2. Kritik und
konstruktive
Herbert tentative
Gmer:--
· ektischen
Materialisnms
1976
Verlag Neue Mille
Land.traße. Hauptstraße 13/35, 1030 Wien
layout: Gert Schmidinger
Druck: R. Heinrich, Hosnentraße 36, 1160 Wien
Printed in Austria

3. 3. TEIL: POLARBEZIEHUNG UND DIALEKTIK. 78
3.1. Einleitung • • • • • • • • • • • • • • • 78
3.2. Einheit und Kampf der GegenslItze ••• 79
3.3. Die Polarbeziehung • • • • • • • • • • • • • 82
Die Gesetzmllßigkeiten der Polarbeziehung • 82
Beispiele fUr gleichartige Beziehungen
in anderen Denksystemen: • 87
(1) Chinesische Philosophie 87
(2) Christentum • 88
(3) Kybernetik ••••••• 91
(4) Ökologie •••••••• 94
VORWORT • • • • • • • • • • • 6
Systematische Untersuchung • 97
9 Zusammenfassung • • • • • • 105
1. TEIL: GEIST UND tM TERIE •
3.4. Kritische Auseinandersetzung •• 107
1.1. Einleitung ••• 9
12 4. TEIL: DREISTUFENPROZESS UND DIALEKTISCHE TRIADE. 114
1.2. Idealismus und Materialismus
Idealismus ••••••••• 13
13 4.1. Die weiteren Gesetze der Dialektik ••••• • 114
Materialismus • • • ••••
1.3. Der dialektische Materialismus 15 Das Gesetz der Negation der Negation. • •••••• 114
Die Parteilichkeit der Philosophie •• 17 Das Gesetz des Umschlagens quantitativer VerlInderungen
Die Materie und ihre Eigenschaften. • • • • • •• 18 in qualitative VerlInderungen ••• • 120
Materie und Bewußtsein ••••• 20 Zusammenfassung • • • • • • • • 125
Bewußtsein und Widerspiegelung ••• 23 4.2. Der Dreistufenprozeß ••••• 128
1.4. Die Vereinigungsphilosophie ••••••• 26 Definition • • • • • • • • • • • • 128
Die Beziehung zwischen Geist und Materie •• 27 Finalitat und Kausalitllt ••••• 130
Der philosophische Ansatz der Vereinigungsphilosaphie ••• 31 Das Wesen des UrsprurgS ••••••• • • 135
Der "ontologische Mehrwert" • • • • • • • • • • 139
2. TEIL: POLARITÄT UND WIDERSPRUCH • • • • • • • • •• 33
5. TEIL: QUADRUPOLARE STRUKTUREN UND POLARE ZWECKE 141
2.1. Historische Entwicklung. 34
2.2. Die vertikale Palaritllt •• 38 5.1. Quadrupolare Strukturen • • • • • • • • • • • 143
Definition. • • • • .. • 38 Der identitatserhaltende Quadrupol ••• 146
Systematische Untenuchung • • • • • • • • •• 41 Der neagenetische Quadrupol ••••••• 148
Zusammenfassung • • • • • • • • 47 5.2. Die polaren Zwecke • • • • • • • • • • • • • • • • • • • 150
2.3. Die horizontale Palaritllt • • • • 48 5.3. Die Konsequenzen fUr die menschliche Gesellschaft •• 153
Definition. • • • • • • • • • 48 Der Unterschied zwischen dem Menschen
Systematische Untersuchung • • • • • • • •• 49 und dem ~rigen Universum • • • • • • • • • • • 153
Zusammenfassung • • • • • • • • • • •• •••••••• 52 Deterministische und dynamische Systeme •••• 158
2.4. Die Ordnung zwischen den einzelnen Polen und Polaritaten. • 55 "Tote" und "lebendige" Systeme •••• • • 159
Innere und Äußere Wesensart • • • • • • • • • •• 55 Die portnenchaftliche Gesellschaft •• • • 163
Positivitat und Negativitat • • • • • • • • • • •• 57 5.4. Neuer Wein in alte SchIlluche?
Vertikale und horizontale Polaritat • • • • • • •• 58 Zur Möglichkeit der Realisation ••• 170
Subjekt und Objekt • • • • • • • • • • • • • • •• 60
2.5. Der dialektische Widerspruch. • • • • • • ••••••• 61 ANHANG. 177
Geschichte der Dialektik. • • • • • • • • • • • • • •• 61
Der Widerspruchsbegriff heute. • • • • • • • • • • • • • • •• 64 Indexregister • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • 177
Antogonistische ZUge in der Polaritat • • • • • • • • • • • •• öl Penonenregister • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • 182
2.6. Kritische Auseinandenetzung • • • • • • • • • • • • • • • • • •• 73 Sachregister • • • • •••• 183
literatur • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • 187

4. Einheit verloren. Die christliche Ideologie der Nächstenliebe, die das gei-
stige Zentrum des Abendlandes war, kam nicht mehr zur Anwendung. Deshalb
konnte sich eine Bewegung ausbreiten, die diese Einheit mit aller Kraft ver-
wirklichen will, der Kommunismus. Die Kommunisten wissen genau, was sie
wollen: die Weltrevolution und die klassenlose Gesellschaft, davon lassen sie
nicht ab. Was will der Westen? Niemand kann das sagen.
Eine Einheit von Theorie und Praxis ist im Westen ja gar nicht m ö gl ich, da
keine Theorie vorhanden ist. Es existieren keine gemeinsamen Zielvorstell un-
gen. Darum werden an verschiedenen Stellen immer mehr Stimmen laut, die
Daß der Kapitalismus untergeht, prophezeien uns die Marxisten schon seit neue gesellschaftspolitische Ziele verlangen, ein Ideensystem, das man der
Uber 100 Jahren. Nun erscheint es ihnen, daß die Zeit reif sei zur ErfUllung kommunistischen Ideologie als bessere Alternative entgegensetzen kann.
ihres Wunschtraumes! In der Tat htlufen sich die Symptome, die auf einen
Zerfall des westlichen Systems hindeuten: die weltweite Wirtschaftskrise, das Aus einem weiteren Grund ist eine derartige Idee dringend notwendig. Die
unkontrollierbare Ansteigen der Lohn-Preis-Spirale, das Scheitern einer wirt- Menschheit wird vor eine Reihe von Problemen gestellt werden, die wir
schaftlichen Integration durch individuelle Profitgier, alles scheint heute die sicherlich nur gemeinsam lösen können. Dazu gehört unter anderem die
marxistische Prophezeiung zu stUtzen. Zerstörung unserer Umwelt, Rohstoffmangel, Energiekrise, Lberbevölkerung,
Nahrungsmittelknappheit, Massenvereinsamung, Terrorismus und weltweites
Die Kommunisten vergessen nur eines: Durch die fast sechzigjährige Anwen- Verbrechertum, Entwicklung der Dritten Welt etc. Wir brauchen eine Idee,
dung der kommunistischen Theorie in der Praxis kann man längst sehen, daß die die grundsätzlichsten Ziele und Vorstell ungen aller Menschen vereini-
dieser Versuch, die Welt zu verbessern, die Menschheit nicht weiter gebracht gen kann, damit sie an diesen Aufgaben nicht scheitern. Letzten Endes soll
hat. Ganz im Gegenteil. Obwohl der Marxismus auch heute noch Erfolge diese Idee auch vom Osten her erreichbar sein, damit die lebensbedrohende
erringt und sich weiter ausbreitet, sieht man bereits sein nahes Ende. Eine Polarisierung von Ost und West, das "Gleichgewicht des Schreckens"', be-
Gesellschaftsform, die die wahre Natur des Menschen unterdrUckt, kann sich seitigt werden kann.
nie lange halten. Das hat sich schon beim Nationalsozialismus gezeigt.
Aus allen Enden der Welt, selbst im Ostblock, tauchen nun Ideen und Bewe-
Wenn man nun den kommunistischen Versuch, die Fehler des Kapitalismus gungen auf, die alle denselben Grundgedanken haben, dem nach unserer Mei-
auszumerzen und eine bessere, gerechtere Gesellschaftsform zu schaffen, als nung die Zukunft gehört: das Ve r ein i gun g s den k e n und die Idee der
gescheitert ansehen muß, so stellt sich die Frage: Was kommt nach dem Partnerschaft. DieseVorstellungen erscheinen unter den verschiedensten
Kommunismus? Namen: als" integrales Denken" (GabrieI), als" Neues Denken" (Günzl), als
"partnerschaftliche" oder "dialogische" Gesellschaft, als "Weltfamilie" oder
Der Kommunismus entstand als Reaktion auf das Versagen des christlichen "Eine Welt".
Abendlandes zur Zeit der industriellen Revolution. Die kommunistische Ideo-
logie, die man in drei große Hauptgebiete teilen kann, den dialektischen Im Rahmen der "Neuen Mitte" arbeitet seit einiger Zeit ebenfalls ein Team
Material ismus (Philosophie), den historischen MateriaIsimus (Geschichtsbe- an der Formulierung einer solchen Idee. Wir möchten nun nach und nach Zwi-
trachtung) und die politische Ökonomie (Wirtschaftslehre), kennt daher die schenergebnisse unserer Arbeit publizieren. FUrs erste haben wir einige philo-
Fehler des westlichen Systems sehr genau und nUtzt sie fUr ihre Zwecke aus. sophische Aspekte unserer Ve r ein i gun g si d e e zusammengefaßt und unter
Aus diesem Grund konnte diese Ideologie derartige Erfolge erringen. Ein dem Namen Vere i ni gungsph i I osoph i e dem dialektischen Materialis-
Drittel der Welt ist bereits kommunistisch, ein weiteres Drittel stark unter- mus entgegengesetzt. Wir haben für die neuen Gedanken auch eine neue
wandert. Was macht die lÄ>erlegenheit des Kommunismus eigentlich aus? Sprache, eine neue Terminologie schaffen mUssen. Zwar haben wir versucht
uns möglichst an bestehende Begriffsbildungen anzulehnen, doch ist das nich't
Einer der wesentlichsten Punkte ist sicherlich die Einheit von Theorie immer möglich gewesen. Wir bitten daher zu beachten, daß viele Begriffe von
6 und Pr a xis. In der Gesellschaft der vergangenen Jahrhunderte ging diese uns neu gefaßt worden sind, was aber nichts ausmacht, da sie alle im vorlie-
genden Buch definiert werden.
7

5. Wir haben uns zur Aufgabe gestellt, Erkenntnisse des "Vereinigungsdenkens"
von Uberall her zusammenzutragen und zuerst einmal die Vereinigung der Ver-
einigungsdenker voranzutreiben. Es kostet viel MUhe, einen "Prototyp" einer
Vereinigungsideologie "fahrbereit" zu machen. Jeder ist ei ngeladen,
uns seine Vorschläge und Ergänzungen zü bringen und konstruktive Kritik zu
uben. Letzten Endes geht es darum, einen solchen "Prototyp" in einer neuen
Ge seil sc h a f t praktisch zu verwirklichen, um den Menschen ein besseres
Leben und Zusammenleben zu ermöglichen und zu beweisen, daß die mensch-
liche Gesellschaft besser funktionieren kann als in den heute UblichenGe-
seilschaftsformen •
1.1 Einleitung
12. Dezember 1975 Herbert Giller Wir können von der Voraussetzung ausgehen, daß auf dieser Welt eine Menge
ungelöster Probleme existieren. Manche haben allerdings Interesse daren, die
Probleme zu verschleiern und diese Zustände zu erhalten, weil sie ihnen
gerade nUtzen; aber von denen wollen wir jetzt ni cht reden. Wir möchten
auch diejenigen links liegen lassen, die die Augen vor der Realität verschlie-
ßen und schlafen. Reden wir von den Methoden, die angeboten werden, um
die Probleme zu lösen.
Da gibt es einmal die "chaotische Methode". Sie besagt, daß alles zerstört
werden muß, denn schlechter kann es nicht mehr werden, und irgendetwas
Besseres wird dann schon entstehen. Einfallsreich ist diese Methode nicht.
Ein solches Denken kann man nur als gefährlich und verantwortungslos be-
zeichnen.
Dann gibt es noch die "pragmatische Methode" • Sie besagt, daß man immer
genau dort eingreifen muß, wo eben ein Schaden auftritt. Zum Beispiel wenn
irgendwo Armut herrscht, muß man Almosen geben - die Wurzeln der Armut
bleiben jedoch unberuhrt. Nehmen wir ein anderes Beispiel : ein Patient lei-
det an Gelbsucht. Rein pragmatisc:h wUrde mon nun feststellen, daß das Ge-
si cht gelb sei und daher rosa geschminkt werden mUsse. Der Patient sieht nun
wieder gesund aus, ist aber noch genauso krank, da die Wurzel der Krank-
heit nicht behandelt wurde.
Die "pragmatische Methode" kann die Probleme auch nicht in den Griff be-
kommen. Es fehlt die Kenntnis der Zusammenhänge und daher auch die nö-
tige Koordination: Was der eine muhsam aufgebaut hat, stößt der andere
ahnungslos wieder um. Wahrend man ein Loch stopft, platzt woanders wieder
eines auf. Es fehlt ein umfassender Plan, der von den Ursachen der Probleme
ausgeht. Leider ist die pragmatische Methode in der politischen Praxis des
8
"freien Westens" am weitesten verbreitet. 9

6. Chruschtschow vor der UNO
Anders ist das mit der "gesamtheitlichen Methode". Die gesamtheitliche Me-
thode sieht die Welt als eng verbundenes Ganzes. Sie erkennt, daß man
keine isolierten Handlungen setzen kann - jede Handlung hat Auswirkungen
auf alle anderen Teile des Ganzen. Die gesamtheitliche Methode sucht eine
Gesamtlösung, die alle Probleme von der Wurzel her lösen kann.
Eine derartige Gesamtlösung muß ein völlig konsistentes, das heißt wider-
spruchsfreies Gebilde sein und auf alle Fragen eine befriedigende Antwort
geben können. Sie muß also ein vollstl1ndiges Weltbild, Menschenbild, Ge-
sellschaftsbild bieten, eine Geschichts- und Wirtschaftsauffassung sowie
eine Diagnose des Schadens und eine geeignete Therapie. Eine solche Ge-
samtlösung kann theoretisch weder bewiesen noch widerlegt werden, den
Ri chterspruch fäll t di e Praxis.
Es ist heutzutage nur ein derartiges Modell bekannt: der Kommunismus. Was
"Kommunismus" wirklich ist, darUber kann man streiten, aber wir wollen
nicht Haare spalten. Wir bezeichnen mit "Kommunismus" oder "Marxismus" zumindest in der Sowjetunion verwirklicht sein." Er hat maßlos angegeben.
einfach die Methoden, die auf dem dialektischen und historischen Materia- Aber trotzdem - "1980" als auch "1984" stehen unmittelbar bevor, und das
lismus, bzw. der politischen Ökonomie von Marx und Engels beruhen. Ins- ist Anlaß genug, diese Schrift herauszugeben.
besondere befassen wir uns mit der sowjetrussischen Auslegung, da sie - sehr
zum Leidwesen mancher Marxisten - noch wie vor die reolpolitisch relevante-
Viele bildeten sich schon ein, den Kommunismus widerlegt zu haben. Das ist
ste ist.
a.ber auf th.eoretisch~ Weise gar nicht möglich. Der Kommunismus ist eigent-
Wie sehen nun - und das ist das Interessanteste - Diagnose und Therapie im lich gar keme Theorie, sondern eine Anweisung zum Handeln. Er kann daher
Marxismus in groben ZUgen aus? Letzten Endes lassen sich olle Konflikte und nur aus den Angeln gehoben werden, wenn eine Theorie auftaucht die unter
Probleme auf einen Punkt zurUckfuhren - auf den Klassenkonflikt zwischen anderen Vorzeichen das gleiche zu leisten imstande ist und le~ten Endes
Bourgeoisie und Proletariat, das heißt zwischen Kapitalisten und Lohnarbei- auch in die Tat umgesetzt wird. Eine ErnUchterung fUr viele "Antikommuni-
sten", aber wir kommen daran nicht vorbei.
tern bzw. Ausbeutern und Ausgebeuteten. Daraus ergibt sich, daß dos Prole-
tariat in einer weltweiten Revolution die Ausbeuterklasse, die EigentUmer an
Produktionsmitteln, niederwerfen muß. Dadurch wird die Diktatur des Prole- August 1968:
Sowjetische
tariats errichtet, aus der schließlich, wenn dies weltweit durchgefuhrt ist,
Panzer in Prog
die ideale kommunistische Gesellschaft entsteht.
Über die Art und Weise dieser Revolution streiten sich die verschiedensten
Spielarten des Marxismus herum. In der kommunistischen Gesellschaft lassen
sich dann alle Probleme leicht lösen, da ein "neuer kommunistischer Mensch"
entstanden ist, der durch die Befreiung von allen Zwl1ngen einen viel höheren
Stand an Verantwortungsbewußtsein, Hilfsbereitschaft und Moral erreicht hat.
Wir haben nichts gegen so ein Paradies auf Erden. Im Gegenteil. Wir sind
nur der Ü:>erzeugung, daß es die Kommunisten nicht erreichen ktsnnen, da sie
in entscheidenden Punkten daneben liegen. Ein Sieg des Kommunismus wUrde
nach unserer Meinung nicht die ErfUllung, sondern den Bankrott der Weltge-
10 schichte bedeuten. "1980", so sagte Chruschtschow, "wird der Kommunismus
IJ

7. Es ist auch ein Irrtum zu glauben, die Weltrevolution laufe sich tot. Die
kommunistische Geschichtsauffassung beweist ihren Anhllngern klar und ein- Idealismus
deutig, daß die Weltrevolution und der Sieg des Kommunismus notwendig und
unausbleiblich sind. Die meisten erwarten den Durchbruch noch in dieser Es ist nicht notwendig, den Idealismus näher zu betrachten, wir möchten
Generation und sind von ihrer geschichtlichen Mission Uberzeugt. nur zeigen, daß er zu manchen AuswUchsen gefUhrt hat. Extreme Idealisten,
wie zum Beispiel George Berkeley (1685 - 1753), glaubten nur an Empfin-
Man soll sich daher nicht täuschen lassen, wenn Kommunisten von "Entspan- dungen, nicht an die Realitöt der materiellen Welt. Berkeley wollte Newtons
nung" oder "friedlicher Koexistenz" sprechen. Es ist dies ein taktischer Weltbild widerlegen und hielt Materie, Raum, Zeit etc. fUr nicht existent.
Kunstgriff, ein "dialektischer RUckschritt" , der nur dazu dient, den Gegnel" Wirklich existent seien nur Wahrnehmungen ("esse est percipi").
einzulullen und eine gUnstigere Ausgangsposition fUr den nllchsten "Sprung
vorwärts" zu schaffen. Seit dem Abkommen von Helsinki im Sommer 1975 Daraus entstanden kuriose Anschauungen. Manche glauben noch heute, daß
haben sowjetische Fuhrer bereits mehrmals betont, daß der "ideologische ein Gegenstand nur dann existiert, wenn man ihn anschaut, daß er wieder
Kampr' nicht eingestellt, sondern intensiviert werde. verschwindet, wenn man die Augen schließt. Manche bezweifeln auch die
eigene physische Existenz - alles ist Illusion der Sinne.
Welche Möglichkeiten gibt es denn Uberhaupt, gesamtheitliche Modelle zu
entwickeln? Der dialektische Materialismus geht von der Voraussetzung aus,
daß die Materie die letzte Ursache des Universums ist und daß die Materie Materia lismus
die vorherrschende Position gegenUber dem Geist innehat. Was gibt es sonst
noch? Diese Möglichkeiten möchten wir nun untersuchen. Die Betrachtung des Materialismus ist fUr uns ergiebiger, da wir dabei erken-
nen können, woraus sich der dialektische Materialismus entwi ckelt hat. In
der Antike setzten verschiedene Philosophen verschiedene materielle Dinge
als letzte Ursache des Univel"sums an. So zum Beispiel
1.2 Idealismus und Materialismus
* Thales (642-546v.Chr.)
Anaximenes (586 - 483 v. ehr.)
Heraklit (544 -483 v. ehr.)
Demokrit(460 - 370 v. ehr.}
das
die
das
das
das
Wasser
luft
Feuer
cb0l'oc; (atomos, das Untei Ibare),
Atom
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, möchten wir kurz Geist und
Materie voneinander abgrenzen. Untel" die Kategorie "Geist" fallen vor al-
lem das Bewußtsein, die menschliche Psyche, Intellekt, Geflllie wie liebe,
Freude, östhetisches Empfinden und del" Wille. Unter "Materie" fallen die
physikalische Energie und alles, was sich davon ableitet: Partikeln, Atome,
MolekUle, lebende Zellen und Organismen, wie zum Beispiel der mensch-
liche Körper.
Die Anschauung, die annimmt, daß die letzte Ursache des Univel"sums etwas
Geistiges sei und der Geist primör gegenUbeI" der Materie, nennen wir "Idea-
lismus". Die gegenteilige Anschauung, die annimmt, daß die letzte Ursache
des Universums etwas Materielles sei und die Materie primör gegenUber dem
Geist, nennen wir "Materialismus". (Es gibt verschiedene Definitionen, abel"
darauf möchten wir nicht eingehen. FUr unsel"e Zwecke ist diese Einteilung
12 am praktischsten.)
Demokrit 13

8. Ren6 Descartes
Ludwig Feuerbach
Sir lsoac Newton
Durch das Christentum verlor der Material ismus stark an Bedeutung und taueh-
te erst wieder in der Renaissance auf, als die Menschen sich erneut mit der
Antike auseinanderzusetzen begannen. Bedeutendste Denker dieser Zeit waren:
Galileo Galilei (1564 -1642), der das Weltbild des Kopernikus vertrat und in
Drei sehr grundlegende Haltungen hat Marx von ihm ubernommen. Feuerbach
Konflikt mit der Kirche geriet
Pierre Gossendi (1592 -1655), der die Demokritische Atomlehre erneuerte
Rene Deseartes (1596 - 1650), der bedeutendste Philosoph seiner Zeit
7~~ntireligiös: Er hält die Religion verantwortlich fUr das sozia~e Elend des
Proletariats. Das Verbrechen der Religion liege darm, daß man
Thomas Hobbes (1588 - 1679), der die Gesellschafts- und Staatslehre die-
dem Menschen durch die Verheißung eines jenseitigen GIUcks
ser Zeit maßgeblich beeinflußte. das diesseitige GIUck geraubt hat. (Es gibt zu denken, daß Feuer-
baeh der anfangs Thealogie studierte und leidenschaftlicher
Größte Bedeutung aber hatte das 1687 erschienene Werk "Philosophiae natu-
ralis principia mathematica" (Mathematische Grundlagen der Naturwissen- Chri:t war, im Alter das Christentum leidenschaftlich haßte.)
schaft) von Sir Isaae Newton (1643 - 1727), in dem er alle Erkenntnisse 2.Antimetaphysisch: Genauso wie durch die Religion wi~d die Unterdr.uckun g
der damaligen Naturwissenschaft zu einem einheitlichen System der theore- der Massen durch den Mystizismus und IdealIsmus verschleIert.
tischen Mechanik zusammenfaßte. Seit damals versuchte man mehr als zuvor 3.Antiindividualistisch: Nach Feuerbach ist der einzel".e hinfällig, .gebrech-
, ·eh schutzbedUrftig und bedeutungslos. DIe MenschheIt als Ge-
alle Phänomene der Welt durch die Gesetze der Mechanik und Dynamik zu I , k . .
erklären. Man sah das Universum als Maschine, die durch bloße Ortsbewe- samtes hingegen ist stark, unzerstörbar und voll ommen - SIe ISt
gung in sich unveränderlicher Teile funktioniert. Aus diesem Grunde nennt der auf die Erde niedergestiegene Gott.
man auch den Materialismus der gesamten Epoche den "mechanistischen Ma- F rbach war Humanist. Er betonte die Bedeutung der Nächstenliebe in der
terialismus" • ;:lIsehaft. Der Mensch hat die Macht, kraft seines Willens die Probleme
zu lösen und die Geschichte voranzutreiben.
In diesem Geiste erschien die französische Enzyklopädie, deren Herausgeber
Denis Diderot (1713-1784 Har. Der krasseste Materialist dieser Zeit war
allerdings Julien Offray de lamettrie (1709 - 1751), der die cartesiani-
sche Vorstellung von den Tieren als Automaten (Maschinen) auf den Menschen
1.3 Der dialektische Materialismus
Ubertrug ("l'homme machine" - Die Mensehenmaschine).
(Diamat)
FUr die neuere Zeit sehr bedeutsam ist ludwig Feuerboeh (1804 - 1872),
Der b ·IS heu te bedeutendste Materialist war Karl Marx. Er h ch' d 1818 I'
wurde in
da er ein unmittelbarer Vorläufer von Karl Marx war. Feuerbach war einer • b Das Rheinland in dem er aufwuchs, war eIn 0 m us t' 1-
. na
der fuhrenden Köpfe des linkshegelianismus. Er leitete die Abwendung der Tner ge o r e n . , . . II Pr I
slertes Geb'le. r
. tEerlebte daher unmittelbar das Elend des Industne en 0 e-
.
"linken" vom deutschen Idealismus ein. FUr ihn war die materielle Welt kein . nd da Versagen der christlichen Kirchen mIt. Dadurch wurde er stark
Schatten des Geistes, sondern eine objektive Substanz, die getrennt vom tanats u s . II
Geist existiert. Die Natur geistiger Dinge sieht er durch materielle Dinge mohvler t , sem leben in den Dienst der unterdrUckten ArbeIter zu ste en und
.. . . f .
eme Bewegung 'Ins leben zu rufen , die die Arbeiter von Ihren Ketten be relen
•
14 bestimmt. "Der Mensch ist, was er ißt." 15
soll.

9. Marx lehnte den mechanistischen Materialismus ab, da dieser die Position des
Materialismus nicht bis zuletzt halten kann. Ein Universum, das wie eine
Maschine aufgebaut ist, braucht einen Konstrukteur und einen Beweger -
eine Maschine kann sich ja nicht selbst bewegen.
Das starre System eines solchen Automaten kann die Dynamik des Alls (Ent-
stehungs- und Entwicklungsprozesse) nicht erklären. Alle Phänomene mUßten
sich periodisch wiederholen. Dies könnte wiederum die soziale und ökono-
mische Entwicklung nicht erklären - mit einem Wort, eine solche Philoso-
phie kann keine sozialen Probleme lösen.
Marx lehnte aber auch Feuerbach ab. Er sagte: "Feuerbach war ein Materia-
list von der Taille abwärts, aber ein Idealist darUber." Er kritisierte an ihm
das mangelnde Interesse an der Soziologie. Es mißfiel Marx, daß Feuerbach
Karl Marx Friedrich Engels nicht sa weit dachte, die Prinzipien des Materialismus auf die sozialen Pro-
bleme anzuwenden. Dann hätte er nämlich erkannt, meinte Marx, daß die
Im Alter von 30 Jahren trat er mit dem "Kommunistischen Manifest", das er materiellen Bedingungen wichtiger sind als die geistigen Faktoren der Ge-
zusammen mit Friedrich Engels verfaßt hatte, zum ersten Mal an die Öffent- sellschaft (Nächstenliebe, Willenskraft).
lichkeit. 1867 ersc~!en der erste Band seines Hauptwerkes "Das Kapital. Kri-
tik der politischen Okonomie". Er starb 1883 in London. Um diese "Fehler" fruherer Materialismen zu vermeiden, entwickelte Marx
seinen dialektischen Materialismus, mit dem wir uns in weiterer Folge befas-
Als Philosoph arbeitete er daran, den Materialismus so zu fundieren, daß die sen möchten. Wir beziehen uns auf den neuesten Stand, der von bedeutenden
Argumente der Idealisten wirkungslos wurden. Dazu verband er ihn mit der sowjetischen Theoretikern wie Lenin oder Stalin mitgeprägt wurde. Zum Teil
dialektischen Methode Hegels. werden wir auch Ansichten Mao Tse- Tungs in unsere Betrachtung einbezie-
hen.
Arbei tsbedingungen z um Anfang des 19. Jahrhunderts
Die Parteilichkeit der Philosophie
Dieses Gesetz wurde zwar erst von Lenin formuliert, hängt aber eng mit der
Geschichtsauffassung von Marx, dem historischen Materialismus, zusammen.
Wir stellen dieses Gesetz deshalb an die Spitze unserer Betrachtungen, da es
die kommunistische Ideologie treffend charakterisiert. Es besagt, daß jede
Theorie, jede Philosophie den Standpunkt einer bestimmten Klasse vertreten
muß. Mit anderen Worten: es kann keine Philosophie abseits von Klassen-
interessen geben.
Nach Meinung der Marxisten stUtzte zum Beispiel die Philosophie des Ari-
stoteles die antike Sklavenhaltergesellschaft, die Philosophie des Thornos
von Aquin die Feudalstruktur • Aus dieser Definition ergibt sich, daß eine
Theorie oder Ansicht nur dann richtig sein kann, wenn sie den Standpunkt
der richtigen Klasse vertritt; und was die richtige Klasse ist, bestimmt der
16 objektive Gang der Geschichte, der im historischen Materialismus (Histomat )
angefll1rt ist. 17

10. Wladimir IIjitsch Lenin
(eigentlich Uljanaw), 1870-1924,
war e ine der bedeutendsten Persönl ichkeiten
der kommunistischen Bewegung.
In unserer heutigen Zeit ist es die Klasse des Proletariats, der die Zukunft
Er setzte die meist akademisch-thearetischen
gehört. Der Sieg des Proletariats im Klassenkampf ist eine geschichtliche Varstellungen van Marx und Engels
Notwendigkeit. Um es nochmals klar zu sagen, man kann eine objektive in die Tat um.
Sachlage nur dann richtig erfassen, wenn mon sich auf den subjektiven St.and- Er erweiterte den Marxismus
punkt der proletarischen Klasseninteressen stellt. Was bedeutet das in der durch eigene Gedanken,
setzte ihn in Rußland durch und
Praxis? grUnde te die straff organisierte
kommunistische Partei als
Das bedeutet, daß die kommunistische Ideologie hier sich selbst "wissen- "Avantgarde des Proletariats".
schaftlich" bescheinigt, immer recht zu haben. Jeder, der etwas gegen den Man spricht deshalb auch vam
11 Marxismus-Leninismus" .
Kommunismus sagt, muß ja, laut Gesetz, das Klasseninteresse der Bourgeoi-
sie vertreten und liegt daher falsch. Diese Beweisgaukelei erinnert fast an
den "Beweis" des Zenon von Elea, daß Achilles eine laufende Schildkröte
niemals einholen könne.
Was geschieht hier? Der Satz von der Parteilichkeit der Philosophie ist ein einfach das was man angreifen konnte, eine Substanz, die aus unteilba-
Bestandteil der kommunistischen Ideologie. Gerechtfertigt wird er durch den ren unverä~derlichen und undurchdringlichen Atomen bestand. Es war nicht
historischen Materialismus, der ebenfalls Bestandteil der kommunistischen sch~er, eine Philosophie auf der Materie zu gründen - die Materie galt als
Ideologie ist. Das heißt, das Gesetz der Parteilichkeit ist selbst parteilich. etwas Absolutes.
Um auf olle Philosophien anwendbar zu sein, dürfte es nicht in der Sprache Als man um die Johrhundertwende durch die Entdeckung der Radioaktivität
der kommunistischen Ideologie abgefaßt sein, sondern in einer" Metaspra- 1 auch die Elementarteilchen entdeckte, begann unter den Materialisten Rat-
che", die für alle Philosophien gültig ist. Das Gesetz müßte sich daher auch losigkeit, die durch dos Bekanntwerden des Planck'schen Wirkungsquantums
außerhalb des kommunistischen Denksystems beweisen lassen, was aber nicht und der darauffolgenden Erkenntnisse der Quantenphysik noch verstärkt wur-
der Fall ist. de. Es stellte sich nämlich heraus, daß sich die Materie auf die Energie zu-
rUckflltren läßt, daß Masse und Energie über die Einstein - Formel E= mc2
Die Kommunisten hoben also kein Recht, anderen Philosophien und Ansichten korrespondieren. Manche sprachen von einer" Entmaterialisierung" und von
vorzuwerfen, sie wären parteilich. Ganz im Gegenteil, wir müssen eine einem "Verschwinden der Materie"; manche Marxisten suchten bereits nach
Philosophie oder Weltanschauung zurückweisen, die nur die Interessen einer einer anderen philosophischen Grundlage fUr die Weltrevolution.
bestimmten Gruppe oder Klasse von Menschen vertritt. Eine Philosophie soll
helfen, die Probleme 0 II er Menschen zu lösen. lenin beendete das Durcheinander, indem er die Definition der Materie neu
faßte. Er meinte, jede Art von neuen physikalischen Erkenntnissen könne dem
Es stimmt, daß verschiedenste Anschauungen in der Vergangenheit nicht allen Diamat nichts anhoben, bestenfalls dem "metaphysischen" (mechanistischen)
Menschen und allen Gruppen gedient haben, aber das mUssen wir ja gerade Materialismus, der die Materie als etwas Starres ansehe und nach ihrem "letz-
verurteilen. Eine wahre Philosophie kann nur fUr ei ne Klasse parteilich ten unveränderlichen Wesen" suche. Im Diamat sei es jedoch klar, daß die
sein: fUr die" Klasse der Menschen" • Materie ständig in Bewegung, ständig in Veränderung sei.
Die damalige Neudefinition, die heute noch maßgebend ist, lautet:
Die Materie ist eine phi losophische Kategorie zur Bezeichnung der
objektiven Realität, die dem Menschen in seinen Emfpindungen
Die Materie und ihre Eigenschaften gegeben ist, die von unseren Empfindungen kopiert, fotografiert,
abgebildet wird und unabhängig von ihnen existiert. 2
FUr eine materialistische Philosophie ist es zweifellos von zentraler Bedeu-
tung, ihre Auffassung der Materie genau zu definieren. Zur Zeit von Marx Die Materie ist das, was durch seine Wirkung auf unsere Sinnes-
und Engels war der Begriff der Materie völlig unproblematisch. Materie war organe die Empfindung erzeugt; die Materie ist die uns in der
18
Empfindung gegebene objektive Realität. 3 19

11. Mit dieser Definition ist der kommunistische Materiebegriff nun sicher vor Wie soll man aber nun den Begriff des Bewußtseins fassen, damit man nicht
physikalischen Neuentdeckungen, denn es wird nicht mehr definiert, was die mit der These von der materiellen Einheit der Welt in Konflikt gerät? Die
Materie wirklich ist, sondern nur das Verhältnis zum Bewußtsein. Materie ist heutige Sowjetphilosophie löst das Problem durch zwei Grundsätze:
das, was unabhängig vom Bewußtsein existiert. Dos Bewußtsein aber ist ab- 1. Das Bewußtsein ist nichts anderes als" Produkt, Funktion und Eigen-
hängig von der Materie, sodaß die Materie hier eigentlich durch sich selbst schaft" der Materie, und zwar einer hochspezialisierten Form der-
erklärt wird. Aber das soll nicht stören. Die Materie ist jedenfalls ihre eigene selben, nämlich des menschlichen Gehirns.
Ursache und das gesamte Universum besteht ausschi ießlich aus ihr. 2. Dieses Bewußtsein ist unmateriell.
Die wesentlichste Eigenschaft der Materie ist die Bewegung. "Die Bewegung Diese Definition bringt viele Unklarheiten und Ungereimtheiten mit sich. Der
ist die ewige Daseinsweise der Materie" heißt es. Es kann keine Materie ohne Begriff" Produkt" impliziert, daß ein Produkt unabhängig von seinem Produ-
Bewegung geben, aber auch keine Bewegung ohne Materie, sie sind untrenn- zenten existieren kann. So wie das Ei unabhöngig von der Henne existiert,
bor verbunden. "Bewegung" ist nicht als bloße Ortsveränderung gedacht, mUßte dann auch der Geist des Menschen unabhängig von der Hirnmaterie
sondern in diesem Begriff ist jede Art von dynamischer Veränderung und Ent- existieren können. Genau das wollen die Kommunisten aber ausschließen.
w i ck Iung ei ngesch lossen. "Produkt" ist also in einem anderen Sinn zu verstehen, deshalb wurde die
Bezeichnung" Eigenschaft" hinzugefUgt •
Es gibt doher fünf verschiedene Bewegungsformen der Materie, die jeweils
eine höhere Stufe darstellen: die mechanische, die physikalische, die chemi- Das wUrde wiederum bedeuten, daß die Materie unmaterielle Eigenschaften
sche, die biologische und die soziale Bewegungsform. Aus der letzteren kann hat, da das Bewußtsein ja als immateriell bezeichnet wird. Eine unmaterielle
man erkennen, warum die Materie auch letzte Ursache der gesellschaftlichen Materie kann es aber nicht geben, das wäre ein Widerspruch in si ch. Auch
Beziehungen und der Geschichte ist. die Bezeichnung "Funktion" hat ihre TUcken. Eine Funktion in diesem Sinne
kann man am besten mit "spezifischer Tätigkeit" umschreiben.
Der Marxismus reduziert das Wesen zwischenmenschlicher Beziehungen auf
die soziale Bewegung der Materie, das heißt Produktion und Zirkulation von
Die spezifische Tötigkeit eines Taschenrechners zum Beispiel ist das Rechnen,
Waren. Die menschliche Geschichte wird ebenfalls durch die soziale Bewe-
eines Huhnes das Eierlegen. Aber ein Huhn kann nicht rechnen, und ein Mi-
gung der Materie bestimmt, durch das Wechselspiel von Produktivkröften und
ni computer keine Eier legen. Eine Funktion entspricht immer der spezifischen
Produktionsverhältnissen, weshalb man auch von einer Geschichtlichkeit der
Struktur und Eigenart des funktioni erenden Subjekts. Entspri cht der Struktur
Materie sprechen kann.
der Materie eine immaterielle Funktion?
Man sieht daß alle diese Begriffe nicht das ausdrUcken, was die marxisti-
Materie und Bewußtsein schen The~etiker wirklich meinen, das steht sozusagen z w i s c he n den Zei-
1en. Lenin spricht auch davon, daß das Bewußtsein ein "innerer Zustand der
Es ist natürlich eine wesentliche Frage, welchen Platz das menschliche Be- Materie" sei.
wußtsein und alles, was wir kurz "Geist" genannt haben, in einer rein ma-
teriellen Welt hat. Fruher sahen die Materialisten das Bewußtsein als Ausfluß Man kann diesen "inneren Zustand" durchaus als immaterielle Komponente
der Materie an. So wie die Leber Galle und die Niere Urin absondert, sollte der Materie auffassen, nur fUhrt das immer auf einen Widerspruch, solange
die Materie Geist absondern. Heute lehnt der Diamat eine solche Denkweise man die Materie als einzige objektive Realität ansetzt. Man kann auch hier,
als "Vulgärmaterialismus" ab. wie schon bei der Definition der Materie, sehen, daß Bewußtsein und Materie
nicht ans ich definiert werden, sondern nur in ihrer Beziehung zueinander.
Der Grundfehler ist nach heutiger Auffassung, daß man höhere Bereiche der lenin sagte daher auch, daß die Gegenüberstellung von Bewußtsein und Ma-
Bewegung, wie es biologische und soziale Prozesse eben sind, nicht aus- terie nur in erkenntnistheoretischer Hinsicht möglich sei, aber
schließlich auf physikalisch-chemische Reaktionen zurückfuhren kann. Hö- nicht in einem realen Bereich außerhalb der Erkenntnistheorie.
here Bereiche wie Leben oder Bewußtsein muß man auch als solche anerken-
nen. Das geht sogar so weit, daß man das Bewußtsein als "unmateriell" be- Damit wird zwar die materielle Einheit der Welt gewahrt, aber die Unge-
20 zeichnet. reimtheiten bleiben. Sie sind nur auf zwei Arten auszumerzen: 21

12. Erstens, wenn man das Bewußtsein als etwas Materielles ansieht. Bis heute
Man sieht also, die ganze Argumentation ist nicht zulässig, es sei denn, man
glauben viele Materialisten an diese These. Sie konnte sogar noch bis 1958
gibt zu, daß andere Arten von Wechselwirkungen neben der dialektischen
offen im Ostblock vertreten werden. Doch die Realität legte die Unsinnigkeit
bestehen können. Die Ungereimtheiten bleiben.
einer solchen Anschauung offen dar, und die Kommunisten konnten sich nicht
davor verschi ießen. Erst durch das Erscheinen der "Grundlagen des Marxis-
Wenn die Kommunisten es auch nicht exakt und widerspruchsfrei ausdrUcken
mus-Leninismus" (1958) wurde die Frage eindeutig und endgUltig entschieden.
können: man versteht doch, was sie wollen. Das Bewußtsein soll völlig von
Hier heißt es:
der Materie abhängig sein, damit der Begriff einer "Seele" oder dergleichen
Die Idealisten und die Gegne r des Marxis mus unte rstellen dem unnötig wird, es soll aber nicht auf die Chemie reduziert werden und wird
ma r xistischen Mate r ialismus imm e r w iede r, e r behaupte, das daher als immateriell bezeichnet. Vergessen wir also die pseudowissenschaft-
Bewußtsein sei e twas Materiell es . S ie tun das , um den marxisti- lichen Erklärungen und merken uns intuitiv die damit verbundenen Absichten.
schen , phil osophischen Mater ialism us l eichte r "Wide rlege n" zu Der Begriff der "Widerspiegelung" kann ebenfalls helfen, die kommunistische
können . Das ist ein alter Trick : Z ue r st e rkl ärt m a n den Gegner Ansicht besser zu durchschauen.
fü r dumm , um ihn dann "sieg r eich" zu kr itisie r en . '
Zweitens kann man die Schwierigkeiten ausschalten, wenn man das Geistige
als zweite Art der objektiven Realität anerkennt. Doch davor schrecken die
dialektischen Materialisten zurUck. Wir können aber die offizielle Anerken-
nung der Immaterialität des Bewußtseins als Schritt in diese Richtung werten. Bewußtsein und Widerspiegelung
Von der absoluten Anerkennung des Geistigen trennt die Kommunisten nur
mehr ei n Vorurtei I. Die Verbindung des immateriellen Bewußtseins mit der Materie wird k larer,
wenn man es als höchsten Ausdruck einer Eigenschaft erklärt, d ie der ganze n
Vielfach wird auch argumentiert, daß Geist und Materie ein "dialektischer Materie anhaftet, nämlich der "Widerspiegelung" • Dieser Begriff wi rd fol-
Widerspruch" oder eine "dialektische Einheit" seien. Lber diese Begriffe gendermaßen definiert:
werden wir noch ausfuhrlich sprechen. Um in eine dialektische Beziehung
treten zu können, mUssen jedenfalls beide Gegensätze reell und gleichbe- Widerspiege l ung is t die allgemeine Eigenschaft und Fähigkeit der
rechtigt auf derselben Seinsebene existieren. Das wird aber gerade fIX Geist Materie in a ll en i hre n unterschiedlichen Entwicklungsstufen, bei
und Materi e bestri tten. äußerer Ei nwi r kung m ater ielle r Gegenstände du r ch inne r e Ve l"'-
änderung diese m a te r iell en Gegenstände zu reproduzieren . s
Außerdem stellt sich die Frage, welches der beiden die "These" und welches
die "Antithese" sei. Es gibt hier zwei Möglichkeiten: Wie ist das zu verstehen? Die einfachste Form der Widerspiegelung ist die
physikalische Widerspiegelung, z.B. des Mondes in einem Teich. Auf einer
Der eine Fall wäre, daß die Welt wirklich geistigen Ursprungs ist und sich in höheren Stufe steht die Empfindlichkeit von Eiweißkörpern gegenUber chemi-
ihr die Materie als "Antithese" entwickelt, bis die Materie den Geist lber- schen Reizen. Dann kommt die Reizbarkeit einfacher Organismen usw. Diese
wunden hat. Aber von einer rUck läufigen Entwicklung des geistigen Anteils Reihe setzt sich bis zum menschlichen Bewußtsein fort.
der Wel t kann man ni chts bemerken. Der Diamat selbst spricht von einer stön-
digen Höherentwicklung der Materie von der mechanischen zur sozialen Be- So gut diese Erklärung auch ist, sie kann von unserem Standpunkt aus nicht
wegungsform. Das Charakteristikum dieser Höherentwicklung ist eben die mehr bedeuten als ein Glei chnis, das die irrationale Anschauung der Marxisten
Steigerung des geistigen, immateriellen Anteils der Materie bis zum mensch- vom Verhältnis zwischen Bewußtsein und Materie verstehen helfen soll. Das
lichen Bewußtsein. Beispiel vom Spiegelbild ist sehr anschaulich. Die Reflexion des Mandes ist
abhängig vom wirklichen Mond, sie schaut ihm ähnlich, ist aber nicht tat-
Der andere Fall wäre dann, daß die Welt wirklich rein materiellen Ursprungs sächlich ein anderer Himmelskörper - sie ist sozusagen immateriell. Ge-
ist und daß das Geistige die Materie und damit auch den Materialismus Uber- schickte Demagogen könnten allerdings naiven Leuten einreden, im Teich sei
22 winden wird. Das werden die Kommunisten sicherlich nicht glauben wollen. wirklich ein Mond versenkt. (In der Rolle solcher Demagogen sehen Marxisten
die Religion und den philosophischen Idealismus.) 23

13. Aber von diesem Gleichnis zum Problem der Geist-Körper-Beziehung ist ein Der Vollständigkeit halber muß man noch erwähnen, daß das Bewußtseindes
gewaltiger Sprung. Der Unterschied ist so prinzipiell, daß es unmöglich ist, Menschen - nach kommunistischer Ansicht - von der Gesellschaft geprägt wird
durch eine Weiter- und Höherentwicklung der Grundidee von der Widerspie- ("gesellschaftliches Bewußtsein"). Dieser Einfluß ist derart beherrschend, daß
gelung dos Bewußtsein zu erklären. Eine Spiegelung ist ein völlig possiver der eigene Wille, die Persönlichkeit, fast völlig in den Hintergrund gedrängt
Vorgong • (Der Diamat wendet dogegen ein, daß ein Spiegel sehr wohl aktiv werden. Die Gesellschaft selbst wird natürlich durch die materiellen Bedin-
sein kann. Er beeinflußt die Form des Spiegelbildes, je nachdem ob er kon- gungen bestimmt. Folgendes Zitat drückt diese Gedanken aus:
kav oder konvex ist.)
Das Bewußtsein ist nicht in sich abgeschlossen, es entwickel t und
Wenn der Wind über den Teich streicht, wird sich das Spiegelbild des Mondes verändert sich im Prozeß der historischen Entwicklung der Ge-
bewegen. Es ist aber absolut unmöglich, daß die Wasseroberfläche oder das sellschaft. Obwohl das Bewußtsein in seiner phylogenetischen Ent-
Spiegelbild den Mond selbst aktiv beeinflussen. Dies ist aber beim Bewußtsein wicklung von biologischen Formen der psychischen Tätigkeit ab-
möglich, das die Moterie aktiv gestalten kann. Lenin schreibt: stammt, ist es kein Naturprodukt, sondern eine gesellschaftl iche,
historische Erscheinung.
Das Gehirn an sich, wie es "aus der Natur entstanden ist", kann
Das Bewußtsein des Menschen widerspiegelt nicht nur die objek- nicht menschlich denken. Die Gesellschaft erst lehrt das Gehirn,
tlve Welt, sondern schafft sie auch ••• , d. h., daß die Welt den so zu denken. 8
Menschen nicht befriedigt und der Mensch beschl ießt, sie durch
sein Handeln zu verändern. 6
Diese Anschauung soll zwei Di nge erklären. Der erste Punkt ist folgender:
Die ideale klassenlose Gesellschaft ist nur dann möglich, wenn in ihr Men-
Es soll also nicht der Eindruck entstehen, daß die Marxisten glauben, daß das schen leben, die einen hohen Standard an Brüderlichkeit, Verantwortungs-
Bewußtsein von der Materie sklavisch abhängig sei. Sie sehen eine Art Wech- bewußtsein und Moral haben. In der ganzen marxistischen Ideologie kommt
selwirkung (die, wie schon gezeigt, nicht dialektisch sein kann) bei der das aber keine Erklärung dafUr vor, wie man den Menschen selbst so weit bringt,
Bewußtsein durchaus auch auf die Materie zurückwirkt. Diese g:heimnisvolle sich aus eigener Motivation 50 zu verhalten. Dieser wunde Punkt wird da-
Wechselwirkung ist aber in der gesamten umfangreichen marxistischen Theorie durch umgangen, daß man das Bewußtsein als von der Gesellschaft geformt
durch nichts philosophisch fundiert, denn die Theorie der Widerspiegelung ist ansieht. Es 5011 also genügen, die Gesellschaft zu ändern, der Mensch än-
dazu auch nicht imstande. dere sich dann automatisch.
Bereits die Empfindlichkeit von Eiweißkörpern und erst recht die Reizbarkeit Diese Ansicht kann aber ins Auge gehen! Es müßten sich dann Anzeichen be-
von .Org?nis~en ist ein völlig anderer Vorgang als eine Spiegelung. Die Bild- merken lassen, daß in den heutigen sozialistischen Staaten des Ostblocks, die
haftlgkelt dieser Erklärung geht hier auch völlig verloren. Der dialektische ja bereits die Vorstufe zur idealen kommunistischen Gesellschaft darstellen,
~aterialismus ordnet unter dem Begriff "Widerspiegelung" Dinge ein, die gar die Menschen ein wenig besser geworden seien. Das ist aber nicht der Fall.
nicht zusammenpassen. Die Kommunisten haben sich bis heute bereits weit mehr ethische Entgleisun-
gen geleistet als das Dritte Reich. Die Erfüllung der Menschenrechtskonven-
Der wesentlichste Unterschied ist folgender: Spiegelung, Empfindlichkeit tion ist in diesen Staaten kaum gewährleistet. Wir sind der lherzeugung,
Reizbarkeit etc. sind alles ob jektive Vorgänge. Objektive Vorgänge kan~ daß äußere und materielle Verllnderungen den Menschen nicht wesentlich
man noch materiell, aufgrund äußerer Gesetzmäßigkeiten erklären. Aber besser machen können, da das Wesen der Persönlichkeit des Menschen eben
dps Entscheidende am menschlichen Bewußtsein ist, wie der Name schon sagt etwas Geistiges ist.
sein subjektiver, bewußter und selbstbewußter Charakter:
Das Bewußtsein hat nicht nur das Spiegelbild, sondern weiß auch, daß Der zweite Punkt ist, daß diese Aussage" Der Mensch ist Produkt der Gesell-
es eines hat. Das ist unvergleichlich mehr. schaft" bezwecken 5011, den Satz "Der Mensch ist Geschöpf Gottes" zu wi-
derlegen. Dadurch, daß man den Menschen als von der Gesellschaft geschaf-
Eine weitere wesentliche Eigenschaft des Bewußtseins, die durch die Wider- fen ansieht, glaubt man, die zweite Ansicht unnötig und unmöglich gemacht
spiegelung nicht erklärt werden kann, ist die Fähigkeit zu synthetisie- zu haben. Wir müssen dieses Monöver aber als mi ßlungen ansehen, da durch
24 re n J nichts gezeigt wird, warum nicht beide Aussagen gleichzeitig stimmen könn-
ten. 9 25

14. Wir sehen das Bewußtsein als von zwei Komponenten geprägt an: sowohl von Diese Begriffe kann man in der gesamten umfangreichen Theorie kaum finden.
Gesellschaft und Umwelt, als auch vom eigenen Willen und der eigenen Per-
Sie werten die Persönlichkeit des Menschen, seine kreative Freiheit sowie
sönlichkeit des Menschen. Es ist daher illusorisch, die Welt verbessern zu
die geistigen Komponenten in den zwischenmenschlichen Beziehungen viel zu
wollen, wenn man nur an Gesellschaft und Umwelt Veränderungen anbringt. gering. Weiters können sie nicht erklären, wie denn die Materie nun das im-
materielle Bewußtsein hervorbringt.
Die Frage, wie das Geistige und das Materielle in ein Weltbild einzuordnen
1.4 Die Vereinigungsphilosophie sind, ist so bedeutend, daß wir uns noch näher damit befassen wollen.
Be~ der Besprechung von Ideal ismus und Materialismus ist uns aufgefallen, daß
belde Anschauungen viele Schwächen haben. Der Idealismus hat die Schwie-
rigkeit, die materielle Welt in sein Weltbild einzubauen. Viele Idealisten
bezweifeln, ob die physische Welt tberhaupt existiert, oder ob sie nur eine
Die Beziehun.9
Illusion der Sinne ist. Selbst wenn die Existenz einer objektiven Materie an- zwischen Geist und Materie
erkannt wird, ist es kaum zu erklären, wie eine rein geistige letzte Ursache
die Materie erzeugen, beeinflussen und beherrschen kann. Wir möchten an das Thema nicht hochphilosophisch herangehen, sondern so-
zusagen mit dem "gesunden Hausverstand" , was ja eigentl i ch kein Gegen-
Die meisten Idealisten erkennen nicht die Bedeutung der reellen physischen satz sein sollte. Am besten wir untersuchen das Problem an einer Reihe von
Grundlage des Menschen. Tiefgreifende Veränderungen der materiellen, so- einfachen und charakteristischen Beispielen.
zialen und ökonomischen Bedingungen werden gar nicht angestrebt. Manche
sehen die physische Welt als Jammertal an, in dem man eben leiden muß und Beginnen wir einmal ganz unkonventionell: mit einem Witz. Ein Autofahrer
das man gar nicht ändern kann und soll. Der Lohn dafür wird dann im Leben steht mit einem Motorschaden am Pannenstreifen der Autobahn. Ein Pannen-
nach dem Tode kommen. Leider sind die meisten Vorwürfe, die Marx gegen fahrer kommt, öffnet die Motorhaube und untersucht den Schaden. Daraufhin
Religion und Metaphysik erhoben hat, durchaus berechtigt. nimmt er einen Hammer zur Hand, schlägt einmal kräftig auf den Motor, und
er läuft wieder. Der Autofahrer ist verblüfft. Noch verblüffter ist er dann
Wir stehen aber auf dem Standpunkt, daß der Mensch auch als geistiges We- als der Mann hundert Schilling für die Reparatur haben will. Auf der Rech~
sen das Recht hat, in einer physischen Welt zu leben, die Wohlstand, Frie- nungsteht: 1 Hammerschlag S 1,--
den, soziale Gerechtigkeit etc. für alle Menschen gewährleistet. "Gewußt wo" •••••• S 99, --
Macht insgesamt. • • •• S 100,--
Die Schwächen des Materialismus sind wieder anderer Natur. Der antike und
der mechanistische Materialismus sind von Marx schon genUgend kritisiert Der Schöpfer dieses Witzes würde sich wundern, wenn er erführe, wofür wir
worden. Marx hat nachgewiesen, daß ein wirklich konsequentes Vertreten seine Erfindung benützen, aber es wird hier deutlich gezeigt, daß die gei-
des materialistischen Standpunktes notwendigerweise zum dialektischen Ma- stige Leistung, die Ursache des Schadens zu durchschauen, höher einzuschät-
terialismus führt. Es gibt zwar noch immer Leute, die eine materialistische zen ist als die materielle Leistung, nämlich mit dem Hammer draufzuhauen.
Weltanschauung vertreten, ohne Marxisten zu sein, aber die sind entweder
nicht "up-to-date", oder sie haben sich niemals Gedanken tber die philo- Seitdem findige Geschäftsleute die Produktion von Gag-Schi Idern aufgenom-
sophische Geschlossenheit ihres Weltbildes gemacht. men hoben, prangt bei etlichen Telefonen eine Warnung: "Achtung! Vor In-
betriebnahme des Mundwerkes Gehirn einschalten!" Das soll offensichtlich
Es genügt für uns daher, kurz die Schwächen des dialektischen Materialismus heißen, daß die bloße materielle Bewegung der Sprechwerkzeuge ni cht ge-
aufzuzählen. Die Ma.terialistenJ~9nnen.nicht erkläre!}., warum die Materie nügt, sondern daß sie geistig kontrolliert werden müßte.
existiertL wie sie entsteht und warum Bewegung ihre charakteristische Eigen-
schaft ist. Sie erkennen nicht die Bedeutung, die die geistigen BedUrfnisse Was würde ein Firmling (Konfirmand) sagen, wenn er von seinem Firmpaten
wie Freude, Liebe, Geborgenheit oder Schönheit für den Menschen haben. bloß ein Säckchen graues Pulver geschenkt bekäme? Er wäre sicher ent-
26
täuscht, wo er sich doch so sehr eine Uhr gewünscht hatte. Der Patek<Snnte
27

15. Heilung durch
Akupunktur
nun einwenden, daß in dem Säckchen feinstes "Uhrenpulver" sei, eine Mi-
schung aus Stahlpulver , Galdpulver, Rubinpulver etc., alles in der ri chtigen
Mischung, wie es für eine Uhr vonnöten ist. Wos unterscheidet das Häufchen
Pulver nun von einer "richtigen" Uhr?
Die Materie ist offensichtlich bei beiden völlig !~Ieich: Der Unterschied ist
also geistiger Natur: die Art und Weise, wie diese Materie angeordnet ist,
die Funktion der Uhr, ihre Fähigkeit, die Zeit anzugeben, die geistige Lei-
stung des Konstrukteurs, die hineingesteckte Arbeit. (Materialisten können
einwenden, daß dies ja eine physische Arbeit sei. Keine Arbeit ist jedoch
rein physisch - man braucht immer den Geist. Es gibt keine Arbeit, die man
auch im bewußtlosen Zustand verrichten könnte.)
Noch krasser ist dieses Verhöltnis beim Menschen selbst. Der Schriftsteller
und Kabarettist Georg Kreisler hat einmal eine Studie über den "Wert des
Menschen" angefertigt und ihn folgendermaßen aufgeschlüsselt:
50,4 kg Sauerstoff Die neuere Medizin und Psychologie entdeckt immer mehr Zusammenhänge,
16 kg Kohlenstoff in denen der Geist des Menschen den Körper beeinflußt. Es gibt eine ganze
8 kg Wasser~toff Reihe van Erkrankungen, bei denen man überhaupt keine physischen Ursachen
2,4 kg Stickstoff erkennen kann. Man nennt sie psychosomatische Erkrankungen. Sehr lange
1200 g Kalzium ist schon bekannt, daß psychische Spannungen MagengeschwUre erzeugen
800 g Phosphor können. Es sind schon viele Heilerfolge erzielt worden, wenn man psychoso-
200 g Kalium matisch erkrankten Personen hilft, ihre psychischen Probleme zu lösen. Der
160 g Natrium etc. Körper heilt dann von selbst.
Wenn man das alles nach dem heutigen Marktwert der Chemikalien berechnet Viele Ärzte sprechen von der Bedeutung des Lebenswillens fUr die Heilung
ist ein Mensch nicht einmal 300 S wert. Würden Sie Ihre Kinder um diese~ von schweren Krankheiten. Gyn<lkologen haben festgestellt, daß die psychi-
Preis verkaufen? Ich glaube, um keinen Preis der Wel t. Der Wert des Men- sche Verfassung einer schwangeren Frau maßgeblich das Kind beeinflußt. Es
schen ist eben nicht materiell zu fassen, er liegt im Geistigen. gibt auch verschiedene bewährte Heilverfahren, fUr die man keine ausrei-
chende physische Erklärung Iiefern kann (z. B. Akupunktur). Außerdem ist
Betrachten wir zum Beispiel zwei Menschen: der eine ist schön wie Adonis es bezeichnend, daß in der Sowjetunion die Tiefenpsychologie nicht aner-
athletisch und kerngesund, aber strohdumm, verprUgelt töglich seine Frau: kannt wird. Siegmund Freud und C.G.Jung werden nicht sehr geschätzt.
betrügt seine Mitbürger, wo es geht, und hat schon 15 Sittlichkeitsdelikte
auf dem Gewissen. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Was ist das Wesentliche an einem Gemäl-
de? Die Leinwand? Die Farbe? Die Pinselnummer? Jeder wUrde sagen: der
Der andere ist Kriegsinvalide, kränklich und häßlich, aber hingegen hochge- Eindruck, den das Bild übermittelt, die Impression, die Aussage, die Idee.
bildet, ist seinen Kindern ein aufopfernder Vater und arbeitet in seiner Frei- Die Materie ist natUrlich auch wichtig, denn sie trägt und Ubermittelt diese
zeit unentgeltlich für das Rote Kreuz. Welchen der beiden würden Sie als Idee, aber sie ist nicht die Essenz. Diese Essenz war schon lange im Geiste
den wertvalleren betrachten? Mit welchem würden Sie lieber eine Woche des Malers vorhanden, bevor sie durch Pinsel, Farbe und Leinwand substan-
zusammen sein? tiell wurde. Dos gibt Karl Marx durchaus zu, indem er sagt:
Eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen
Ich glaube, jeder Mensch beurteilt seine Mitmenschen letzten Endes doch
menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlech-
nach ihrem Geist, nicht nach ihrem Körper. Der Geist hat eine wesentlich testen Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er
28 höhere Bedeutung für das Menschsein als der Körper. die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. lO 29

16. Einfache GegenstClnde kCSnnen einen hohen Wert annehmen, wenn sie mit gei- se dies geschieht, wird die Forschung der Zukunft genauer kll:lren. Abschlie-
stigen Inhalten verbunden sind. Jemand tragt zum Beispiel standig in einem ßendkann man sagen, daß es die kommunistische Idee war, die die Welt
Medai Ilon eine Locke seiner verstorbenen Geliebten mit sich herum. Ein an-
verandert hat, nicht die kommunistische Materie. Auch hier sieht man
derer wUrde die paar Haare sicher wegwerfen. Die Materie an sich ist hier
die höhere Bedeutung des Geistigen.
vcsll ig wertlos.
Ein Marxist kCSnnte nun sagen: "Das glaube ich dir gerne alles. Der Geist ist
in diesen Fallen bestimmend. Aber der Geist kommt ja von einem materiellen
Organ, dem Gehirn, und daher ist doch die Materie vorherrschend!" Womit
Der ~hilosophische Ansatz
wieder eine neue Argumentationsrunde beginnen mUßte. Da sie sich aber alle der Vereinigungsphilosophie
gleichen, möchten wir es hier bei der einen bewenden lassen. Man kann auch
viele Beispiele finden, wo die Materie den Geist beeinflußt. Ich möchte den Wie schon gesagt, kann man Idealismus und Materialismus an drei Punkten
Leser auffordern, sich selbst Uber diese Fragen Gedanken zu machen. Einige unterscheiden:
Punkte sind aber noch erwClhnenswert:
im Idealismus im Materialismus
Die moderne Stoffwechselphysiologie hat gezeigt, daß die Zellsubstonz in
einem lebenden Organismus standig ausgetauscht wird. Ein lebender Körper
besteht aus einem hochkompl izierten Material, das einem natUrlichen Ver-
schleiß unterliegt. Daher wird der Stoff, der die Struktur von Zellen und Or- Oie letzte Ursache ist rein geistig rein materiell
ganen bildet, ständig erneuert.
nur die Materie, die unob-
Trotz des raschen Umsatzes an Substanzen, der in manchen Zellen so ge- Objektive Realitöt ist
nur das erkennende Sub jekt
höngig vom Erkenntnisvor-
schwind ist, daß sich die Hälfte aller vorhandenen MolekUle in einigen Ta- in einem Erkenntnisvorgang gang existiert
gen erneuert, hat der Körper mit all seinen Organen eine konstante Form.
Dieses Formproblem ist eine noch ungelöste Frage der Physiologie. Wenn die
Materie fUr die Form nicht verantwortlich ist, was ist es cIonn?? Jedenfalls Primilr ist das Geistige die Materie
kann ein Phosphorotom, das heute im Gehirn eines Menschen eine Funktion
erfUllt, schon morgen in der Donau schwimmen. Es ist also mUßig, cIos Be-
wußtsein des Menschen an die Materie binden zu wollen. Außerdem gibt es noch eine Form des Idealismus, die die Existenz der Außen-
welt unabhangig vom Bewußtsein anerkennt. Man kann sie "ob jektiven Idea-
Vertreter des dialektischen Materialismus fuhren oft das Beispiel an, daß die lismus" nennen. Darunter fl:llit zum Beispiel die gesamte katholische Philoso-
geistigen Fahigkeiten und Funktionen des Menschen nachlassen, wenn die phie der Gegenwart, von den Marxisten" Neuthomismus" genannt. Wir möch-
Gehirnzellen zerstört werden. Dies sei ein Beweis dafUr, daß der Geist auf ten diese Punkte nochmals untersuchen.
irgendeine Weise vom Gehirn gebildet wUrde. Diesen Beweis müssen wir ober
in Frage stellen. Materialisten werfen den Idealisten vor, daß sie sich die Welt von einem
Geist geschaffen denken, jedoch nicht erkll:lren können, wie eine geistige
Nehmen wir ein Radio, das gerade Musik spielt. Haut jemand nun kraftig mit letzte Ursache eine materielle Welt hervorbringen kann. Es gelingt ihnen
dem Hammer auf das Radio drauf, wird die Musik verstummen. Ist das nun der aber selber nicht zu zeigen, wie denn die Materie das immaterielle Bewußt-
Beweis, daß die Musik im Radio erzeugt wurde? Die Musik kommt von außen sein verursacht.
an das Radio heran, durch die unsichtbaren Radiowellen. Durch den Schlag
hat das Radio die Fahigkeiten verloren, diese Wellen umzuformen. Wir möchten nun eine andere Möglichkeit einer Philosophie vorschlagen, die
wir "Vereinigungsphilosophie" nennen wollen. Die Vereinigungsphilosophie
Ebenso ist das mit dem Gehirn. Das Gehirn ist das Organ, das die Information betrachtet die Frage als nicht zielfuhrend, ob nun die Materie den Geist be-
30 des Geistes aufnehmen kann und an den Körper weiterleitet. Auf welche Wei- dingt oder umgekehrt. Geist und Materie treten im ganzen Universum stets
ge m ein sam auf und mUssen daher auch ge m ein sam betrachtet werden. 31

17. Die letzte Ursache des Universums muß sowohl die letzte Ursache des Geisti-
gen als auch die letzte Ursache des Materiellen sein - beides zusammen in
vollkommener Vereinigung. Wie dieses möglich ist, wird die Polaritötslehre
zeigen. Die Vereinigungsphilosophie erkennt daher sowohl Geist als auch
Materie als absolute Realitöt an. lI
Die Frage, ob das Geistige nun fruher da gewesen sei als die Materie oder
umgekehrt, haben wir bereits als unnötig abgelehnt. Es ist aber durchaus in-
teressant zu fragen, ob eines der bei den Grundprinzipien in deren Beziehung
die fuhrende Rolle einnimmt.
Es lassen sich Beispiele zeigen, wo das Geistige die Materie beeinflußt und
umgekehrt. Das kommt daher, wei I Geist und Materie in einem wechselsei-
tigen Austauschprozeß stehen, wie die Polaritötslehre zeigt. Doch die Ursa-
chen, Initiativen, die kreative Gestaltung, tiefgreifende Verönderungen etc.
gehen immer vom Geistigen aus. Deshalb können wir von einer fuhrenden
Position des Geistigen sprechen, obwohl beide Grundprinzipien an und fIX
sich gleichberechtigt sind. Alle diese Fragen werden in weiterer Folge noch
ausfuhrlich behandelt. Im ~ege.nsatz. zum subjektiven Idealismus, der die Materie als objektive
~ealltöt lense.lts des Bewußtseins leugnet, und zum dialektischen Materia-
Ilsmu~, der die Gesellschaft und den Menschen durch bloße Änderung der
matenellen Grundlagen verändern will und die Eigengesetzlichkeit und E ._
t d G·. . XI
S e~ es. elst~gen lenseits .der Materie leugnet, versteht die Vereinigungs-
phIlosophie Geist ~nd Matene beide als objektive Realität, unabhängig von
der Betrachtungsweise, vom Bewußtsein und der Wahrnehmung des Mens c h en.
Die Vereinigung~philosophi.e versteht Gei~t und Materie beide als polare
Komponenten, die durch Ihr Zusammenwirken die Existenz Struktur d
Weiterentwicklung des Universums verursachen. ' un
Universum
Wir sprechen von der Polarittlt des Universums ' die sich in all en D·
. .. '"gen aus-
drUck t. Seide Pole Sind gleichwertig, aber doch verschieden nd t h •
• ch I •• A h u seen In
32 einem we se seltlgen ustausc prozeß.
33

18. Kung Tse, genannt Konfuzius
Platon (427-347v.Chr.)
Platon sah die Welt zusammengesetzt aus kleinen Teilchen, die wiederum aus
den beiden Grundprinzipien loia. "idea" (Idee) und X~ "chora" (Raum) be-
stehen.
Aristoteies (384-322v.Chr.)
2.1 Historische Entwicklung
In der Geschichte der Philosophie gab es bereits viele Anschauungen, die in
gewissen Punkten mit unserer Polaritätslehre Ubereinstimmen. Das heißt, daß
sie zwei Grundprinzipien annahmen, die durch ihre Wechselbeziehung und Aristoteles
Vereinigung alle Vorgänge im Universum bedingen. Es gibt alsa eine reiche
Tradition, auf die wir uns berufen können, sowohl was die Polarität betrifft,12 Aristoteles vertrat einen Dualismus von ~r30" "eidos" oder (lOP'P~ "morph~",
als auch in bezug auf das synthetische Denken und die Ganzheitslehre. Man was soviel wie Wesen, Gestalt, Form bedeutet und ß>.'1 "hyl~", was Stoff oder
kann aber sagen, daß die Vereinigungsphilosophie weder aus dem Boden ge- Substanz heißt. Alle Dinge tragen bei ihm diese bei den polaren Wesensarten •
stampft.noch von anderen Phi losophen abgeschrieben wurde; sie ist eben eine Diese Anschauung nennt man auch "Hylemorphismus". Sie hat maßgeblich
neue Idee, die aus der Synthese alter Ideen hervorgegangen ist. Einige cha- Thomas von Aquin und die mittelalterliche Scholastik beeinflußt.
rakteristische dieser Ideen und Philosophen möchten wir nun hier erwähnen.
Das Buch der Wandlungen Tschu Hsi (l1JO-1200n.Chr.)
Tschu Hsi war ein chinesischer Neukonfuzianist der Sung-Dynastie. Er ver-
Das "Buch der Wandlungen" soll der Ü,erlieferung nach von einem Kaiser
stand die Welt zusammengesetzt aus den Grundprinzipien" Li", was soviel
stammen, der etwa 3000 Jahre v.Chr. gelebt und regiert hat. Es stellt die
wie eine umfassende Weltvernunft bedeutet, und "Ki", der Materie. Die
Essenz der chinesischen Phi losophie bis zum heutigen Tage dar. Konfuzius
Materie selbst trägt wiederum die Polarität von Yin und Yang.
(551 -479 v.Chr.) hat die uberlieferten Ideen gesammelt und der Nachwelt
erhol ten. Auch Lao- Tse (6. Jhdt. v .Chr.) schrieb seine Werke in diesem Gei-
ste. Kernpunkt der Lehre ist die Polarität von Yin und Yang. Durch das Zu- Rene Descartes (1596-1650)
sammenwirken des aktiven und passiven Prinzips wird das ganze Universum er-
klärt. Descortes (auch Cartesius genannt) lehrte einen Dualismus von" Denken" und
"Ausdehnung", "res cogitans" und "res extensa". Diese Unterscheidung hatte
aber eher spaltenden als synthetischen Charakter. Die "Cortesionische Spal-
tung" stellte eine Wende im abendländischen Denken dar. Sie leitete die
Ü,erbetonung des analytischen Denkens ein, mit der wir heute zu klimpfen
haben. Dadurch, daß Descortes nur das menschliche Bewußtsein zur Kate-
gorie "res cogitans" zählte, Tiere aber bereits völlig zu den "res extensa",
ist es bis heute sehr erschwert worden, zu einem integralen Gesamtbild des
34 Universums zu gelangen.
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Platon