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2035 by PETER ALLEN 
2015 startet die letzte internationale Crew vom Mond aus in Richtung Mars. 
Überwacht von der Entertainmentindustrie verbringen sechs Menschen achtzehn 
Jahre auf dem roten Planeten. John Allen wird 2018 auf dem Mars geboren. Seine 
neuronalen Fähigkeiten und die beschleunigte Entwicklung lassen ihn im Alter 
von zehn Jahren auf die Erde zurückkehren, die inzwischen von globalen 
Konzernen regiert wird. 
CHAPTERS - ERZÄHLZEIT - ERZÄHLTE ZEIT 
I 2015 - VOM MOND AUS GESEHEN 
mission starts / 2 weeks 
II 2018 - DIE NACHT DES HORRORS 
Johns birth / 2 weeks 
III 2025 - JOHNS GEBURTSTAG 
broadcast end / (John 7 years old) / 1 week 
IV 2028 - BIS AN DEN RAND DER RÄNDER 
return to earth / (John 10 years old) / 1 week 
V 2033 - AT SARAH IN FRANCE 
Sarah in France / (John 15 years old) / crew returns to earth / 2 x 2 weeks 
VI 2033 - 42 IN A GADDA DA VIDA school / college / university ( John 15 - 
24 years old) 4 x 2 weeks 
VII 2042 - ICH IST EIN ANDERER 
university (John 24 years old) 4 x 2 weeks 
VIII 2050 - AIKO 
in NY / meets Aiko (John 32 years old) / 1 x 2 weeks 
IX 2053 - EMILY 
meets Emily in smalltown (John 35 years old) / 1 x 2 weeks 
X 2055 - NEWS
CHARACTERS: 
John Allen - born on Mars - protagonist 
Peter Allen - born in Singapore - head of crew 
Yoko - Japan - sensitive intelligence 
Mark - US - biochemical brain 
Arathia - India - communication talent 
Richard - UK - astrophysical cook - the youngest 
Miriam - France - geological intelligence - 
Sarah - living at Countryside / France - Peters ex-wife 
Sammy - Johns half - sister - 
Aiko - Johns first love in NY - 
Emily - Johns second love in small town 
IN THE FUTURE. 
There will be travel to mars by the entertainment industry. There will be more wars on profit. 
Everybody will be more confused by media and technology. More people will seek for 
spirituality. Earth will shake itself. I will be old and meet you for the last years. Venice will be 
flooded. Dubai will be the new world city, beside Hong Kong, Tokyo, Singapore Delhi, 
Bombay & Beijing. The old megalopolises will fight for more real estate, water and sources. 
Money will be used for extreme flows of consciousness. Leisure time will be the only way to 
spend the day. National governments will take hold on social crisis, while global industries will 
produce all the same. There will be no escape. All books will be digitized, except new 
published books. People will spend holidays somewhere and will find the same. Nobody will 
expect something small, though churches and temples will be refilled. You can book your space 
travel via cell phone. Medicine will allow control of neurotransmitter. Artificial cells can be 
produced. There will be rich enclaves (for those inside the entertainment and leisure industries) 
and megalopolises of the poor (being forced to consume).
I 2015 - VOM MOND AUS GESEHEN. 
27.Tag. Sechs Tage über der Zeit. Wir lassen die letzten Testschleifen für den Weiterflug 
durchlaufen. Dann wird das Schiff in eine Parabelkurve zum Mars einschwenken. Um den 
Zielort zu erreichen und die verlorenen sechs Tage aufzuholen, sehen wir uns im ersten Monat 
einer beschleunigten Geschwindigkeit ausgesetzt. 
28.Tag. Plötzlich arbeiten alle Schaltkreise. 
29.Tag. Es ist sechs Uhr. Greenwich Zeit. Das Schiff wird von der Mondstation zu seinem 
Orbit geleitet, umkreist den Trabanten für acht Stunden und nutzt dann die Drehung des 
Mondes um die Parabelkurve zu erreichen. Nach einer Woche der Reparatur und des nicht 
übereinstimmenden Datenflusses, der das Schiff unnavigierbar ließ, befinden wir uns auf dem 
neun Monate dauernden Flug zum Mars. Den dreiwöchigen Aufenthalt auf dem Mond 
miteingerechnet. 
Ausgelöst von finanziellen und politischen Streits seit 2010 wurde die internationale 
Raumstation zwischen Erde und Mond nie fertig. Gleichzeitig wuchsen auf der Erde die 
nationalen Sicherheitsbestrebungen und die militärischen Ausgaben verdreifachten sich. Weil 
man ernste Budgetkürzungen nach 2010 erwartete, wurde unser bemannter Flug in Eile 
zusammengestellt. Möglicherweise sind wir für Jahrzehnte die letzte internationale crew 
innerhalb des Sonnensystems. Nachdem wir die Mondbasis erreicht hatten, gingen wegen der 
nicht funktionierenden Bildschirme Gerüchte von Sabotage um. Der Zusammenbruch des 
Kommunikationssystems veranlaßte einen längeren Aufenthalt als geplant. Eigentlich sollten 
keine Übertragungsverzögerungen zwischen unserem Schiff, dem Mond und der Erdstation 
auftreten. Wir mussten den Satelliten wechseln und einige Programme für kodierte 
Übertragungen neu installieren. Die empfangenen und die gesendeten Daten haben zwar noch 
immer Zeitverschiebungen, doch die Übertragung läuft. 
Leben auf dem Mars? Die Frage, ob die Menschheit die einzige Lebensform im Universum ist 
oder nicht, sind nur Reflexionen und Projektionen. Werden wir von unseren Sinnen und der 
Reichweite unserer intelligiblen Daten getäuscht, um Lebensformen auf der gleichen 
Wellenlänge des In- und Outputs zu erwarten? Ohne des Körpers sensorische Einrichtungen 
wären alle elektronischen, und magnetischen Datenflüsse hinfällig. Kann anorganische Materie 
mentale Zustände beeinflussen? Wie Telepathie, Übertragungen und Überschreitungen, 
beobachtet unter Drogenexperimenten, eingebettet in archaischen Gemeinschaften? Suchen wir, 
was wir eh schon wissen? Und wenn dem so ist, was erwartet uns jenseits unserer 
Wahrnehmungsskala ? 
Die Fähigkeiten der Crewmitglieder unterscheiden sich geringfügig. Die Auswahl des NASA 
Kommitees war nicht auf Herkunft bedacht, konzentrierte sich auf individuelle 
Spezialisierungen, die unsere wissenschaftliche Recherche nun wie eine kosmopolitische 
Extravaganz aussehen läßt. 
Richard, als Koch ausgebildet, studierte Astrophysik, während er sich für das NASA-Programm 
bewarb. Er überrascht uns mit einem kombinatorischen Gedächtnis organisch 
stimulierenden Humors. Arathia aus Indien ist ein wahres Kommunikationstalent. Seit zwei 
Stunden testet sie die Software, schickt Mitteilungen in einer Schleife, fügt Rückkopplungen 
ein, um Schwachstellen des Codes auszumerzen. Es könnte eine Vermischung von In- und
Output stattgefunden haben, die unseren Bordcomputer unexakte Routinen darzustellen 
veranlaßte. Arathia entwickelte ein zweisprachiges Filterprogramm, das der Crew ermöglicht, in 
mehrere technische Systeme per Spracherkennung einzugreifen. Jede Stimme ein 
Sicherheitsschlüssel und Zugang zum Lebenserhaltungs-, dem Kommunikationssystem und zu 
den Recherchedaten. Jedes Crewmitglied ist in die 32 Schaltkreise des Schiffs eingeloggt. 
Billboards, die mit Überwachungskameras ausgestattet sind, können zwischen Live-Bild und 
Daten wechseln. Die Intelligenz des Schiffes umschließt uns als zweite Membran. Dieses 
winzige Schiff ohne eigene Schwerkraft wird nur Variablen zum Überleben akzeptieren. 
Mark, das bio-chemische Gehirn aus New Jersey ist für die körperlichen Bedürfnisse 
verantwortlich. Er ist der Vermittler zwischen den biologischen Transmitterzellen und dem 
anorganischen Nervensystem des Schiffes. Er überwacht den Datenstrom und die Experimente 
während des Fluges. Noch weiß niemand, wie Träume und das Unbewußte die Wahrnehmung 
während langer Flüge ohne Schwerkraft beeinflussen. Mark überwacht körperliche 
Fehlfunktionen, nervöse Attacken, psychologische Widersprüche und kümmert sich um die 
Abwechslung in der Nahrungsaufnahme und die medizinische Betreuung. Er ist verantwortlich 
für das "brain-yoga" Programm, das während der sechs stündigen Regenerationsphase die 
Fähigkeiten steigert, sechs Stunden "on-line" zu sein. Dieses "brain-yoga" läßt uns während 
der Schlafphase "off-line" gehen und ermöglicht eine synchron fließende Zeitvorstellung, 
anstelle von geschichteter und überlagernder sensorischer Information. 
Ich weiß wirklich nicht, was mich hierher brachte. Die vergangenen verwirrenden Jahre in 
ständiger Verwandlung. Sarah fand das Haus auf dem Land in Frankreich. Ich beabsichtigte 
meine Karriere als Wissenschaftler neu zu beleben. Doch das Ausbildungsprogramm bei der 
NASA begann kurz darauf. So verbrachte ich drei Wochen in Frankreich und den Rest der drei 
Jahre in den Staaten. Die wenigen Tage erinnernd, in denen die Sonne vom Kamin des Daches 
zurückgeworfen wurde. Der Wind in den Bäumen. Die grünen Hügel. Nun sehe ich diesen 
fragilen Planeten vom Weltraum aus. Diese dünne Atmosphäre, die die Erde wie einen 
Schutzmantel umgibt. 
Ich falle in den Schlaf der sechsstündigen off-line Zeit. Die recycelte Luft ist mit Molekülen 
von Wasser angereichert, während ein erotischer Traum mit der Vision einer Busfahrt durch 
eine Kleinstadt verschmilzt. Ich beginne zu laufen, werde von einer Familie mit einem Kind, 
das einen langen Arm hat, angehalten. Die Eltern bitten, das Kind mitzunehmen. Ich 
entschuldige mich und gehe den Weg zurück. Unter einer Baustelle begraben. Ein Haus, das 
kollabierte. Gerahmt von einer dünnen Sicherheitsabsperrung. Wache auf. Mein Bewußtsein 
nimmt die Umgebung wahr. Das Geräusch der Heizung. Die Sauerstoffzufuhr. Das Säuseln 
des Computers. Das schwache Licht simuliert einige Schatten an den faltbaren Wänden der 
Schlafzelle. Wegen des sich überlappenden Schlaf- und Tageskalenders sind die Nachbarzellen 
leer. 
31.Tag. Sitze in der Bordküche. Der Raum ist mit Sauerstoff gefüllt. Versuche in dieser 
fliehenden Schwerkraft zu meditieren. Zwischen summenden Maschinen aus Aluminium, die 
Wasser und dehydrierte Nahrung erhitzen. Komprimierte Extrakte für das Überleben. Lasse die 
Zeit mit ewigkeitsbeladener Ausdehnung vorbeiziehen. Das Jetzt transzendierend.
II 2018 - DIE NACHT DES HORRORS. 
Yoko schaltet die Überwachungskamera aus, während ich ihre Haut berühre. Wir liegen auf 
dem Bett in Ihrem Schlaf-Dorm. Fühlen uns wie neugeborene Kinder. Küssen uns an allen 
Stellen, während der Atem sich verlangsamt und die Hormone sich beschleunigen. Wir wissen, 
daß es die marsianische Nacht ist, in der unsere zwei Seelen ein neues Leben zeugen. Johns 
Leben. Zehn Minuten nach unserem Orgasmus, platzt die Alarmsirene des Village in die Stille, 
vermischt sich mit dem Summen der Sauerstoffzufuhr. Yoko nimmt ihre Hosen und wirft das 
T-Shirt mir zu. Mit beschleunigter Angst und Erschöpfung verlassen wir den Dorm und rennen 
zum Hauptkontroll-Unit des Village. Was wir sehen, läßt unser Blut gefrieren. Das System des 
Computers ist außer Kraft. Die Datenfragmente auf den Bild- schirmen ergeben keinen Sinn. 
Niemals hat einer von uns die Überwachungskameras, deren Daten mit dem Lebenserhaltungs-system, 
den Körperfunktionen und den nervösen Rezeptoren gekoppelt sind, ausgeschaltet. 
Arathia ist die erste, die andeutet, nicht in Panik zu geraten. Wir entscheiden uns, das System 
auf manuelle Kontrolle zu schalten. Plötzlich frieren alle Bildschirme ein. 
Während dieser Nacht des Zusammenbruchs, ändern wir die Daten. Wir entwickeln ein 
Programm, das Routinen schreibt, während es auf dem Weg zur Erde ist. Wir brechen die 
vertragliche Übereinkunft. Aber das Leben als Mäuse und als Prototypen auf dem Mars scheint 
keine andere Möglichkeit zuzulassen. Wir nutzen die Überwachung für unsere eigenen 
Forschungszwecke. Niemand auf der Erde wird Verdacht schöpfen. Arathia hat einige 
Unregelmäßigkeiten in die Übertragung eingebettet, eine Art selbstheilender Virus, der die 
Daten nicht zu perfekt aussehen läßt. Yoko, Arathia und ich beginnen die Sechsstundenroutine, 
testen die Wiedergabe des Systems. 
Miriam auf der Suche nach Kaffee betritt plötzlich das Essens Areal. Meine Augen sind etwas 
träge von den grünen Bildschirmen. Miriam setzt sich an einen der Tische. Unser erstes 
Zusammentreffen seit Wochen. "Ich weiß, wir würden keine Chance für uns haben," beginnt 
sie, als würde sie um meine und Yokos Affäre wissen. "Ich kann nicht sagen, ob wir überhaupt 
wollten." entgegne ich. "Meinst Du, wir werden auf die Erde zurückkehren?" fragt sie. Ich 
schüttle den Kopf, fühle diese Sehnsucht nach einer Rückkehr auf die Erde als etwas 
menschliches. Hatte selbst meine Frau und das ungeborene Baby in Frankreich verlassen. 
"Aber wird dieser Planet eine wirkliche Chance für ein Zuhause sein? Vielleicht am Ende ein 
klaustrophobisches Zuhause?" Wieder schüttle ich den Kopf: "Weiß nicht. Vielleicht finden wir 
eine tiefere menschliche Bestimmung. Vielleicht finden wir auch nichts." "Denkst Du nicht, wir 
testen nur, was wir eh schon wissen? Wir die selben Fragen stellen, auf die wir die Antworten 
bereits besitzen? Und wem sollen diese Antworten nützen? Es fehlen Kinder." Sie scheint 
nichts davon zu ahnen, daß Yoko und ich eine Affäre haben. Menschen unter engen räumlichen 
Bedingungen haben oft mehr Geheimnisse voreinander, als Menschen, die in großer 
Entfernung voneinander leben. Ich fühle den Bruchteil einer Eingebung, es für mich zu behalten 
und verlasse das Areal. Steure auf die Schlaf- und Brain-Yoga Phase zu. Folge den Sternen, 
die durch das Dorm Fenster funkeln.
III 2025 - JOHNS GEBURTSTAG. 
Es ist Johns siebter Geburtstag. Er ist der Erste, der auf einem anderen Planeten geboren 
wurde. Sein bisheriges Leben ist von Kontrolle über sein neuronales System geprägt. Zuerst 
hatte ich keine Ahnung, ob Yoko in der Lage ist, ihn zu gebären, während der Zeit, als 
unbemannte Versorgungsschiffe alle zwei Jahre Material und Nahrung lieferten, um das 
Village zu bauen. 2025 war die Konstruktion, aber auch die Übertragung zur Erde beendet. Wir 
zogen schon Gemüse in einem der gebauten Container, die einen engen Kreis von fünf Units 
beschrieben. 
Wir treffen uns nach Johns Spiel- und Lernphase. Richard, der astrologische Koch, hat einen 
weißen Apfelkuchen gebacken. Yoko hat einige Musikkonserven, die mit dem letzten 
Versorgungsschiff kamen, heruntergeladen. Obwohl wir keine alkoholischen Flüssigkeiten 
besitzen, die wenigen Drogen auf der Station sind zur medizinischen Behandlung oder für die 
Testprogramme gedacht, stimuliert das brain-yoga Programm den unbewußten Teil des 
Gehirns. Von Zeit zu Zeit tauschen wir persönliche Tagebücher aus, die von den 
Sicherheitskameras und den Daten der Körperzellen aufgezeichnet werden. Wie in älteren 
oralen Gemeinschaften. 
John umgeht die ständige Überwachung. Er produziert bewußt körpereigene Neurotransmitter. 
Es ermöglicht ihm mit den Bedingungen zu spielen, in die er geboren ist. Mehrere Male umgeht 
John Marks Programm, das Johns Gehirn- und Neuronenströme aufzeichnet. Angesichts 
seines beschleunigten Wachstums der Körperzellen, ähnelt er einem Teenager auf der Erde, 
bereit für ein Abenteuer oder einen Ausflug außerhalb des Village. Seine Spielkameraden: 
meist technische Geräte. Die Kommunikationspartner: Wir, die Crew des Village. 
John ist nervös. Seine Hormone nahe der Pubertät suchen einen fehlenden Partner. Es wird nur 
eine Frage der Zeit sein und er wird das gesamte Village durcheinanderbringen. Das Hauptziel 
der Mission war und ist, eine kleine Population in dem Village anzusiedeln. Während des 
ersten Jahres verliebte ich mich in Miriam, aber unsere extremen psychologischen Gegensätze 
schlossen letztlich Sex aus. Begleitet von den ständigen Überwachungen, wurde dieser Teil 
menschlicher Existenz zum Neuland. Niemals auf der Erde wurde ein Mensch so lange Zeit 
wissenschaftlicher Kontrolle ausgesetzt. Niemand wußte, ob unsere Erforschungen des 
menschlichen Gehirns und der neuronalen Veränderungen unter veränderten 
Lebensbedingungen, nicht auch Muster der Aggression und Paranoia erzeugen würden. 
Transmitterausschüttungen im Unbekannten. Niemand wußte, ob wir eine Kontrolleinheit 
errichten. Auf der Erde kämpfen bereits die Corporations um neue Ressourcen. Ehemalige 
Ländergrenzen sind fast verschwunden. An die Stelle sind geschützte Communities getreten, 
reiche Enklaven mit massiven Sicherheitseinrichtungen. Die noch existierenden nationalen 
Regierungen sind dazu degradiert die aufkommenden Probleme derer zu lösen, die nicht am 
Luxus der Enklaven und der Unterhaltungsindustrie teilnehmen können.
IV 2028 - BIS AN DEN RAND DER 
RÄNDER 
und dann abtauchen. In die Mitte. Durch den Spalt hindurch. Hinab oder hinauf. Den Schmerz 
erkundend. So hatte sich John die Rückkehr, oder besser den Auftakt vorgestellt. Wäre da nicht 
seine sechzehnjährige Halbschwester Sammy. Er kannte nur die Fotos von ihr, die auf dem 
Mars ankamen. Alle zwei Jahre. Nach der dreimonatigen Quarantäne, mußte John unter 
ärztlicher Aufsicht bleiben. Seine veränderte Muskulatur, sein schneller wachsendes 
Körpergewebe und seine Hormonausschüttungen unterscheiden sich grundlegend von jenen 
der Erdbewohner. 
Sarah empfängt ihn mit weit offenen Armen vor dem Haus. Ihn, der von einer Eskorte nach 
Südfrankreich geleitet wird. Er wird wie ein lebendes Paket vom Mars abgeliefert. Sammy steht 
auf einem Bein tänzelnd an der Gartentür, als würden ihre Gedanken Roulette spielen. John 
gleitet in Sarahs Arme, als wäre sie eine grenzenlose Landschaft, die es zu entdecken gilt. 
Die Eskorte fährt ab. Die drei stolpern den Gartenweg entlang, sich vorsichtig beäugend. In der 
Küche packt John seine Mitbringsel vom Mars auf den Tisch: ein Meßgerät für seine 
Neurotransmitter, drei kleine Marsgesteinsbrocken und eine digitale Kamera, die die 
Aufnahmen seines bisherigen Lebens enthält: ein elektronisches Tagebuch. Hier im Haus gibt 
es keine Schleußen, keine Überwachungskameras, kein Säuseln der Sauerstoffzufuhr. 
Stattdessen zwei weibliche Wesen. Sammy nimmt zwei der Gesteinsbrocken in die Hand, als 
würde sie die Entfernung ahnen, die sie zurückgelegt haben. John, der im Village jeden zum 
Narren hielt, scheint verlegen. 
"Na, wie sieht ́s aus?" versucht Sammy das Gespräch zu beginnen. "Meinst du, du kannst 
dieses Haus gegen den öden Mars tauschen? Hast Du schon mal Chansons gehört?" ́Eine 
sechzehnjährige, die Chansons hört ́, denkt John. "Ich dachte auf der Erde hört man jetzt 
Tripn'Blow mit wellenartigen Kaskaden?" "Das war vor zwei Jahren. Jetzt ist ́ne echte Retro 
angesagt." John legt seine Stirn in Falten. "Das muß ja anstrengend sein." 
Von Johns körperlichen Fähigkeiten wissen Sammy und Sally nichts. An seinem Gang und 
den Armbewegungen ahnen sie den Unterschied. Sammy hat schon öfters Jungs nackt unter 
der Dusche in der Schule gesehen. Mit einem sogar schon Zärtlichkeiten ausgetauscht. Doch je 
mehr sie John mustert, desto fremder erscheint ihr dieses neue männliche Familienmitglied. 
John hat ein paar Musikkonserven aus der brain-yoga Phase gerettet, die er den beiden 
vorspielt. Er schließt ein kleines Abspielgerät an zwei Lautsprecher an, die er im Wohnzimmer 
findet, und eine seltsame Mischung aus langgedehnten Passagen, die durch kratzende 
Geräusche eine Beschleunigung erhalten, wabern durch den Raum der Küche. Der Sound 
scheint die Luft tiefzufrieren und dann wieder kleinzuhacken. 
"Soetwas habe ich noch nie gehört" platzt Sammy in die geschwängerte Luft. "Ist ́ne eigene 
Produktion." erwidert John. "Wir sollten erst einmal etwas essen", unterbricht Sarah die 
Beiden. "Habe Apfelkuchen und Gemüsesuppe für dich vorbereitet. Bin gespannt, ob dir das 
schmeckt." "Apfelkuchen hatten wir im Village auch, nur keine Äpfel. War so ́ne 
Ersatzmischung. Gemüse hatten wir schon. Schmeckte aber alles gleich.""Dann werden ja 
deine Geschmacksnerven explodieren." Wenn die Beiden wüßten.
Zwei Wochen vor Johns zehntem Geburtstag. Sammy muß sich auf eine Prüfung vorbereiten, 
während Sarah und John den Lancia nach Brüssel besteigen. Sarah ist Beraterin einer großen 
Kunstsammlung. Sie hat ein Hotel im Zentrum der Stadt reserviert, deren Zimmer die Namen 
von verschiedenen Ländern tragen. Sarah landet in Kenia, während in Johns Zimmer in 
Madagaskar, Schiffsbullaugen und eine Fototapete ein karges Schiffsjungenleben suggerieren. 
Nach der achtsündigen Fahrt legt John das Neurotransmittergerät auf den Ablagetisch und 
versucht sich zu entspannen. Nebenan in Kenia gleitet Sarah in den Schlaf einer groß-bürgerlichen 
kolonialen Familie, umrahmt von falschen Tigerfellen und Ahnenmasken aus 
Holz. Es ist kurz vor Elf, als Stimmen von Touristen unten in der Straße in Johns Ohr dringen 
und ihn aus dem dösigen Schlaf wecken. Er schließt das Gerät an den linken Arm an, um die 
Ausschüttung der Neurotransmitter zu beschleunigen. Eigentlich kann er die Ausschüttung 
durch seinen Willen kontrollieren. Doch hier auf der Erde benötigt er elektrischen Anschub 
wegen der veränderten Gravitation. Das Bewußtsein plötzlich geschärft, die Motorik dem 
gesamten sensorischen Aufnahmeapparat des Körpers unterworfen, schleicht er aus dem 
Zimmer. Im angrenzenden Hotelzimmer ist Sarah im Traum mit der Rettung einer Spezies in 
einem Safaripark beschäftigt. 
Städte bei Nacht sind eine Neuentdeckung für John. Er mischt sich unter die jungendlichen 
Touristen und landet in einem Club im Zentrum der Stadt. Die Bar ist übersät mit leeren 
Bierflaschen, während die Besucher sich merkwürdigen Balzritualen hingeben. Andere sind 
stockbetrunken. Gläser klirren zu Boden und der Bass aus den Boxen trifft die Magengegegend 
mit einem hämmernden Wummern. John zieht die Blicke einiger Schönheiten auf sich, die er 
versucht zu ignorieren. Er dreht eine Runde durch den überfüllten Saal. Nach einer Weile 
verläßt er gelangweilt den Ort und landet in einem italienischen Restaurant bevölkert von 
Kleinfamilien. Die Pasta ist käsegedehnt üppig und füllt seinen leeren Magen. Er schlingt die 
Pasta hinunter. 
Sein sensorischer Apparat gleicht noch immer einer Rasierklinge. Er bezahlt und steuert zum 
Hotel zurück. Unterwegs begegnet ihm eine Gruppe von vielleicht fünfzehnjährigen Jungs, die 
unmißverständlich ein sexuelles Abenteur suchen und ihm unverständliche Worte in Flämisch 
zuwerfen. Doch sichtlich erleichtert erreicht er den Seiteneingang des Hotels, nimmt den 
Sicherheitsschlüssel, tippt den Nachtcode in das angebrachte Tastenfeld und öffnet die Tür 
geräuschlos. Während er die Treppen hochstapft, vermisst er plötzlich die säuselnde 
Sauerstoffzufuhr und die immergleiche Ruhe des Village auf dem Mars. 
V 2033. AT SARAH IN FRANCE. 
Nichts hat die Wissenschaft gelernt. John liest die technischen Seiten im Netz, verfolgt das 
angekündigte Experiment zur Erforschung von schwarzen Löchern, Higgs und anderen 
ungeklärten Neutrinos, die schon 2010 das Cern in der Nähe von Genf in die Schlagzeilden 
brachte. Der Energiebedarf für diese Experimente ist gigantisch. Ein Atomkraftwerk liefert den 
Strom. Mehrere Kubikmeter Datenspeicher werden gefüllt. Finden wird man, wie 2010 
wahrscheinlich keine Antwort auf die ungeklärten Fragen. Doch die Experimente werden 
weitergeführt. Der dazu notwendige Apparat wird vergrößert. Die Zersplitterung der 
mikroskopischen Teilchenwelt spiegelt sich in der sozialen Struktur der Menschen wieder. 
John ist ein anderes Kind. Jenseits des Spiegels. Analytische Genauigkeit und körperliche 
Transformation sind ihm angeboren. Sein sexueller Bedarf ist jetzt im Alter von fünfzehn, dem 
eines Zwanzigjährigen ähnlich. Die Schule unterfordert ihn. Er langweilt sich. Und fühlt sich 
überlegen zugleich.
Sarah versucht ihm die erotischen Seiten des Erdenlebens schnackhaft zu machen. Körperliche 
Andeutungen zweier Gestirne, das eine gerade geboren, das andere schon ein balzender Pulsar. 
Als John einen Mitschüler, dessen Körper mit Tatoos bedeckt ist, in der Umkleidekabine nackt 
sieht, erkennt er die Bedeutung von Haut. Und deren Behauptung. Auf dem Mars gab es 
Rituale nicht. Voller Neugier wird er zum Beobachter. Er überschreitet die Grenzen, umgeht die 
Schutzschilde, die Andere aufbauen. 
Es ist früher Abend nach einem sonnigen Tag. Die Schatten stehen tief und es weht ein leichter 
Wind. Das sich abschwächende Licht hält den Verstand davon ab in die materielle Existenz 
einzutauchen. Die Gedanken hängen an der Oberfläche des Seins wie an einer schwarzen 
japanischen Lackschale. Die Fenster des Hauses sind geöffnet. Aus einem der Zimmer dringt 
ein Geräusch. Es ist Sarahs Zimmer. John schleicht sich vorsichtig in den Gang, bleibt vor 
Sarahs geöffneter Tür stehen. Er sieht ihren nackten Körper vor dem Spiegel. Sie betastet ihre 
Brüste. Ihre Hüften. Ihre Schamhaare. Die Glätte der Haut. Sie bemerkt John nicht. Ihn, den 
Späher vom Mars. Erregung breitet sich in Johns Hose aus, während Sarah sich ihrem 
Spiegelbild widmet. Geräuschlose Minuten. Ein stakkatoartiger Orgasmus entlädt sich in Johns 
Gehirn. Die Transmitterausschüttung zeichnet nasse Flecken auf seiner Hose ab, während eine 
Wolke von Sarahs Eau de Toilette seine Nase erreicht. Einen Geruch, den er nie vergessen 
wird. 
Es ist der vierzehnte Juli 2033. Die auf dem Mars verbliebene Crew kehrt zur Erde zurück. Da 
keine Frachttransporte mehr durchgeführt wurden, gingen die Nahrungsreserven zur Neige. 
Das biologische Anbauprogramm reichte nicht aus, um den Nahrungsbedarf zu decken. Der 
Gleittransporter nimmt die Crew auf der Station zwischen Erde und Mond auf. Das eigene 
Schiff hätte eine Landung auf der Erde nach dem zweiten neunmonatigen Flug nicht 
überstanden. Sie erreichen Houston. Es folgen die dreimonatige Quarantäne und das 
Aufbauprogramm für die Muskulatur. Doch es werden wie bei John Anfangsschwierigkeiten 
auftreten. 
Die Wochen vergehen qualvoll. Die Erderwärmung sichert Houston einen sehr heißen 
Sommer. Abgeschirmt unter der Erde, eingelegt in regenerativem Kunststoff in tunnelartigen 
Röhren, tötet die Crew die Zeit. Focusiert auf die unbestimmte Zukunft außerhalb der NASA 
erscheint ihnen die Rückkehr wie eine kataleptische Zeitfalle. In langsamen Bewegungen 
schleppen sich ihre Körper von den privaten Kabinen zu den Gemeinschaftsräumen. Während 
der Mahlzeiten und des Muskelaufbautrainings planen sie ihre Zukunft in einer überwachten 
und unsicheren Welt. 
HOUSTON ist eine gesichtslose texanische Stadt. Die Zahl der Obdachlosen und der 
Arbeitslosen, die mit Entertainment gefüttert werden, ist an jeder Ecke der Stadt spürbar. Die 
drei Monate, die die Crew in der Quarantäne verbringt, sind noch qualvoller, als der neun-monatige 
Flug. 
STILLS Arathia wird als Journalistin zu Al Jazeera gehen. Yoko drängt ins Marketing der 
Kosmetikindustrie. Ich werde mich wieder der Wissenschaft widmen. Mark bleibt in New 
Jersey der Biologie in einem Biolab treu. Miriam, die Unentschlossene, weiß nicht, wem sie 
ihre geologischen Fähigkeiten anbieten soll, und Richard, der astrologische Koch, arbeitet 
weiter in der Zentrale der NASA in Houston.
DREI MONATE SPÄTER. Es ist Mitte Oktober. Ich sitze in einem Café im Zentrum der 
Stadt. Die medizinischen Untersuchungen und das Aufbauprogramm sind abgeschlossen. Lese 
die elektronische Zeitung. Die News der Stadt. Entdecke einen Freund aus meinem alten Leben, 
der zu einer Eröffnung in einer der Galerien am Abend einlädt. ́Parcours No 1 ́, so der Titel. 
Am Abend werden Obdachlose in Schlafsäcken im Galerieraum liegen, und mit klassicher 
Musik gefüttert werden. Durchstöbere die Zeitung nach politischen News, die, gespickt mit 
Daten und Zahlen der Entertainmentindustrie, mit den lokalen und ökonomischen 
Verflechtungen, den neuesten Meldungen aus den Megalopolises Dubai, HongKong und 
Shanghai gefüllt ist. Die Kellnerin kommt an meinen Tisch und fragt, ob ich noch einen Kaffee 
möchte. Ich bejahe, blicke kurz auf, entdecke ein menschliches Wesen und beginne plötzlich die 
vergangenen Jahre auf dem Mars zu hassen, die aus Routinen und Verhaltenscodexen 
bestanden. Psychologische Konditionierung nennt man das wohl. Der zweite Kaffee bringt 
etwas Entspannung. Lasse die Hybridautos an der Glasscheibe entlangziehen, den Verkehr von 
Houston Downtown. Die Glasfassaden der gegenüberliegenden Gebäude zeichnen kalte 
Reflexe auf den Tisch und den Screen der elekronischen Zeitung. Ich weiß, ich muß eine 
Entscheidung treffen. Eine Entscheidung. 
VI 2033 - 42 IN A GADDA DA VIDA. 
In den neun Jahren durchlebt John eine komprimierte Form der Adoleszenz. Seine neuronalen 
Datenspeicher fassen das Zehnfache seiner Altersgenossen. Erste Liebe, bisexuelle 
Beziehungen, Drogen, ein Schulabschluß mit Bravur, Fluchten in europäische, arabische und 
asiatische Länder, die er kurze Trips nennt. Beginn des Studiums der Neurophysik und Politik. 
Erste eigene Wohnung, Wiedersehen mit Yoko, während die Weltlage sich zugespitzt hat. Die 
einflußreichen Eliten kontrollieren noch stärker die Unterhaltungsindustrie. Die Nahrungsmittel 
und Ressourcen werden zu schwindelnden Preisen auf dem globalen Markt gehandelt. Die 
nationalen Regierungen sind gelähmter als je zuvor. 
Auseinandersetzungen finden immer häufiger an den Grenzzäunen der Enklaven statt. Die 
Sicherheitsüberwachungen werden perfider. Bewegungen lassen sich auf Meter lokalisieren. 
Chips in Kleidung, Kommunikationsgeräten, in Häusern, in Transportmitteln liefern Bild, 
Feedback, manchmal sogar Ton. JOHNS FÄHIGKEITEN SIND NUR DER CREW VOM 
MARS BEKANNT. Yoko hat geschwiegen nach der Rückkehr. Wie erwartet, benötigt man 
für die neuen Raumflüge keine Wissenschaftler, sondern Moderatoren, Spezialisten der 
Unterhaltungsindustrie, um das ausgedehnte Netz der Ökonomie, wie es genannt wird, zu 
stabilisieren. 
John steht kurz vor dem Abschluß seines Studiums. Er ist auf sich alleine gestellt. Seine 
Freunde erfüllen die Anforderungen an die globale Situtation ungefragt. Sichern sich 
Positionen in den Eliten, oder gehen Beziehungen ein, deren Muster sich nicht sonderlich von 
den abendlichen sitcoms unterscheidet. 
Sarah und Sammy besuchen ihn von Zeit zu Zeit. Ich rufe ihn einmal im Jahr an. Yoko hat es 
nach Paris verschlagen. Sie arbeitet im Marketing für eine Kosmetikfirma und trifft gelegentlich 
John. Der Mutterinstinkt. Erinnerungen an den Mars. Das zwiespältige Leben. 
Ich bin in London abgetaucht. In einer Stadt, in der ich noch nie war. Bin auf Entdeckungsreise 
in der Tate und dem British Museum. Ziehe durch Bibliotheken und sitze in Cafés um Skizzen
und Notizen anzufertigen. Nach drei Monaten finde ich sogar ein kleines Studio. Die 
Erinnerungen an den Mars und die Station vermischen sich mit dem neugewonnenen Leben. 
Technische Räume beginnen auf der Leinwand zu explodieren. Strukturen von Landschaften in 
3 - D. Es stellt sich eine fließende Raum-Zeit ein, eine konzeptionelle Spiritualität. 
VII - 2042 - ICH IST EIN ANDERER 
Es ist der dreiundzwanzigste Dezember. Splitternackt steht John vor dem Badezimmerspiegel, 
betrachtet seinen Penis, der eregiert ihm zublinzelt, als sei es sein Spiegelbild. Freudsche Phase. 
Betrachtende Gedanken, die so alt sind wie die Menschheit selbst. Die Jagd ist eröffnet. Das 
meschugge Bewußtsein ausklammernd. Stellenweise stiebt ein Lichtstrahl durch das 
Dachfenster. Dann schieben sich wieder graue Winterwolken zwischen Helle und Erregung. 
Das Testosteron zieht einige Runden zwischen den Synapsenenden hin und her, während 
schließlich die weißliche spermahaltige Substanz auf dem Eichelende auftaucht. Klebriges 
Protoplasma. Die Erregung schlafft ab. John trocknet mit dem Handtuch die Feuchtigkeit. 
Glückshormone stehen in seinen Augen. Ein Aufblitzen von etwas Unkontrollierbarem. 
Synphonien sind nicht in Mode. Keine Überlagerungen. Keine Gleichzeitigkeiten. Sondern 
schnelle Transmitterschübe. Ein Nacheinander. Das Telefon klingelt. Es ist Steve. Ein 
Neurophysikstudent, dessen politische Vorstelllungskraft eher beschränkt ist, aber 
komplementäre Stränge für Kunst entwickelt hat, um seinem Gehirn den notwendigen goldenen 
Schnitt zu verpassen. Hirnbeschneidung. "Bin heute abend im Club. So gegen Zehn. Vielleicht 
können wir uns sehen?" John schmunzelt. Steve ist hartnäckig, äußerst Heterosexuell, braucht 
aber immer einen männlichen Begleiter, wenn es um seine Schritte geht, mit der weiblichen 
Welt Kontakt aufzunehmen. "Mal sehen. Stehe gerade im Bad und rolle mein Kondom ab." 
"..." "Hallo?""So genau wollte ich es nicht wissen." "Jetzt weißt Du es." "Also?" "Mal sehen, 
was das Orakel kurz vor Zehn erzählt." Klick. Das Lalaphone schaltet sich ab. Die 
Ziffernabfolge taucht noch mal kurz auf dem Display auf und wandert sogleich in den 
Memoryspeicher. John nimmt seine Boxershorts, zieht sie über den sportlichen Unterkörper, 
streift die Jeans über die Hüften, schnappt ein weißes Hemd aus dem Schrank, wandert zur 
offenen Küche, knippst die Espressomaschine an, füllt Kaffee in die Öffnung und schließt die 
oberen Knöpfe des Hemdes. 
Der Geruch eines Vierundzwanzigjährigen, dessen Geheimnis die Kontrolle seiner 
Transmitterausschüttungen ist, aber in den vierzehn Jahren auf der Erde die irdischen Rituale 
eines Teenagers und eines Twens angenommen hat. Der Kaffee läuft in dicker Brühe in die 
Tasse. Es ist acht Uhr, die Zeit durchläuft eine kurze Passage, deren Wahrnehmung äußerste 
Konzentration erfordert. Hätte Walter Benjamin sich mit Zen-Buddhismus beschäftigt, wäre 
sein Passagenwerk deutlich kürzer ausgefallen. 
Die TV-News schalten sich selbst ein und melden neue Unruhen an den wallartigen Grenzen 
der Enklaven. Ähnliche Ereignisse in China, Spanien, Indien, Texas, Mexico-City. Danach 
erscheinen die neuesten Preismeldungen für Nahrung und Unterhaltungsprodukte. John drückt 
auf Kanal 22. Eine indische Moderatorin kündigt französische Chansons live aus Delhi an. 
Alles wie gehabt. John schüttelt den Kopf, packt die Fernbedienung und sieht nach seinem 
Kontostand bei der Bank. Bröckelnde Energie. Es wird wohl noch für einige Synapsenkiller am 
Abend reichen. Das Diplom fast in der Tasche, langweilt sich John wie jeder Student an den 
unabänderlichen Tatsachen und Fakten.
Es ist zehn Uhr. Der Club ist eine Sauna. Gemischte Paare, Singles und gleichgeschlechtliche 
Paare geben ihrer Haut etwas Schweiß. Eingehüllt in weiße Bademäntel watscheln sie wie 
Pinguine zwischen den Kabinen und den Duschen. Auf den Liegen haben es sich Mittvierziger 
zum Lesen bequem gemacht. John und Steve hüpfen erst einmal in den Pool. Sie genießen das 
warme Wasser. Der Dampf steigt über die Wasseroberfläche und gibt ihren Gedanken eine 
lange Leine. 
Nach einer Weile begibt sich John in eine der Schwitzkabinen, gleitet neben weiblichen und 
männlichen Körpern auf eine freie Stelle und wartet auf die Öffnung der Körperporen. Auf 
dem Ofen glühen heiße schwarze Steine. John hält Ausschau nach einem weiblichen Pendant. 
Doch die meißten reden über ihre Kinder oder ihre Entertainmentvorlieben. Seine suchenden 
Blicke werden nicht erwidert. John hält es nicht sehr lange in dem schweißtreibenden Raum 
aus. 
Eine Frau neben ihm kippt um. Sie hatte wohl kein Zeitgefühl. Es ist der Raum, den alle 
herbeisehnen: den Raum der Körper. Aber die Freiheit des Spiels ist hier nicht zu finden. 
Steve und John treffen sich an der kleinen Bar, die in der Mitte zwischen Liegen und 
Handtüchern eingekeilt scheint. Auch hier nur bierfreudige Langeweile. Selbst der mystische 
Masseur wartet auf Kunden. Alle scheinen sich einem unausweichlichen Schicksal ergeben zu 
haben. John will beschleunigen, einige Transmitter ausschütten. Doch Steve hält ihn davon ab. 
So vergehen drei Stunden. Sie begeben sich in die Umkleidekabine und treten den Rückweg zu 
Johns Wohnung an. 
Es stapeln sich Bücher neben gewaschener Kleidung. Die wenigen Möbel verschwinden unter 
der Last von Information und Wissenschaft. "Noch ́n Kaffee?" "Hm, ja, aber eigentlich bin ich 
frustiert über soviel weibliche Nacktheit und sowenig Interesse an Leidenschaft." "Leidenschaft 
wurde getötet von den Ritualen des Konsums und der Unterhaltung." "Keine Madame Bovary 
im Kimono?" "Kein Flaubert flambiert!" "Werde wohl als Archivar in irgendeinem Museum 
die Datenübertragung programmieren!" "Nun mal langsam. Du weißt doch gar nicht, ob die 
Unruhen an den Wällen zu uns schwappen." "Ins Herz des befriedeten Konsums." gluckst 
Steve ungläubig, "Gerade im Herz des befriedeten Konsums weiß niemand was als nächstes 
geschieht. So ́ne Art stilles Zentrum des Hurrikans." 
VIII - 2050 AIKO. 
John hat einen Job in NY erhalten. "Design for interactive fluid devices and handheld options", 
so die genaue Beschreibung. Basierend auf dem Wechselverhalten psychologischer 
Stimmungen von Betrachtern werden Rückkopplungen und Profile erstellt, anhand derer, in 
Sekundenbruchteilen, Waren oder Entertainmentprodukte auf die Screens projeziert, den 
Betrachter zum Kauf animieren sollen. Via einer Tastatur oder via des Communicators kann das 
Produkt bestellt werden, das am selben Tag in die Wohnung flattert. Diese interaktive Software 
designt John für die multinationale Corporation "Editrac Inc.", die verschiedene Teilbereiche 
unterhält: Food, Entertainment und Pharmazie. 
Er findet ein Zwei-Zimmer Apartment in Brooklyn und ist entweder online oder persönlich mit 
seinem Headquarter in Manhattan verbunden. Sein Leben hat sich, verglichen zu Frankreich 
nicht sonderlich verändert. Das Leben und die Aufgaben erscheinen ihm als Routinen, die
mathematisch gelöst werden können. Die Informationen des Alltags sind mit der Warenwelt 
verbunden. Ökologische, soziale Brennpunkte lösen die nationalen Regierungen und die 
Sonderkommissionen der transnationalen Konzerne. 
IX - 2053 EMILY. 
(Aufzeichnungen aus dem elektronischen Tagebuch von John Allen, das man zwei jahre später 
fand). 
ZU-HAUSE ist ein Ort, wo es morgends nach Kaffee duftet. Wo Kindergeschrei sich mit dem 
monotonen Geratter der Schreibmaschine und dem Summen des Computers abwechelt. Wenn 
ich nicht aufgebrochen wäre, hätte ich nie klar gesehen. Die eine Hälfte meiner Seele überlastet, 
der andere ein Wüstenteil. Diese beiden Teile haben wie zwei Brüder miteinander gerungen. 
Jetzt sind sie am Anfang angelangt. 
Nachdem ich die Lebensmittel für das Wochenende ausgeladen, die braunen Tüten auf dem 
Küchentisch abgestellt, teilweise in den Schränken verstaut habe, kommt Monika, unser 
einziger Gast die Treppe herunter. Leicht verschlafen und dösig, hat sie ein "Guten Morgen" 
auf den Lippen. Emily ist irgendwo draußen, während das Telefon klingelt. Es ist Shaun, der 
mir einen Job anbietet. Nichts besonderes. Die Smith ́ haben Probleme mit ihrem Vermieter. Sie 
können die Pacht nicht mehr bezahlen. Ob ich vermitteln könne. Ich willige ein, hinterlasse eine 
Notiz für Emily auf dem Küchentisch, schwinge mich hinter das Lenkrad des Jeeps, den ich 
vom Restgeld des Stipendiums gebraucht gekauft hatte. 
BEI DEN NACHBARN. Eigentlich dachte ich immer, Emily und ich lebten karg. Das Innere 
des Smith ́schen Hauses offenbarte mir eine kleine Belehrung. Als irische Einwanderer hatten 
Robert und seine Familie wenig zu verzollen, warteten ewig auf eine Arbeitserlaubnis. 
Niemand wollte ihnen einen Job geben, bis auf Harry ́s Bar, der ihm einige Biertransporte 
vermittelte. Seine Frau, eine rothaarige, irische Klugheit, die drei Kinder, er etwas unbeholfen, 
aber gutherzig. Ein Wort, das mir lange nicht mehr einfiel - gutherzig. Er schildert kurz die 
Umstände, und ich verspreche etwas zu unternehmen. 
DIE AUFGABE - DAS GESCHÄFT. Der Grundstücksbesitzer hat die Lobby der Stadt hinter 
sich. Es wird nicht einfach sein, die Rechte mittelloser Iren gegen das Kapital der Stadt zu 
verteidigen. Ich verschaffe mir einen Überblick der Lage auf dem Grundbuchamt der Stadt. Ein 
Großteil des Landbesitzes sind Überschreibungen aus nicht getilgten Pachten. McMurphy 
betreibt zwei Casinos in der Stadt, die einen nicht unerheblichen Gewinn abwerfen. Dort muß 
ich ansetzen. Den Gegner an der Achillessehne angreifen, an der verwundbarsten Stelle. 
Unvermittelt und unverhofft. 
IM HERZEN DER FINSTERNIS. Die Türen des Spielcasinos sind mit muskulösen 
Bewachern bestückt. Als lebende Registriermaschinen checken sie die Ein- und Ausgänge. 
Komme ich rein, komme ich auch wieder raus, das wird mir schnell klar. Zu viel Gewinn sollte 
man nicht wieder mit ins Freie nehmen. Dies ist ein Teil des Geschäfts. "Verspiele Deinen 
Einsatz!" war schon immer die Devise des Profits der Einen und der Verlust der Anderen. Kein 
Verlust - kein Spiel. Geringer Gewinn - psychologische Befriedigung. Das scheinbare 
Gleichgewicht wird gehalten. Das Spiel wird bestätigt - immer und immer wieder. Die 
Wagemutigeren schicken den Donner mit seinem Zorn.
DAS KIND IM WALD. Ich hatte mich entschieden zu helfen. Auf meine Weise. Was die 
wenigsten verstanden, oder so taten, als sei ich ein Außerirdischer, der weder die Sprache, noch 
das Zahlensystem begriff. Aber da hatten sie sich getäuscht. Wäre ich nicht in diesem 
Provinznest im Alter von Fünfundvierzig gelandet, wäre mein Leben in einem Nebel 
versunken. Es wäre ein Herbstwald entstanden. Und ich wäre darin begraben. Ich entschied 
mich für einen Neustart, nahm die Einladung und das Stipendium an. Wollte die Anthologie der 
Kurzgeschichten zu Ende bringen. Vermietete die Wohnung in New York, nahm Emily bei der 
Hand und flog los. Nach zwei Jahren bereue ich diesen Entschluß nicht. Das Stipendium ist 
inzwischen abgelaufen. Das Buch wird nächstes Jahr veröffentlicht. Die Kunst des Reisens 
habe ich, die Ausflüge in die Stadt zum Supermarkt ausgenommen, eingestellt. Von Aiko hatte 
ich mich in New York getrennt. Sie wollte ihr eigenes Leben. Also hielt ich sie nicht auf. Unser 
gemeinsames Kind nahm sie mit. Stellte keine Forderungen. Also entschied ich mich. Es war 
nur eine Frage der Zeit. Das Privatleben füllt in dieser amerikanischen Wildnis den Alltag aus. 
Ungehindert von kurzlebigen Ereignissen, politischen Tagesmeldungen oder Aufständen an 
den Wällen. Jetzt bin ich dankbar, etwas herausgerissen zu werden aus dem Räderwerk der 
Buchstaben. In etwas Reales eingreifen zu können. 
DIE STADT. Die Stadt mit ihren zwei- bis dreistöckigen Gebäuden entlang der Main Street 
erscheint wie jeder andere Stadt des mittleren Süd-Westens. Ein, für europäische Verhältnisse, 
fast grenzenloser Optimismus spiegelt sich in den Augen der Bewohner als ein Vertrauen in die 
Warenzirkulation als einzig mögliche Sinnerfüllung. Ausgenommen Shaun. Ein intellektueller 
Flüchtling aus New York. Ihm hatte Manhatten so zugesetzt, daß er hier einen Lehrerjob 
annahm. Oft zieht er mich ob meiner aufkeimenden Optimismen scherzhaft auf. Dennoch 
wurde er unser dauerhaftester Freund. Er half uns, die drei Monate Durststrecke nach dem 
Kauf des Jeeps zu überstehen. Emily und ich, hatten drei Monate keinen Cent in der Tasche, 
während Shaun uns mit Büchsen, Kaffee und Zigaretten versorgte, bis der Vorschuß des 
Verlages eintraf. Er nannte uns liebevoll seine beiden "amerikanischen Schüler", später "seine 
Schützlinge". Aus Dank luden wir ihn dreimal die Woche zum Essen ein. Damit war der 
symbolische Tausch besiegelt. Niemand erwartete wirklich, daß ich mich in die Belange der 
Stadt einmische. 
ZEITSPRUNG Ich verlasse das Casino und betrete das sonnengleißende Licht des Straße, 
ohne einen Cent verspielt zu haben. Den mißtrauischen Blick des Bodybuilders im Rücken, 
ziehe ich die Linie geradewegs zum Office der "Santa Fe Review" auf der gegenüberliegenden 
Straßenseite, um eine Anzeige aufzugeben. 
"DAS CASINO IST REICH. WARUM SIND DIE SPIELER SO ARM?" der Inhalt. 
Vielleicht hätte ich mit einer Absage rechnen sollen, als der verantwortliche Redakteur für 
Kleinanzeigen mich mustert, als sei ich ein Überbleibsel der sechziger Protestbewegung. Die 
Naturschützer sind hier selten gesehen, nachdem die Bodenrechte der einzig existierenden 
Braunkohlemine im Tagebau nach jahrzehntelangen Verhandlungen an die Indianer 
zurückgegeben wurde. Eine Coop regelt jetzt die Verträge. Es gab eine einfache Übereignung. 
So mußte die Betreiberfirma keine Schuldenleistungen für das Land zahlen. Die Naturschützer 
mußten einsehen, daß die Indianer Geld verdienen mußten. Also ließen sie sie in Ruhe. 
Wenn mich der Redakteur nun ungläubig ansieht, wie ein Fremder eine solche Anzeige 
aufgeben kann, muß er mich nun entweder für verrückt oder dämlich halten. Wahrscheinlich für 
Beides. Kaum aus der Tür der Redaktion, verfolgt mich der Blick des Bodybuilders des 
elektronischenCasinos gegenüber. Ich kreuze erneut die Straße in Richtung Mary Lane Street
auf dem Weg zu einem der beiden Anwälte in der Stadt. Nach fünf Minuten stehe ich vor einem 
Schild mit der Aufschrift LAWYER, PHD. Das PHD ist etwas abgeblättert, sodaß nur noch P 
D zu lesen ist, was dem Namen eines Hip Hoppers aus einem anderen Jahrzehnt nahekommt. 
In der Anwaltskanzlei, einem etwas muffigen Raum, begegne ich einer frustrierten Gattung der 
Spezies Mensch, da seine Dienste wohl selten verlangt werden. Seine Stunde scheint 
geschlagen. Er deutet auf ein vergilbtes, wahrscheinlich vererbtes Vietnam Poster mit der 
Aufschrift "WHY?" und versucht den Grund meiner Anwesenheit meinem Gesichtsausdruck 
zu entnehmen. Da ihm dies mißlingt, komme ich auf den Punkt. Ich schildere ihm den Fall der 
Smith, die Verbindung Casino - Landbesitz, verschweige die Anzeige bei der "Review", in der 
Hoffnung mehr über die Stadt in Erfahrung zu bringen, als dem Grundbuchamt zu entnehmen 
war. "Sehen sie," beginnt er loszulegen, "dies ist eine kleine Stadt. Jeder kennt jeden, die 
meißten spekulieren auf den Gewinn des Casinos. Das Casino zahlt die meißten Steuern an die 
Stadt. Niemand würde sich mit McMurphy, dem Besitzer ernsthaft anlegen. Er will sogar ein 
Motel für durchreisende Touristen bauen, die auf dem Weg nach Osten oder Westen, abseits 
des Highways ein paar Tage hier übernachten. Das bringt zusätzliches Geld in seine Kassen 
und die der Stadt. Die Finanzierung der Baupläne liefert das Casino, sowie die Zahlungen der 
Pächter. Es gibt hier sehr wenige Jobs. Deshalb vertrauen alle McMurphy und liefern ihr 
weniges Geld im Casino ab. Selbst der Bürgermeister." An den hatte ich noch gar nicht 
gedacht. Ich verlasse das Office, um den Erscheinungstermin der "Review" am Freitag 
abzuwarten. 
ZWISCHEN DEN STÜHLEN. An den beiden folgenden Tagen überkommt mich jenes 
Gefühl, das ich zu gut aus Europa und NewYork kenne, jenes "Zwischen den Stühlen sitzen." 
Als die Zeitung tags darauf elektronisch erscheint, ruft mich Shaun an und fragt, ob ich 
verrückt sei. Dies werde den Smith sicherlich nicht helfen. Ob ich einen Aufstand plane. Ich 
wolle einfach ein paar Reaktionen und Grundstimmungen ausloten, kontere ich. Shaun bleibt 
dabei. Er hält dies für unverantwortlich und bedauert, mich in der Sache um Hilfe gebeten zu 
haben. Rufe die Smith an, ob es Neuigkeiten gäbe. "Wir möchten sie bitten, in der Sache nicht 
weiter zu intervenieren. Wir haben eine fristlose Kündigung am Hals." "Ist dies denn so 
einfach?" insistiere ich. Ob sie denn nicht wissen wollen, wofür die Pacht benötigt wird, und 
ob sie ihr Haus gegen ein Motel tauschen würden. Es hat keinen Sinn. Emily kommt vom 
Supermarkt und wurde von Judy gepiesakt, ob ich ein kommunistisches Manifest schreibe. Ich 
ziehe mich an meinen Schreibtisch zurück und murmle, ich müsse an meinen Kurzgeschichten 
feilen. Kurz darauf ruft der lawyer phd durch und bietet mir seine Dienste an. Unentgeltlich. 
Steuerfrei. Kaum sind wir uns einig, als Emily mit einem Brief in der Hand in der Tür steht: 
"Der Verlag hat deine Veröffentlichung verschoben. Sie wollen noch etwas Zugkräftiges. Ohne 
zusätzliche Bezahlung." Ich weiß nicht, ob mein Stimmungsbarometer steigt oder fällt. Ob ich 
im Begriff bin zu siegen oder zu scheitern. Ich merke plötzlich, daß ich Farbe bekennen muß. 
DAS KIND DAS KLETTERT. Zwischen die Steine, auf die es sich setzt, springt, wieder 
heruntersteigt, während das Licht nach dem Regen glasklare Umrisse an die Dachrinne 
zeichnet, abgrenzend vom Babyblau des Himmels mit seinen zerzausten Flirrwolken. Unten im 
Park stehen schwer die Bäume, deren einzige Mitteilung darin besteht, den Blättern eine 
gemeinsame Richtung zu geben, wenn der Wind sie bewegt. Keine Zeit könnte früher oder 
später sein, als dieser Moment, in dem sich mein Herz umdreht, um einen pochenden Schlag 
weiterzuwandern im Getriebe der Zeit, die stillzustehen droht, sobald ich sie fixiere. Ich höre 
die Vögel - einzelne Autos, ein Motorrad, den Bus, der anfährt, unten in der Straße. Hier am 
Schreibtisch - Totenstille.
DIE ROSE. ist der nächste Anlauf, den ich unternehme, um die Smith zu retten. Selbst wenn 
Shaun abgeraten hat. Es soll eindringlich wirken. Gebe meiner Schreibkunst etwas Farbe. Rot 
auf Blau. Grün auf Orange. Auf meinem laptop finde ich noch ein altes Programm und zaubere 
eine Rose. Ist sie das Bad des Lebens? Die grüne Wiese? Der blaue Fluß? Dies bringe ich in 
die Redaktion der "Illinois Review". Sichtlich erstaunt, fragt mich der Redakteur, ob ich erneut 
heiraten wolle. "Nein," erwidere ich, "ich suche jemanden aus der Vergangenheit." "Und das 
sind Sie - nicht wahr?" sagt er..... 
X - 2055 - NEWS. 
Johns Buch "Bis an den Rand der Ränder" wurde von Random House elektronisch 
veröffentlicht. Es wurde ein mäßiger Erfolg. Bis John plötzlich spurlos verschwand. Emily hat 
mich zwischen zwei Terminen mit einem elektronischen fax erreicht. Leicht verzweifelt teilt sie 
mir mit ich sei Großvater geworden. Mein Enkel knapp zwei Jahre alt. Emily ist mit ihm wieder 
nach New York gezogen. Begegne dem fünfundsiebzigsten Geburtstag in meinem 
Terminkalender. Eine kleine Lücke zwischen Hier und Jetzt. Nichts geht in diesem Universum 
verloren. Nichts wird hinzugefügt. Das Gesetz der Wandlung, das die Eruptionen und 
magnetischen Strudel in langen Phasen der Stille verdaut. Die Erde, ein majestätischer Planet. 
Die Menschheit am Abgrund der Selbstvernichtung wird ein Staubkorn gewesen sein. Die 
Tagesmeldungen zeigen erneut Unruhen an den Wällen der Enklaven. Mehrere Tote. 
Transnationale paramilitärische Polizeitruppen auf den Titelseiten der News als Sinnbild der 
globalen Konzerne. Gehe die Liste durch. Ein sinnloses Unterfangen. 
"2035"exposé © PETER ALLEN

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2035 © PETER ALLEN_German Version

  • 1. 2035 by PETER ALLEN 2015 startet die letzte internationale Crew vom Mond aus in Richtung Mars. Überwacht von der Entertainmentindustrie verbringen sechs Menschen achtzehn Jahre auf dem roten Planeten. John Allen wird 2018 auf dem Mars geboren. Seine neuronalen Fähigkeiten und die beschleunigte Entwicklung lassen ihn im Alter von zehn Jahren auf die Erde zurückkehren, die inzwischen von globalen Konzernen regiert wird. CHAPTERS - ERZÄHLZEIT - ERZÄHLTE ZEIT I 2015 - VOM MOND AUS GESEHEN mission starts / 2 weeks II 2018 - DIE NACHT DES HORRORS Johns birth / 2 weeks III 2025 - JOHNS GEBURTSTAG broadcast end / (John 7 years old) / 1 week IV 2028 - BIS AN DEN RAND DER RÄNDER return to earth / (John 10 years old) / 1 week V 2033 - AT SARAH IN FRANCE Sarah in France / (John 15 years old) / crew returns to earth / 2 x 2 weeks VI 2033 - 42 IN A GADDA DA VIDA school / college / university ( John 15 - 24 years old) 4 x 2 weeks VII 2042 - ICH IST EIN ANDERER university (John 24 years old) 4 x 2 weeks VIII 2050 - AIKO in NY / meets Aiko (John 32 years old) / 1 x 2 weeks IX 2053 - EMILY meets Emily in smalltown (John 35 years old) / 1 x 2 weeks X 2055 - NEWS
  • 2. CHARACTERS: John Allen - born on Mars - protagonist Peter Allen - born in Singapore - head of crew Yoko - Japan - sensitive intelligence Mark - US - biochemical brain Arathia - India - communication talent Richard - UK - astrophysical cook - the youngest Miriam - France - geological intelligence - Sarah - living at Countryside / France - Peters ex-wife Sammy - Johns half - sister - Aiko - Johns first love in NY - Emily - Johns second love in small town IN THE FUTURE. There will be travel to mars by the entertainment industry. There will be more wars on profit. Everybody will be more confused by media and technology. More people will seek for spirituality. Earth will shake itself. I will be old and meet you for the last years. Venice will be flooded. Dubai will be the new world city, beside Hong Kong, Tokyo, Singapore Delhi, Bombay & Beijing. The old megalopolises will fight for more real estate, water and sources. Money will be used for extreme flows of consciousness. Leisure time will be the only way to spend the day. National governments will take hold on social crisis, while global industries will produce all the same. There will be no escape. All books will be digitized, except new published books. People will spend holidays somewhere and will find the same. Nobody will expect something small, though churches and temples will be refilled. You can book your space travel via cell phone. Medicine will allow control of neurotransmitter. Artificial cells can be produced. There will be rich enclaves (for those inside the entertainment and leisure industries) and megalopolises of the poor (being forced to consume).
  • 3. I 2015 - VOM MOND AUS GESEHEN. 27.Tag. Sechs Tage über der Zeit. Wir lassen die letzten Testschleifen für den Weiterflug durchlaufen. Dann wird das Schiff in eine Parabelkurve zum Mars einschwenken. Um den Zielort zu erreichen und die verlorenen sechs Tage aufzuholen, sehen wir uns im ersten Monat einer beschleunigten Geschwindigkeit ausgesetzt. 28.Tag. Plötzlich arbeiten alle Schaltkreise. 29.Tag. Es ist sechs Uhr. Greenwich Zeit. Das Schiff wird von der Mondstation zu seinem Orbit geleitet, umkreist den Trabanten für acht Stunden und nutzt dann die Drehung des Mondes um die Parabelkurve zu erreichen. Nach einer Woche der Reparatur und des nicht übereinstimmenden Datenflusses, der das Schiff unnavigierbar ließ, befinden wir uns auf dem neun Monate dauernden Flug zum Mars. Den dreiwöchigen Aufenthalt auf dem Mond miteingerechnet. Ausgelöst von finanziellen und politischen Streits seit 2010 wurde die internationale Raumstation zwischen Erde und Mond nie fertig. Gleichzeitig wuchsen auf der Erde die nationalen Sicherheitsbestrebungen und die militärischen Ausgaben verdreifachten sich. Weil man ernste Budgetkürzungen nach 2010 erwartete, wurde unser bemannter Flug in Eile zusammengestellt. Möglicherweise sind wir für Jahrzehnte die letzte internationale crew innerhalb des Sonnensystems. Nachdem wir die Mondbasis erreicht hatten, gingen wegen der nicht funktionierenden Bildschirme Gerüchte von Sabotage um. Der Zusammenbruch des Kommunikationssystems veranlaßte einen längeren Aufenthalt als geplant. Eigentlich sollten keine Übertragungsverzögerungen zwischen unserem Schiff, dem Mond und der Erdstation auftreten. Wir mussten den Satelliten wechseln und einige Programme für kodierte Übertragungen neu installieren. Die empfangenen und die gesendeten Daten haben zwar noch immer Zeitverschiebungen, doch die Übertragung läuft. Leben auf dem Mars? Die Frage, ob die Menschheit die einzige Lebensform im Universum ist oder nicht, sind nur Reflexionen und Projektionen. Werden wir von unseren Sinnen und der Reichweite unserer intelligiblen Daten getäuscht, um Lebensformen auf der gleichen Wellenlänge des In- und Outputs zu erwarten? Ohne des Körpers sensorische Einrichtungen wären alle elektronischen, und magnetischen Datenflüsse hinfällig. Kann anorganische Materie mentale Zustände beeinflussen? Wie Telepathie, Übertragungen und Überschreitungen, beobachtet unter Drogenexperimenten, eingebettet in archaischen Gemeinschaften? Suchen wir, was wir eh schon wissen? Und wenn dem so ist, was erwartet uns jenseits unserer Wahrnehmungsskala ? Die Fähigkeiten der Crewmitglieder unterscheiden sich geringfügig. Die Auswahl des NASA Kommitees war nicht auf Herkunft bedacht, konzentrierte sich auf individuelle Spezialisierungen, die unsere wissenschaftliche Recherche nun wie eine kosmopolitische Extravaganz aussehen läßt. Richard, als Koch ausgebildet, studierte Astrophysik, während er sich für das NASA-Programm bewarb. Er überrascht uns mit einem kombinatorischen Gedächtnis organisch stimulierenden Humors. Arathia aus Indien ist ein wahres Kommunikationstalent. Seit zwei Stunden testet sie die Software, schickt Mitteilungen in einer Schleife, fügt Rückkopplungen ein, um Schwachstellen des Codes auszumerzen. Es könnte eine Vermischung von In- und
  • 4. Output stattgefunden haben, die unseren Bordcomputer unexakte Routinen darzustellen veranlaßte. Arathia entwickelte ein zweisprachiges Filterprogramm, das der Crew ermöglicht, in mehrere technische Systeme per Spracherkennung einzugreifen. Jede Stimme ein Sicherheitsschlüssel und Zugang zum Lebenserhaltungs-, dem Kommunikationssystem und zu den Recherchedaten. Jedes Crewmitglied ist in die 32 Schaltkreise des Schiffs eingeloggt. Billboards, die mit Überwachungskameras ausgestattet sind, können zwischen Live-Bild und Daten wechseln. Die Intelligenz des Schiffes umschließt uns als zweite Membran. Dieses winzige Schiff ohne eigene Schwerkraft wird nur Variablen zum Überleben akzeptieren. Mark, das bio-chemische Gehirn aus New Jersey ist für die körperlichen Bedürfnisse verantwortlich. Er ist der Vermittler zwischen den biologischen Transmitterzellen und dem anorganischen Nervensystem des Schiffes. Er überwacht den Datenstrom und die Experimente während des Fluges. Noch weiß niemand, wie Träume und das Unbewußte die Wahrnehmung während langer Flüge ohne Schwerkraft beeinflussen. Mark überwacht körperliche Fehlfunktionen, nervöse Attacken, psychologische Widersprüche und kümmert sich um die Abwechslung in der Nahrungsaufnahme und die medizinische Betreuung. Er ist verantwortlich für das "brain-yoga" Programm, das während der sechs stündigen Regenerationsphase die Fähigkeiten steigert, sechs Stunden "on-line" zu sein. Dieses "brain-yoga" läßt uns während der Schlafphase "off-line" gehen und ermöglicht eine synchron fließende Zeitvorstellung, anstelle von geschichteter und überlagernder sensorischer Information. Ich weiß wirklich nicht, was mich hierher brachte. Die vergangenen verwirrenden Jahre in ständiger Verwandlung. Sarah fand das Haus auf dem Land in Frankreich. Ich beabsichtigte meine Karriere als Wissenschaftler neu zu beleben. Doch das Ausbildungsprogramm bei der NASA begann kurz darauf. So verbrachte ich drei Wochen in Frankreich und den Rest der drei Jahre in den Staaten. Die wenigen Tage erinnernd, in denen die Sonne vom Kamin des Daches zurückgeworfen wurde. Der Wind in den Bäumen. Die grünen Hügel. Nun sehe ich diesen fragilen Planeten vom Weltraum aus. Diese dünne Atmosphäre, die die Erde wie einen Schutzmantel umgibt. Ich falle in den Schlaf der sechsstündigen off-line Zeit. Die recycelte Luft ist mit Molekülen von Wasser angereichert, während ein erotischer Traum mit der Vision einer Busfahrt durch eine Kleinstadt verschmilzt. Ich beginne zu laufen, werde von einer Familie mit einem Kind, das einen langen Arm hat, angehalten. Die Eltern bitten, das Kind mitzunehmen. Ich entschuldige mich und gehe den Weg zurück. Unter einer Baustelle begraben. Ein Haus, das kollabierte. Gerahmt von einer dünnen Sicherheitsabsperrung. Wache auf. Mein Bewußtsein nimmt die Umgebung wahr. Das Geräusch der Heizung. Die Sauerstoffzufuhr. Das Säuseln des Computers. Das schwache Licht simuliert einige Schatten an den faltbaren Wänden der Schlafzelle. Wegen des sich überlappenden Schlaf- und Tageskalenders sind die Nachbarzellen leer. 31.Tag. Sitze in der Bordküche. Der Raum ist mit Sauerstoff gefüllt. Versuche in dieser fliehenden Schwerkraft zu meditieren. Zwischen summenden Maschinen aus Aluminium, die Wasser und dehydrierte Nahrung erhitzen. Komprimierte Extrakte für das Überleben. Lasse die Zeit mit ewigkeitsbeladener Ausdehnung vorbeiziehen. Das Jetzt transzendierend.
  • 5. II 2018 - DIE NACHT DES HORRORS. Yoko schaltet die Überwachungskamera aus, während ich ihre Haut berühre. Wir liegen auf dem Bett in Ihrem Schlaf-Dorm. Fühlen uns wie neugeborene Kinder. Küssen uns an allen Stellen, während der Atem sich verlangsamt und die Hormone sich beschleunigen. Wir wissen, daß es die marsianische Nacht ist, in der unsere zwei Seelen ein neues Leben zeugen. Johns Leben. Zehn Minuten nach unserem Orgasmus, platzt die Alarmsirene des Village in die Stille, vermischt sich mit dem Summen der Sauerstoffzufuhr. Yoko nimmt ihre Hosen und wirft das T-Shirt mir zu. Mit beschleunigter Angst und Erschöpfung verlassen wir den Dorm und rennen zum Hauptkontroll-Unit des Village. Was wir sehen, läßt unser Blut gefrieren. Das System des Computers ist außer Kraft. Die Datenfragmente auf den Bild- schirmen ergeben keinen Sinn. Niemals hat einer von uns die Überwachungskameras, deren Daten mit dem Lebenserhaltungs-system, den Körperfunktionen und den nervösen Rezeptoren gekoppelt sind, ausgeschaltet. Arathia ist die erste, die andeutet, nicht in Panik zu geraten. Wir entscheiden uns, das System auf manuelle Kontrolle zu schalten. Plötzlich frieren alle Bildschirme ein. Während dieser Nacht des Zusammenbruchs, ändern wir die Daten. Wir entwickeln ein Programm, das Routinen schreibt, während es auf dem Weg zur Erde ist. Wir brechen die vertragliche Übereinkunft. Aber das Leben als Mäuse und als Prototypen auf dem Mars scheint keine andere Möglichkeit zuzulassen. Wir nutzen die Überwachung für unsere eigenen Forschungszwecke. Niemand auf der Erde wird Verdacht schöpfen. Arathia hat einige Unregelmäßigkeiten in die Übertragung eingebettet, eine Art selbstheilender Virus, der die Daten nicht zu perfekt aussehen läßt. Yoko, Arathia und ich beginnen die Sechsstundenroutine, testen die Wiedergabe des Systems. Miriam auf der Suche nach Kaffee betritt plötzlich das Essens Areal. Meine Augen sind etwas träge von den grünen Bildschirmen. Miriam setzt sich an einen der Tische. Unser erstes Zusammentreffen seit Wochen. "Ich weiß, wir würden keine Chance für uns haben," beginnt sie, als würde sie um meine und Yokos Affäre wissen. "Ich kann nicht sagen, ob wir überhaupt wollten." entgegne ich. "Meinst Du, wir werden auf die Erde zurückkehren?" fragt sie. Ich schüttle den Kopf, fühle diese Sehnsucht nach einer Rückkehr auf die Erde als etwas menschliches. Hatte selbst meine Frau und das ungeborene Baby in Frankreich verlassen. "Aber wird dieser Planet eine wirkliche Chance für ein Zuhause sein? Vielleicht am Ende ein klaustrophobisches Zuhause?" Wieder schüttle ich den Kopf: "Weiß nicht. Vielleicht finden wir eine tiefere menschliche Bestimmung. Vielleicht finden wir auch nichts." "Denkst Du nicht, wir testen nur, was wir eh schon wissen? Wir die selben Fragen stellen, auf die wir die Antworten bereits besitzen? Und wem sollen diese Antworten nützen? Es fehlen Kinder." Sie scheint nichts davon zu ahnen, daß Yoko und ich eine Affäre haben. Menschen unter engen räumlichen Bedingungen haben oft mehr Geheimnisse voreinander, als Menschen, die in großer Entfernung voneinander leben. Ich fühle den Bruchteil einer Eingebung, es für mich zu behalten und verlasse das Areal. Steure auf die Schlaf- und Brain-Yoga Phase zu. Folge den Sternen, die durch das Dorm Fenster funkeln.
  • 6. III 2025 - JOHNS GEBURTSTAG. Es ist Johns siebter Geburtstag. Er ist der Erste, der auf einem anderen Planeten geboren wurde. Sein bisheriges Leben ist von Kontrolle über sein neuronales System geprägt. Zuerst hatte ich keine Ahnung, ob Yoko in der Lage ist, ihn zu gebären, während der Zeit, als unbemannte Versorgungsschiffe alle zwei Jahre Material und Nahrung lieferten, um das Village zu bauen. 2025 war die Konstruktion, aber auch die Übertragung zur Erde beendet. Wir zogen schon Gemüse in einem der gebauten Container, die einen engen Kreis von fünf Units beschrieben. Wir treffen uns nach Johns Spiel- und Lernphase. Richard, der astrologische Koch, hat einen weißen Apfelkuchen gebacken. Yoko hat einige Musikkonserven, die mit dem letzten Versorgungsschiff kamen, heruntergeladen. Obwohl wir keine alkoholischen Flüssigkeiten besitzen, die wenigen Drogen auf der Station sind zur medizinischen Behandlung oder für die Testprogramme gedacht, stimuliert das brain-yoga Programm den unbewußten Teil des Gehirns. Von Zeit zu Zeit tauschen wir persönliche Tagebücher aus, die von den Sicherheitskameras und den Daten der Körperzellen aufgezeichnet werden. Wie in älteren oralen Gemeinschaften. John umgeht die ständige Überwachung. Er produziert bewußt körpereigene Neurotransmitter. Es ermöglicht ihm mit den Bedingungen zu spielen, in die er geboren ist. Mehrere Male umgeht John Marks Programm, das Johns Gehirn- und Neuronenströme aufzeichnet. Angesichts seines beschleunigten Wachstums der Körperzellen, ähnelt er einem Teenager auf der Erde, bereit für ein Abenteuer oder einen Ausflug außerhalb des Village. Seine Spielkameraden: meist technische Geräte. Die Kommunikationspartner: Wir, die Crew des Village. John ist nervös. Seine Hormone nahe der Pubertät suchen einen fehlenden Partner. Es wird nur eine Frage der Zeit sein und er wird das gesamte Village durcheinanderbringen. Das Hauptziel der Mission war und ist, eine kleine Population in dem Village anzusiedeln. Während des ersten Jahres verliebte ich mich in Miriam, aber unsere extremen psychologischen Gegensätze schlossen letztlich Sex aus. Begleitet von den ständigen Überwachungen, wurde dieser Teil menschlicher Existenz zum Neuland. Niemals auf der Erde wurde ein Mensch so lange Zeit wissenschaftlicher Kontrolle ausgesetzt. Niemand wußte, ob unsere Erforschungen des menschlichen Gehirns und der neuronalen Veränderungen unter veränderten Lebensbedingungen, nicht auch Muster der Aggression und Paranoia erzeugen würden. Transmitterausschüttungen im Unbekannten. Niemand wußte, ob wir eine Kontrolleinheit errichten. Auf der Erde kämpfen bereits die Corporations um neue Ressourcen. Ehemalige Ländergrenzen sind fast verschwunden. An die Stelle sind geschützte Communities getreten, reiche Enklaven mit massiven Sicherheitseinrichtungen. Die noch existierenden nationalen Regierungen sind dazu degradiert die aufkommenden Probleme derer zu lösen, die nicht am Luxus der Enklaven und der Unterhaltungsindustrie teilnehmen können.
  • 7. IV 2028 - BIS AN DEN RAND DER RÄNDER und dann abtauchen. In die Mitte. Durch den Spalt hindurch. Hinab oder hinauf. Den Schmerz erkundend. So hatte sich John die Rückkehr, oder besser den Auftakt vorgestellt. Wäre da nicht seine sechzehnjährige Halbschwester Sammy. Er kannte nur die Fotos von ihr, die auf dem Mars ankamen. Alle zwei Jahre. Nach der dreimonatigen Quarantäne, mußte John unter ärztlicher Aufsicht bleiben. Seine veränderte Muskulatur, sein schneller wachsendes Körpergewebe und seine Hormonausschüttungen unterscheiden sich grundlegend von jenen der Erdbewohner. Sarah empfängt ihn mit weit offenen Armen vor dem Haus. Ihn, der von einer Eskorte nach Südfrankreich geleitet wird. Er wird wie ein lebendes Paket vom Mars abgeliefert. Sammy steht auf einem Bein tänzelnd an der Gartentür, als würden ihre Gedanken Roulette spielen. John gleitet in Sarahs Arme, als wäre sie eine grenzenlose Landschaft, die es zu entdecken gilt. Die Eskorte fährt ab. Die drei stolpern den Gartenweg entlang, sich vorsichtig beäugend. In der Küche packt John seine Mitbringsel vom Mars auf den Tisch: ein Meßgerät für seine Neurotransmitter, drei kleine Marsgesteinsbrocken und eine digitale Kamera, die die Aufnahmen seines bisherigen Lebens enthält: ein elektronisches Tagebuch. Hier im Haus gibt es keine Schleußen, keine Überwachungskameras, kein Säuseln der Sauerstoffzufuhr. Stattdessen zwei weibliche Wesen. Sammy nimmt zwei der Gesteinsbrocken in die Hand, als würde sie die Entfernung ahnen, die sie zurückgelegt haben. John, der im Village jeden zum Narren hielt, scheint verlegen. "Na, wie sieht ́s aus?" versucht Sammy das Gespräch zu beginnen. "Meinst du, du kannst dieses Haus gegen den öden Mars tauschen? Hast Du schon mal Chansons gehört?" ́Eine sechzehnjährige, die Chansons hört ́, denkt John. "Ich dachte auf der Erde hört man jetzt Tripn'Blow mit wellenartigen Kaskaden?" "Das war vor zwei Jahren. Jetzt ist ́ne echte Retro angesagt." John legt seine Stirn in Falten. "Das muß ja anstrengend sein." Von Johns körperlichen Fähigkeiten wissen Sammy und Sally nichts. An seinem Gang und den Armbewegungen ahnen sie den Unterschied. Sammy hat schon öfters Jungs nackt unter der Dusche in der Schule gesehen. Mit einem sogar schon Zärtlichkeiten ausgetauscht. Doch je mehr sie John mustert, desto fremder erscheint ihr dieses neue männliche Familienmitglied. John hat ein paar Musikkonserven aus der brain-yoga Phase gerettet, die er den beiden vorspielt. Er schließt ein kleines Abspielgerät an zwei Lautsprecher an, die er im Wohnzimmer findet, und eine seltsame Mischung aus langgedehnten Passagen, die durch kratzende Geräusche eine Beschleunigung erhalten, wabern durch den Raum der Küche. Der Sound scheint die Luft tiefzufrieren und dann wieder kleinzuhacken. "Soetwas habe ich noch nie gehört" platzt Sammy in die geschwängerte Luft. "Ist ́ne eigene Produktion." erwidert John. "Wir sollten erst einmal etwas essen", unterbricht Sarah die Beiden. "Habe Apfelkuchen und Gemüsesuppe für dich vorbereitet. Bin gespannt, ob dir das schmeckt." "Apfelkuchen hatten wir im Village auch, nur keine Äpfel. War so ́ne Ersatzmischung. Gemüse hatten wir schon. Schmeckte aber alles gleich.""Dann werden ja deine Geschmacksnerven explodieren." Wenn die Beiden wüßten.
  • 8. Zwei Wochen vor Johns zehntem Geburtstag. Sammy muß sich auf eine Prüfung vorbereiten, während Sarah und John den Lancia nach Brüssel besteigen. Sarah ist Beraterin einer großen Kunstsammlung. Sie hat ein Hotel im Zentrum der Stadt reserviert, deren Zimmer die Namen von verschiedenen Ländern tragen. Sarah landet in Kenia, während in Johns Zimmer in Madagaskar, Schiffsbullaugen und eine Fototapete ein karges Schiffsjungenleben suggerieren. Nach der achtsündigen Fahrt legt John das Neurotransmittergerät auf den Ablagetisch und versucht sich zu entspannen. Nebenan in Kenia gleitet Sarah in den Schlaf einer groß-bürgerlichen kolonialen Familie, umrahmt von falschen Tigerfellen und Ahnenmasken aus Holz. Es ist kurz vor Elf, als Stimmen von Touristen unten in der Straße in Johns Ohr dringen und ihn aus dem dösigen Schlaf wecken. Er schließt das Gerät an den linken Arm an, um die Ausschüttung der Neurotransmitter zu beschleunigen. Eigentlich kann er die Ausschüttung durch seinen Willen kontrollieren. Doch hier auf der Erde benötigt er elektrischen Anschub wegen der veränderten Gravitation. Das Bewußtsein plötzlich geschärft, die Motorik dem gesamten sensorischen Aufnahmeapparat des Körpers unterworfen, schleicht er aus dem Zimmer. Im angrenzenden Hotelzimmer ist Sarah im Traum mit der Rettung einer Spezies in einem Safaripark beschäftigt. Städte bei Nacht sind eine Neuentdeckung für John. Er mischt sich unter die jungendlichen Touristen und landet in einem Club im Zentrum der Stadt. Die Bar ist übersät mit leeren Bierflaschen, während die Besucher sich merkwürdigen Balzritualen hingeben. Andere sind stockbetrunken. Gläser klirren zu Boden und der Bass aus den Boxen trifft die Magengegegend mit einem hämmernden Wummern. John zieht die Blicke einiger Schönheiten auf sich, die er versucht zu ignorieren. Er dreht eine Runde durch den überfüllten Saal. Nach einer Weile verläßt er gelangweilt den Ort und landet in einem italienischen Restaurant bevölkert von Kleinfamilien. Die Pasta ist käsegedehnt üppig und füllt seinen leeren Magen. Er schlingt die Pasta hinunter. Sein sensorischer Apparat gleicht noch immer einer Rasierklinge. Er bezahlt und steuert zum Hotel zurück. Unterwegs begegnet ihm eine Gruppe von vielleicht fünfzehnjährigen Jungs, die unmißverständlich ein sexuelles Abenteur suchen und ihm unverständliche Worte in Flämisch zuwerfen. Doch sichtlich erleichtert erreicht er den Seiteneingang des Hotels, nimmt den Sicherheitsschlüssel, tippt den Nachtcode in das angebrachte Tastenfeld und öffnet die Tür geräuschlos. Während er die Treppen hochstapft, vermisst er plötzlich die säuselnde Sauerstoffzufuhr und die immergleiche Ruhe des Village auf dem Mars. V 2033. AT SARAH IN FRANCE. Nichts hat die Wissenschaft gelernt. John liest die technischen Seiten im Netz, verfolgt das angekündigte Experiment zur Erforschung von schwarzen Löchern, Higgs und anderen ungeklärten Neutrinos, die schon 2010 das Cern in der Nähe von Genf in die Schlagzeilden brachte. Der Energiebedarf für diese Experimente ist gigantisch. Ein Atomkraftwerk liefert den Strom. Mehrere Kubikmeter Datenspeicher werden gefüllt. Finden wird man, wie 2010 wahrscheinlich keine Antwort auf die ungeklärten Fragen. Doch die Experimente werden weitergeführt. Der dazu notwendige Apparat wird vergrößert. Die Zersplitterung der mikroskopischen Teilchenwelt spiegelt sich in der sozialen Struktur der Menschen wieder. John ist ein anderes Kind. Jenseits des Spiegels. Analytische Genauigkeit und körperliche Transformation sind ihm angeboren. Sein sexueller Bedarf ist jetzt im Alter von fünfzehn, dem eines Zwanzigjährigen ähnlich. Die Schule unterfordert ihn. Er langweilt sich. Und fühlt sich überlegen zugleich.
  • 9. Sarah versucht ihm die erotischen Seiten des Erdenlebens schnackhaft zu machen. Körperliche Andeutungen zweier Gestirne, das eine gerade geboren, das andere schon ein balzender Pulsar. Als John einen Mitschüler, dessen Körper mit Tatoos bedeckt ist, in der Umkleidekabine nackt sieht, erkennt er die Bedeutung von Haut. Und deren Behauptung. Auf dem Mars gab es Rituale nicht. Voller Neugier wird er zum Beobachter. Er überschreitet die Grenzen, umgeht die Schutzschilde, die Andere aufbauen. Es ist früher Abend nach einem sonnigen Tag. Die Schatten stehen tief und es weht ein leichter Wind. Das sich abschwächende Licht hält den Verstand davon ab in die materielle Existenz einzutauchen. Die Gedanken hängen an der Oberfläche des Seins wie an einer schwarzen japanischen Lackschale. Die Fenster des Hauses sind geöffnet. Aus einem der Zimmer dringt ein Geräusch. Es ist Sarahs Zimmer. John schleicht sich vorsichtig in den Gang, bleibt vor Sarahs geöffneter Tür stehen. Er sieht ihren nackten Körper vor dem Spiegel. Sie betastet ihre Brüste. Ihre Hüften. Ihre Schamhaare. Die Glätte der Haut. Sie bemerkt John nicht. Ihn, den Späher vom Mars. Erregung breitet sich in Johns Hose aus, während Sarah sich ihrem Spiegelbild widmet. Geräuschlose Minuten. Ein stakkatoartiger Orgasmus entlädt sich in Johns Gehirn. Die Transmitterausschüttung zeichnet nasse Flecken auf seiner Hose ab, während eine Wolke von Sarahs Eau de Toilette seine Nase erreicht. Einen Geruch, den er nie vergessen wird. Es ist der vierzehnte Juli 2033. Die auf dem Mars verbliebene Crew kehrt zur Erde zurück. Da keine Frachttransporte mehr durchgeführt wurden, gingen die Nahrungsreserven zur Neige. Das biologische Anbauprogramm reichte nicht aus, um den Nahrungsbedarf zu decken. Der Gleittransporter nimmt die Crew auf der Station zwischen Erde und Mond auf. Das eigene Schiff hätte eine Landung auf der Erde nach dem zweiten neunmonatigen Flug nicht überstanden. Sie erreichen Houston. Es folgen die dreimonatige Quarantäne und das Aufbauprogramm für die Muskulatur. Doch es werden wie bei John Anfangsschwierigkeiten auftreten. Die Wochen vergehen qualvoll. Die Erderwärmung sichert Houston einen sehr heißen Sommer. Abgeschirmt unter der Erde, eingelegt in regenerativem Kunststoff in tunnelartigen Röhren, tötet die Crew die Zeit. Focusiert auf die unbestimmte Zukunft außerhalb der NASA erscheint ihnen die Rückkehr wie eine kataleptische Zeitfalle. In langsamen Bewegungen schleppen sich ihre Körper von den privaten Kabinen zu den Gemeinschaftsräumen. Während der Mahlzeiten und des Muskelaufbautrainings planen sie ihre Zukunft in einer überwachten und unsicheren Welt. HOUSTON ist eine gesichtslose texanische Stadt. Die Zahl der Obdachlosen und der Arbeitslosen, die mit Entertainment gefüttert werden, ist an jeder Ecke der Stadt spürbar. Die drei Monate, die die Crew in der Quarantäne verbringt, sind noch qualvoller, als der neun-monatige Flug. STILLS Arathia wird als Journalistin zu Al Jazeera gehen. Yoko drängt ins Marketing der Kosmetikindustrie. Ich werde mich wieder der Wissenschaft widmen. Mark bleibt in New Jersey der Biologie in einem Biolab treu. Miriam, die Unentschlossene, weiß nicht, wem sie ihre geologischen Fähigkeiten anbieten soll, und Richard, der astrologische Koch, arbeitet weiter in der Zentrale der NASA in Houston.
  • 10. DREI MONATE SPÄTER. Es ist Mitte Oktober. Ich sitze in einem Café im Zentrum der Stadt. Die medizinischen Untersuchungen und das Aufbauprogramm sind abgeschlossen. Lese die elektronische Zeitung. Die News der Stadt. Entdecke einen Freund aus meinem alten Leben, der zu einer Eröffnung in einer der Galerien am Abend einlädt. ́Parcours No 1 ́, so der Titel. Am Abend werden Obdachlose in Schlafsäcken im Galerieraum liegen, und mit klassicher Musik gefüttert werden. Durchstöbere die Zeitung nach politischen News, die, gespickt mit Daten und Zahlen der Entertainmentindustrie, mit den lokalen und ökonomischen Verflechtungen, den neuesten Meldungen aus den Megalopolises Dubai, HongKong und Shanghai gefüllt ist. Die Kellnerin kommt an meinen Tisch und fragt, ob ich noch einen Kaffee möchte. Ich bejahe, blicke kurz auf, entdecke ein menschliches Wesen und beginne plötzlich die vergangenen Jahre auf dem Mars zu hassen, die aus Routinen und Verhaltenscodexen bestanden. Psychologische Konditionierung nennt man das wohl. Der zweite Kaffee bringt etwas Entspannung. Lasse die Hybridautos an der Glasscheibe entlangziehen, den Verkehr von Houston Downtown. Die Glasfassaden der gegenüberliegenden Gebäude zeichnen kalte Reflexe auf den Tisch und den Screen der elekronischen Zeitung. Ich weiß, ich muß eine Entscheidung treffen. Eine Entscheidung. VI 2033 - 42 IN A GADDA DA VIDA. In den neun Jahren durchlebt John eine komprimierte Form der Adoleszenz. Seine neuronalen Datenspeicher fassen das Zehnfache seiner Altersgenossen. Erste Liebe, bisexuelle Beziehungen, Drogen, ein Schulabschluß mit Bravur, Fluchten in europäische, arabische und asiatische Länder, die er kurze Trips nennt. Beginn des Studiums der Neurophysik und Politik. Erste eigene Wohnung, Wiedersehen mit Yoko, während die Weltlage sich zugespitzt hat. Die einflußreichen Eliten kontrollieren noch stärker die Unterhaltungsindustrie. Die Nahrungsmittel und Ressourcen werden zu schwindelnden Preisen auf dem globalen Markt gehandelt. Die nationalen Regierungen sind gelähmter als je zuvor. Auseinandersetzungen finden immer häufiger an den Grenzzäunen der Enklaven statt. Die Sicherheitsüberwachungen werden perfider. Bewegungen lassen sich auf Meter lokalisieren. Chips in Kleidung, Kommunikationsgeräten, in Häusern, in Transportmitteln liefern Bild, Feedback, manchmal sogar Ton. JOHNS FÄHIGKEITEN SIND NUR DER CREW VOM MARS BEKANNT. Yoko hat geschwiegen nach der Rückkehr. Wie erwartet, benötigt man für die neuen Raumflüge keine Wissenschaftler, sondern Moderatoren, Spezialisten der Unterhaltungsindustrie, um das ausgedehnte Netz der Ökonomie, wie es genannt wird, zu stabilisieren. John steht kurz vor dem Abschluß seines Studiums. Er ist auf sich alleine gestellt. Seine Freunde erfüllen die Anforderungen an die globale Situtation ungefragt. Sichern sich Positionen in den Eliten, oder gehen Beziehungen ein, deren Muster sich nicht sonderlich von den abendlichen sitcoms unterscheidet. Sarah und Sammy besuchen ihn von Zeit zu Zeit. Ich rufe ihn einmal im Jahr an. Yoko hat es nach Paris verschlagen. Sie arbeitet im Marketing für eine Kosmetikfirma und trifft gelegentlich John. Der Mutterinstinkt. Erinnerungen an den Mars. Das zwiespältige Leben. Ich bin in London abgetaucht. In einer Stadt, in der ich noch nie war. Bin auf Entdeckungsreise in der Tate und dem British Museum. Ziehe durch Bibliotheken und sitze in Cafés um Skizzen
  • 11. und Notizen anzufertigen. Nach drei Monaten finde ich sogar ein kleines Studio. Die Erinnerungen an den Mars und die Station vermischen sich mit dem neugewonnenen Leben. Technische Räume beginnen auf der Leinwand zu explodieren. Strukturen von Landschaften in 3 - D. Es stellt sich eine fließende Raum-Zeit ein, eine konzeptionelle Spiritualität. VII - 2042 - ICH IST EIN ANDERER Es ist der dreiundzwanzigste Dezember. Splitternackt steht John vor dem Badezimmerspiegel, betrachtet seinen Penis, der eregiert ihm zublinzelt, als sei es sein Spiegelbild. Freudsche Phase. Betrachtende Gedanken, die so alt sind wie die Menschheit selbst. Die Jagd ist eröffnet. Das meschugge Bewußtsein ausklammernd. Stellenweise stiebt ein Lichtstrahl durch das Dachfenster. Dann schieben sich wieder graue Winterwolken zwischen Helle und Erregung. Das Testosteron zieht einige Runden zwischen den Synapsenenden hin und her, während schließlich die weißliche spermahaltige Substanz auf dem Eichelende auftaucht. Klebriges Protoplasma. Die Erregung schlafft ab. John trocknet mit dem Handtuch die Feuchtigkeit. Glückshormone stehen in seinen Augen. Ein Aufblitzen von etwas Unkontrollierbarem. Synphonien sind nicht in Mode. Keine Überlagerungen. Keine Gleichzeitigkeiten. Sondern schnelle Transmitterschübe. Ein Nacheinander. Das Telefon klingelt. Es ist Steve. Ein Neurophysikstudent, dessen politische Vorstelllungskraft eher beschränkt ist, aber komplementäre Stränge für Kunst entwickelt hat, um seinem Gehirn den notwendigen goldenen Schnitt zu verpassen. Hirnbeschneidung. "Bin heute abend im Club. So gegen Zehn. Vielleicht können wir uns sehen?" John schmunzelt. Steve ist hartnäckig, äußerst Heterosexuell, braucht aber immer einen männlichen Begleiter, wenn es um seine Schritte geht, mit der weiblichen Welt Kontakt aufzunehmen. "Mal sehen. Stehe gerade im Bad und rolle mein Kondom ab." "..." "Hallo?""So genau wollte ich es nicht wissen." "Jetzt weißt Du es." "Also?" "Mal sehen, was das Orakel kurz vor Zehn erzählt." Klick. Das Lalaphone schaltet sich ab. Die Ziffernabfolge taucht noch mal kurz auf dem Display auf und wandert sogleich in den Memoryspeicher. John nimmt seine Boxershorts, zieht sie über den sportlichen Unterkörper, streift die Jeans über die Hüften, schnappt ein weißes Hemd aus dem Schrank, wandert zur offenen Küche, knippst die Espressomaschine an, füllt Kaffee in die Öffnung und schließt die oberen Knöpfe des Hemdes. Der Geruch eines Vierundzwanzigjährigen, dessen Geheimnis die Kontrolle seiner Transmitterausschüttungen ist, aber in den vierzehn Jahren auf der Erde die irdischen Rituale eines Teenagers und eines Twens angenommen hat. Der Kaffee läuft in dicker Brühe in die Tasse. Es ist acht Uhr, die Zeit durchläuft eine kurze Passage, deren Wahrnehmung äußerste Konzentration erfordert. Hätte Walter Benjamin sich mit Zen-Buddhismus beschäftigt, wäre sein Passagenwerk deutlich kürzer ausgefallen. Die TV-News schalten sich selbst ein und melden neue Unruhen an den wallartigen Grenzen der Enklaven. Ähnliche Ereignisse in China, Spanien, Indien, Texas, Mexico-City. Danach erscheinen die neuesten Preismeldungen für Nahrung und Unterhaltungsprodukte. John drückt auf Kanal 22. Eine indische Moderatorin kündigt französische Chansons live aus Delhi an. Alles wie gehabt. John schüttelt den Kopf, packt die Fernbedienung und sieht nach seinem Kontostand bei der Bank. Bröckelnde Energie. Es wird wohl noch für einige Synapsenkiller am Abend reichen. Das Diplom fast in der Tasche, langweilt sich John wie jeder Student an den unabänderlichen Tatsachen und Fakten.
  • 12. Es ist zehn Uhr. Der Club ist eine Sauna. Gemischte Paare, Singles und gleichgeschlechtliche Paare geben ihrer Haut etwas Schweiß. Eingehüllt in weiße Bademäntel watscheln sie wie Pinguine zwischen den Kabinen und den Duschen. Auf den Liegen haben es sich Mittvierziger zum Lesen bequem gemacht. John und Steve hüpfen erst einmal in den Pool. Sie genießen das warme Wasser. Der Dampf steigt über die Wasseroberfläche und gibt ihren Gedanken eine lange Leine. Nach einer Weile begibt sich John in eine der Schwitzkabinen, gleitet neben weiblichen und männlichen Körpern auf eine freie Stelle und wartet auf die Öffnung der Körperporen. Auf dem Ofen glühen heiße schwarze Steine. John hält Ausschau nach einem weiblichen Pendant. Doch die meißten reden über ihre Kinder oder ihre Entertainmentvorlieben. Seine suchenden Blicke werden nicht erwidert. John hält es nicht sehr lange in dem schweißtreibenden Raum aus. Eine Frau neben ihm kippt um. Sie hatte wohl kein Zeitgefühl. Es ist der Raum, den alle herbeisehnen: den Raum der Körper. Aber die Freiheit des Spiels ist hier nicht zu finden. Steve und John treffen sich an der kleinen Bar, die in der Mitte zwischen Liegen und Handtüchern eingekeilt scheint. Auch hier nur bierfreudige Langeweile. Selbst der mystische Masseur wartet auf Kunden. Alle scheinen sich einem unausweichlichen Schicksal ergeben zu haben. John will beschleunigen, einige Transmitter ausschütten. Doch Steve hält ihn davon ab. So vergehen drei Stunden. Sie begeben sich in die Umkleidekabine und treten den Rückweg zu Johns Wohnung an. Es stapeln sich Bücher neben gewaschener Kleidung. Die wenigen Möbel verschwinden unter der Last von Information und Wissenschaft. "Noch ́n Kaffee?" "Hm, ja, aber eigentlich bin ich frustiert über soviel weibliche Nacktheit und sowenig Interesse an Leidenschaft." "Leidenschaft wurde getötet von den Ritualen des Konsums und der Unterhaltung." "Keine Madame Bovary im Kimono?" "Kein Flaubert flambiert!" "Werde wohl als Archivar in irgendeinem Museum die Datenübertragung programmieren!" "Nun mal langsam. Du weißt doch gar nicht, ob die Unruhen an den Wällen zu uns schwappen." "Ins Herz des befriedeten Konsums." gluckst Steve ungläubig, "Gerade im Herz des befriedeten Konsums weiß niemand was als nächstes geschieht. So ́ne Art stilles Zentrum des Hurrikans." VIII - 2050 AIKO. John hat einen Job in NY erhalten. "Design for interactive fluid devices and handheld options", so die genaue Beschreibung. Basierend auf dem Wechselverhalten psychologischer Stimmungen von Betrachtern werden Rückkopplungen und Profile erstellt, anhand derer, in Sekundenbruchteilen, Waren oder Entertainmentprodukte auf die Screens projeziert, den Betrachter zum Kauf animieren sollen. Via einer Tastatur oder via des Communicators kann das Produkt bestellt werden, das am selben Tag in die Wohnung flattert. Diese interaktive Software designt John für die multinationale Corporation "Editrac Inc.", die verschiedene Teilbereiche unterhält: Food, Entertainment und Pharmazie. Er findet ein Zwei-Zimmer Apartment in Brooklyn und ist entweder online oder persönlich mit seinem Headquarter in Manhattan verbunden. Sein Leben hat sich, verglichen zu Frankreich nicht sonderlich verändert. Das Leben und die Aufgaben erscheinen ihm als Routinen, die
  • 13. mathematisch gelöst werden können. Die Informationen des Alltags sind mit der Warenwelt verbunden. Ökologische, soziale Brennpunkte lösen die nationalen Regierungen und die Sonderkommissionen der transnationalen Konzerne. IX - 2053 EMILY. (Aufzeichnungen aus dem elektronischen Tagebuch von John Allen, das man zwei jahre später fand). ZU-HAUSE ist ein Ort, wo es morgends nach Kaffee duftet. Wo Kindergeschrei sich mit dem monotonen Geratter der Schreibmaschine und dem Summen des Computers abwechelt. Wenn ich nicht aufgebrochen wäre, hätte ich nie klar gesehen. Die eine Hälfte meiner Seele überlastet, der andere ein Wüstenteil. Diese beiden Teile haben wie zwei Brüder miteinander gerungen. Jetzt sind sie am Anfang angelangt. Nachdem ich die Lebensmittel für das Wochenende ausgeladen, die braunen Tüten auf dem Küchentisch abgestellt, teilweise in den Schränken verstaut habe, kommt Monika, unser einziger Gast die Treppe herunter. Leicht verschlafen und dösig, hat sie ein "Guten Morgen" auf den Lippen. Emily ist irgendwo draußen, während das Telefon klingelt. Es ist Shaun, der mir einen Job anbietet. Nichts besonderes. Die Smith ́ haben Probleme mit ihrem Vermieter. Sie können die Pacht nicht mehr bezahlen. Ob ich vermitteln könne. Ich willige ein, hinterlasse eine Notiz für Emily auf dem Küchentisch, schwinge mich hinter das Lenkrad des Jeeps, den ich vom Restgeld des Stipendiums gebraucht gekauft hatte. BEI DEN NACHBARN. Eigentlich dachte ich immer, Emily und ich lebten karg. Das Innere des Smith ́schen Hauses offenbarte mir eine kleine Belehrung. Als irische Einwanderer hatten Robert und seine Familie wenig zu verzollen, warteten ewig auf eine Arbeitserlaubnis. Niemand wollte ihnen einen Job geben, bis auf Harry ́s Bar, der ihm einige Biertransporte vermittelte. Seine Frau, eine rothaarige, irische Klugheit, die drei Kinder, er etwas unbeholfen, aber gutherzig. Ein Wort, das mir lange nicht mehr einfiel - gutherzig. Er schildert kurz die Umstände, und ich verspreche etwas zu unternehmen. DIE AUFGABE - DAS GESCHÄFT. Der Grundstücksbesitzer hat die Lobby der Stadt hinter sich. Es wird nicht einfach sein, die Rechte mittelloser Iren gegen das Kapital der Stadt zu verteidigen. Ich verschaffe mir einen Überblick der Lage auf dem Grundbuchamt der Stadt. Ein Großteil des Landbesitzes sind Überschreibungen aus nicht getilgten Pachten. McMurphy betreibt zwei Casinos in der Stadt, die einen nicht unerheblichen Gewinn abwerfen. Dort muß ich ansetzen. Den Gegner an der Achillessehne angreifen, an der verwundbarsten Stelle. Unvermittelt und unverhofft. IM HERZEN DER FINSTERNIS. Die Türen des Spielcasinos sind mit muskulösen Bewachern bestückt. Als lebende Registriermaschinen checken sie die Ein- und Ausgänge. Komme ich rein, komme ich auch wieder raus, das wird mir schnell klar. Zu viel Gewinn sollte man nicht wieder mit ins Freie nehmen. Dies ist ein Teil des Geschäfts. "Verspiele Deinen Einsatz!" war schon immer die Devise des Profits der Einen und der Verlust der Anderen. Kein Verlust - kein Spiel. Geringer Gewinn - psychologische Befriedigung. Das scheinbare Gleichgewicht wird gehalten. Das Spiel wird bestätigt - immer und immer wieder. Die Wagemutigeren schicken den Donner mit seinem Zorn.
  • 14. DAS KIND IM WALD. Ich hatte mich entschieden zu helfen. Auf meine Weise. Was die wenigsten verstanden, oder so taten, als sei ich ein Außerirdischer, der weder die Sprache, noch das Zahlensystem begriff. Aber da hatten sie sich getäuscht. Wäre ich nicht in diesem Provinznest im Alter von Fünfundvierzig gelandet, wäre mein Leben in einem Nebel versunken. Es wäre ein Herbstwald entstanden. Und ich wäre darin begraben. Ich entschied mich für einen Neustart, nahm die Einladung und das Stipendium an. Wollte die Anthologie der Kurzgeschichten zu Ende bringen. Vermietete die Wohnung in New York, nahm Emily bei der Hand und flog los. Nach zwei Jahren bereue ich diesen Entschluß nicht. Das Stipendium ist inzwischen abgelaufen. Das Buch wird nächstes Jahr veröffentlicht. Die Kunst des Reisens habe ich, die Ausflüge in die Stadt zum Supermarkt ausgenommen, eingestellt. Von Aiko hatte ich mich in New York getrennt. Sie wollte ihr eigenes Leben. Also hielt ich sie nicht auf. Unser gemeinsames Kind nahm sie mit. Stellte keine Forderungen. Also entschied ich mich. Es war nur eine Frage der Zeit. Das Privatleben füllt in dieser amerikanischen Wildnis den Alltag aus. Ungehindert von kurzlebigen Ereignissen, politischen Tagesmeldungen oder Aufständen an den Wällen. Jetzt bin ich dankbar, etwas herausgerissen zu werden aus dem Räderwerk der Buchstaben. In etwas Reales eingreifen zu können. DIE STADT. Die Stadt mit ihren zwei- bis dreistöckigen Gebäuden entlang der Main Street erscheint wie jeder andere Stadt des mittleren Süd-Westens. Ein, für europäische Verhältnisse, fast grenzenloser Optimismus spiegelt sich in den Augen der Bewohner als ein Vertrauen in die Warenzirkulation als einzig mögliche Sinnerfüllung. Ausgenommen Shaun. Ein intellektueller Flüchtling aus New York. Ihm hatte Manhatten so zugesetzt, daß er hier einen Lehrerjob annahm. Oft zieht er mich ob meiner aufkeimenden Optimismen scherzhaft auf. Dennoch wurde er unser dauerhaftester Freund. Er half uns, die drei Monate Durststrecke nach dem Kauf des Jeeps zu überstehen. Emily und ich, hatten drei Monate keinen Cent in der Tasche, während Shaun uns mit Büchsen, Kaffee und Zigaretten versorgte, bis der Vorschuß des Verlages eintraf. Er nannte uns liebevoll seine beiden "amerikanischen Schüler", später "seine Schützlinge". Aus Dank luden wir ihn dreimal die Woche zum Essen ein. Damit war der symbolische Tausch besiegelt. Niemand erwartete wirklich, daß ich mich in die Belange der Stadt einmische. ZEITSPRUNG Ich verlasse das Casino und betrete das sonnengleißende Licht des Straße, ohne einen Cent verspielt zu haben. Den mißtrauischen Blick des Bodybuilders im Rücken, ziehe ich die Linie geradewegs zum Office der "Santa Fe Review" auf der gegenüberliegenden Straßenseite, um eine Anzeige aufzugeben. "DAS CASINO IST REICH. WARUM SIND DIE SPIELER SO ARM?" der Inhalt. Vielleicht hätte ich mit einer Absage rechnen sollen, als der verantwortliche Redakteur für Kleinanzeigen mich mustert, als sei ich ein Überbleibsel der sechziger Protestbewegung. Die Naturschützer sind hier selten gesehen, nachdem die Bodenrechte der einzig existierenden Braunkohlemine im Tagebau nach jahrzehntelangen Verhandlungen an die Indianer zurückgegeben wurde. Eine Coop regelt jetzt die Verträge. Es gab eine einfache Übereignung. So mußte die Betreiberfirma keine Schuldenleistungen für das Land zahlen. Die Naturschützer mußten einsehen, daß die Indianer Geld verdienen mußten. Also ließen sie sie in Ruhe. Wenn mich der Redakteur nun ungläubig ansieht, wie ein Fremder eine solche Anzeige aufgeben kann, muß er mich nun entweder für verrückt oder dämlich halten. Wahrscheinlich für Beides. Kaum aus der Tür der Redaktion, verfolgt mich der Blick des Bodybuilders des elektronischenCasinos gegenüber. Ich kreuze erneut die Straße in Richtung Mary Lane Street
  • 15. auf dem Weg zu einem der beiden Anwälte in der Stadt. Nach fünf Minuten stehe ich vor einem Schild mit der Aufschrift LAWYER, PHD. Das PHD ist etwas abgeblättert, sodaß nur noch P D zu lesen ist, was dem Namen eines Hip Hoppers aus einem anderen Jahrzehnt nahekommt. In der Anwaltskanzlei, einem etwas muffigen Raum, begegne ich einer frustrierten Gattung der Spezies Mensch, da seine Dienste wohl selten verlangt werden. Seine Stunde scheint geschlagen. Er deutet auf ein vergilbtes, wahrscheinlich vererbtes Vietnam Poster mit der Aufschrift "WHY?" und versucht den Grund meiner Anwesenheit meinem Gesichtsausdruck zu entnehmen. Da ihm dies mißlingt, komme ich auf den Punkt. Ich schildere ihm den Fall der Smith, die Verbindung Casino - Landbesitz, verschweige die Anzeige bei der "Review", in der Hoffnung mehr über die Stadt in Erfahrung zu bringen, als dem Grundbuchamt zu entnehmen war. "Sehen sie," beginnt er loszulegen, "dies ist eine kleine Stadt. Jeder kennt jeden, die meißten spekulieren auf den Gewinn des Casinos. Das Casino zahlt die meißten Steuern an die Stadt. Niemand würde sich mit McMurphy, dem Besitzer ernsthaft anlegen. Er will sogar ein Motel für durchreisende Touristen bauen, die auf dem Weg nach Osten oder Westen, abseits des Highways ein paar Tage hier übernachten. Das bringt zusätzliches Geld in seine Kassen und die der Stadt. Die Finanzierung der Baupläne liefert das Casino, sowie die Zahlungen der Pächter. Es gibt hier sehr wenige Jobs. Deshalb vertrauen alle McMurphy und liefern ihr weniges Geld im Casino ab. Selbst der Bürgermeister." An den hatte ich noch gar nicht gedacht. Ich verlasse das Office, um den Erscheinungstermin der "Review" am Freitag abzuwarten. ZWISCHEN DEN STÜHLEN. An den beiden folgenden Tagen überkommt mich jenes Gefühl, das ich zu gut aus Europa und NewYork kenne, jenes "Zwischen den Stühlen sitzen." Als die Zeitung tags darauf elektronisch erscheint, ruft mich Shaun an und fragt, ob ich verrückt sei. Dies werde den Smith sicherlich nicht helfen. Ob ich einen Aufstand plane. Ich wolle einfach ein paar Reaktionen und Grundstimmungen ausloten, kontere ich. Shaun bleibt dabei. Er hält dies für unverantwortlich und bedauert, mich in der Sache um Hilfe gebeten zu haben. Rufe die Smith an, ob es Neuigkeiten gäbe. "Wir möchten sie bitten, in der Sache nicht weiter zu intervenieren. Wir haben eine fristlose Kündigung am Hals." "Ist dies denn so einfach?" insistiere ich. Ob sie denn nicht wissen wollen, wofür die Pacht benötigt wird, und ob sie ihr Haus gegen ein Motel tauschen würden. Es hat keinen Sinn. Emily kommt vom Supermarkt und wurde von Judy gepiesakt, ob ich ein kommunistisches Manifest schreibe. Ich ziehe mich an meinen Schreibtisch zurück und murmle, ich müsse an meinen Kurzgeschichten feilen. Kurz darauf ruft der lawyer phd durch und bietet mir seine Dienste an. Unentgeltlich. Steuerfrei. Kaum sind wir uns einig, als Emily mit einem Brief in der Hand in der Tür steht: "Der Verlag hat deine Veröffentlichung verschoben. Sie wollen noch etwas Zugkräftiges. Ohne zusätzliche Bezahlung." Ich weiß nicht, ob mein Stimmungsbarometer steigt oder fällt. Ob ich im Begriff bin zu siegen oder zu scheitern. Ich merke plötzlich, daß ich Farbe bekennen muß. DAS KIND DAS KLETTERT. Zwischen die Steine, auf die es sich setzt, springt, wieder heruntersteigt, während das Licht nach dem Regen glasklare Umrisse an die Dachrinne zeichnet, abgrenzend vom Babyblau des Himmels mit seinen zerzausten Flirrwolken. Unten im Park stehen schwer die Bäume, deren einzige Mitteilung darin besteht, den Blättern eine gemeinsame Richtung zu geben, wenn der Wind sie bewegt. Keine Zeit könnte früher oder später sein, als dieser Moment, in dem sich mein Herz umdreht, um einen pochenden Schlag weiterzuwandern im Getriebe der Zeit, die stillzustehen droht, sobald ich sie fixiere. Ich höre die Vögel - einzelne Autos, ein Motorrad, den Bus, der anfährt, unten in der Straße. Hier am Schreibtisch - Totenstille.
  • 16. DIE ROSE. ist der nächste Anlauf, den ich unternehme, um die Smith zu retten. Selbst wenn Shaun abgeraten hat. Es soll eindringlich wirken. Gebe meiner Schreibkunst etwas Farbe. Rot auf Blau. Grün auf Orange. Auf meinem laptop finde ich noch ein altes Programm und zaubere eine Rose. Ist sie das Bad des Lebens? Die grüne Wiese? Der blaue Fluß? Dies bringe ich in die Redaktion der "Illinois Review". Sichtlich erstaunt, fragt mich der Redakteur, ob ich erneut heiraten wolle. "Nein," erwidere ich, "ich suche jemanden aus der Vergangenheit." "Und das sind Sie - nicht wahr?" sagt er..... X - 2055 - NEWS. Johns Buch "Bis an den Rand der Ränder" wurde von Random House elektronisch veröffentlicht. Es wurde ein mäßiger Erfolg. Bis John plötzlich spurlos verschwand. Emily hat mich zwischen zwei Terminen mit einem elektronischen fax erreicht. Leicht verzweifelt teilt sie mir mit ich sei Großvater geworden. Mein Enkel knapp zwei Jahre alt. Emily ist mit ihm wieder nach New York gezogen. Begegne dem fünfundsiebzigsten Geburtstag in meinem Terminkalender. Eine kleine Lücke zwischen Hier und Jetzt. Nichts geht in diesem Universum verloren. Nichts wird hinzugefügt. Das Gesetz der Wandlung, das die Eruptionen und magnetischen Strudel in langen Phasen der Stille verdaut. Die Erde, ein majestätischer Planet. Die Menschheit am Abgrund der Selbstvernichtung wird ein Staubkorn gewesen sein. Die Tagesmeldungen zeigen erneut Unruhen an den Wällen der Enklaven. Mehrere Tote. Transnationale paramilitärische Polizeitruppen auf den Titelseiten der News als Sinnbild der globalen Konzerne. Gehe die Liste durch. Ein sinnloses Unterfangen. "2035"exposé © PETER ALLEN