im Tal ab.» Doch mit jeder Kur-
ve, die uns ihr Kollege Jimmy mit dem
Offroader von Orsières höher hinauf
nach Commeire bringt, wachsen die
Zweifel . Wann nur endet diese immer
enger werdende Strasse? Da, hinter der
nächsten Kurve taucht endlich das Dörf-
chen auf. Wie hingepappt wirken die
Häuser am Steilhang. Jimmy parkiert vor
dem Dorfeingang, weiter geht es zu Fuss
durch schmale Gässchen. Ruhig ist es
hier tatsächlich. Nur das Klappern unse-
rer Schuhe ist zu hören.
Knapp 20 Einwohner leben noch in
diesem Weiler, der zur Unterwalliser Ge-
meinde Orsières gehört. Ludovic Orts hat
hier zusammen mit seinem Cousin Be-
noît Greindl vor knapp 10 Jahren damit
begonnen, alte, leer stehende Scheunen
zu renovieren und touristisch zu nutzen.
Daraus entstanden ist ein aussergewöhn-
liches Hotelkonzept: Die Montagne
Alternative mit sieben Häusern und ins-
gesamt 30 Doppelzimmern; dazu ein
Restaurant und ein Seminarraum. Denn
bisher hat sich das Resort vor allem an
Firmen gerichtet. Inzwischen entdecken
auch Privatpersonen dieses idyllische
Hideaway. Architekt Patrick Devanthéry
hat die verfallenen Scheunen so reno-
viert, dass die alte Substanz mit den
Holzbohlen noch sichtbar ist. Manche
Wände wurden verglast, sodass man den
Blick auf die Landschaft zwischen Mont-
Blanc-Massiv und Grossen St. Bernhard
geniessen kann. Auf Komfort muss man
hier nicht verzichten – ausser auf Fern-
seher und Zimmerschlüssel. «Die
braucht es hier nicht», meint Mitarbeiter
Jimmy.
AUCH WIR WOLLEN HIER unsere Batterien
aufladen, zur Ruhe kommen und Druck
abbauen – wie uns auf der Website versi-
chert wird. Jimmy führt uns ins Maison
Bérard, ein kleines Häuschen mitten im
Dorf, und entzündet ein Feuer im Che-
minée – und alsbald versinken wir in der
Ruhe und der atemberaubenden Schön-
heit, die sich uns vor dem Fenster prä-
sentiert.
Früher suchten sich die Menschen
einen Ferienort, wo etwas los war. Schau-
en, erleben, aktiv sein. Um die Jahrhun-
dertwende zog es sie in Grandhotels, in
den Siebzigerjahren waren Clubferien
gefragt, und in den Neunzigerjahren
dann waren Designhotels das Nonplus-
ultra. Heute wünschen sich viele einfach
eine Pause vom hektischen Alltag. Ab-
tauchen heisst die Devise – an einem
Ort, wo die einzige Aufregung das Un-
aufgeregte ist. Als Hideaway bezeichnet
die Hotelbranche solche Unterkünfte,
wo man dem Alltag den Rücken kehren
kann. Die Abgeschiedenheit und Ruhe
solcher Hideaways würden eine Art Lu-
xus im intellektuellen Sinne bieten, ist
Tourismusforscher Heinz-Dieter Quack
(siehe Interview) überzeugt. Meist liegen
sie irgendwo in der Pampa, am besten
gleich kilometerweit weg von jeder Zivi-
lisation, im touristischen Niemandsland.
AUCH IM UNTERENGADIN gibt es einen
Ort dieser Art: den Hof Zuort im Val Si-
nestra. In Scuol noch fühlen wir uns wie
in einem Hexenkessel voller herbstlicher
Wandervögel. Aber schon im Postauto
Richtung Vnà hinauf können wir wieder
durchatmen. Dann geht es zu Fuss eine
gute Stunde auf einem schmalen Sträss-
chen weiter ins Tal hinein, ganz allein.
Als wir im Hof Zuort ankommen, liegt er
bereits im Schatten. Nur die obersten
schneebedeckten Berggipfel sind noch
besonnt und geben einen wunderbaren
Kontrast zu den gelben Lärchen und
dem strahlend blauen Himmel ab.
«Wir haben nichts» steht auf dem
Prospekt des Hofs Zuort. Das ist natür-
lich völlig untertrieben. Klar gibt es hier
kein Highlife – weder Disco noch Fernse-
her. Dafür Berge, Wald und Einsamkeit
in Hülle und Fülle. Und pure Ruhe – aus-
ser dem Rauschen der Aua da Laver und
der Brancla. Aber schliesslich heisst Zu-
ort auf Romanisch taub. Ruhe und Stille
wird auch im Haus hochgehalten. So
steht auf einem Plakat in alter Schrift in
der Gaststube: «Bitte kein Getrampel
oder zu lautes Reden.» Ansonsten werde
man sofort hinauskomplimentiert. Wir
setzen uns an den wärmenden Kachel-
ofen und lassen uns von Brigitte Engel
eine herrliche Tomatensuppe und Bœuf
bourguignon servieren. Etwas Märchen-
haftes, Verwunschenes haftet diesem
Haus an, mit all den ausgestopften Tie-
ren und den historischen Zimmern, in
denen wir später vorzüglich nächtigen
werden. Fast scheint es, als ob man hier
die Zeit angehalten hätte.
Das mochte vor über 100 Jahren
auch den holländischen Dirigenten Wil-
lem Mengelberg fasziniert haben, der
hier viele Jahre lebte. Inzwischen sind
der Hof Zuort, die dazugehörende Villa,
das Drachenhaus und die kleine Kapelle
im Besitz von Peter Berry, Nachkomme
einer St. Moritzer Ärztedynastie. «Zuort
ist wie eine Zeitinsel», schwärmt er. Wie
wahr.
Nur der wandernde Vollmond zeigt
uns an, dass die Stunden vergehen. Er
wolle hier einen Gegenpol zum «Disney-
land Engadin» schaffen. Das Interieur
des Hotels ist wo immer möglich im Ur-
zustand belassen, auch die daneben lie-
gende Villa, die Mengelberg bewohnte.
Ritterrüstungen, alte Fotoalben, seine
Büchersammlung und das Bett sind
noch so, als wäre Herr Mengelberg eben
erst zur Tür hinausspaziert.
Als privates Experimentierlabor
bezeichnet Peter Berry sein Hotel. Akro-
bat, Nerz und Galante, die drei Haflin-
gerpferde, seien sozusagen der biologi-
sche Motor seines Investments. «Weil sie
täglich gefüttert werden müssen, ist das
Hotel auch 365 Tage im Jahr geöffnet»,
erklärt der Arzt. Und im Winter dienen
die drei auch schon mal als umwelt-
freundliche Skilifte.
ES ISTNICHTGANZZUFÄLLIG,dass sowohl
Peter Berry vom Hof Zuort wie auch Lu-
dovic Orts und Benoît Greindl von der
Montagne Alternative Quereinsteiger
sind. Sie befinden sich in der zweiten Le-
benshälfte, haben zuvor genug Geld ver-
dient, um sich den Luxus eines Hotels
leisten zu können. Und vor allem: Sie
schätzen selbst die Ruhe und Abgeschie-
denheit und freuen sich, diesen Luxus
anderen Menschen anbieten zu können.
Wir sind in Commeire denn auch nicht
die Einzigen, die für ein Wochenende
dem Alltag den Rücken kehren.
Zu guter Letzt landen wir bei Daniè-
le. Die Rentnerin hat sich in Commeire
ebenfalls einen Traum erfüllt und eine
kleine Alimentation eröffnet. Sie ver-
kauft alles, was man für eine Auszeit
braucht: frischen Zopf, Honig oder ein
Fondue. Die neugewonnene Einsamkeit
wird so genussvoll abgerundet.
Montagne Alternative, Commeire VS,
www.montagne-alternative.com, DZ ab
Fr. 250.–; Hof Zuort, Ramosch GR,
www.zuort.ch, DZ ab Fr. 230.–.
●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●
VON SILVIA SCHAUB
Hideaways liegen meist im Niemandsland. Doch gerade deshalb
sind diese Hotels so gefragt. Wie etwa die Montagne Alternative
in Commeire oder der Hof Zuort oberhalb Vnà.
DiekleineFlucht
ausdemAlltag
insVersteck
Hideaway in den Walliser Alpen: In
der Montagne Alternative schläft
man in ehemaligen Ställen, die
stilvoll renoviert wurden. HO
Schweiz am Sonntag, Nr. 44, 1. November 2015
Wo sich Fuchs und
Hase gute Nacht
sagen: Hof Zuort
oberhalb Vnà.
Geschlafen wird
in historischen
Zimmern.
KEYSTONE, HO
> Berggasthaus Heimeli, Sapün, GR,
www.heimeli.ch. 300 Jahre altes Walser-
haus auf über 1800 Metern über Meer.
> Hotel Restorant Lej da Staz, St. Mo-
ritz, GR, www.lejdastaz.ch. Tagsüber ist
es hier oft rappelvoll, abends hat man
das Hotel und den Stazersee für sich.
> B &B Hotel Nühus, Safien Platz, GR,
www.safientalferien.ch. Im Herzen des
Naturparks Beverin befindet sich die-
ses Kleinod hoch über dem Safiental.
> Hotel Villa Honegg, Ennetbürgen NW,
www.villa-honegg.ch. Sehr exklusives
Hotel mit nur 23 Zimmern.
> Boutique Chalet Hotel Ahorn, Braun-
wald, GL, www.ahorn-braunwald.ch. Auf
der autofreien Sonnenterrasse in den
Glarner Alpen liegt dieses neue Chalet-
Hotel mit verschiedenen Häusern.
> Landgasthof Ruedihus, Kandersteg,
BE, www.doldenhorn-ruedihus.ch. Ein
Bijou mit 250-jährigem Ambiente.
> Grimsel Hospiz, Guttannen, BE,
www.grimselwelt.ch. Hier stand 1142
das erste urkundlich erwähnte Gast-
haus der Schweiz. Inzwischen hat sich
vieles verändert, nur die Aussicht ist
immer noch gleich bezaubernd.
> Hotel de Rougemont, Rougemont VD,
www.hotelderougemont.com. Das im
letzten Dezember eröffnete Hotel be-
sticht mit besonderem Flair.
> Hotel Fafleralp, Blatten, VS, www.faf-
leralp.ch. Gut erreichbar und doch ab-
seits von Hektik und Lärm.
> Hotel du Pillon, Les Diablerets, VD,
www.hoteldupillon.ch. Etwas ausser-
halb des Dorfes mit Aussicht auf das
Diablerets-Massiv und den Gletscher.
> Lodge alpes et caetera, Vercorin VS,
www.alpesetc.ch. Das Hotel-Dörfchen
verfügt über kleine Chalets, sogenannte
«Mazots».
●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●
■ DIE SCHÖNSTEN WINTER-
HIDEAWAYS – EINE AUSWAHL
Herr Quack, was genau versteckt
sich hinter dem Begriff Hideaway?
Heinz-Dieter Quack: Im wissenschaftli-
chen Sinn ist dieser Begriff gar nicht
genau definiert. Hideaway ist aus
der Sicht des jeweiligen Gastes zu be-
trachten. Es ist ein Ort oder ein
Punkt, den er sich aussucht, um in
seiner Wahrnehmung für eine be-
grenzte Zeit aus dem Alltag oder der
Welt zu verschwinden. Man kann al-
so pauschal gar nicht sagen, das ist
ein Hideaway oder das ist keines. Es
ist jeweils individuell aus Sicht des
Kunden heraus zu erklären.
Wieso suchen immer mehr Men-
schen genau solche Orte?
Weil sie nach einem Ausstieg auf
Zeit aus ihrem als belastend und
stressig empfundenen Alltag su-
chen. Sie wollen eine Art Auszeit,
aber mit Netz und doppeltem Bo-
den. Das heisst, dass der Ort in der
Regel auf einem vergleichsweise ho-
hen Komfortniveau ist. Gelegentlich
findet man auch Angebote, die als
Hideaway bezeichnet werden, die
auf einem sehr einfachen Niveau
sind, wie etwa eine Berghütte.
Und wieso brauchen wir das?
Wir glauben, rund um die Uhr er-
reichbar sein zu müssen. Selbst nach
Feierabend beschäftigen wir uns mit
dem Beruf, sei es, indem wir unsere
Mails lesen oder uns darüber Gedan-
ken machen, was uns am nächsten
Tag im Büro erwartet. Wir belasten
uns auch mit den vielen Handlungs-
optionen, die wir in unserem Privat-
leben haben. Der Mensch hat aber
ein Recht auf Nichterreichbarkeit.
Sind dann solche Hotels sozusagen
der Gegenentwurf zu unserem hek-
tischen Leben?
Ja, genau. Erfolgreich sind diejeni-
gen Angebote, die dies auf sehr emo-
tionale Art kommunizieren können.
Das ist nichts Neues. Das zentrale
Reisemotiv im Urlaubsgeschäft war
schon immer die Differenzerfah-
rung zum Alltag, hier wird sie aber
sehr deutlich kommuniziert. Dass
ich nämlich in kurzer Zeit vollstän-
dig abschalten und in eine ganz an-
dere Welt eintauchen kann. Die Ab-
geschiedenheit und die Ruhe eines
Hideaway bieten einen Luxus im in-
tellektuellen Sinn.
Wie erholsam ist das denn?
Wenn es sich wirklich um eine ande-
re Umgebung handelt als im Alltag,
dann funktioniert es tatsächlich für
die Zeit des Aufenthaltes. Die Frage
ist, wie nachhaltig diese Entspan-
nungseffekte sind. Wenn ich für drei
Tage aus dem Alltagstrott herausfal-
le und in einer anderen Umgebung
bin, dann bin ich mental zumindest
abgelenkt von dem, was mich übli-
cherweise im Alltag beschäftigt.
Aber nicht in jedem Fall ist es so,
dass ich dann rundherum erholt in
den Alltag zurückkomme.
Werden solche Fluchtorte in Zu-
kunft noch wichtiger?
Das trifft natürlich nicht für alle Rei-
senden zu, sondern ein vergleichs-
weise kleines, aber zumindest in der
Wahrnehmung der letzten Jahre ge-
wachsenes Segment. Wenn man sich
die Kommunikation von einzelnen
Hotels anschaut, dann können wir
bei vielen Betrieben erkennen, dass
sie diese Fluchtpunkte deutlich stär-
ker kommunizieren.
Immer öfter werden genau solche
Hideaways von Quereinsteigern er-
öffnet. Eine neue Konkurrenz für
die traditionelle Hotellerie?
Es sind in der letzten Zeit tatsächlich
ein paar Quereinsteiger dazugekom-
men. Das sind häufig Menschen, die
aus eigener Betroffenheit heraus ein
solches Hotel eröffnen. Manche wol-
len selbst vollständig aussteigen und
denken, dass das auch für sie eine
Erwerbsgrundlage sein könnte. Eine
Konkurrenz zur sonstigen Hotellerie
wird das nicht sein. Es geht bei die-
sen Hideaways meist nicht um den
Haupturlaub, sondern um verlän-
gerte Wochenenden und häufig um
sehr spontan geplante Reisen. Das
wird den Markt in meiner Wahrneh-
mung eher vergrössern. (SC)
Heinz-Dieter
Quack ist wissen-
schaftlicher Leiter
des Europäischen
Tourismusinsti-
tuts in Trier (D).
«AuszeitmitNetzunddoppeltemBoden»
Tourismus-Experte Heinz-Dieter Quack weiss, wieso wir immer öfter abtauchen wollen

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31.10.2015_Schweiz_am_Sonntag_hideaways.jpg

  • 1. 56 | REISEN «Sie werden sich bei uns wunderbar ent- spannen können», verspricht Ana von der Montagne Alternative. «Wir holen Sie unten im Tal ab.» Doch mit jeder Kur- ve, die uns ihr Kollege Jimmy mit dem Offroader von Orsières höher hinauf nach Commeire bringt, wachsen die Zweifel . Wann nur endet diese immer enger werdende Strasse? Da, hinter der nächsten Kurve taucht endlich das Dörf- chen auf. Wie hingepappt wirken die Häuser am Steilhang. Jimmy parkiert vor dem Dorfeingang, weiter geht es zu Fuss durch schmale Gässchen. Ruhig ist es hier tatsächlich. Nur das Klappern unse- rer Schuhe ist zu hören. Knapp 20 Einwohner leben noch in diesem Weiler, der zur Unterwalliser Ge- meinde Orsières gehört. Ludovic Orts hat hier zusammen mit seinem Cousin Be- noît Greindl vor knapp 10 Jahren damit begonnen, alte, leer stehende Scheunen zu renovieren und touristisch zu nutzen. Daraus entstanden ist ein aussergewöhn- liches Hotelkonzept: Die Montagne Alternative mit sieben Häusern und ins- gesamt 30 Doppelzimmern; dazu ein Restaurant und ein Seminarraum. Denn bisher hat sich das Resort vor allem an Firmen gerichtet. Inzwischen entdecken auch Privatpersonen dieses idyllische Hideaway. Architekt Patrick Devanthéry hat die verfallenen Scheunen so reno- viert, dass die alte Substanz mit den Holzbohlen noch sichtbar ist. Manche Wände wurden verglast, sodass man den Blick auf die Landschaft zwischen Mont- Blanc-Massiv und Grossen St. Bernhard geniessen kann. Auf Komfort muss man hier nicht verzichten – ausser auf Fern- seher und Zimmerschlüssel. «Die braucht es hier nicht», meint Mitarbeiter Jimmy. AUCH WIR WOLLEN HIER unsere Batterien aufladen, zur Ruhe kommen und Druck abbauen – wie uns auf der Website versi- chert wird. Jimmy führt uns ins Maison Bérard, ein kleines Häuschen mitten im Dorf, und entzündet ein Feuer im Che- minée – und alsbald versinken wir in der Ruhe und der atemberaubenden Schön- heit, die sich uns vor dem Fenster prä- sentiert. Früher suchten sich die Menschen einen Ferienort, wo etwas los war. Schau- en, erleben, aktiv sein. Um die Jahrhun- dertwende zog es sie in Grandhotels, in den Siebzigerjahren waren Clubferien gefragt, und in den Neunzigerjahren dann waren Designhotels das Nonplus- ultra. Heute wünschen sich viele einfach eine Pause vom hektischen Alltag. Ab- tauchen heisst die Devise – an einem Ort, wo die einzige Aufregung das Un- aufgeregte ist. Als Hideaway bezeichnet die Hotelbranche solche Unterkünfte, wo man dem Alltag den Rücken kehren kann. Die Abgeschiedenheit und Ruhe solcher Hideaways würden eine Art Lu- xus im intellektuellen Sinne bieten, ist Tourismusforscher Heinz-Dieter Quack (siehe Interview) überzeugt. Meist liegen sie irgendwo in der Pampa, am besten gleich kilometerweit weg von jeder Zivi- lisation, im touristischen Niemandsland. AUCH IM UNTERENGADIN gibt es einen Ort dieser Art: den Hof Zuort im Val Si- nestra. In Scuol noch fühlen wir uns wie in einem Hexenkessel voller herbstlicher Wandervögel. Aber schon im Postauto Richtung Vnà hinauf können wir wieder durchatmen. Dann geht es zu Fuss eine gute Stunde auf einem schmalen Sträss- chen weiter ins Tal hinein, ganz allein. Als wir im Hof Zuort ankommen, liegt er bereits im Schatten. Nur die obersten schneebedeckten Berggipfel sind noch besonnt und geben einen wunderbaren Kontrast zu den gelben Lärchen und dem strahlend blauen Himmel ab. «Wir haben nichts» steht auf dem Prospekt des Hofs Zuort. Das ist natür- lich völlig untertrieben. Klar gibt es hier kein Highlife – weder Disco noch Fernse- her. Dafür Berge, Wald und Einsamkeit in Hülle und Fülle. Und pure Ruhe – aus- ser dem Rauschen der Aua da Laver und der Brancla. Aber schliesslich heisst Zu- ort auf Romanisch taub. Ruhe und Stille wird auch im Haus hochgehalten. So steht auf einem Plakat in alter Schrift in der Gaststube: «Bitte kein Getrampel oder zu lautes Reden.» Ansonsten werde man sofort hinauskomplimentiert. Wir setzen uns an den wärmenden Kachel- ofen und lassen uns von Brigitte Engel eine herrliche Tomatensuppe und Bœuf bourguignon servieren. Etwas Märchen- haftes, Verwunschenes haftet diesem Haus an, mit all den ausgestopften Tie- ren und den historischen Zimmern, in denen wir später vorzüglich nächtigen werden. Fast scheint es, als ob man hier die Zeit angehalten hätte. Das mochte vor über 100 Jahren auch den holländischen Dirigenten Wil- lem Mengelberg fasziniert haben, der hier viele Jahre lebte. Inzwischen sind der Hof Zuort, die dazugehörende Villa, das Drachenhaus und die kleine Kapelle im Besitz von Peter Berry, Nachkomme einer St. Moritzer Ärztedynastie. «Zuort ist wie eine Zeitinsel», schwärmt er. Wie wahr. Nur der wandernde Vollmond zeigt uns an, dass die Stunden vergehen. Er wolle hier einen Gegenpol zum «Disney- land Engadin» schaffen. Das Interieur des Hotels ist wo immer möglich im Ur- zustand belassen, auch die daneben lie- gende Villa, die Mengelberg bewohnte. Ritterrüstungen, alte Fotoalben, seine Büchersammlung und das Bett sind noch so, als wäre Herr Mengelberg eben erst zur Tür hinausspaziert. Als privates Experimentierlabor bezeichnet Peter Berry sein Hotel. Akro- bat, Nerz und Galante, die drei Haflin- gerpferde, seien sozusagen der biologi- sche Motor seines Investments. «Weil sie täglich gefüttert werden müssen, ist das Hotel auch 365 Tage im Jahr geöffnet», erklärt der Arzt. Und im Winter dienen die drei auch schon mal als umwelt- freundliche Skilifte. ES ISTNICHTGANZZUFÄLLIG,dass sowohl Peter Berry vom Hof Zuort wie auch Lu- dovic Orts und Benoît Greindl von der Montagne Alternative Quereinsteiger sind. Sie befinden sich in der zweiten Le- benshälfte, haben zuvor genug Geld ver- dient, um sich den Luxus eines Hotels leisten zu können. Und vor allem: Sie schätzen selbst die Ruhe und Abgeschie- denheit und freuen sich, diesen Luxus anderen Menschen anbieten zu können. Wir sind in Commeire denn auch nicht die Einzigen, die für ein Wochenende dem Alltag den Rücken kehren. Zu guter Letzt landen wir bei Daniè- le. Die Rentnerin hat sich in Commeire ebenfalls einen Traum erfüllt und eine kleine Alimentation eröffnet. Sie ver- kauft alles, was man für eine Auszeit braucht: frischen Zopf, Honig oder ein Fondue. Die neugewonnene Einsamkeit wird so genussvoll abgerundet. Montagne Alternative, Commeire VS, www.montagne-alternative.com, DZ ab Fr. 250.–; Hof Zuort, Ramosch GR, www.zuort.ch, DZ ab Fr. 230.–. ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● VON SILVIA SCHAUB Hideaways liegen meist im Niemandsland. Doch gerade deshalb sind diese Hotels so gefragt. Wie etwa die Montagne Alternative in Commeire oder der Hof Zuort oberhalb Vnà. DiekleineFlucht ausdemAlltag insVersteck Hideaway in den Walliser Alpen: In der Montagne Alternative schläft man in ehemaligen Ställen, die stilvoll renoviert wurden. HO
  • 2. Schweiz am Sonntag, Nr. 44, 1. November 2015 Wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen: Hof Zuort oberhalb Vnà. Geschlafen wird in historischen Zimmern. KEYSTONE, HO > Berggasthaus Heimeli, Sapün, GR, www.heimeli.ch. 300 Jahre altes Walser- haus auf über 1800 Metern über Meer. > Hotel Restorant Lej da Staz, St. Mo- ritz, GR, www.lejdastaz.ch. Tagsüber ist es hier oft rappelvoll, abends hat man das Hotel und den Stazersee für sich. > B &B Hotel Nühus, Safien Platz, GR, www.safientalferien.ch. Im Herzen des Naturparks Beverin befindet sich die- ses Kleinod hoch über dem Safiental. > Hotel Villa Honegg, Ennetbürgen NW, www.villa-honegg.ch. Sehr exklusives Hotel mit nur 23 Zimmern. > Boutique Chalet Hotel Ahorn, Braun- wald, GL, www.ahorn-braunwald.ch. Auf der autofreien Sonnenterrasse in den Glarner Alpen liegt dieses neue Chalet- Hotel mit verschiedenen Häusern. > Landgasthof Ruedihus, Kandersteg, BE, www.doldenhorn-ruedihus.ch. Ein Bijou mit 250-jährigem Ambiente. > Grimsel Hospiz, Guttannen, BE, www.grimselwelt.ch. Hier stand 1142 das erste urkundlich erwähnte Gast- haus der Schweiz. Inzwischen hat sich vieles verändert, nur die Aussicht ist immer noch gleich bezaubernd. > Hotel de Rougemont, Rougemont VD, www.hotelderougemont.com. Das im letzten Dezember eröffnete Hotel be- sticht mit besonderem Flair. > Hotel Fafleralp, Blatten, VS, www.faf- leralp.ch. Gut erreichbar und doch ab- seits von Hektik und Lärm. > Hotel du Pillon, Les Diablerets, VD, www.hoteldupillon.ch. Etwas ausser- halb des Dorfes mit Aussicht auf das Diablerets-Massiv und den Gletscher. > Lodge alpes et caetera, Vercorin VS, www.alpesetc.ch. Das Hotel-Dörfchen verfügt über kleine Chalets, sogenannte «Mazots». ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ■ DIE SCHÖNSTEN WINTER- HIDEAWAYS – EINE AUSWAHL Herr Quack, was genau versteckt sich hinter dem Begriff Hideaway? Heinz-Dieter Quack: Im wissenschaftli- chen Sinn ist dieser Begriff gar nicht genau definiert. Hideaway ist aus der Sicht des jeweiligen Gastes zu be- trachten. Es ist ein Ort oder ein Punkt, den er sich aussucht, um in seiner Wahrnehmung für eine be- grenzte Zeit aus dem Alltag oder der Welt zu verschwinden. Man kann al- so pauschal gar nicht sagen, das ist ein Hideaway oder das ist keines. Es ist jeweils individuell aus Sicht des Kunden heraus zu erklären. Wieso suchen immer mehr Men- schen genau solche Orte? Weil sie nach einem Ausstieg auf Zeit aus ihrem als belastend und stressig empfundenen Alltag su- chen. Sie wollen eine Art Auszeit, aber mit Netz und doppeltem Bo- den. Das heisst, dass der Ort in der Regel auf einem vergleichsweise ho- hen Komfortniveau ist. Gelegentlich findet man auch Angebote, die als Hideaway bezeichnet werden, die auf einem sehr einfachen Niveau sind, wie etwa eine Berghütte. Und wieso brauchen wir das? Wir glauben, rund um die Uhr er- reichbar sein zu müssen. Selbst nach Feierabend beschäftigen wir uns mit dem Beruf, sei es, indem wir unsere Mails lesen oder uns darüber Gedan- ken machen, was uns am nächsten Tag im Büro erwartet. Wir belasten uns auch mit den vielen Handlungs- optionen, die wir in unserem Privat- leben haben. Der Mensch hat aber ein Recht auf Nichterreichbarkeit. Sind dann solche Hotels sozusagen der Gegenentwurf zu unserem hek- tischen Leben? Ja, genau. Erfolgreich sind diejeni- gen Angebote, die dies auf sehr emo- tionale Art kommunizieren können. Das ist nichts Neues. Das zentrale Reisemotiv im Urlaubsgeschäft war schon immer die Differenzerfah- rung zum Alltag, hier wird sie aber sehr deutlich kommuniziert. Dass ich nämlich in kurzer Zeit vollstän- dig abschalten und in eine ganz an- dere Welt eintauchen kann. Die Ab- geschiedenheit und die Ruhe eines Hideaway bieten einen Luxus im in- tellektuellen Sinn. Wie erholsam ist das denn? Wenn es sich wirklich um eine ande- re Umgebung handelt als im Alltag, dann funktioniert es tatsächlich für die Zeit des Aufenthaltes. Die Frage ist, wie nachhaltig diese Entspan- nungseffekte sind. Wenn ich für drei Tage aus dem Alltagstrott herausfal- le und in einer anderen Umgebung bin, dann bin ich mental zumindest abgelenkt von dem, was mich übli- cherweise im Alltag beschäftigt. Aber nicht in jedem Fall ist es so, dass ich dann rundherum erholt in den Alltag zurückkomme. Werden solche Fluchtorte in Zu- kunft noch wichtiger? Das trifft natürlich nicht für alle Rei- senden zu, sondern ein vergleichs- weise kleines, aber zumindest in der Wahrnehmung der letzten Jahre ge- wachsenes Segment. Wenn man sich die Kommunikation von einzelnen Hotels anschaut, dann können wir bei vielen Betrieben erkennen, dass sie diese Fluchtpunkte deutlich stär- ker kommunizieren. Immer öfter werden genau solche Hideaways von Quereinsteigern er- öffnet. Eine neue Konkurrenz für die traditionelle Hotellerie? Es sind in der letzten Zeit tatsächlich ein paar Quereinsteiger dazugekom- men. Das sind häufig Menschen, die aus eigener Betroffenheit heraus ein solches Hotel eröffnen. Manche wol- len selbst vollständig aussteigen und denken, dass das auch für sie eine Erwerbsgrundlage sein könnte. Eine Konkurrenz zur sonstigen Hotellerie wird das nicht sein. Es geht bei die- sen Hideaways meist nicht um den Haupturlaub, sondern um verlän- gerte Wochenenden und häufig um sehr spontan geplante Reisen. Das wird den Markt in meiner Wahrneh- mung eher vergrössern. (SC) Heinz-Dieter Quack ist wissen- schaftlicher Leiter des Europäischen Tourismusinsti- tuts in Trier (D). «AuszeitmitNetzunddoppeltemBoden» Tourismus-Experte Heinz-Dieter Quack weiss, wieso wir immer öfter abtauchen wollen