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Türkischer Honig auf Schwarzbrot
Birgit Schmalmack


Türkischer Honig
auf Schwarzbrot


Bikulturelle Liebesgeschichten




        Brandes & Apsel
1. Auflage 2007
      © Brandes & Apsel Verlag GmbH, Frankfurt a. M.
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der
Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung,
Mikroverfilmung, Einspeicherung und Verarbeitung in
elektronischen oder optischen Systemen, der öffentlichen
Wiedergabe durch Hörfunk-, Fernsehsendungen und
Multimedia sowie der Bereithaltung in einer Online-Datenbank
oder im Internet zur Nutzung durch Dritte.




                 Lektorat: Josefine Schubert,
      Brandes & Apsel Verlag GmbH, Frankfurt a. M.
          DTP und Umschlagsidee und -gestaltung:
              Antje Tauchmann, Frankfurt a. M.
     Druck: Impress, d.d. Ljubljana, Printed in Slovenia
         Bibliografische Information Der Deutschen
    Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek
       verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
          Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
                  ISBN 978-3-86099-725-3
Können Ehen zwischen Türken und Deutschen gut
gehen? Was machen diese Paare anders? Wie
gestalten sie ihren Beziehungsalltag? Welche Rolle
spielt »die« andere Kultur des Partners? Wie
wachsen Kinder in deutsch-türkischen Familien
auf?
Diese und noch viele andere Fragen stellte die
Autorin      deutsch-türkischen      Paaren.  Ihre
Liebesgeschichten sind etwas Besonderes. Sie
erzählen     vom     Alltag,    aber    auch   den
Besonderheiten bikultureller Beziehungen und
davon, wie die Partner aus verschiedenen Kulturen
ihre Konflikte meistern. Es sind persönliche
Lebensgeschichten, die den Blick für den einzelnen
Menschen in der multikulturellen Gesellschaft
schärfen.

Die Autorin:
Birgit Schmalmack, geboren 1963, Ausbildung zur
Verlagskauffrau, Studium der Fächer Deutsch,
Mathematik und Pädagogik. Sie arbeitet als
Lehrerin und freie Journalistin und wohnt in
Hamburg. Sie lebt selbst seit zwölf Jahren in einer
Partnerschaft mit einem türkischstämmigen
Deutschen.
Vorwort



Der Situation des Verliebens wohnt ein besonderer Zauber
inne: Die plötzlichen Gefühls- und Hormonüberschüsse sorgen
dafür, dass das Gegenüber als eine ganz einzigartige,
unvergleichliche Persönlichkeit wahrgenommen wird. In
diesem Moment spielen Schubladen keine Rolle mehr.
Klischeevorstellungen werden unwichtig. Nur das Einzelwesen
zählt. Diese Phase des Verliebens weitet den Blick, macht
unempfänglich          für       normative,       gesellschaftliche
Grenzziehungen und ist damit der Anfang eines wahren
Verstehens des anderen.
  Vielleicht könnte sich die Gesellschaft bei ihrer Diskussion
um die Integrationsfähigkeit bestimmter Migrantengruppen
von dieser Haltung ein wenig bedienen. Erst wenn der Mensch
nicht mehr nur als Vertreter einer nationalen Gruppe sondern
auch als Einzelperson gesehen werden kann, können
vorschnelle Pauschalierungen vermieden werden.
  Ich durfte zu Gast sein in den Küchen und Wohnzimmern
von 42 deutschtürkischen Paaren. Sie haben mir freimütig von
den schwierigen und schönen Seiten ihrer Beziehung erzählt.
Vertreten sind alle Altersstufen und Bildungsgrade. Unter
ihnen befinden sich sowohl der Hafenarbeiter, der Psychiater,
die Künstlerin als auch die Fließbandarbeiterin. Ihre ganz
persönlichen Lebensgeschichten sollen dazu anregen, wieder
den Blick für den einzelnen Menschen zu entwickeln und
somit auch gesamtgesellschaftliche Probleme sensibler
betrachten und besser verstehen zu können.
  Ich selbst lebe seit elf Jahren in einer Partnerschaft mit einem
in Deutschland geborenen Türken, der mittlerweile rein
statistisch gesehen nicht mehr zu ihnen zählt: Seit 2001 ist er
deutscher Staatsbürger. Vielleicht steuerte mich also auch die
persönliche Neugier, als ich immer größere Lust bekam,
Geschichten von deutsch-türkischen Paaren in Deutschland zu
erzählen. Doch eventuell war es auch einfach der zunehmende
Unmut darüber, dass im Moment nur von solchen zu lesen ist,
die im Drama enden. Doch wenn von Fehlentwicklungen zu
berichten ist, dann gehören zu einer ausgewogenen
Berichterstattung auch Geschichten von Paaren, die ihre
eventuellen Schwierigkeiten überwunden haben. Wo
abschreckende Beispiele zur Geltung kommen, sollten die
Vorbilder auch Gelegenheit dazu haben.


Zahlenmaterial zu binationalen Ehen

Laut Statistischem Bundesamt hatte bei 16,5 Prozent der
396.000 Paare, die sich 2004 das Jawort gaben, einer der
Ehepartner nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Das war jede
sechste Ehe. Jedes vierte Kind hatte mindestens einen
ausländischen Elternteil. Diese Zahlen werden in Zukunft
sicher noch steigen. In Großstädten liegen sie schon jetzt
wesentlich höher. So war in Berlin laut Pressemitteilung des
Berliner Senats vom 13.4.2005 jede vierte Ehe interethnisch
und     hatten    40     Prozent     aller   Kinder     einen
Migrationshintergrund. Die Art der Beziehungen, die
Menschen in Deutschland eingehen, wird sich also in Zukunft
immer weiter ausdifferenzieren.
  Dieser Trend war in den vergangenen Jahrzehnten auch bei
der Bandbreite der Lebensformen zu beobachten. Immer mehr
Paare verzichten auf den Trauschein und leben in
nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammen. Auch die
Frage, ob sie zusammen Kinder bekommen wollen, stellen sie
zur Diskussion. Und die Geburt eines Kindes hat nicht
zwingend eine Heirat zur Folge. Eine Ehe oder Partnerschaft
dauert nur noch solange, wie die Partner es wünschen. Eine
lebenslange Lebensgemeinschaft ist zu einer bewussten
Entscheidung füreinander geworden. Die Scheidungszahlen in
Deutschland sprechen eine deutliche Sprache: Fast jede zweite
Ehe wird geschieden (2003: 43 Prozent).
  In diesen Trend zur größeren Variationsbreite fügt sich die
Wahl eines Partners aus einem anderen Kulturkreis ein. Die
Lieblingspartner der Frauen sind dabei Männer aus der Türkei.
Das Statistische Bundesamt teilte 2005 mit, dass 4.900 von
ihnen einen Türken als Ehepartner wählten. Die Männer
bevorzugten eher eine Partnerin aus Osteuropa. Eine Türkin
nahmen nur knapp 1 800 der Männer zur Ehefrau. Das
Statistische Bundesamt geht in seinem Mikrozensus von 2006
für das Jahr 2005 von circa 146.830 deutsch-türkischen
Ehepaaren aus. Im Vorjahr gab es deren Zahl noch mit 129.000
Paaren an.
  Bei diesen Statistiken ist zu berücksichtigen, dass die Zahlen
nur diejenigen erfassen, die noch über ihren ausländischen
Pass verfügen. Eingebürgerte Ausländer fallen hier nicht mehr
ins Gewicht. Da es aber alleine im Jahre 2005 140.731
Einbürgerungen gegeben hat, sagen die Zahlen alleine wenig
aus. Denn die größte Gruppe unter den Eingebürgerten waren
mit 39 Prozent Personen türkischer Herkunft. Mittlerweile
besitzt jeder dritte Türkischstämmige einen deutschen Pass und
ihre Zahl hat sich bis Ende 2004 auf 840.000 erhöht. So fallen
Staatsangehörigkeit und Herkunft zunehmend auseinander. Die
Zahl der Ehen, in denen die Partner dieselbe Herkunft aber
unterschiedliche Pässe haben, steigt stetig an. Genauso wie die
Zahl der Paare, bei denen beide Partner dieselbe
Staatsangehörigkeit besitzen, aber unterschiedlicher Herkunft
sind.
Bei den Scheidungen entfielen im Jahr 2005 12,4 Prozent
aller Trennungen in Deutschland auf solche, bei denen
mindestens einer der Ehepartner eine ausländische
Staatsbürgerschaft hatte. Dagegen lag der Prozentsatz aller
Eheschließungen mit Auslandsberührung im Jahr 2004 bei
16,5 Prozent.
  Unter ihnen ist die Zahl der Scheidungen bei deutsch-
türkischen Ehepaaren laut Statistischen Bundesamtes am
bedeutsamsten: Die Anzahl der Scheidungen lag 2003 in dieser
Gruppe bei etwa 3.390. Demgegenüber gaben sich im Jahr
2000 5.784 deutsch-türkische Ehepartner das Jawort.
  In einer Stadtbeobachtung aktuell wurde exemplarisch für die
Stadt Wiesbaden im Zeitraum 2002-2004 die so genannte
Einheiratsquote untersucht. Es wurde herausgefunden, dass nur
16 Prozent der türkischen Migranten in Deutschland eine Ehe
mit einem Deutschen eingehen. Damit lagen sie unter dem
durchschnittlichen Wert aller in die deutsche Gesellschaft
einheiratenden Migranten von 28 Prozent. Meist wird das als
Abschottung interpretiert. Doch die Gründe können vielfältiger
sein. Bei 1,8 Millionen Türken in Deutschland ist die
Wahrscheinlichkeit, einen geeigneten Ehepartner der eigenen
Herkunft zu finden, viel größer als bei anderen Nationalitäten.
Die Konzentration auf bestimmte Wohngebiete erhöht die
Wahrscheinlichkeit der Kontaktaufnahme um ein weiteres. Ein
weiterer Gesichtspunkt ist der rechtliche Status der türkischen
Bevölkerung: Anders als Italiener, Griechen oder Spanier sind
sie keine EU-Bürger. Ihre Freizügigkeit und rechtliche
Absicherung ist stark eingeschränkt. So stellt für ihre Familien
die Heirat eines noch in der Türkei Lebenden auch eine
Möglichkeit zur Einreise nach Deutschland dar. Es ist zu
vermuten, dass mit der Schaffung anderer Einwanderungswege
für die Türken eine Vielzahl der viel geschmähten arrangierten
Ehen zu verhindern wäre.
Die tatsächliche Zahl der türkisch-türkischen Ehen kann nur
geschätzt werden. Sie ergibt sich einerseits aus den
Eheschließungen in deutschen Standesämtern (1996: 917,
2003: 1.534), in türkischen Konsulaten in Deutschland (1996:
4.920) und den Eheschließungen in der Türkei. Über die
ungefähre Anzahl letzterer kann die Zahl der
Ehegattennachzüge zu den in Deutschland lebenden
Ehepartnern eine Vorstellung geben. Laut Auswärtigem Amt
gab es 1996 17.662 Nachzüge. Somit käme man für das Jahr
1996 auf 2.3499 türkisch-türkische Eheschließungen. Im
selben Jahr wurden in Deutschland 4.657 deutsch-türkische
Ehen geschlossen. Das wäre ein Anteil von 16,5 Prozent aller
Ehen mit Beteiligung von türkischen Staatsangehörigen (vgl.
Straßburger, in: Migration und Bevölkerung, 1999).
  Die Anzahl der Anträge auf Ehegattennachzüge nimmt stetig
ab: Sie sanken bis 2003 auf 10.614 und 2004 nochmals auf
8.360. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich auch auf diesen
Bereich die Zahl der Einbürgerungen ausgewirkt haben könnte.
2003 gab es daneben 7.158 und 2004 6.443 Ehegattennachzüge
zu deutschen Ehegatten. Je nach Perspektive mögen sie nun die
Zahl der deutsch-türkischen oder der türkisch-türkischen Ehen
vergrößern.
  Die Scheidungsquote der türkisch-türkischen Ehepaare bleibt
gänzlich spekulativ. In Deutschland werden nur die
Ehescheidungen erfasst, die vor deutschen Gerichten
beschlossen werden. Das waren im Jahre 2003 2.657 Fälle.
Dass aber 1996 nur 917 und auch 2002 nur 1.482 türkisch-
türkische Ehen vor deutschen Ämtern geschlossen wurden,
macht wieder einmal die Schwierigkeiten der statistischen
Erhebungen bezüglich transnationaler Heiratsdaten deutlich.
  Türkisch-türkische Ehepaare hatten 1997 44.197 Kinder,
während im selben Jahr aus deutsch-türkischen Ehen 6.880
Kinder hervorgingen. Laut Mikrozensus im März 2004 hatten
also 91.000 der damals 129.000 Paare Kinder. Daraus folgt,
dass auch deutsch-türkische Paare sich nicht immer für Kinder
entscheiden. 20 Prozent der Ehen zwischen einem deutschen
Mann und einer türkischen Frau blieben kinderlos. Bei den
Ehen zwischen einer deutschen Frau und einem türkischen
Mann waren es sogar 35 Prozent.


Situation der türkischen Migranten

1961 wurde der Gastarbeiteranwerbevertrag mit der Türkei
geschlossen. Ab diesem Zeitpunkt kamen auch Türken als so
genannte »Gastarbeiter« nach Deutschland, um den
Arbeitskräftemangel der deutschen Industrie zu stillen. Was
zunächst als kurzfristige Aktion geplant war, weitete sich im
Laufe der nächsten Jahre aus. War zuerst noch daran gedacht
worden, die Arbeiter rotieren zu lassen und alle ein bis zwei
Jahre neue Kräfte aus der Türkei zu holen, so erwies sich
dieses Vorhaben für die Unternehmen bald als ineffektiv. Die
gerade gut eingearbeiteten Arbeitskräfte sollte man wieder
gehen lassen? Sie blieben also. Damit waren ihnen auf längere
Sicht die provisorischen Wohn- und Lebensverhältnisse in den
Sammelunterkünften nicht mehr zu zumuten. Also gestattete
man ihnen, nach und nach ihre Familienangehörigen
nachzuholen, Wohnungen anzumieten, eigene Geschäfte zu
eröffnen und ihren Aufenthaltstatus allmählich zu verfestigen.
 1971 zeigte das deutsche Wirtschaftwachstum mit der
Erdölkrise eine Abschwächung. Die Bundesregierung erließ
1973 den Anwerbestopp für neue Gastarbeiter. Doch statt einer
Reduzierung hatte das zunächst einen Anstieg der
ausländischen Wohnbevölkerung zur Folge. Während 1965
132.800 und 1970 469.200 Türken in Deutschland wohnten,
waren es 1975 bereits 1.077.100 und 1980 1.462.000. Denn
nach dem Anwerbestopp mussten sich die Familien für einen
Wohnort entscheiden. Ein Pendeln zwischen ihrem ehemaligen
Heimatland und Deutschland war nun nicht mehr möglich.
  Demgegenüber wirkte sich das Angebot der Bundesregierung
auf Zahlungen für rückkehrwillige Türken aus: Bis Mitte 1984
verließen rund 250.000 Ausländer – hauptsächlich Türken –
die Bundesrepublik. Das Gesetz gewährte ihnen
Rückkehrhilfen von bis zu 10.500 D-Mark pro Erwachsenem
und 1.500 D-Mark pro Kind.
  In der Türkei hatten sich in dieser Zeit die
Lebensbedingungen eher verschlechtert. Die Folgen der Öl-
und der Zypernkrise schwächten den Anfang der siebziger
Jahre einsetzenden Aufschwung stark ab. Die politische Lage
wurde immer instabiler. Ende der siebziger Jahre kam es in der
Türkei zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen der
linken und rechten Kräfte. Sie führten schließlich 1980 zum
Putsch des Militärs. In dieser unsicheren Situation erschien den
türkischen Familien eine Rückkehr in die Türkei
verständlicherweise als wenig ratsam. Unter diesen
Verhältnissen war an eine wirtschaftliche Verbesserung in
ihrem Heimatland kaum zu denken. Also machten sie von
ihrem Recht auf Familienzusammenführung ab 1974 verstärkt
Gebrauch.
  Der Anstieg der Arbeitslosigkeit in den achtziger Jahren
verschlechterte die Stimmung der deutschen Bevölkerung
gegenüber den Einwanderern. Die Vermutung, dass sie ihnen
die rareren Arbeitsplätze wegnehmen würden, malte Sprüche
wie »Türken raus« an die Wände der Großstädte.
  Der Bedarf der Arbeitsmigranten, die sich für einen Verbleib
in Deutschland entschieden hatten, nach größerem und
bezahlbarem Wohnraum stieg mit dem verstärkten
Familiennachzug ständig. Sie zogen meist in wenig attraktive
Gegenden, die bald als Stadtteile angesehen wurden, in denen
sich die Probleme ballten und aus denen die, die es sich leisten
konnten, schnell wieder auszogen. Die Separierung, die sich
hier faktisch vollzog, lässt das heutige Beklagen der
Entstehung von »Parallelgesellschaften« als durchaus
vorhersehbar erscheinen.
  Den Migranten blieben wenig Alternativen. Als Mieter waren
sie in den besseren Gegenden häufig unerwünscht. So
versuchten sie, die Vorteile der türkisch geprägten
Infrastruktur ihres Stadtteils zu sehen, die ihnen die
Organisation ihres Alltags in der ungewohnten Umgebung
erleichterte. Das hatte aber auch zur Folge, dass man in Berlin-
Kreuzberg, in Hamburg-Wilhelmsburg oder Köln-Mülheim
weitgehend ohne deutsche Sprachkenntnisse zurechtkommen
konnte. Sprachkurse für Neuankömmlinge anzubieten oder
sogar zur Pflicht zu erklären, ist erst 2004 verschärft in die
gesellschaftliche Diskussion eingebracht worden.
  Durch etwas unterschieden sich die türkischen Familien von
denen ihrer Arbeitskollegen aus den anderen Anwerbeländer
wie Italien, Griechenland und Spanien: durch die Religion.
Letztere waren in der Mehrzahl Katholiken und fanden sich
somit in deutscher Gesellschaft mit ihren christlichen
religiösen Wurzeln wieder. Doch den Türken fehlten religiöse
Rückzugsmöglichkeiten. Als Muslime mussten sie in
Deutschland auf Versammlungsmöglichkeiten in Moscheen
verzichten. Da der Islam in Deutschland nicht als Kirche
anerkannt wird, weil eine für alle Muslime sprechende
Vertretungsorganisation fehlt, mussten sie sich als
Kulturvereine eintragen lassen, um eigene Räume anmieten zu
können. Die Türkisch islamische Union der Anstalt für
Religion e. V. (DITIB) ist seit ihrer Gründung 1984 der
Dachverband für 870 der Moscheevereine in Deutschland.
DITIB untersteht wiederum dem Amt für Religionsfragen in
Ankara.
Auch heute sind die Moscheen häufig in schlichten
Gewerbegebieten untergebracht. Projekte zum Bau von
sichtbaren Moscheen führten in der Vergangenheit oft zu
starken Protesten der deutschen Anwohner.
  In den achtziger Jahren erkannte die deutsche Gesellschaft
allmählich, dass die Einwanderung von mittlerweile 1,5
Millionen Türken Konsequenzen nach sich ziehen musste, an
die sie bisher kaum gedacht hatte. Statt Arbeitskräfte waren
nicht nur Menschen gekommen, wie Max Frisch ganz richtig
bemerkte,        sondern      ganze      Familien.      Diese
»Gastarbeiterfamilien« waren zu Einwandererfamilien
geworden – auch wenn Helmut Kohl 1991 in seiner
Regierungserklärung immer noch behaupten sollte, dass
Deutschland kein Einwanderungsland sei. Die Kinder dieser
Migranten          verlangten       nach        angemessenen
Bildungsmöglichkeiten. Lange Zeit blieben die Versuche dazu
aber Stückwerk, abzulesen an der hohen Anzahl der
ausländischen Kinder, die auf eine Sonderschule gingen oder
die Schule ohne Abschluss verließen.
  Man hoffte auf die nächste Generation. Sie würde in
Deutschland die Schule durchlaufen haben und sich einfacher
integrieren lassen. Doch gerade das dreigliedrige Schulsystem
mit der frühen Einsortierung in die drei weiterführenden
Schularten und die Betreuung in einer Halbtagsschule war
hierfür nur sehr bedingt geeignet. Die PISA-Studie hat dem
deutschen Schulsystem bescheinigt, dass der Schulerfolg der
Kinder immer noch zu einem ungewöhnlich hohen Prozentsatz
von der Herkunft ihrer Eltern abhängt. In der PISA-E-Studie
von 2005 wurden folgende Ergebnisse ermittelt: Kinder
deutscher Eltern landen zu 23,6 Prozent, Kinder türkischer
Eltern zu 56,6 Prozent auf der Hauptschule. Dagegen gehen
nur 10,2 Prozent von ihnen auf ein Gymnasium, während
dorthin 32,5 Prozent aller Kinder aus deutschen Familien
kommen. Außerdem erreichen Kinder aus bildungsfernen
Schichten mit höherer Wahrscheinlichkeit einen minder
qualifizierenden Bildungsabschluss. Demnach haben es Kinder
aus ehemaligen »Gastarbeiterfamilien« besonders schwer.
Viele ihrer Elternteile haben in ihrem Heimatland kaum
Schulbildung genossen und sollten nun in einem fremden Land
ohne Sprachkenntnisse ihren Kindern den Weg weisen. Auch
wenn die Schulabbrecherquote der ausländischen Kinder seit
dem ersten Jahr der Erfassung 1992 von damals 26 Prozent
zurückgegangen ist, stagniert sie in den letzten Jahren auf
hohem Niveau: Sie betrug im Schuljahr 1996 wie auch
2003/2004 laut Statischem Bundesamt immer noch 17 Prozent.
Bei deutschen Schülern lag sie dagegen bei 8,3 Prozent. Im
selben Zeitraum erreichten die türkischen Schüler zu 40
Prozent den Hauptschulabschluss, zu 30 Prozent die mittlere
Reife. Die Anzahl derjenigen, die die Berechtigung zu einem
Hochschulstudium erwarben, stieg auf 11 Prozent. Im
Wintersemester 2004/2005 studierten 22.500 türkische
Staatsangehörige in Deutschland, davon 16.000 so genannte
Bildungsinländer.
  In diesem Zusammenhang sind die neuesten Zahlen des
Bundesinstitutes für Berufsbildung vom 23.11.2005 ebenfalls
interessant: Nur 29 Prozent aller Ausbildungssuchenden mit
Migrationshintergrund fanden eine Lehrstelle. Bei den
deutschen Bewerbern waren es 40 Prozent. Die
Ausbildungsquote der Jugendlichen mit einem ausländischen
Pass fiel demnach seit Mitte der neunziger Jahre von 34
Prozent auf 25 Prozent im Jahre 2004.
  Unter     den   verschiedenen     Einwanderergruppen    in
Deutschland haben Türken die längste Aufenthaltsdauer
vorzuweisen. Ende 2003 lebten etwa drei Viertel (73,6
Prozent) der türkischen Bevölkerung länger als zehn Jahre in
Deutschland, 20,6 Prozent sogar länger als 30 Jahre.
Von den 1,8 Millionen in Deutschland lebenden Menschen
mit türkischer Staatsangehörigkeit waren bis Ende 2003 fast 40
Prozent in Deutschland geboren. Sie gehören damit der
zweiten oder sogar der dritten Generation an.
 Seit der Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes am
1.1.2000 hat sich die rechtliche Situation der in Deutschland
geborenen Kinder verbessert: So erhalten die Kinder
ausländischer Eltern, von denen wenigstens ein Elternteil
mindestens acht Jahre rechtmäßig seinen Aufenthalt in
Deutschland und eine Aufenthaltsberechtigung hat oder seit
drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt, die
deutsche Staatsangehörigkeit. Somit ist auch in Deutschland
das »ius soli« eingeführt worden. In den Jahren 2002 und 2003
erhielten dadurch jeweils ungefähr 37.000 Kinder
ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit mit der
Geburt.


Fragen an deutsch-türkische Paare

Umfeld
In einer Umfrage von 2002 lehnten 39 Prozent der
Ostdeutschen und 28 Prozent der Westdeutschen Türken als
Nachbarn ab. Von dieser Einstellung bleiben deutsch-türkische
Paare sicher nicht unberührt. Fast jedes Paar sieht sich mit
einigen Fragen konfrontiert, die von außen an es herangetragen
werden. Denn die Umgebung spielt bei einer bikulturellen
Beziehung eine fast ebenso große Rolle wie die Partner selbst.
Sie fallen auf, sie sind anders als die vermeintliche Norm und
stehen deshalb unter besonderer Beobachtung.
  »Ich als Schwarzkopf unterscheide mich schon rein äußerlich
von den Deutschen. Meine Partnerin und ich ergeben ein
schwarz-blondes Kontrastprogramm, das im Straßenbild
auffällt«, berichtet ein türkischer Ehemann. »Wir müssen uns
sowohl im türkischen Umfeld wie im deutschen immer
erklären.«
  Man sollte annehmen, dass bei der hohen Prozentzahl
binationaler     Partnerschaften     diese  mittlerweile  als
Selbstverständlichkeit gesehen werden, doch die meisten Paare
können immer noch von gegenteiligen Erfahrungen berichten.
Bezogen auf die Mehrzahl der Paare sind sie schließlich nach
wie vor eine Minderheit. So müssen sie im Gegensatz zu ihnen
ihre Wahl begründen.
  Im Erklären und Rechtfertigen haben die türkischstämmigen
Partner meist schon viel Erfahrung. Für die deutschen ist das
eher ungewohnt. Plötzlich werden auch sie gerne für
Auskünfte über islamische und türkische Traditionen
herangezogen. Denn in den Köpfen ihrer Zeitgenossen
schwirren viele Fragen, Klischees und Vorurteile, für die sie
jetzt als Adressat geeignet scheinen. Die an sie
herangetragenen Fragen berühren viele verschiedene
Themengebiete.

Familie
Die Wünsche der beiden Familien an ihre Sprösslinge sind
meist schnell ein Thema. Die Partner müssen sich mit ihnen
auseinander setzen. Die meisten Eltern, ob deutsch oder
türkisch, haben gewisse Vorstellungen über die zukünftigen
Schwiegersöhne oder -töchter, die ihren Familienkreis
erweitern sollen. Sie kommen häufig erst explizit zur Sprache,
wenn der Wunschpartner des Kindes nicht ganz ihren
Erwartungen entspricht. Bei einem Partner aus einem anderen
Kulturkreis ist dies meist der Fall.
  Kann eine Ehe zwischen Türken und Deutschen überhaupt
gut gehen? Wird sie nicht zwangsläufig zur Scheidung führen,
da die Vorstellungen und Prägungen der Partner zu
unterschiedlich sind? Wird sich der deutsche Partner in die
türkische Familienkultur eingliedern wollen, oder wird er nicht
ein Fremdkörper bleiben? Ist der türkische Partner nicht allzu
geprägt vom Aufwachsen in einer patriarchalen Gesellschaft,
als dass er die gleichberechtigte Rollenaufteilung zwischen den
Geschlechtern akzeptieren kann? Unkenntnis und Vorurteile
bestimmen oft die Bedenken der jeweils anderen Familie.
  Laut einer Untersuchung von Mehrländer, Ascheberg und
Uelzhöffer (1996) erklärten sich 1995 über die Hälfte aller
türkischen Eltern mit der Heirat ihrer Kinder mit einem
deutschen Ehepartner einverstanden. 1985 lag die
Zustimmungsquote noch bei etwas über 30 Prozent. Auffällig
ist in ihren Ergebnissen, dass die Wahrscheinlichkeit, einen
deutschen Ehepartner zu heiraten, zwischen den Generationen
sehr unterschiedlich hoch eingeschätzt wird. Gerade bei
türkischen Familien ist der Unterschied zwischen Kindern und
Eltern bei der Zustimmung zum Statement »auf jeden Fall ist
der Ehepartner ein/e Deutsche/r« sehr hoch und liegt bei über
30 Prozent: Nur 4 Prozent der Eltern, aber 35 Prozent der
Kinder gingen von dieser Partnerwahl aus. So kann die
Überraschung groß sein, wenn der neue Partner präsentiert
wird. Für die türkischen Eltern genauso wie für die deutsche
Mehrheitsgesellschaft.
  Mit dieser eventuellen Skepsis und Ablehnung müssen sich
die meisten Paare auseinander setzen – und das häufig zu
einem frühen Zeitpunkt ihrer Beziehung, in der sie noch kaum
gefestigt ist.

Religion
Nicht erst seit dem 11. September 2001 hat der Islam im
Westen einen schlechten Ruf. Die Stichworte, die in
Deutschland oft noch im selben Atemzug fallen, sind negativ
geprägt. Frauenunterdrückung, Scharia, Rückständigkeit,
islamischer Terrorismus, Parallelgesellschaft, Ehrenmorde sind
nur einige von ihnen.
  Großen Raum bei den Sorgen, die sich die Umwelt um
deutsch-türkische Paare macht, nimmt also das Thema
Religion ein. Bei ihnen geht man von christlich-islamischen
Paaren aus und vermutet Konflikte. Wird der andersgläubige
Partner nicht die Religionsausübung seines Partners behindern,
beeinflussen oder sogar unterdrücken? Ist es nicht
moslemischen Frauen sogar verboten, einen christlichen
Ehemann zu nehmen, da man davon ausgeht, dass er über ihre
Religion und die der Kinder bestimmen wird? Werden die
Partner sich auf gemeinsame Werte einigen können? Nach
welchen Traditionen und Einstellungen werden sie bei der
Erziehung ihrer Kinder verfahren? Können Familienfeste, die
ja in der Regel auf religiösen Wurzeln fußen, noch gemeinsam
begangen werden? Werden die unterschiedlichen religiösen
Vorstellungen nicht zu unüberwindbaren Problemen führen,
die vielleicht über die Kinder ausgetragen werden?
  Eine Vielzahl von möglichen Komplikationen wird dem Paar
meist in Aussicht gestellt.

Kultur
»Die deutsche und die türkische Kultur passen einfach nicht
zusammen!« Mit diesem Statement sehen sich viele Paare
konfrontiert. Auf der einen Seite stehe eine Gesellschaft von
egoistischen Individualisten, die ihre Eltern bei Bedarf einfach
ins Heim abschieben würden, und auf der anderen Seite eine
Gesellschaft    aus    sich     gegenseitig     kontrollierenden
Familienclans, lauten die gängigen, gegenseitigen Vorurteile.
Können Partnerschaften zwischen Personen aus diesen beiden
Kreisen überhaupt Bestand haben? Sind ihre Prägungen und
Erwartungen nicht viel zu unterschiedlich?
Doch ist die Wirklichkeit nicht differenzierter? Ist Kultur
nicht eher ein fließender Entwicklungsprozess statt eine
statische Festlegung? Ist sie nicht als Sammelbad für die
Regeln, Strukturen, Traditionen und Weltsichten einer Ethnie
einer ständigen Entwicklung unterworfen? Gilt das nicht für
jede Volksgruppe, speziell in einer globalisierten Welt und im
besonderen Maß für ein Leben in der Migration?
  Somit ist der Abstimmungsbedarf zwischen Partnern in einer
Beziehung wahrscheinlich selten nur durch kulturelle
Unterschiede geprägt; eine ebenso große Rolle spielen
vielleicht die Generationsunterschiede und der Bildungsgrad.
Ist es eventuell einfach oft bequemer, die Differenzen deutsch-
türkischer Paare an Kultur und Religion fest zu machen?

Sprache
Wenn die Paare in Deutschland leben, ist ihre Familiensprache
fast immer Deutsch. Der türkischstämmige Partner muss also
auf seine Muttersprache verzichten. Zieht das nicht eine
Einschränkung auf der Verständigungsebene nach sich? Ist
eine gemeinsame Sprache, in der sich beide Partner gleich
wohl fühlen, für eine gelungene Kommunikation nicht
unerlässlich? Das gilt natürlich in besonderem Maß für Partner
aus der ersten Generation. Am Anfang ist das Wörterbuch
wohl das ständige Accessoire vieler Paare. Die Hochphasen
der Verliebtheit mögen solche kleinen Widrigkeiten noch
unwichtig erscheinen lassen. Doch sieht das später im Alltag
nicht ganz anders aus?
  Bei Partnern aus der zweiten Generation, die ihre Kindheit
und Schulausbildung in Deutschland verbracht haben, sind
kaum praktische Schwierigkeiten in der Verständigung zu
erwarten. Doch mit der Sprache ist auch eine emotionale
Ebene verbunden. Transportiert sie nicht außerdem in
besonderer Weise Kultur? Werden die türkischstämmigen
Partner nicht eine Ebene in ihrer Beziehung mit einem
deutschen Partner vermissen? »Auf Türkisch lässt sich
manches viel besser ausdrücken. Mit anderen Türken wechsele
ich gerne in meine Muttersprache, wenn ich etwas Emotionales
besprechen möchte. Da passt das Deutsche nicht so gut«,
berichtet eine türkischstämmige Frau. Wird sie also diese
Emotionalität mit ihrem deutschen Partner in der Form, die ihr
am liebsten ist, nicht austauschen können?

Kinder
Und was wird mit den Kindern werden? Werden sie
zweisprachig erzogen werden? Droht so nicht die Gefahr, dass
sie beide Sprachen nur halb beherrschen? Wird sich der
deutsche Partner nicht aus dem Gespräch ausgeschlossen
fühlen, das der türkischsprachige Elternteil mit den Kindern
führt? Wie wird die Kommunikation mit den türkischen
Schwieger- und Großeltern stattfinden? Wird dieser Austausch
auf Oberflächlichkeiten beschränkt bleiben müssen, weil die
gemeinsame Sprache fehlt?
  Diesen Kindern wird durch ihre Eltern und deren Familien
eine große Variationsbreite an Lebensmöglichkeiten gezeigt.
Werden diese Kinder sich nicht letztendlich hin und her
gerissen und heimatlos fühlen? Werden sie überhaupt eine
gesunde Identität entwickeln können?

Interviewte Paare
Ich habe mit insgesamt 42 Paaren Gespräche geführt. Die
meisten von ihnen verfügen über eine langjährige Erfahrung in
Bezug auf deutsch-türkische Partnerschaften: Immerhin sind
15 von ihnen länger als 20 Jahre zusammen, 13 länger als zehn
Jahre und nur zwei der Paare blicken auf weniger als vier Jahre
Beziehungserfahrung zurück.
Unter den Paaren entsprach die Geschlechterverteilung der
der bundesdeutschen Zahlen: Die Männer türkischer Herkunft,
die mit deutschen Frauen in einer Partnerschaft lebten, waren
in der Mehrzahl – 26 Männer gegenüber 16 Frauen. Allerdings
war das Verhältnis unter den jüngeren Paaren umgedreht:
Unter ihnen gab es nur noch drei türkischstämmige Männer
gegenüber 16 türkischstämmigen Frauen.
  Immer wenn zwei Menschen sich wirklich intensiv begegnen
wollen, müssen sie kommunizieren, sich aufeinander einlassen,
den anderen in seinen Besonderheiten kennen und verstehen
lernen. Letztendlich gilt das natürlich auch für jedes
monokulturelle Paar. Doch während deutsch-deutsche oder
türkischtürkische Paare meistens davon ausgehen mögen, dass
sie gewisse Grundüberstimmungen voraussetzen können, sind
sich bikulturelle Paare von vornherein dessen bewusst, dass sie
viel reden und erklären müssen. Doch wie diese Paare
beweisen, muss sich das Wissen um die Notwendigkeit von
wahrhaftiger Kommunikation nicht als Nachteil herausstellen.
  Alle Paare in einem Porträt vorzustellen, hätte den Rahmen
dieses Buches gesprengt. Um sie trotzdem alle zu Wort
kommen zu lassen, habe ich ihre Erfahrungen im Schlussteil
versucht zusammen zu stellen. Die persönlichen Daten der
Paare wurden bis auf zwei (Aydan Özoguz und Michael
Neumann, Stella und Ömer Özdil, die auf dem Titelbild zu
sehen sind) anonymisiert: Ihre Namen wurden geändert und
ihre Altersangaben zum Teil verschleiert.
  Mancher wird vielleicht die Berichte über gescheiterte
Beziehungen vermissen. Doch dieses Buch soll gerade von den
Paaren berichten, die ihr Beziehungsprojekt erfolgreich
gestalten konnten. Es will sich den Fragen und Antworten
widmen, die sie in ihrem privaten kulturellen Dialog gefunden
haben. Vielleicht können sie Anregungen für den
gesamtgesellschaftlichen Dialog geben, der in Deutschland
noch intensiviert werden muss. Dieses Buch ist somit eher als
Ergänzung zu den Berichten von gescheiterten Beziehungen zu
verstehen, die naturgemäß schnellere Verbreitung finden als
die, die von gelungenen Verbindungen erzählen.
I
      Interviewpartner der ersten Generation



Die erste Einwanderergeneration hat sich häufig im Zuge der
Gastarbeiteranwerbung ab 1961 nach Deutschland aufgemacht.
Zu über 80 Prozent handelte es sich dabei um junge Männer,
da sie für die Wirtschaft am interessantesten erschienen.
Weniger bekannt ist, dass auch zu circa 19 Prozent Frauen
nach Deutschland gekommen sind, um hier hauptsächlich in
den Fabriken, die auf kleinteilige Handarbeit angewiesen
waren, Geld zu verdienen. Wie die Männer, haben sie sich
meist eigenständig aufgemacht, um hier für sich und ihre
Familie Geld zu verdienen und gleichzeitig ihre eigenen
Zukunftschancen zu erhöhen. Für viele von ihnen war es ein
bewusster Aufbruch in eine andere, unbekannte Welt.
  Viele sind nicht nur zum Arbeiten gekommen. Nicht wenige
verbanden mit ihrem Zuzug nach Deutschland die Hoffnung
auf mehr Bildung. Sie kamen vorrangig um zu studieren und
arbeiteten nur nebenher, um ihre Lebenshaltungskosten zu
decken. Gerade diese spezielle Gruppe der ersten
Einwanderergeneration wollte Neues in Deutschland für sich
entdecken und war somit besonders aufgeschlossen für
Kontakte zu »Einheimischen«.
  Die interviewten Partner der ersten Generation spiegeln die
verschiedenen Gruppen wieder: Eine der Frauen hat in einer
Fabrik gearbeitet, eine zweite in einem Krankenhaus. Ein
türkischer Ehepartner war als Erntehelfer tätig. Bei den
übrigen, die in die Altersgruppe der 60- bis 70-Jährigen fallen,
handelt es um eine Frau und zwei Männer, die als
Unternehmer, für ein Auslandsjahr und als Medizinstudent
nach Deutschland gekommen sind. Sie stammen aus eher
privilegierten Schichten der Türkei. Eins der Paare lebt heute
in der Türkei.
Aus ihrer langjährigen Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen.
   Sie freuen sich schon auf ihr Rentenalter, das sie in ihrem
  Ferienhaus in der Türkei verbringen wollen. Er: Wir streiten
 uns nie. Und wenn es mal etwas lauter wird, sage ich einfach:
So, gut ist jetzt! Dann gibt es ein Küsschen und alles ist wieder
                           in Ordnung.



    Für mich hat diese Ehe nur Gutes gebracht
  DEUTSCHER SCHNAPSBRENNER, 57 & TÜRKISCHE
          FLIESSBANDARBEITERIN, 56


»Ich war in einer Destillation für Alkohol im Labor
beschäftigt. In den Siebzigern wurden in der Firma viele
Gastarbeiterinnen für die Arbeiten am Band angeheuert. 1971
kam dann auch meine jetzige Frau. Die Arbeiterinnen gingen
zur Mittagspause immer an unserem Fenster vorbei. Wir
Männer riskierten natürlich gerne mal den einen oder anderen
Blick. Meine Frau fiel mir gleich auf. Sie war sehr hübsch. Ich
versuchte Blickkontakt zu bekommen, doch das gelang mir
immer nur für winzige Momente.« Karl erinnert sich noch
ganz genau an den Anfang seiner Beziehung zu Meliha.
 Sie kann erklären, warum ihm die Kontaktaufnahme so
schwer fiel: »Die anderen Türkinnen, mit denen ich
zusammenarbeitete, passten sehr gut auf. Wir Jungen sollten
uns auf keinen Fall mit den Deutschen einlassen.« Für soziale
Kontrolle war also auch im fernen Deutschland gesorgt. Wohl
zu Recht, wer konnte damals schon richtig einschätzen, was
die deutschen Männer von den türkischen Frauen wollten. Da
die Frauen alle zusammen im Wohnheim gegenüber der Firma
untergebracht waren, war diese Gemeinschaft rund um die Uhr
gegeben. Es wurde zusammen eingekauft, gekocht, gegessen
und geschlafen. Fernseher und Radio gab es nicht.
  »Ich habe mich gefühlt wie im Gefängnis, ich wollte sofort
wieder nach Hause. Ich habe nur geweint«, erinnert sich
Meliha. Der Rat ihrer Tante hatte sie nach Deutschland
gebracht. In der Türkei hatte Meliha in der Nähe von Izmir das
Gymnasium besucht und das Abitur gemacht. Doch die
Möglichkeit eines Studiums war aufgrund der finanziellen
Beschränktheit der Familie nicht gegeben. So schlug ihre
Tante, die als Zahnärztin in Hannover arbeitet, vor, sich für ein
Arbeitsjahr in einer deutschen Fabrik zu verpflichten, Deutsch
zu lernen und danach ein Studium in Hannover zu beginnen.
Doch soweit kam es nicht. Die Liebe kam Meliha dazwischen.
»Du hast meine Karriere verhindert«, meint sie halb
scherzhaft, halb ernst zu ihrem Mann. Der entgegnet mit dem
ihm eigenen, trockenen Humor: »Aber du bist eine tolle
Hausfrau und Mutter geworden.«
  Die Einsamkeit, die Meliha seit ihrer Ankunft in Deutschland
empfand, mag ein Katalysator für ihre Beziehung gewesen
sein. Sie fühlte sich so allein in der Fabrik und dem
Wohnheim, dass das Interesse dieses Mannes, der ihr so offen
und hilfsbereit entgegentrat, einfach gut tat. Doch zunächst
wurde Karl einer sorgsamen Prüfung unterzogen. Und zwar
durch die Wohnheimbewohnerinnen. Nachdem er zahlreiche
Versuche unternommen hatte, sich mit Meliha zu verabreden,
wurde er endlich zu einem Kaffeetrinken ins Wohnheim
eingeladen. »Das war eine Überraschung«, erzählt Karl. »So
etwas kannte ich ja gar nicht. Alle Frauen bedienten mich. Sie
reichten mir Kaffee oder Tee, ganz wie ich wollte. Sie hatten
extra Teigrollen für mich zubereitet. Es war herrlich, so
fürstlich bedient zu werden. War ich vorher schon von meiner
hübschen Frau begeistert, so überzeugte mich diese
Gastfreundlichkeit noch zusätzlich.« So positiv wie Karls
Urteil fiel auch das der Frauen für ihn aus: »Sie fanden mich
wohl auch sympathisch«, vermutet er.
  Da Karl schon damals ein Auto hatte, durfte er als nächstes
Meliha für eine Urlaubsreise in die Türkei zum Flughafen
bringen. »Ich erinnere mich noch: Sie saß hinter mir im Auto
und zupfte mir ganz leicht in meinem Nacken am Haar. Da
schöpfte ich Hoffnung: Vielleicht hatte sie also auch an mir
Interesse.« Denn das zeigte sie ansonsten kaum. Sehr
zurückhaltend sei sie damals gewesen. Verständlich nach den
Warnungen der Frauen. Erschwerend kam sicherlich hinzu,
dass die Orientierung in einem neuen Land mit seinen Regeln
und Gepflogenheiten sehr schwer fällt, wenn man die Sprache
nicht beherrscht. »Doch unsere Verständigung hat immer gut
geklappt«, findet Karl. Zuerst half das Wörterbuch, dann lernte
seine Frau einzelne Wörter und bald bildete sie schon Sätze. Er
fand, sie lernte sehr schnell.
  Meliha fasste allmählich Vertrauen zu Karl. Seine
Hartnäckigkeit hatte sich doch ausgezahlt: Endlich wagte sie,
ihr Interesse zu zeigen. Doch was würden ihre Eltern dazu
sagen? Der Zeitpunkt war gekommen, dass die beiden ihre
Familien einweihen mussten. Bei seiner eigenen sah Karl keine
Probleme. »Sie waren ganz offen. Sie hatten keinerlei
Bedenken, dass eine Türkin nicht zu mir passen würde«, meint
er. »Bei ihnen galt immer: Hauptsache du bist glücklich.« Bei
Meliha hatten sie wohl keine Zweifel, dass Karl es werden
würde. »Sie waren von Meliha gleich begeistert«, erinnert er
sich noch. Doch bei ihrer Familie waren mehr Bedenken zu
erwarten. Ganz geschickt holten sie zunächst die Zustimmung
der Tante in Hannover ein. War diese erlangt, hofften sie, dass
die Tante Melihas Vater positiv beeinflussen würde. So kam es
auch. Die Telefondrähte glühten, denn der Vater war zunächst
gar nicht begeistert. »Doch er hat ein weiches Herz«, weiß
Meliha. So stimmte er zum Schluss doch zu.
  Einer Reise in die Türkei stand also nichts mehr im Weg. Zur
Verstärkung nahm Karl seinen Bruder mit. »Und der hat sich
doch tatsächlich gleich in Melihas Freundin verliebt, sie später
geheiratet und mit nach Deutschland gebracht.« Ein
gemeinsamer Lebensabend der Vier in der Türkei war schon
geplant und vorbereitet. Doch es kam anders: Karl Bruder ist
letztes Jahr überraschend an Krebs gestorben und seine Frau zu
ihren Verwandten in die Türkei zurückgegangen.
  Die Aufnahme in Melihas Familie empfand Karl nach den
geleisteten Vorarbeiten als sehr herzlich. Er fühlte sich sehr
wohl und zeigte es auch. Die Eltern bekamen den Eindruck:
Dieser Schwiegersohn wird unsere Tochter gut behandeln und
gaben ihre endgültige Zustimmung. Ein halbes Jahr später war
dann die Hochzeitsfeier in der Türkei. Drei Zeitungen waren
vor Ort erschienen, um über dieses ungewöhnliche Ereignis zu
berichten. Das Ehepaar zeigt eine gut bestückte Mappe mit
vergilbten Zeitungsausschnitten. Immer noch ist sehr gut zu
erkennen, was für ein schickes, flottes Paar die beiden damals
abgegeben haben. Er selbst stand seiner Frau in Punkto
Aussehen in nichts nach: Der stattliche Mann mit seinem
gepflegten Riesenschnauzbart und den langen Koteletten
machte eine gute Figur. Er fügte sich somit schon allein vom
Äußeren wunderbar in die türkische Hochzeitsgesellschaft ein,
deren männliche Vertreter ebenfalls alle schnauzbärtig waren.
  Zurück in Deutschland gestaltete sich das Eheleben der
beiden unproblematisch. Sie arbeiteten zunächst gemeinsam
im Labor. Aufgrund ihrer guten Vorbildung war Meliha
befördert worden. Sie sprach Englisch und so klappte auch die
fachliche Verständigung mit dem Chef. Am Wochenende
besuchte man sich mit den türkischen Familien im
nachbarschaftlichen Umfeld. Karl erinnert sich gerne an die
geselligen Tage in großer Runde. »Wir haben immer
wunderbares Essen auf dem Tisch gehabt.«
  An schwerwiegende Diskrepanzen können sich beide nicht
erinnern. »Gestritten haben wir uns nie.« Seine Frau nickt:
»Nie ernsthaften Streit.« Karl ergänzt: »Das war bei uns so:
Nach einer Auseinandersetzung ist man kurz beleidigt, dann
geht man wieder hin, spricht darüber und verträgt sich
wieder.« Karl verrät sein Zauberwort: »Wenn es doch mal zu
einem Streit gekommen ist, dann sag’ ich einfach: Jetzt ist aber
gut!« Seine Frau beugt sich vor. In einem Punkt muss sie ihren
Mann doch korrigieren: »Meist bin ich es, die den ersten
Schritt macht. Uns Frauen fällt das einfach leichter. Ich nehme
ihn in den Arm, küsse ihn und es ist wieder in Ordnung.«
  Dann kündigte sich das erste Kind an, und Meliha unterbrach
ihre Arbeit. Sobald der zeitliche Freiraum mit dem Kleinen
wieder etwas größer war, kam sie in Teilzeit zurück. Nach dem
zweiten Kind gelang das allerdings nicht mehr. Die
Getränkefirma war inzwischen Pleite gegangen. Ihr Mann hatte
Arbeit in der Postdienststelle eines Krankenhauses gefunden,
und Meliha ging zur Post. Als Briefesortiererin konnte sie ihre
Schicht so legen, dass stets eine Betreuung der beiden Kinder
gegeben war. Kam ihr Mann nach Hause, ging sie zur Arbeit
und er kümmerte sich um die Kleinen. »Mein Mann hat immer
viel mit ihnen gespielt, Hausaufgaben gemacht und gelernt. So
haben sie auch so gut Deutsch gelernt.« Sie selbst hätte ihnen
dabei weniger gut zur Seite stehen können, denn sie benutzt
das Deutsche bis heute nur als Mittel der mündlichen
Verständigung. Die Notwendigkeit, sich mit Grammatik und
Schriftdeutsch zu beschäftigen, hat sich in ihrem Leben nicht
ergeben.
  »Ich habe mit meinen Kindern Türkisch geredet. Meine
Tochter kann es heute neben Deutsch perfekt. Mein Sohn hat
leider vieles vergessen.« Wie auf ein Stichwort hört man einen
Schlüssel in der Tür. Karl guckt verschmitzt auf: »Ich habe
meinen Sohn gebeten heute kurz vorbeizukommen. Und er hat
es gemacht«, freut er sich.
  Ein smarter Mann Anfang zwanzig kommt zur Tür herein. Er
nimmt Platz und bestätigt den letzten Teil der Erzählung seiner
Eltern. Als Kleinkind habe er mit seiner Mutter Türkisch
gesprochen, aber es im Laufe seiner Jugend wieder verlernt.
Heute bedauert er ein wenig, auf seine zweite Sprache
verzichtet zu haben. »Aber Türkisch ist ja keine Weltsprache«,
tröstet er sich. »Lange Zeit wusste ich nicht, wohin ich mich
gezogen fühlte. Ich habe ja einen Doppelnamen. Da haben die
Leute schon gefragt: ›Wo kommst du denn her?‹ Bin ich nun
Deutscher, bin ich nun Türke? Letztendlich habe ich wohl
beide Kulturen in mir.« Seine Mutter merkt scherzhaft an: »Du
müsstest dich Hälfte, Hälfte durchschneiden!« Doch ihr Sohn
hat für sich andere Prioritäten gesetzt: »Ich hatte eigentlich nur
deutsche Freunde und ging auf eine deutsche Schule. Das
Deutsche war mir einfach wichtiger. Ein paar Mal habe ich auf
den jährlichen Türkeiurlaub mit der Familie verzichtet, und so
verlor das Türkische für mich immer mehr an Bedeutung.« Er
findet, dass sich seine Strategie ausgezahlt hat: Er arbeitet
erfolgreich als Versicherungskaufmann und freut sich, in der
deutschen Gesellschaft einen guten Platz gefunden zu haben.
  Die um ein paar Jahre ältere Tochter hat da eine andere
Richtung eingeschlagen. »Sie ist mehr wie türkische
Mädchen«, meint die Mutter. »Jungen gegenüber ist sie sehr
zurückhaltend. Sie achtet immer auf ihre Kleider. Sie will, dass
ihr Körper bedeckt bleibt, auch in der Türkei, wenn alle
anderen im Bikini herumlaufen. Da sage ich schon mal zu ihr:
Nun zieh dir mal was Schönes an, aber das will sie nicht.« In
Deutschland ist die Tochter gerne zu Hause. Sie hilft ihrer
Mutter freiwillig im Haushalt und häkelt und strickt mit ihr.
»Das sage ich ihr nicht, das kommt von innen heraus«,
versichert die Mutter. Abends gucken die beiden gerne
zusammen türkisches Fernsehen. Ihr Bruder sagt über sie: »Im
Gegensatz zu mir hat sie das Türkische weiter gepflegt. Sie
liebt die Türkei mehr als ich. Für mich ist es nur ein
Urlaubsland.« Auch der Vater bestätigt: »Sie hat viel von uns
mitbekommen: Sie liebt das Türkische und die Türkei so wie
meine Frau und ich.« So ist es wahrscheinlich kein Zufall, dass
der Sohn eine deutsche Freundin und seine Schwester einen
Verlobten in der Türkei hat.
  In Religionsfragen kamen die Ehepartner schnell auf einen
gemeinsamen Nenner. »Religion, damit hatten wir gar kein
Problem, und das, obwohl ich sogar katholisch bin. Für mich
gibt es nur einen Gott«, meint Karl. »Genau«, bestätigt seine
Frau. »Die Menschen teilen Gott, es gibt aber nur eine Kraft.
Mitleid haben und Gefühle zeigen ist der richtige Glaube«, ist
sie überzeugt. In diesem Geiste sei sie schon von ihren Eltern
erzogen worden. Der Sohn bestätigt diese Haltung: »So haben
das meine Eltern auch in meiner Erziehung gemacht. Sie haben
mich gelassen, deswegen bin ich bis heute auch noch
religionslos. Ich kenne mich mit den verschiedenen Religionen
zu wenig aus, deswegen will ich mich da nicht festlegen. Ein
Glaube ist dennoch wichtig, damit man etwas hat, wenn es
einem schlecht geht. Ich glaube an mich und meine Leistung«,
überlegt er. Mit einem Blick auf seinen Vater fügt er schnell
hinzu: »Und an meine Familie.«
  Der letzte Satz verfehlt seine Wirkung nicht: »Ja, wir fühlen
uns sehr verbunden«, bestätigt der Vater und lächelt zufrieden.
  Die Familie fährt jedes Jahr in die Türkei. Sie genießt den
unbeschwerten Urlaub in dem noblen Ferienhaus der Tante aus
Hannover. Bodrum ist für Karl der ideale Ferienort. Er liebt die
Aussicht von der Terrasse auf das blaue Meer bei strahlendem
Sonnenschein. Viele Videos und Fotos lassen immer wieder
die schönen Urlaubserinnerungen aufleben, wenn man im
weniger sonnigen Norddeutschland ist. Schnell sind zwei
Fotosammlungen aus dem letzten Jahr zur Hand und belegen
die Erzählungen.
  Doch neben den landschaftlichen Vorzügen freut sich der
Ehemann auch an weiteren Annehmlichkeiten. Er liebt es, zum
Friseur oder ins Hamam, ins türkische Bad, zu gehen. Stets ist
er begeistert vom äußerst zuvorkommenden Service und dem
herzlichen Umgang. Gerne geht er mit seiner Frau in
einheimische, einfache Lokale und freut sich, wenn er dort als
Türke angesehen wird. »Ich überlasse meiner Frau das Reden
und nicke nur oder murmele eine Antwort. So werden wir
beide wie Einheimische behandelt.« Wenn seine
Schauspielerei dann doch durchschaut wird, wird die Reaktion
noch freundlicher. »Wenn sie herausbekommen, dass ich
Deutscher bin, dann sind sie noch netter und bedienen mich
noch eifriger.« Dann geht es ihm genauso wie einem
Urlaubsgast, den sie dort einmal kennen lernten. »Dieser sagte
mir, er würde sich schämen, wenn er daran denkt, wie die
Türken bei uns in Deutschland behandelt werden.« Karl freut
sich schon auf die Zeit nach seiner Rente, wenn sie ihre
Aufenthalte in der Türkei nach Lust und Laune ausdehnen
können.
  Einiges hat sich für Meliha in Deutschland erfüllt: Sie hat
einen Ehepartner gefunden, mit dem sie eine harmonische Ehe
führt, und sie hat zwei Kinder zu »ordentlichen« Menschen
erzogen. Eines konnte sie jedoch nicht erreichen: Ihre
Wünsche nach mehr Bildung und beruflichem Erfolg blieben
ein Traum. Doch sie tröstet sich damit, dass dieser Verlauf ihr
Schicksal war. »Wir Türken glauben an die Vorsehung. Schon
als meine Mutter schwanger war, ist mein Lebensweg
vorgezeichnet worden.« Ihr Mann lässt seiner Fantasie
unbeschwert freien Lauf: »Also hätten wir uns wahrscheinlich
auch kennen gelernt, wenn du Zahnärztin geworden wärest. Ich
wäre also z. B. zur Messe gefahren, hätte Zahnschmerzen
bekommen und wäre zu dir gekommen«, malt er sich aus.
  Karl kann sich dagegen ganz uneingeschränkt über seine Ehe
freuen: »Ohne Meliha hätte ich nie die Möglichkeit gehabt, die
Türkei kennen zu lernen und dort wie ein Einheimischer im
Ferienhaus leben und die kulinarischen Köstlichkeiten
genießen zu dürfen. Das habe ich meiner Frau zu verdanken.
Durch sie habe ich viel gelernt. Diese Herzlichkeit, diese
Gastfreundschaft, diesen liebevollen Umgang habe ich durch
sie kennen gelernt. Darüber freue ich mich und versuche dann
auch, es in meinen Alltag einzubauen. So bekommt man doch
immer wieder Anregungen, sich zu verändern.« Er nickt noch
einmal bestätigend: »Ich habe durch meine Frau wirklich nur
Gutes bekommen.«
Sie trat mit 16 zum Islam über. Ihren türkischen Mann traf sie
       in Österreich. Ihre klaren Vorstellungen von der
Aufgabenteilung in einer Ehe passten hervorragend zu seinen.
  Der erfolgreiche Selfmade-Mann: Die Türken haben ihre
     Chance in Deutschland verpasst. Jetzt kommen die
                      Russlanddeutschen.



       Die Türken haben ihre Chance verpasst
     DEUTSCHE TURKOLOGIN, 63 & TÜRKISCHER
             GESCHÄFTSMANN, 67


Annemarie hatte schon früh eine klare Zielvorstellung für ihr
Leben. Sie wurde in einer wohlhabenden Akademikerfamilie
als Nesthäkchen und einzige Tochter geboren. Wohlbehütet
wuchs sie auf, erzogen von ihrem dominanten Vater und
umsorgt von ihrer Mutter. »Ich genoss die klaren Strukturen in
ihrer Aufgabenteilung«, sagt die 63-Jährige heute. »Die
wünschte ich mir auch für mein eigenes späteres Leben.« Die
Regeln der christlichen Lehre, die ihr von ihren Eltern
vermittelt wurden, waren ihr dagegen zu locker. »Ich suchte
auch      in   diesem       Bereich     nach     eindeutigeren
Orientierungsmarken«, sagt sie. Im Islam fand das Mädchen
die gesuchten Strukturen, die ihr hervorragend zu ihrem
sonstigen Lebenskonzept zu passen schienen. Die
ostpreußische Tochter trat mit 16 zum Islam über.
  »Die Geschichten aus tausendundeiner Nacht mögen meinen
Hang zum Orientalischen noch unterstützt haben«, scherzt die
gepflegte Frau mit den locker hochgesteckten, schwarzen
Haaren. Folgerichtig begann sie nach dem Abitur, Turkologie
zu studieren. »Damals ein Studiengang, der nie endete und
keinen Abschluss anbot«, berichtet sie. »Für mich damit genau
das      Richtige:     Ich     wollte     mich      schließlich
geisteswissenschaftlich bilden und keinen Beruf erlernen.«
Darin stimmte sie völlig mit ihren Eltern überein. »Ich sollte
genau wie meine Mutter eine gebildete Ehefrau und Mutter
werden.« Das war der Wunsch ihrer Eltern und ihr eigener.
  Während ihres Studiums verbrachte Annemarie ein halbes
Jahr in der Türkei. »Meine ganze Familie erwartete, dass ich
mit einem türkischen Ehemann zurückkehren würde.
Schließlich hatte ich oft genug erklärt, dass für mich kein
Deutscher sondern nur ein Türke in Frage käme.« Doch wider
Erwarten kam sie ohne diesbezügliche Neuigkeiten zurück.
»Meine Eltern waren erleichtert. Die Gefahr, dass sie mich an
die Türkei verlieren würden, schien gebannt.«
  Unerwartet bot sich die Gelegenheit dazu auf einem ganz
anderen Terrain. »Mein Vater war ein kluger Mann. Als ich 27
war, erkannte er, dass die Zeiten sich geändert hatten.
Mittlerweile sollte auch die Frau einen Berufsabschluss haben,
denn nicht mehr alle Ehen hielten ein Leben lang.« Was kam
für sie in Frage? »Eine Ausbildung zur Übersetzerin bot sich
an. Ich konnte schließlich schon perfekt Türkisch sprechen.«
Doch die wurde zu der Zeit nur in Österreich angeboten. Also
machte sich Annemarie auf den Weg nach Graz. Am zweiten
Tag nach ihrer Ankunft ging sie in die katholische Mensa zum
Mittagessen. »In der Schlange hörte ich jemanden Türkisch
reden. Da ich mir nicht ganz sicher war, in welchen Gerichten
Schweinefleisch war, sprach ich den jungen Mann an.« Dem
war dieser Gesichtspunkt beim Essen zwar völlig egal, aber er
half der aparten, perfekt Türkisch sprechenden Frau gerne. So
lernte Annemarie in Österreich ihren türkischen Ehemann
kennen: Sayhan, den Doktorand im Fach Rechts- und
Staatswissenschaften.
Schnell stellte sich heraus, dass sie gut zusammenpassten.
Auch Sayhan kam aus einem gutbürgerlichen Elternhaus, das
sich zu den besseren Kreisen Ankaras zählen durfte. Auch er
strebte eine klassische Aufgabenverteilung in der Familie an.
Auch ihm war der Bildungsgrad seiner zukünftigen Frau sehr
wichtig. »Trotz unseres unterschiedlichen Herkunftslandes gab
es     in     unseren     Familienstrukturen      sehr    viele
Gemeinsamkeiten«, meint Annemarie. Sie wurden sich schnell
einig. Nach dem Erlangen seiner Doktorwürde sollte geheiratet
werden. Doch ein Punkt blieb vorläufig noch strittig. »Ich
wollte unbedingt in der Türkei leben«, berichtet Annemarie
mit einem Augenzwinkern. »Ich stellte es mir wunderbar vor,
in einem großen Akademikerhaus in Ankara zu wohnen und
mit der Großfamilie zusammen am gesellschaftlichen Leben
dort teilzunehmen«, erklärt sie. Doch für Sayhan kam das nicht
in Frage: »Ich wollte etwas erreichen, und zwar ohne meinen
Vater. Ich wollte nicht auf dem aufbauen, was er schon
geschaffen hatte, sondern ganz alleine meine Ziele
verwirklichen«, erläutert der gewichtige Mann. Das hat er
heute erreicht: Er ist ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann
geworden, der es in Deutschland weit gebracht hat. »Mein
Name steht in goldenen Lettern an einem historischen
Kontorhaus direkt unter dem einer sehr berühmten deutschen
Firma«, stellt er mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme fest.
  Seinen Erfolg genießt er heute in ihrer gemeinsamen, sehr
luxuriös ausgestatteten Villa. Alle Wände im Herrenzimmer, in
dem das Gespräch stattfindet, sind mit dunklem Holz
verkleidet, das mit Intarsien verziert ist. Die Decke besteht
ganz aus Glas. Neben der komfortablen Sitzgruppe aus
braunem Leder nimmt der riesige Schreibtisch mit dem PC den
größten Raum ein. Wenn Sayhan wegen seiner
Rückenschmerzen nicht mehr sitzen kann, steht er immer mal
wieder auf, geht zu seinem bequemeren Designer-
Schreibtischsessel und zaubert mit ein paar routinierten Klicks
aus dem PC die passenden Fotos zu seiner Erzählung hervor.
Auch mit Mitte 60 findet dieser Mann den Ruhestand wenig
erstrebenswert. Er will ständig auf dem Laufenden bleiben und
so lange im Geschäftsleben mitmischen, wie er kann.
  Für seine Frau kein Problem. »Wir waren uns stets einig:
Jeder von uns hat in seinem Aufgabenbereich seinen
Freiraum.« Annemarie nutzt ihren mittlerweile, um wieder an
die Uni zu gehen. Ihr Mann lächelt zufrieden: »Ich war sehr
glücklich über unser Arrangement. Ich konnte so abgearbeitet
sein, wie ich wollte; wenn ich zu dir nach Hause kam, konnte
ich mich erholen. Unser gemeinsames Heim hast du für mich
zu einem Hort der Geborgenheit gemacht«, findet er lobende
Worte für seine Frau. Annemarie bestätigt: »Für mich war es
ebenfalls perfekt: Ich konnte in Ruhe meinen sozialen
Aufgaben in unserer Familie nachgehen, während du den
äußeren Rahmen gesichert hast.« Die Rechnung scheint für
beide Seiten aufgegangen zu sein.
  Doch zunächst waren ein paar Hindernisse zu überwinden.
Annemarie lacht: »Da meine Eltern nach meiner Türkeireise so
erleichtert waren, dass ich keinen Türken gefunden hatte,
mochte ich ihnen nicht gleich mitteilen, dass ich ihn nun in
Graz entdeckt hatte.« Sie grinst: »Es gab ein Bild mit Sayhan
in einem österreichischen Trachtenanzug. Da er blond ist,
nahm ich das und schrieb darunter: ›Das ist mein Verlobter
Franz Haselhuber‹ und schickte es an meine Eltern. Die
meinten, dass er sympathisch aussehe und dass ich ihn bald
einmal vorstellen müsste.« Als dieser Besuch immer näher
rückte, suchte Annemarie nach einem geeigneten Zeitpunkt,
Sayhan zu beichten, als wen sie ihn angekündigt hatte. Erst auf
dem Flughafen fand sie endlich den Mut: »Mein stolzer Mann
war gekränkt, drehte auf dem Absatz um und ließ mich alleine
zu meinen Eltern fliegen. ›Klär das erst mal ohne mich!‹«
Das tat Annemarie. »Mit klopfendem Herzen wurde ich von
meiner Mutter in das Herrenzimmer meines Vaters geführt. Er
liebte mich zwar, aber was würde er zu meiner Schwindelei
sagen? Stotternd erklärte ich ihm, warum ich alleine
gekommen war.« Doch alle Bedenken waren umsonst
gewesen. Ihr Vater meinte nur: »Ja, Mädchen, wenn du ihn
liebst und mit ihm glücklich wirst, ist das doch kein Problem!«
Annemarie polterte ein Stein vom Herzen. Sie neckt ihren
Mann: »Aber du hast dich dann noch etwas bitten lassen.« Er
lacht zurück. »Ja, einen halben Monat habe ich dich schmoren
lassen, bis ich zu deinen Eltern nachgekommen bin.« Wenn die
Aufnahme von der deutschen Seite dann auch eher preußisch
herb als orientalisch herzlich ausfiel, so war der gestrenge
Vater doch der Ansicht: Mit diesem Mann, der wusste, was er
wollte, hatte die Tochter wohl einen guten Fang gemacht.
  Ganz anders verhielt es sich auf der türkischen Seite. »Doch
ich wusste im Unterschied zu meinem Mann vorher nichts
davon«, meint Annemarie. Ganz unvorbereitet kam sie bei der
feinen Familie in Ankara zu ihrem Antrittsbesuch an. »Der
Vater guckte mich nicht an und die Mutter auch nicht, denn sie
folgte in allem ihrem Mann. So stand ich ganz alleine da. Eine
furchtbare Situation. Einzig die Großmutter war lieb zu mir.
Am liebsten wäre ich zu ihr unter ihren Rock gekrochen und
nicht mehr hervorgekommen.« Da war diese perfekt Türkisch
sprechende, zum Islam übergetretene Frau nun in das Land
ihrer Träume gekommen und musste feststellen, dass sie als
unpassend angesehen wurde. »Doch ich war niemandem
böse«, erklärt Annemarie. »Während mein Verlobter mit
seinem Vater schimpfte und ihm Vorwürfe machte, empfand
ich ihre Reaktion nur als gerechtfertigt. Schließlich war ich
diejenige, die ihr System störte. Ich hatte einen Fehler, ich war
deutsch. Das verstand ich nur zu gut und akzeptierte ihre
Ablehnung als gerechte Strafe für mein Anderssein.«
Annemarie kann sich heute über ihre früheren Ansichten
amüsieren: »So war ich damals eingestellt: mit einem riesigen
Schuldkomplex behaftet!«
  Sie erzählt weiter: »Die Wendung in der Reaktion der
Familie brachte schließlich die Großmutter. Sie sprach mit
ihrem Sohn ein Machtwort. Da in der Türkei die Söhne
glücklicherweise auf ihre Mütter hören, wurde ich aufgrund
ihrer Einwirkung endlich akzeptiert.« Zunächst bekam
Annemarie von ihrem Schwiegervater einen neuen türkischen
Namen. »Ich konnte das damals als Zeichen der Akzeptanz
werten«, meint sie ganz ohne Ironie.
  Die Vorbereitungen zu den Hochzeitsfeierlichkeiten
begannen. »Zuerst gab es eine Versprechensfeier mit
vierhundert Gästen, danach eine Hochzeitsfeier mit
siebenhundert Gästen, zu der auch meine Eltern angereist
waren.« Da prallten noch einmal Welten aufeinander.
»Obwohl die beiden Väter sich in ihren patriarchalischen
Strukturen sehr ähnlich waren, waren sie doch sehr
unterschiedlich in der Art der Kommunikation. Während mein
Vater in seiner ostpreußischen, klaren Art gerne kurz und
knapp seine Standpunkte zum Besten gab, näherte sich
Sayhans     Vater    erst    in   langsamen,    orientalischen
Kreisbewegungen der eigentlichen Kernaussage.« Annemarie
lacht. »Aber da wir übersetzen mussten, konnten wir diese
Diskrepanzen diskret ausbalancieren. Sie merkten nicht viel
davon.«
  Nach diesen zwei großen pompösen Feiern fuhr das Ehepaar
nach Deutschland. Denn nun sollte hier gefeiert werden.
Schließlich musste auch die deutsche Familienseite
Gelegenheit haben, die Heirat der Tochter in gebührendem
Rahmen der Gesellschaft zu präsentieren. »Also kam nun eine
Verlobungsfeier mit fünfhundert Gästen und eine Hochzeit mit
achthundert Gästen.« Alles im ersten Haus am Platze, einem
luxuriösen Fünfsternehotel. »Mein Vater kannte den Probst
höchstpersönlich, so konnten wir als Muslime sogar in der
Kirche heiraten«, erzählt Annemarie.
  »Vielleicht hat unsere Ehe deswegen so lange gehalten, weil
wir gleich viermal geheiratet haben«, vermutet ihr Mann und
lacht. Annemarie weiß einen weiteren Grund: »Wir streiten
uns nie.« Sie erklärt: »Wir werden nie laut miteinander. Wenn
wir unterschiedlicher Meinung sind, tauschen wir unsere
Standpunkte immer sachlich und in Ruhe aus.« Denn sie ist
überzeugt: »Ein böses Wort, das einmal aus dem Mund heraus
ist, kann man nicht wieder zurückholen. Also muss man sich
vorher genau überlegen, was man sagt.« Disziplin und Respekt
stellen für beide Ehepartner unumstößliche Werte dar.
  Nach ihren unerfreulichen Erfahrungen in der Ankaraer
Gesellschaft fiel es Annemarie leichter, dem Wunsch ihres
Mannes zuzustimmen, sich in Deutschland eine Existenz
aufzubauen. »Mein türkischer Mann hat mich wieder für
Deutschland geöffnet«, flachst sie.
  Schon ein Jahr vor ihrer Heirat hatte sich Sayhan
selbstständig gemacht. »Meine Eltern hatten sich eine
Mandarinenplantage als Alterssicherung zugelegt. So fing ich
erst einmal mit dem Import von Mandarinen an«, berichtet er.
Annemarie hatte ein Haus in ihrer Vaterstadt geerbt. So bot es
sich an, dass das junge Ehepaar dort hinzog. »Doch in dem
Haus wohnten Mieter. Die Klage auf Eigenbedarf zog sich hin.
So zogen wir erst mal zu meinen Eltern. Gerade einen Tag
bevor wir die Klage gewannen und ausziehen konnten, ist
meine Mutter gestorben. Bei ihr war kurz vorher eine
Krebserkrankung entdeckt worden.« Annemarie stockt. »Das
war eine so schreckliche Zeit, dass ich keine Worte für meine
Gefühle finde.« Sie schluckt und erzählt erst nach einer kurzen
Pause weiter. »Ich bot meinem Vater an, mit uns in unser
neues Haus zu ziehen. Doch mein Vater meinte nur: ›Eine alte
Eiche verpflanzt man nicht mehr.‹ Also sind wir stattdessen bei
meinem Vater geblieben.«
  Zehn Jahre haben sie noch mit ihm zusammengelebt. Er hat
miterlebt, wie seine drei Enkelsöhne geboren wurden und
langsam größer wurden. »Das war die ganze Bandbreite des
Lebens. Auf der einen Seite das vergehende Leben und auf der
anderen Seite das neue, werdende Leben.« Annemarie sucht
den Blick ihres Mannes. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie
dankbar ich dir bin, dass du dem zugestimmt hast. Das ist eine
Schuld, die ich dir nie zurückzahlen kann«, sagt sie mit
Rührung in der belegten Stimme. Ihr Mann schüttelt den Kopf
und wehrt ab: »Aber das war doch selbstverständlich.
Außerdem hattest du damit eher eine zusätzliche Verpflichtung
übernommen, nicht ich. Bei meinem Arbeitspensum habe ich
ohnehin nicht viel davon mitbekommen.« Er macht eine kleine
Pause: »Ich denke nicht etwa so, weil ich Türke bin, sondern
weil ich es als Person richtig finde, wenn man Verantwortung
für die Familie übernimmt.« Sayhan legt Wert darauf, dass er
nicht über seine Nationalität definiert wird. Seine
Überzeugungen speisen sich aus vielen Einflüssen. »Ich bin
liberal. Ich verstehe mich als weltoffen. Wenn ich eine
bestimmte Meinung habe, dann ist das meine persönliche«,
stellt er klar. Annemarie interpretiert diese Haltung auf ihre
Weise: »Wir tragen alle in uns unterschiedliche Anteile, die
uns erst zu einem vollständigen geistigen Wesen machen. Ich
habe zum Beispiel verschiedene Namen, einen türkischen und
einen deutschen. Alle symbolisieren sie einen Teil von mir. Sie
bilden keine Gegensätze sondern zusammen erst mein ganzes
Ich.«
  Ihre drei Söhne sollten auf jeden Fall türkische Namen
bekommen. »Mir war das völlig egal«, betont ihr Mann, »aber
meiner Frau war das sehr wichtig.« Alle drei wurden zunächst
nach islamischen Regeln erzogen, denn Annemarie war es
damals sehr wichtig, als gute türkische Ehefrau und Mutter
anerkannt zu werden. »Schweinefleisch gab es bei uns im
Hause nicht, deshalb bestellte sich mein Mann auch immer
gerne im Restaurant ein Schnitzel«, meint Annemarie.
  Ihre Schwiegermutter hatte sie in der Türkei beiseite
genommen und ihr einen guten Tipp gegeben: »Sei wie ein
Propeller, dann bist du eine gute Frau. Drehe dich ständig um
deinen Mann, dann ist er zufrieden mit dir!« Annemarie erklärt
ganz sachlich: »Das habe ich streng befolgt. Schließlich fand
ich, dass dies meine Aufgabe war, die wir in unserem
Ehevertrag vereinbart hatten. Mein Mann arbeitet außerhalb
des Hauses, und ich sorge für alle Bewohner innerhalb des
Hauses. Ich war froh, dass er mir alles Äußere vom Halse hielt,
also musste ich es ihm im Inneren so angenehm wie möglich
machen.« Sayhan hebt sein leeres Teeglas und stichelt breit
grinsend: »Karim, wo bleibt mein Tee?« Annemarie lacht laut
auf. »Das ist für uns immer ein großer Spaß, wenn er mich
›Weib‹ nennt. Damit kann man die weiblichen Gäste
wunderbar provozieren und die männlichen Gäste zum Lachen
bringen.« Annemarie nimmt solche Scherze mittlerweile mit
Humor und schenkt ihrem Mann nach.
  Sie greift nach einer Weintraube von dem riesigen Obstteller
und lehnt sich in die Lederpolster zurück. »Denn ich hatte das
Glück, krank zu werden. Ich bekam die Chance, mein Leben
zu überdenken.« Sie erkannte, dass in dem Wunsch nach
eigenem Freiraum und eigenem Wohlbefinden nichts
Sündhaftes sondern gerade die Voraussetzung für das
Weitergeben von Zufriedenheit liege. Auch ihre Haltung zum
Islam definierte sie neu. Sie nahm Abstand von einengenden
Reglementierungen und erweiterte die religiösen Aspekte um
Erkenntnisse aus Psychologie und Philosophie. »Erst damals
fand ich richtig zu meinem eigenen, ganzen Ich und lernte
auch Ansprüche für mich persönlich zu stellen.« Sie strahlt und
meint dann amüsiert zu ihrem Mann: »Das musstest du erst
akzeptieren lernen.«
  »Das stimmt«, gibt er zu. Ihr fällt ein Beispiel ein: »Du
kanntest es nicht, dass die Frau, wenn ihr Mann abends nach
Hause kommt, nicht nur zu seiner Unterhaltung zur Verfügung
steht, sondern auch mal Zeit zum Lesen braucht, wenn die
Kinder im Bett sind.« Annemarie reckt ihren Kopf
selbstbewusst in die Höhe. »Da habe ich zu dir gesagt:
›Entweder lese ich oder ich sterbe!‹ Dann musstest du das
akzeptieren.«
  »Das war ein Umgewöhnungsprozess«, muss Sayhan
zugeben. Doch seine Frau ließ ihm keine andere Wahl.
  Annemarie änderte auch im Hinblick auf ihre
gesellschaftlichen Aktivitäten einiges. »Ich wählte meine
Besucher nun sorgsamer aus. Ich lud nur noch die ein, mit
denen ich mich mit Gewinn unterhalten und zu denen ich eine
gemeinsame Wellenlänge aufbauen konnte.« Zum Beispiel
unterband sie die unverbindlichen Frauenklönrunden, die sich
unter türkischen Frauen großer Beliebtheit erfreuen. »Dann
komme ich zu keinerlei geistigen Aktivitäten mehr, die mich
weiterbringen. Ich bin nur damit beschäftigt Tee zu kochen
und kleine Leckereien zuzubereiten. Kaum ist der eine Besuch
zur Tür heraus, kommt schon der nächste. Das wollte ich nicht
mehr!«
  Nun erkannte sie immer mehr den Vorteil, in Deutschland zu
leben. »In der Türkei wäre diese Umorientierung wohl nicht so
leicht toleriert worden. Hier können wir unser Leben genau so
gestalten, wie es unseren Wünschen entspricht«, ist sie
überzeugt.
  Das bedeutet keineswegs, dass sie die türkische Kultur aus
ihrem Leben verbannt haben. »Eher im Gegenteil: Wir können
sie in Deutschland genau in der Art genießen, wie wir sie
lieben. Wir veranstalten gerne türkische Abende in unserem
Haus. Dann laden wir türkische Musiker oder Dichter ein und
schwelgen in den orientalischen Klängen und freuen uns an der
türkischen Sprache«, berichtet Annemarie zufrieden. »Und
ganz ohne die gesellschaftlichen Zwänge, die wir in der Türkei
hätten erfüllen müssen.«
  Annemarie wird etwas nachdenklich: »Unsere Söhne
verorten sich aber hundertprozentig in Deutschland.« Sie ist
mit diesem Ergebnis nicht ganz einverstanden, das merkt man
ihr an. Die Söhne sind heute 27, 32 und 34 Jahre alt und leben
alle in ihrer Geburtsstadt. »Der mittlere Sohn ist letztes Jahr in
die Türkei gefahren um zu sehen, ob irgendetwas in dem Land
sein Herz zum Klingen bringt. Er hat nichts gefunden. Nicht
einmal die Landschaft oder die Sonne hat ihn angesprochen.
Nein, sein Traum ist es, an der nebelverhangenen,
mecklenburgischen Ostseeküste zu wohnen«, merkt sie halb
belustigt, halb verwundert an. Annemarie blickt ihrem Mann
gerade ins Gesicht. Ihr Ton wird eine Spur schärfer. »Aber wie
sollte er auch positive Gefühle der Türkei gegenüber hegen,
wenn sein Vater nie Zeit für ihn hatte, als wir da waren?«, fragt
sie ihren Mann mit einem nicht zu überhörenden Vorwurf in
der Stimme. »Wir waren nicht sehr oft da«, versucht er sich zu
verteidigen. »Und wenn, war ich ständig in Geschäften
unterwegs.«
  »Ja, genau«, nickt Annemarie, »und wir saßen bei deinen
Eltern im Haus und durften nicht raus. Immer hieß es, wenn
der Vater kommt, fahren wir noch mal ans Wasser. Doch der
Vater kam nicht, und ich als Frau durfte nichts alleine mit den
Kindern unternehmen. Wenn der Vater dann kam, ging es
höchstens zu einem Geschäftsessen. Da saßen die Kinder dann
brav auf ihren Stühlen und konnten, wenn wir Glück hatten,
durch die Panoramafensterscheiben das Meer und die Sonne
sehen, aber am Strand mit dem Vater spielen konnten sie
nicht.«
»Ich habe eben nie Urlaub gemacht, sondern sehr viel
gearbeitet«, erklärt Sayhan entschuldigend. »Deswegen war es
auch besser, dass wir in Deutschland wohnten«, meint
Annemarie abschließend, »hier konnte ich als Frau mit meinen
Kindern alles machen, was uns in den Sinn kam. Hier waren
wir nicht an die Begleitung eines Mannes gebunden.«
  Sayhan hat seine Entscheidung für Deutschland ebenfalls nie
bedauert: »Hier konnte ich alles erreichen, was ich mir
gewünscht hatte. Mit meiner Frau an meiner Seite«, er wirft
einen anerkennenden Blick auf die schlanke, dezent
geschminkte Annemarie in ihrer burgunderfarbenen
Seidenjacke, »führte ich genau das Leben, was ich mir
gewünscht habe.« Er beeilt sich hinzuzufügen: »Nie hatte ich
Probleme damit, dass ich Türke bin.« Nie hatte er einen Hehl
daraus gemacht, welcher Herkunft er ist. »Meine Firma führte
sowohl das Attribut ›türkisch‹ als auch meinen Doktortitel im
Namen«, ist ihm wichtig.
  Aus dem Leben in Deutschland hat er allerdings Schlüsse
gezogen, die seinem früheren Denken fremd gewesen sind. »In
meiner Firma gibt es keinen einzigen Türken. Die können alle
nicht richtig arbeiten. In Deutschland sind sie so verwöhnt
worden von den vielen Sozialleistungen, dass sie sich für
dieses Land zur Belastung entwickelt haben. Ich als braver
deutscher Steuerzahler muss sie mit durchfüttern. Wenn ich
schon höre: ›Die Integration ist gescheitert!‹« Sayhan redet
nun mit Nachdruck. Mit diesen Landsleuten hat er nichts
gemeinsam: »Viele Türken haben ihre Chance in Deutschland
verpasst. Nicht das Land muss die Integration leisten sondern
der Einwanderer. Jetzt kommen die Russlanddeutschen und
werden die Plätze der Einwanderer in Deutschland besetzen.
Die Türken, die hier immer noch nicht Fuß gefasst haben,
sollten wieder in die Türkei zurückgehen. Wer die Sprache
nicht gelernt und sich nicht integriert hat, ist hier fehl am
Platze«, ist der erfolgreiche Selfmade-Mann, der eine deutliche
Sprache bevorzugt, mittlerweile überzeugt.
Im letzten Jahr lebte und arbeitete der Sohn von Annemarie
 und Sayhan für einige Zeit in der Türkei. Er: Nun sind meine
       Vorurteile über die Türken zu Urteilen geworden.



   Am liebsten hätte ich einen deutschen Namen
 DER SOHN VON ANNEMARIE UND SAYHAN, JURIST,
                    32


In der Altbauwohnung mit den hohen Decken herrscht die
Farbe weiß vor. Die Polstersessel, die Sofaecke, die Wände,
alles ist strahlend hell gehalten. Nur die frischen Blumen und
das an eine Wand projizierte Lichtspiel setzen farbliche
Akzente. Emre ist der mittlere Sohn von Annemarie und
Sayhan. Der sehr schlanke, drahtige Mann, der als
passionierter     Langstreckenläufer      schon     an   vielen
internationalen Marathonläufen teilgenommen hat, wohnt in
dieser Wohnung mit seiner Freundin Stephanie. Mit gut ein
Dutzend Kerzen und Teelichtern hat er für Atmosphäre
gesorgt. Die wachen Augen des Juristen hinter den randlosen
Brillengläsern halten stetigen Blickkontakt mit dem Gegenüber
und signalisieren so Aufmerksamkeit, der kaum etwas entgeht.
  »Nach Beendigung meiner Doktorarbeit«, erzählt Emre, »bin
ich für vier Monate in die Türkei gegangen. Ich wollte sehen,
ob ich dort etwas finde, was mich anspricht. Ich wollte
überprüfen, ob ich mir vorstellen könnte dort zu leben und zu
arbeiten.« Er wohnte während dieser Zeit bei seiner Tante, der
Schwester seines Vaters, und ihrem Mann. Das Arbeiten in der
Türkei erprobte er in einer Istanbuler Kanzlei. »Doch ich fand
wenig, was mir gefiel. Wesentlich größer war der Anteil der
Punkte, die mich zunehmend störten«, resümiert er.
  Das Verhältnis von Mann und Frau ist für ihn zu einem
Markstein       der       Beurteilung      der        türkischen
Gesellschaftsstrukturen geworden. »Frauen und Männer gehen
nicht natürlich miteinander um. Ihr Verhalten ist von so viel
Reglementierung geprägt, dass sie zu ganz unnatürlichen
Verhaltensweisen kommen.« Er kann aus dem Stand als Beleg
für seine Erfahrungen viele Beispiele aufzählen. »Ich ging zum
Beispiel zu einem Kurs einer Sprachenschule. Dort traf ich auf
eine syrische Frau, mit der ich mich in den Pausen sehr
interessant unterhalten habe. Als ich ihr vorschlug, sich auch
einmal außerhalb der Schule zu treffen, wehrte sie entsetzt ab.
Das sei zu gefährlich. Wieso gefährlich? Ich bin in
Deutschland in festen Händen, sie ist verheiratet, das sind doch
ausgesprochen geklärte Verhältnisse«, fand Emre. Doch ein
Treffen fand nie statt, ganz im Gegenteil, wenig später verbot
ihr Ehemann den weiteren Besuch der Schule.
»Wahrscheinlich hat sie zu Hause neuerdings zu häufig
gelächelt und das kam ihm verdächtig vor«, grinst Emre
süffisant. »Der Ehemann müsste doch ein Interesse daran
haben, dass es seiner Frau gut geht und dass sie glücklich ist.
Also müsste er ihr Freiräume geben. Aber nein, die ständige
Kontrolle scheint ihm die einzige Möglichkeit, ihr Eheleben zu
gestalten.«
  Emre hat beobachtet, dass die Meinung der anderen oft zum
Maßstab der eigenen Handlungen gemacht wird. »›Was
könnten die anderen über mich denken?‹ fragen sie sich
ständig«, moniert er. »Häufig liegt es an ihrer mangelnden
Bildung. Sie haben keine Kapazitäten um sich und ihr
Verhalten zu reflektieren«, denkt er sich. »Doch selbst bei
meiner Tante und meinem Onkel, die sehr gebildet sind, habe
ich ein Drama miterlebt, das sich meiner Meinung so in
Deutschland kaum abgespielt hätte. Meine Cousine hatte sich
mit 15 Jahren in ihren Pferdepfleger verliebt. Die Eltern
untersagten ihr jeden Kontakt, weil dieser Mann ihnen als nicht
standesgemäß erschien. Sie traf sich zunächst heimlich mit
ihm, bis sie ihn mit 17 aus den Augen verlor. Mit 19 begegnete
sie ihm zufällig wieder und heiratete ihn. Doch sie verstanden
sich nicht so gut, wie sie sich es erträumt hatte. Er schlug sie.
Nach einigen Jahren ging sie zu ihren Eltern zurück, die sie mit
heftigsten Vorwürfen empfingen. Sie kehrte daraufhin zu
ihrem Mann zurück. Doch auch der zweite Anlauf scheiterte.
Schließlich wusste sie keinen anderen Ausweg mehr, als sich
umzubringen.«
  Emre hat beobachtet: »In der Türkei werden die
Familienstrukturen gerne über Schuldzuweisungen geregelt.
Du bist Schuld, wenn es mir schlecht geht. Du darfst dieses
Verhalten nicht an den Tag legen, weil du meinem Ansehen
damit schadest. Solche Aussagen habe ich von vielen gehört.
Nicht das Individuum ist verantwortlich für die Gestaltung
seines eigenen Lebens sondern der andere bestimmt mit
seinem Handeln, wie ich im Leben voran komme.« Emre kann
für sich dieses starre Korsett der Erfüllung von Erwartungen
nicht akzeptieren.
  »Ich habe mich in der Türkei mit sehr vielen türkischen
Männern unterhalten. Alle waren sehr gefangen in ihren
Denkmustern. Immer wieder habe ich zu hören bekommen,
dass ich doch eine türkische Frau heiraten sollte. Die
türkischen Frauen seien einfach besser. Wenn ich wissen
wollte warum, bekam ich nur zu hören, dass eine Türkin doch
noch wüsste, was ein Mann bräuchte. Abends wenn er nach
Hause käme, sei das Essen gekocht, die Wäsche gewaschen,
die Wohnung sauber und die Kinder gut versorgt im Bett.«
Emre schüttelt seinen Kopf. »Dass ich von einer Frau ganz
andere Qualitäten erwarte, war für sie völlig unverständlich.«
Dass Emre sogar seine Wäsche selber macht und das Essen
selbst zubereitet, obwohl er mit seiner Freundin zusammen in
einer Wohnung wohnt, machte den türkischen Männern nur
klar, dass Emre kein richtiger Mann sein konnte. Meist
vergeblich versuchte er dann, seine Sichtweise zu erklären:
»Ein richtiger Mann ist für mich jemand, der souverän mit
allen seinen menschlichen Anteilen umgehen kann. Seine
Stärke zeigt sich doch gerade darin, dass er auch Schwächen
zugeben mag und im täglichen Leben nicht auf die
Handreichungen einer Frau angewiesen ist.« Für Emre ist es
ebenfalls nur ein Zeichen von Unmännlichkeit, wenn ein Mann
seiner Frau keinen Freiraum zugestehen mag. »Vertraut er
seinen Qualitäten etwa so wenig, dass er glauben muss: Sie
wird nur bei mir bleiben, wenn ich sie einsperre? Und
gleichzeitig hält er sich dann auch noch für einen tollen Hecht
– was für ein Widerspruch!« Auch die Haltung der türkischen
Männer zur Unberührtheit ihrer künftigen Ehefrau findet er
wenig überzeugend. »Meine Qualitäten als Mann werden doch
umso glaubhafter offenbar, wenn eine Frau, die schon
Vergleichsmöglichkeiten hatte, mich auswählt und bei mir
bleibt«, ist er überzeugt.
  Als seine Freundin Stephanie ihn während seiner Zeit in
Istanbul besuchte, bekam er ungefragt viele Kommentare zu
hören. »Auch während sie daneben saß, empfahlen sie mir,
lieber eine türkische Frau zu heiraten. Selbst die
Hausangestellte im Haus meiner Tante teilte mir ihre Meinung
zu Stephanie mit: Sie hätte ihre Sachen direkt aus dem Koffer
einfach ungeordnet in den Schrank geworfen, daher könnte sie
keine gute Ehefrau für mich sein.« Emre kann sich über solche
Beurteilungskriterien nur empören.
  Die Haustür wird geöffnet. Stephanie ist inzwischen nach
Hause gekommen und setzt sich mit an den Esstisch. Sie
erinnert sich: »Ich fühlte mich sehr wohl, während ich bei
Emre in Istanbul war. Alle waren sehr nett und freundlich zu
mir. Ich hatte den Eindruck, dass sie mich mögen. Doch als ich
hinterher von Emre hörte, wie einzelne über mich urteilten,
wurde mein Gefühl im Nachhinein etwas schal. Nun empfand
ich ihr Verhalten eher als unehrlich und doppelzüngig«, meint
sie.
  »Auch dein Vater hatte schon gewisse Erwartungen an mich,
glaube ich«, sagt sie. »Am liebsten hätte er für seinen Sohn
eine Frau gehabt, die sehr gut aussieht, aus sehr guten
Verhältnissen kommt, studiert hat und sich sexy anzieht, damit
ihr Aussehen auch gut zur Geltung kommt. Nach ihrem
Studium sollte sie aber zugunsten ihrer Aufgaben als Ehefrau
und Mutter mit Freuden auf eine eigenständige Berufstätigkeit
verzichten, um ganz für ihren Mann da sein zu können«, stellt
die junge Frau mit langen, braunen Haaren und großen,
strahlenden Augen, die alle äußeren Kriterien sicher locker
erfüllen kann, scheinbar sachlich und mit einem kaum
hörbaren ironischen Unterton fest. Sie blickt ihren Freund
fragend an. »Oder meinst du, da liege ich falsch?« Emre kann
nur lachend den Kopf schütteln. »Mein Vater wünscht jedem
seiner Söhne das große Glück, genau so eine Frau zu finden,
wie er sie mit meiner Mutter bekommen hat«, schmunzelt er.
Emre hat die liebevolle Fürsorge seiner Mutter genossen, aber
möchte in seiner eigenen Partnerschaft nicht die Rolle seines
Vaters übernehmen. Dessen Lebenskonzept wird nicht das
seine werden, da ist er sich sicher.
  »Wenn wir einmal Kinder haben sollten, würde ich mir schon
wünschen, dass meine Frau zumindest die ersten Jahre ganz für
die Kinder da ist«, gesteht er aber ein. »Doch nach der
Kleinkindphase können wir die Betreuung auch anders
organisieren, wenn sie gerne wieder in ihren Beruf
zurückkehren möchte. Die Zufriedenheit meiner Frau ist für
mich entscheidend.«
Emre ermuntert seine Freundin immer wieder, sich auch mit
Männern allein zu treffen. Er findet: »Ein Gespräch mit
jemandem vom anderen Geschlecht bringt mich viel weiter. Es
eröffnet mir Horizonte, die mir sonst verschlossen bleiben. Das
kommt dann auch meinem Partner zugute. Ich lerne durch das
Gespräch mit anderen Frauen auch sie viel besser kennen und
schätzen«, glaubt er. Doch bisher hat er noch keinen türkischen
Mann gefunden, der das genauso gesehen hätte. Auch in
Deutschland nicht. Er erinnert sich: »Ich bin mit einem Türken
zur Schule gegangen. Er war damals einer, der auf jeder Party
mit dabei war und sehr aufgeschlossen an die Mädels
heranging. Gerade neulich habe ich ihn zufällig in der Bahn
wieder getroffen. Er sei inzwischen verheiratet, erzählte er mir.
Er habe sich von seinen Eltern eine Frau aus der Türkei
vermitteln lassen und sie mit nach Deutschland gebracht. Er
versuchte mich von den Vorteilen dieses Arrangements zu
überzeugen. Sie bleibe brav zu Hause und würde den Haushalt
erledigen, während er unterwegs sei. Ich habe meinen
Schulfreund nicht wieder erkannt.« Für so eine Veränderung
fehlt Emre jedes Verständnis. »Wie kann ein Mann sich
freiwillig so beschränken und auf eine gleichberechtigte
Partnerschaft mit einer Frau verzichten? Erst im wahrhaftigen
Austausch mit meiner Partnerin kann ich mich doch
weiterentwickeln!« Emre versteht dieses Denken der Männer
nicht. Genauso wenig versteht er aber auch die türkischen
Frauen, die er in der Türkei kennen gelernt hat. »Die sind so
auf die Darstellung ihrer Weiblichkeit reduziert, dass ich sie
völlig unnatürlich finde.« Auf Emre wirken diese
»aufgebrezelten« Frauen alles andere als attraktiv.
  »Ich hätte mir gewünscht, dass sich meine Eltern etwas mehr
Gedanken über meine Namenswahl gemacht hätten. Leider
habe ich auch als zweiten Vornamen einen türkischen
bekommen. So bin ich alleine durch meinen Namen für alle
erst mal der Türke. Darunter habe ich zum Teil sehr gelitten.«
Als er an der Uni als Assistent Seminare anbot, waren in
seinen Kursen stets die Schwarzhaarigen versammelt. »Alle
Türken dachten anscheinend: ›Ach, gehen wir mal zu unserem
Landsmann.‹« Doch Emre fühlt sich unwohl in dieser
vorausgesetzten Kumpanei. »Ich fühle mich eindeutig als
Deutscher. Mich mit meinem Namen zu identifizieren fällt mir
sehr schwer. Ich habe sogar schon darüber nachgedacht, ihn
ändern zu lassen«, überlegt er. »Wenn wir mal Kinder haben,
bekommen sie auf jeden Fall einen deutschen Namen«, ist er
sich sicher. »Wenn ein Kind in Deutschland aufwächst, sollte
es einen deutschen Namen haben«, findet er. Seine Freundin
schlägt ihm vor: »Wenn wir heiraten, könntest du ja meinen
Nachnamen annehmen.« Das geht Emre dann doch zu weit.
Schnell schränkt er ein: »Mein Nachname stört mich eigentlich
gar nicht so stark. Er ist einfach nur ungewöhnlich, aber
eigentlich nicht typisch türkisch, oder?«
  Er grinst: »Zum Glück sehe ich wenigstens nicht wie ein
Türke aus.« Emre ist es sehr wichtig, in keine Schublade
gesteckt zu werden, die mit negativen Vorurteilen behaftet ist.
Er möchte einfach als Deutscher in Deutschland seinen Weg
gehen. Die Energie, die er immer wieder braucht, um die
Irritationen, die sein Name hervorruft aus dem Weg zu
räumen, würde er lieber für den zielstrebigen Aufbau seiner
beruflichen Karriere nutzen.
  »Meinen Kindern werde ich wohl kaum mehr etwas
Türkisches mitgeben«, überlegt er. Emre spricht selbst sehr gut
Türkisch, möchte seinen Kindern aber diese zweite Sprache
nicht beibringen. »Außer ein paar Urlauben in der Türkei, die
durch den dort geerbten Grundbesitz zustande kommen,
werden sie von mir wohl nichts mehr in der Richtung geboten
bekommen.«
Religion spielte in Emres Leben keine Rolle, weder in seiner
Kindheit noch heute als Erwachsener. »Meine Eltern haben
mir keine Religion als Richtschnur für das Leben beigebracht.
Meine Mutter hatte ja mal ihre radikal islamische Phase, aber
mein Vater hat stets eine große Distanz zum Islam gehalten.
Auch seine Eltern waren nicht religiös. Wir haben in der
Familie die christlichen Feste Weihnachten und Ostern als
traditionelle Familienzusammenkünfte gefeiert, aber ohne
religiöse Inhalte.« Emre meint: »Wir sind so erzogen worden,
dass wir uns lieber unsere eigenen Standpunkte zu den
jeweiligen Fragen des Lebens und des Sterbens durch
intellektuelle Auseinandersetzung bilden sollten als sie von
einer bestimmten Religion zu übernehmen.«
  Emre blickt seine Freundin an und fordert sie mit leicht
spöttischem Unterton auf: »Nun sag doch mal, wie ist es denn
nun, einen Türken zum Partner zu haben?« Stephanie fällt die
gewünschte Antwort nicht schwer: »Du bist nun wirklich nicht
der typische Türke. Außer deinem Namen ist kaum etwas
Türkisches an dir auszumachen. Nur durch die Reaktionen der
Umgebung wurde ich mit der Nase darauf gestoßen, dass du
wohl anders sein müsstest. Als ich meinen Freunden erzählte,
dass ich einen neuen Freund habe und dann deinen Namen
nannte, sah ich schon erstaunte Mienen: ›Du mit einem
Türken? Ist das nicht schwierig?‹ Dann habe ich immer schnell
hinzufügt, dass du überhaupt kein typischer Türke bist und
nicht einmal türkisch aussiehst.« In diesem Punkt sind sich die
Partner völlig einig: In die Schublade mit dem Label
»türkisch« sollte man unter keinen Umständen gesteckt
werden. Sie hat gerade in Deutschland ein äußerst negatives
Image. Emre verspürt keinerlei Ansporn diesen Ruf zu
verändern, ganz im Gegenteil: »Nach meinem Aufenthalt in
der Türkei sind meine Vorurteile, die ich schon in Deutschland
gewonnen hatte, nun zu Urteilen geworden«, bestätigt er.
Stephanie schmunzelt: »Nun fällt mir doch noch etwas ein,
was bei dir schon türkisch geprägt sein könnte.« Emre blickt
sie erstaunt an. »Den Zusammenhalt unter euch drei Brüdern
könnte man für deutsche Verhältnisse schon als ungewöhnlich
eng bezeichnen«, erklärt sie. Einer der Brüder wohnt sogar im
selben Mietshaus wie Emre und seine Freundin. »Wenn wir
abends nach Hause kommen, und es kann noch so spät sein,
klingelst du immer noch einmal bei deinem Bruder und fragst
nach, wie es ihm so geht. Und wenn einer von ihnen ein
Problem hat und dich um Hilfe bittet, lässt du alles stehen und
liegen und bemühst dich, ihm zu helfen.«
  Emre fand seine Identität eher in der klaren Entscheidung für
eine Kultur als in der Kombination von beiden. Er definiert
sich und seine Standpunkte häufig in der Abgrenzung zum
Türkischen. Darin sieht er auch den Vorteil, Kind einer
bikulturellen Beziehung zu sein: »Ich fand es sehr bereichernd,
mit deutsch-türkischen Eltern aufzuwachsen. Ich musste mich
schon früh vieles fragen, weil ich verschiedene Richtungen
präsentiert bekam. Dadurch war ich gezwungen, schon in
jungen Jahren Standpunkte und Meinungen zu entwickeln und
auch zu begründen. Das schult«, findet er. Gerade als Jurist
kann er diese schon früh eingeübten Fähigkeiten heute gut
nutzen.
Seit ihrem 20. Lebensjahr lebt das Ehepaar in Ankara. Ihre
    Kinder hat die Mutter mit deutschen Geschichten und
                    Kinderliedern erzogen.
  Dabei spricht sie perfekt Türkisch. Sie: Zu Hause fühle ich
   mich nur in Deutschland. Meinem Mann erzähle ich von
           diesen Gefühlen selbstverständlich nichts;
                   es würde ihn nur kränken.



           Deutsche Parallelwelt in Ankara
        DEUTSCHE KRANKENSCHWESTER, 65 &
              TÜRKISCHER ARZT, 68


Elisabeth hatte wieder einmal Sehnsucht nach Deutschland.
Wie so oft, wenn sie in Ankara ist, wo sie seit 38 Jahren mit
ihrem türkischen Mann lebt. Dann fährt sie zu ihrer Tochter,
die als Professorin an der Universität einer niedersächsischen
Großstadt lehrt. Dieses Gefühl der Sehnsucht kennt sie gut, seit
sie in der Türkei lebt. »Das ist schade. Wenn ich hier bin,
sehne ich mich nach meinen Enkelkindern in Ankara, und
wenn ich dort bin, sehne ich mich nach meinen Enkeln in
Deutschland«, erklärt sie ihr hin und her Gerissensein. Denn
ihr Sohn ist in Ankara verheiratet und der sechsjährige Enkel
geht dort zur Schule.
  Elisabeth spricht mit leiser Stimme. In großer Ruhe und
Gelassenheit erzählt sie über ihr Leben in der Türkei. Man
merkt, dass sie gewohnt ist, überlegt zu reden. Höflich und
doch bestimmt lenkt sie die Themen im Gespräch. Ihr
Selbstbewusstsein kommt mit großer Zurückhaltung daher.
Ihrem Ehemann ist sie in jungen Jahren in die Türkei gefolgt.
Er war zu seiner Facharztausbildung zum Gynäkologen nach
Deutschland gekommen. Im Krankenhaus traf er auf eine
deutsche Schwesternschülerin, die sein Herz höher schlagen
ließ. Auch die junge Frau war beeindruckt von dem offen,
zuverlässig und liebevoll wirkenden Mann und so kam man
sich näher. »Am Anfang hätten sich meine Schwiegereltern
wohl eher jemand anderes für ihren Sohn erhofft.« Das lag
weniger an ihrer Nationalität als eher daran, dass sie weder aus
besseren Kreisen kam noch einen prestigeträchtigen Beruf
vorweisen konnte.
  Auch bei ihrer eigenen Familie war die Reaktion ähnlich
verhalten. Die Geschwister rieten ihr ab und die Eltern,
besonders die Mutter, waren traurig, weil dieser
Schwiegersohn bedeutete, dass ihre Tochter in ein fremdes
Land zog. »Doch wir waren verliebt und sahen keine
Probleme. Mein Mann schilderte unsere Zukunft in der Türkei
in den rosigsten Farben.« Ihr gemeinsamer Weg war klar
vorgezeichnet. Ihr Verlobter war nur zur Ausbildung nach
Deutschland gekommen, danach sollte er in die Türkei
zurückgehen, um die Praxis seines Vaters in Ankara zu
übernehmen. »Das hat mein Mann von Anfang an klargestellt.
Wir lebten auf diesen Termin zu.« Elisabeth wusste, worauf sie
sich mit ihrem Mann einließ. Im Gegensatz zu ihrer gewohnten
Umgebung erschien es ihr als ein Ausflug in eine neue Welt,
die sie reizte. »Ich malte mir alles wunderschön aus.«
  Doch es kam nicht alles so, wie sie es sich erhofft hatte.
Bevor die kleine Familie mit der zwei Jahre alten Tochter nach
Ankara ziehen konnte, musste ihr Mann seinen Militärdienst
ableisten. An eine ihrer ersten Erfahrungen in der Türkei denkt
sie mit unangenehmen Gefühlen zurück. Sie war mit einem
Schockerlebnis verbunden: »Wir waren kaum angekommen in
dem Land, da mussten wir uns scheiden lassen, weil ein
Reserveoffizier damals nicht mit einer Ausländerin verheiratet
sein durfte. Ich wusste ja, dass es nur pro forma war, aber es
war ein schreckliches Erlebnis für mich«, berichtet Elisabeth in
sachlichem Tonfall. »Die Gerichtsverhandlung war öffentlich.
Es waren viele Leute da, die sich das anschauen wollten. Als
wir den Gerichtssaal verließen, wollten die Zuschauer meinen
Mann verhauen, weil sie ja den wahren Grund für die
Scheidung nicht kannten. Sie dachten, er lässt eine schwangere
Frau mit einem kleinen Kind im Stich.« Sie schluckt kurz.
»Das ist eine meiner ersten Erinnerungen an die Türkei«,
entsinnt sie sich traurig. In Izmir wurde ihr Sohn geboren, rein
rechtlich gesehen als uneheliches Kind.
  Nach der Militärzeit zogen sie nach Ankara. Der
Schwiegervater war inzwischen gestorben, und sein Sohn
übernahm erwartungsgemäß die Praxis. Ein ganz normales
Familienleben konnte sich allmählich entfalten. Elisabeth
vermisste jedoch noch manches an Komfort: »Da war nicht
alles so, wie ich es mir gedacht hatte. Wir hatten extra eine
vollautomatische Waschmaschine mit in die Türkei gebracht.
Dann habe ich mir dort das Waschpulver dazu gekauft. Doch
es war nicht das richtige: Der Schaum kam wie in einem
Zeichentrickfilm aus allen Ritzen und wurde immer mehr.
Diese Maschine konnte ich nie wieder benutzen. Erst nach
einigen Jahren gab es diese Maschinen und das dazugehörige
Pulver auch in der Türkei. Doch auch andere Dinge vermisste
ich: Kein Schaumbad, keine Gummibärchen, kein Ketchup war
zu bekommen. Wenn wir aus Deutschland mit dem Auto
zurückfuhren, war es bis in alle Ritzen voll gepackt:
Kofferraum, Dachgepäckträger, unter unseren Füßen. Das war
nicht immer erfolgreich: Die zahlreichen Tüten Gummibärchen
auf der Hutablage waren bei unserer Ankunft zu einem Block
zusammengeschmolzen.« Die Frau mit den schlicht
zurückgenommenen blonden Haaren deutet ein Lächeln an.
Sorgsam formuliert sie ihre Sätze. Man merkt, dass sie viel
über diese Fragen nachgedacht hat. »Mein Leben hatte nicht
nur rosige Seiten«, bilanziert sie. »Ich habe oft gedacht, ich
hätte in Deutschland bleiben sollen. Wenn ich so über die
Türkei erzähle, denken manche Leute, dass ich dort nur Gutes
erlebt habe, aber es gab auch weniger schöne Dinge.« Sie
macht eine kleine Pause: »Sehr schwere Zeiten.« Doch
Elisabeth ist kein Mensch, der das Für und Wider nicht genau
abzuwägen versteht. Schnell fügt sie hinzu: »Aber das würde
ich nicht am Land festmachen. Das gehört einfach zum Leben
eines Menschen dazu, dass er auch sehr schwierige Zeiten
erlebt. Das trifft sicher auch für eine Frau zu, die in
Deutschland verheiratet ist.«
  Elisabeth hat es jedoch geschafft, ihre Möglichkeiten so
geschickt auszuschöpfen, dass sie als Deutsche in der
türkischen Gesellschaft leben konnte. Sie hat acht Jahre lang
das deutsche katholische Gemeindezentrum in Ankara geleitet.
Als sie mitbekam, dass händeringend nach einer geeigneten
Leiterin gesucht wurde, hatte sie sich initiativ bei der
Bischofskonferenz in Köln um den Posten beworben. Und das
obwohl sie der evangelischen Kirche angehört. »Und ich
wurde angenommen«, freut sie sich noch heute. »Ich habe
gleich klargestellt, dass ich die Arbeit als überkonfessionell
und vornehmlich als eine soziale Aufgabe betrachtete.« Bis zu
ihrer Herzoperation vor ein paar Jahren führte sie die
Einrichtung mit großem Erfolg. Danach wurde das
Gemeindezentrum leider geschlossen, bedauert sie. Die
deutschen Frauen in Ankara haben aber zur Selbsthilfe
gegriffen und einen Verein gegründet, der die Aufgaben
übernommen hat. So können die Alten weiterhin betreut und
den sozial Schwachen weiter unter die Arme gegriffen werden.
  »Wir        haben       in     Ankara       ein      starkes
Zusammengehörigkeitsgefühl«, betont Elisabeth und meint
damit die Deutschen. Dieser Zusammenhalt gibt ihr in der
Türkei ein Stück Heimat. »In Deutschland wird den Türken ja
häufig vorgeworfen, dass sie zusammenhocken. Das ist bei uns
nicht anders. Ich habe keine einzige türkische Freundin, ich
habe nur deutsche. Wir treffen uns sehr häufig. Wir helfen uns
sehr viel. Wir halten sehr stark zusammen. Wir haben natürlich
unsere türkischen Familien, das ist der Unterschied zu den
Türken in Deutschland. Aber wir sind nicht aufgegangen in der
türkischen Gesellschaft«, betont Elisabeth.
  Doch im Gegensatz zu den türkischen Einwandererfamilien
in Deutschland hat Elisabeth damit in der Türkei keine
Probleme. »Die deutsche Kultur ist in der Türkei sehr hoch
angesehen. Man wird auf keinen Fall diskriminiert.
  Als Deutsche hat man keine Probleme.« Elisabeth weiß zu
schätzen, dass sie zusätzlich Glück mit der Familie ihres
Mannes hatte. »Meine Schwiegereltern waren sehr offene,
gebildete, weitgereiste Menschen. Meine Schwiegermutter ist
eine sehr moderne Türkin.«
  Viele ihrer deutschen Freundinnen hätten es nicht so gut
getroffen; ihre Familien zeigten sich nicht so offen. Diese
Frauen mussten ihren Namen ablegen und zum Islam
übertreten. »Das bedeutet nicht, dass sie ein sehr religiöses
Leben führen müssen. Unter 500 Frauen gibt es höchstens zwei
oder drei, die das Kopftuch tragen«, erläutert sie. Elisabeth
weiß aber aus vielen Gesprächen, dass diese Frauen nicht nur
unter dem Verlust ihrer Heimat und ihrer Religion, sondern
besonders unter dem ihres Namens leiden. Sie hätten ein
großes Stück ihrer Identität für die Schwiegerfamilien
aufgeben müssen. »Wenn sie zusätzlich noch mit den
Schwiegereltern in einem Haushalt leben müssen, haben sie es
besonders schwer. Dann müssen sie sich Regeln unterwerfen,
die ihnen meistens nicht so gut gefallen. Die Schwiegertochter
soll sich so verhalten, wie eine türkische Frau sich verhalten
hätte. Dann müssen sie schon oft zurückstecken«, hat sie
beobachtet.
  Ihr Mann hat zum Glück großes Verständnis für ihre Liebe zu
Deutschland. »Er ist eben ein großer Deutschlandfan. Er liebt
mein Heimatland«, betont Elisabeth. »Er ist es, der häufig zu
mir sagt, dass es wieder mal Zeit würde für ein Treffen mit
meinen deutschen Freundinnen. Er begleitet mich auch gerne
zu Festen in der deutschen Botschaft.« Leider kann er sie heute
aus gesundheitlichen Problemen nicht mehr so oft bei ihren
Reisen begleiten, wie er es sich wünschen würde. »Ich habe
das Glück, dass ich sehr oft in Deutschland sein kann. Ich habe
den Kontakt zu Deutschland und meiner deutschen Familie nie
verloren. Das hat mein Mann sehr unterstützt. Das ist mir ganz,
ganz wichtig«, sagt Elisabeth mit Nachdruck.
  Ihre Staatsangehörigkeit aufzugeben kam für Elisabeth nie in
Frage: »Ich bin ich, und ich bin und bleibe Deutsche.« Auch
ihre beiden Kinder und sogar ihr kleiner Enkelsohn in Ankara
haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Ihre Sprache blieb
immer das Deutsche. »Ich spreche Deutsch und mein Mann
Türkisch. Mit den Kindern habe ich immer nur Deutsch
gesprochen. Die Aufteilung ist spontan so entstanden. So sind
die Kinder zweisprachig aufgewachsen.« Das liegt keinesfalls
daran, dass es ihr an türkischen Sprachkenntnissen mangeln
würde. Ganz bescheiden gibt sie zu: »Es fällt mir schwer, das
über mich zu sagen, aber ich glaube, ich spreche sehr gut
Türkisch.«
  Elisabeth beobachtet, dass bei der jungen Generation das
Deutsche sogar noch mehr gepflegt wird als zu ihrer Zeit.
»Und jetzt haben wir einen Enkel in Ankara, und der wächst
auch zweisprachig auf. Ich und mein Sohn, wir sprechen mit
ihm Deutsch. Und seltsamerweise auch der türkische
Großvater«, sagt sie mit einem kaum wahrnehmbaren
Schmunzeln. »Nur die Mutter spricht mit ihm Türkisch. Er ist
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  • 2. Birgit Schmalmack Türkischer Honig auf Schwarzbrot Bikulturelle Liebesgeschichten Brandes & Apsel
  • 3. 1. Auflage 2007 © Brandes & Apsel Verlag GmbH, Frankfurt a. M. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, Mikroverfilmung, Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen oder optischen Systemen, der öffentlichen Wiedergabe durch Hörfunk-, Fernsehsendungen und Multimedia sowie der Bereithaltung in einer Online-Datenbank oder im Internet zur Nutzung durch Dritte. Lektorat: Josefine Schubert, Brandes & Apsel Verlag GmbH, Frankfurt a. M. DTP und Umschlagsidee und -gestaltung: Antje Tauchmann, Frankfurt a. M. Druck: Impress, d.d. Ljubljana, Printed in Slovenia Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-86099-725-3
  • 4. Können Ehen zwischen Türken und Deutschen gut gehen? Was machen diese Paare anders? Wie gestalten sie ihren Beziehungsalltag? Welche Rolle spielt »die« andere Kultur des Partners? Wie wachsen Kinder in deutsch-türkischen Familien auf? Diese und noch viele andere Fragen stellte die Autorin deutsch-türkischen Paaren. Ihre Liebesgeschichten sind etwas Besonderes. Sie erzählen vom Alltag, aber auch den Besonderheiten bikultureller Beziehungen und davon, wie die Partner aus verschiedenen Kulturen ihre Konflikte meistern. Es sind persönliche Lebensgeschichten, die den Blick für den einzelnen Menschen in der multikulturellen Gesellschaft schärfen. Die Autorin: Birgit Schmalmack, geboren 1963, Ausbildung zur Verlagskauffrau, Studium der Fächer Deutsch, Mathematik und Pädagogik. Sie arbeitet als Lehrerin und freie Journalistin und wohnt in Hamburg. Sie lebt selbst seit zwölf Jahren in einer Partnerschaft mit einem türkischstämmigen Deutschen.
  • 5. Vorwort Der Situation des Verliebens wohnt ein besonderer Zauber inne: Die plötzlichen Gefühls- und Hormonüberschüsse sorgen dafür, dass das Gegenüber als eine ganz einzigartige, unvergleichliche Persönlichkeit wahrgenommen wird. In diesem Moment spielen Schubladen keine Rolle mehr. Klischeevorstellungen werden unwichtig. Nur das Einzelwesen zählt. Diese Phase des Verliebens weitet den Blick, macht unempfänglich für normative, gesellschaftliche Grenzziehungen und ist damit der Anfang eines wahren Verstehens des anderen. Vielleicht könnte sich die Gesellschaft bei ihrer Diskussion um die Integrationsfähigkeit bestimmter Migrantengruppen von dieser Haltung ein wenig bedienen. Erst wenn der Mensch nicht mehr nur als Vertreter einer nationalen Gruppe sondern auch als Einzelperson gesehen werden kann, können vorschnelle Pauschalierungen vermieden werden. Ich durfte zu Gast sein in den Küchen und Wohnzimmern von 42 deutschtürkischen Paaren. Sie haben mir freimütig von den schwierigen und schönen Seiten ihrer Beziehung erzählt. Vertreten sind alle Altersstufen und Bildungsgrade. Unter ihnen befinden sich sowohl der Hafenarbeiter, der Psychiater, die Künstlerin als auch die Fließbandarbeiterin. Ihre ganz persönlichen Lebensgeschichten sollen dazu anregen, wieder den Blick für den einzelnen Menschen zu entwickeln und somit auch gesamtgesellschaftliche Probleme sensibler betrachten und besser verstehen zu können. Ich selbst lebe seit elf Jahren in einer Partnerschaft mit einem in Deutschland geborenen Türken, der mittlerweile rein
  • 6. statistisch gesehen nicht mehr zu ihnen zählt: Seit 2001 ist er deutscher Staatsbürger. Vielleicht steuerte mich also auch die persönliche Neugier, als ich immer größere Lust bekam, Geschichten von deutsch-türkischen Paaren in Deutschland zu erzählen. Doch eventuell war es auch einfach der zunehmende Unmut darüber, dass im Moment nur von solchen zu lesen ist, die im Drama enden. Doch wenn von Fehlentwicklungen zu berichten ist, dann gehören zu einer ausgewogenen Berichterstattung auch Geschichten von Paaren, die ihre eventuellen Schwierigkeiten überwunden haben. Wo abschreckende Beispiele zur Geltung kommen, sollten die Vorbilder auch Gelegenheit dazu haben. Zahlenmaterial zu binationalen Ehen Laut Statistischem Bundesamt hatte bei 16,5 Prozent der 396.000 Paare, die sich 2004 das Jawort gaben, einer der Ehepartner nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Das war jede sechste Ehe. Jedes vierte Kind hatte mindestens einen ausländischen Elternteil. Diese Zahlen werden in Zukunft sicher noch steigen. In Großstädten liegen sie schon jetzt wesentlich höher. So war in Berlin laut Pressemitteilung des Berliner Senats vom 13.4.2005 jede vierte Ehe interethnisch und hatten 40 Prozent aller Kinder einen Migrationshintergrund. Die Art der Beziehungen, die Menschen in Deutschland eingehen, wird sich also in Zukunft immer weiter ausdifferenzieren. Dieser Trend war in den vergangenen Jahrzehnten auch bei der Bandbreite der Lebensformen zu beobachten. Immer mehr Paare verzichten auf den Trauschein und leben in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammen. Auch die Frage, ob sie zusammen Kinder bekommen wollen, stellen sie
  • 7. zur Diskussion. Und die Geburt eines Kindes hat nicht zwingend eine Heirat zur Folge. Eine Ehe oder Partnerschaft dauert nur noch solange, wie die Partner es wünschen. Eine lebenslange Lebensgemeinschaft ist zu einer bewussten Entscheidung füreinander geworden. Die Scheidungszahlen in Deutschland sprechen eine deutliche Sprache: Fast jede zweite Ehe wird geschieden (2003: 43 Prozent). In diesen Trend zur größeren Variationsbreite fügt sich die Wahl eines Partners aus einem anderen Kulturkreis ein. Die Lieblingspartner der Frauen sind dabei Männer aus der Türkei. Das Statistische Bundesamt teilte 2005 mit, dass 4.900 von ihnen einen Türken als Ehepartner wählten. Die Männer bevorzugten eher eine Partnerin aus Osteuropa. Eine Türkin nahmen nur knapp 1 800 der Männer zur Ehefrau. Das Statistische Bundesamt geht in seinem Mikrozensus von 2006 für das Jahr 2005 von circa 146.830 deutsch-türkischen Ehepaaren aus. Im Vorjahr gab es deren Zahl noch mit 129.000 Paaren an. Bei diesen Statistiken ist zu berücksichtigen, dass die Zahlen nur diejenigen erfassen, die noch über ihren ausländischen Pass verfügen. Eingebürgerte Ausländer fallen hier nicht mehr ins Gewicht. Da es aber alleine im Jahre 2005 140.731 Einbürgerungen gegeben hat, sagen die Zahlen alleine wenig aus. Denn die größte Gruppe unter den Eingebürgerten waren mit 39 Prozent Personen türkischer Herkunft. Mittlerweile besitzt jeder dritte Türkischstämmige einen deutschen Pass und ihre Zahl hat sich bis Ende 2004 auf 840.000 erhöht. So fallen Staatsangehörigkeit und Herkunft zunehmend auseinander. Die Zahl der Ehen, in denen die Partner dieselbe Herkunft aber unterschiedliche Pässe haben, steigt stetig an. Genauso wie die Zahl der Paare, bei denen beide Partner dieselbe Staatsangehörigkeit besitzen, aber unterschiedlicher Herkunft sind.
  • 8. Bei den Scheidungen entfielen im Jahr 2005 12,4 Prozent aller Trennungen in Deutschland auf solche, bei denen mindestens einer der Ehepartner eine ausländische Staatsbürgerschaft hatte. Dagegen lag der Prozentsatz aller Eheschließungen mit Auslandsberührung im Jahr 2004 bei 16,5 Prozent. Unter ihnen ist die Zahl der Scheidungen bei deutsch- türkischen Ehepaaren laut Statistischen Bundesamtes am bedeutsamsten: Die Anzahl der Scheidungen lag 2003 in dieser Gruppe bei etwa 3.390. Demgegenüber gaben sich im Jahr 2000 5.784 deutsch-türkische Ehepartner das Jawort. In einer Stadtbeobachtung aktuell wurde exemplarisch für die Stadt Wiesbaden im Zeitraum 2002-2004 die so genannte Einheiratsquote untersucht. Es wurde herausgefunden, dass nur 16 Prozent der türkischen Migranten in Deutschland eine Ehe mit einem Deutschen eingehen. Damit lagen sie unter dem durchschnittlichen Wert aller in die deutsche Gesellschaft einheiratenden Migranten von 28 Prozent. Meist wird das als Abschottung interpretiert. Doch die Gründe können vielfältiger sein. Bei 1,8 Millionen Türken in Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit, einen geeigneten Ehepartner der eigenen Herkunft zu finden, viel größer als bei anderen Nationalitäten. Die Konzentration auf bestimmte Wohngebiete erhöht die Wahrscheinlichkeit der Kontaktaufnahme um ein weiteres. Ein weiterer Gesichtspunkt ist der rechtliche Status der türkischen Bevölkerung: Anders als Italiener, Griechen oder Spanier sind sie keine EU-Bürger. Ihre Freizügigkeit und rechtliche Absicherung ist stark eingeschränkt. So stellt für ihre Familien die Heirat eines noch in der Türkei Lebenden auch eine Möglichkeit zur Einreise nach Deutschland dar. Es ist zu vermuten, dass mit der Schaffung anderer Einwanderungswege für die Türken eine Vielzahl der viel geschmähten arrangierten Ehen zu verhindern wäre.
  • 9. Die tatsächliche Zahl der türkisch-türkischen Ehen kann nur geschätzt werden. Sie ergibt sich einerseits aus den Eheschließungen in deutschen Standesämtern (1996: 917, 2003: 1.534), in türkischen Konsulaten in Deutschland (1996: 4.920) und den Eheschließungen in der Türkei. Über die ungefähre Anzahl letzterer kann die Zahl der Ehegattennachzüge zu den in Deutschland lebenden Ehepartnern eine Vorstellung geben. Laut Auswärtigem Amt gab es 1996 17.662 Nachzüge. Somit käme man für das Jahr 1996 auf 2.3499 türkisch-türkische Eheschließungen. Im selben Jahr wurden in Deutschland 4.657 deutsch-türkische Ehen geschlossen. Das wäre ein Anteil von 16,5 Prozent aller Ehen mit Beteiligung von türkischen Staatsangehörigen (vgl. Straßburger, in: Migration und Bevölkerung, 1999). Die Anzahl der Anträge auf Ehegattennachzüge nimmt stetig ab: Sie sanken bis 2003 auf 10.614 und 2004 nochmals auf 8.360. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich auch auf diesen Bereich die Zahl der Einbürgerungen ausgewirkt haben könnte. 2003 gab es daneben 7.158 und 2004 6.443 Ehegattennachzüge zu deutschen Ehegatten. Je nach Perspektive mögen sie nun die Zahl der deutsch-türkischen oder der türkisch-türkischen Ehen vergrößern. Die Scheidungsquote der türkisch-türkischen Ehepaare bleibt gänzlich spekulativ. In Deutschland werden nur die Ehescheidungen erfasst, die vor deutschen Gerichten beschlossen werden. Das waren im Jahre 2003 2.657 Fälle. Dass aber 1996 nur 917 und auch 2002 nur 1.482 türkisch- türkische Ehen vor deutschen Ämtern geschlossen wurden, macht wieder einmal die Schwierigkeiten der statistischen Erhebungen bezüglich transnationaler Heiratsdaten deutlich. Türkisch-türkische Ehepaare hatten 1997 44.197 Kinder, während im selben Jahr aus deutsch-türkischen Ehen 6.880 Kinder hervorgingen. Laut Mikrozensus im März 2004 hatten
  • 10. also 91.000 der damals 129.000 Paare Kinder. Daraus folgt, dass auch deutsch-türkische Paare sich nicht immer für Kinder entscheiden. 20 Prozent der Ehen zwischen einem deutschen Mann und einer türkischen Frau blieben kinderlos. Bei den Ehen zwischen einer deutschen Frau und einem türkischen Mann waren es sogar 35 Prozent. Situation der türkischen Migranten 1961 wurde der Gastarbeiteranwerbevertrag mit der Türkei geschlossen. Ab diesem Zeitpunkt kamen auch Türken als so genannte »Gastarbeiter« nach Deutschland, um den Arbeitskräftemangel der deutschen Industrie zu stillen. Was zunächst als kurzfristige Aktion geplant war, weitete sich im Laufe der nächsten Jahre aus. War zuerst noch daran gedacht worden, die Arbeiter rotieren zu lassen und alle ein bis zwei Jahre neue Kräfte aus der Türkei zu holen, so erwies sich dieses Vorhaben für die Unternehmen bald als ineffektiv. Die gerade gut eingearbeiteten Arbeitskräfte sollte man wieder gehen lassen? Sie blieben also. Damit waren ihnen auf längere Sicht die provisorischen Wohn- und Lebensverhältnisse in den Sammelunterkünften nicht mehr zu zumuten. Also gestattete man ihnen, nach und nach ihre Familienangehörigen nachzuholen, Wohnungen anzumieten, eigene Geschäfte zu eröffnen und ihren Aufenthaltstatus allmählich zu verfestigen. 1971 zeigte das deutsche Wirtschaftwachstum mit der Erdölkrise eine Abschwächung. Die Bundesregierung erließ 1973 den Anwerbestopp für neue Gastarbeiter. Doch statt einer Reduzierung hatte das zunächst einen Anstieg der ausländischen Wohnbevölkerung zur Folge. Während 1965 132.800 und 1970 469.200 Türken in Deutschland wohnten, waren es 1975 bereits 1.077.100 und 1980 1.462.000. Denn
  • 11. nach dem Anwerbestopp mussten sich die Familien für einen Wohnort entscheiden. Ein Pendeln zwischen ihrem ehemaligen Heimatland und Deutschland war nun nicht mehr möglich. Demgegenüber wirkte sich das Angebot der Bundesregierung auf Zahlungen für rückkehrwillige Türken aus: Bis Mitte 1984 verließen rund 250.000 Ausländer – hauptsächlich Türken – die Bundesrepublik. Das Gesetz gewährte ihnen Rückkehrhilfen von bis zu 10.500 D-Mark pro Erwachsenem und 1.500 D-Mark pro Kind. In der Türkei hatten sich in dieser Zeit die Lebensbedingungen eher verschlechtert. Die Folgen der Öl- und der Zypernkrise schwächten den Anfang der siebziger Jahre einsetzenden Aufschwung stark ab. Die politische Lage wurde immer instabiler. Ende der siebziger Jahre kam es in der Türkei zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen der linken und rechten Kräfte. Sie führten schließlich 1980 zum Putsch des Militärs. In dieser unsicheren Situation erschien den türkischen Familien eine Rückkehr in die Türkei verständlicherweise als wenig ratsam. Unter diesen Verhältnissen war an eine wirtschaftliche Verbesserung in ihrem Heimatland kaum zu denken. Also machten sie von ihrem Recht auf Familienzusammenführung ab 1974 verstärkt Gebrauch. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit in den achtziger Jahren verschlechterte die Stimmung der deutschen Bevölkerung gegenüber den Einwanderern. Die Vermutung, dass sie ihnen die rareren Arbeitsplätze wegnehmen würden, malte Sprüche wie »Türken raus« an die Wände der Großstädte. Der Bedarf der Arbeitsmigranten, die sich für einen Verbleib in Deutschland entschieden hatten, nach größerem und bezahlbarem Wohnraum stieg mit dem verstärkten Familiennachzug ständig. Sie zogen meist in wenig attraktive Gegenden, die bald als Stadtteile angesehen wurden, in denen
  • 12. sich die Probleme ballten und aus denen die, die es sich leisten konnten, schnell wieder auszogen. Die Separierung, die sich hier faktisch vollzog, lässt das heutige Beklagen der Entstehung von »Parallelgesellschaften« als durchaus vorhersehbar erscheinen. Den Migranten blieben wenig Alternativen. Als Mieter waren sie in den besseren Gegenden häufig unerwünscht. So versuchten sie, die Vorteile der türkisch geprägten Infrastruktur ihres Stadtteils zu sehen, die ihnen die Organisation ihres Alltags in der ungewohnten Umgebung erleichterte. Das hatte aber auch zur Folge, dass man in Berlin- Kreuzberg, in Hamburg-Wilhelmsburg oder Köln-Mülheim weitgehend ohne deutsche Sprachkenntnisse zurechtkommen konnte. Sprachkurse für Neuankömmlinge anzubieten oder sogar zur Pflicht zu erklären, ist erst 2004 verschärft in die gesellschaftliche Diskussion eingebracht worden. Durch etwas unterschieden sich die türkischen Familien von denen ihrer Arbeitskollegen aus den anderen Anwerbeländer wie Italien, Griechenland und Spanien: durch die Religion. Letztere waren in der Mehrzahl Katholiken und fanden sich somit in deutscher Gesellschaft mit ihren christlichen religiösen Wurzeln wieder. Doch den Türken fehlten religiöse Rückzugsmöglichkeiten. Als Muslime mussten sie in Deutschland auf Versammlungsmöglichkeiten in Moscheen verzichten. Da der Islam in Deutschland nicht als Kirche anerkannt wird, weil eine für alle Muslime sprechende Vertretungsorganisation fehlt, mussten sie sich als Kulturvereine eintragen lassen, um eigene Räume anmieten zu können. Die Türkisch islamische Union der Anstalt für Religion e. V. (DITIB) ist seit ihrer Gründung 1984 der Dachverband für 870 der Moscheevereine in Deutschland. DITIB untersteht wiederum dem Amt für Religionsfragen in Ankara.
  • 13. Auch heute sind die Moscheen häufig in schlichten Gewerbegebieten untergebracht. Projekte zum Bau von sichtbaren Moscheen führten in der Vergangenheit oft zu starken Protesten der deutschen Anwohner. In den achtziger Jahren erkannte die deutsche Gesellschaft allmählich, dass die Einwanderung von mittlerweile 1,5 Millionen Türken Konsequenzen nach sich ziehen musste, an die sie bisher kaum gedacht hatte. Statt Arbeitskräfte waren nicht nur Menschen gekommen, wie Max Frisch ganz richtig bemerkte, sondern ganze Familien. Diese »Gastarbeiterfamilien« waren zu Einwandererfamilien geworden – auch wenn Helmut Kohl 1991 in seiner Regierungserklärung immer noch behaupten sollte, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei. Die Kinder dieser Migranten verlangten nach angemessenen Bildungsmöglichkeiten. Lange Zeit blieben die Versuche dazu aber Stückwerk, abzulesen an der hohen Anzahl der ausländischen Kinder, die auf eine Sonderschule gingen oder die Schule ohne Abschluss verließen. Man hoffte auf die nächste Generation. Sie würde in Deutschland die Schule durchlaufen haben und sich einfacher integrieren lassen. Doch gerade das dreigliedrige Schulsystem mit der frühen Einsortierung in die drei weiterführenden Schularten und die Betreuung in einer Halbtagsschule war hierfür nur sehr bedingt geeignet. Die PISA-Studie hat dem deutschen Schulsystem bescheinigt, dass der Schulerfolg der Kinder immer noch zu einem ungewöhnlich hohen Prozentsatz von der Herkunft ihrer Eltern abhängt. In der PISA-E-Studie von 2005 wurden folgende Ergebnisse ermittelt: Kinder deutscher Eltern landen zu 23,6 Prozent, Kinder türkischer Eltern zu 56,6 Prozent auf der Hauptschule. Dagegen gehen nur 10,2 Prozent von ihnen auf ein Gymnasium, während dorthin 32,5 Prozent aller Kinder aus deutschen Familien
  • 14. kommen. Außerdem erreichen Kinder aus bildungsfernen Schichten mit höherer Wahrscheinlichkeit einen minder qualifizierenden Bildungsabschluss. Demnach haben es Kinder aus ehemaligen »Gastarbeiterfamilien« besonders schwer. Viele ihrer Elternteile haben in ihrem Heimatland kaum Schulbildung genossen und sollten nun in einem fremden Land ohne Sprachkenntnisse ihren Kindern den Weg weisen. Auch wenn die Schulabbrecherquote der ausländischen Kinder seit dem ersten Jahr der Erfassung 1992 von damals 26 Prozent zurückgegangen ist, stagniert sie in den letzten Jahren auf hohem Niveau: Sie betrug im Schuljahr 1996 wie auch 2003/2004 laut Statischem Bundesamt immer noch 17 Prozent. Bei deutschen Schülern lag sie dagegen bei 8,3 Prozent. Im selben Zeitraum erreichten die türkischen Schüler zu 40 Prozent den Hauptschulabschluss, zu 30 Prozent die mittlere Reife. Die Anzahl derjenigen, die die Berechtigung zu einem Hochschulstudium erwarben, stieg auf 11 Prozent. Im Wintersemester 2004/2005 studierten 22.500 türkische Staatsangehörige in Deutschland, davon 16.000 so genannte Bildungsinländer. In diesem Zusammenhang sind die neuesten Zahlen des Bundesinstitutes für Berufsbildung vom 23.11.2005 ebenfalls interessant: Nur 29 Prozent aller Ausbildungssuchenden mit Migrationshintergrund fanden eine Lehrstelle. Bei den deutschen Bewerbern waren es 40 Prozent. Die Ausbildungsquote der Jugendlichen mit einem ausländischen Pass fiel demnach seit Mitte der neunziger Jahre von 34 Prozent auf 25 Prozent im Jahre 2004. Unter den verschiedenen Einwanderergruppen in Deutschland haben Türken die längste Aufenthaltsdauer vorzuweisen. Ende 2003 lebten etwa drei Viertel (73,6 Prozent) der türkischen Bevölkerung länger als zehn Jahre in Deutschland, 20,6 Prozent sogar länger als 30 Jahre.
  • 15. Von den 1,8 Millionen in Deutschland lebenden Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit waren bis Ende 2003 fast 40 Prozent in Deutschland geboren. Sie gehören damit der zweiten oder sogar der dritten Generation an. Seit der Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes am 1.1.2000 hat sich die rechtliche Situation der in Deutschland geborenen Kinder verbessert: So erhalten die Kinder ausländischer Eltern, von denen wenigstens ein Elternteil mindestens acht Jahre rechtmäßig seinen Aufenthalt in Deutschland und eine Aufenthaltsberechtigung hat oder seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt, die deutsche Staatsangehörigkeit. Somit ist auch in Deutschland das »ius soli« eingeführt worden. In den Jahren 2002 und 2003 erhielten dadurch jeweils ungefähr 37.000 Kinder ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit mit der Geburt. Fragen an deutsch-türkische Paare Umfeld In einer Umfrage von 2002 lehnten 39 Prozent der Ostdeutschen und 28 Prozent der Westdeutschen Türken als Nachbarn ab. Von dieser Einstellung bleiben deutsch-türkische Paare sicher nicht unberührt. Fast jedes Paar sieht sich mit einigen Fragen konfrontiert, die von außen an es herangetragen werden. Denn die Umgebung spielt bei einer bikulturellen Beziehung eine fast ebenso große Rolle wie die Partner selbst. Sie fallen auf, sie sind anders als die vermeintliche Norm und stehen deshalb unter besonderer Beobachtung. »Ich als Schwarzkopf unterscheide mich schon rein äußerlich von den Deutschen. Meine Partnerin und ich ergeben ein schwarz-blondes Kontrastprogramm, das im Straßenbild
  • 16. auffällt«, berichtet ein türkischer Ehemann. »Wir müssen uns sowohl im türkischen Umfeld wie im deutschen immer erklären.« Man sollte annehmen, dass bei der hohen Prozentzahl binationaler Partnerschaften diese mittlerweile als Selbstverständlichkeit gesehen werden, doch die meisten Paare können immer noch von gegenteiligen Erfahrungen berichten. Bezogen auf die Mehrzahl der Paare sind sie schließlich nach wie vor eine Minderheit. So müssen sie im Gegensatz zu ihnen ihre Wahl begründen. Im Erklären und Rechtfertigen haben die türkischstämmigen Partner meist schon viel Erfahrung. Für die deutschen ist das eher ungewohnt. Plötzlich werden auch sie gerne für Auskünfte über islamische und türkische Traditionen herangezogen. Denn in den Köpfen ihrer Zeitgenossen schwirren viele Fragen, Klischees und Vorurteile, für die sie jetzt als Adressat geeignet scheinen. Die an sie herangetragenen Fragen berühren viele verschiedene Themengebiete. Familie Die Wünsche der beiden Familien an ihre Sprösslinge sind meist schnell ein Thema. Die Partner müssen sich mit ihnen auseinander setzen. Die meisten Eltern, ob deutsch oder türkisch, haben gewisse Vorstellungen über die zukünftigen Schwiegersöhne oder -töchter, die ihren Familienkreis erweitern sollen. Sie kommen häufig erst explizit zur Sprache, wenn der Wunschpartner des Kindes nicht ganz ihren Erwartungen entspricht. Bei einem Partner aus einem anderen Kulturkreis ist dies meist der Fall. Kann eine Ehe zwischen Türken und Deutschen überhaupt gut gehen? Wird sie nicht zwangsläufig zur Scheidung führen, da die Vorstellungen und Prägungen der Partner zu
  • 17. unterschiedlich sind? Wird sich der deutsche Partner in die türkische Familienkultur eingliedern wollen, oder wird er nicht ein Fremdkörper bleiben? Ist der türkische Partner nicht allzu geprägt vom Aufwachsen in einer patriarchalen Gesellschaft, als dass er die gleichberechtigte Rollenaufteilung zwischen den Geschlechtern akzeptieren kann? Unkenntnis und Vorurteile bestimmen oft die Bedenken der jeweils anderen Familie. Laut einer Untersuchung von Mehrländer, Ascheberg und Uelzhöffer (1996) erklärten sich 1995 über die Hälfte aller türkischen Eltern mit der Heirat ihrer Kinder mit einem deutschen Ehepartner einverstanden. 1985 lag die Zustimmungsquote noch bei etwas über 30 Prozent. Auffällig ist in ihren Ergebnissen, dass die Wahrscheinlichkeit, einen deutschen Ehepartner zu heiraten, zwischen den Generationen sehr unterschiedlich hoch eingeschätzt wird. Gerade bei türkischen Familien ist der Unterschied zwischen Kindern und Eltern bei der Zustimmung zum Statement »auf jeden Fall ist der Ehepartner ein/e Deutsche/r« sehr hoch und liegt bei über 30 Prozent: Nur 4 Prozent der Eltern, aber 35 Prozent der Kinder gingen von dieser Partnerwahl aus. So kann die Überraschung groß sein, wenn der neue Partner präsentiert wird. Für die türkischen Eltern genauso wie für die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Mit dieser eventuellen Skepsis und Ablehnung müssen sich die meisten Paare auseinander setzen – und das häufig zu einem frühen Zeitpunkt ihrer Beziehung, in der sie noch kaum gefestigt ist. Religion Nicht erst seit dem 11. September 2001 hat der Islam im Westen einen schlechten Ruf. Die Stichworte, die in Deutschland oft noch im selben Atemzug fallen, sind negativ geprägt. Frauenunterdrückung, Scharia, Rückständigkeit,
  • 18. islamischer Terrorismus, Parallelgesellschaft, Ehrenmorde sind nur einige von ihnen. Großen Raum bei den Sorgen, die sich die Umwelt um deutsch-türkische Paare macht, nimmt also das Thema Religion ein. Bei ihnen geht man von christlich-islamischen Paaren aus und vermutet Konflikte. Wird der andersgläubige Partner nicht die Religionsausübung seines Partners behindern, beeinflussen oder sogar unterdrücken? Ist es nicht moslemischen Frauen sogar verboten, einen christlichen Ehemann zu nehmen, da man davon ausgeht, dass er über ihre Religion und die der Kinder bestimmen wird? Werden die Partner sich auf gemeinsame Werte einigen können? Nach welchen Traditionen und Einstellungen werden sie bei der Erziehung ihrer Kinder verfahren? Können Familienfeste, die ja in der Regel auf religiösen Wurzeln fußen, noch gemeinsam begangen werden? Werden die unterschiedlichen religiösen Vorstellungen nicht zu unüberwindbaren Problemen führen, die vielleicht über die Kinder ausgetragen werden? Eine Vielzahl von möglichen Komplikationen wird dem Paar meist in Aussicht gestellt. Kultur »Die deutsche und die türkische Kultur passen einfach nicht zusammen!« Mit diesem Statement sehen sich viele Paare konfrontiert. Auf der einen Seite stehe eine Gesellschaft von egoistischen Individualisten, die ihre Eltern bei Bedarf einfach ins Heim abschieben würden, und auf der anderen Seite eine Gesellschaft aus sich gegenseitig kontrollierenden Familienclans, lauten die gängigen, gegenseitigen Vorurteile. Können Partnerschaften zwischen Personen aus diesen beiden Kreisen überhaupt Bestand haben? Sind ihre Prägungen und Erwartungen nicht viel zu unterschiedlich?
  • 19. Doch ist die Wirklichkeit nicht differenzierter? Ist Kultur nicht eher ein fließender Entwicklungsprozess statt eine statische Festlegung? Ist sie nicht als Sammelbad für die Regeln, Strukturen, Traditionen und Weltsichten einer Ethnie einer ständigen Entwicklung unterworfen? Gilt das nicht für jede Volksgruppe, speziell in einer globalisierten Welt und im besonderen Maß für ein Leben in der Migration? Somit ist der Abstimmungsbedarf zwischen Partnern in einer Beziehung wahrscheinlich selten nur durch kulturelle Unterschiede geprägt; eine ebenso große Rolle spielen vielleicht die Generationsunterschiede und der Bildungsgrad. Ist es eventuell einfach oft bequemer, die Differenzen deutsch- türkischer Paare an Kultur und Religion fest zu machen? Sprache Wenn die Paare in Deutschland leben, ist ihre Familiensprache fast immer Deutsch. Der türkischstämmige Partner muss also auf seine Muttersprache verzichten. Zieht das nicht eine Einschränkung auf der Verständigungsebene nach sich? Ist eine gemeinsame Sprache, in der sich beide Partner gleich wohl fühlen, für eine gelungene Kommunikation nicht unerlässlich? Das gilt natürlich in besonderem Maß für Partner aus der ersten Generation. Am Anfang ist das Wörterbuch wohl das ständige Accessoire vieler Paare. Die Hochphasen der Verliebtheit mögen solche kleinen Widrigkeiten noch unwichtig erscheinen lassen. Doch sieht das später im Alltag nicht ganz anders aus? Bei Partnern aus der zweiten Generation, die ihre Kindheit und Schulausbildung in Deutschland verbracht haben, sind kaum praktische Schwierigkeiten in der Verständigung zu erwarten. Doch mit der Sprache ist auch eine emotionale Ebene verbunden. Transportiert sie nicht außerdem in besonderer Weise Kultur? Werden die türkischstämmigen
  • 20. Partner nicht eine Ebene in ihrer Beziehung mit einem deutschen Partner vermissen? »Auf Türkisch lässt sich manches viel besser ausdrücken. Mit anderen Türken wechsele ich gerne in meine Muttersprache, wenn ich etwas Emotionales besprechen möchte. Da passt das Deutsche nicht so gut«, berichtet eine türkischstämmige Frau. Wird sie also diese Emotionalität mit ihrem deutschen Partner in der Form, die ihr am liebsten ist, nicht austauschen können? Kinder Und was wird mit den Kindern werden? Werden sie zweisprachig erzogen werden? Droht so nicht die Gefahr, dass sie beide Sprachen nur halb beherrschen? Wird sich der deutsche Partner nicht aus dem Gespräch ausgeschlossen fühlen, das der türkischsprachige Elternteil mit den Kindern führt? Wie wird die Kommunikation mit den türkischen Schwieger- und Großeltern stattfinden? Wird dieser Austausch auf Oberflächlichkeiten beschränkt bleiben müssen, weil die gemeinsame Sprache fehlt? Diesen Kindern wird durch ihre Eltern und deren Familien eine große Variationsbreite an Lebensmöglichkeiten gezeigt. Werden diese Kinder sich nicht letztendlich hin und her gerissen und heimatlos fühlen? Werden sie überhaupt eine gesunde Identität entwickeln können? Interviewte Paare Ich habe mit insgesamt 42 Paaren Gespräche geführt. Die meisten von ihnen verfügen über eine langjährige Erfahrung in Bezug auf deutsch-türkische Partnerschaften: Immerhin sind 15 von ihnen länger als 20 Jahre zusammen, 13 länger als zehn Jahre und nur zwei der Paare blicken auf weniger als vier Jahre Beziehungserfahrung zurück.
  • 21. Unter den Paaren entsprach die Geschlechterverteilung der der bundesdeutschen Zahlen: Die Männer türkischer Herkunft, die mit deutschen Frauen in einer Partnerschaft lebten, waren in der Mehrzahl – 26 Männer gegenüber 16 Frauen. Allerdings war das Verhältnis unter den jüngeren Paaren umgedreht: Unter ihnen gab es nur noch drei türkischstämmige Männer gegenüber 16 türkischstämmigen Frauen. Immer wenn zwei Menschen sich wirklich intensiv begegnen wollen, müssen sie kommunizieren, sich aufeinander einlassen, den anderen in seinen Besonderheiten kennen und verstehen lernen. Letztendlich gilt das natürlich auch für jedes monokulturelle Paar. Doch während deutsch-deutsche oder türkischtürkische Paare meistens davon ausgehen mögen, dass sie gewisse Grundüberstimmungen voraussetzen können, sind sich bikulturelle Paare von vornherein dessen bewusst, dass sie viel reden und erklären müssen. Doch wie diese Paare beweisen, muss sich das Wissen um die Notwendigkeit von wahrhaftiger Kommunikation nicht als Nachteil herausstellen. Alle Paare in einem Porträt vorzustellen, hätte den Rahmen dieses Buches gesprengt. Um sie trotzdem alle zu Wort kommen zu lassen, habe ich ihre Erfahrungen im Schlussteil versucht zusammen zu stellen. Die persönlichen Daten der Paare wurden bis auf zwei (Aydan Özoguz und Michael Neumann, Stella und Ömer Özdil, die auf dem Titelbild zu sehen sind) anonymisiert: Ihre Namen wurden geändert und ihre Altersangaben zum Teil verschleiert. Mancher wird vielleicht die Berichte über gescheiterte Beziehungen vermissen. Doch dieses Buch soll gerade von den Paaren berichten, die ihr Beziehungsprojekt erfolgreich gestalten konnten. Es will sich den Fragen und Antworten widmen, die sie in ihrem privaten kulturellen Dialog gefunden haben. Vielleicht können sie Anregungen für den gesamtgesellschaftlichen Dialog geben, der in Deutschland
  • 22. noch intensiviert werden muss. Dieses Buch ist somit eher als Ergänzung zu den Berichten von gescheiterten Beziehungen zu verstehen, die naturgemäß schnellere Verbreitung finden als die, die von gelungenen Verbindungen erzählen.
  • 23. I Interviewpartner der ersten Generation Die erste Einwanderergeneration hat sich häufig im Zuge der Gastarbeiteranwerbung ab 1961 nach Deutschland aufgemacht. Zu über 80 Prozent handelte es sich dabei um junge Männer, da sie für die Wirtschaft am interessantesten erschienen. Weniger bekannt ist, dass auch zu circa 19 Prozent Frauen nach Deutschland gekommen sind, um hier hauptsächlich in den Fabriken, die auf kleinteilige Handarbeit angewiesen waren, Geld zu verdienen. Wie die Männer, haben sie sich meist eigenständig aufgemacht, um hier für sich und ihre Familie Geld zu verdienen und gleichzeitig ihre eigenen Zukunftschancen zu erhöhen. Für viele von ihnen war es ein bewusster Aufbruch in eine andere, unbekannte Welt. Viele sind nicht nur zum Arbeiten gekommen. Nicht wenige verbanden mit ihrem Zuzug nach Deutschland die Hoffnung auf mehr Bildung. Sie kamen vorrangig um zu studieren und arbeiteten nur nebenher, um ihre Lebenshaltungskosten zu decken. Gerade diese spezielle Gruppe der ersten Einwanderergeneration wollte Neues in Deutschland für sich entdecken und war somit besonders aufgeschlossen für Kontakte zu »Einheimischen«. Die interviewten Partner der ersten Generation spiegeln die verschiedenen Gruppen wieder: Eine der Frauen hat in einer Fabrik gearbeitet, eine zweite in einem Krankenhaus. Ein türkischer Ehepartner war als Erntehelfer tätig. Bei den übrigen, die in die Altersgruppe der 60- bis 70-Jährigen fallen, handelt es um eine Frau und zwei Männer, die als Unternehmer, für ein Auslandsjahr und als Medizinstudent
  • 24. nach Deutschland gekommen sind. Sie stammen aus eher privilegierten Schichten der Türkei. Eins der Paare lebt heute in der Türkei.
  • 25. Aus ihrer langjährigen Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen. Sie freuen sich schon auf ihr Rentenalter, das sie in ihrem Ferienhaus in der Türkei verbringen wollen. Er: Wir streiten uns nie. Und wenn es mal etwas lauter wird, sage ich einfach: So, gut ist jetzt! Dann gibt es ein Küsschen und alles ist wieder in Ordnung. Für mich hat diese Ehe nur Gutes gebracht DEUTSCHER SCHNAPSBRENNER, 57 & TÜRKISCHE FLIESSBANDARBEITERIN, 56 »Ich war in einer Destillation für Alkohol im Labor beschäftigt. In den Siebzigern wurden in der Firma viele Gastarbeiterinnen für die Arbeiten am Band angeheuert. 1971 kam dann auch meine jetzige Frau. Die Arbeiterinnen gingen zur Mittagspause immer an unserem Fenster vorbei. Wir Männer riskierten natürlich gerne mal den einen oder anderen Blick. Meine Frau fiel mir gleich auf. Sie war sehr hübsch. Ich versuchte Blickkontakt zu bekommen, doch das gelang mir immer nur für winzige Momente.« Karl erinnert sich noch ganz genau an den Anfang seiner Beziehung zu Meliha. Sie kann erklären, warum ihm die Kontaktaufnahme so schwer fiel: »Die anderen Türkinnen, mit denen ich zusammenarbeitete, passten sehr gut auf. Wir Jungen sollten uns auf keinen Fall mit den Deutschen einlassen.« Für soziale Kontrolle war also auch im fernen Deutschland gesorgt. Wohl zu Recht, wer konnte damals schon richtig einschätzen, was die deutschen Männer von den türkischen Frauen wollten. Da die Frauen alle zusammen im Wohnheim gegenüber der Firma
  • 26. untergebracht waren, war diese Gemeinschaft rund um die Uhr gegeben. Es wurde zusammen eingekauft, gekocht, gegessen und geschlafen. Fernseher und Radio gab es nicht. »Ich habe mich gefühlt wie im Gefängnis, ich wollte sofort wieder nach Hause. Ich habe nur geweint«, erinnert sich Meliha. Der Rat ihrer Tante hatte sie nach Deutschland gebracht. In der Türkei hatte Meliha in der Nähe von Izmir das Gymnasium besucht und das Abitur gemacht. Doch die Möglichkeit eines Studiums war aufgrund der finanziellen Beschränktheit der Familie nicht gegeben. So schlug ihre Tante, die als Zahnärztin in Hannover arbeitet, vor, sich für ein Arbeitsjahr in einer deutschen Fabrik zu verpflichten, Deutsch zu lernen und danach ein Studium in Hannover zu beginnen. Doch soweit kam es nicht. Die Liebe kam Meliha dazwischen. »Du hast meine Karriere verhindert«, meint sie halb scherzhaft, halb ernst zu ihrem Mann. Der entgegnet mit dem ihm eigenen, trockenen Humor: »Aber du bist eine tolle Hausfrau und Mutter geworden.« Die Einsamkeit, die Meliha seit ihrer Ankunft in Deutschland empfand, mag ein Katalysator für ihre Beziehung gewesen sein. Sie fühlte sich so allein in der Fabrik und dem Wohnheim, dass das Interesse dieses Mannes, der ihr so offen und hilfsbereit entgegentrat, einfach gut tat. Doch zunächst wurde Karl einer sorgsamen Prüfung unterzogen. Und zwar durch die Wohnheimbewohnerinnen. Nachdem er zahlreiche Versuche unternommen hatte, sich mit Meliha zu verabreden, wurde er endlich zu einem Kaffeetrinken ins Wohnheim eingeladen. »Das war eine Überraschung«, erzählt Karl. »So etwas kannte ich ja gar nicht. Alle Frauen bedienten mich. Sie reichten mir Kaffee oder Tee, ganz wie ich wollte. Sie hatten extra Teigrollen für mich zubereitet. Es war herrlich, so fürstlich bedient zu werden. War ich vorher schon von meiner hübschen Frau begeistert, so überzeugte mich diese
  • 27. Gastfreundlichkeit noch zusätzlich.« So positiv wie Karls Urteil fiel auch das der Frauen für ihn aus: »Sie fanden mich wohl auch sympathisch«, vermutet er. Da Karl schon damals ein Auto hatte, durfte er als nächstes Meliha für eine Urlaubsreise in die Türkei zum Flughafen bringen. »Ich erinnere mich noch: Sie saß hinter mir im Auto und zupfte mir ganz leicht in meinem Nacken am Haar. Da schöpfte ich Hoffnung: Vielleicht hatte sie also auch an mir Interesse.« Denn das zeigte sie ansonsten kaum. Sehr zurückhaltend sei sie damals gewesen. Verständlich nach den Warnungen der Frauen. Erschwerend kam sicherlich hinzu, dass die Orientierung in einem neuen Land mit seinen Regeln und Gepflogenheiten sehr schwer fällt, wenn man die Sprache nicht beherrscht. »Doch unsere Verständigung hat immer gut geklappt«, findet Karl. Zuerst half das Wörterbuch, dann lernte seine Frau einzelne Wörter und bald bildete sie schon Sätze. Er fand, sie lernte sehr schnell. Meliha fasste allmählich Vertrauen zu Karl. Seine Hartnäckigkeit hatte sich doch ausgezahlt: Endlich wagte sie, ihr Interesse zu zeigen. Doch was würden ihre Eltern dazu sagen? Der Zeitpunkt war gekommen, dass die beiden ihre Familien einweihen mussten. Bei seiner eigenen sah Karl keine Probleme. »Sie waren ganz offen. Sie hatten keinerlei Bedenken, dass eine Türkin nicht zu mir passen würde«, meint er. »Bei ihnen galt immer: Hauptsache du bist glücklich.« Bei Meliha hatten sie wohl keine Zweifel, dass Karl es werden würde. »Sie waren von Meliha gleich begeistert«, erinnert er sich noch. Doch bei ihrer Familie waren mehr Bedenken zu erwarten. Ganz geschickt holten sie zunächst die Zustimmung der Tante in Hannover ein. War diese erlangt, hofften sie, dass die Tante Melihas Vater positiv beeinflussen würde. So kam es auch. Die Telefondrähte glühten, denn der Vater war zunächst
  • 28. gar nicht begeistert. »Doch er hat ein weiches Herz«, weiß Meliha. So stimmte er zum Schluss doch zu. Einer Reise in die Türkei stand also nichts mehr im Weg. Zur Verstärkung nahm Karl seinen Bruder mit. »Und der hat sich doch tatsächlich gleich in Melihas Freundin verliebt, sie später geheiratet und mit nach Deutschland gebracht.« Ein gemeinsamer Lebensabend der Vier in der Türkei war schon geplant und vorbereitet. Doch es kam anders: Karl Bruder ist letztes Jahr überraschend an Krebs gestorben und seine Frau zu ihren Verwandten in die Türkei zurückgegangen. Die Aufnahme in Melihas Familie empfand Karl nach den geleisteten Vorarbeiten als sehr herzlich. Er fühlte sich sehr wohl und zeigte es auch. Die Eltern bekamen den Eindruck: Dieser Schwiegersohn wird unsere Tochter gut behandeln und gaben ihre endgültige Zustimmung. Ein halbes Jahr später war dann die Hochzeitsfeier in der Türkei. Drei Zeitungen waren vor Ort erschienen, um über dieses ungewöhnliche Ereignis zu berichten. Das Ehepaar zeigt eine gut bestückte Mappe mit vergilbten Zeitungsausschnitten. Immer noch ist sehr gut zu erkennen, was für ein schickes, flottes Paar die beiden damals abgegeben haben. Er selbst stand seiner Frau in Punkto Aussehen in nichts nach: Der stattliche Mann mit seinem gepflegten Riesenschnauzbart und den langen Koteletten machte eine gute Figur. Er fügte sich somit schon allein vom Äußeren wunderbar in die türkische Hochzeitsgesellschaft ein, deren männliche Vertreter ebenfalls alle schnauzbärtig waren. Zurück in Deutschland gestaltete sich das Eheleben der beiden unproblematisch. Sie arbeiteten zunächst gemeinsam im Labor. Aufgrund ihrer guten Vorbildung war Meliha befördert worden. Sie sprach Englisch und so klappte auch die fachliche Verständigung mit dem Chef. Am Wochenende besuchte man sich mit den türkischen Familien im nachbarschaftlichen Umfeld. Karl erinnert sich gerne an die
  • 29. geselligen Tage in großer Runde. »Wir haben immer wunderbares Essen auf dem Tisch gehabt.« An schwerwiegende Diskrepanzen können sich beide nicht erinnern. »Gestritten haben wir uns nie.« Seine Frau nickt: »Nie ernsthaften Streit.« Karl ergänzt: »Das war bei uns so: Nach einer Auseinandersetzung ist man kurz beleidigt, dann geht man wieder hin, spricht darüber und verträgt sich wieder.« Karl verrät sein Zauberwort: »Wenn es doch mal zu einem Streit gekommen ist, dann sag’ ich einfach: Jetzt ist aber gut!« Seine Frau beugt sich vor. In einem Punkt muss sie ihren Mann doch korrigieren: »Meist bin ich es, die den ersten Schritt macht. Uns Frauen fällt das einfach leichter. Ich nehme ihn in den Arm, küsse ihn und es ist wieder in Ordnung.« Dann kündigte sich das erste Kind an, und Meliha unterbrach ihre Arbeit. Sobald der zeitliche Freiraum mit dem Kleinen wieder etwas größer war, kam sie in Teilzeit zurück. Nach dem zweiten Kind gelang das allerdings nicht mehr. Die Getränkefirma war inzwischen Pleite gegangen. Ihr Mann hatte Arbeit in der Postdienststelle eines Krankenhauses gefunden, und Meliha ging zur Post. Als Briefesortiererin konnte sie ihre Schicht so legen, dass stets eine Betreuung der beiden Kinder gegeben war. Kam ihr Mann nach Hause, ging sie zur Arbeit und er kümmerte sich um die Kleinen. »Mein Mann hat immer viel mit ihnen gespielt, Hausaufgaben gemacht und gelernt. So haben sie auch so gut Deutsch gelernt.« Sie selbst hätte ihnen dabei weniger gut zur Seite stehen können, denn sie benutzt das Deutsche bis heute nur als Mittel der mündlichen Verständigung. Die Notwendigkeit, sich mit Grammatik und Schriftdeutsch zu beschäftigen, hat sich in ihrem Leben nicht ergeben. »Ich habe mit meinen Kindern Türkisch geredet. Meine Tochter kann es heute neben Deutsch perfekt. Mein Sohn hat leider vieles vergessen.« Wie auf ein Stichwort hört man einen
  • 30. Schlüssel in der Tür. Karl guckt verschmitzt auf: »Ich habe meinen Sohn gebeten heute kurz vorbeizukommen. Und er hat es gemacht«, freut er sich. Ein smarter Mann Anfang zwanzig kommt zur Tür herein. Er nimmt Platz und bestätigt den letzten Teil der Erzählung seiner Eltern. Als Kleinkind habe er mit seiner Mutter Türkisch gesprochen, aber es im Laufe seiner Jugend wieder verlernt. Heute bedauert er ein wenig, auf seine zweite Sprache verzichtet zu haben. »Aber Türkisch ist ja keine Weltsprache«, tröstet er sich. »Lange Zeit wusste ich nicht, wohin ich mich gezogen fühlte. Ich habe ja einen Doppelnamen. Da haben die Leute schon gefragt: ›Wo kommst du denn her?‹ Bin ich nun Deutscher, bin ich nun Türke? Letztendlich habe ich wohl beide Kulturen in mir.« Seine Mutter merkt scherzhaft an: »Du müsstest dich Hälfte, Hälfte durchschneiden!« Doch ihr Sohn hat für sich andere Prioritäten gesetzt: »Ich hatte eigentlich nur deutsche Freunde und ging auf eine deutsche Schule. Das Deutsche war mir einfach wichtiger. Ein paar Mal habe ich auf den jährlichen Türkeiurlaub mit der Familie verzichtet, und so verlor das Türkische für mich immer mehr an Bedeutung.« Er findet, dass sich seine Strategie ausgezahlt hat: Er arbeitet erfolgreich als Versicherungskaufmann und freut sich, in der deutschen Gesellschaft einen guten Platz gefunden zu haben. Die um ein paar Jahre ältere Tochter hat da eine andere Richtung eingeschlagen. »Sie ist mehr wie türkische Mädchen«, meint die Mutter. »Jungen gegenüber ist sie sehr zurückhaltend. Sie achtet immer auf ihre Kleider. Sie will, dass ihr Körper bedeckt bleibt, auch in der Türkei, wenn alle anderen im Bikini herumlaufen. Da sage ich schon mal zu ihr: Nun zieh dir mal was Schönes an, aber das will sie nicht.« In Deutschland ist die Tochter gerne zu Hause. Sie hilft ihrer Mutter freiwillig im Haushalt und häkelt und strickt mit ihr. »Das sage ich ihr nicht, das kommt von innen heraus«,
  • 31. versichert die Mutter. Abends gucken die beiden gerne zusammen türkisches Fernsehen. Ihr Bruder sagt über sie: »Im Gegensatz zu mir hat sie das Türkische weiter gepflegt. Sie liebt die Türkei mehr als ich. Für mich ist es nur ein Urlaubsland.« Auch der Vater bestätigt: »Sie hat viel von uns mitbekommen: Sie liebt das Türkische und die Türkei so wie meine Frau und ich.« So ist es wahrscheinlich kein Zufall, dass der Sohn eine deutsche Freundin und seine Schwester einen Verlobten in der Türkei hat. In Religionsfragen kamen die Ehepartner schnell auf einen gemeinsamen Nenner. »Religion, damit hatten wir gar kein Problem, und das, obwohl ich sogar katholisch bin. Für mich gibt es nur einen Gott«, meint Karl. »Genau«, bestätigt seine Frau. »Die Menschen teilen Gott, es gibt aber nur eine Kraft. Mitleid haben und Gefühle zeigen ist der richtige Glaube«, ist sie überzeugt. In diesem Geiste sei sie schon von ihren Eltern erzogen worden. Der Sohn bestätigt diese Haltung: »So haben das meine Eltern auch in meiner Erziehung gemacht. Sie haben mich gelassen, deswegen bin ich bis heute auch noch religionslos. Ich kenne mich mit den verschiedenen Religionen zu wenig aus, deswegen will ich mich da nicht festlegen. Ein Glaube ist dennoch wichtig, damit man etwas hat, wenn es einem schlecht geht. Ich glaube an mich und meine Leistung«, überlegt er. Mit einem Blick auf seinen Vater fügt er schnell hinzu: »Und an meine Familie.« Der letzte Satz verfehlt seine Wirkung nicht: »Ja, wir fühlen uns sehr verbunden«, bestätigt der Vater und lächelt zufrieden. Die Familie fährt jedes Jahr in die Türkei. Sie genießt den unbeschwerten Urlaub in dem noblen Ferienhaus der Tante aus Hannover. Bodrum ist für Karl der ideale Ferienort. Er liebt die Aussicht von der Terrasse auf das blaue Meer bei strahlendem Sonnenschein. Viele Videos und Fotos lassen immer wieder die schönen Urlaubserinnerungen aufleben, wenn man im
  • 32. weniger sonnigen Norddeutschland ist. Schnell sind zwei Fotosammlungen aus dem letzten Jahr zur Hand und belegen die Erzählungen. Doch neben den landschaftlichen Vorzügen freut sich der Ehemann auch an weiteren Annehmlichkeiten. Er liebt es, zum Friseur oder ins Hamam, ins türkische Bad, zu gehen. Stets ist er begeistert vom äußerst zuvorkommenden Service und dem herzlichen Umgang. Gerne geht er mit seiner Frau in einheimische, einfache Lokale und freut sich, wenn er dort als Türke angesehen wird. »Ich überlasse meiner Frau das Reden und nicke nur oder murmele eine Antwort. So werden wir beide wie Einheimische behandelt.« Wenn seine Schauspielerei dann doch durchschaut wird, wird die Reaktion noch freundlicher. »Wenn sie herausbekommen, dass ich Deutscher bin, dann sind sie noch netter und bedienen mich noch eifriger.« Dann geht es ihm genauso wie einem Urlaubsgast, den sie dort einmal kennen lernten. »Dieser sagte mir, er würde sich schämen, wenn er daran denkt, wie die Türken bei uns in Deutschland behandelt werden.« Karl freut sich schon auf die Zeit nach seiner Rente, wenn sie ihre Aufenthalte in der Türkei nach Lust und Laune ausdehnen können. Einiges hat sich für Meliha in Deutschland erfüllt: Sie hat einen Ehepartner gefunden, mit dem sie eine harmonische Ehe führt, und sie hat zwei Kinder zu »ordentlichen« Menschen erzogen. Eines konnte sie jedoch nicht erreichen: Ihre Wünsche nach mehr Bildung und beruflichem Erfolg blieben ein Traum. Doch sie tröstet sich damit, dass dieser Verlauf ihr Schicksal war. »Wir Türken glauben an die Vorsehung. Schon als meine Mutter schwanger war, ist mein Lebensweg vorgezeichnet worden.« Ihr Mann lässt seiner Fantasie unbeschwert freien Lauf: »Also hätten wir uns wahrscheinlich auch kennen gelernt, wenn du Zahnärztin geworden wärest. Ich
  • 33. wäre also z. B. zur Messe gefahren, hätte Zahnschmerzen bekommen und wäre zu dir gekommen«, malt er sich aus. Karl kann sich dagegen ganz uneingeschränkt über seine Ehe freuen: »Ohne Meliha hätte ich nie die Möglichkeit gehabt, die Türkei kennen zu lernen und dort wie ein Einheimischer im Ferienhaus leben und die kulinarischen Köstlichkeiten genießen zu dürfen. Das habe ich meiner Frau zu verdanken. Durch sie habe ich viel gelernt. Diese Herzlichkeit, diese Gastfreundschaft, diesen liebevollen Umgang habe ich durch sie kennen gelernt. Darüber freue ich mich und versuche dann auch, es in meinen Alltag einzubauen. So bekommt man doch immer wieder Anregungen, sich zu verändern.« Er nickt noch einmal bestätigend: »Ich habe durch meine Frau wirklich nur Gutes bekommen.«
  • 34. Sie trat mit 16 zum Islam über. Ihren türkischen Mann traf sie in Österreich. Ihre klaren Vorstellungen von der Aufgabenteilung in einer Ehe passten hervorragend zu seinen. Der erfolgreiche Selfmade-Mann: Die Türken haben ihre Chance in Deutschland verpasst. Jetzt kommen die Russlanddeutschen. Die Türken haben ihre Chance verpasst DEUTSCHE TURKOLOGIN, 63 & TÜRKISCHER GESCHÄFTSMANN, 67 Annemarie hatte schon früh eine klare Zielvorstellung für ihr Leben. Sie wurde in einer wohlhabenden Akademikerfamilie als Nesthäkchen und einzige Tochter geboren. Wohlbehütet wuchs sie auf, erzogen von ihrem dominanten Vater und umsorgt von ihrer Mutter. »Ich genoss die klaren Strukturen in ihrer Aufgabenteilung«, sagt die 63-Jährige heute. »Die wünschte ich mir auch für mein eigenes späteres Leben.« Die Regeln der christlichen Lehre, die ihr von ihren Eltern vermittelt wurden, waren ihr dagegen zu locker. »Ich suchte auch in diesem Bereich nach eindeutigeren Orientierungsmarken«, sagt sie. Im Islam fand das Mädchen die gesuchten Strukturen, die ihr hervorragend zu ihrem sonstigen Lebenskonzept zu passen schienen. Die ostpreußische Tochter trat mit 16 zum Islam über. »Die Geschichten aus tausendundeiner Nacht mögen meinen Hang zum Orientalischen noch unterstützt haben«, scherzt die gepflegte Frau mit den locker hochgesteckten, schwarzen Haaren. Folgerichtig begann sie nach dem Abitur, Turkologie
  • 35. zu studieren. »Damals ein Studiengang, der nie endete und keinen Abschluss anbot«, berichtet sie. »Für mich damit genau das Richtige: Ich wollte mich schließlich geisteswissenschaftlich bilden und keinen Beruf erlernen.« Darin stimmte sie völlig mit ihren Eltern überein. »Ich sollte genau wie meine Mutter eine gebildete Ehefrau und Mutter werden.« Das war der Wunsch ihrer Eltern und ihr eigener. Während ihres Studiums verbrachte Annemarie ein halbes Jahr in der Türkei. »Meine ganze Familie erwartete, dass ich mit einem türkischen Ehemann zurückkehren würde. Schließlich hatte ich oft genug erklärt, dass für mich kein Deutscher sondern nur ein Türke in Frage käme.« Doch wider Erwarten kam sie ohne diesbezügliche Neuigkeiten zurück. »Meine Eltern waren erleichtert. Die Gefahr, dass sie mich an die Türkei verlieren würden, schien gebannt.« Unerwartet bot sich die Gelegenheit dazu auf einem ganz anderen Terrain. »Mein Vater war ein kluger Mann. Als ich 27 war, erkannte er, dass die Zeiten sich geändert hatten. Mittlerweile sollte auch die Frau einen Berufsabschluss haben, denn nicht mehr alle Ehen hielten ein Leben lang.« Was kam für sie in Frage? »Eine Ausbildung zur Übersetzerin bot sich an. Ich konnte schließlich schon perfekt Türkisch sprechen.« Doch die wurde zu der Zeit nur in Österreich angeboten. Also machte sich Annemarie auf den Weg nach Graz. Am zweiten Tag nach ihrer Ankunft ging sie in die katholische Mensa zum Mittagessen. »In der Schlange hörte ich jemanden Türkisch reden. Da ich mir nicht ganz sicher war, in welchen Gerichten Schweinefleisch war, sprach ich den jungen Mann an.« Dem war dieser Gesichtspunkt beim Essen zwar völlig egal, aber er half der aparten, perfekt Türkisch sprechenden Frau gerne. So lernte Annemarie in Österreich ihren türkischen Ehemann kennen: Sayhan, den Doktorand im Fach Rechts- und Staatswissenschaften.
  • 36. Schnell stellte sich heraus, dass sie gut zusammenpassten. Auch Sayhan kam aus einem gutbürgerlichen Elternhaus, das sich zu den besseren Kreisen Ankaras zählen durfte. Auch er strebte eine klassische Aufgabenverteilung in der Familie an. Auch ihm war der Bildungsgrad seiner zukünftigen Frau sehr wichtig. »Trotz unseres unterschiedlichen Herkunftslandes gab es in unseren Familienstrukturen sehr viele Gemeinsamkeiten«, meint Annemarie. Sie wurden sich schnell einig. Nach dem Erlangen seiner Doktorwürde sollte geheiratet werden. Doch ein Punkt blieb vorläufig noch strittig. »Ich wollte unbedingt in der Türkei leben«, berichtet Annemarie mit einem Augenzwinkern. »Ich stellte es mir wunderbar vor, in einem großen Akademikerhaus in Ankara zu wohnen und mit der Großfamilie zusammen am gesellschaftlichen Leben dort teilzunehmen«, erklärt sie. Doch für Sayhan kam das nicht in Frage: »Ich wollte etwas erreichen, und zwar ohne meinen Vater. Ich wollte nicht auf dem aufbauen, was er schon geschaffen hatte, sondern ganz alleine meine Ziele verwirklichen«, erläutert der gewichtige Mann. Das hat er heute erreicht: Er ist ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann geworden, der es in Deutschland weit gebracht hat. »Mein Name steht in goldenen Lettern an einem historischen Kontorhaus direkt unter dem einer sehr berühmten deutschen Firma«, stellt er mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme fest. Seinen Erfolg genießt er heute in ihrer gemeinsamen, sehr luxuriös ausgestatteten Villa. Alle Wände im Herrenzimmer, in dem das Gespräch stattfindet, sind mit dunklem Holz verkleidet, das mit Intarsien verziert ist. Die Decke besteht ganz aus Glas. Neben der komfortablen Sitzgruppe aus braunem Leder nimmt der riesige Schreibtisch mit dem PC den größten Raum ein. Wenn Sayhan wegen seiner Rückenschmerzen nicht mehr sitzen kann, steht er immer mal wieder auf, geht zu seinem bequemeren Designer-
  • 37. Schreibtischsessel und zaubert mit ein paar routinierten Klicks aus dem PC die passenden Fotos zu seiner Erzählung hervor. Auch mit Mitte 60 findet dieser Mann den Ruhestand wenig erstrebenswert. Er will ständig auf dem Laufenden bleiben und so lange im Geschäftsleben mitmischen, wie er kann. Für seine Frau kein Problem. »Wir waren uns stets einig: Jeder von uns hat in seinem Aufgabenbereich seinen Freiraum.« Annemarie nutzt ihren mittlerweile, um wieder an die Uni zu gehen. Ihr Mann lächelt zufrieden: »Ich war sehr glücklich über unser Arrangement. Ich konnte so abgearbeitet sein, wie ich wollte; wenn ich zu dir nach Hause kam, konnte ich mich erholen. Unser gemeinsames Heim hast du für mich zu einem Hort der Geborgenheit gemacht«, findet er lobende Worte für seine Frau. Annemarie bestätigt: »Für mich war es ebenfalls perfekt: Ich konnte in Ruhe meinen sozialen Aufgaben in unserer Familie nachgehen, während du den äußeren Rahmen gesichert hast.« Die Rechnung scheint für beide Seiten aufgegangen zu sein. Doch zunächst waren ein paar Hindernisse zu überwinden. Annemarie lacht: »Da meine Eltern nach meiner Türkeireise so erleichtert waren, dass ich keinen Türken gefunden hatte, mochte ich ihnen nicht gleich mitteilen, dass ich ihn nun in Graz entdeckt hatte.« Sie grinst: »Es gab ein Bild mit Sayhan in einem österreichischen Trachtenanzug. Da er blond ist, nahm ich das und schrieb darunter: ›Das ist mein Verlobter Franz Haselhuber‹ und schickte es an meine Eltern. Die meinten, dass er sympathisch aussehe und dass ich ihn bald einmal vorstellen müsste.« Als dieser Besuch immer näher rückte, suchte Annemarie nach einem geeigneten Zeitpunkt, Sayhan zu beichten, als wen sie ihn angekündigt hatte. Erst auf dem Flughafen fand sie endlich den Mut: »Mein stolzer Mann war gekränkt, drehte auf dem Absatz um und ließ mich alleine zu meinen Eltern fliegen. ›Klär das erst mal ohne mich!‹«
  • 38. Das tat Annemarie. »Mit klopfendem Herzen wurde ich von meiner Mutter in das Herrenzimmer meines Vaters geführt. Er liebte mich zwar, aber was würde er zu meiner Schwindelei sagen? Stotternd erklärte ich ihm, warum ich alleine gekommen war.« Doch alle Bedenken waren umsonst gewesen. Ihr Vater meinte nur: »Ja, Mädchen, wenn du ihn liebst und mit ihm glücklich wirst, ist das doch kein Problem!« Annemarie polterte ein Stein vom Herzen. Sie neckt ihren Mann: »Aber du hast dich dann noch etwas bitten lassen.« Er lacht zurück. »Ja, einen halben Monat habe ich dich schmoren lassen, bis ich zu deinen Eltern nachgekommen bin.« Wenn die Aufnahme von der deutschen Seite dann auch eher preußisch herb als orientalisch herzlich ausfiel, so war der gestrenge Vater doch der Ansicht: Mit diesem Mann, der wusste, was er wollte, hatte die Tochter wohl einen guten Fang gemacht. Ganz anders verhielt es sich auf der türkischen Seite. »Doch ich wusste im Unterschied zu meinem Mann vorher nichts davon«, meint Annemarie. Ganz unvorbereitet kam sie bei der feinen Familie in Ankara zu ihrem Antrittsbesuch an. »Der Vater guckte mich nicht an und die Mutter auch nicht, denn sie folgte in allem ihrem Mann. So stand ich ganz alleine da. Eine furchtbare Situation. Einzig die Großmutter war lieb zu mir. Am liebsten wäre ich zu ihr unter ihren Rock gekrochen und nicht mehr hervorgekommen.« Da war diese perfekt Türkisch sprechende, zum Islam übergetretene Frau nun in das Land ihrer Träume gekommen und musste feststellen, dass sie als unpassend angesehen wurde. »Doch ich war niemandem böse«, erklärt Annemarie. »Während mein Verlobter mit seinem Vater schimpfte und ihm Vorwürfe machte, empfand ich ihre Reaktion nur als gerechtfertigt. Schließlich war ich diejenige, die ihr System störte. Ich hatte einen Fehler, ich war deutsch. Das verstand ich nur zu gut und akzeptierte ihre Ablehnung als gerechte Strafe für mein Anderssein.«
  • 39. Annemarie kann sich heute über ihre früheren Ansichten amüsieren: »So war ich damals eingestellt: mit einem riesigen Schuldkomplex behaftet!« Sie erzählt weiter: »Die Wendung in der Reaktion der Familie brachte schließlich die Großmutter. Sie sprach mit ihrem Sohn ein Machtwort. Da in der Türkei die Söhne glücklicherweise auf ihre Mütter hören, wurde ich aufgrund ihrer Einwirkung endlich akzeptiert.« Zunächst bekam Annemarie von ihrem Schwiegervater einen neuen türkischen Namen. »Ich konnte das damals als Zeichen der Akzeptanz werten«, meint sie ganz ohne Ironie. Die Vorbereitungen zu den Hochzeitsfeierlichkeiten begannen. »Zuerst gab es eine Versprechensfeier mit vierhundert Gästen, danach eine Hochzeitsfeier mit siebenhundert Gästen, zu der auch meine Eltern angereist waren.« Da prallten noch einmal Welten aufeinander. »Obwohl die beiden Väter sich in ihren patriarchalischen Strukturen sehr ähnlich waren, waren sie doch sehr unterschiedlich in der Art der Kommunikation. Während mein Vater in seiner ostpreußischen, klaren Art gerne kurz und knapp seine Standpunkte zum Besten gab, näherte sich Sayhans Vater erst in langsamen, orientalischen Kreisbewegungen der eigentlichen Kernaussage.« Annemarie lacht. »Aber da wir übersetzen mussten, konnten wir diese Diskrepanzen diskret ausbalancieren. Sie merkten nicht viel davon.« Nach diesen zwei großen pompösen Feiern fuhr das Ehepaar nach Deutschland. Denn nun sollte hier gefeiert werden. Schließlich musste auch die deutsche Familienseite Gelegenheit haben, die Heirat der Tochter in gebührendem Rahmen der Gesellschaft zu präsentieren. »Also kam nun eine Verlobungsfeier mit fünfhundert Gästen und eine Hochzeit mit achthundert Gästen.« Alles im ersten Haus am Platze, einem
  • 40. luxuriösen Fünfsternehotel. »Mein Vater kannte den Probst höchstpersönlich, so konnten wir als Muslime sogar in der Kirche heiraten«, erzählt Annemarie. »Vielleicht hat unsere Ehe deswegen so lange gehalten, weil wir gleich viermal geheiratet haben«, vermutet ihr Mann und lacht. Annemarie weiß einen weiteren Grund: »Wir streiten uns nie.« Sie erklärt: »Wir werden nie laut miteinander. Wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, tauschen wir unsere Standpunkte immer sachlich und in Ruhe aus.« Denn sie ist überzeugt: »Ein böses Wort, das einmal aus dem Mund heraus ist, kann man nicht wieder zurückholen. Also muss man sich vorher genau überlegen, was man sagt.« Disziplin und Respekt stellen für beide Ehepartner unumstößliche Werte dar. Nach ihren unerfreulichen Erfahrungen in der Ankaraer Gesellschaft fiel es Annemarie leichter, dem Wunsch ihres Mannes zuzustimmen, sich in Deutschland eine Existenz aufzubauen. »Mein türkischer Mann hat mich wieder für Deutschland geöffnet«, flachst sie. Schon ein Jahr vor ihrer Heirat hatte sich Sayhan selbstständig gemacht. »Meine Eltern hatten sich eine Mandarinenplantage als Alterssicherung zugelegt. So fing ich erst einmal mit dem Import von Mandarinen an«, berichtet er. Annemarie hatte ein Haus in ihrer Vaterstadt geerbt. So bot es sich an, dass das junge Ehepaar dort hinzog. »Doch in dem Haus wohnten Mieter. Die Klage auf Eigenbedarf zog sich hin. So zogen wir erst mal zu meinen Eltern. Gerade einen Tag bevor wir die Klage gewannen und ausziehen konnten, ist meine Mutter gestorben. Bei ihr war kurz vorher eine Krebserkrankung entdeckt worden.« Annemarie stockt. »Das war eine so schreckliche Zeit, dass ich keine Worte für meine Gefühle finde.« Sie schluckt und erzählt erst nach einer kurzen Pause weiter. »Ich bot meinem Vater an, mit uns in unser neues Haus zu ziehen. Doch mein Vater meinte nur: ›Eine alte
  • 41. Eiche verpflanzt man nicht mehr.‹ Also sind wir stattdessen bei meinem Vater geblieben.« Zehn Jahre haben sie noch mit ihm zusammengelebt. Er hat miterlebt, wie seine drei Enkelsöhne geboren wurden und langsam größer wurden. »Das war die ganze Bandbreite des Lebens. Auf der einen Seite das vergehende Leben und auf der anderen Seite das neue, werdende Leben.« Annemarie sucht den Blick ihres Mannes. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich dir bin, dass du dem zugestimmt hast. Das ist eine Schuld, die ich dir nie zurückzahlen kann«, sagt sie mit Rührung in der belegten Stimme. Ihr Mann schüttelt den Kopf und wehrt ab: »Aber das war doch selbstverständlich. Außerdem hattest du damit eher eine zusätzliche Verpflichtung übernommen, nicht ich. Bei meinem Arbeitspensum habe ich ohnehin nicht viel davon mitbekommen.« Er macht eine kleine Pause: »Ich denke nicht etwa so, weil ich Türke bin, sondern weil ich es als Person richtig finde, wenn man Verantwortung für die Familie übernimmt.« Sayhan legt Wert darauf, dass er nicht über seine Nationalität definiert wird. Seine Überzeugungen speisen sich aus vielen Einflüssen. »Ich bin liberal. Ich verstehe mich als weltoffen. Wenn ich eine bestimmte Meinung habe, dann ist das meine persönliche«, stellt er klar. Annemarie interpretiert diese Haltung auf ihre Weise: »Wir tragen alle in uns unterschiedliche Anteile, die uns erst zu einem vollständigen geistigen Wesen machen. Ich habe zum Beispiel verschiedene Namen, einen türkischen und einen deutschen. Alle symbolisieren sie einen Teil von mir. Sie bilden keine Gegensätze sondern zusammen erst mein ganzes Ich.« Ihre drei Söhne sollten auf jeden Fall türkische Namen bekommen. »Mir war das völlig egal«, betont ihr Mann, »aber meiner Frau war das sehr wichtig.« Alle drei wurden zunächst nach islamischen Regeln erzogen, denn Annemarie war es
  • 42. damals sehr wichtig, als gute türkische Ehefrau und Mutter anerkannt zu werden. »Schweinefleisch gab es bei uns im Hause nicht, deshalb bestellte sich mein Mann auch immer gerne im Restaurant ein Schnitzel«, meint Annemarie. Ihre Schwiegermutter hatte sie in der Türkei beiseite genommen und ihr einen guten Tipp gegeben: »Sei wie ein Propeller, dann bist du eine gute Frau. Drehe dich ständig um deinen Mann, dann ist er zufrieden mit dir!« Annemarie erklärt ganz sachlich: »Das habe ich streng befolgt. Schließlich fand ich, dass dies meine Aufgabe war, die wir in unserem Ehevertrag vereinbart hatten. Mein Mann arbeitet außerhalb des Hauses, und ich sorge für alle Bewohner innerhalb des Hauses. Ich war froh, dass er mir alles Äußere vom Halse hielt, also musste ich es ihm im Inneren so angenehm wie möglich machen.« Sayhan hebt sein leeres Teeglas und stichelt breit grinsend: »Karim, wo bleibt mein Tee?« Annemarie lacht laut auf. »Das ist für uns immer ein großer Spaß, wenn er mich ›Weib‹ nennt. Damit kann man die weiblichen Gäste wunderbar provozieren und die männlichen Gäste zum Lachen bringen.« Annemarie nimmt solche Scherze mittlerweile mit Humor und schenkt ihrem Mann nach. Sie greift nach einer Weintraube von dem riesigen Obstteller und lehnt sich in die Lederpolster zurück. »Denn ich hatte das Glück, krank zu werden. Ich bekam die Chance, mein Leben zu überdenken.« Sie erkannte, dass in dem Wunsch nach eigenem Freiraum und eigenem Wohlbefinden nichts Sündhaftes sondern gerade die Voraussetzung für das Weitergeben von Zufriedenheit liege. Auch ihre Haltung zum Islam definierte sie neu. Sie nahm Abstand von einengenden Reglementierungen und erweiterte die religiösen Aspekte um Erkenntnisse aus Psychologie und Philosophie. »Erst damals fand ich richtig zu meinem eigenen, ganzen Ich und lernte auch Ansprüche für mich persönlich zu stellen.« Sie strahlt und
  • 43. meint dann amüsiert zu ihrem Mann: »Das musstest du erst akzeptieren lernen.« »Das stimmt«, gibt er zu. Ihr fällt ein Beispiel ein: »Du kanntest es nicht, dass die Frau, wenn ihr Mann abends nach Hause kommt, nicht nur zu seiner Unterhaltung zur Verfügung steht, sondern auch mal Zeit zum Lesen braucht, wenn die Kinder im Bett sind.« Annemarie reckt ihren Kopf selbstbewusst in die Höhe. »Da habe ich zu dir gesagt: ›Entweder lese ich oder ich sterbe!‹ Dann musstest du das akzeptieren.« »Das war ein Umgewöhnungsprozess«, muss Sayhan zugeben. Doch seine Frau ließ ihm keine andere Wahl. Annemarie änderte auch im Hinblick auf ihre gesellschaftlichen Aktivitäten einiges. »Ich wählte meine Besucher nun sorgsamer aus. Ich lud nur noch die ein, mit denen ich mich mit Gewinn unterhalten und zu denen ich eine gemeinsame Wellenlänge aufbauen konnte.« Zum Beispiel unterband sie die unverbindlichen Frauenklönrunden, die sich unter türkischen Frauen großer Beliebtheit erfreuen. »Dann komme ich zu keinerlei geistigen Aktivitäten mehr, die mich weiterbringen. Ich bin nur damit beschäftigt Tee zu kochen und kleine Leckereien zuzubereiten. Kaum ist der eine Besuch zur Tür heraus, kommt schon der nächste. Das wollte ich nicht mehr!« Nun erkannte sie immer mehr den Vorteil, in Deutschland zu leben. »In der Türkei wäre diese Umorientierung wohl nicht so leicht toleriert worden. Hier können wir unser Leben genau so gestalten, wie es unseren Wünschen entspricht«, ist sie überzeugt. Das bedeutet keineswegs, dass sie die türkische Kultur aus ihrem Leben verbannt haben. »Eher im Gegenteil: Wir können sie in Deutschland genau in der Art genießen, wie wir sie lieben. Wir veranstalten gerne türkische Abende in unserem
  • 44. Haus. Dann laden wir türkische Musiker oder Dichter ein und schwelgen in den orientalischen Klängen und freuen uns an der türkischen Sprache«, berichtet Annemarie zufrieden. »Und ganz ohne die gesellschaftlichen Zwänge, die wir in der Türkei hätten erfüllen müssen.« Annemarie wird etwas nachdenklich: »Unsere Söhne verorten sich aber hundertprozentig in Deutschland.« Sie ist mit diesem Ergebnis nicht ganz einverstanden, das merkt man ihr an. Die Söhne sind heute 27, 32 und 34 Jahre alt und leben alle in ihrer Geburtsstadt. »Der mittlere Sohn ist letztes Jahr in die Türkei gefahren um zu sehen, ob irgendetwas in dem Land sein Herz zum Klingen bringt. Er hat nichts gefunden. Nicht einmal die Landschaft oder die Sonne hat ihn angesprochen. Nein, sein Traum ist es, an der nebelverhangenen, mecklenburgischen Ostseeküste zu wohnen«, merkt sie halb belustigt, halb verwundert an. Annemarie blickt ihrem Mann gerade ins Gesicht. Ihr Ton wird eine Spur schärfer. »Aber wie sollte er auch positive Gefühle der Türkei gegenüber hegen, wenn sein Vater nie Zeit für ihn hatte, als wir da waren?«, fragt sie ihren Mann mit einem nicht zu überhörenden Vorwurf in der Stimme. »Wir waren nicht sehr oft da«, versucht er sich zu verteidigen. »Und wenn, war ich ständig in Geschäften unterwegs.« »Ja, genau«, nickt Annemarie, »und wir saßen bei deinen Eltern im Haus und durften nicht raus. Immer hieß es, wenn der Vater kommt, fahren wir noch mal ans Wasser. Doch der Vater kam nicht, und ich als Frau durfte nichts alleine mit den Kindern unternehmen. Wenn der Vater dann kam, ging es höchstens zu einem Geschäftsessen. Da saßen die Kinder dann brav auf ihren Stühlen und konnten, wenn wir Glück hatten, durch die Panoramafensterscheiben das Meer und die Sonne sehen, aber am Strand mit dem Vater spielen konnten sie nicht.«
  • 45. »Ich habe eben nie Urlaub gemacht, sondern sehr viel gearbeitet«, erklärt Sayhan entschuldigend. »Deswegen war es auch besser, dass wir in Deutschland wohnten«, meint Annemarie abschließend, »hier konnte ich als Frau mit meinen Kindern alles machen, was uns in den Sinn kam. Hier waren wir nicht an die Begleitung eines Mannes gebunden.« Sayhan hat seine Entscheidung für Deutschland ebenfalls nie bedauert: »Hier konnte ich alles erreichen, was ich mir gewünscht hatte. Mit meiner Frau an meiner Seite«, er wirft einen anerkennenden Blick auf die schlanke, dezent geschminkte Annemarie in ihrer burgunderfarbenen Seidenjacke, »führte ich genau das Leben, was ich mir gewünscht habe.« Er beeilt sich hinzuzufügen: »Nie hatte ich Probleme damit, dass ich Türke bin.« Nie hatte er einen Hehl daraus gemacht, welcher Herkunft er ist. »Meine Firma führte sowohl das Attribut ›türkisch‹ als auch meinen Doktortitel im Namen«, ist ihm wichtig. Aus dem Leben in Deutschland hat er allerdings Schlüsse gezogen, die seinem früheren Denken fremd gewesen sind. »In meiner Firma gibt es keinen einzigen Türken. Die können alle nicht richtig arbeiten. In Deutschland sind sie so verwöhnt worden von den vielen Sozialleistungen, dass sie sich für dieses Land zur Belastung entwickelt haben. Ich als braver deutscher Steuerzahler muss sie mit durchfüttern. Wenn ich schon höre: ›Die Integration ist gescheitert!‹« Sayhan redet nun mit Nachdruck. Mit diesen Landsleuten hat er nichts gemeinsam: »Viele Türken haben ihre Chance in Deutschland verpasst. Nicht das Land muss die Integration leisten sondern der Einwanderer. Jetzt kommen die Russlanddeutschen und werden die Plätze der Einwanderer in Deutschland besetzen. Die Türken, die hier immer noch nicht Fuß gefasst haben, sollten wieder in die Türkei zurückgehen. Wer die Sprache nicht gelernt und sich nicht integriert hat, ist hier fehl am
  • 46. Platze«, ist der erfolgreiche Selfmade-Mann, der eine deutliche Sprache bevorzugt, mittlerweile überzeugt.
  • 47. Im letzten Jahr lebte und arbeitete der Sohn von Annemarie und Sayhan für einige Zeit in der Türkei. Er: Nun sind meine Vorurteile über die Türken zu Urteilen geworden. Am liebsten hätte ich einen deutschen Namen DER SOHN VON ANNEMARIE UND SAYHAN, JURIST, 32 In der Altbauwohnung mit den hohen Decken herrscht die Farbe weiß vor. Die Polstersessel, die Sofaecke, die Wände, alles ist strahlend hell gehalten. Nur die frischen Blumen und das an eine Wand projizierte Lichtspiel setzen farbliche Akzente. Emre ist der mittlere Sohn von Annemarie und Sayhan. Der sehr schlanke, drahtige Mann, der als passionierter Langstreckenläufer schon an vielen internationalen Marathonläufen teilgenommen hat, wohnt in dieser Wohnung mit seiner Freundin Stephanie. Mit gut ein Dutzend Kerzen und Teelichtern hat er für Atmosphäre gesorgt. Die wachen Augen des Juristen hinter den randlosen Brillengläsern halten stetigen Blickkontakt mit dem Gegenüber und signalisieren so Aufmerksamkeit, der kaum etwas entgeht. »Nach Beendigung meiner Doktorarbeit«, erzählt Emre, »bin ich für vier Monate in die Türkei gegangen. Ich wollte sehen, ob ich dort etwas finde, was mich anspricht. Ich wollte überprüfen, ob ich mir vorstellen könnte dort zu leben und zu arbeiten.« Er wohnte während dieser Zeit bei seiner Tante, der Schwester seines Vaters, und ihrem Mann. Das Arbeiten in der Türkei erprobte er in einer Istanbuler Kanzlei. »Doch ich fand
  • 48. wenig, was mir gefiel. Wesentlich größer war der Anteil der Punkte, die mich zunehmend störten«, resümiert er. Das Verhältnis von Mann und Frau ist für ihn zu einem Markstein der Beurteilung der türkischen Gesellschaftsstrukturen geworden. »Frauen und Männer gehen nicht natürlich miteinander um. Ihr Verhalten ist von so viel Reglementierung geprägt, dass sie zu ganz unnatürlichen Verhaltensweisen kommen.« Er kann aus dem Stand als Beleg für seine Erfahrungen viele Beispiele aufzählen. »Ich ging zum Beispiel zu einem Kurs einer Sprachenschule. Dort traf ich auf eine syrische Frau, mit der ich mich in den Pausen sehr interessant unterhalten habe. Als ich ihr vorschlug, sich auch einmal außerhalb der Schule zu treffen, wehrte sie entsetzt ab. Das sei zu gefährlich. Wieso gefährlich? Ich bin in Deutschland in festen Händen, sie ist verheiratet, das sind doch ausgesprochen geklärte Verhältnisse«, fand Emre. Doch ein Treffen fand nie statt, ganz im Gegenteil, wenig später verbot ihr Ehemann den weiteren Besuch der Schule. »Wahrscheinlich hat sie zu Hause neuerdings zu häufig gelächelt und das kam ihm verdächtig vor«, grinst Emre süffisant. »Der Ehemann müsste doch ein Interesse daran haben, dass es seiner Frau gut geht und dass sie glücklich ist. Also müsste er ihr Freiräume geben. Aber nein, die ständige Kontrolle scheint ihm die einzige Möglichkeit, ihr Eheleben zu gestalten.« Emre hat beobachtet, dass die Meinung der anderen oft zum Maßstab der eigenen Handlungen gemacht wird. »›Was könnten die anderen über mich denken?‹ fragen sie sich ständig«, moniert er. »Häufig liegt es an ihrer mangelnden Bildung. Sie haben keine Kapazitäten um sich und ihr Verhalten zu reflektieren«, denkt er sich. »Doch selbst bei meiner Tante und meinem Onkel, die sehr gebildet sind, habe ich ein Drama miterlebt, das sich meiner Meinung so in
  • 49. Deutschland kaum abgespielt hätte. Meine Cousine hatte sich mit 15 Jahren in ihren Pferdepfleger verliebt. Die Eltern untersagten ihr jeden Kontakt, weil dieser Mann ihnen als nicht standesgemäß erschien. Sie traf sich zunächst heimlich mit ihm, bis sie ihn mit 17 aus den Augen verlor. Mit 19 begegnete sie ihm zufällig wieder und heiratete ihn. Doch sie verstanden sich nicht so gut, wie sie sich es erträumt hatte. Er schlug sie. Nach einigen Jahren ging sie zu ihren Eltern zurück, die sie mit heftigsten Vorwürfen empfingen. Sie kehrte daraufhin zu ihrem Mann zurück. Doch auch der zweite Anlauf scheiterte. Schließlich wusste sie keinen anderen Ausweg mehr, als sich umzubringen.« Emre hat beobachtet: »In der Türkei werden die Familienstrukturen gerne über Schuldzuweisungen geregelt. Du bist Schuld, wenn es mir schlecht geht. Du darfst dieses Verhalten nicht an den Tag legen, weil du meinem Ansehen damit schadest. Solche Aussagen habe ich von vielen gehört. Nicht das Individuum ist verantwortlich für die Gestaltung seines eigenen Lebens sondern der andere bestimmt mit seinem Handeln, wie ich im Leben voran komme.« Emre kann für sich dieses starre Korsett der Erfüllung von Erwartungen nicht akzeptieren. »Ich habe mich in der Türkei mit sehr vielen türkischen Männern unterhalten. Alle waren sehr gefangen in ihren Denkmustern. Immer wieder habe ich zu hören bekommen, dass ich doch eine türkische Frau heiraten sollte. Die türkischen Frauen seien einfach besser. Wenn ich wissen wollte warum, bekam ich nur zu hören, dass eine Türkin doch noch wüsste, was ein Mann bräuchte. Abends wenn er nach Hause käme, sei das Essen gekocht, die Wäsche gewaschen, die Wohnung sauber und die Kinder gut versorgt im Bett.« Emre schüttelt seinen Kopf. »Dass ich von einer Frau ganz andere Qualitäten erwarte, war für sie völlig unverständlich.«
  • 50. Dass Emre sogar seine Wäsche selber macht und das Essen selbst zubereitet, obwohl er mit seiner Freundin zusammen in einer Wohnung wohnt, machte den türkischen Männern nur klar, dass Emre kein richtiger Mann sein konnte. Meist vergeblich versuchte er dann, seine Sichtweise zu erklären: »Ein richtiger Mann ist für mich jemand, der souverän mit allen seinen menschlichen Anteilen umgehen kann. Seine Stärke zeigt sich doch gerade darin, dass er auch Schwächen zugeben mag und im täglichen Leben nicht auf die Handreichungen einer Frau angewiesen ist.« Für Emre ist es ebenfalls nur ein Zeichen von Unmännlichkeit, wenn ein Mann seiner Frau keinen Freiraum zugestehen mag. »Vertraut er seinen Qualitäten etwa so wenig, dass er glauben muss: Sie wird nur bei mir bleiben, wenn ich sie einsperre? Und gleichzeitig hält er sich dann auch noch für einen tollen Hecht – was für ein Widerspruch!« Auch die Haltung der türkischen Männer zur Unberührtheit ihrer künftigen Ehefrau findet er wenig überzeugend. »Meine Qualitäten als Mann werden doch umso glaubhafter offenbar, wenn eine Frau, die schon Vergleichsmöglichkeiten hatte, mich auswählt und bei mir bleibt«, ist er überzeugt. Als seine Freundin Stephanie ihn während seiner Zeit in Istanbul besuchte, bekam er ungefragt viele Kommentare zu hören. »Auch während sie daneben saß, empfahlen sie mir, lieber eine türkische Frau zu heiraten. Selbst die Hausangestellte im Haus meiner Tante teilte mir ihre Meinung zu Stephanie mit: Sie hätte ihre Sachen direkt aus dem Koffer einfach ungeordnet in den Schrank geworfen, daher könnte sie keine gute Ehefrau für mich sein.« Emre kann sich über solche Beurteilungskriterien nur empören. Die Haustür wird geöffnet. Stephanie ist inzwischen nach Hause gekommen und setzt sich mit an den Esstisch. Sie erinnert sich: »Ich fühlte mich sehr wohl, während ich bei
  • 51. Emre in Istanbul war. Alle waren sehr nett und freundlich zu mir. Ich hatte den Eindruck, dass sie mich mögen. Doch als ich hinterher von Emre hörte, wie einzelne über mich urteilten, wurde mein Gefühl im Nachhinein etwas schal. Nun empfand ich ihr Verhalten eher als unehrlich und doppelzüngig«, meint sie. »Auch dein Vater hatte schon gewisse Erwartungen an mich, glaube ich«, sagt sie. »Am liebsten hätte er für seinen Sohn eine Frau gehabt, die sehr gut aussieht, aus sehr guten Verhältnissen kommt, studiert hat und sich sexy anzieht, damit ihr Aussehen auch gut zur Geltung kommt. Nach ihrem Studium sollte sie aber zugunsten ihrer Aufgaben als Ehefrau und Mutter mit Freuden auf eine eigenständige Berufstätigkeit verzichten, um ganz für ihren Mann da sein zu können«, stellt die junge Frau mit langen, braunen Haaren und großen, strahlenden Augen, die alle äußeren Kriterien sicher locker erfüllen kann, scheinbar sachlich und mit einem kaum hörbaren ironischen Unterton fest. Sie blickt ihren Freund fragend an. »Oder meinst du, da liege ich falsch?« Emre kann nur lachend den Kopf schütteln. »Mein Vater wünscht jedem seiner Söhne das große Glück, genau so eine Frau zu finden, wie er sie mit meiner Mutter bekommen hat«, schmunzelt er. Emre hat die liebevolle Fürsorge seiner Mutter genossen, aber möchte in seiner eigenen Partnerschaft nicht die Rolle seines Vaters übernehmen. Dessen Lebenskonzept wird nicht das seine werden, da ist er sich sicher. »Wenn wir einmal Kinder haben sollten, würde ich mir schon wünschen, dass meine Frau zumindest die ersten Jahre ganz für die Kinder da ist«, gesteht er aber ein. »Doch nach der Kleinkindphase können wir die Betreuung auch anders organisieren, wenn sie gerne wieder in ihren Beruf zurückkehren möchte. Die Zufriedenheit meiner Frau ist für mich entscheidend.«
  • 52. Emre ermuntert seine Freundin immer wieder, sich auch mit Männern allein zu treffen. Er findet: »Ein Gespräch mit jemandem vom anderen Geschlecht bringt mich viel weiter. Es eröffnet mir Horizonte, die mir sonst verschlossen bleiben. Das kommt dann auch meinem Partner zugute. Ich lerne durch das Gespräch mit anderen Frauen auch sie viel besser kennen und schätzen«, glaubt er. Doch bisher hat er noch keinen türkischen Mann gefunden, der das genauso gesehen hätte. Auch in Deutschland nicht. Er erinnert sich: »Ich bin mit einem Türken zur Schule gegangen. Er war damals einer, der auf jeder Party mit dabei war und sehr aufgeschlossen an die Mädels heranging. Gerade neulich habe ich ihn zufällig in der Bahn wieder getroffen. Er sei inzwischen verheiratet, erzählte er mir. Er habe sich von seinen Eltern eine Frau aus der Türkei vermitteln lassen und sie mit nach Deutschland gebracht. Er versuchte mich von den Vorteilen dieses Arrangements zu überzeugen. Sie bleibe brav zu Hause und würde den Haushalt erledigen, während er unterwegs sei. Ich habe meinen Schulfreund nicht wieder erkannt.« Für so eine Veränderung fehlt Emre jedes Verständnis. »Wie kann ein Mann sich freiwillig so beschränken und auf eine gleichberechtigte Partnerschaft mit einer Frau verzichten? Erst im wahrhaftigen Austausch mit meiner Partnerin kann ich mich doch weiterentwickeln!« Emre versteht dieses Denken der Männer nicht. Genauso wenig versteht er aber auch die türkischen Frauen, die er in der Türkei kennen gelernt hat. »Die sind so auf die Darstellung ihrer Weiblichkeit reduziert, dass ich sie völlig unnatürlich finde.« Auf Emre wirken diese »aufgebrezelten« Frauen alles andere als attraktiv. »Ich hätte mir gewünscht, dass sich meine Eltern etwas mehr Gedanken über meine Namenswahl gemacht hätten. Leider habe ich auch als zweiten Vornamen einen türkischen bekommen. So bin ich alleine durch meinen Namen für alle
  • 53. erst mal der Türke. Darunter habe ich zum Teil sehr gelitten.« Als er an der Uni als Assistent Seminare anbot, waren in seinen Kursen stets die Schwarzhaarigen versammelt. »Alle Türken dachten anscheinend: ›Ach, gehen wir mal zu unserem Landsmann.‹« Doch Emre fühlt sich unwohl in dieser vorausgesetzten Kumpanei. »Ich fühle mich eindeutig als Deutscher. Mich mit meinem Namen zu identifizieren fällt mir sehr schwer. Ich habe sogar schon darüber nachgedacht, ihn ändern zu lassen«, überlegt er. »Wenn wir mal Kinder haben, bekommen sie auf jeden Fall einen deutschen Namen«, ist er sich sicher. »Wenn ein Kind in Deutschland aufwächst, sollte es einen deutschen Namen haben«, findet er. Seine Freundin schlägt ihm vor: »Wenn wir heiraten, könntest du ja meinen Nachnamen annehmen.« Das geht Emre dann doch zu weit. Schnell schränkt er ein: »Mein Nachname stört mich eigentlich gar nicht so stark. Er ist einfach nur ungewöhnlich, aber eigentlich nicht typisch türkisch, oder?« Er grinst: »Zum Glück sehe ich wenigstens nicht wie ein Türke aus.« Emre ist es sehr wichtig, in keine Schublade gesteckt zu werden, die mit negativen Vorurteilen behaftet ist. Er möchte einfach als Deutscher in Deutschland seinen Weg gehen. Die Energie, die er immer wieder braucht, um die Irritationen, die sein Name hervorruft aus dem Weg zu räumen, würde er lieber für den zielstrebigen Aufbau seiner beruflichen Karriere nutzen. »Meinen Kindern werde ich wohl kaum mehr etwas Türkisches mitgeben«, überlegt er. Emre spricht selbst sehr gut Türkisch, möchte seinen Kindern aber diese zweite Sprache nicht beibringen. »Außer ein paar Urlauben in der Türkei, die durch den dort geerbten Grundbesitz zustande kommen, werden sie von mir wohl nichts mehr in der Richtung geboten bekommen.«
  • 54. Religion spielte in Emres Leben keine Rolle, weder in seiner Kindheit noch heute als Erwachsener. »Meine Eltern haben mir keine Religion als Richtschnur für das Leben beigebracht. Meine Mutter hatte ja mal ihre radikal islamische Phase, aber mein Vater hat stets eine große Distanz zum Islam gehalten. Auch seine Eltern waren nicht religiös. Wir haben in der Familie die christlichen Feste Weihnachten und Ostern als traditionelle Familienzusammenkünfte gefeiert, aber ohne religiöse Inhalte.« Emre meint: »Wir sind so erzogen worden, dass wir uns lieber unsere eigenen Standpunkte zu den jeweiligen Fragen des Lebens und des Sterbens durch intellektuelle Auseinandersetzung bilden sollten als sie von einer bestimmten Religion zu übernehmen.« Emre blickt seine Freundin an und fordert sie mit leicht spöttischem Unterton auf: »Nun sag doch mal, wie ist es denn nun, einen Türken zum Partner zu haben?« Stephanie fällt die gewünschte Antwort nicht schwer: »Du bist nun wirklich nicht der typische Türke. Außer deinem Namen ist kaum etwas Türkisches an dir auszumachen. Nur durch die Reaktionen der Umgebung wurde ich mit der Nase darauf gestoßen, dass du wohl anders sein müsstest. Als ich meinen Freunden erzählte, dass ich einen neuen Freund habe und dann deinen Namen nannte, sah ich schon erstaunte Mienen: ›Du mit einem Türken? Ist das nicht schwierig?‹ Dann habe ich immer schnell hinzufügt, dass du überhaupt kein typischer Türke bist und nicht einmal türkisch aussiehst.« In diesem Punkt sind sich die Partner völlig einig: In die Schublade mit dem Label »türkisch« sollte man unter keinen Umständen gesteckt werden. Sie hat gerade in Deutschland ein äußerst negatives Image. Emre verspürt keinerlei Ansporn diesen Ruf zu verändern, ganz im Gegenteil: »Nach meinem Aufenthalt in der Türkei sind meine Vorurteile, die ich schon in Deutschland gewonnen hatte, nun zu Urteilen geworden«, bestätigt er.
  • 55. Stephanie schmunzelt: »Nun fällt mir doch noch etwas ein, was bei dir schon türkisch geprägt sein könnte.« Emre blickt sie erstaunt an. »Den Zusammenhalt unter euch drei Brüdern könnte man für deutsche Verhältnisse schon als ungewöhnlich eng bezeichnen«, erklärt sie. Einer der Brüder wohnt sogar im selben Mietshaus wie Emre und seine Freundin. »Wenn wir abends nach Hause kommen, und es kann noch so spät sein, klingelst du immer noch einmal bei deinem Bruder und fragst nach, wie es ihm so geht. Und wenn einer von ihnen ein Problem hat und dich um Hilfe bittet, lässt du alles stehen und liegen und bemühst dich, ihm zu helfen.« Emre fand seine Identität eher in der klaren Entscheidung für eine Kultur als in der Kombination von beiden. Er definiert sich und seine Standpunkte häufig in der Abgrenzung zum Türkischen. Darin sieht er auch den Vorteil, Kind einer bikulturellen Beziehung zu sein: »Ich fand es sehr bereichernd, mit deutsch-türkischen Eltern aufzuwachsen. Ich musste mich schon früh vieles fragen, weil ich verschiedene Richtungen präsentiert bekam. Dadurch war ich gezwungen, schon in jungen Jahren Standpunkte und Meinungen zu entwickeln und auch zu begründen. Das schult«, findet er. Gerade als Jurist kann er diese schon früh eingeübten Fähigkeiten heute gut nutzen.
  • 56. Seit ihrem 20. Lebensjahr lebt das Ehepaar in Ankara. Ihre Kinder hat die Mutter mit deutschen Geschichten und Kinderliedern erzogen. Dabei spricht sie perfekt Türkisch. Sie: Zu Hause fühle ich mich nur in Deutschland. Meinem Mann erzähle ich von diesen Gefühlen selbstverständlich nichts; es würde ihn nur kränken. Deutsche Parallelwelt in Ankara DEUTSCHE KRANKENSCHWESTER, 65 & TÜRKISCHER ARZT, 68 Elisabeth hatte wieder einmal Sehnsucht nach Deutschland. Wie so oft, wenn sie in Ankara ist, wo sie seit 38 Jahren mit ihrem türkischen Mann lebt. Dann fährt sie zu ihrer Tochter, die als Professorin an der Universität einer niedersächsischen Großstadt lehrt. Dieses Gefühl der Sehnsucht kennt sie gut, seit sie in der Türkei lebt. »Das ist schade. Wenn ich hier bin, sehne ich mich nach meinen Enkelkindern in Ankara, und wenn ich dort bin, sehne ich mich nach meinen Enkeln in Deutschland«, erklärt sie ihr hin und her Gerissensein. Denn ihr Sohn ist in Ankara verheiratet und der sechsjährige Enkel geht dort zur Schule. Elisabeth spricht mit leiser Stimme. In großer Ruhe und Gelassenheit erzählt sie über ihr Leben in der Türkei. Man merkt, dass sie gewohnt ist, überlegt zu reden. Höflich und doch bestimmt lenkt sie die Themen im Gespräch. Ihr Selbstbewusstsein kommt mit großer Zurückhaltung daher.
  • 57. Ihrem Ehemann ist sie in jungen Jahren in die Türkei gefolgt. Er war zu seiner Facharztausbildung zum Gynäkologen nach Deutschland gekommen. Im Krankenhaus traf er auf eine deutsche Schwesternschülerin, die sein Herz höher schlagen ließ. Auch die junge Frau war beeindruckt von dem offen, zuverlässig und liebevoll wirkenden Mann und so kam man sich näher. »Am Anfang hätten sich meine Schwiegereltern wohl eher jemand anderes für ihren Sohn erhofft.« Das lag weniger an ihrer Nationalität als eher daran, dass sie weder aus besseren Kreisen kam noch einen prestigeträchtigen Beruf vorweisen konnte. Auch bei ihrer eigenen Familie war die Reaktion ähnlich verhalten. Die Geschwister rieten ihr ab und die Eltern, besonders die Mutter, waren traurig, weil dieser Schwiegersohn bedeutete, dass ihre Tochter in ein fremdes Land zog. »Doch wir waren verliebt und sahen keine Probleme. Mein Mann schilderte unsere Zukunft in der Türkei in den rosigsten Farben.« Ihr gemeinsamer Weg war klar vorgezeichnet. Ihr Verlobter war nur zur Ausbildung nach Deutschland gekommen, danach sollte er in die Türkei zurückgehen, um die Praxis seines Vaters in Ankara zu übernehmen. »Das hat mein Mann von Anfang an klargestellt. Wir lebten auf diesen Termin zu.« Elisabeth wusste, worauf sie sich mit ihrem Mann einließ. Im Gegensatz zu ihrer gewohnten Umgebung erschien es ihr als ein Ausflug in eine neue Welt, die sie reizte. »Ich malte mir alles wunderschön aus.« Doch es kam nicht alles so, wie sie es sich erhofft hatte. Bevor die kleine Familie mit der zwei Jahre alten Tochter nach Ankara ziehen konnte, musste ihr Mann seinen Militärdienst ableisten. An eine ihrer ersten Erfahrungen in der Türkei denkt sie mit unangenehmen Gefühlen zurück. Sie war mit einem Schockerlebnis verbunden: »Wir waren kaum angekommen in dem Land, da mussten wir uns scheiden lassen, weil ein
  • 58. Reserveoffizier damals nicht mit einer Ausländerin verheiratet sein durfte. Ich wusste ja, dass es nur pro forma war, aber es war ein schreckliches Erlebnis für mich«, berichtet Elisabeth in sachlichem Tonfall. »Die Gerichtsverhandlung war öffentlich. Es waren viele Leute da, die sich das anschauen wollten. Als wir den Gerichtssaal verließen, wollten die Zuschauer meinen Mann verhauen, weil sie ja den wahren Grund für die Scheidung nicht kannten. Sie dachten, er lässt eine schwangere Frau mit einem kleinen Kind im Stich.« Sie schluckt kurz. »Das ist eine meiner ersten Erinnerungen an die Türkei«, entsinnt sie sich traurig. In Izmir wurde ihr Sohn geboren, rein rechtlich gesehen als uneheliches Kind. Nach der Militärzeit zogen sie nach Ankara. Der Schwiegervater war inzwischen gestorben, und sein Sohn übernahm erwartungsgemäß die Praxis. Ein ganz normales Familienleben konnte sich allmählich entfalten. Elisabeth vermisste jedoch noch manches an Komfort: »Da war nicht alles so, wie ich es mir gedacht hatte. Wir hatten extra eine vollautomatische Waschmaschine mit in die Türkei gebracht. Dann habe ich mir dort das Waschpulver dazu gekauft. Doch es war nicht das richtige: Der Schaum kam wie in einem Zeichentrickfilm aus allen Ritzen und wurde immer mehr. Diese Maschine konnte ich nie wieder benutzen. Erst nach einigen Jahren gab es diese Maschinen und das dazugehörige Pulver auch in der Türkei. Doch auch andere Dinge vermisste ich: Kein Schaumbad, keine Gummibärchen, kein Ketchup war zu bekommen. Wenn wir aus Deutschland mit dem Auto zurückfuhren, war es bis in alle Ritzen voll gepackt: Kofferraum, Dachgepäckträger, unter unseren Füßen. Das war nicht immer erfolgreich: Die zahlreichen Tüten Gummibärchen auf der Hutablage waren bei unserer Ankunft zu einem Block zusammengeschmolzen.« Die Frau mit den schlicht zurückgenommenen blonden Haaren deutet ein Lächeln an.
  • 59. Sorgsam formuliert sie ihre Sätze. Man merkt, dass sie viel über diese Fragen nachgedacht hat. »Mein Leben hatte nicht nur rosige Seiten«, bilanziert sie. »Ich habe oft gedacht, ich hätte in Deutschland bleiben sollen. Wenn ich so über die Türkei erzähle, denken manche Leute, dass ich dort nur Gutes erlebt habe, aber es gab auch weniger schöne Dinge.« Sie macht eine kleine Pause: »Sehr schwere Zeiten.« Doch Elisabeth ist kein Mensch, der das Für und Wider nicht genau abzuwägen versteht. Schnell fügt sie hinzu: »Aber das würde ich nicht am Land festmachen. Das gehört einfach zum Leben eines Menschen dazu, dass er auch sehr schwierige Zeiten erlebt. Das trifft sicher auch für eine Frau zu, die in Deutschland verheiratet ist.« Elisabeth hat es jedoch geschafft, ihre Möglichkeiten so geschickt auszuschöpfen, dass sie als Deutsche in der türkischen Gesellschaft leben konnte. Sie hat acht Jahre lang das deutsche katholische Gemeindezentrum in Ankara geleitet. Als sie mitbekam, dass händeringend nach einer geeigneten Leiterin gesucht wurde, hatte sie sich initiativ bei der Bischofskonferenz in Köln um den Posten beworben. Und das obwohl sie der evangelischen Kirche angehört. »Und ich wurde angenommen«, freut sie sich noch heute. »Ich habe gleich klargestellt, dass ich die Arbeit als überkonfessionell und vornehmlich als eine soziale Aufgabe betrachtete.« Bis zu ihrer Herzoperation vor ein paar Jahren führte sie die Einrichtung mit großem Erfolg. Danach wurde das Gemeindezentrum leider geschlossen, bedauert sie. Die deutschen Frauen in Ankara haben aber zur Selbsthilfe gegriffen und einen Verein gegründet, der die Aufgaben übernommen hat. So können die Alten weiterhin betreut und den sozial Schwachen weiter unter die Arme gegriffen werden. »Wir haben in Ankara ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl«, betont Elisabeth und meint
  • 60. damit die Deutschen. Dieser Zusammenhalt gibt ihr in der Türkei ein Stück Heimat. »In Deutschland wird den Türken ja häufig vorgeworfen, dass sie zusammenhocken. Das ist bei uns nicht anders. Ich habe keine einzige türkische Freundin, ich habe nur deutsche. Wir treffen uns sehr häufig. Wir helfen uns sehr viel. Wir halten sehr stark zusammen. Wir haben natürlich unsere türkischen Familien, das ist der Unterschied zu den Türken in Deutschland. Aber wir sind nicht aufgegangen in der türkischen Gesellschaft«, betont Elisabeth. Doch im Gegensatz zu den türkischen Einwandererfamilien in Deutschland hat Elisabeth damit in der Türkei keine Probleme. »Die deutsche Kultur ist in der Türkei sehr hoch angesehen. Man wird auf keinen Fall diskriminiert. Als Deutsche hat man keine Probleme.« Elisabeth weiß zu schätzen, dass sie zusätzlich Glück mit der Familie ihres Mannes hatte. »Meine Schwiegereltern waren sehr offene, gebildete, weitgereiste Menschen. Meine Schwiegermutter ist eine sehr moderne Türkin.« Viele ihrer deutschen Freundinnen hätten es nicht so gut getroffen; ihre Familien zeigten sich nicht so offen. Diese Frauen mussten ihren Namen ablegen und zum Islam übertreten. »Das bedeutet nicht, dass sie ein sehr religiöses Leben führen müssen. Unter 500 Frauen gibt es höchstens zwei oder drei, die das Kopftuch tragen«, erläutert sie. Elisabeth weiß aber aus vielen Gesprächen, dass diese Frauen nicht nur unter dem Verlust ihrer Heimat und ihrer Religion, sondern besonders unter dem ihres Namens leiden. Sie hätten ein großes Stück ihrer Identität für die Schwiegerfamilien aufgeben müssen. »Wenn sie zusätzlich noch mit den Schwiegereltern in einem Haushalt leben müssen, haben sie es besonders schwer. Dann müssen sie sich Regeln unterwerfen, die ihnen meistens nicht so gut gefallen. Die Schwiegertochter soll sich so verhalten, wie eine türkische Frau sich verhalten
  • 61. hätte. Dann müssen sie schon oft zurückstecken«, hat sie beobachtet. Ihr Mann hat zum Glück großes Verständnis für ihre Liebe zu Deutschland. »Er ist eben ein großer Deutschlandfan. Er liebt mein Heimatland«, betont Elisabeth. »Er ist es, der häufig zu mir sagt, dass es wieder mal Zeit würde für ein Treffen mit meinen deutschen Freundinnen. Er begleitet mich auch gerne zu Festen in der deutschen Botschaft.« Leider kann er sie heute aus gesundheitlichen Problemen nicht mehr so oft bei ihren Reisen begleiten, wie er es sich wünschen würde. »Ich habe das Glück, dass ich sehr oft in Deutschland sein kann. Ich habe den Kontakt zu Deutschland und meiner deutschen Familie nie verloren. Das hat mein Mann sehr unterstützt. Das ist mir ganz, ganz wichtig«, sagt Elisabeth mit Nachdruck. Ihre Staatsangehörigkeit aufzugeben kam für Elisabeth nie in Frage: »Ich bin ich, und ich bin und bleibe Deutsche.« Auch ihre beiden Kinder und sogar ihr kleiner Enkelsohn in Ankara haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Ihre Sprache blieb immer das Deutsche. »Ich spreche Deutsch und mein Mann Türkisch. Mit den Kindern habe ich immer nur Deutsch gesprochen. Die Aufteilung ist spontan so entstanden. So sind die Kinder zweisprachig aufgewachsen.« Das liegt keinesfalls daran, dass es ihr an türkischen Sprachkenntnissen mangeln würde. Ganz bescheiden gibt sie zu: »Es fällt mir schwer, das über mich zu sagen, aber ich glaube, ich spreche sehr gut Türkisch.« Elisabeth beobachtet, dass bei der jungen Generation das Deutsche sogar noch mehr gepflegt wird als zu ihrer Zeit. »Und jetzt haben wir einen Enkel in Ankara, und der wächst auch zweisprachig auf. Ich und mein Sohn, wir sprechen mit ihm Deutsch. Und seltsamerweise auch der türkische Großvater«, sagt sie mit einem kaum wahrnehmbaren Schmunzeln. »Nur die Mutter spricht mit ihm Türkisch. Er ist