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Dr. Joachim Kemper
   Vor 300 Jahren in Speyer „entdeckt“
  Der „Speyerer“, auch „Vinum bonum“ oder Ruländer genannt

Das Jahr 2011 ist für die Stadt Speyer      Fass im Keller des Gartenhauses ab-
ein Jahr der Jubiläen und Feierlichkei-     füllte. Im folgenden Sommer öffneten
ten. Neben den vielfältigen kulturell-hi-   Ruland und dessen Frau das Fässchen
storischen und kirchlichen Veranstal-       und nahmen eine Probe: „Der Wein war
tungen im Zeichen der Salier, die das       süß und lieblich, und ehe sie es sich ver-
Jahr 2011 zu einem regelrechten „Sa-        sahen, war er ihnen im Kopf. Es mag ih-
lierjahr“ machen, stehen weitere Ereig-     nen fast ergangen seyn wie dem Noah,
nisse und Jubiläen, die nicht vergessen     da er das erstemal seinen Wein kostete.“
werden sollten.
So feiert Speyer in diesem Jahr ein         Ruland vermehrte bald die Reben und
weinbaugeschichtlich wichtiges Jubi-        sorgte als geschäftstüchtiger Handels-
läum: die „Entdeckung“ einer bis heute      mann für eine erhebliche Verbreitung
verbreiteten und erfolgreichen Weiß-
wein-Rebsorte. 1711 erkannte der
Speyerer Kaufmann Johann Seger Ru-
land († 1745) in einem von ihm erwor-
benen Speyerer Gartengrundstück den
Wert und die Besonderheit zweier Reb-
stöcke.
Ruland, der aus dem Gebiet der dama-
ligen Reichsstadt Frankfurt stammte,
war nach Lehrjahren in Straßburg nach
Speyer gekommen, wo er 1705 in die
angesehene Familie des Bürgermeisters
Stegmann einheiraten konnte. Nach
Stegmanns Tod wurde Ruland durch
Erbschaft zu einem wohlhabenden
Mann. 1709 erwarb er das in der Strei-
chergasse gelegene Gartengrundstück,
wo er im Jahr 1711 seine folgenreiche
„Entdeckung“ machte. Wir sind darü-
ber durch eine kleine Schrift des Speye-
rer Gymnasialkonrektors Georg Litzel
aus dem Jahr 1758 gut unterrichtet, die
man vom Stil her fast als moderne Wer-
bebroschüre bezeichnen möchte: „Hi-
storische Nachricht von dem Rheinwein
… und besonders von dem Speyerer            Georg Litzel, Historische Nachricht von
und Rulandswein“. Litzel berichtet,         dem…Speyerer und Rulandswein, Speyer
dass Ruland den Traubenmost der bei-        1758.
den Rebstöcke separat in ein kleines          (Titelblatt, Exemplar Stadtarchiv Speyer)

                                                                                     5
Verschiedene Landesherren sorgten
                                            mit Empfehlungen und Geboten für die
                                            Verbreitung des Ruländeranbaus in ih-
                                            ren Herrschaftsgebieten. Im Jahr 1782
                                            zählte zum Beispiel eine Anordnung
                                            des Speyerer Bischofs Damian August
                                            von Limburg-Styrum zur Anpflanzung
                                            neuer Reben die Rebsorte bereits aus-
                                            drücklich zu den hervorragenden Ge-
                                            wächsen, während Kurfürst Karl-Theo-
                                            dor für den Raum Neustadt einige
                                            Jahre früher neben Riesling, Traminer
                                            und Trötsch einzig und allein den Ru-
                                            länder für Neupflanzungen vorschrieb.
                                            Bei der mehr oder weniger zufälligen
                                            „Entdeckung“, die Johann Ruland in
                                            seinem Garten gemacht hatte, handelte
                                            es sich, wie wir heute wissen, um eine
                                            Mutation des Spät- bzw. Blauburgun-
                                            ders. Die rötlich-rot gefärbte Ruländer-
                                            rebe ist heute im deutschen Sprach-
                                            raum vor allem als „Grauburgunder“
Ruländer-Rebe (Zeichnung) aus Gok, C.F.,
                                            bekannt (eine eher trocken ausgebaute
Die Weinrebe und ihre Früchte, Stuttgart
                                            Variante), während die Bezeichnung
1836.               (Stadtarchiv Speyer)
                                            „Ruländer“ in der Regel den mehr tra-
der Rebsorte – auch über die Pfalz hin-     ditionellen, lieblichen Ausbau der Reb-
aus: „Man hat sie in das Gebuerge und       sorte aus reifen und zum Teil edelfaulen
in andere Landschaften geholet, und         Trauben meint. In Frankreich, aber
von denselben indessen viele hundert        auch in Australien und Luxemburg do-
Futer Wein gemachet.“                       miniert die Bezeichnung „Pinot gris“.
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts           In Italien ist der Wein als „Pinot grigio“
hatte in Speyer der „Ruländer“ (oder        bekannt (was zugleich als „modische“
wie er auch genannt wurde, der „Speye-      Bezeichnung weltweit en vogue ist).
rer“ bzw. „Vinum bonum“) bereits den        Im schweizerischen Wallis herrscht die
Gänsfüßer als beliebteste Rebsorte ver-     alte Bezeichnung „Malvoisie“ vor. Die
drängt. Der Gänsfüßer, eine sehr alte       im Elsaß lange Zeit gebräuchliche Sor-
rote Rebsorte mit charakteristischen        tenbezeichnung „Tokayer“ darf seit
Blättern, war schon im späten Mittelal-     kurzem aufgrund einer Klage aus Un-
ter in der Pfalz sehr verbreitet. Er ver-   garn (Weinanbaugebiet Tokajer) nicht
schwand nach und nach fast ganz aus         mehr verwendet werden.
dem Anbau und zählt heute zu den (lei-      Sicherlich waren die von Ruland gefun-
der) kaum noch bekannten Rebsorten.         denen Rebstöcke nicht die ersten oder
Der Gänsfüßer ist fast nur noch als         einzigen Pflanzen der Rebsorte im Sü-
Hausrebe in Verwendung, wird aber           den des deutschen Sprachraums, gehört
auch erfreulicher Weise wieder im           die Burgunderfamilie doch zu den sehr
„Versuchsanbau“ vom Staatsweingut           alten Rebsorten. Vermutlich gelangte
mit Johannitergut in Neustadt-Muß-          daher der Ruländer bereits im späten
bach gepflegt und kann dort auch ge-        Mittelalter von Frankreich in die
kauft werden.                               Schweiz und an den ungarischen Plat-

6
tensee, wo er (ebenso im nördlichen        Rebsorten sollten damit ausgeglichen
Burgenland) als „Grauer Mönch“ bzw.        werden. So brachten Sorten wie Trollin-
„Szürkebarat“ bezeichnet wurde und         ger oder Gutedel hohen Ertrag bei ge-
wird. In den 1560er Jahren soll die Reb-   ringem Mostgewicht, während es bei
sorte aus Ungarn an den badischen          Riesling oder Traminer genau umge-
Kaiserstuhl und in das Elsaß gelangt       kehrt war. Die von Ruland entdeckten
sein, woran heute noch ein Denkmal in      Reben vereinten gute Ertragssicherheit
Colmar erinnert.                           mit relativ hohem Mostgewicht, wes-
Wie dem auch sei, erst mit der Speyerer    halb die Trauben schon bald zum Ver-
„Entdeckung“ des Ruländers im Jahr         schnitt mit dem Riesling und anderen
1711 kam die Rebsorte in das Bewusst-      Sorten empfohlen wurden. Bereits in
sein des deutschen Weinbaus und fand       der Speyerer Schrift von Litzel heißt es:
rasche Verbreitung. Das Jahr 1711 darf     „Der Weinstock ist sehr fruchtbar. Die
demnach durchaus als Jahr der eigent-      Trauben sind braun, und die Beere nicht
lichen Entdeckung des Ruländers be-        gar zu groß: sind aber duennhaeutig und
zeichnet werden.                           geben viele Bruehe. Doch weil der Wein
                                           sehr zart ist, ist es gut, wenn auch Rueß-
Erfolgszug des Ruländers                   ling, Dramaenner [Traminer], oder an-
Was waren die Gründe für den Erfolg        derer rauher Wein darunter kommt, da-
des Ruländers seit dem 18. Jahrhun-        mit er sich desto laenger halte.“
dert? Im frühneuzeitlichen Weinbau         1844 wurde der Ruländer auf einer Ta-
herrschte der heute nur noch wenig ge-     gung von Fachleuten in Bad Dürkheim
bräuchliche „Gemischte Satz“ vor, das      als Sorte 1. Klasse bezeichnet, mit der
bedeutet, unterschiedliche Rebsorten       auch Weinbau in wenig begünstigten
wuchsen in einem Weingarten zusam-         Lagen lohnend sei. Hermann Goethe,
men und wurden auch gemeinsam ge-          einer der führenden Weinbauexperten
keltert. Die Vor- und Nachteile von        des späten 19. Jahrhunderts, beschrieb




Speyer mit Weinbergen, um 1862.
                             (Stadtarchiv Speyer, Graphiken und Ansichten Nr. 640)

                                                                                   7
in seinem „Handbuch der Ampelogra-           zum Wiederaufschwung des Ruländer-
phie“ den Ruländer wie folgt: „Der Ru-       anbaus beitrug. Alles in allem gilt die
länder ist mit zu den edelsten Keltertrau-   Rebsorte aber als relativ „schwierig“,
ben zu rechnen und liefert einen süßen,      da sie erheblich auf Klimaschwankun-
äußerst feinen, angenehmen Wein, wel-        gen reagiert und anfällig für Rebkrank-
cher sich hauptsächlich zur Champag-         heiten und Schädlinge ist.
ner-Fabrikation und zum Verschnitt mit       Hauptanbaugebiete des Ruländers in
Riesling eignet.“                            Deutschland sind heute die Pfalz und
                                             Rheinhessen sowie vor allem Baden.
Vom Ruländer zum Pinot grigio                Insgesamt wird er in Deutschland auf
Der mit einer 300-jährigen Geschichte        ca. 4.500 Hektar angebaut (ca. 4% der
altehrwürdige Ruländer hat seit seiner       Rebfläche), in der Schweiz und in
Entdeckung in Speyer einige Höhen            Österreich kommt er zusammen auf
und auch Tiefen erlebt, und in der Pfalz     über 500 Hektar. In Baden, wo der Ru-
wurde er zeitweise fast gänzlich vom         länder als zweitwichtigste weiße Sorte
Silvaner verdrängt.                          mehr als 10% der Rebfläche bedeckt,
Der Ruländer war im 19. Jahrhundert          wurde und wird daher auch der 300.
mit zunehmendem Anbau in seiner Er-          „Geburtstag“ des Ruländers im Jahr
tragsleistung zurückgefallen und verlor      2011 groß gefeiert: Vom 17. bis 19. Juni
daher an Bedeutung. Erst nach dem 1.         fanden z.B. in Endingen am Kaiserstuhl
Weltkrieg begann man mit einer ver-          Jubiläumsfeierlichkeiten im Rahmen
stärkten Auslese und der Vermehrung          des Grauburgunder-Symposiums statt;
der leistungsfähigsten Rebstöcke, was        international ausgeschriebene Graubur-




Ruländerpreis 2011(v.l.): Helmut Peter Koch, Oberbürgermeister Hansjörg Eger, Sarah
Bühler und Thomas Gries.                                        Foto: speyer-aktuell

8
gunderpreise wurden verliehen. Welt-       der Ruländer-Akademie, übergaben am
weit beträgt die Anbaufläche der Reb-      28. Juni im Rahmen eines Festakts im
sorte, die in den 1990er Jahren von        Rathaus die Preise. Der „Grauburgun-
Norditalien ausgehend einen regelrech-     derpreis“ ging an das Weingut Bühler
ten Boom erlebte, über 15.000 Hektar;      in Kallstadt für eine trockene 2010er
Schwerpunkte sind dabei neben Frank-       Grauburgunder Spätlese, während mit
reich (Elsaß) und Norditalien jetzt auch   dem „Ruländerpreis“ das Weingut
die USA, Au-                                                  Gries in Rhodt aus-
stralien     und                                              gezeichnet    wurde
Neuseeland.                                                   (2010er     Ruländer
                                                              Auslese     „Rhodter
Weinbrüder und                                                Ordensgut“).     Die
Ruländer-Aka-                                                 Preisträger erhielten
demie                                                         erstmals eine aus
Dies alles ist                                                Anlass des 300-jähri-
Grund genug,                                                  gen Jubiläums neu
auch an die                                                   geschaffene      Me-
Speyerer       Ur-                                            daille. Diese zeigt
sprünge        der                                            auf der Vorderseite
Rebsorte zu er-                                               eine mit Trauben ge-
innern! Im Mai                                                schmückte Frauen-
2011 begingen                                                 gestalt (siehe Titel-
die Weinbruder-                                               bild), über der eine
schaft der Pfalz                                              Ansicht der Stadt
und die Speye- Medaille „300 Jahre Ruländer-Rebe“ von Speyer zu sehen ist;
rer Ruländer- Peter Götz Güttler.                             die     Frauengestalt
Akademie mit                   Numismatischer Verein Speyer hält ein Banner mit
einer feierlichen                                             dem abgewandelten
Weinprobe im Forum des Historischen Titel der Schrift von Georg Litzel in ih-
Museums der Pfalz das 300-jährige Ju- ren Händen. Auf der Rückseite domi-
biläum der Rebsorte.                       niert der Schriftzug „300 Jahre Rulän-
Die 1982 gegründete Ruländer-Akade- der Rebe aus Speyer, 1711-2011“.
mie Speyer hat sich der Dokumentie-
rung der Herkunft und Verbreitung des Alte Weinstadt Speyer
Ruländers verschrieben. Der histori- Auch das Verständnis für die Bedeu-
sche Name „Ruländer“ für die Reb- tung der Stadt Speyer im historischen
sorte soll, so die Akademie, nicht in Ver- Weinhandel sowie als „Weinstadt“ wird
gessenheit geraten. Jährlich veranstaltet durch die Akademie gefördert. Dies ist
die Akademie einen „Ruländer-Wett- übrigens ein Thema, das nicht nur für
bewerb“, in dem je ein trocken und ein kleinere oder größere Ausstellungen
lieblich ausgebauter Wein der Rebsorte taugt, sondern durchaus auch für fach-
aus dem Anbaugebiet Pfalz prämiert wissenschaftlich-historische Forschun-
werden. Die Preisträger des 19. Rulän- gen oder Abschlussarbeiten an Univer-
der-Wettbewerbs (2011) wurden im sitäten. Die im Speyerer Stadtarchiv ge-
Juni von den Akademiemitgliedern im hüteten Akten und Urkunden der
Rahmen einer Blindverkostung gekürt. Reichsstadt Speyer vom Mittelalter an
Oberbürgermeister Hansjörg Eger und sind auch für weingeschichtliche Frage-
Helmut Peter Koch, Präsident des Sozi- stellungen sehr aussagekräftig. Speyer
algerichts Speyer sowie neuer Präsident war im Mittelalter ein wichtiger Um-

                                                                                 9
schlagplatz für den oberrheinischen        beschreibt die landwirtschaftliche Nut-
und vor allem pfälzischen Wein, der von    zung folgendermaßen: „Der Speyerer
hier aus zumeist nach Norden verschifft    Wein ist nicht der geringste unter den
wurde und als „Rheinwein“ dann über        Rheinweinen. Er hat vor vielen den Vor-
Frankfurt und Köln in den Hanseraum        zug. Das macht die Lage, und der gute
und nach Nordeuropa gelangte – Köln        Grund und Boden. … Man siehet oft auf
wurde regelrecht als „Weinhaus“ der        einem Acker zugleich Weinstoecke,
norddeutschen hansischen Städte be-        Obstbaeume, allerhand Kraeutelwerk
zeichnet.                                  und anders … . In diesem Speyerischen
Weinschankrechte und die „Wein-            Paradiß wachsen Mandeln, Reps zum
steuer“ (Weinungeld) bildeten in vielen    Oele, und Taback in Menge, und etliche
Städten, so auch in Speyer, den Anlass     Stunden davon Castanien in gantzen
für vielfältige Reibereien, vor allem      Waeldern. Anderer herrlichen Fruechten
zwischen Klerus und Bürgerschaft.          nicht zu gedencken.“
Wein war in Speyer zweifellos eine Art     Dass auch einzelne Bürger gut Buch zu
„Grundnahrungsmittel“, wobei die är-       führen verstanden, wenn es um ihren
meren Bevölkerungsteile sicherlich oft     eigenen Weinanbau ging, beweist das
auf mindere Qualitäten zweiter oder        im Stadtarchiv überlieferte „Herbst-
dritter Pressung oder auf Hefeweine        büchlein“ des Johann Michael Beutels-
zurückgreifen mussten. Für städtische      bacher, dessen Einträge im Jahr 1796
Oberschichten des Mittelalters hat man     einsetzen (Stadtarchiv Speyer, Bestand
einen durchschnittlichen täglichen         193-1 Nr. 2). Der Autor überschreibt
Weinverbrauch von knapp 1,3 Litern         das Ziel seines Buches so: „Schema,
pro Person errechnet – man sollte dabei    worinnen enthalten, was ich jährlich an
aber bedenken, dass diese Weine da-        trauben gemacht und wieviel wein die-
mals meist alkoholärmer waren.             selben geben, anfangend anno 1796.“
                                           Beutelsbacher berichtet also in dieser
Beutelsbachers Herbstbüchlein              hochinteressanten Quelle über seine
Speyer war nicht nur ein zentraler Um-     jährlichen Traubenernten in seinen
schlagplatz für Wein, sondern verfügte     Gärten (Rebzeilen) sowie von seinen
bis weit in das 19. Jahrhundert (und so-   „Hausreben“ und die daraus resultie-
gar länger) hinein über eine größere       renden Einnahmen. Beutelsbacher ver-
Anzahl von Weingärten. Seit dem 14.        fügte insgesamt über Rebpflanzungen
Jahrhundert ist eine Speyerer „Wein-       in neun Gärten, die er immer wieder
leutezunft“ („Rebleutezunft“) bekannt,     neu anlegte oder veränderte. Schlechte
zu der neben den Weingärtnern auch         Jahrgänge werden von ihm ebenso
Weinwirte und andere verwandte Be-         beim Namen genannt wie besonders
rufsgruppen zählten (Weinmesser, Kü-       gute Ernten. 1830 übergab Beutelsba-
fer usw.). Später sind die Weingärtner     cher dann seine Rebzeilen an seine
dann als Untergruppe der Gärtnerzunft      Kinder und erntete für sich nur noch im
erfasst. Gegen Ende des 18. Jahrhun-       eigenen Garten – das „Herbstbüchlein“
derts sind nur noch wenige hauptberuf-     endet mit dem Jahr 1835.
liche Weingärtner belegt. Der private      Beutelsbacher notierte in seinem Buch
bzw. nebenberufliche Weinbau spielte       auch eine kurze Beurteilung der Wein-
trotzdem weiterhin eine Rolle. Im Jahr     ernten (in Speyer?) vom Jahr 1644 (!)
1846 wurden immerhin noch 125.000          an bis eben zum besagten Jahr 1835.
Liter Speyerer Wein gekeltert. Georg       1711, im Jahr der Entdeckung des Ru-
Litzel, der im Jahr 1758 sein Loblied      länders, war die Ernte zum Beispiel
des Speyerer Ruländers veröffentlichte,    „mittelmäsig gut“, 1712 war sie dagegen

10
Auszug aus dem „Herbstbüchlein“ des Johann Michael Beutelsbacher.
                                        (Stadtarchiv Speyer, Bestand 193-1 Nr. 2).
sehr gut, während im Folgejahr der          ren wir wie beiläufig, zum Beispiel klet-
Frost die Reben stark in Mitleiden-         terte das Thermometer im Februar
schaft zog. Wir erfahren auch, dass im      1827 auf 22 Grad.
Jahr 1811 die Erträge „extra gut und
viel“ waren; Beutelsbacher spricht von      Speyerer Ruländer wiederbelebt
einem „Cometwein“ – gemeint ist, dass       Vom „Herbstbüchlein“ kommen wir
im Jahr 1811 der große Komet „Flau-         jetzt endgültig in die unmittelbare
gergues“ monatelang am Himmel sehr          Gegenwart zurück: Seit dem Jahr 1982
gut sichtbar war und im Oktober des         ist die Stadt wieder ganz offiziell Wein-
Jahres seine größte Helligkeit erreichte.   baugemeinde. Der damals neu ange-
Auch von hohen Temperaturen erfah-          legte Wingert am Speyerer „Tafelsbrun-

                                                                                  11
schnittlich bei 1.000 Litern. Im Jahr
                                          2010 waren es knapp 1.250 Liter, wobei
                                          die von der Stadt geernteten Trauben
                                          qualitätsmäßig zu den besten in der
                                          Pfalz gelesenen Ruländertrauben ge-
                                          hörten. Zweimal erhielt der Ruländer-
                                          wein der Stadt die „Bronzene Kammer-
                                          preismünze“ der Landwirtschaftskam-
                                          mer Rheinland-Pfalz.
                                          Nach der Lese werden die Trauben zur
                                          Lehr- und Versuchsanstalt für Weinbau
                                          in Neustadt (Dienstleistungszentrum
                                          Ländlicher Raum Rheinpfalz) transpor-
                                          tiert, wo der Wein gekeltert und für die
                                          Stadtverwaltung Speyer in 0,7-Liter-
                                          Flaschen abgefüllt wird. Der „Speyerer
                                          Ruländer“ ist, wenn man so will, ein re-
                                          gelrechter Repräsentationswein, der als
                                          städtisches Geschenk zu verschiedenen
Rebenpflege auf dem Ruländer-Weinberg     Anlässen gerne gesehen ist – und auch
am Tafelsbrunnen.        Stadtgärtnerei   gerne getrunken wird. Zu kaufen gibt
                                          es den Speyerer Ruländer allerdings
nen“ umfasst elf Rebzeilen mit ca. 660    nicht. Eine kleinere Anzahl der Fla-
Ruländer-Rebstöcken und wird von          schen wird in einer Art „Weinarchiv“
Mitarbeitern der städtischen Gärtnerei    (einem kleinen Weinkeller der Stadt-
gepflegt. Die Erntemenge liegt durch-     gärtnerei) aufgehoben.




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Vor 300 Jahren in Speyer "entdeckt"

  • 1. Dr. Joachim Kemper Vor 300 Jahren in Speyer „entdeckt“ Der „Speyerer“, auch „Vinum bonum“ oder Ruländer genannt Das Jahr 2011 ist für die Stadt Speyer Fass im Keller des Gartenhauses ab- ein Jahr der Jubiläen und Feierlichkei- füllte. Im folgenden Sommer öffneten ten. Neben den vielfältigen kulturell-hi- Ruland und dessen Frau das Fässchen storischen und kirchlichen Veranstal- und nahmen eine Probe: „Der Wein war tungen im Zeichen der Salier, die das süß und lieblich, und ehe sie es sich ver- Jahr 2011 zu einem regelrechten „Sa- sahen, war er ihnen im Kopf. Es mag ih- lierjahr“ machen, stehen weitere Ereig- nen fast ergangen seyn wie dem Noah, nisse und Jubiläen, die nicht vergessen da er das erstemal seinen Wein kostete.“ werden sollten. So feiert Speyer in diesem Jahr ein Ruland vermehrte bald die Reben und weinbaugeschichtlich wichtiges Jubi- sorgte als geschäftstüchtiger Handels- läum: die „Entdeckung“ einer bis heute mann für eine erhebliche Verbreitung verbreiteten und erfolgreichen Weiß- wein-Rebsorte. 1711 erkannte der Speyerer Kaufmann Johann Seger Ru- land († 1745) in einem von ihm erwor- benen Speyerer Gartengrundstück den Wert und die Besonderheit zweier Reb- stöcke. Ruland, der aus dem Gebiet der dama- ligen Reichsstadt Frankfurt stammte, war nach Lehrjahren in Straßburg nach Speyer gekommen, wo er 1705 in die angesehene Familie des Bürgermeisters Stegmann einheiraten konnte. Nach Stegmanns Tod wurde Ruland durch Erbschaft zu einem wohlhabenden Mann. 1709 erwarb er das in der Strei- chergasse gelegene Gartengrundstück, wo er im Jahr 1711 seine folgenreiche „Entdeckung“ machte. Wir sind darü- ber durch eine kleine Schrift des Speye- rer Gymnasialkonrektors Georg Litzel aus dem Jahr 1758 gut unterrichtet, die man vom Stil her fast als moderne Wer- bebroschüre bezeichnen möchte: „Hi- storische Nachricht von dem Rheinwein … und besonders von dem Speyerer Georg Litzel, Historische Nachricht von und Rulandswein“. Litzel berichtet, dem…Speyerer und Rulandswein, Speyer dass Ruland den Traubenmost der bei- 1758. den Rebstöcke separat in ein kleines (Titelblatt, Exemplar Stadtarchiv Speyer) 5
  • 2. Verschiedene Landesherren sorgten mit Empfehlungen und Geboten für die Verbreitung des Ruländeranbaus in ih- ren Herrschaftsgebieten. Im Jahr 1782 zählte zum Beispiel eine Anordnung des Speyerer Bischofs Damian August von Limburg-Styrum zur Anpflanzung neuer Reben die Rebsorte bereits aus- drücklich zu den hervorragenden Ge- wächsen, während Kurfürst Karl-Theo- dor für den Raum Neustadt einige Jahre früher neben Riesling, Traminer und Trötsch einzig und allein den Ru- länder für Neupflanzungen vorschrieb. Bei der mehr oder weniger zufälligen „Entdeckung“, die Johann Ruland in seinem Garten gemacht hatte, handelte es sich, wie wir heute wissen, um eine Mutation des Spät- bzw. Blauburgun- ders. Die rötlich-rot gefärbte Ruländer- rebe ist heute im deutschen Sprach- raum vor allem als „Grauburgunder“ Ruländer-Rebe (Zeichnung) aus Gok, C.F., bekannt (eine eher trocken ausgebaute Die Weinrebe und ihre Früchte, Stuttgart Variante), während die Bezeichnung 1836. (Stadtarchiv Speyer) „Ruländer“ in der Regel den mehr tra- der Rebsorte – auch über die Pfalz hin- ditionellen, lieblichen Ausbau der Reb- aus: „Man hat sie in das Gebuerge und sorte aus reifen und zum Teil edelfaulen in andere Landschaften geholet, und Trauben meint. In Frankreich, aber von denselben indessen viele hundert auch in Australien und Luxemburg do- Futer Wein gemachet.“ miniert die Bezeichnung „Pinot gris“. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts In Italien ist der Wein als „Pinot grigio“ hatte in Speyer der „Ruländer“ (oder bekannt (was zugleich als „modische“ wie er auch genannt wurde, der „Speye- Bezeichnung weltweit en vogue ist). rer“ bzw. „Vinum bonum“) bereits den Im schweizerischen Wallis herrscht die Gänsfüßer als beliebteste Rebsorte ver- alte Bezeichnung „Malvoisie“ vor. Die drängt. Der Gänsfüßer, eine sehr alte im Elsaß lange Zeit gebräuchliche Sor- rote Rebsorte mit charakteristischen tenbezeichnung „Tokayer“ darf seit Blättern, war schon im späten Mittelal- kurzem aufgrund einer Klage aus Un- ter in der Pfalz sehr verbreitet. Er ver- garn (Weinanbaugebiet Tokajer) nicht schwand nach und nach fast ganz aus mehr verwendet werden. dem Anbau und zählt heute zu den (lei- Sicherlich waren die von Ruland gefun- der) kaum noch bekannten Rebsorten. denen Rebstöcke nicht die ersten oder Der Gänsfüßer ist fast nur noch als einzigen Pflanzen der Rebsorte im Sü- Hausrebe in Verwendung, wird aber den des deutschen Sprachraums, gehört auch erfreulicher Weise wieder im die Burgunderfamilie doch zu den sehr „Versuchsanbau“ vom Staatsweingut alten Rebsorten. Vermutlich gelangte mit Johannitergut in Neustadt-Muß- daher der Ruländer bereits im späten bach gepflegt und kann dort auch ge- Mittelalter von Frankreich in die kauft werden. Schweiz und an den ungarischen Plat- 6
  • 3. tensee, wo er (ebenso im nördlichen Rebsorten sollten damit ausgeglichen Burgenland) als „Grauer Mönch“ bzw. werden. So brachten Sorten wie Trollin- „Szürkebarat“ bezeichnet wurde und ger oder Gutedel hohen Ertrag bei ge- wird. In den 1560er Jahren soll die Reb- ringem Mostgewicht, während es bei sorte aus Ungarn an den badischen Riesling oder Traminer genau umge- Kaiserstuhl und in das Elsaß gelangt kehrt war. Die von Ruland entdeckten sein, woran heute noch ein Denkmal in Reben vereinten gute Ertragssicherheit Colmar erinnert. mit relativ hohem Mostgewicht, wes- Wie dem auch sei, erst mit der Speyerer halb die Trauben schon bald zum Ver- „Entdeckung“ des Ruländers im Jahr schnitt mit dem Riesling und anderen 1711 kam die Rebsorte in das Bewusst- Sorten empfohlen wurden. Bereits in sein des deutschen Weinbaus und fand der Speyerer Schrift von Litzel heißt es: rasche Verbreitung. Das Jahr 1711 darf „Der Weinstock ist sehr fruchtbar. Die demnach durchaus als Jahr der eigent- Trauben sind braun, und die Beere nicht lichen Entdeckung des Ruländers be- gar zu groß: sind aber duennhaeutig und zeichnet werden. geben viele Bruehe. Doch weil der Wein sehr zart ist, ist es gut, wenn auch Rueß- Erfolgszug des Ruländers ling, Dramaenner [Traminer], oder an- Was waren die Gründe für den Erfolg derer rauher Wein darunter kommt, da- des Ruländers seit dem 18. Jahrhun- mit er sich desto laenger halte.“ dert? Im frühneuzeitlichen Weinbau 1844 wurde der Ruländer auf einer Ta- herrschte der heute nur noch wenig ge- gung von Fachleuten in Bad Dürkheim bräuchliche „Gemischte Satz“ vor, das als Sorte 1. Klasse bezeichnet, mit der bedeutet, unterschiedliche Rebsorten auch Weinbau in wenig begünstigten wuchsen in einem Weingarten zusam- Lagen lohnend sei. Hermann Goethe, men und wurden auch gemeinsam ge- einer der führenden Weinbauexperten keltert. Die Vor- und Nachteile von des späten 19. Jahrhunderts, beschrieb Speyer mit Weinbergen, um 1862. (Stadtarchiv Speyer, Graphiken und Ansichten Nr. 640) 7
  • 4. in seinem „Handbuch der Ampelogra- zum Wiederaufschwung des Ruländer- phie“ den Ruländer wie folgt: „Der Ru- anbaus beitrug. Alles in allem gilt die länder ist mit zu den edelsten Keltertrau- Rebsorte aber als relativ „schwierig“, ben zu rechnen und liefert einen süßen, da sie erheblich auf Klimaschwankun- äußerst feinen, angenehmen Wein, wel- gen reagiert und anfällig für Rebkrank- cher sich hauptsächlich zur Champag- heiten und Schädlinge ist. ner-Fabrikation und zum Verschnitt mit Hauptanbaugebiete des Ruländers in Riesling eignet.“ Deutschland sind heute die Pfalz und Rheinhessen sowie vor allem Baden. Vom Ruländer zum Pinot grigio Insgesamt wird er in Deutschland auf Der mit einer 300-jährigen Geschichte ca. 4.500 Hektar angebaut (ca. 4% der altehrwürdige Ruländer hat seit seiner Rebfläche), in der Schweiz und in Entdeckung in Speyer einige Höhen Österreich kommt er zusammen auf und auch Tiefen erlebt, und in der Pfalz über 500 Hektar. In Baden, wo der Ru- wurde er zeitweise fast gänzlich vom länder als zweitwichtigste weiße Sorte Silvaner verdrängt. mehr als 10% der Rebfläche bedeckt, Der Ruländer war im 19. Jahrhundert wurde und wird daher auch der 300. mit zunehmendem Anbau in seiner Er- „Geburtstag“ des Ruländers im Jahr tragsleistung zurückgefallen und verlor 2011 groß gefeiert: Vom 17. bis 19. Juni daher an Bedeutung. Erst nach dem 1. fanden z.B. in Endingen am Kaiserstuhl Weltkrieg begann man mit einer ver- Jubiläumsfeierlichkeiten im Rahmen stärkten Auslese und der Vermehrung des Grauburgunder-Symposiums statt; der leistungsfähigsten Rebstöcke, was international ausgeschriebene Graubur- Ruländerpreis 2011(v.l.): Helmut Peter Koch, Oberbürgermeister Hansjörg Eger, Sarah Bühler und Thomas Gries. Foto: speyer-aktuell 8
  • 5. gunderpreise wurden verliehen. Welt- der Ruländer-Akademie, übergaben am weit beträgt die Anbaufläche der Reb- 28. Juni im Rahmen eines Festakts im sorte, die in den 1990er Jahren von Rathaus die Preise. Der „Grauburgun- Norditalien ausgehend einen regelrech- derpreis“ ging an das Weingut Bühler ten Boom erlebte, über 15.000 Hektar; in Kallstadt für eine trockene 2010er Schwerpunkte sind dabei neben Frank- Grauburgunder Spätlese, während mit reich (Elsaß) und Norditalien jetzt auch dem „Ruländerpreis“ das Weingut die USA, Au- Gries in Rhodt aus- stralien und gezeichnet wurde Neuseeland. (2010er Ruländer Auslese „Rhodter Weinbrüder und Ordensgut“). Die Ruländer-Aka- Preisträger erhielten demie erstmals eine aus Dies alles ist Anlass des 300-jähri- Grund genug, gen Jubiläums neu auch an die geschaffene Me- Speyerer Ur- daille. Diese zeigt sprünge der auf der Vorderseite Rebsorte zu er- eine mit Trauben ge- innern! Im Mai schmückte Frauen- 2011 begingen gestalt (siehe Titel- die Weinbruder- bild), über der eine schaft der Pfalz Ansicht der Stadt und die Speye- Medaille „300 Jahre Ruländer-Rebe“ von Speyer zu sehen ist; rer Ruländer- Peter Götz Güttler. die Frauengestalt Akademie mit Numismatischer Verein Speyer hält ein Banner mit einer feierlichen dem abgewandelten Weinprobe im Forum des Historischen Titel der Schrift von Georg Litzel in ih- Museums der Pfalz das 300-jährige Ju- ren Händen. Auf der Rückseite domi- biläum der Rebsorte. niert der Schriftzug „300 Jahre Rulän- Die 1982 gegründete Ruländer-Akade- der Rebe aus Speyer, 1711-2011“. mie Speyer hat sich der Dokumentie- rung der Herkunft und Verbreitung des Alte Weinstadt Speyer Ruländers verschrieben. Der histori- Auch das Verständnis für die Bedeu- sche Name „Ruländer“ für die Reb- tung der Stadt Speyer im historischen sorte soll, so die Akademie, nicht in Ver- Weinhandel sowie als „Weinstadt“ wird gessenheit geraten. Jährlich veranstaltet durch die Akademie gefördert. Dies ist die Akademie einen „Ruländer-Wett- übrigens ein Thema, das nicht nur für bewerb“, in dem je ein trocken und ein kleinere oder größere Ausstellungen lieblich ausgebauter Wein der Rebsorte taugt, sondern durchaus auch für fach- aus dem Anbaugebiet Pfalz prämiert wissenschaftlich-historische Forschun- werden. Die Preisträger des 19. Rulän- gen oder Abschlussarbeiten an Univer- der-Wettbewerbs (2011) wurden im sitäten. Die im Speyerer Stadtarchiv ge- Juni von den Akademiemitgliedern im hüteten Akten und Urkunden der Rahmen einer Blindverkostung gekürt. Reichsstadt Speyer vom Mittelalter an Oberbürgermeister Hansjörg Eger und sind auch für weingeschichtliche Frage- Helmut Peter Koch, Präsident des Sozi- stellungen sehr aussagekräftig. Speyer algerichts Speyer sowie neuer Präsident war im Mittelalter ein wichtiger Um- 9
  • 6. schlagplatz für den oberrheinischen beschreibt die landwirtschaftliche Nut- und vor allem pfälzischen Wein, der von zung folgendermaßen: „Der Speyerer hier aus zumeist nach Norden verschifft Wein ist nicht der geringste unter den wurde und als „Rheinwein“ dann über Rheinweinen. Er hat vor vielen den Vor- Frankfurt und Köln in den Hanseraum zug. Das macht die Lage, und der gute und nach Nordeuropa gelangte – Köln Grund und Boden. … Man siehet oft auf wurde regelrecht als „Weinhaus“ der einem Acker zugleich Weinstoecke, norddeutschen hansischen Städte be- Obstbaeume, allerhand Kraeutelwerk zeichnet. und anders … . In diesem Speyerischen Weinschankrechte und die „Wein- Paradiß wachsen Mandeln, Reps zum steuer“ (Weinungeld) bildeten in vielen Oele, und Taback in Menge, und etliche Städten, so auch in Speyer, den Anlass Stunden davon Castanien in gantzen für vielfältige Reibereien, vor allem Waeldern. Anderer herrlichen Fruechten zwischen Klerus und Bürgerschaft. nicht zu gedencken.“ Wein war in Speyer zweifellos eine Art Dass auch einzelne Bürger gut Buch zu „Grundnahrungsmittel“, wobei die är- führen verstanden, wenn es um ihren meren Bevölkerungsteile sicherlich oft eigenen Weinanbau ging, beweist das auf mindere Qualitäten zweiter oder im Stadtarchiv überlieferte „Herbst- dritter Pressung oder auf Hefeweine büchlein“ des Johann Michael Beutels- zurückgreifen mussten. Für städtische bacher, dessen Einträge im Jahr 1796 Oberschichten des Mittelalters hat man einsetzen (Stadtarchiv Speyer, Bestand einen durchschnittlichen täglichen 193-1 Nr. 2). Der Autor überschreibt Weinverbrauch von knapp 1,3 Litern das Ziel seines Buches so: „Schema, pro Person errechnet – man sollte dabei worinnen enthalten, was ich jährlich an aber bedenken, dass diese Weine da- trauben gemacht und wieviel wein die- mals meist alkoholärmer waren. selben geben, anfangend anno 1796.“ Beutelsbacher berichtet also in dieser Beutelsbachers Herbstbüchlein hochinteressanten Quelle über seine Speyer war nicht nur ein zentraler Um- jährlichen Traubenernten in seinen schlagplatz für Wein, sondern verfügte Gärten (Rebzeilen) sowie von seinen bis weit in das 19. Jahrhundert (und so- „Hausreben“ und die daraus resultie- gar länger) hinein über eine größere renden Einnahmen. Beutelsbacher ver- Anzahl von Weingärten. Seit dem 14. fügte insgesamt über Rebpflanzungen Jahrhundert ist eine Speyerer „Wein- in neun Gärten, die er immer wieder leutezunft“ („Rebleutezunft“) bekannt, neu anlegte oder veränderte. Schlechte zu der neben den Weingärtnern auch Jahrgänge werden von ihm ebenso Weinwirte und andere verwandte Be- beim Namen genannt wie besonders rufsgruppen zählten (Weinmesser, Kü- gute Ernten. 1830 übergab Beutelsba- fer usw.). Später sind die Weingärtner cher dann seine Rebzeilen an seine dann als Untergruppe der Gärtnerzunft Kinder und erntete für sich nur noch im erfasst. Gegen Ende des 18. Jahrhun- eigenen Garten – das „Herbstbüchlein“ derts sind nur noch wenige hauptberuf- endet mit dem Jahr 1835. liche Weingärtner belegt. Der private Beutelsbacher notierte in seinem Buch bzw. nebenberufliche Weinbau spielte auch eine kurze Beurteilung der Wein- trotzdem weiterhin eine Rolle. Im Jahr ernten (in Speyer?) vom Jahr 1644 (!) 1846 wurden immerhin noch 125.000 an bis eben zum besagten Jahr 1835. Liter Speyerer Wein gekeltert. Georg 1711, im Jahr der Entdeckung des Ru- Litzel, der im Jahr 1758 sein Loblied länders, war die Ernte zum Beispiel des Speyerer Ruländers veröffentlichte, „mittelmäsig gut“, 1712 war sie dagegen 10
  • 7. Auszug aus dem „Herbstbüchlein“ des Johann Michael Beutelsbacher. (Stadtarchiv Speyer, Bestand 193-1 Nr. 2). sehr gut, während im Folgejahr der ren wir wie beiläufig, zum Beispiel klet- Frost die Reben stark in Mitleiden- terte das Thermometer im Februar schaft zog. Wir erfahren auch, dass im 1827 auf 22 Grad. Jahr 1811 die Erträge „extra gut und viel“ waren; Beutelsbacher spricht von Speyerer Ruländer wiederbelebt einem „Cometwein“ – gemeint ist, dass Vom „Herbstbüchlein“ kommen wir im Jahr 1811 der große Komet „Flau- jetzt endgültig in die unmittelbare gergues“ monatelang am Himmel sehr Gegenwart zurück: Seit dem Jahr 1982 gut sichtbar war und im Oktober des ist die Stadt wieder ganz offiziell Wein- Jahres seine größte Helligkeit erreichte. baugemeinde. Der damals neu ange- Auch von hohen Temperaturen erfah- legte Wingert am Speyerer „Tafelsbrun- 11
  • 8. schnittlich bei 1.000 Litern. Im Jahr 2010 waren es knapp 1.250 Liter, wobei die von der Stadt geernteten Trauben qualitätsmäßig zu den besten in der Pfalz gelesenen Ruländertrauben ge- hörten. Zweimal erhielt der Ruländer- wein der Stadt die „Bronzene Kammer- preismünze“ der Landwirtschaftskam- mer Rheinland-Pfalz. Nach der Lese werden die Trauben zur Lehr- und Versuchsanstalt für Weinbau in Neustadt (Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz) transpor- tiert, wo der Wein gekeltert und für die Stadtverwaltung Speyer in 0,7-Liter- Flaschen abgefüllt wird. Der „Speyerer Ruländer“ ist, wenn man so will, ein re- gelrechter Repräsentationswein, der als städtisches Geschenk zu verschiedenen Rebenpflege auf dem Ruländer-Weinberg Anlässen gerne gesehen ist – und auch am Tafelsbrunnen. Stadtgärtnerei gerne getrunken wird. Zu kaufen gibt es den Speyerer Ruländer allerdings nen“ umfasst elf Rebzeilen mit ca. 660 nicht. Eine kleinere Anzahl der Fla- Ruländer-Rebstöcken und wird von schen wird in einer Art „Weinarchiv“ Mitarbeitern der städtischen Gärtnerei (einem kleinen Weinkeller der Stadt- gepflegt. Die Erntemenge liegt durch- gärtnerei) aufgehoben. 12