SlideShare a Scribd company logo
1 of 48
wirks   Magazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at




                                        «Fülle»
                                                         Service und Orientierung für Menschen in der Wirtschaft.
                                                         Heute:
                                                         • Cradle-to-cradle, die nächste industrielle Revolution -
                                                            Idee, Kritik und Interviews mit Albin Kälin und
                                                            Reinhard Backhausen
                                                         • Management und Füllebewusstsein
                                                         • Akteure des Wandels
                                                         • ... und andere nützliche Texte
Titelbild:
Guido Zehetbauer-Salzer
LöwenZähne
Wachau, 2008
Acryl auf Leinen
120 x 120 cm
erstmals präsentiert April 2009 im ZS art KunstRaum
www.zsart.at
wirks   Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at


        Editorial
        von Harald Koisser


        Der Sommerbeginn hat uns heuer,           der Notwendigkeit eines Füllebewusst-     werden. An Lärm und Tempo hatten
        trotz regenerischen Bedingungen, in       seins im Management und sehen, wie        wir genug, jetzt ist die Zeit von Reife
        Wallung gebracht. wirks wollte in die     die Pioneers of Change, ein Lern- und     und Besinnung. Zeit für wirks.
        Welt. wirks ist ein Magazin für Zu-       Werdegang für AkteurInnen des Wan-
        kunftskompetenz und richtet sich an       dels, aus einer Fülle von Ideen zu-
        Wirtschaftstreibende. Es soll jenen,      kunftstaugliche Projekte entwickeln.
        welche in Zeiten des Wandels die
        Ökonomie in die Zukunft führen müs-       Fülle! Von diesem Zustand ist die
        sen, Service und Orientierung bieten.     erste Ausgabe von wirks getränkt.
                                                  Es ist soviel da, was Mut macht. Fülle!
        Service und Orientierung – nichts wird    Ein Zustand, der nun vom Sommer
        gerade jetzt so sehr gebraucht, wo        eingeläutet wird. Die Natur begibt sich
        Unsicherheit, Fundamentalismus und        in ihre satte, überschäumende Periode.
        Okkultismus erblühen. Wir unterstüt-      Sie ist in voller Entfaltung. Nichts
        zen die positiven Kräfte des Wandels      weniger schien uns als Leitthema für
        und leuchten journalistisch die Zukunft   diese erste Ausgabe angemessen.
        aus.
                                                  Wir folgen mit der Erscheinungsweise
        Unser Scheinwerferlicht fällt dabei auf   von wirks dem Naturjahr und seiner
        auf nichts weniger als „die nächste       jeweiligen Qualität, somit jenem
        industrielle Revolution“, wie ein Prin-   natürlichen Rhythmus, der den indu-
        zip namens Cradle-to-cradle gerne         strialisierten Menschen und ihren öko-
        euphorisch genannt wird. Produkte         nomischen Prozessen abhanden
        sollen so gestaltet werden, dass sie      gekommen ist. Dass das Magazin
        niemals zu Abfall werden und man sie      „nur“ vier Mal pro Jahr herauskommt,
        plötzlich – horribile dictu – sinnvoll    darf als Zeichen jener Rückbesinnung
        verschwenden kann. Wir erfahren von       auf natürliche Rhythmen verstanden




                                                                                                                                                   Editorial zur
                                                                                                                                      ersten Ausgabe von wirks
                                                                                                                                                        Seite 3
wirks   Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at


        Inhalt
        Cradle-to-cradle
        • Cradle-to-cradle, das natürlichste Prinzip der Welt                                                                      fünf
        • „Abfall existiert nicht“ - Interview mit Albin Kälin, dem Entdecker des C2C-Prinzips                                  sieben
        • C2C Geschichte                                                                                                         zwölf
        • „Denkende Stof fe“ - Interview mit Reinhard Backhausen                                                             dreizehn
        • Die C2C-Community (Auswahl an C2C-Produkten und -Dienstleistungen)                                                 siebzehn
        • Ameise, Regenwurm und Berggorilla                                                                                 neunzehn
        • Cradle-to-cradle, die nächste Sau, die man durch das globale Dorf treibt?                                    einundzwanzig
        • Bin ich kreislauffähig? (satirische Anmerkung)                                                           siebenundzwanzig

        Gaia: Zeit der Fülle                                                                                         achtundzwanzig

        Ein Bewusstsein von Fülle - Interview mit Wolfgang Stabentheiner, Begründer der Future-Methode                         dreißig

        Tipps                                                                                                          vierunddreißig

        Akteure des Wandels
        • Pioneers of Change                                                                                         sechsunddreißig
        • Natur und Kunststoff - das muss kein Widerspruch sein (kompostierbare Flaschen und Frischhaltebeutel)      neununddreißig

        Für Sie gelesen - Theorie der Unbildung und die Parabel des Schachpielers aus Hermann Hesses Steppenwolf               vierzig

        Begriff & Erhellung                                                                                           zweiundvierzig

        Kunst - In der Schaudeponie (Upcycling: wie aus Müll Produkte mit Ewigkeitswert werden)                        vierundvierzig

        Über uns                                                                                                     sechsundvierzig
        Impressum                                                                                                   siebenundvierzig
Cradle-to-cradle – das
natürlichste Prinzip der Welt
Was mit einem schicken englischen Modebegriff daher kommt, beschreibt nichts als das natürlichste Prinzip
der Welt. Der Mensch erinnert sich an sich selbst. Text von Harald Koisser



Was ist cradle-to-cradle? Eine Wort-     läufe, sei es, dass sie total verrottbar   schreibt letztlich nichts als das natür-
schöpfung des deutschen Chemikers        sind und zB. als Dünger verwendet          lichste Prinzip der Welt, welches der
Michael Braungart, basierend auf einer   werden können („biologische Nähr-          Chemiker Hanswerner Mackwitz „das
Idee des Schweizer Textilkaufmanns       stoffe“), sei es, dass sie nach Ge-        vielseitige schöpferische Vermögen der
Albin Kälin. Während alle Produkte,      brauch wieder zu Ausgangsmaterial          Natur“ nennt, welches „respektvoll
welche der Mensch herstellt, „von der    von anderen Produkten werden               annerkannt und genutzt“ werden
Wiege ins Grab“ (cradle-to-grave)        („technische Nährstoffe“). Die Idee in     möge. Es gelte, Diversität zu feiern.
führen, weil alles irgendwann immer      Kürze: Abfall = Nährstoff. Wobei auch      Die Erde ist so aufgebaut, dass alle
auf Mülldeponien landet, möge man        diese Formel schon falsch ist, wie         Stoffströme sich in ewigen Kreisläufen
sich die Natur zum Vorbild nehmen,       Braungart anmerkt, weil man den            befinden. Eine kleine Insel im Univer-
wo niemals Abfall anfällt und immer      Terminus „Abfall“ gänzlich aus dem         sum muss nolens volens mit dem aus-
alles wiederverwertet wird. Alles, was   Vokabular streichen sollte. Es soll        zukommen, was da ist. Ein bisschen
endet, ist wieder Nährstoff für etwas    nichts mehr geben, was man als Abfall      Zufuhr an Metall von außen gibt es ab
Neues. Stoffe reisen somit „von der      bezeichnen kann. Zahlreiche Projekte       und zu, wenn ein Meteor auf der
Wiege zu Wiege“ (cradle-to-cradle).      zeigen, dass das machbar ist. Jüngstes
Nach diesem natürlichen Prinzip soll     Beispiel: die österreichische Firma        C2C - ein Etikett für das 3,5 Mrd
der Mensch seine Welt gestalten.         Backhausen hat ihre Produktion kom-        Jahre alte Betriebssystem der Erde
                                         plett nach cradle-to-cradle ausgerich-
Es geht hier nicht um Downcycling        tet.                                       Erdoberfläche einschlägt, aber mehr
oder Resteverwertung, sondern um                                                    Geschenke des Universums darf man
eine hundertprozentige Wiederein-        Was hier mit einem schicken engli-         sich nicht erwarten. Die Natur ist
bringung von Stoffen in neue Kreis-      schen Modebegriff daher kommt, be-         Meisterin im Verwerten. Alles was




                                                                                                                               Cradle-to-cradle
                                                                                                                                        Seite 5
wirks              Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at

                   vergeht, geht ein und auf in etwas          Selbstverständlichste unter einem zeit-
                   anderem. Sondermülldeponien gibt es         geistigen Markennamen neu verkau-
                   in der Natur keine. „Cradle-to-cradle“      fen müssen. Cradle-to-cradle ist nichts,
                   ist somit bloß ein Etikett, welches auf     was erfunden wurde, es ist keine
                   das seit 3,5 Milliarden Jahren erfolgrei-   Innovation, es ist die Erinnerung des
                   che Betriebssystem dieses Planeten          Menschen an sich selbst, sein Télos.
                   geklebt wird. So wie auf eine Banane        Diesen griechischen Begriff kann man
                   ein Markenname geklebt wird, als            mit „Ziel“ übersetzen. Jeder Mensch
                   hätte „Chiquita“ die Banane erfunden        hat sein Ziel, doch nicht in dem Sinne
                   und erzeugt.                                wie ein Manager Ziele hat, sondern
                                                               im Sinne von Zweckbestimmtheit.
                   Der Mensch entdeckt, dass er                Dieser Télos lässt sich nicht erschaffen,
                   Bestandteil der Natur ist                   er ist stets da und kann nur erinnert
                                                               und wieder-gefunden werden. C2C ist
                   Es ist das zweifelhafte Privileg des        die Wiederentdeckung des Umstandes,
                   Menschen, etwas unwiderbringlich            dass der Mensch Bestandteil der Natur
                   von dieser Lebenskugel zu entfernen.        ist, einer Natur, die in endlosen Kreis-
                   So weit sind wir also, dass wir uns         läufen agiert, weil dies die einzige
                   selbst das Allernatürlichste und            Möglichkeit ist zu bestehen.




Cradle-to-cradle
Seite 6
„Abfall existiert nicht“
 Harald Koisser im Gespräch mit Albin Kälin, dem Pionier einer Denkungsart, die sich „Cradle to Cradle“
 (C2C) nennt und von der man sich nicht weniger als „die nächste industrielle Revolution“ (so der deutsche
 Chemiker Michael Braungart) verspricht.


 Herr Kälin, Sie haben das weltweit          ten drei Jahre beraten. Die Holländer     Konsumenten zu treten, das wissen
 erste Cradle to Cradle Projekt durch-       wissen jetzt wie es geht. Jetzt kommt     wir alle. Es erweist sich, dass Cradle to
 geführt, was ist Cradle to Cradle           der nächste Schritt. In der Region        Cradle somit auch die Unternehmens-
 überhaupt ?                                 Stuttgart, München, Wien, Mailand,        kommunikation ändert. Das Unter-
                                             Lyon, dem industrielle Herz Europas,      nehmen wird eine andere Partner-
 Cradle to Cradle ist ein Denken in          wollen wir innovative Unternehmen         schaft eingehen mit den Kunden, weil
 Kreisläufen. Man sollte Produkte            mit C2C vertraut machen.                  man wissen muss, wohin die Produkte
 machen, wo die Materialien so defi-                                                   verkauft werden. Und von den Liefer-
 niert sind, dass sie sicher sind für bio-   Um präzise zu fassen, was Cradle to       anten muss man wissen, was sie in ein
 logische oder technische Kreisläufe.        Cradle ist: Es ist eigentlich ein Tool,   Produkt, das man selbst weiterverar-
 Wir dürfen keinen Rohstoffe verlieren,      welches sich auf stofflicher Ebene        beitet, hinein tun.
 nichts darf jemals Abfall werden. Das       bewegt, und dort eine völlig neue
 bedingt, dass wir auch ein anderes          Antwort versucht, welche darin            C2C macht Schluss damit, immer nur
 Wirtschaften aufbauen müssen.               besteht, dass ein Material, was immer     den billigsten Rohstoff zu verwenden
                                             es auch sein mag, niemals zu Abfall
 Ich habe das allererste Cradle to           wird.                                     Wenn man in Kreisläufen denkt und
 Cradle - Produkt überhaupt gemacht.                                                   sein eigenes Produkt zum Wiederver-
 Das war 1993. Mittlerweile ist die Idee     Die Philosopie besteht darin, dass        werten zurück erhält, dann muss man
 sehr populär geworden, insbesondere         Abfall gar nicht existiert. Wir reden     nicht mehr unbedingt den billigsten
 in Holland. Holland möchte ein Cradle       nicht einmal von Abfall, wir reden von    Rohstoff einzusetzen, sondern kann
 to Cradle-Land werden, weil sie sich in     Nährstoffen. Biologische Nährstoffe,      jenen verwenden, der sich am besten
 einer Krise befinden. Sie haben in dem      technische Nährstoffe. Da stellen sich    für Kreislaufwirtschaft eignet.
 Al Gore-Film gesehen, dass ihr Land         neue Herausforderungen in allem:
 plötzlich nicht mehr auf der Landkarte      Engineering, Marketing, Kommuni-          All die Kunststoffe, die wir heute ken-
 war. Das schien der Regierung keine         kation, ...! Wenn ich Rohstoffe in ewi-   nen, sind ja nicht in Hinblick auf meh-
 tolle Perspektive. Man hat zukunfts-        gen Kreisläufen bewege, dann muss         rere Leben entwickelt worden. Darum
 taugliche Ansätze gesucht und ist auf       ich Produkte nach ihrer Verwendung        reden wir heute von Recycling oder
 Cradle to Cradle gestoßen. Die wollen       vom Konsumenten zurückbekommen.           Downcycling. Das Neue besteht darin,
 nun die ganze Infrastruktur im Land         Sonst gehen sie für den Kreislauf ver-    Kunststoffe zu entwickeln, die ein ewi-
 kreislauffähig gestalten. Um dorthin zu     loren. Wie schwierig es für ein Unter-    ges Leben haben können bei gleich-
 kommen, haben wir das Land die letz-        nehmen ist, in direkten Dialog mit den    bleibender Qualität. Dann verlieren wir              Cradle-to-cradle
                                                                                                                                   Interview mit Albin Kälin
                                                                                                                                                     Seite 7
wirks                       Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at

                            den Rohstoff und seine Eigenschaften       ist. Altpapier hat zum Teil chemische      Sie sagen, das erste C2C-Projekt
                            nicht. Das ist auch ein enormer finan-     Substanzen, die nicht sicher sind für      stammt aus dem Jahr 1993.
                            zieller Anreiz.                            biologische Systeme. Wir haben die         Was war das?
                                                                       Qualität dieses Toilettenpapiers ver-
                            Protagonisten der chemischen Indus-        bessert, indem wir einen Recycling-        Das war ein Möbelbezugsstoff, primär
                            trie würden Ihnen widersprechen oder       betrieb gefunden haben, der das            aus Wolle und aus Ramie, einer
                            zumindest skeptisch sein. Wir sitzen       Ausgangsmaterial verbessert hat. Aber      Bastfaser. Die hatte eine spezielle
                            hier in einem Raum mit Möbel, wir          ein Papierrecyclingbetrieb kann auch       Funktion: klimatisiertes Sitzen, also,
                            haben Kleidung an, vor uns steht ein       nicht einfach so sagen: okay, ich liefe-   dass man weniger schwitzt, und das
                            Mikrofon mit einem Computer. Über-         re besseres Ausgangsmaterial für dein      hat man dann auch so konzipiert, dass
                            all ist Technik und vor allem Chemie       Toilettepapier. Die sind ja auch wieder    es sicher in biologische Kreisläufe
                            drinnen. Kriegt man sie da überall         auf Rohstoff angewiesen, auf jenes         geführt werden konnte, - auch die
                            auch wieder raus ?                         Altpapier, das wir alle wegschmeißen.      Farbstoffe. Da gab es zuerst großen
                                                                       Da haben wir u.a. eine Bank gefun-         Widerstand der Farbstoffchemie. Aber
                            Es geht nicht darum, Chemie rauszu-        den, die aus Datenschutzgründen viele      schließlich haben sie alle Daten offen
                            kriegen. Wir brauchen die richtige         Akten, also Papier, zur Vernichtung        gelegt und wir sahen: von 1.600
                            Chemie.                                    bringt. Wir konnten zwischen Bank,         Farbstoffen konnten wir gerade einmal
                                                                       Recyclingbetrieb und Toilettepapier-       16 verwenden, also 1 %.
                            Es geht nicht darum, die Chemie raus-      hersteller einen sinnvollen Kreislauf
                            zukriegen. Das ist genau der Punkt.        herstellen. Man schafft so neue Opor-      Unser Ziel war, essbare Textilien zu
                            Wir müssen die richtige Chemie ein-        tunitäten, die auch wirtschaftlich sehr    machen. Warum essbar? Weil immer
                            setzen. Also Chemie, die sicher ist für    förderlich sind.                           Abrieb entsteht und Fasern in die Luft
                            Mensch und Umwelt, für biologische                                                    kommen, inhaliert sie der Mensch. Das
                            und technische Systeme. Wenn eine          Es hätte also auf keinen Fall gereicht,    war 1993 ziemlich verrückt. Freunde
                            Substanz sicher ist für ein biologisches   zum Produzenten des Toilettenpapiers       von mir haben gesagt, da kommt der
                            System, dann ist es richtig. Dann ist es   zu gehen und ihm eine Umstellung           „Komposti“. Das wollte ich überhaupt
                            vereint mit der Natur. Dann brauchts       der Produktion auf C2C-Standard            nicht sein, ich bin auch nicht grün.
                            keine Regulierung mehr. Wir alle sind      schmackhaft zu machen. Weil er dann        Aber man hat auch erst ein Wording
                            erzogen worden, dass wir eigentlich        gesagt hätte: „Schön und gut, Herr         finden müssen.
                            immer das Negative in den Vorder-          Kälin, nur wo bekomme ich nicht
                            grund rücken, und das ist genau das        kontaminierten Rohstoff her?“              Wie haben Sie denn den allerersten
                            Interessante an Cradle to Cradle. Es ist                                              Auftraggeber davon überzeugen
                            positiv definiert. Wir alle sind erzogen   Es genügt nicht, eine Firma zu über-       können zu diesen mutigen, eigentlich
                            worden, linear zu denken statt in          zeugen. Man braucht die ganze Kette.       auch riskanten Schritt. Es geht ja doch
                            Kreisläufen.                                                                          um die Umstellung einer Produktion.
                                                                       Eben, genau das ist dieses System-
                            Wir haben ein Projekt in Holland, wo       denken über diese ganzen Lieferket-        Stimmt, es war ein kolossales Umden-
                            es um Toilettenpapier ging. Für die        ten, diese Stoffströme, da muss man        ken in der Produktion, denken Sie nur
                            Herstellung verwendet man Altpapier,       vernetzt denken. Es genügt eben            an die Färberei. Der Betrieb war in der
Cradle-to-cradle            wo eigentlich die falsche Chemie drin      nicht, nur einen Partner zu überzeu-       Schweiz, südlich vom Bodensee, dem
Interview mit Albin Kälin                                              gen, man braucht die ganze Kette.
Seite 8
größten Trinkwasserreservoir von           ist, weil man über die Kompostierung      Es ist sehr interessant zu hören, dass,
Europa. Wir haben das hinbekommen,         den Kreislauf schließen kann. Bei         wenn man sich einmal auf Cradle to
dass die Färberei das Abwasser ohne        Backhausen war es viel komplexer,         Cradle eingelassen hat, sich in Folge
Klärung abführen konnte. Es hatte          weil man die Kompostierbarkeit gleich     das Denken und Handeln ganz auto-
den Status von Trinkwasser. Das war        einmal vergessen konnte. Flammhem-        matisch ändern, - ändern müssen. Auf
phänomenal.                                mende Fasern sind nun einmal aus          einmal entsteht so etwas wie eine
Ja, wie überzeugt man einen Kunden?        Kunststoff. Ein biologischer Kreislauf    kooperative Wirtschaft.
Im vorhinein weiß man ja nicht, was        schied somit aus, wir mussten einen
für ein Erfolg das sein kann. Den Kun-     technischen Kreislauf schaffen. Wenn      Das ist ein schöner Begriff. Es geht
den haben wir nicht primär in Europa       etwas nicht kompostierbar ist, also       darum, ein neues Verständnis zu ent-
gefunden, sondern im Land der unbe-        von der Natur aufgenommen werden          wickeln und gemeinsam am Markt
grenzten Möglichkeiten. Die haben          kann, dann muss es endlos in techni-      erfolgreich zu sein.
einfach etwas gewagt und es war ein        schen Kreisläufen gehalten werden.
Erfolg. Wir haben 19 internationale                                                  Im Prinzip schafft es auch ein neues
Auszeichnungen erhalten und dann           Ein einzelner Betrieb kann das nie        Denken der Konsumenten.
kam plötzlich die Nachfrage vom            schaffen. Man braucht Volumen. Und
Markt. Wir hatten dem ersten Kunden        damit Kooperation.                        Das ist das Herausragende an Cradel
allerdings Exklusivität des Konzeptes                                                to Cradel, dass man plötzlich ver-
versprochen und haben nun zu disku-        Backhausen macht das, indem er            schwenderisch sein kann. Stoffe wer-
tieren begonnen. Wir argumentierten,       heute eine Rücknahmegarantie für alte     den in Kreisläufen geführt, also ich
dass das, wenn es einen derart tollen      Stoffe abgibt, um sie der Wiederauf-      kann nach Lust und Laune damit
biologischen Effekt hat, alle anderen      bereitung zuführen zu können.             umgehen, es kommt immer wieder
auch machen müssen. Wir haben ihn          Backhausen ist auch bereit, sein          zurück und es richtet keinen Schaden
gefagt, ob er nicht auch Mitbewerber       Know-how an die Mitbewerber zu            an weil es positiv definiert ist.
hätte, die fair sind. Er hat schließlich   geben, einfach weil man Volumen
eingewilligt und die Mitbewerber           braucht. Je mehr sichere Produkte am      Wenn man sich das alles anhört und
haben das übernommen, und haben            Markt sind, desto sicherer bekommt        bedenkt, dass das erste Projekt 1993
auf allen ihren Musterkarten hinge-        man tauglichen Nährstoff für die Pro-     durchgeführt worden ist - und wir
schrieben, dass die Initiative durch       duktion. Ein einzelner Betrieb kann das   schreiben jetzt das Jahr 2010 - dann
jene Firma gekommen ist. So haben          nie schaffen. Das eröffnet neue Ge-       fragt man sich, wieso eigentlich nichts
alle gewonnen.                             schäftsmöglichkeiten in der Zukunft,      passiert ist bis jetzt, warum eigentlich
                                           z.B. können sich Partner zu einem         Cradle to Cradle immer noch wie eine
Jetzt, 17 Jahre später, haben wir ein      Konsortium zusammenschließen und          Art Geheimwissenschaft gehandelt
Beispiel aus Österreich. Backhausen        einem großen Abnehmer ein gemein-         wird ?
hat die Produktion unter Ihrer Be-         sames Angebot machen. Und die wer-
ratung auch in diesem Sinne umge-          den diese Produkte nicht mehr verkau-     Ja, das frustriert mich auch, um ehrlich
stellt, darf man sich das jetzt ähnlich    fen, sondern z.B. für fünf Jahre ver-     zu sein, aber seit Januar 2010 gibt es
vorstellen wie bei Ihrem ersten Projekt?   mieten. Die Stoffe werden zurückge-       eine gewisse Dynamik, wir haben auch
                                           nommen und durch neue ersetzt und         hier in Wien eine Kooperation mit dem
Das erste Projekt war ein biologischer     ein neuer Mietvertrag wird aufgesetzt.    Institut für Ökologie, Technik und                  Cradle-to-cradle
Kreislauf, was natürlich viel einfacher                                                                                         Interview mit Albin Kälin
                                                                                                                                                  Seite 9
wirks                       Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at

                            Innovation, dem ÖTI, gestartet. Es          und wahrzunehmen. Die Rahmenbe-             Wenn Sie das zu stark in bestehende
                            muss sich etwas tun, denn wir haben         dingungen sind nicht auf ein Kreislauf-     Institutionen oder Organisationen ein-
                            nicht mehr allzuviel Zeit. Unser Haupt-     denken ausgelegt; die Gesetzesstruk-        fließen lassen, ist das Ergebnis immer
                            problem ist nicht das Energieproblem,       tur ist oft hinderlich. Es klappt aber,     der kleinste gemeinsame Nenner. Jetzt,
                            welches bloß ein technisches Problem        wenn wir es schaffen, möglichst viele       wo bereits einige Zertifizierungen ge-
                            ist, weil wir die Sonne als unerschöpfli-   Akteure zu finden, die bereit sind,         laufen sind, denken die Philosophen
                            che Energiequelle haben. Wir wissen         diese Veränderung anzugehen. Wir            und Erfinder von Cradle to Cradle -
                            bloß noch nicht genau, wie wir sie am       sehen das zum Beispiel in der Chemie-       William McDonough und Michael
                            Besten nutzen. Viel gravierender sind       industrie. Die Chemieindustie hat zum       Braungart - darüber nach, die Zertifi-
                            die Rohstoffe, denn die gehen uns           Teil sehr sehr gute Produkte. Aber sie      zierung an andere Institutionen zu
                            aus. Und so wie wir in der Industrie        hat es schwer, diese guten Produkte in      übergeben. Dieser Prozess ist schon im
                            funktionieren, wie wir mit den Roh-         die Industriekette hineinzubringen. Sie     Gange.
                            stoffen umgehen, geht das nicht mehr        müssen die Prozesse verändern, sie
                            lange gut. Wir dürfen die Rohstoffe         müssen die Rezepturen verändern, sie        Wenn es nicht gelingt, den Unter-
                            nicht verlieren. Denken Sie an Kupfer,      müssen alles wieder neu testen, sie         schied der Qualität aufzuzeigen und
                            das haben wir noch 30 Jahre, dann ist       müssen die Verkaufsunterlagen abän-         zu dokumentieren, dann wird diese
                            Schluss. Denken Sie an Phosphat, den-       dern, usw.; das tut die Industrie nicht     ganze Cradle to Cradle-Bewegung wie
                            ken Sie auch an Öl. Also alle diese         so gern. Das tut niemand gerne.             viele andere Bewegungen irgendwann
                            Rohstoffe gehen zu Ende. Wir sollten        Cradle to Cradle ist aber eine Riesen-      einmal verflachen und dann wird man
                            eigentlich auch für die nächsten            chance, weil man plötzlich in alles „die    sagen, es ist halt dasselbe wie alles
                            Generationen eine Verantwortung             guten Dinge“ reinpacken kann.               andere auch.
                            übernehmen und sollten denen die
                            Möglichkeit geben, dass sie sich auch       EPEA zertifiziert ja auch diesen Cradle     Wenn man ein Gebäude abreißt,
                            entwickeln können und so arbeiten           to Cradle Prozess. Wie darf man sich        kommt so ein Riesenmonster und
                            und leben können, wie sie es für rich-      das vorstellen?                             haut alles zusammen. Das ist ja nicht
                            tig erachten.                                                                           unbedingt Kreislaufführung.
                                                                        Es gibt 4 Levels: Basic, Silber, Gold und
                            Die Rahmenbedingungen sind nicht            Platinum. Firma Backhausen z.B. ist         Der Unterschied ist bestechend, aber
                            auf ein Kreislaufdenken ausgerichtet.       mit Gold zertifiziert. Es gibt auch         Stoffe sind das eine, ganze Häuser mit
                                                                        Kritik, weil diese Zertifizierung eine      Stahl-, Glas- und Holzkonstruktionen
                            Sie haben die Industrie erwähnt. Jetzt      private Initiative ist. Wir mussten aber    und vielen Bauelementen sind etwas
                            ist es so, dass die Industrie gelernte      unbedingt einen neuen Qualitäts-            anderes. Ist das auch machbar?
                            Prozesse fährt, und diese Prozesse in       begriff etablieren. Einen neuen Quali-
                            Gesetzesstrukturen eingebettet sind,        tätsanspruch kann man eigentlich nur,       Das ist machbar. Das beweisen wir
                            das heißt sie stechen hier in ein           ohne dass ich da irgendwie chauvini-        eigentlich. Es gibt ein gutes Beispiel in
                            System hinein, das sehr gefestigt ist.      stisch bin, auf einer privaten Basis        Österreich, die Firma Thoma. Die
                                                                        angehen.                                    bauen Häuser ausschließlich aus Holz,
                            Das ist korrekt. Wir müssen nur uns                                                     das heißt auch die Verbindungen sind
                            selber betrachten, wie schwer wir uns       Weil?                                       holztechnisch gelöst ist, ganz ohne
Cradle-to-cradle            tun, Veränderungen zu akzeptieren                                                       Kleber.
Interview mit Albin Kälin
Seite 10
Wenn Sie ein Gebäude abreißen wol-         Das heißt, dass eigentlich jeder
len, kommt so ein Riesenmonster und        Unternehmer, jeder Manager, wel-
haut das Zeugs zusammen. Das ist ja        chem Unternehmen er jetzt auch
nicht unbedingt Kreislaufführung, wie      immer vorsteht, sich mit dem Cradle-
wir uns das vorstellen. In Holland gibt    Gedanken auseinandersetzen sollte,
es jetzt ein Projekt mit Fliesen, wo wir   weil man immer in irgendeiner Form
die Frage stellen, wie man Fliesen wie-    mit Stoffen zu tun hat, und es auch
der leicht vom Gebäude demontieren         auf einer abstrakteren Ebene neue
kann. Wenn das gelingt, dann kann          Impulse geben kann.
man Fliesen und andere Materialien
auch wieder sortenrein herausnehmen        Das würde ich genau so unterstützen
und in den Kreislauf überführen. Das       und wir kommen ganz schnell in die
revolutioniert auch die Bauindustrie,      Situation, wo wir wirklich etwas
die ja einer der größten Materialver-      wesentlich verändern müssen weil die
braucher überhaupt ist.                    Probleme immer unkontrollierbarer auf
                                           uns zu rollen. Wir müssen das Um-
In ihrem Portfolio führen Sie ja nicht     denken beginnen, insbesondere unse-
nur potentielle Kunden, Produktgrup-       ren Kindern zuliebe.
pen aus der Reihe der stofflichen
Ebene an, sondern Sie ermuntern auch       Das war jetzt eigentlich schon der
Dienstleistungsbetriebe, sich mit dem      berühmte Wunsch für die Zukunft
Cradle – Gedanken auseinanderzuset-        zum Schluss. Sie sagen, es ist aber
zen: Tourismus, Behörden, Logistik.        etwas in Bewegung gekommen in
                                           den letzten Jahren. Was genau?
Es geht überall um Stoffströme. Jeder
Manager sollte sich mit C2C ausein-        Holland, ein ganzes Land! Kalifornien,
andersetzen.                               ein Bundesstaat! Sie haben sich dem
                                           C2C-Gedanken verschrieben und das
Es geht überall um Stoffströme, auch       kann man durchaus eine gewaltige
und gerade im Tourismus. Die Peaks in      Bewegung nennen. In Holland hat die
der Saison mit den ganzen Abfällen,        Regierung entschieden, ihre Einkaufs-
die dort erzeugt werden, oder wie          richtlinien, und da geht es um 40 Mrd
man mit der Natur umgeht! Warum            EUR, so zu verändern, dass Cradle to
nicht Stoffströme ganzer Regionen          Cradle Produkte bevorzugt werden.
neu denken? Warum nicht endlich ein
Blick auf das Facility Management,         Ja, Herr Kälin, dann hoffe ich, dass ich
also Gebäudemanagement? Wir wol-           das nächste Interview mit einem
len gar nicht auf der stofflichen Ebene    Computer führe, der bereits komplett
stehen bleiben. Wir müssen mit C2C         „gecradlet“ ist.
in die komplexeren Systeme.                                                                    Cradle-to-cradle
                                           Das wäre cool.                             Interview mit Albin Kälin
                                                                                                       Seite 11
wirks              Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at


                   C2C Geschichte
                   1987: Michael Braungart und andere        Schlossberg ein Set von Frottierwäsche        2009: Der Österreichische Textilher-
                   Greenpeace-Aktivisten besetzen einen      und Bademänteln. Übersicht über eini-         steller Backhausen stellt unter Be-
                   der Schornsteine des Schweizer            ge Case Studies findet man auf der            ratung von EPEA seine komplette
                   Chemiekonzerns Ciba-Geigy (heute          Website von EPEA Switzerland:                 Produktion auf C2C um.
                   Novartis) wegen einer katastrophalen      http://www.epeaswitzerland.com/
                   Verschmutzung des Rhein durch den
                   Konzern. Braungart gründet EPEA           2005: Der deutsche Chemiker Michael
                   (Environmental Protection Encourage-      Braungart holt Kälin nach Hamburg. Er
                   ment Agency).                             erfindet die Bezeichnung „Cradle-to-
                                                             cradle (C2C)“ und zieht seither als
                   1993: Der Schweizer Textilkaufmann        genialer Wanderprediger durch TV-
                   Albin Kälin hat eine bahnbrechende        Shows und Umweltkongresse. Im
                   Idee, welche der Firma Rohner Textil,     Amerika übernimmt diese Rolle der
                   deren Geschäftsführer Kälin damals        Architekt William McDonough.
                   war, zahlreiche Auszeichnungen und        Braungart und McDonough haben
                   Designpreise einbrachte. Die Rohner-      gemeinsam ein Standardwerk über
                   Produktlinie Climatex (climatex.com)      C2C herausgebracht, ein Buch, das
                   wird zum weltweit ersten Cradle-to-       bizarrerweise aus Plastik ist (siehe kriti-
                   cradle-Produkt, auch wenn dieser Ter-     sche Anmerkung).
                   minus damals noch nicht gebraucht
                   wurde.                                    Gründung der Beratungsfirma EPEA
                                                             (www.epea.com) durch Braungart.
                   Das Projekt wird filmisch dokumen-        Kälin wird Geschäftsführer und berät
                   tiert, Kälins Idee wird von Universitä-   u.a. die Niederlande, die vorhaben, als
                   ten und Wissenschaft gewürdigt. Trotz     ganzes Land komplett nach C2C zu
                   großartigem Echo passiert aber in der     leben!
                   Industrie nichts. Die Projekte bleiben
                   überschaubar: Triumph bringt eine         EPEA vergibt C2C-Zertifizierungen in
                   Damenwäscheserie aus rein ökologi-        Silber, Gold und Platin, was Braungart
                   scher Baumwolle namens Pure Origin        zu Anfällen von Selbstironie bringt
                   auf den Markt, die Schweizer Firma        (siehe „kritische Anmerkungen“).

Cradle-to-cradle
Geschichte
Seite 12
Denkende Stoffe
Ing. Reinhard Backhausen über den „Stoff der vielen Leben“, zwei Jahre Forschung am Rande des
Scheiterns und warum man niemals aufgeben darf. Backhausen hat die gesamte Produktion in einem
Gewaltakt auf Cradle-to-cradle umgestellt. Interview: Harald Koisser


Sie haben einen Stoff entwickelt, der     an die Halbwertszeiten von Kunststoff      Welt gehen. Wir gehören zu denen,
Returnity heißt. Was darf man sich        denke.                                     die jetzt schon ein Produkt anbieten
unter diesem Kunstbegriff vorstellen?                                                können, nämlich Möbelstoffe und
                                          Eternity heißt hier „ewig im Kreislauf“,   Vorhangstoffe.
Returnity findet man nicht im Lexikon.    darum sprechen wir auch vom „Stoff
Das setzt sich zusammen aus Return        der vielen Leben“. Wichtig ist, dass       Wie reagiert der Markt auf Ihre
(zurückgeben) und Eternity (die Ewig-     wir ressourcenschonend und abfallver-      Innovation?
keit). Es ist eine Weltneuheit – der      meidend denken. Wir werden in Zu-
erste Flammhemmstoff, der umwelt-         kunft ein riesiges Ressourcenproblem       Sehr aufgeschlossen, aber es gibt auch
freundlich produziert und recycling-      haben. Heute leben 6,5 Mrd Men-            diejenigen, die beim Fenster hinaus-
fähig nach der Cradle-to-cradle-Philo-    schen auf der Welt, irgendwann wer-        schauen und sagen: Eh noch alles in
sophie ist. Wir haben den gesamten        den es 9 Mrd sein. Dafür reichen die       Ordnung. Vielleicht müssen noch
Produktionsprozess umweltfreundlich       Ressourcen nicht aus. Da sind die          mehr Umweltkatastrophen passieren,
gestaltet, wir haben zum Beispiel aus     Industrie und die Politiker gefordert,     damit die Menschen aufwachen und
den Farbstoffen und Ausrüstungs-          alternative Konzepte zu entwickeln.        sehen, dass es schon 2 vor 12 ist und
chemikalien die bedenklichen Sub-                                                    etwas getan werden muss. Je mehr
stanzen entfernt. Wir arbeiten also mit   Ist Returnity Ihr persönlicher Wunsch,     sich dem Cradle-to-cradle-Movement
völlig anderen Farbstoffen als zuvor.     sich mit der Welt zu versöhnen?            anschließen, desto eher kann es um-
Und wir haben das Versprechen                                                        gesetzt werden. Und es muss schnell
gegenüber unseren Kunden abgege-          Es ist ein Herzensanliegen, aber auch      umgesetzt werden, denn wir brauchen
ben, dass wir den Stoff nach der          Notwendigkeit. Wir sind in der Textil-     Mengen an Material für ein günstiges
Verwendung zurücknehmen. Der              industrie Vorreiter und hoffen, dass       Recycling.
Kunde muss nur ein E-Mail an uns          andere mitziehen. Cradle-to-cradle
schreiben und wir organisieren das        wird sich absolut durchsetzen. Holland     Im Moment erweist es sich also noch
Cradle-to-cradle-gerechte Recycling.      will 2012 eine ganze Stadt umstellen,      nicht als Vorteil im Marketing, mit so
Es darf dabei kein Abfall entstehen,      sodass dort kein Abfall produziert         einem neuen Konzept hinauszugehen?
sondern muss komplett zu einem            wird. Arnold Schwarzenegger hat
neuen Produkt werden.                     Cradle-to-cradle in sein Regierungs-       Der Vorteil liegt darin, dass wir
                                          programm aufgenommen und jetzt im          Umweltbewusstsein wecken. Die
Dann muss ich mich bei dem Wort           Mai das erste Cradle-Institut in San       Leute verstehen das Prinzip ja sehr           Cradle-to-cradle
Eternity nicht schrecken, weil ich da     Francisco eröffnet. Das wird um die        schnell. Außerdem hat der Kunde                  Interview mit
                                                                                                                              Reinhard Backhausen
                                                                                                                                           Seite 13
wirks                 Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at

                      einen messbaren Vorteil. Wenn er ein      wir auf so breiter Basis agieren, dann      auch um die Frage, wie man Energie
                      Produkt zurückgibt, bekommt er            werden auch die Mengen zustande             gewinnt. Wir mussten auch mit der
                      Rabatt auf künftige Returnity-            kommen.                                     EVN klären, dass wir einen hohen
                      Bestellungen.                                                                         Anteil an Wind- und Sonnenenergie
                                                                Das ist eine höchst ungewöhnliche           wollen. Erst das gesamte Maßnah-
                      Wann werden die ersten Stoffe             Aussage von einem Unternehmer in            menpaket führt zu einer Cradle-to-
                      zurückkommen?                             einer Zeit, wo man sehr auf seinen          cradle-Zertifizierung. Wir haben diese
                                                                Patenten sitzt und sich daraus              Zertifizierung in Gold bekommen und
                      Wir haben voriges Jahr unsere gesam-      Wettbewerbsvorteile erhofft.                da sind wir stolz darauf, weil wir uns
                      te Produktion und sämtliche Kollek-                                                   enorm bemüht haben. Es hat auch
                      tionen umgestellt. Ein Kunde kann         Ich möchte auf keinen Fall alleine          Situationen gegeben, wo Mitarbeiter
                      jederzeit einen Stoff zurückgeben,        auf dem System sitzen.                      gesagt haben: das geht einfach nicht.
                      allerdings haben die sehr gute Qualität                                               Wir hatten etwa große Probleme mit
                      und ich schätze, dass es nun zwischen     Es funktioniert aber nur so. Ich möchte     der Farbe Schwarz und einem Dunkel-
                      drei und fünf Jahre dauern wird, bis      auf keinen Fall alleine auf dem System      rot. Ich habe einfach weiterforschen
                      etwas zurückkommt. Wir sind jeden-        sitzen. Es wird sich ja auf alle Bereiche   lassen, bis wir schließlich eine Lösung
                      falls vorbereitet darauf. Das             erstrecken. Es wird Cradle-to-cradle-       gefunden haben.
                      Recyclingsystem steht.                    Autos geben, ein völlig anderes Den-
                                                                ken muss Einzug halten, wir müssen          So wie das jetzt sagen, klingt das sehr
                      Sie haben gesagt, dass Sie Mengen         mehr partnerschaftlich agieren.             souverän, aber ich vermute, sie haben
                      brauchen. Wenn das in drei Jahren                                                     auch dem Scheitern ins Auge gesehen.
                      hereintröpfelt, kommen wohl keine         Wo liegen denn die größten Hürden
                      Mengen zustande.                          bei einer Umstellung? Liegen sie im         Ja, aber wenn man nach der Devise
                                                                Kopf? In der Produktion?                    lebt „niemals aufgeben“ tut man sich
                      Wenn nur die Firma Backhausen das                                                     nicht so schwer. Ich hatte das Ziel
                      verfolgen würde, funktioniert das nie     Zuerst einmal muss man die eigenen          genau vor Augen. Es tut sich immer
                      im Leben.                                 Leute davon überzeugen. Das kann            irgendwo eine Tür auf.
                                                                man nicht mit einer Veranstaltung in
                      Die Cradle-Community muss wachsen.        der Firma abtun. Da muss man sich           Wie bleibt man dran? Haben Sie ein
                      Wir arbeiten daher in drei Richtungen.    mit den Leuten auch einzeln auseinan-       persönliches Geheimnis?
                      Das eine ist die eigene Kollektion.       dersetzen und zwar nicht nur in der
                      Zweitens produzieren wir für              Produktion, sondern auch im Vertrieb,       Positiv Denken. Ich bin ein sehr positiv
                      Grossisten und Möbelindustrie, die        bei der Auftragsannahme, etc.; wenn         denkender Mensch. Für mich sind
                      Spezialentwicklungen von uns welt-        die eigene Mannschaft dahinter steht,       Probleme Chancen. Angesichts eines
                      weit verkaufen. Und drittens lizenzie-    hat man schon viel gewonnen.                Problemes denke ich: Juhu, ein Pro-
                      ren wir Returnity an andere Hersteller    Wirklich schwierig war die Frage: geht      blem! Ich freue mich, wieder etwas
                      von Trevira CS (so heißt der flamm-       das technisch? Und das war während          lösen zu dürfen. Mit so einer Einstel-
                      hemmende Stoff). Mit der Lizenz kön-      der zweijährigen Entwicklungsphase          lung tut man sich generell leichter.
Cradle-to-cradle      nen die das gesamte Know-how und          gar nicht so klar. Dabei ging es ja nicht
Interview mit         auch den Logo übernehmen. Wenn            nur um unsere Farbstoffe, sondern
Reinhard Backhausen
Seite 14
Das kommt offenbar auch im                Es war in Teilbereichen so. Das Schlüs-   haben ein wirklich schönes Medien-
Managementstil hinüber.                   selerelebnis habe ich mit meinen Kin-     echo, desto leichter wird es.
                                          dern gehabt. Wir haben uns vor vier
Man muss es leben und begeistern          Jahren den Al Gore-Film angesehen.        Wo ist das meiste Geld hineinge-
können. Die Leute müssen spüren,          Populistisch, aber aufrüttelnd und auf    flossen?
dass man selbst voll daran glaubt und     Wahrheiten beruhend. Meine Kinder
dahinter steht. So kann man Leute         haben gefragt, was man da machen          Das meiste Geld fließt in Forschung
mitreißen. Ist man nur halbherzig         kann. Ich habe sofort gesagt: Standby-    und Marketing
dabei, kann sich alles im Sand ver-       zustand ausschalten, Mülltrennung, -
laufen.                                   naja, das Übliche eben. Da haben          Das ganze spielt sich im chemischen
                                          beide gemeint, wir haben doch eine        Bereich ab. Wirklich viel Geld ist in
Ist durch die Arbeit an Returnity auch    Firma. Dort muss etwas geschehen.         Research geflossen und ein großer
ein ökologischeres Bewusstsein bei        Ich habe begonnen nachzudenken,           Aufwand war die Überprüfung der
Ihren MitarbeiterInnen entstanden?        aber wir stellen Stoffe aus Polyester     gesamten Produktionskette. Und
                                          her. Da habe ich keine gute Idee ge-      natürlich das Marketing! Was nützt es,
Absolut! Es hat einige gegeben, die       habt, wie man das ökologisch wertvoll     wenn man ein tolles Produkt hat und
mit Umweltdenken nicht viel am Hut        macht. Da habe ich Professor Braun-       niemand es weiß. Aber wir geben nur
hatten. Ich halte derzeit sehr viele      gart und Albin Kälin kennengelernt.       einen Bruchteil der Kosten an den
Vorträge im in- und Ausland, auch vor     Das war Bestimmung. Wie dann Re-          Kunden weiter. Wir verlangen nur um
meinen Mitarbeitern, und da geht es       turnity endlich fertig war, habe ich      2% mehr als vorher. Das ist ein be-
nicht nur um das Produkt. Es geht um      meinen Kindern sehr beruhigt in die       scheidener und von den Kunden gerne
Verständnis für unsere                    Augen schauen können.                     akzeptierter Anteil für die Umwelt.
Umweltprobleme. Meine Vorträge
beginnen oft mit einem Bild vom           Wie haben das denn die Mitbewerber        Zum Schluss noch eine verwegene
Universum. Es geht doch darum, unse-      aufgenommen?                              Frage: ist Cradle-to-cradle schon
ren kleinen Planenten vor uns selbst zu                                             alles? Was kommt noch?
schützen. Ich rede über                   Skeptisch! Es gibt ja so viele Umwelt-
Umweltprobleme, baue dabei ein            konzepte. Die Kunst besteht darin, die    Es gibt eine Steigerung. Die heißt
wenig auf dem Film von Al Gore („Die      Leute zu begeistern und zu gewinnen.      „smart textiles“. Als Verbandspräsi-
unbequeme Wahrheit“) auf. Es muss         Es war schon ungewöhnlich, offen auf      dent der Textilindustrie habe ich die
klar werden, dass da eine Welt-Vision     den Mitbewerb zuzugehen und ihn           Smart-textiles-Plattform gegründet,
dahinter steckt. Ich sehe uns als         aufzufordern, etwas gemeinsam zu          einen Schulterschluss der Beklei-
Teilbereich eines großen Ganzen.          machen. Etwas großes Gemeinsames!         dungsindustrie mit der Elektronik-
                                          Manche, die anfangs misstrauisch          industrie. Wir wollen textile Produkte
Jetzt kann ich meinen Kindern             abgelehnt haben, sind dann auf mich       entwickeln, die denken können.
beruhigt in die Augen schauen             zugekommen und wollten doch mit-          Stoffe, die ihre Farbe verändern kön-
                                          machen. Es ist eben ein langsamer         nen. Heute ein blaues, morgen ein
Wo kommt Ihr persönliches ökologi-        Überzeugungsprozess und auch da           grünes Sofa! Oder Vorhänge, die
sches Gewissen und die Verantwor-         darf man nie aufgeben. Je mehr die        Energie speichern können. Oder                Cradle-to-cradle
tung, die Sie zeigen, her? War das        Medien darüber berichten, und wir         Mäntel mit Airbags. Im Medizintextil-            Interview mit
schon immer so?                                                                                                              Reinhard Backhausen
                                                                                                                                          Seite 15
wirks                 Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at

                      Bereich könnte man Textilien entwik-
                      keln, die Organe im Körper umschlie-
                      ßen und Informationen an Ärzte fun-
                      ken. Das sind alles realistische Visi-
                      onen. International wird viel daran
                      geforscht. Aber natürlich müssen die
                      in Textilien eingebauten Komponenten
                      cradle-to-cradle-fähig sein.




Cradle-to-cradle
Interview mit
Reinhard Backhausen
Seite 16
Die C2C-Community
Weltweit werden derzeit etwa 600 Produkte nach dem Cradle-Prinzip hergestellt, Tendenz steigend.
Hier ist eine kleine Übersicht über das aktuelle Angebot an C2C-Waren und Dienstleistungen.


Aveda (Estée Lauder)                      Desso                                    gugler
USA                                       Holland                                  Österreich
Kosmetiklinie, die komplett aus pflanz-   Der weltweit führende Teppichher-        Cross Media-Betrieb mit hohem Öko-
lichen und mineralischen Inhaltsstoffen   steller arbeitet daran, sein gesamtes    bewusstsein; arbeitet derzeit an hun-
besteht                                   Portfolio (Teppiche und Kunstrasen)      dert Prozent kompostierbaren
www.aveda.com                             ausschließlich nach dem C2C-Prinzip      Druckprodukten
                                          zu gestalten. Derzeit können 90%         www.gugler.at
Backhausen interior textiles              aller Fabrikabfälle und 100% aller
Österreich                                Verpackungen recycelt werden             Hermann Miller
Möbel- und Dekorationsstoffe für          www.desso.com                            England
Prestigebauten (Hotels, Opernhäuser,                                               Stühle, Tische, System-Büromöbel aus
...) und Eigenheim nach dem C2C-          Dr. Petry                                nachhaltigen Materialien,
Prinzip (komplett wiederverwertbar);      Deutschland                              Produkteigenschaften und schonenden
damit die Stoffe wieder in das Werk       Nachhaltige Textilveredelung             Produktionsverfahren. Es werden die
zurückkommen, gibt Backhausen eine        www.drpetry.de                           jeweils sichersten Chemikalien verwen-
Rücknahmegarantie und Prozente bei                                                 det sowie die Zerlegbarkeit und
Folgekäufen                               earthbuddy                               Recyclingfähigkeit der Möbel beachtet
www.backhausen.com                        Hongkong/China                           www.hermanmiller.com
                                          Produzent von biologisch abbaubaren
Belland                                   Verpackungsmaterialien,                  Johann Müller AG
Deutschland                               Essensbehältern, Tabletts, etc.;         Schweiz
Kunststoff mit den gewohnten Ge-          Ausgangsstoffe sind Agrarrückstände      Die Firma hat biologisch abbaubare
brauchseigenschaften aber mit der         www.earthbuddy.hk                        Näh- und Strickgarne, Frottierware
Recyclingfähigkeit von Papier, lässt                                               und die bilogisch abbaubare Kunst-
sich preisgünstig auf gleichem Quali-     Elastic                                  faser PLA entwickelt. Auch die Ver-
tätsniveau wiederverwerten; zB für        Deutschland                              packungen und Etiketten sind biolo-
Catering-Geschirr, Trinkbecher für        Elastische Stoffe und Spitzen für die    gisch unbedenklich
Großveranstaltungen (Sport, Konzer-       Wäsche-, Sport- und Bademoden-           www.mueller-textil.ch
te), etc.                                 industrie. Entwicklung des biologisch
www.belland.de                            kreislauffähigen Stoffes Pure Origin,                                                  Cradle-to-cradle
                                          der sich in einer Unterwäscheserie der                                            Die C2C-Community
                                          Firma Triumph findet                                                                           Seite 17
                                          www.elastic.de
wirks               Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at

                    method                                    Shaw                                       für Allergiker interessant.
                    USA                                       USA                                        www.trigema.de
                    Umweltfreundliche und gesundheits-        Die Firma ist Zulieferer für Teppich-
                    verträgliche Haushaltsprodukte. Es        produzenten und hat sich auf Teppich-      Triumph
                    dampfen keine Lösungsmittel mehr          fliesenunterseiten spezialisiert. Die      Deutschland
                    aus und man braucht auch keine            Produkte werden umweltschonend in          Die Damenunterwäsche „Pure Origin“
                    Gummihandschuhe, um die Hände zu          geschlossenen Kreisläufen wiederver-       besteht aus ökologisch angebauter
                    schützen. Die Gebinde und Verpack-        wertet.                                    Baumwolle und einer biologisch ab-
                    ungen sind kreislauffähig.                www.shawfloors.com                         baubaren Elastanfaser.
                    www.methodhome.com                                                                   www.triumph.com
                                                              Steelcase
                    Remondis                                  Deutschland                                van Houtum
                    Deutschland                               Büromöbel, die am Ende jedes Lebens-       Holland
                    Wasser- und Kreislaufwirtschaft;          zyklus leicht zerlegt und wiederver-       Toilettepapier und Handtücher, die
                    Kompostwerke und Erdenwerk nach           wertet werden können. Star des             nach C2C hergestellt werden
                    dem Prinzip geschlossener Stoffkreis-     Sortiments ist der Arbeitsstuhl            www.satino.com
                    läufe                                     „Think“, der höchste ökologische
                    www.remondis.de                           Standards erfüllt und zu 98% wieder-       van Kaathoven
                                                              verwertbare Komponenten enthält. Er        Holland
                    Safechem                                  lässt sich innerhalb von fünf Minuten      C2C für Katzenfreunde. Komplett
                    Deutschland                               zerlegen, die wenigen Teile, die ent-      kreislauffähiges Katzenstreu, gepaart
                    Risikomanagement zur Handhabung           sorgt werden müssen, sind gekenn-          mit einem Hausservice. Die Kunden
                    chlorierter Lösemittel, wie sie für       zeichnet. Steelcase produziert auch        erhalten ein Katzenklo samt Katzen-
                    Reinigungsprozesse in der Industrie       Stoffe, Trennwände, Monitore und           streu, die Schale wird alle zwei Wo-
                    verwendet werden; Reduktion der           diverse Arbeitzsplatzausstattung nach      chen vor die Haustür gestellt und aus-
                    Lösemittel um 90% innerhalb von           C2C.                                       getauscht.
                    10 Jahren bei gleichzeitigem Anstieg      www.steelcase.de                           www.katzenkomfort.com
                    gereinigter Teile; Entwicklung von
                    Geschäftsmodellen und Services für        Thoma                                      Wexla
                    den verantwortlichen Einsatz von          Österreich                                 Österreich
                    Chemikalien                               Häuser (Einfamilienhäuser, Hotel-          Schuhe sind laut Braungart „Franken-
                    www-safechem-europe.com                   bauten, Industrieanlagen) aus 100%         steinprodukte“, da sie künstliche und
                                                              Holzbauweise. Kein Leim, keine che-        biologische Materialien enthalten, die
                    Search                                    mischen Verbindungen. Nur Holz.            untrennbar miteinander verbunden
                    Holland                                   www.thoma.at                               werden. Wexla hat ein System entwik-
                    International agierende Technikbera-                                                 kelt, wie man günstig Ersatzteile für
                    tung, Labor- und Lehrorganisation         Trigema                                    Schuhe nachkaufen kann: Schuhsohle,
                    Dienstleistung: Beratung für nachhalti-   Deutschland                                Schuhoberteil, Fußbett. Eine Realisati-
Cradle-to-cradle    ge Entwicklung                            Der Hersteller von Sport- und Frei-        on solcher Schuhe gibt es noch nicht.
Die C2C-Community   www.searchbv.nl                           zeitbekleidung führt ein kompostierba-     Im Programm sind kompostierbare
Seite 18                                                      res T-Shirt im Programm. Die biolo-        Flipflops.
                                                              gisch wertvollen Inhaltsstoffe sind v.a.   www.wexla.at
Ameise, Regenwurm
und Berggorilla
Kritische Anmerkungen zu C2C, Teil 1
Text von Harald Koisser



Wider die Verschwendung                   Dem kann man entgegenhalten, dass           Nur weil maßloser Konsum auf stoffli-
                                          diese Kritik aus der „alten Welt“           cher Ebene durch C2C plötzlich unbe-
Es war die Rede davon, dass C2C das       stammt, in der zurecht gegen blind-         denklich wird, wäre er es noch lange
ökonomische Denken in Richtung            wütige Vergeudung unwiederbringli-          nicht auf zwischenmenschlicher Ebene.
Kooperation wenden könnte, doch           cher Ressourcen gewettert wurde. Mit
auch auf Seiten der KonsumentInnen        C2C gibt es aber keine unwiederbring-       Es bleibt dabei allerdings zu fragen, ob
wird C2C eine sukzessive Wendung im       lichen Ressourcen mehr. Wenn sich           der Einzelne dies als Ausbeutung er-
Denken und Verhalten bewirken, aller-     das Prinzip durchsetzt, wird sich die       lebt oder seinen Arbeitseinsatz gerne
dings eine, die argwöhnisch beobach-      moralische Debatte von der Theorie in       erbringt, sei es wegen entsprechender
tet wird und auf Kritik stößt. Wenn       die Lebenspraxis verlagern und eine         Entlohnung, sei es als Quid pro Quo
Stoffe ökologisch komplett unbedenk-      Neubewertung des Begriffs „Ver-             für eigenes verschwenderisches Ver-
lich sind und wieder in neue Kreisläufe   schwendung“ notwendig machen.               halten. Wenn Arbeit sinnvoll ist, kann
eingehen, so darf man plötzlich etwas,    Man könnte also der Tugend der              man sie auch lustvoll verrichten.
wofür man sich heute noch in der          Mäßigung folgen und abwarten,
alten Welt der Müllberge geniert:         würde nicht Ernst Gugler von gugler         Rahim Taghizadegan merkt in seinem
maßlos verschwenden! Weil alle C2C-       crossmedia, selbst ein C2C-Pionier, ein     Gastkommentar allerdings sehr richtig
ProtagonistInnen dieses lustvolle Ver-    Argument jenseits der stofflichen Welt      an, dass zum Beispiel Lebensmittel
schwenden so herzhaft propagieren,        vorbringen. Er meint, dass jedes Pro-       Cradle-to-cradle-Produkte sind, aber
regt sich moralischer Unmut. Man          dukt immer auch Ergebnis von men-           eine Verschwendung immer bedenk-
würde hier einen neuen Konsumwahn         schlicher Arbeitszeit ist, und lustvolles   lich ist.
begründen, dessen Vorteil wohl in der
ökologischen Unbedenklichkeit liege,      Darf man menschliche Arbeitszeit
aber moralisch bedenklich wäre. Man       verschwenden?
sieht die Tugend der Mäßigung
bedroht.                                  Verschwenden somit bedeutet, men-
                                          schliche Arbeitszeit zu verschwenden.                                                  Cradle-to-cradle
                                                                                                                                            Kritik
                                                                                                                                         Seite 19
wirks              Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at

                   Du sollst zertifizieren                  Braungart erklärt, er wolle sich den
                                                            unsäglichen Öko-Zertifikaten entge-
                   EPEA vergibt Zertifikate für C2C-        genstemmen, welche die Produktwelt
                   Projekte und –Betriebe. Man darf         überschwemmen. Jeder fadenscheinige
                   zurecht bemerken, dass üblicherweise     Mist wäre eine Öko-Plankette wert,
                   aus gutem Grund Beratung und Zer-        die man sich an die Eingangstür kleben
                   tifizierung von unterschiedlichen        kann. Also müsse man dem mit einer
                   Stellen durchgeführt werden. Der         C2C-Auszeichnung begegnen.
                   Berater kann sich wohl selbst kein
                   objektives Zeugnis ausstellen.           Mit einer guten Portion Selbstironie
                   Braungart weiß das natürlich und         merkt der Chemiker an, dass er in
                   übergibt die Zertifizierung auch dem-    Silber, Gold und Platin zertifiziere: „Ist
                   nächst an solch eine unabhängige         das nicht lustig: Das sind ökologisch
                   Stelle. Bleibt allerdings die Frage,     hoch bedenkliche Edelmetalle. Im Sinn
                   wozu überhaupt zertifizieren? Es         der Sache, der Nützlichkeit, die wir
                   scheint als müsse ein Wahn nach          anstreben, müsste es eigentlich Zer-
                   objektiven Belegen für das eigene        tifikate geben, die Ameise, Regen-
                   Gut- und Bessersein befriedigt werden.   wurm und Berggorilla heißen“.




Cradle-to-cradle
Kritik
Seite 20
Cradle-to-cradle - die nächste Sau,
die man durch das globale Dorf treibt?
Kritische Anmerkungen zu C2C, Teil 2
Gastkommentar von DI Rahim Taghizadegan,
Institut für Wertewirtschaft (www.wertewirtschaft.org)


Aus dem Inhalt:                                                                  Der Ausdruck „cradle-to-cradle“
                                                                                 (Wiege-zu-Wiege) findet gegenwärtig
• C2C bietet reale Innovationen und nicht bloß Zertifikate für greenwashing.     wachsende Beachtung. Mit diesem
• Leider sind es stets Übertreibungen, die im Konkurrenzkampf um knappe          Konzept reüssieren vor allem der
  Aufmerksamkeit eingesetzt werden. Braungart kontert mit einer                  amerikanische Architekt William
  Verschwendungsideologie gegen jene, die sich „gesund schrumpfen“ wollen.       McDonough und der deutsche
• Die Größe der Versprechungen von Cradle-to-cradle bringt die Gefahr von        Chemiker Michael Braungart. Der
  politischer Planwirtschaft                                                     Ansatz bezieht sich auf das Gestalten
• Es klingt so schön, alle Verschleißteile durch kompostierbare Materialien zu   von Produktzyklen, bei denen Abfall
  ersetzen. Doch wer sagt, dass „natürliche“ Stoffe weniger gefährlich sind?     direkte Verwertung als Rohstoff findet.
• Vor dem Auto erstickten Städte im Pferdemist. Das Problem liegt stets          Produkte sollten also nicht als Schad-
  in der Masse.                                                                  stoffe in der Totenbahre von End-
• Am gefährlichsten ist cradle-to-cradle, wenn es Leute anspricht, die           lagern enden, sondern die Wiege für
  weder Investitionen aus eigenen Mitteln verantworten, noch sich mit ihrer      neue Produkte abgeben.
  individuellen Verantwortung als Konsument zufrieden geben, sondern
  ungeduldig nach der Weltverbesserung trachten. Dann stecken wieder             Nachdem Steven Spielberg gerade an
  überschuldete Bürokratien, Steuergeld in Hype-Projekte, die sie mittels von    einem Film über diese Idee arbeitet,
  ihnen ernährter „Experten“ als große Zukunftsinvestitionen vermarkten.         wird sie wohl bald nicht mehr bloß der
                                                                                 Hype kleiner Zirkel sein, sondern zum
                                                                                 Massen-Hype wachsen. Die Größe der
                                                                                 Versprechungen dieser Idee begünstigt
                                                                                 ihre Aufnahme, weckt aber auch neu-
                                                                                 gierige Skepsis. Man ist es mittlerweile
                                                                                 gewohnt, daß ein Weltrettungsplan
                                                                                 den nächsten ablöst, der sofort und
                                                                                 umfassend umgesetzt werden muß. Es
                                                                                                                            Cradle-to-cradle
                                                                                 sei zu spät, darauf zu warten, daß die
                                                                                                                                     Kritik II
                                                                                                                                    Seite 21
wirks              Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at

                   Menschen ihr Leben ändern, die einzi-       fluß leben, nach Herzenslust ver-        Braungart und seine Kollegen durch-
                   ge Hoffnung bestünde darin, den             schwenden.                               aus reale Innovationen zu bieten
                   Rettungsplan so groß wie möglich zu                                                  haben und nicht bloß Zertifikate für
                   dimensionieren, so schnell wie möglich      Zweitens fällt auf, daß Braungart und    greenwashing (Umwelt-Marketing)
                   umzusetzen und so zentral wie mög-          McDonough schon lange vor dem            verkaufen. Je größer der Hype wird,
                   lich zu steuern. Ist cradle-to-cradle       Hype sehr viel Geld mit ihrem Ansatz     desto eher ist allerdings zu erwarten,
                   bloß die nächste Sau, die durch das         verdienen. Braungart wurde als           daß Motive der Eitelkeit und PR bei
                   medial-globale Dorf getrieben wird?         Greenpeace-Aktivist bei der Besetzung
                                                               eines Schornsteins des Unternehmens      Die Gegendogmatik tut der
                   Zwei Unterschiede fallen zunächst ins       Ciba vom Fleck weg von den ver-          Umweltbewegung sehr gut
                   Auge. Erstens sind die Betonungen           meintlichen ideologischen Feinden
                   hier deutlich anders als man es sonst       engagiert. Ciba heuerte ihn als selb-    der Adaption der geschützten Marke
                   bei ökologischen Bedenkenträgern            ständigen Berater an. Unzählige große    cradle-to-cradle bedeutsam werden.
                   gewohnt ist. Insbesondere Michael           und finanzkräftige Unternehmen folg-     Dies wird durch die psychologisch sehr
                   Braungart, ein ehemaliger Green-            ten. 1995 gründete er das Unterneh-      wirksamen ideologischen Übertreibun-
                   peace-Aktivist, lästert gerne über den      men McDonough Braungart Design           gen in der Darstellung begünstigt.
                   „Schuldkult“ der modernen Umwelt-           Chemistry mit McDonough in den           Solche Übertreibungen sind zwar stets
                   bewegung. Braungarts Ökologismus            USA. Ford ließ sich etwa von             einseitig, können aber als Korrektiv
                   ist durch und durch progressiv. Nach        McDonough für gesalzene zwei             und Aufweckmittel dienen. Die Dosis
                   der ideologischen Verwirrung des letz-                                               Gegendogmatik tut der Umweltbewe-
                   ten Jahrhunderts bringt konsequenter        Nachhaltigkeit - ein leeres Konzept      gung ganz gut, die in der Regel ihr
                   Progressismus (die ideologische Über-                                                Wissen maßlos überschätzt.
                   höhung des Fortschritts und Wachs-          Milliarden Dollar die Dächer des größ-   Braungarts Witze gehen häufig auf
                   tums) heute meist Betonungen mit            ten Werkes begrünen. Geld, so könnte     Kosten populärer Öko-Irrtümer. Doch
                   sich, die verwirrte Beobachter als neo-     man einwenden, das aus dem Verkauf       auch Cradle-to-cradle ist vor Irrtümern
                   liberal bis neokonservativ einordnen        von Produkten und der Aufnahme von       nicht gefeit. Je größer der Kontext,
                   würden. Dies erklärt auch, warum sich       Krediten stammt, die mit Nachhaltig-     desto unübersehbarer die Komplexität.
                   unter Neokonservativen so erstaunlich       keit wohl wenig zu tun haben. Doch       Die beste Intention kann in einem
                   viele ehemalige „Linke“ finden.             Nachhaltigkeit ist für Braungart ohne-   komplexen System die schlimmsten
                   Braungarts Glaube an Wissenschaft           hin ein leeres Konzept: Es ginge um      Auswirkungen nach sich ziehen.
                   und Technologie ist von unerschütterli-     Veränderung, nicht darum, Dinge zu       In einem der zahlreicher werdenden
                   chem Optimismus, eine intelligente          erhalten.                                als Dokumentation getarnten Werbe-
                   wirtschaftliche Entwicklung könnte in                                                filme über cradle-tocrade sieht man
                   Zukunft noch einem Vielfachen der           Die Erwähnung dieser zwei Aspekte        die feierliche Eröffnung eines Modell-
                   Erdbevölkerung eine bessere Versor-         mutet nach Kritik an, doch der wirt-     Dorfes in China, das mit der Beratung
                   gung bieten. Er will dem Konsumenten        schaftliche Erfolg und die ideologi-     von McDonough geplant worden sein
                   das schlechte Gewissen nehmen. Dank         schen Betonungen verdienen zunächst      soll, um ein bestehendes Dorf zu
                   nach cradle-to-cradle zertifizierter Pro-   eine Würdigung. Die Nachfrage durch      ersetzen. Dies wurde als wegweisen-
Cradle-to-cradle   duktgestaltung könne man wieder             Unternehmen bevor das Konzept zum        der erster Schritt gepriesen, wie für
Kritik II          Spaß beim Konsum haben, im Über-            Medienhype wird, deutet an, daß          Abermillionen von Chinesen im Zuge
Seite 22
des nächsten, revolutionären Fünfjah-     letztlich 12.000$, wie dies bei Staats-     sein Leben verbessern kann, ist dabei
resplan neue und moderne Öko-             aufträgen die Regel ist. Das ist das        nicht von Interesse. Die Entmündigung
Häuser geschaffen werden könnten.         Zehnfache des dortigen Jahresein-           des Menschen ist die große Gefahr
Die Tochter von Deng Xiao-Ping war        kommens. Nur zwei Familien sind             von allzu technologieorientierten
daran beteiligt und die staatliche        überhaupt jemals in das „Musterdorf“        Lösungen.
Fernsehsprecherin pries die Weitsicht     eingezogen, und das nur, weil ihre          Braungart schlägt technische Produkt-
der Partei. Trotz vorteilhaftester        Häuser niederbrannten. Sie mußten           zyklen vor, bei denen Produkte im
Aufnahmen und massiver Propaganda         alte Ölöfen nutzen, weil die „alternati-    Eigentum der Hersteller bleiben und
ist das Projekt für den nüchternen        ven Energiequellen“ nicht funktionier-      bloß deren Nutzung als Dienstleistung
Betrachter jedoch sofort als groteske     ten.                                        angeboten wird. Das ist ein mögliches,
Fehlplanung erkennbar. Häßliche, voll-    Es steht außer Frage, daß die geschick-     aber kein notwendiges Konzept. Die
kommen identische Häuser mit winzi-       te Imitation der Natur ein riesiges
gen, trostlosen „Gärten“, direkt          Potential bietet, das eine zugleich         Nullwachstumsfetischisten gegen
nebeneinander aufgefädelt, mitten im      menschen- und naturferne Technik,           Verschwendungsideologen
Nichts. Der Vorzeige-Bewohnerin           die auf effiziente Massenlösungen hin
rutschte heraus, daß sie für normale      ausgerichtet ist, bislang weitgehend        gleiche Funktion könnte eine Rück-
Menschen wohl noch dazu viel zu           übersehen hat. Dieses Potential findet      nahmegarantie von Produkten spielen.
teuer wären. Der umjubelte ökologi-       sich aber nicht nur in neuer Technolo-      Doch auch den gegenläufigen, fort-
sche Aspekt bestand darin, daß die        gie, wie der Fortschrittsfreund es sieht,   schrittskritischeren Ansatz sollte man
Wände dank der teuren Beratung aus        sondern auch in verlorenem oder ver-        dabei nicht aus dem Auge verlieren:
den USA nicht aus Ziegeln, sondern        loren gehendem Wissen, die der              weniger unnötige Geräte, höhere
aus Sand und Stroh bestanden.             Fortschrittsfeind betont. Beide Be-         Lebenszeit, einfachere Konstruktion,
Die Häuser stehen bis heute leer und      tonungen sind einseitige Übertreibun-       die das Reparieren durch den Konsu-
verrotten. Sie waren trostlosen ameri-    gen, doch werfen wir ein wenig für          menten selbst erlaubt. Auch das ist
kanischen Vororten nachempfunden,         letztere Ansicht in die Waagschale, um      kein Allheilmittel, vor allem weil jeder
hatten winzige Ziergärten und Gara-       unsere Abwägung ins Lot zu bringen:         Ansatz in der Gegenwart zunächst die
gen, obwohl nur vier der bisherigen       Der moderne Innovationsbetrieb hängt        Bequemlichkeit der Konsumenten
1.400 Dorfbewohner ein Auto haben         zu sehr am Subventionstropf, sodaß          akzeptieren muß. Leider sind es stets
und als Landwirte mit den gräßlichen,     ihm oft der Blick für Knappheiten und       Übertreibungen, die im Konkurrenz-
lächerlich kleinen Vorhöfen keinesfalls   menschliche Dimensionen fehlt. All die      kampf um knappe Aufmerksamkeit
überleben können. Die Energie für das     Machbarkeiten und all das fabrizierte       und natürlich um Geld stehen. Kein
Musterdorf sollte aus einer Biogasan-     Wissen sind sinnlos, wenn sie in das        Wunder, daß diejenigen, die das
lage kommen, in der die landwirt-         persönliche Wirken beschränkter Men-        Nullwachstum zu ihrer Ideologie über-
schaftlichen Abfälle verheizt werden      schen keinen Eingang finden können,         dehnt haben, Verschwendungsideolo-
sollten. Niemand hatte sich die Mühe      sondern weiter entpersönlichen und          gen wie Braungart feindlich gesinnt
gemacht, herauszufinden, daß diese        entfremden. Heutige Forscher forschen       sind. Beides ist als Ideologie Unfug.
„Abfälle“ den Ziegen verfüttert wur-      in der Regel ihren Auftraggebern zu:        Man kann sich nicht „gesund
den, die ohne diese Reste im Winter       aufgeblähten staatlichen Apparaten          schrumpfen“, wenn das Schrumpfen
verhungern würden. Die Häuser, die        und Großkonzernen. Wie der einzelne         zum Ziel wird; dies ist nämlich schon      Cradle-to-cradle
für je 3.500$ geplant waren, kosteten     Mensch in seinem konkreten Umfeld           an sich krankhaft. Die entsprechenden               Kritik II
                                                                                                                                         Seite 23
wirks              Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at

                   Ideologen hoffen wohl unbewußt auf         gigkeit noch weitere Probleme auf:         dahinter ist, daß Druckwaren techni-
                   Pöstchen als Politkommissare, wo sie       Alle Zyklen müssen, um die verspro-        sche Kreisläufe bilden könnten. Dann
                   aus ihren Steuerungszentralen              chene Effektivität zu erlauben, ge-        hätte man das Buch vom Verlag bloß
                   „Wachstum beschränken“ dürfen. Der         schlossen sein. Der dazu nötige große      gemietet, dieser würde es zurückneh-
                   nächste Fünfjahresplan: 10% weniger        logistische Aufwand wird beim              men, nachdem man es ausgelesen hat,
                   Produktion, 10% weniger Energiever-        „Hypen“ der Idee zu zwei Betonun-          und es zu einem neuen Buch ein-
                   brauch, 10% mehr Glück. Das ist ein        gen führen: Einerseits sind besonders      schmelzen. Natürlich besteht ein sol-
                   Befehl!                                    große, hochintegrierte Unternehmen         cher Zyklus noch nicht und es ist frag-
                   Die Überhöhung der Verschwendung           begünstigt. Andererseits wird die Un-      würdig, ob er sinnvoll wäre. Das Buch
                   durch Braungart ist ebenso zweifel-        geduld in dezentraleren Sektoren und       ist zwar wasserfest, bleibt aber beim
                   haft. Er hat vollkommen recht, daß es      Regionen zu politischen Ambitionen         Lesen nicht geöffnet. Das Konzept,
                   absurd ist, Wegwerfartikel aus Materi-     führen. Das politische Schließen von       Bücher auszuborgen, ist uralt: man
                   alien zu erstellen, die Jahrtausende als   Zyklen hat jedoch ganz unweigerlich        nennt es Bibliothek. Angesichts der
                   nicht weiter nutzbare Problemstoffe        einen planwirtschaftlichen Charakter.      Tatsache, daß es den gewünschten
                   überdauern. Hier ist noch viel Be-         Planwirtschaft hielt man einst für effi-   Kreislauf nicht gibt, ist das Buchkon-
                   wußtseinswandel und technische             zienter und effektiver. Heute weiß         zept eine ökologische Bruchlandung.
                                                              man, daß die mangelnde persönliche         Der Transport, die Verbrennung oder
                   Nur weil etwas kompostierbar ist,          Verantwortung zu kolossalen Fehlent-       Deponierung sind allesamt umwelt-
                   ist es nicht automatisch effektiv          scheidungen führt, die nicht nur die       schädlicher als bei einem herkömmli-
                                                              Umwelt, sondern auch das menschli-         chen Buch. Und wer weiß, welche
                   Entwicklung nötig. Doch nur weil           che Leben bedrohen. Der systemische        Folgen wir noch nicht kennen?
                   etwas kompostierbar oder in neuen          Charakter von cradle-to-cradle und die     Dies ist ein weiteres Problem, das
                   Produkten verwertbar ist, ist es nicht     Größe und Übertreibung der Verspre-        gerne übersehen wird. Das neuentwik-
                   automatisch effektiv. Eine Übertrei-       chungen verstärken diese Gefahr plan-      kelte Substitut für einen Stoff ist in der
                   bung dieses Ansatzes neigt dazu, den       wirtschaftlicher Verlockungen. Insbe-      Regel unbekannter als dessen Vorläu-
                   Energie- und Transportaufwand zu           sondere die von Braungart gerne ver-       fer. Es klingt so schön einfach, schlicht
                   ignorieren. Die Gesetze der Thermo-        wendete Analogie des Ameisenstaates        alle Verschleißteile durch kompostier-
                   dynamik verbieten ewige Kreisläufe         deutet in diese Richtung.                  bare Materialien zu ersetzen. Doch es
                   ohne Verluste. Zwar ermöglicht die                                                    ist ein häufiger Irrtum, „natürliche“
                   laufende Energiezufuhr der Sonne das       Braungarts Buch aus Plastik -              Stoffe für weniger gefährlich zu halten
                   Überleben organischer Kreisläufe, und      eine ökologische Bruchlandung              – ein Irrtum, auf den Braungart selbst
                   diese können uns zweifellos als Vorbild                                               hinweist. Biologisch abbaubare Ver-
                   dienen. Doch darf man diese Analogie       Das Problem nicht geschlossener            schleißteile können unerkannte Risiken
                   nicht überdehnen, denn die geringen        Zyklen wird deutlich an einem beson-       bergen. Eben weil Plastik nicht kompo-
                   Wirkungsgrade könnten erst recht ein       ders greifbaren Beispiel: Braungart und    stierbar ist, d.h. nicht biologisch aktiv
                   totalitäres Diktat der Energieeffizienz    McDonough ließen ihr Buch nicht auf        ist, ist es selbst vollkommen ungiftig.
                   anregen, vor der Braungart zurecht         Papier, sondern auf Kunststoff druk-       Gefährlich sind die Zusatzstoffe
                   warnt.                                     ken. Plastik ist natürlich im Gegensatz    (Weichmacher, Flammhemmer usw.).
Cradle-to-cradle   Das Zyklenkonzept weist neben der          zu Papier nicht kompostierbar und viel     Wenn alle Abfälle biologisch sind, ist
Kritik II          Technologie- und damit Kapitalabhän-       weniger „natürlich“. Der Gedanke           dies nicht notwendigerweise ökolo-
Seite 24
gisch. Vor dem Auto erstickten Städte      ten an, bietet es, falls es teurer ist,    eine mögliche Einsammlung berück-
im Pferdemist; die Überdüngung rui-        einen Vorteil, der den Mehraufwand         sichtigen, ändert sich das Bild schon
niert den Boden. Das Problem liegt         lohnt, fügt es sich langfristig in einen   wieder vollkommen.
eben doch auch in der Masse, jeder         Zyklus, was passiert bei Änderungen
Verschwendungslust zum Trotz. Und          der Marktlage? Die Fragen sind zahl-       Die Gefahr besteht darin, den
diese Masse ist eben das Gefährliche       los. Braungart erkennt richtig, daß die    Konsumenten wieder einmal bloß
an Hypes. Der Hype rund um Biotreib-       besten ökologischen Intentionen oft        unnötige Produkte anzudrehen
stoffe ist ein gutes Beispiel dafür, wie   ungeheure Irrtümer hervorbringen. Je
eine neue Idee durch massive För-          stärker cradle-to-cradle als Heilsver-     Viel problematischer in Hinsicht auf
derungen und Heilsversprechen so           sprechen und Lösung aller ökologi-         den Konsumenten ist der mögliche
überdehnt wird, existenzbedrohende         schen Probleme vermarktet wird,            Mißbrauch von cradle-to-cradle, nur
Ausmaße zu nehmen und die Ernäh-           desto größer wird das Irrtumspotential.    ein weiterer Vorwand zu sein, den
rung von Menschen zu gefährden. Die        Dabei ist der Ansatz für Produktent-       Konsumenten wieder neue, teurere,
moderne Ungeduld setzt alle Hoff-          wickler im Kern so simpel, daß er gar      letztlich unnötige Produkte anzudre-
nung in die Masse – nur Medien,            kein neues Etikett bräuchte.               hen, die dann doch wieder entgegen
Großkonzerne und Politik könnten           Schwieriger ist die Frage, was der         den Intentionen von Braungart eine
wirklich Großes bewegen. Doch je           Konsument mit dem Ansatz machen            Form von Ablaßhandel darstellen. So
größer der Akteur, desto kleiner das       soll. Wenn du nur von cradle-to-crad-      benötigt die Ermunterung zur Ver-
Hirn: der politische Tyranno-Saurus        le-zertifizierten Unternehmen kaufst,      schwendung ein Korrektiv der Mäßi-
will „nur helfen“ und vergrößert den       kannst du beliebig verschwenden,           gung, genauso wie der übertrieben
Schaden.                                   wäre eine vollkommen falsche Ansage,       asketischen Einstellung die Würdigung
                                           eben weil sie Kosten und dazu nötigen      des Schöpferischen, des Genießens,
In einer hochkomplexen Welt gibt es        Wohlstand nicht berücksichtigt. Das        des Ausprobierens gegenübergestellt
keine sicheren Erfolgsstrategien           Versprechen besteht eigentlich auch        werden sollte.
                                           nur darin, daß man dann ohne               Am gefährlichsten ist cradle-to-cradle,
Cradle-to-cradle muß daher danach          schlechtes Gewissen verschwenden           wenn es Leute anspricht, die weder
bewertet werden, welche Akteure            könnte. Doch auch das ist falsch.          Investitionen aus eigenen Mitteln ver-
angesprochen werden und wie. Als           Nahrungsmittel sind etwa vollkommen        antworten, noch sich mit ihrer indivi-
Ansatz für Produktentwickler verdient      kompostierbare Produkte. Ist es des-       duellen Verantwortung als Konsument
das Konzept größte Würdigung –             halb richtig, massenweise angebroche-      zufrieden geben, sondern ungeduldi-
doch diese Würdigung muß ihm nicht         ne Nahrungsmittel wegzuwerfen? Dies        ger nach der Weltverbesserung trach-
durch allzu begeisterungsfähige Missi-     vernachlässigt wiederum den Aufwand        ten. Dann stecken wieder überschul-
onare verlieren werden, sie erfolgt aus    für ihre Produktion, ihren Transport,      dete Bürokratien, Mittel, die sie nicht
dem praktischen Erfolg der Produkte.       ihre Werthaltigkeit, sowie jegliche kul-   haben und für deren Verwendung sie
In einer dynamischen, hochkomplexen        turelle Erwägungen. Die Banane ist         niemals wirkliche Verantwortung über-
Welt gibt es dabei keine sicheren          zweifellos ein perfektes cradle-to-crad-   nehmen müssen, in Hype-Projekte, die
Erfolgsstrategien. Die beste Idee kann     le-Produkt, ganz ohne Zertifizierungs-     sie mittels von ihnen ernährter „Ex-
in der Realität und an der Realität        gebühr, denn ihre Verpackung vermag        perten“ als große Zukunftsinvestitio-
scheitern. Ist das neue Material wirk-     als Nährstoff zu dienen. Doch selten       nen vermarkten. Sobald cradle-to-         Cradle-to-cradle
lich gesünder, nehmen es Konsumen-         am Ort ihres Konsums, und wenn wir         cradle zum Vorwand wird, Wunsch-                   Kritik II
                                                                                                                                        Seite 25
wirks              Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at

                   Wirtschaften mit schönen, runden          Steven Spielberg geplante Werbefilm
                   Kreisläufen am Reißbrett zu planen        für seine Idee nichts wird. Sonst schie-
                   und cradleness zu kommunizieren,          be man die ganze Sache wieder auf
                   wird die Zeit gekommen sein, eine         einen Menschen ab. In den USA
                   weitere aufgeblasene Idee zu kompo-       könne man zwar viel schneller Ruhm
                   stieren und die einzelnen, richtigen      erlangen, in Europa werde man über-
                   und wichtigen Bestandteile als Nähr-      haupt erst wahrgenommen, wenn
                   stoffe für Besseres anzusehen. Ein hin-   man es mit einem englischen Buzz-
                   reichend nüchterner Zugang vermeidet      word in die US-Medien geschafft hat.
                   die Blase von Anfang an, läßt Platz für   Die große Begeisterungsfähigkeit und
                   Hausverstand und übernimmt im             Sehnsucht nach Lösungen führe auch
                   jeweiligen konkreten Lebenskontext        oft zu einem Vorliebnehmen mit
                   konkrete Verantwortung, auch wenn         schnellen, aber falschen Lösungs-
                   es nur die des Konsumenten ist, an-       rezepten.
                   statt ungeduldig nach der nächsten
                   großen Utopie zu schielen, die stets
                   eine Ausrede dafür ist, nicht selbst
                   einen ersten kleinen Schritt zum

                   Man sollte nur bewegen, was man
                   auch verantworten kann

                   Besseren zu setzen. Jeder Schritt kann
                   sich im Nachhinein als Irrtum heraus-
                   stellen. Daher sollte man nur das
                   bewegen, was man verantworten
                   kann und darf, das aber mit aller
                   Entschlossenheit und dem nötigen
                   Mut.
                   Dies ist weniger eine Kritik an einem
                   Ansatz, der viel Richtiges und
                   Wichtiges enthält, sondern eine
                   Warnung vor der ständigen Überdeh-
                   nung von Ideen, der Wichtigtuerei,
                   den hohlen Phrasen: daß sofort aus
                   jedem Ansatz eine Ideologie und ein
                   „politischer Auftrag“ gemacht werden
                   muß. Michael Braungart erkennt das
Cradle-to-cradle   durchaus selbst: Er hofft, so merkt er
Kritik II          mit etwas Ironie an, daß der von
Seite 26
Bin ich kreislauffähig?
Text von Harald Koisser


Es ist eine wunderbare Idee, Stoffe       Bedingungen zu überleben versteht
von der Wiege zur Wiege zu führen         und weit und breit keine Chemie-
und sie wieder zum Nährstoff von          fabriken hat!
Neuem zu machen. Als Mensch bin ich
kompostierbares Material und wähne        Wann erhalte ich die Cradle-to-
mich damit auf der ethisch sicheren       cradle-Platin-Zertifizierung?
Seite, insoferne ich einmal Nährstoff
sein werde. Aber die Frage nach mei-      Warum das so ist? Wegen der ver-
ner persönlichen Kreislauffähigkeit ist   dammten Globalisierung! Alles hängt
nicht eindeutig zu beantworten.           mit allem zusammen und die Globali-
                                          sierungsgegner haben schon recht,
Ein Chemiker erzählte mir, dass jedes     wenn sie das nicht wollen. Unser
Bio-Schwein bessere Gesundheitswerte      chemischer Output durchläuft die
hat als ich. Mein Fleisch würde neimals   weltweite Nahrungskette. Die Inuit
das begehrte Bio-Siegel bekommen,         haben Wale und Seerobben als Haupt-
was mir jetzt schon für die Maden und     nahrungsmittel. Wale und Seerobben
Würmer in meinem Grab leid tut. Die       fressen Fische und Muscheln. Die
Muttermilch, die unsere Kinder trin-      Konzentration an Schadstoffen steigt
ken, ginge nicht mehr als Bio-Milch       in der Nahrungskette sukzessive an,
durch. Die Quecksilberbelastung inner-    bis das Höchstmaß an Gift in Grönland
halb der Mutterbrust hat übrigens ein     ankommt. Man muss also feststellen,
erstaunliches Süd-Nord-Gefälle. Sie ist   dass jeder tote Mensch bald definitiv
bei uns in Europa augenfällig, bei den    nicht mehr kreislauffähig und eigent-
Inuit in Grönland aber bereits im Zu-     lich eine Sondermülldeponie ist.
stand akuter Quecksilbervergiftung!
Die Konzentration von polychlorierten     Dies wäre das gewaltigste C2C-Pro-
Biophenylen in der Muttermilch der        jekt, das man aufsetzen müsste: die
Inuitfrauen ist so hoch, dass die Milch   Kreislauffähigkeit des Menschen wie-
als Giftmüll eingestuft werden müsste.    der herzustellen. Wann erhalte ich die
Und das bei jenem Volk, das mit           Cradle-to-cradle-Platin-Zertifizierung?
Mutter Natur lebt, unter extremen
                                                                                          Cradle-to-cradle
                                                                                    Bin ich kreislauffähig?
                                                                                                   Seite 27
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle
Wirks Fülle

More Related Content

Viewers also liked

RAZONESFINANCIERAS
RAZONESFINANCIERASRAZONESFINANCIERAS
RAZONESFINANCIERASguest6e96dea
 
Logística Empresarial - Módulo II
Logística Empresarial - Módulo IILogística Empresarial - Módulo II
Logística Empresarial - Módulo IIRafael Marser
 
Conforto ambiental iluminção
Conforto ambiental iluminçãoConforto ambiental iluminção
Conforto ambiental iluminçãoandersongguedes
 
Plan de Area y Asignatura de Tecnologia e Informatica 2013
Plan de Area y Asignatura de Tecnologia e Informatica 2013Plan de Area y Asignatura de Tecnologia e Informatica 2013
Plan de Area y Asignatura de Tecnologia e Informatica 2013Fabio García Ramírez
 
Mercado de capitales 07.04.11
Mercado de capitales 07.04.11Mercado de capitales 07.04.11
Mercado de capitales 07.04.11finanzas_uca
 
U7 Fusiones y Adquisiciones: Valuación de empresas
U7 Fusiones y Adquisiciones: Valuación de empresasU7 Fusiones y Adquisiciones: Valuación de empresas
U7 Fusiones y Adquisiciones: Valuación de empresasaprendiendosobrefinanzas
 
Aceite Oliva Alberto
Aceite Oliva AlbertoAceite Oliva Alberto
Aceite Oliva Albertoantonio
 
Der Point of Sale wird digital
Der Point of Sale wird digitalDer Point of Sale wird digital
Der Point of Sale wird digitalTWT
 

Viewers also liked (15)

So tickt YouTube #mbsmn
So tickt YouTube #mbsmnSo tickt YouTube #mbsmn
So tickt YouTube #mbsmn
 
La relation de confiance
La relation de confianceLa relation de confiance
La relation de confiance
 
RAZONESFINANCIERAS
RAZONESFINANCIERASRAZONESFINANCIERAS
RAZONESFINANCIERAS
 
Intelligent driving 2025
Intelligent driving 2025Intelligent driving 2025
Intelligent driving 2025
 
4 l’urbanisme moderne
4 l’urbanisme moderne4 l’urbanisme moderne
4 l’urbanisme moderne
 
IoT: the rise of the machines
IoT: the rise of the machines IoT: the rise of the machines
IoT: the rise of the machines
 
Logística Empresarial - Módulo II
Logística Empresarial - Módulo IILogística Empresarial - Módulo II
Logística Empresarial - Módulo II
 
Conforto ambiental iluminção
Conforto ambiental iluminçãoConforto ambiental iluminção
Conforto ambiental iluminção
 
Plan de Area y Asignatura de Tecnologia e Informatica 2013
Plan de Area y Asignatura de Tecnologia e Informatica 2013Plan de Area y Asignatura de Tecnologia e Informatica 2013
Plan de Area y Asignatura de Tecnologia e Informatica 2013
 
Mercado de capitales 07.04.11
Mercado de capitales 07.04.11Mercado de capitales 07.04.11
Mercado de capitales 07.04.11
 
U7 Fusiones y Adquisiciones: Valuación de empresas
U7 Fusiones y Adquisiciones: Valuación de empresasU7 Fusiones y Adquisiciones: Valuación de empresas
U7 Fusiones y Adquisiciones: Valuación de empresas
 
Aceite Oliva Alberto
Aceite Oliva AlbertoAceite Oliva Alberto
Aceite Oliva Alberto
 
Der Point of Sale wird digital
Der Point of Sale wird digitalDer Point of Sale wird digital
Der Point of Sale wird digital
 
Diária especial 17.12
Diária especial 17.12Diária especial 17.12
Diária especial 17.12
 
TPS 3 Watuwatu
TPS 3 WatuwatuTPS 3 Watuwatu
TPS 3 Watuwatu
 

More from WandelBarCamp

Erklärung des OGVs WiFri
Erklärung des OGVs WiFriErklärung des OGVs WiFri
Erklärung des OGVs WiFriWandelBarCamp
 
Allianz für Beteiligung
Allianz für BeteiligungAllianz für Beteiligung
Allianz für BeteiligungWandelBarCamp
 
Bürgerbeteiligung Chancen Risiken GElingen
Bürgerbeteiligung Chancen Risiken GElingenBürgerbeteiligung Chancen Risiken GElingen
Bürgerbeteiligung Chancen Risiken GElingenWandelBarCamp
 
Themenabend Bürgerbeteiligung
Themenabend Bürgerbeteiligung Themenabend Bürgerbeteiligung
Themenabend Bürgerbeteiligung WandelBarCamp
 
Typisierungsaktion Marleen
Typisierungsaktion MarleenTypisierungsaktion Marleen
Typisierungsaktion MarleenWandelBarCamp
 
Pressemitteilung Antragsstart Streuobst
Pressemitteilung  Antragsstart StreuobstPressemitteilung  Antragsstart Streuobst
Pressemitteilung Antragsstart StreuobstWandelBarCamp
 
Arsen in Böden und Gesteinen im Regierungspräsidium Karlsruhe
Arsen in Böden und Gesteinen im Regierungspräsidium KarlsruheArsen in Böden und Gesteinen im Regierungspräsidium Karlsruhe
Arsen in Böden und Gesteinen im Regierungspräsidium KarlsruheWandelBarCamp
 
Buergermitwirkung Klimaschutz 2012
Buergermitwirkung Klimaschutz 2012Buergermitwirkung Klimaschutz 2012
Buergermitwirkung Klimaschutz 2012WandelBarCamp
 
Bürgerantrag amtliches Mitteilungsblatt online
Bürgerantrag amtliches Mitteilungsblatt onlineBürgerantrag amtliches Mitteilungsblatt online
Bürgerantrag amtliches Mitteilungsblatt onlineWandelBarCamp
 
Gedanken zur Kommunalwahl
Gedanken zur KommunalwahlGedanken zur Kommunalwahl
Gedanken zur KommunalwahlWandelBarCamp
 
Infoblatt Kommunalwahl 2014
Infoblatt Kommunalwahl 2014Infoblatt Kommunalwahl 2014
Infoblatt Kommunalwahl 2014WandelBarCamp
 
Stellungnahmen und Bedenken zum Bebauungsplanentwurf
Stellungnahmen und Bedenken zum BebauungsplanentwurfStellungnahmen und Bedenken zum Bebauungsplanentwurf
Stellungnahmen und Bedenken zum BebauungsplanentwurfWandelBarCamp
 
Unsere wichtigsten Bedenken
Unsere wichtigsten BedenkenUnsere wichtigsten Bedenken
Unsere wichtigsten BedenkenWandelBarCamp
 
Informationsblatt BI 2
Informationsblatt BI 2Informationsblatt BI 2
Informationsblatt BI 2WandelBarCamp
 
Folder oe kongress_2013
Folder oe kongress_2013Folder oe kongress_2013
Folder oe kongress_2013WandelBarCamp
 
biw info amtsblattmissbrauch
biw info amtsblattmissbrauchbiw info amtsblattmissbrauch
biw info amtsblattmissbrauchWandelBarCamp
 
Schadstoffe im Boden
Schadstoffe im BodenSchadstoffe im Boden
Schadstoffe im BodenWandelBarCamp
 
bund chemie quecksilberstudie
bund chemie quecksilberstudiebund chemie quecksilberstudie
bund chemie quecksilberstudieWandelBarCamp
 
WBC12 Session Szenario Planung
WBC12 Session Szenario PlanungWBC12 Session Szenario Planung
WBC12 Session Szenario PlanungWandelBarCamp
 

More from WandelBarCamp (20)

Erklärung des OGVs WiFri
Erklärung des OGVs WiFriErklärung des OGVs WiFri
Erklärung des OGVs WiFri
 
Allianz für Beteiligung
Allianz für BeteiligungAllianz für Beteiligung
Allianz für Beteiligung
 
Bürgerbeteiligung Chancen Risiken GElingen
Bürgerbeteiligung Chancen Risiken GElingenBürgerbeteiligung Chancen Risiken GElingen
Bürgerbeteiligung Chancen Risiken GElingen
 
Themenabend Bürgerbeteiligung
Themenabend Bürgerbeteiligung Themenabend Bürgerbeteiligung
Themenabend Bürgerbeteiligung
 
Typisierungsaktion Marleen
Typisierungsaktion MarleenTypisierungsaktion Marleen
Typisierungsaktion Marleen
 
Pressemitteilung Antragsstart Streuobst
Pressemitteilung  Antragsstart StreuobstPressemitteilung  Antragsstart Streuobst
Pressemitteilung Antragsstart Streuobst
 
Arsen in Böden und Gesteinen im Regierungspräsidium Karlsruhe
Arsen in Böden und Gesteinen im Regierungspräsidium KarlsruheArsen in Böden und Gesteinen im Regierungspräsidium Karlsruhe
Arsen in Böden und Gesteinen im Regierungspräsidium Karlsruhe
 
Buergermitwirkung Klimaschutz 2012
Buergermitwirkung Klimaschutz 2012Buergermitwirkung Klimaschutz 2012
Buergermitwirkung Klimaschutz 2012
 
Bürgerantrag amtliches Mitteilungsblatt online
Bürgerantrag amtliches Mitteilungsblatt onlineBürgerantrag amtliches Mitteilungsblatt online
Bürgerantrag amtliches Mitteilungsblatt online
 
Gedanken zur Kommunalwahl
Gedanken zur KommunalwahlGedanken zur Kommunalwahl
Gedanken zur Kommunalwahl
 
Infoblatt Kommunalwahl 2014
Infoblatt Kommunalwahl 2014Infoblatt Kommunalwahl 2014
Infoblatt Kommunalwahl 2014
 
Stellungnahmen und Bedenken zum Bebauungsplanentwurf
Stellungnahmen und Bedenken zum BebauungsplanentwurfStellungnahmen und Bedenken zum Bebauungsplanentwurf
Stellungnahmen und Bedenken zum Bebauungsplanentwurf
 
Unsere wichtigsten Bedenken
Unsere wichtigsten BedenkenUnsere wichtigsten Bedenken
Unsere wichtigsten Bedenken
 
biw flyer
biw flyerbiw flyer
biw flyer
 
Informationsblatt BI 2
Informationsblatt BI 2Informationsblatt BI 2
Informationsblatt BI 2
 
Folder oe kongress_2013
Folder oe kongress_2013Folder oe kongress_2013
Folder oe kongress_2013
 
biw info amtsblattmissbrauch
biw info amtsblattmissbrauchbiw info amtsblattmissbrauch
biw info amtsblattmissbrauch
 
Schadstoffe im Boden
Schadstoffe im BodenSchadstoffe im Boden
Schadstoffe im Boden
 
bund chemie quecksilberstudie
bund chemie quecksilberstudiebund chemie quecksilberstudie
bund chemie quecksilberstudie
 
WBC12 Session Szenario Planung
WBC12 Session Szenario PlanungWBC12 Session Szenario Planung
WBC12 Session Szenario Planung
 

Wirks Fülle

  • 1. wirks Magazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at «Fülle» Service und Orientierung für Menschen in der Wirtschaft. Heute: • Cradle-to-cradle, die nächste industrielle Revolution - Idee, Kritik und Interviews mit Albin Kälin und Reinhard Backhausen • Management und Füllebewusstsein • Akteure des Wandels • ... und andere nützliche Texte
  • 2. Titelbild: Guido Zehetbauer-Salzer LöwenZähne Wachau, 2008 Acryl auf Leinen 120 x 120 cm erstmals präsentiert April 2009 im ZS art KunstRaum www.zsart.at
  • 3. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at Editorial von Harald Koisser Der Sommerbeginn hat uns heuer, der Notwendigkeit eines Füllebewusst- werden. An Lärm und Tempo hatten trotz regenerischen Bedingungen, in seins im Management und sehen, wie wir genug, jetzt ist die Zeit von Reife Wallung gebracht. wirks wollte in die die Pioneers of Change, ein Lern- und und Besinnung. Zeit für wirks. Welt. wirks ist ein Magazin für Zu- Werdegang für AkteurInnen des Wan- kunftskompetenz und richtet sich an dels, aus einer Fülle von Ideen zu- Wirtschaftstreibende. Es soll jenen, kunftstaugliche Projekte entwickeln. welche in Zeiten des Wandels die Ökonomie in die Zukunft führen müs- Fülle! Von diesem Zustand ist die sen, Service und Orientierung bieten. erste Ausgabe von wirks getränkt. Es ist soviel da, was Mut macht. Fülle! Service und Orientierung – nichts wird Ein Zustand, der nun vom Sommer gerade jetzt so sehr gebraucht, wo eingeläutet wird. Die Natur begibt sich Unsicherheit, Fundamentalismus und in ihre satte, überschäumende Periode. Okkultismus erblühen. Wir unterstüt- Sie ist in voller Entfaltung. Nichts zen die positiven Kräfte des Wandels weniger schien uns als Leitthema für und leuchten journalistisch die Zukunft diese erste Ausgabe angemessen. aus. Wir folgen mit der Erscheinungsweise Unser Scheinwerferlicht fällt dabei auf von wirks dem Naturjahr und seiner auf nichts weniger als „die nächste jeweiligen Qualität, somit jenem industrielle Revolution“, wie ein Prin- natürlichen Rhythmus, der den indu- zip namens Cradle-to-cradle gerne strialisierten Menschen und ihren öko- euphorisch genannt wird. Produkte nomischen Prozessen abhanden sollen so gestaltet werden, dass sie gekommen ist. Dass das Magazin niemals zu Abfall werden und man sie „nur“ vier Mal pro Jahr herauskommt, plötzlich – horribile dictu – sinnvoll darf als Zeichen jener Rückbesinnung verschwenden kann. Wir erfahren von auf natürliche Rhythmen verstanden Editorial zur ersten Ausgabe von wirks Seite 3
  • 4. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at Inhalt Cradle-to-cradle • Cradle-to-cradle, das natürlichste Prinzip der Welt fünf • „Abfall existiert nicht“ - Interview mit Albin Kälin, dem Entdecker des C2C-Prinzips sieben • C2C Geschichte zwölf • „Denkende Stof fe“ - Interview mit Reinhard Backhausen dreizehn • Die C2C-Community (Auswahl an C2C-Produkten und -Dienstleistungen) siebzehn • Ameise, Regenwurm und Berggorilla neunzehn • Cradle-to-cradle, die nächste Sau, die man durch das globale Dorf treibt? einundzwanzig • Bin ich kreislauffähig? (satirische Anmerkung) siebenundzwanzig Gaia: Zeit der Fülle achtundzwanzig Ein Bewusstsein von Fülle - Interview mit Wolfgang Stabentheiner, Begründer der Future-Methode dreißig Tipps vierunddreißig Akteure des Wandels • Pioneers of Change sechsunddreißig • Natur und Kunststoff - das muss kein Widerspruch sein (kompostierbare Flaschen und Frischhaltebeutel) neununddreißig Für Sie gelesen - Theorie der Unbildung und die Parabel des Schachpielers aus Hermann Hesses Steppenwolf vierzig Begriff & Erhellung zweiundvierzig Kunst - In der Schaudeponie (Upcycling: wie aus Müll Produkte mit Ewigkeitswert werden) vierundvierzig Über uns sechsundvierzig Impressum siebenundvierzig
  • 5. Cradle-to-cradle – das natürlichste Prinzip der Welt Was mit einem schicken englischen Modebegriff daher kommt, beschreibt nichts als das natürlichste Prinzip der Welt. Der Mensch erinnert sich an sich selbst. Text von Harald Koisser Was ist cradle-to-cradle? Eine Wort- läufe, sei es, dass sie total verrottbar schreibt letztlich nichts als das natür- schöpfung des deutschen Chemikers sind und zB. als Dünger verwendet lichste Prinzip der Welt, welches der Michael Braungart, basierend auf einer werden können („biologische Nähr- Chemiker Hanswerner Mackwitz „das Idee des Schweizer Textilkaufmanns stoffe“), sei es, dass sie nach Ge- vielseitige schöpferische Vermögen der Albin Kälin. Während alle Produkte, brauch wieder zu Ausgangsmaterial Natur“ nennt, welches „respektvoll welche der Mensch herstellt, „von der von anderen Produkten werden annerkannt und genutzt“ werden Wiege ins Grab“ (cradle-to-grave) („technische Nährstoffe“). Die Idee in möge. Es gelte, Diversität zu feiern. führen, weil alles irgendwann immer Kürze: Abfall = Nährstoff. Wobei auch Die Erde ist so aufgebaut, dass alle auf Mülldeponien landet, möge man diese Formel schon falsch ist, wie Stoffströme sich in ewigen Kreisläufen sich die Natur zum Vorbild nehmen, Braungart anmerkt, weil man den befinden. Eine kleine Insel im Univer- wo niemals Abfall anfällt und immer Terminus „Abfall“ gänzlich aus dem sum muss nolens volens mit dem aus- alles wiederverwertet wird. Alles, was Vokabular streichen sollte. Es soll zukommen, was da ist. Ein bisschen endet, ist wieder Nährstoff für etwas nichts mehr geben, was man als Abfall Zufuhr an Metall von außen gibt es ab Neues. Stoffe reisen somit „von der bezeichnen kann. Zahlreiche Projekte und zu, wenn ein Meteor auf der Wiege zu Wiege“ (cradle-to-cradle). zeigen, dass das machbar ist. Jüngstes Nach diesem natürlichen Prinzip soll Beispiel: die österreichische Firma C2C - ein Etikett für das 3,5 Mrd der Mensch seine Welt gestalten. Backhausen hat ihre Produktion kom- Jahre alte Betriebssystem der Erde plett nach cradle-to-cradle ausgerich- Es geht hier nicht um Downcycling tet. Erdoberfläche einschlägt, aber mehr oder Resteverwertung, sondern um Geschenke des Universums darf man eine hundertprozentige Wiederein- Was hier mit einem schicken engli- sich nicht erwarten. Die Natur ist bringung von Stoffen in neue Kreis- schen Modebegriff daher kommt, be- Meisterin im Verwerten. Alles was Cradle-to-cradle Seite 5
  • 6. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at vergeht, geht ein und auf in etwas Selbstverständlichste unter einem zeit- anderem. Sondermülldeponien gibt es geistigen Markennamen neu verkau- in der Natur keine. „Cradle-to-cradle“ fen müssen. Cradle-to-cradle ist nichts, ist somit bloß ein Etikett, welches auf was erfunden wurde, es ist keine das seit 3,5 Milliarden Jahren erfolgrei- Innovation, es ist die Erinnerung des che Betriebssystem dieses Planeten Menschen an sich selbst, sein Télos. geklebt wird. So wie auf eine Banane Diesen griechischen Begriff kann man ein Markenname geklebt wird, als mit „Ziel“ übersetzen. Jeder Mensch hätte „Chiquita“ die Banane erfunden hat sein Ziel, doch nicht in dem Sinne und erzeugt. wie ein Manager Ziele hat, sondern im Sinne von Zweckbestimmtheit. Der Mensch entdeckt, dass er Dieser Télos lässt sich nicht erschaffen, Bestandteil der Natur ist er ist stets da und kann nur erinnert und wieder-gefunden werden. C2C ist Es ist das zweifelhafte Privileg des die Wiederentdeckung des Umstandes, Menschen, etwas unwiderbringlich dass der Mensch Bestandteil der Natur von dieser Lebenskugel zu entfernen. ist, einer Natur, die in endlosen Kreis- So weit sind wir also, dass wir uns läufen agiert, weil dies die einzige selbst das Allernatürlichste und Möglichkeit ist zu bestehen. Cradle-to-cradle Seite 6
  • 7. „Abfall existiert nicht“ Harald Koisser im Gespräch mit Albin Kälin, dem Pionier einer Denkungsart, die sich „Cradle to Cradle“ (C2C) nennt und von der man sich nicht weniger als „die nächste industrielle Revolution“ (so der deutsche Chemiker Michael Braungart) verspricht. Herr Kälin, Sie haben das weltweit ten drei Jahre beraten. Die Holländer Konsumenten zu treten, das wissen erste Cradle to Cradle Projekt durch- wissen jetzt wie es geht. Jetzt kommt wir alle. Es erweist sich, dass Cradle to geführt, was ist Cradle to Cradle der nächste Schritt. In der Region Cradle somit auch die Unternehmens- überhaupt ? Stuttgart, München, Wien, Mailand, kommunikation ändert. Das Unter- Lyon, dem industrielle Herz Europas, nehmen wird eine andere Partner- Cradle to Cradle ist ein Denken in wollen wir innovative Unternehmen schaft eingehen mit den Kunden, weil Kreisläufen. Man sollte Produkte mit C2C vertraut machen. man wissen muss, wohin die Produkte machen, wo die Materialien so defi- verkauft werden. Und von den Liefer- niert sind, dass sie sicher sind für bio- Um präzise zu fassen, was Cradle to anten muss man wissen, was sie in ein logische oder technische Kreisläufe. Cradle ist: Es ist eigentlich ein Tool, Produkt, das man selbst weiterverar- Wir dürfen keinen Rohstoffe verlieren, welches sich auf stofflicher Ebene beitet, hinein tun. nichts darf jemals Abfall werden. Das bewegt, und dort eine völlig neue bedingt, dass wir auch ein anderes Antwort versucht, welche darin C2C macht Schluss damit, immer nur Wirtschaften aufbauen müssen. besteht, dass ein Material, was immer den billigsten Rohstoff zu verwenden es auch sein mag, niemals zu Abfall Ich habe das allererste Cradle to wird. Wenn man in Kreisläufen denkt und Cradle - Produkt überhaupt gemacht. sein eigenes Produkt zum Wiederver- Das war 1993. Mittlerweile ist die Idee Die Philosopie besteht darin, dass werten zurück erhält, dann muss man sehr populär geworden, insbesondere Abfall gar nicht existiert. Wir reden nicht mehr unbedingt den billigsten in Holland. Holland möchte ein Cradle nicht einmal von Abfall, wir reden von Rohstoff einzusetzen, sondern kann to Cradle-Land werden, weil sie sich in Nährstoffen. Biologische Nährstoffe, jenen verwenden, der sich am besten einer Krise befinden. Sie haben in dem technische Nährstoffe. Da stellen sich für Kreislaufwirtschaft eignet. Al Gore-Film gesehen, dass ihr Land neue Herausforderungen in allem: plötzlich nicht mehr auf der Landkarte Engineering, Marketing, Kommuni- All die Kunststoffe, die wir heute ken- war. Das schien der Regierung keine kation, ...! Wenn ich Rohstoffe in ewi- nen, sind ja nicht in Hinblick auf meh- tolle Perspektive. Man hat zukunfts- gen Kreisläufen bewege, dann muss rere Leben entwickelt worden. Darum taugliche Ansätze gesucht und ist auf ich Produkte nach ihrer Verwendung reden wir heute von Recycling oder Cradle to Cradle gestoßen. Die wollen vom Konsumenten zurückbekommen. Downcycling. Das Neue besteht darin, nun die ganze Infrastruktur im Land Sonst gehen sie für den Kreislauf ver- Kunststoffe zu entwickeln, die ein ewi- kreislauffähig gestalten. Um dorthin zu loren. Wie schwierig es für ein Unter- ges Leben haben können bei gleich- kommen, haben wir das Land die letz- nehmen ist, in direkten Dialog mit den bleibender Qualität. Dann verlieren wir Cradle-to-cradle Interview mit Albin Kälin Seite 7
  • 8. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at den Rohstoff und seine Eigenschaften ist. Altpapier hat zum Teil chemische Sie sagen, das erste C2C-Projekt nicht. Das ist auch ein enormer finan- Substanzen, die nicht sicher sind für stammt aus dem Jahr 1993. zieller Anreiz. biologische Systeme. Wir haben die Was war das? Qualität dieses Toilettenpapiers ver- Protagonisten der chemischen Indus- bessert, indem wir einen Recycling- Das war ein Möbelbezugsstoff, primär trie würden Ihnen widersprechen oder betrieb gefunden haben, der das aus Wolle und aus Ramie, einer zumindest skeptisch sein. Wir sitzen Ausgangsmaterial verbessert hat. Aber Bastfaser. Die hatte eine spezielle hier in einem Raum mit Möbel, wir ein Papierrecyclingbetrieb kann auch Funktion: klimatisiertes Sitzen, also, haben Kleidung an, vor uns steht ein nicht einfach so sagen: okay, ich liefe- dass man weniger schwitzt, und das Mikrofon mit einem Computer. Über- re besseres Ausgangsmaterial für dein hat man dann auch so konzipiert, dass all ist Technik und vor allem Chemie Toilettepapier. Die sind ja auch wieder es sicher in biologische Kreisläufe drinnen. Kriegt man sie da überall auf Rohstoff angewiesen, auf jenes geführt werden konnte, - auch die auch wieder raus ? Altpapier, das wir alle wegschmeißen. Farbstoffe. Da gab es zuerst großen Da haben wir u.a. eine Bank gefun- Widerstand der Farbstoffchemie. Aber Es geht nicht darum, Chemie rauszu- den, die aus Datenschutzgründen viele schließlich haben sie alle Daten offen kriegen. Wir brauchen die richtige Akten, also Papier, zur Vernichtung gelegt und wir sahen: von 1.600 Chemie. bringt. Wir konnten zwischen Bank, Farbstoffen konnten wir gerade einmal Recyclingbetrieb und Toilettepapier- 16 verwenden, also 1 %. Es geht nicht darum, die Chemie raus- hersteller einen sinnvollen Kreislauf zukriegen. Das ist genau der Punkt. herstellen. Man schafft so neue Opor- Unser Ziel war, essbare Textilien zu Wir müssen die richtige Chemie ein- tunitäten, die auch wirtschaftlich sehr machen. Warum essbar? Weil immer setzen. Also Chemie, die sicher ist für förderlich sind. Abrieb entsteht und Fasern in die Luft Mensch und Umwelt, für biologische kommen, inhaliert sie der Mensch. Das und technische Systeme. Wenn eine Es hätte also auf keinen Fall gereicht, war 1993 ziemlich verrückt. Freunde Substanz sicher ist für ein biologisches zum Produzenten des Toilettenpapiers von mir haben gesagt, da kommt der System, dann ist es richtig. Dann ist es zu gehen und ihm eine Umstellung „Komposti“. Das wollte ich überhaupt vereint mit der Natur. Dann brauchts der Produktion auf C2C-Standard nicht sein, ich bin auch nicht grün. keine Regulierung mehr. Wir alle sind schmackhaft zu machen. Weil er dann Aber man hat auch erst ein Wording erzogen worden, dass wir eigentlich gesagt hätte: „Schön und gut, Herr finden müssen. immer das Negative in den Vorder- Kälin, nur wo bekomme ich nicht grund rücken, und das ist genau das kontaminierten Rohstoff her?“ Wie haben Sie denn den allerersten Interessante an Cradle to Cradle. Es ist Auftraggeber davon überzeugen positiv definiert. Wir alle sind erzogen Es genügt nicht, eine Firma zu über- können zu diesen mutigen, eigentlich worden, linear zu denken statt in zeugen. Man braucht die ganze Kette. auch riskanten Schritt. Es geht ja doch Kreisläufen. um die Umstellung einer Produktion. Eben, genau das ist dieses System- Wir haben ein Projekt in Holland, wo denken über diese ganzen Lieferket- Stimmt, es war ein kolossales Umden- es um Toilettenpapier ging. Für die ten, diese Stoffströme, da muss man ken in der Produktion, denken Sie nur Herstellung verwendet man Altpapier, vernetzt denken. Es genügt eben an die Färberei. Der Betrieb war in der Cradle-to-cradle wo eigentlich die falsche Chemie drin nicht, nur einen Partner zu überzeu- Schweiz, südlich vom Bodensee, dem Interview mit Albin Kälin gen, man braucht die ganze Kette. Seite 8
  • 9. größten Trinkwasserreservoir von ist, weil man über die Kompostierung Es ist sehr interessant zu hören, dass, Europa. Wir haben das hinbekommen, den Kreislauf schließen kann. Bei wenn man sich einmal auf Cradle to dass die Färberei das Abwasser ohne Backhausen war es viel komplexer, Cradle eingelassen hat, sich in Folge Klärung abführen konnte. Es hatte weil man die Kompostierbarkeit gleich das Denken und Handeln ganz auto- den Status von Trinkwasser. Das war einmal vergessen konnte. Flammhem- matisch ändern, - ändern müssen. Auf phänomenal. mende Fasern sind nun einmal aus einmal entsteht so etwas wie eine Ja, wie überzeugt man einen Kunden? Kunststoff. Ein biologischer Kreislauf kooperative Wirtschaft. Im vorhinein weiß man ja nicht, was schied somit aus, wir mussten einen für ein Erfolg das sein kann. Den Kun- technischen Kreislauf schaffen. Wenn Das ist ein schöner Begriff. Es geht den haben wir nicht primär in Europa etwas nicht kompostierbar ist, also darum, ein neues Verständnis zu ent- gefunden, sondern im Land der unbe- von der Natur aufgenommen werden wickeln und gemeinsam am Markt grenzten Möglichkeiten. Die haben kann, dann muss es endlos in techni- erfolgreich zu sein. einfach etwas gewagt und es war ein schen Kreisläufen gehalten werden. Erfolg. Wir haben 19 internationale Im Prinzip schafft es auch ein neues Auszeichnungen erhalten und dann Ein einzelner Betrieb kann das nie Denken der Konsumenten. kam plötzlich die Nachfrage vom schaffen. Man braucht Volumen. Und Markt. Wir hatten dem ersten Kunden damit Kooperation. Das ist das Herausragende an Cradel allerdings Exklusivität des Konzeptes to Cradel, dass man plötzlich ver- versprochen und haben nun zu disku- Backhausen macht das, indem er schwenderisch sein kann. Stoffe wer- tieren begonnen. Wir argumentierten, heute eine Rücknahmegarantie für alte den in Kreisläufen geführt, also ich dass das, wenn es einen derart tollen Stoffe abgibt, um sie der Wiederauf- kann nach Lust und Laune damit biologischen Effekt hat, alle anderen bereitung zuführen zu können. umgehen, es kommt immer wieder auch machen müssen. Wir haben ihn Backhausen ist auch bereit, sein zurück und es richtet keinen Schaden gefagt, ob er nicht auch Mitbewerber Know-how an die Mitbewerber zu an weil es positiv definiert ist. hätte, die fair sind. Er hat schließlich geben, einfach weil man Volumen eingewilligt und die Mitbewerber braucht. Je mehr sichere Produkte am Wenn man sich das alles anhört und haben das übernommen, und haben Markt sind, desto sicherer bekommt bedenkt, dass das erste Projekt 1993 auf allen ihren Musterkarten hinge- man tauglichen Nährstoff für die Pro- durchgeführt worden ist - und wir schrieben, dass die Initiative durch duktion. Ein einzelner Betrieb kann das schreiben jetzt das Jahr 2010 - dann jene Firma gekommen ist. So haben nie schaffen. Das eröffnet neue Ge- fragt man sich, wieso eigentlich nichts alle gewonnen. schäftsmöglichkeiten in der Zukunft, passiert ist bis jetzt, warum eigentlich z.B. können sich Partner zu einem Cradle to Cradle immer noch wie eine Jetzt, 17 Jahre später, haben wir ein Konsortium zusammenschließen und Art Geheimwissenschaft gehandelt Beispiel aus Österreich. Backhausen einem großen Abnehmer ein gemein- wird ? hat die Produktion unter Ihrer Be- sames Angebot machen. Und die wer- ratung auch in diesem Sinne umge- den diese Produkte nicht mehr verkau- Ja, das frustriert mich auch, um ehrlich stellt, darf man sich das jetzt ähnlich fen, sondern z.B. für fünf Jahre ver- zu sein, aber seit Januar 2010 gibt es vorstellen wie bei Ihrem ersten Projekt? mieten. Die Stoffe werden zurückge- eine gewisse Dynamik, wir haben auch nommen und durch neue ersetzt und hier in Wien eine Kooperation mit dem Das erste Projekt war ein biologischer ein neuer Mietvertrag wird aufgesetzt. Institut für Ökologie, Technik und Cradle-to-cradle Kreislauf, was natürlich viel einfacher Interview mit Albin Kälin Seite 9
  • 10. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at Innovation, dem ÖTI, gestartet. Es und wahrzunehmen. Die Rahmenbe- Wenn Sie das zu stark in bestehende muss sich etwas tun, denn wir haben dingungen sind nicht auf ein Kreislauf- Institutionen oder Organisationen ein- nicht mehr allzuviel Zeit. Unser Haupt- denken ausgelegt; die Gesetzesstruk- fließen lassen, ist das Ergebnis immer problem ist nicht das Energieproblem, tur ist oft hinderlich. Es klappt aber, der kleinste gemeinsame Nenner. Jetzt, welches bloß ein technisches Problem wenn wir es schaffen, möglichst viele wo bereits einige Zertifizierungen ge- ist, weil wir die Sonne als unerschöpfli- Akteure zu finden, die bereit sind, laufen sind, denken die Philosophen che Energiequelle haben. Wir wissen diese Veränderung anzugehen. Wir und Erfinder von Cradle to Cradle - bloß noch nicht genau, wie wir sie am sehen das zum Beispiel in der Chemie- William McDonough und Michael Besten nutzen. Viel gravierender sind industrie. Die Chemieindustie hat zum Braungart - darüber nach, die Zertifi- die Rohstoffe, denn die gehen uns Teil sehr sehr gute Produkte. Aber sie zierung an andere Institutionen zu aus. Und so wie wir in der Industrie hat es schwer, diese guten Produkte in übergeben. Dieser Prozess ist schon im funktionieren, wie wir mit den Roh- die Industriekette hineinzubringen. Sie Gange. stoffen umgehen, geht das nicht mehr müssen die Prozesse verändern, sie lange gut. Wir dürfen die Rohstoffe müssen die Rezepturen verändern, sie Wenn es nicht gelingt, den Unter- nicht verlieren. Denken Sie an Kupfer, müssen alles wieder neu testen, sie schied der Qualität aufzuzeigen und das haben wir noch 30 Jahre, dann ist müssen die Verkaufsunterlagen abän- zu dokumentieren, dann wird diese Schluss. Denken Sie an Phosphat, den- dern, usw.; das tut die Industrie nicht ganze Cradle to Cradle-Bewegung wie ken Sie auch an Öl. Also alle diese so gern. Das tut niemand gerne. viele andere Bewegungen irgendwann Rohstoffe gehen zu Ende. Wir sollten Cradle to Cradle ist aber eine Riesen- einmal verflachen und dann wird man eigentlich auch für die nächsten chance, weil man plötzlich in alles „die sagen, es ist halt dasselbe wie alles Generationen eine Verantwortung guten Dinge“ reinpacken kann. andere auch. übernehmen und sollten denen die Möglichkeit geben, dass sie sich auch EPEA zertifiziert ja auch diesen Cradle Wenn man ein Gebäude abreißt, entwickeln können und so arbeiten to Cradle Prozess. Wie darf man sich kommt so ein Riesenmonster und und leben können, wie sie es für rich- das vorstellen? haut alles zusammen. Das ist ja nicht tig erachten. unbedingt Kreislaufführung. Es gibt 4 Levels: Basic, Silber, Gold und Die Rahmenbedingungen sind nicht Platinum. Firma Backhausen z.B. ist Der Unterschied ist bestechend, aber auf ein Kreislaufdenken ausgerichtet. mit Gold zertifiziert. Es gibt auch Stoffe sind das eine, ganze Häuser mit Kritik, weil diese Zertifizierung eine Stahl-, Glas- und Holzkonstruktionen Sie haben die Industrie erwähnt. Jetzt private Initiative ist. Wir mussten aber und vielen Bauelementen sind etwas ist es so, dass die Industrie gelernte unbedingt einen neuen Qualitäts- anderes. Ist das auch machbar? Prozesse fährt, und diese Prozesse in begriff etablieren. Einen neuen Quali- Gesetzesstrukturen eingebettet sind, tätsanspruch kann man eigentlich nur, Das ist machbar. Das beweisen wir das heißt sie stechen hier in ein ohne dass ich da irgendwie chauvini- eigentlich. Es gibt ein gutes Beispiel in System hinein, das sehr gefestigt ist. stisch bin, auf einer privaten Basis Österreich, die Firma Thoma. Die angehen. bauen Häuser ausschließlich aus Holz, Das ist korrekt. Wir müssen nur uns das heißt auch die Verbindungen sind selber betrachten, wie schwer wir uns Weil? holztechnisch gelöst ist, ganz ohne Cradle-to-cradle tun, Veränderungen zu akzeptieren Kleber. Interview mit Albin Kälin Seite 10
  • 11. Wenn Sie ein Gebäude abreißen wol- Das heißt, dass eigentlich jeder len, kommt so ein Riesenmonster und Unternehmer, jeder Manager, wel- haut das Zeugs zusammen. Das ist ja chem Unternehmen er jetzt auch nicht unbedingt Kreislaufführung, wie immer vorsteht, sich mit dem Cradle- wir uns das vorstellen. In Holland gibt Gedanken auseinandersetzen sollte, es jetzt ein Projekt mit Fliesen, wo wir weil man immer in irgendeiner Form die Frage stellen, wie man Fliesen wie- mit Stoffen zu tun hat, und es auch der leicht vom Gebäude demontieren auf einer abstrakteren Ebene neue kann. Wenn das gelingt, dann kann Impulse geben kann. man Fliesen und andere Materialien auch wieder sortenrein herausnehmen Das würde ich genau so unterstützen und in den Kreislauf überführen. Das und wir kommen ganz schnell in die revolutioniert auch die Bauindustrie, Situation, wo wir wirklich etwas die ja einer der größten Materialver- wesentlich verändern müssen weil die braucher überhaupt ist. Probleme immer unkontrollierbarer auf uns zu rollen. Wir müssen das Um- In ihrem Portfolio führen Sie ja nicht denken beginnen, insbesondere unse- nur potentielle Kunden, Produktgrup- ren Kindern zuliebe. pen aus der Reihe der stofflichen Ebene an, sondern Sie ermuntern auch Das war jetzt eigentlich schon der Dienstleistungsbetriebe, sich mit dem berühmte Wunsch für die Zukunft Cradle – Gedanken auseinanderzuset- zum Schluss. Sie sagen, es ist aber zen: Tourismus, Behörden, Logistik. etwas in Bewegung gekommen in den letzten Jahren. Was genau? Es geht überall um Stoffströme. Jeder Manager sollte sich mit C2C ausein- Holland, ein ganzes Land! Kalifornien, andersetzen. ein Bundesstaat! Sie haben sich dem C2C-Gedanken verschrieben und das Es geht überall um Stoffströme, auch kann man durchaus eine gewaltige und gerade im Tourismus. Die Peaks in Bewegung nennen. In Holland hat die der Saison mit den ganzen Abfällen, Regierung entschieden, ihre Einkaufs- die dort erzeugt werden, oder wie richtlinien, und da geht es um 40 Mrd man mit der Natur umgeht! Warum EUR, so zu verändern, dass Cradle to nicht Stoffströme ganzer Regionen Cradle Produkte bevorzugt werden. neu denken? Warum nicht endlich ein Blick auf das Facility Management, Ja, Herr Kälin, dann hoffe ich, dass ich also Gebäudemanagement? Wir wol- das nächste Interview mit einem len gar nicht auf der stofflichen Ebene Computer führe, der bereits komplett stehen bleiben. Wir müssen mit C2C „gecradlet“ ist. in die komplexeren Systeme. Cradle-to-cradle Das wäre cool. Interview mit Albin Kälin Seite 11
  • 12. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at C2C Geschichte 1987: Michael Braungart und andere Schlossberg ein Set von Frottierwäsche 2009: Der Österreichische Textilher- Greenpeace-Aktivisten besetzen einen und Bademänteln. Übersicht über eini- steller Backhausen stellt unter Be- der Schornsteine des Schweizer ge Case Studies findet man auf der ratung von EPEA seine komplette Chemiekonzerns Ciba-Geigy (heute Website von EPEA Switzerland: Produktion auf C2C um. Novartis) wegen einer katastrophalen http://www.epeaswitzerland.com/ Verschmutzung des Rhein durch den Konzern. Braungart gründet EPEA 2005: Der deutsche Chemiker Michael (Environmental Protection Encourage- Braungart holt Kälin nach Hamburg. Er ment Agency). erfindet die Bezeichnung „Cradle-to- cradle (C2C)“ und zieht seither als 1993: Der Schweizer Textilkaufmann genialer Wanderprediger durch TV- Albin Kälin hat eine bahnbrechende Shows und Umweltkongresse. Im Idee, welche der Firma Rohner Textil, Amerika übernimmt diese Rolle der deren Geschäftsführer Kälin damals Architekt William McDonough. war, zahlreiche Auszeichnungen und Braungart und McDonough haben Designpreise einbrachte. Die Rohner- gemeinsam ein Standardwerk über Produktlinie Climatex (climatex.com) C2C herausgebracht, ein Buch, das wird zum weltweit ersten Cradle-to- bizarrerweise aus Plastik ist (siehe kriti- cradle-Produkt, auch wenn dieser Ter- sche Anmerkung). minus damals noch nicht gebraucht wurde. Gründung der Beratungsfirma EPEA (www.epea.com) durch Braungart. Das Projekt wird filmisch dokumen- Kälin wird Geschäftsführer und berät tiert, Kälins Idee wird von Universitä- u.a. die Niederlande, die vorhaben, als ten und Wissenschaft gewürdigt. Trotz ganzes Land komplett nach C2C zu großartigem Echo passiert aber in der leben! Industrie nichts. Die Projekte bleiben überschaubar: Triumph bringt eine EPEA vergibt C2C-Zertifizierungen in Damenwäscheserie aus rein ökologi- Silber, Gold und Platin, was Braungart scher Baumwolle namens Pure Origin zu Anfällen von Selbstironie bringt auf den Markt, die Schweizer Firma (siehe „kritische Anmerkungen“). Cradle-to-cradle Geschichte Seite 12
  • 13. Denkende Stoffe Ing. Reinhard Backhausen über den „Stoff der vielen Leben“, zwei Jahre Forschung am Rande des Scheiterns und warum man niemals aufgeben darf. Backhausen hat die gesamte Produktion in einem Gewaltakt auf Cradle-to-cradle umgestellt. Interview: Harald Koisser Sie haben einen Stoff entwickelt, der an die Halbwertszeiten von Kunststoff Welt gehen. Wir gehören zu denen, Returnity heißt. Was darf man sich denke. die jetzt schon ein Produkt anbieten unter diesem Kunstbegriff vorstellen? können, nämlich Möbelstoffe und Eternity heißt hier „ewig im Kreislauf“, Vorhangstoffe. Returnity findet man nicht im Lexikon. darum sprechen wir auch vom „Stoff Das setzt sich zusammen aus Return der vielen Leben“. Wichtig ist, dass Wie reagiert der Markt auf Ihre (zurückgeben) und Eternity (die Ewig- wir ressourcenschonend und abfallver- Innovation? keit). Es ist eine Weltneuheit – der meidend denken. Wir werden in Zu- erste Flammhemmstoff, der umwelt- kunft ein riesiges Ressourcenproblem Sehr aufgeschlossen, aber es gibt auch freundlich produziert und recycling- haben. Heute leben 6,5 Mrd Men- diejenigen, die beim Fenster hinaus- fähig nach der Cradle-to-cradle-Philo- schen auf der Welt, irgendwann wer- schauen und sagen: Eh noch alles in sophie ist. Wir haben den gesamten den es 9 Mrd sein. Dafür reichen die Ordnung. Vielleicht müssen noch Produktionsprozess umweltfreundlich Ressourcen nicht aus. Da sind die mehr Umweltkatastrophen passieren, gestaltet, wir haben zum Beispiel aus Industrie und die Politiker gefordert, damit die Menschen aufwachen und den Farbstoffen und Ausrüstungs- alternative Konzepte zu entwickeln. sehen, dass es schon 2 vor 12 ist und chemikalien die bedenklichen Sub- etwas getan werden muss. Je mehr stanzen entfernt. Wir arbeiten also mit Ist Returnity Ihr persönlicher Wunsch, sich dem Cradle-to-cradle-Movement völlig anderen Farbstoffen als zuvor. sich mit der Welt zu versöhnen? anschließen, desto eher kann es um- Und wir haben das Versprechen gesetzt werden. Und es muss schnell gegenüber unseren Kunden abgege- Es ist ein Herzensanliegen, aber auch umgesetzt werden, denn wir brauchen ben, dass wir den Stoff nach der Notwendigkeit. Wir sind in der Textil- Mengen an Material für ein günstiges Verwendung zurücknehmen. Der industrie Vorreiter und hoffen, dass Recycling. Kunde muss nur ein E-Mail an uns andere mitziehen. Cradle-to-cradle schreiben und wir organisieren das wird sich absolut durchsetzen. Holland Im Moment erweist es sich also noch Cradle-to-cradle-gerechte Recycling. will 2012 eine ganze Stadt umstellen, nicht als Vorteil im Marketing, mit so Es darf dabei kein Abfall entstehen, sodass dort kein Abfall produziert einem neuen Konzept hinauszugehen? sondern muss komplett zu einem wird. Arnold Schwarzenegger hat neuen Produkt werden. Cradle-to-cradle in sein Regierungs- Der Vorteil liegt darin, dass wir programm aufgenommen und jetzt im Umweltbewusstsein wecken. Die Dann muss ich mich bei dem Wort Mai das erste Cradle-Institut in San Leute verstehen das Prinzip ja sehr Cradle-to-cradle Eternity nicht schrecken, weil ich da Francisco eröffnet. Das wird um die schnell. Außerdem hat der Kunde Interview mit Reinhard Backhausen Seite 13
  • 14. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at einen messbaren Vorteil. Wenn er ein wir auf so breiter Basis agieren, dann auch um die Frage, wie man Energie Produkt zurückgibt, bekommt er werden auch die Mengen zustande gewinnt. Wir mussten auch mit der Rabatt auf künftige Returnity- kommen. EVN klären, dass wir einen hohen Bestellungen. Anteil an Wind- und Sonnenenergie Das ist eine höchst ungewöhnliche wollen. Erst das gesamte Maßnah- Wann werden die ersten Stoffe Aussage von einem Unternehmer in menpaket führt zu einer Cradle-to- zurückkommen? einer Zeit, wo man sehr auf seinen cradle-Zertifizierung. Wir haben diese Patenten sitzt und sich daraus Zertifizierung in Gold bekommen und Wir haben voriges Jahr unsere gesam- Wettbewerbsvorteile erhofft. da sind wir stolz darauf, weil wir uns te Produktion und sämtliche Kollek- enorm bemüht haben. Es hat auch tionen umgestellt. Ein Kunde kann Ich möchte auf keinen Fall alleine Situationen gegeben, wo Mitarbeiter jederzeit einen Stoff zurückgeben, auf dem System sitzen. gesagt haben: das geht einfach nicht. allerdings haben die sehr gute Qualität Wir hatten etwa große Probleme mit und ich schätze, dass es nun zwischen Es funktioniert aber nur so. Ich möchte der Farbe Schwarz und einem Dunkel- drei und fünf Jahre dauern wird, bis auf keinen Fall alleine auf dem System rot. Ich habe einfach weiterforschen etwas zurückkommt. Wir sind jeden- sitzen. Es wird sich ja auf alle Bereiche lassen, bis wir schließlich eine Lösung falls vorbereitet darauf. Das erstrecken. Es wird Cradle-to-cradle- gefunden haben. Recyclingsystem steht. Autos geben, ein völlig anderes Den- ken muss Einzug halten, wir müssen So wie das jetzt sagen, klingt das sehr Sie haben gesagt, dass Sie Mengen mehr partnerschaftlich agieren. souverän, aber ich vermute, sie haben brauchen. Wenn das in drei Jahren auch dem Scheitern ins Auge gesehen. hereintröpfelt, kommen wohl keine Wo liegen denn die größten Hürden Mengen zustande. bei einer Umstellung? Liegen sie im Ja, aber wenn man nach der Devise Kopf? In der Produktion? lebt „niemals aufgeben“ tut man sich Wenn nur die Firma Backhausen das nicht so schwer. Ich hatte das Ziel verfolgen würde, funktioniert das nie Zuerst einmal muss man die eigenen genau vor Augen. Es tut sich immer im Leben. Leute davon überzeugen. Das kann irgendwo eine Tür auf. man nicht mit einer Veranstaltung in Die Cradle-Community muss wachsen. der Firma abtun. Da muss man sich Wie bleibt man dran? Haben Sie ein Wir arbeiten daher in drei Richtungen. mit den Leuten auch einzeln auseinan- persönliches Geheimnis? Das eine ist die eigene Kollektion. dersetzen und zwar nicht nur in der Zweitens produzieren wir für Produktion, sondern auch im Vertrieb, Positiv Denken. Ich bin ein sehr positiv Grossisten und Möbelindustrie, die bei der Auftragsannahme, etc.; wenn denkender Mensch. Für mich sind Spezialentwicklungen von uns welt- die eigene Mannschaft dahinter steht, Probleme Chancen. Angesichts eines weit verkaufen. Und drittens lizenzie- hat man schon viel gewonnen. Problemes denke ich: Juhu, ein Pro- ren wir Returnity an andere Hersteller Wirklich schwierig war die Frage: geht blem! Ich freue mich, wieder etwas von Trevira CS (so heißt der flamm- das technisch? Und das war während lösen zu dürfen. Mit so einer Einstel- hemmende Stoff). Mit der Lizenz kön- der zweijährigen Entwicklungsphase lung tut man sich generell leichter. Cradle-to-cradle nen die das gesamte Know-how und gar nicht so klar. Dabei ging es ja nicht Interview mit auch den Logo übernehmen. Wenn nur um unsere Farbstoffe, sondern Reinhard Backhausen Seite 14
  • 15. Das kommt offenbar auch im Es war in Teilbereichen so. Das Schlüs- haben ein wirklich schönes Medien- Managementstil hinüber. selerelebnis habe ich mit meinen Kin- echo, desto leichter wird es. dern gehabt. Wir haben uns vor vier Man muss es leben und begeistern Jahren den Al Gore-Film angesehen. Wo ist das meiste Geld hineinge- können. Die Leute müssen spüren, Populistisch, aber aufrüttelnd und auf flossen? dass man selbst voll daran glaubt und Wahrheiten beruhend. Meine Kinder dahinter steht. So kann man Leute haben gefragt, was man da machen Das meiste Geld fließt in Forschung mitreißen. Ist man nur halbherzig kann. Ich habe sofort gesagt: Standby- und Marketing dabei, kann sich alles im Sand ver- zustand ausschalten, Mülltrennung, - laufen. naja, das Übliche eben. Da haben Das ganze spielt sich im chemischen beide gemeint, wir haben doch eine Bereich ab. Wirklich viel Geld ist in Ist durch die Arbeit an Returnity auch Firma. Dort muss etwas geschehen. Research geflossen und ein großer ein ökologischeres Bewusstsein bei Ich habe begonnen nachzudenken, Aufwand war die Überprüfung der Ihren MitarbeiterInnen entstanden? aber wir stellen Stoffe aus Polyester gesamten Produktionskette. Und her. Da habe ich keine gute Idee ge- natürlich das Marketing! Was nützt es, Absolut! Es hat einige gegeben, die habt, wie man das ökologisch wertvoll wenn man ein tolles Produkt hat und mit Umweltdenken nicht viel am Hut macht. Da habe ich Professor Braun- niemand es weiß. Aber wir geben nur hatten. Ich halte derzeit sehr viele gart und Albin Kälin kennengelernt. einen Bruchteil der Kosten an den Vorträge im in- und Ausland, auch vor Das war Bestimmung. Wie dann Re- Kunden weiter. Wir verlangen nur um meinen Mitarbeitern, und da geht es turnity endlich fertig war, habe ich 2% mehr als vorher. Das ist ein be- nicht nur um das Produkt. Es geht um meinen Kindern sehr beruhigt in die scheidener und von den Kunden gerne Verständnis für unsere Augen schauen können. akzeptierter Anteil für die Umwelt. Umweltprobleme. Meine Vorträge beginnen oft mit einem Bild vom Wie haben das denn die Mitbewerber Zum Schluss noch eine verwegene Universum. Es geht doch darum, unse- aufgenommen? Frage: ist Cradle-to-cradle schon ren kleinen Planenten vor uns selbst zu alles? Was kommt noch? schützen. Ich rede über Skeptisch! Es gibt ja so viele Umwelt- Umweltprobleme, baue dabei ein konzepte. Die Kunst besteht darin, die Es gibt eine Steigerung. Die heißt wenig auf dem Film von Al Gore („Die Leute zu begeistern und zu gewinnen. „smart textiles“. Als Verbandspräsi- unbequeme Wahrheit“) auf. Es muss Es war schon ungewöhnlich, offen auf dent der Textilindustrie habe ich die klar werden, dass da eine Welt-Vision den Mitbewerb zuzugehen und ihn Smart-textiles-Plattform gegründet, dahinter steckt. Ich sehe uns als aufzufordern, etwas gemeinsam zu einen Schulterschluss der Beklei- Teilbereich eines großen Ganzen. machen. Etwas großes Gemeinsames! dungsindustrie mit der Elektronik- Manche, die anfangs misstrauisch industrie. Wir wollen textile Produkte Jetzt kann ich meinen Kindern abgelehnt haben, sind dann auf mich entwickeln, die denken können. beruhigt in die Augen schauen zugekommen und wollten doch mit- Stoffe, die ihre Farbe verändern kön- machen. Es ist eben ein langsamer nen. Heute ein blaues, morgen ein Wo kommt Ihr persönliches ökologi- Überzeugungsprozess und auch da grünes Sofa! Oder Vorhänge, die sches Gewissen und die Verantwor- darf man nie aufgeben. Je mehr die Energie speichern können. Oder Cradle-to-cradle tung, die Sie zeigen, her? War das Medien darüber berichten, und wir Mäntel mit Airbags. Im Medizintextil- Interview mit schon immer so? Reinhard Backhausen Seite 15
  • 16. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at Bereich könnte man Textilien entwik- keln, die Organe im Körper umschlie- ßen und Informationen an Ärzte fun- ken. Das sind alles realistische Visi- onen. International wird viel daran geforscht. Aber natürlich müssen die in Textilien eingebauten Komponenten cradle-to-cradle-fähig sein. Cradle-to-cradle Interview mit Reinhard Backhausen Seite 16
  • 17. Die C2C-Community Weltweit werden derzeit etwa 600 Produkte nach dem Cradle-Prinzip hergestellt, Tendenz steigend. Hier ist eine kleine Übersicht über das aktuelle Angebot an C2C-Waren und Dienstleistungen. Aveda (Estée Lauder) Desso gugler USA Holland Österreich Kosmetiklinie, die komplett aus pflanz- Der weltweit führende Teppichher- Cross Media-Betrieb mit hohem Öko- lichen und mineralischen Inhaltsstoffen steller arbeitet daran, sein gesamtes bewusstsein; arbeitet derzeit an hun- besteht Portfolio (Teppiche und Kunstrasen) dert Prozent kompostierbaren www.aveda.com ausschließlich nach dem C2C-Prinzip Druckprodukten zu gestalten. Derzeit können 90% www.gugler.at Backhausen interior textiles aller Fabrikabfälle und 100% aller Österreich Verpackungen recycelt werden Hermann Miller Möbel- und Dekorationsstoffe für www.desso.com England Prestigebauten (Hotels, Opernhäuser, Stühle, Tische, System-Büromöbel aus ...) und Eigenheim nach dem C2C- Dr. Petry nachhaltigen Materialien, Prinzip (komplett wiederverwertbar); Deutschland Produkteigenschaften und schonenden damit die Stoffe wieder in das Werk Nachhaltige Textilveredelung Produktionsverfahren. Es werden die zurückkommen, gibt Backhausen eine www.drpetry.de jeweils sichersten Chemikalien verwen- Rücknahmegarantie und Prozente bei det sowie die Zerlegbarkeit und Folgekäufen earthbuddy Recyclingfähigkeit der Möbel beachtet www.backhausen.com Hongkong/China www.hermanmiller.com Produzent von biologisch abbaubaren Belland Verpackungsmaterialien, Johann Müller AG Deutschland Essensbehältern, Tabletts, etc.; Schweiz Kunststoff mit den gewohnten Ge- Ausgangsstoffe sind Agrarrückstände Die Firma hat biologisch abbaubare brauchseigenschaften aber mit der www.earthbuddy.hk Näh- und Strickgarne, Frottierware Recyclingfähigkeit von Papier, lässt und die bilogisch abbaubare Kunst- sich preisgünstig auf gleichem Quali- Elastic faser PLA entwickelt. Auch die Ver- tätsniveau wiederverwerten; zB für Deutschland packungen und Etiketten sind biolo- Catering-Geschirr, Trinkbecher für Elastische Stoffe und Spitzen für die gisch unbedenklich Großveranstaltungen (Sport, Konzer- Wäsche-, Sport- und Bademoden- www.mueller-textil.ch te), etc. industrie. Entwicklung des biologisch www.belland.de kreislauffähigen Stoffes Pure Origin, Cradle-to-cradle der sich in einer Unterwäscheserie der Die C2C-Community Firma Triumph findet Seite 17 www.elastic.de
  • 18. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at method Shaw für Allergiker interessant. USA USA www.trigema.de Umweltfreundliche und gesundheits- Die Firma ist Zulieferer für Teppich- verträgliche Haushaltsprodukte. Es produzenten und hat sich auf Teppich- Triumph dampfen keine Lösungsmittel mehr fliesenunterseiten spezialisiert. Die Deutschland aus und man braucht auch keine Produkte werden umweltschonend in Die Damenunterwäsche „Pure Origin“ Gummihandschuhe, um die Hände zu geschlossenen Kreisläufen wiederver- besteht aus ökologisch angebauter schützen. Die Gebinde und Verpack- wertet. Baumwolle und einer biologisch ab- ungen sind kreislauffähig. www.shawfloors.com baubaren Elastanfaser. www.methodhome.com www.triumph.com Steelcase Remondis Deutschland van Houtum Deutschland Büromöbel, die am Ende jedes Lebens- Holland Wasser- und Kreislaufwirtschaft; zyklus leicht zerlegt und wiederver- Toilettepapier und Handtücher, die Kompostwerke und Erdenwerk nach wertet werden können. Star des nach C2C hergestellt werden dem Prinzip geschlossener Stoffkreis- Sortiments ist der Arbeitsstuhl www.satino.com läufe „Think“, der höchste ökologische www.remondis.de Standards erfüllt und zu 98% wieder- van Kaathoven verwertbare Komponenten enthält. Er Holland Safechem lässt sich innerhalb von fünf Minuten C2C für Katzenfreunde. Komplett Deutschland zerlegen, die wenigen Teile, die ent- kreislauffähiges Katzenstreu, gepaart Risikomanagement zur Handhabung sorgt werden müssen, sind gekenn- mit einem Hausservice. Die Kunden chlorierter Lösemittel, wie sie für zeichnet. Steelcase produziert auch erhalten ein Katzenklo samt Katzen- Reinigungsprozesse in der Industrie Stoffe, Trennwände, Monitore und streu, die Schale wird alle zwei Wo- verwendet werden; Reduktion der diverse Arbeitzsplatzausstattung nach chen vor die Haustür gestellt und aus- Lösemittel um 90% innerhalb von C2C. getauscht. 10 Jahren bei gleichzeitigem Anstieg www.steelcase.de www.katzenkomfort.com gereinigter Teile; Entwicklung von Geschäftsmodellen und Services für Thoma Wexla den verantwortlichen Einsatz von Österreich Österreich Chemikalien Häuser (Einfamilienhäuser, Hotel- Schuhe sind laut Braungart „Franken- www-safechem-europe.com bauten, Industrieanlagen) aus 100% steinprodukte“, da sie künstliche und Holzbauweise. Kein Leim, keine che- biologische Materialien enthalten, die Search mischen Verbindungen. Nur Holz. untrennbar miteinander verbunden Holland www.thoma.at werden. Wexla hat ein System entwik- International agierende Technikbera- kelt, wie man günstig Ersatzteile für tung, Labor- und Lehrorganisation Trigema Schuhe nachkaufen kann: Schuhsohle, Dienstleistung: Beratung für nachhalti- Deutschland Schuhoberteil, Fußbett. Eine Realisati- Cradle-to-cradle ge Entwicklung Der Hersteller von Sport- und Frei- on solcher Schuhe gibt es noch nicht. Die C2C-Community www.searchbv.nl zeitbekleidung führt ein kompostierba- Im Programm sind kompostierbare Seite 18 res T-Shirt im Programm. Die biolo- Flipflops. gisch wertvollen Inhaltsstoffe sind v.a. www.wexla.at
  • 19. Ameise, Regenwurm und Berggorilla Kritische Anmerkungen zu C2C, Teil 1 Text von Harald Koisser Wider die Verschwendung Dem kann man entgegenhalten, dass Nur weil maßloser Konsum auf stoffli- diese Kritik aus der „alten Welt“ cher Ebene durch C2C plötzlich unbe- Es war die Rede davon, dass C2C das stammt, in der zurecht gegen blind- denklich wird, wäre er es noch lange ökonomische Denken in Richtung wütige Vergeudung unwiederbringli- nicht auf zwischenmenschlicher Ebene. Kooperation wenden könnte, doch cher Ressourcen gewettert wurde. Mit auch auf Seiten der KonsumentInnen C2C gibt es aber keine unwiederbring- Es bleibt dabei allerdings zu fragen, ob wird C2C eine sukzessive Wendung im lichen Ressourcen mehr. Wenn sich der Einzelne dies als Ausbeutung er- Denken und Verhalten bewirken, aller- das Prinzip durchsetzt, wird sich die lebt oder seinen Arbeitseinsatz gerne dings eine, die argwöhnisch beobach- moralische Debatte von der Theorie in erbringt, sei es wegen entsprechender tet wird und auf Kritik stößt. Wenn die Lebenspraxis verlagern und eine Entlohnung, sei es als Quid pro Quo Stoffe ökologisch komplett unbedenk- Neubewertung des Begriffs „Ver- für eigenes verschwenderisches Ver- lich sind und wieder in neue Kreisläufe schwendung“ notwendig machen. halten. Wenn Arbeit sinnvoll ist, kann eingehen, so darf man plötzlich etwas, Man könnte also der Tugend der man sie auch lustvoll verrichten. wofür man sich heute noch in der Mäßigung folgen und abwarten, alten Welt der Müllberge geniert: würde nicht Ernst Gugler von gugler Rahim Taghizadegan merkt in seinem maßlos verschwenden! Weil alle C2C- crossmedia, selbst ein C2C-Pionier, ein Gastkommentar allerdings sehr richtig ProtagonistInnen dieses lustvolle Ver- Argument jenseits der stofflichen Welt an, dass zum Beispiel Lebensmittel schwenden so herzhaft propagieren, vorbringen. Er meint, dass jedes Pro- Cradle-to-cradle-Produkte sind, aber regt sich moralischer Unmut. Man dukt immer auch Ergebnis von men- eine Verschwendung immer bedenk- würde hier einen neuen Konsumwahn schlicher Arbeitszeit ist, und lustvolles lich ist. begründen, dessen Vorteil wohl in der ökologischen Unbedenklichkeit liege, Darf man menschliche Arbeitszeit aber moralisch bedenklich wäre. Man verschwenden? sieht die Tugend der Mäßigung bedroht. Verschwenden somit bedeutet, men- schliche Arbeitszeit zu verschwenden. Cradle-to-cradle Kritik Seite 19
  • 20. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at Du sollst zertifizieren Braungart erklärt, er wolle sich den unsäglichen Öko-Zertifikaten entge- EPEA vergibt Zertifikate für C2C- genstemmen, welche die Produktwelt Projekte und –Betriebe. Man darf überschwemmen. Jeder fadenscheinige zurecht bemerken, dass üblicherweise Mist wäre eine Öko-Plankette wert, aus gutem Grund Beratung und Zer- die man sich an die Eingangstür kleben tifizierung von unterschiedlichen kann. Also müsse man dem mit einer Stellen durchgeführt werden. Der C2C-Auszeichnung begegnen. Berater kann sich wohl selbst kein objektives Zeugnis ausstellen. Mit einer guten Portion Selbstironie Braungart weiß das natürlich und merkt der Chemiker an, dass er in übergibt die Zertifizierung auch dem- Silber, Gold und Platin zertifiziere: „Ist nächst an solch eine unabhängige das nicht lustig: Das sind ökologisch Stelle. Bleibt allerdings die Frage, hoch bedenkliche Edelmetalle. Im Sinn wozu überhaupt zertifizieren? Es der Sache, der Nützlichkeit, die wir scheint als müsse ein Wahn nach anstreben, müsste es eigentlich Zer- objektiven Belegen für das eigene tifikate geben, die Ameise, Regen- Gut- und Bessersein befriedigt werden. wurm und Berggorilla heißen“. Cradle-to-cradle Kritik Seite 20
  • 21. Cradle-to-cradle - die nächste Sau, die man durch das globale Dorf treibt? Kritische Anmerkungen zu C2C, Teil 2 Gastkommentar von DI Rahim Taghizadegan, Institut für Wertewirtschaft (www.wertewirtschaft.org) Aus dem Inhalt: Der Ausdruck „cradle-to-cradle“ (Wiege-zu-Wiege) findet gegenwärtig • C2C bietet reale Innovationen und nicht bloß Zertifikate für greenwashing. wachsende Beachtung. Mit diesem • Leider sind es stets Übertreibungen, die im Konkurrenzkampf um knappe Konzept reüssieren vor allem der Aufmerksamkeit eingesetzt werden. Braungart kontert mit einer amerikanische Architekt William Verschwendungsideologie gegen jene, die sich „gesund schrumpfen“ wollen. McDonough und der deutsche • Die Größe der Versprechungen von Cradle-to-cradle bringt die Gefahr von Chemiker Michael Braungart. Der politischer Planwirtschaft Ansatz bezieht sich auf das Gestalten • Es klingt so schön, alle Verschleißteile durch kompostierbare Materialien zu von Produktzyklen, bei denen Abfall ersetzen. Doch wer sagt, dass „natürliche“ Stoffe weniger gefährlich sind? direkte Verwertung als Rohstoff findet. • Vor dem Auto erstickten Städte im Pferdemist. Das Problem liegt stets Produkte sollten also nicht als Schad- in der Masse. stoffe in der Totenbahre von End- • Am gefährlichsten ist cradle-to-cradle, wenn es Leute anspricht, die lagern enden, sondern die Wiege für weder Investitionen aus eigenen Mitteln verantworten, noch sich mit ihrer neue Produkte abgeben. individuellen Verantwortung als Konsument zufrieden geben, sondern ungeduldig nach der Weltverbesserung trachten. Dann stecken wieder Nachdem Steven Spielberg gerade an überschuldete Bürokratien, Steuergeld in Hype-Projekte, die sie mittels von einem Film über diese Idee arbeitet, ihnen ernährter „Experten“ als große Zukunftsinvestitionen vermarkten. wird sie wohl bald nicht mehr bloß der Hype kleiner Zirkel sein, sondern zum Massen-Hype wachsen. Die Größe der Versprechungen dieser Idee begünstigt ihre Aufnahme, weckt aber auch neu- gierige Skepsis. Man ist es mittlerweile gewohnt, daß ein Weltrettungsplan den nächsten ablöst, der sofort und umfassend umgesetzt werden muß. Es Cradle-to-cradle sei zu spät, darauf zu warten, daß die Kritik II Seite 21
  • 22. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at Menschen ihr Leben ändern, die einzi- fluß leben, nach Herzenslust ver- Braungart und seine Kollegen durch- ge Hoffnung bestünde darin, den schwenden. aus reale Innovationen zu bieten Rettungsplan so groß wie möglich zu haben und nicht bloß Zertifikate für dimensionieren, so schnell wie möglich Zweitens fällt auf, daß Braungart und greenwashing (Umwelt-Marketing) umzusetzen und so zentral wie mög- McDonough schon lange vor dem verkaufen. Je größer der Hype wird, lich zu steuern. Ist cradle-to-cradle Hype sehr viel Geld mit ihrem Ansatz desto eher ist allerdings zu erwarten, bloß die nächste Sau, die durch das verdienen. Braungart wurde als daß Motive der Eitelkeit und PR bei medial-globale Dorf getrieben wird? Greenpeace-Aktivist bei der Besetzung eines Schornsteins des Unternehmens Die Gegendogmatik tut der Zwei Unterschiede fallen zunächst ins Ciba vom Fleck weg von den ver- Umweltbewegung sehr gut Auge. Erstens sind die Betonungen meintlichen ideologischen Feinden hier deutlich anders als man es sonst engagiert. Ciba heuerte ihn als selb- der Adaption der geschützten Marke bei ökologischen Bedenkenträgern ständigen Berater an. Unzählige große cradle-to-cradle bedeutsam werden. gewohnt ist. Insbesondere Michael und finanzkräftige Unternehmen folg- Dies wird durch die psychologisch sehr Braungart, ein ehemaliger Green- ten. 1995 gründete er das Unterneh- wirksamen ideologischen Übertreibun- peace-Aktivist, lästert gerne über den men McDonough Braungart Design gen in der Darstellung begünstigt. „Schuldkult“ der modernen Umwelt- Chemistry mit McDonough in den Solche Übertreibungen sind zwar stets bewegung. Braungarts Ökologismus USA. Ford ließ sich etwa von einseitig, können aber als Korrektiv ist durch und durch progressiv. Nach McDonough für gesalzene zwei und Aufweckmittel dienen. Die Dosis der ideologischen Verwirrung des letz- Gegendogmatik tut der Umweltbewe- ten Jahrhunderts bringt konsequenter Nachhaltigkeit - ein leeres Konzept gung ganz gut, die in der Regel ihr Progressismus (die ideologische Über- Wissen maßlos überschätzt. höhung des Fortschritts und Wachs- Milliarden Dollar die Dächer des größ- Braungarts Witze gehen häufig auf tums) heute meist Betonungen mit ten Werkes begrünen. Geld, so könnte Kosten populärer Öko-Irrtümer. Doch sich, die verwirrte Beobachter als neo- man einwenden, das aus dem Verkauf auch Cradle-to-cradle ist vor Irrtümern liberal bis neokonservativ einordnen von Produkten und der Aufnahme von nicht gefeit. Je größer der Kontext, würden. Dies erklärt auch, warum sich Krediten stammt, die mit Nachhaltig- desto unübersehbarer die Komplexität. unter Neokonservativen so erstaunlich keit wohl wenig zu tun haben. Doch Die beste Intention kann in einem viele ehemalige „Linke“ finden. Nachhaltigkeit ist für Braungart ohne- komplexen System die schlimmsten Braungarts Glaube an Wissenschaft hin ein leeres Konzept: Es ginge um Auswirkungen nach sich ziehen. und Technologie ist von unerschütterli- Veränderung, nicht darum, Dinge zu In einem der zahlreicher werdenden chem Optimismus, eine intelligente erhalten. als Dokumentation getarnten Werbe- wirtschaftliche Entwicklung könnte in filme über cradle-tocrade sieht man Zukunft noch einem Vielfachen der Die Erwähnung dieser zwei Aspekte die feierliche Eröffnung eines Modell- Erdbevölkerung eine bessere Versor- mutet nach Kritik an, doch der wirt- Dorfes in China, das mit der Beratung gung bieten. Er will dem Konsumenten schaftliche Erfolg und die ideologi- von McDonough geplant worden sein das schlechte Gewissen nehmen. Dank schen Betonungen verdienen zunächst soll, um ein bestehendes Dorf zu nach cradle-to-cradle zertifizierter Pro- eine Würdigung. Die Nachfrage durch ersetzen. Dies wurde als wegweisen- Cradle-to-cradle duktgestaltung könne man wieder Unternehmen bevor das Konzept zum der erster Schritt gepriesen, wie für Kritik II Spaß beim Konsum haben, im Über- Medienhype wird, deutet an, daß Abermillionen von Chinesen im Zuge Seite 22
  • 23. des nächsten, revolutionären Fünfjah- letztlich 12.000$, wie dies bei Staats- sein Leben verbessern kann, ist dabei resplan neue und moderne Öko- aufträgen die Regel ist. Das ist das nicht von Interesse. Die Entmündigung Häuser geschaffen werden könnten. Zehnfache des dortigen Jahresein- des Menschen ist die große Gefahr Die Tochter von Deng Xiao-Ping war kommens. Nur zwei Familien sind von allzu technologieorientierten daran beteiligt und die staatliche überhaupt jemals in das „Musterdorf“ Lösungen. Fernsehsprecherin pries die Weitsicht eingezogen, und das nur, weil ihre Braungart schlägt technische Produkt- der Partei. Trotz vorteilhaftester Häuser niederbrannten. Sie mußten zyklen vor, bei denen Produkte im Aufnahmen und massiver Propaganda alte Ölöfen nutzen, weil die „alternati- Eigentum der Hersteller bleiben und ist das Projekt für den nüchternen ven Energiequellen“ nicht funktionier- bloß deren Nutzung als Dienstleistung Betrachter jedoch sofort als groteske ten. angeboten wird. Das ist ein mögliches, Fehlplanung erkennbar. Häßliche, voll- Es steht außer Frage, daß die geschick- aber kein notwendiges Konzept. Die kommen identische Häuser mit winzi- te Imitation der Natur ein riesiges gen, trostlosen „Gärten“, direkt Potential bietet, das eine zugleich Nullwachstumsfetischisten gegen nebeneinander aufgefädelt, mitten im menschen- und naturferne Technik, Verschwendungsideologen Nichts. Der Vorzeige-Bewohnerin die auf effiziente Massenlösungen hin rutschte heraus, daß sie für normale ausgerichtet ist, bislang weitgehend gleiche Funktion könnte eine Rück- Menschen wohl noch dazu viel zu übersehen hat. Dieses Potential findet nahmegarantie von Produkten spielen. teuer wären. Der umjubelte ökologi- sich aber nicht nur in neuer Technolo- Doch auch den gegenläufigen, fort- sche Aspekt bestand darin, daß die gie, wie der Fortschrittsfreund es sieht, schrittskritischeren Ansatz sollte man Wände dank der teuren Beratung aus sondern auch in verlorenem oder ver- dabei nicht aus dem Auge verlieren: den USA nicht aus Ziegeln, sondern loren gehendem Wissen, die der weniger unnötige Geräte, höhere aus Sand und Stroh bestanden. Fortschrittsfeind betont. Beide Be- Lebenszeit, einfachere Konstruktion, Die Häuser stehen bis heute leer und tonungen sind einseitige Übertreibun- die das Reparieren durch den Konsu- verrotten. Sie waren trostlosen ameri- gen, doch werfen wir ein wenig für menten selbst erlaubt. Auch das ist kanischen Vororten nachempfunden, letztere Ansicht in die Waagschale, um kein Allheilmittel, vor allem weil jeder hatten winzige Ziergärten und Gara- unsere Abwägung ins Lot zu bringen: Ansatz in der Gegenwart zunächst die gen, obwohl nur vier der bisherigen Der moderne Innovationsbetrieb hängt Bequemlichkeit der Konsumenten 1.400 Dorfbewohner ein Auto haben zu sehr am Subventionstropf, sodaß akzeptieren muß. Leider sind es stets und als Landwirte mit den gräßlichen, ihm oft der Blick für Knappheiten und Übertreibungen, die im Konkurrenz- lächerlich kleinen Vorhöfen keinesfalls menschliche Dimensionen fehlt. All die kampf um knappe Aufmerksamkeit überleben können. Die Energie für das Machbarkeiten und all das fabrizierte und natürlich um Geld stehen. Kein Musterdorf sollte aus einer Biogasan- Wissen sind sinnlos, wenn sie in das Wunder, daß diejenigen, die das lage kommen, in der die landwirt- persönliche Wirken beschränkter Men- Nullwachstum zu ihrer Ideologie über- schaftlichen Abfälle verheizt werden schen keinen Eingang finden können, dehnt haben, Verschwendungsideolo- sollten. Niemand hatte sich die Mühe sondern weiter entpersönlichen und gen wie Braungart feindlich gesinnt gemacht, herauszufinden, daß diese entfremden. Heutige Forscher forschen sind. Beides ist als Ideologie Unfug. „Abfälle“ den Ziegen verfüttert wur- in der Regel ihren Auftraggebern zu: Man kann sich nicht „gesund den, die ohne diese Reste im Winter aufgeblähten staatlichen Apparaten schrumpfen“, wenn das Schrumpfen verhungern würden. Die Häuser, die und Großkonzernen. Wie der einzelne zum Ziel wird; dies ist nämlich schon Cradle-to-cradle für je 3.500$ geplant waren, kosteten Mensch in seinem konkreten Umfeld an sich krankhaft. Die entsprechenden Kritik II Seite 23
  • 24. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at Ideologen hoffen wohl unbewußt auf gigkeit noch weitere Probleme auf: dahinter ist, daß Druckwaren techni- Pöstchen als Politkommissare, wo sie Alle Zyklen müssen, um die verspro- sche Kreisläufe bilden könnten. Dann aus ihren Steuerungszentralen chene Effektivität zu erlauben, ge- hätte man das Buch vom Verlag bloß „Wachstum beschränken“ dürfen. Der schlossen sein. Der dazu nötige große gemietet, dieser würde es zurückneh- nächste Fünfjahresplan: 10% weniger logistische Aufwand wird beim men, nachdem man es ausgelesen hat, Produktion, 10% weniger Energiever- „Hypen“ der Idee zu zwei Betonun- und es zu einem neuen Buch ein- brauch, 10% mehr Glück. Das ist ein gen führen: Einerseits sind besonders schmelzen. Natürlich besteht ein sol- Befehl! große, hochintegrierte Unternehmen cher Zyklus noch nicht und es ist frag- Die Überhöhung der Verschwendung begünstigt. Andererseits wird die Un- würdig, ob er sinnvoll wäre. Das Buch durch Braungart ist ebenso zweifel- geduld in dezentraleren Sektoren und ist zwar wasserfest, bleibt aber beim haft. Er hat vollkommen recht, daß es Regionen zu politischen Ambitionen Lesen nicht geöffnet. Das Konzept, absurd ist, Wegwerfartikel aus Materi- führen. Das politische Schließen von Bücher auszuborgen, ist uralt: man alien zu erstellen, die Jahrtausende als Zyklen hat jedoch ganz unweigerlich nennt es Bibliothek. Angesichts der nicht weiter nutzbare Problemstoffe einen planwirtschaftlichen Charakter. Tatsache, daß es den gewünschten überdauern. Hier ist noch viel Be- Planwirtschaft hielt man einst für effi- Kreislauf nicht gibt, ist das Buchkon- wußtseinswandel und technische zienter und effektiver. Heute weiß zept eine ökologische Bruchlandung. man, daß die mangelnde persönliche Der Transport, die Verbrennung oder Nur weil etwas kompostierbar ist, Verantwortung zu kolossalen Fehlent- Deponierung sind allesamt umwelt- ist es nicht automatisch effektiv scheidungen führt, die nicht nur die schädlicher als bei einem herkömmli- Umwelt, sondern auch das menschli- chen Buch. Und wer weiß, welche Entwicklung nötig. Doch nur weil che Leben bedrohen. Der systemische Folgen wir noch nicht kennen? etwas kompostierbar oder in neuen Charakter von cradle-to-cradle und die Dies ist ein weiteres Problem, das Produkten verwertbar ist, ist es nicht Größe und Übertreibung der Verspre- gerne übersehen wird. Das neuentwik- automatisch effektiv. Eine Übertrei- chungen verstärken diese Gefahr plan- kelte Substitut für einen Stoff ist in der bung dieses Ansatzes neigt dazu, den wirtschaftlicher Verlockungen. Insbe- Regel unbekannter als dessen Vorläu- Energie- und Transportaufwand zu sondere die von Braungart gerne ver- fer. Es klingt so schön einfach, schlicht ignorieren. Die Gesetze der Thermo- wendete Analogie des Ameisenstaates alle Verschleißteile durch kompostier- dynamik verbieten ewige Kreisläufe deutet in diese Richtung. bare Materialien zu ersetzen. Doch es ohne Verluste. Zwar ermöglicht die ist ein häufiger Irrtum, „natürliche“ laufende Energiezufuhr der Sonne das Braungarts Buch aus Plastik - Stoffe für weniger gefährlich zu halten Überleben organischer Kreisläufe, und eine ökologische Bruchlandung – ein Irrtum, auf den Braungart selbst diese können uns zweifellos als Vorbild hinweist. Biologisch abbaubare Ver- dienen. Doch darf man diese Analogie Das Problem nicht geschlossener schleißteile können unerkannte Risiken nicht überdehnen, denn die geringen Zyklen wird deutlich an einem beson- bergen. Eben weil Plastik nicht kompo- Wirkungsgrade könnten erst recht ein ders greifbaren Beispiel: Braungart und stierbar ist, d.h. nicht biologisch aktiv totalitäres Diktat der Energieeffizienz McDonough ließen ihr Buch nicht auf ist, ist es selbst vollkommen ungiftig. anregen, vor der Braungart zurecht Papier, sondern auf Kunststoff druk- Gefährlich sind die Zusatzstoffe warnt. ken. Plastik ist natürlich im Gegensatz (Weichmacher, Flammhemmer usw.). Cradle-to-cradle Das Zyklenkonzept weist neben der zu Papier nicht kompostierbar und viel Wenn alle Abfälle biologisch sind, ist Kritik II Technologie- und damit Kapitalabhän- weniger „natürlich“. Der Gedanke dies nicht notwendigerweise ökolo- Seite 24
  • 25. gisch. Vor dem Auto erstickten Städte ten an, bietet es, falls es teurer ist, eine mögliche Einsammlung berück- im Pferdemist; die Überdüngung rui- einen Vorteil, der den Mehraufwand sichtigen, ändert sich das Bild schon niert den Boden. Das Problem liegt lohnt, fügt es sich langfristig in einen wieder vollkommen. eben doch auch in der Masse, jeder Zyklus, was passiert bei Änderungen Verschwendungslust zum Trotz. Und der Marktlage? Die Fragen sind zahl- Die Gefahr besteht darin, den diese Masse ist eben das Gefährliche los. Braungart erkennt richtig, daß die Konsumenten wieder einmal bloß an Hypes. Der Hype rund um Biotreib- besten ökologischen Intentionen oft unnötige Produkte anzudrehen stoffe ist ein gutes Beispiel dafür, wie ungeheure Irrtümer hervorbringen. Je eine neue Idee durch massive För- stärker cradle-to-cradle als Heilsver- Viel problematischer in Hinsicht auf derungen und Heilsversprechen so sprechen und Lösung aller ökologi- den Konsumenten ist der mögliche überdehnt wird, existenzbedrohende schen Probleme vermarktet wird, Mißbrauch von cradle-to-cradle, nur Ausmaße zu nehmen und die Ernäh- desto größer wird das Irrtumspotential. ein weiterer Vorwand zu sein, den rung von Menschen zu gefährden. Die Dabei ist der Ansatz für Produktent- Konsumenten wieder neue, teurere, moderne Ungeduld setzt alle Hoff- wickler im Kern so simpel, daß er gar letztlich unnötige Produkte anzudre- nung in die Masse – nur Medien, kein neues Etikett bräuchte. hen, die dann doch wieder entgegen Großkonzerne und Politik könnten Schwieriger ist die Frage, was der den Intentionen von Braungart eine wirklich Großes bewegen. Doch je Konsument mit dem Ansatz machen Form von Ablaßhandel darstellen. So größer der Akteur, desto kleiner das soll. Wenn du nur von cradle-to-crad- benötigt die Ermunterung zur Ver- Hirn: der politische Tyranno-Saurus le-zertifizierten Unternehmen kaufst, schwendung ein Korrektiv der Mäßi- will „nur helfen“ und vergrößert den kannst du beliebig verschwenden, gung, genauso wie der übertrieben Schaden. wäre eine vollkommen falsche Ansage, asketischen Einstellung die Würdigung eben weil sie Kosten und dazu nötigen des Schöpferischen, des Genießens, In einer hochkomplexen Welt gibt es Wohlstand nicht berücksichtigt. Das des Ausprobierens gegenübergestellt keine sicheren Erfolgsstrategien Versprechen besteht eigentlich auch werden sollte. nur darin, daß man dann ohne Am gefährlichsten ist cradle-to-cradle, Cradle-to-cradle muß daher danach schlechtes Gewissen verschwenden wenn es Leute anspricht, die weder bewertet werden, welche Akteure könnte. Doch auch das ist falsch. Investitionen aus eigenen Mitteln ver- angesprochen werden und wie. Als Nahrungsmittel sind etwa vollkommen antworten, noch sich mit ihrer indivi- Ansatz für Produktentwickler verdient kompostierbare Produkte. Ist es des- duellen Verantwortung als Konsument das Konzept größte Würdigung – halb richtig, massenweise angebroche- zufrieden geben, sondern ungeduldi- doch diese Würdigung muß ihm nicht ne Nahrungsmittel wegzuwerfen? Dies ger nach der Weltverbesserung trach- durch allzu begeisterungsfähige Missi- vernachlässigt wiederum den Aufwand ten. Dann stecken wieder überschul- onare verlieren werden, sie erfolgt aus für ihre Produktion, ihren Transport, dete Bürokratien, Mittel, die sie nicht dem praktischen Erfolg der Produkte. ihre Werthaltigkeit, sowie jegliche kul- haben und für deren Verwendung sie In einer dynamischen, hochkomplexen turelle Erwägungen. Die Banane ist niemals wirkliche Verantwortung über- Welt gibt es dabei keine sicheren zweifellos ein perfektes cradle-to-crad- nehmen müssen, in Hype-Projekte, die Erfolgsstrategien. Die beste Idee kann le-Produkt, ganz ohne Zertifizierungs- sie mittels von ihnen ernährter „Ex- in der Realität und an der Realität gebühr, denn ihre Verpackung vermag perten“ als große Zukunftsinvestitio- scheitern. Ist das neue Material wirk- als Nährstoff zu dienen. Doch selten nen vermarkten. Sobald cradle-to- Cradle-to-cradle lich gesünder, nehmen es Konsumen- am Ort ihres Konsums, und wenn wir cradle zum Vorwand wird, Wunsch- Kritik II Seite 25
  • 26. wirks Wirtschaftsmagazin für Zukunftskompetenz • Sommerbeginn 2010 • www.wirks.at Wirtschaften mit schönen, runden Steven Spielberg geplante Werbefilm Kreisläufen am Reißbrett zu planen für seine Idee nichts wird. Sonst schie- und cradleness zu kommunizieren, be man die ganze Sache wieder auf wird die Zeit gekommen sein, eine einen Menschen ab. In den USA weitere aufgeblasene Idee zu kompo- könne man zwar viel schneller Ruhm stieren und die einzelnen, richtigen erlangen, in Europa werde man über- und wichtigen Bestandteile als Nähr- haupt erst wahrgenommen, wenn stoffe für Besseres anzusehen. Ein hin- man es mit einem englischen Buzz- reichend nüchterner Zugang vermeidet word in die US-Medien geschafft hat. die Blase von Anfang an, läßt Platz für Die große Begeisterungsfähigkeit und Hausverstand und übernimmt im Sehnsucht nach Lösungen führe auch jeweiligen konkreten Lebenskontext oft zu einem Vorliebnehmen mit konkrete Verantwortung, auch wenn schnellen, aber falschen Lösungs- es nur die des Konsumenten ist, an- rezepten. statt ungeduldig nach der nächsten großen Utopie zu schielen, die stets eine Ausrede dafür ist, nicht selbst einen ersten kleinen Schritt zum Man sollte nur bewegen, was man auch verantworten kann Besseren zu setzen. Jeder Schritt kann sich im Nachhinein als Irrtum heraus- stellen. Daher sollte man nur das bewegen, was man verantworten kann und darf, das aber mit aller Entschlossenheit und dem nötigen Mut. Dies ist weniger eine Kritik an einem Ansatz, der viel Richtiges und Wichtiges enthält, sondern eine Warnung vor der ständigen Überdeh- nung von Ideen, der Wichtigtuerei, den hohlen Phrasen: daß sofort aus jedem Ansatz eine Ideologie und ein „politischer Auftrag“ gemacht werden muß. Michael Braungart erkennt das Cradle-to-cradle durchaus selbst: Er hofft, so merkt er Kritik II mit etwas Ironie an, daß der von Seite 26
  • 27. Bin ich kreislauffähig? Text von Harald Koisser Es ist eine wunderbare Idee, Stoffe Bedingungen zu überleben versteht von der Wiege zur Wiege zu führen und weit und breit keine Chemie- und sie wieder zum Nährstoff von fabriken hat! Neuem zu machen. Als Mensch bin ich kompostierbares Material und wähne Wann erhalte ich die Cradle-to- mich damit auf der ethisch sicheren cradle-Platin-Zertifizierung? Seite, insoferne ich einmal Nährstoff sein werde. Aber die Frage nach mei- Warum das so ist? Wegen der ver- ner persönlichen Kreislauffähigkeit ist dammten Globalisierung! Alles hängt nicht eindeutig zu beantworten. mit allem zusammen und die Globali- sierungsgegner haben schon recht, Ein Chemiker erzählte mir, dass jedes wenn sie das nicht wollen. Unser Bio-Schwein bessere Gesundheitswerte chemischer Output durchläuft die hat als ich. Mein Fleisch würde neimals weltweite Nahrungskette. Die Inuit das begehrte Bio-Siegel bekommen, haben Wale und Seerobben als Haupt- was mir jetzt schon für die Maden und nahrungsmittel. Wale und Seerobben Würmer in meinem Grab leid tut. Die fressen Fische und Muscheln. Die Muttermilch, die unsere Kinder trin- Konzentration an Schadstoffen steigt ken, ginge nicht mehr als Bio-Milch in der Nahrungskette sukzessive an, durch. Die Quecksilberbelastung inner- bis das Höchstmaß an Gift in Grönland halb der Mutterbrust hat übrigens ein ankommt. Man muss also feststellen, erstaunliches Süd-Nord-Gefälle. Sie ist dass jeder tote Mensch bald definitiv bei uns in Europa augenfällig, bei den nicht mehr kreislauffähig und eigent- Inuit in Grönland aber bereits im Zu- lich eine Sondermülldeponie ist. stand akuter Quecksilbervergiftung! Die Konzentration von polychlorierten Dies wäre das gewaltigste C2C-Pro- Biophenylen in der Muttermilch der jekt, das man aufsetzen müsste: die Inuitfrauen ist so hoch, dass die Milch Kreislauffähigkeit des Menschen wie- als Giftmüll eingestuft werden müsste. der herzustellen. Wann erhalte ich die Und das bei jenem Volk, das mit Cradle-to-cradle-Platin-Zertifizierung? Mutter Natur lebt, unter extremen Cradle-to-cradle Bin ich kreislauffähig? Seite 27