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Jahreskonferenz
Musikland Niedersachsen
2010

5. Treffen Musikvermittlungsteam

Herausforderung Musikvermittlung -
Werkstatt des Musikvermittlungs-
teams zu Hürden im Arbeitsalltag

Moderation: Anne Benjes, Musikland
Niedersachsen

Das Treffen fand am Vormittag des er-
sten Tages der Musikland Jahreskonfe-
renz 2010 in der Landesmusikakademie                       Sie sprach von Nöten und Freuden in der
Niedersachsen in Wolfenbüttel statt. Mit                   Kooperationsarbeit. Wichtig sei es, zwei
einem Rückblick auf die Aktionswoche                       grundlegend verschiedene Herange-
Ohrenschmaus, welche vom 20. – 26.                         hensweisen in der Arbeit mit Koope-
September 2010 stattgefunden hatte,                        rationspartnern zu unterscheiden: Ent-
wurde die Sitzung eröffnet. Frau Benjes                    weder eine gute Idee ist vorhanden, zu
stellte fest, dass die landesweite Medien-                 der der passende (ggf. neue) Kooperati-
aufmerksamkeit z. B. durch das NDR                         onspartner gesucht wird oder man geht
Fernsehen vielen Projekten zugute kam.                     von einem langjährigen bewährten Part-
Die Woche wurde vom Musikland-                             ner aus und kreiert das passende Pro-
Filmteam begleitet. Ein Video-                             jekt, z.B. bei veränderten Rahmenbedin-
Zusammenschnitt der Projekte ist auf                       gungen (Bsp. Ganztagsschulen).
der Musikland-Homepage einsehbar. Der
Wunsch nach einer Fortführung einer                        Nach dieser Unterscheidung gebe es
solchen Aktionswoche wurde ausgespro-                      mehrere Punkte, die die Kooperationsar-
chen, wenn möglich zukünftig mit mehr                      beit erleichtern könnten: Einen Koopera-
Kooperationspartnern und Projekten.                        tionsvertrag, der langjährig oder für ein-
                                                           zelne Projekte geschlossen wird, könne
Die eigentliche Sitzung widmete sich                       die Ziele klar formulieren und somit Fra-
Hürden der Musikvermittlung im Arbeits-                    gen wie die Finanzierung, die Dokumen-
alltag: möglichen Schwierigkeiten in der                   tation und Präsentation schon im Voraus
Zusammenarbeit mit Kooperationspart-                       klären. Als weitere Hürden nannte Kahl-
nern, Fragen nach Zielgruppen sowie der                    mann logistische Fragen wie die Bereit-
Stellung und Funktion von Musikvermitt-                    stellung von Instrumenten, Transportfra-
lung innerhalb der eigenen Organisation.                   gen, den Austausch von Kontaktdaten
Vier Impulsreferate aus dem Team ga-                       (beispielsweise mit LehrerInnen und El-
ben Einblick in die unterschiedlichen Er-                  tern) sowie Zeit und Ort einer Veranstal-
fahrungen auf diesem Gebiet und stan-                      tung. Diese Fragen im Voraus zu klären,
den stellvertretend für die jeweilige Hür-                 könne Kollisionen mit Konkurrenzveran-
de. Sie gaben Anlass zum Gespräch.                         staltungen und plötzliche Überraschun-
                                                           gen vermeiden. Als Tipp riet Kahlmann,
Für die „Zusammenarbeit mit Kooperati-                     auch bei guter Organisation flexibel zu
onspartnern“ gab Denise Kahlmann von                       bleiben sowie, wenn möglich, DozentIn-
Musik in Hainholz/Musikzentrum Hanno-                      nen, LehrerInnen oder Eltern in organi-
ver einen Einblick in ihre Arbeit.                         satorische Fragen einzubinden.

     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – Protokoll 5. Treff Musikvermittlungsteam – Seite 1 von 3
Das zweite Impulsreferat zur Hürde „Ko-                    dung unterschiedlicher Ensembles und
operationspartner“ wurde von Martin                        Chöre der Region, aber auch nicht direkt
Heubach und Ruth Emanuel von Concer-                       mit Kulturveranstaltungen in Verbindung
to Gandersheim gehalten.                                   gebrachte Partner, etwa Cafés oder örtli-
Concerto Gandersheim war durch die                         che Vereine wie die Feuerwehr. Letztere
Gründung eines Trägervereins zusätzlich                    bringen kulinarische Kompetenzen oder
zum kirchenmusikalischen Angebot der                       Erfahrungen im Organisieren von örtli-
Gemeinde Bad Gandersheim in Südnie-                        chen Festen mit. Durch die Schaffung
dersachsen entstanden. Die letzten zehn                    neuer Kooperationen kann gleichzeitig
Jahre galt die Arbeit allen möglichen Mu-                  auch ein erweitertes Publikum angespro-
sikern, vom Kinderchor bis zum profes-                     chen werden.
sionellen Vokalensemble. Martin Heu-
bach ist Intendant der Gandersheimer                       Hilfreich für den Informationsaustausch
Dommusiken.                                                und für die Vernetzung von Kulturveran-
                                                           staltern könne ein Runder Tisch nach Art
                                                           der „Hauptsache Kultur“-Treffen in Bad
                                                           Gandersheim sein. Heubach nannte hier
                                                           die klaren Vorteile für den ländlichen
                                                           Raum, sich auszutauschen und gegebe-
                                                           nenfalls ein gemeinsames Marketing zu
                                                           betreiben. Die Idee, den regionalen Tou-
                                                           rismus durch Kulturveranstaltungen zu
                                                           fördern, biete neue Möglichkeiten der
                                                           Kooperationen auf dem Land.


Ausgehend von den Internationalen                          Abschließend für die Hürde Kooperati-
Gandersheimer Dommusiktagen sprach                         onspartner wurde der Wunsch nach ei-
Heubach vom Vorteil eines solchen Festi-                   nem verstärkten Erfahrungs- und Infor-
vals für örtliche Kulturveranstalter auf                   mationsaustausch der Musikvermittler
dem Land, das auch kleineren Veranstal-                    untereinander angesprochen. Ein ge-
tern Aufmerksamkeit bringe, die sie                        meinsamer Verteiler wurde angeregt,
sonst nicht hätten.                                        woraufhin Frau Benjes auf Hans Walter
                                                           vom Referat „Musikalische und künstleri-
Die Kooperationen betreffend, setzt                        sche Bildung“ des Niedersächsischen
Heubach in seiner Arbeit darauf, Kompe-                    Kulturministeriums verwies, welcher in-
tenzen des jeweiligen Partners zu er-                      teressierte Musiklehrer regelmäßig mit
schließen und zu nutzen, was Synergie-                     Informationen versorgt und über einen
Effekte mit sich bringe. Kooperationen                     funktionierenden Verteiler verfüge. Ein
mit der Wirtschaft beispielsweise bieten                   Terminabgleich, wie es beispielsweise
oftmals finanzielle Förderung, jedoch                      das Chorleitertreffen Hannover macht,
auch die Möglichkeit, ungewöhnliche Auf-                   wurde hauptsächlich für urbane Räume
führungsorte zu bespielen. Beispiele für                   als sinnvoll erachtet. In der Diskussion
die Erschließung solcher neuer und un-                     um Verträge kristallisierte sich heraus,
gewöhnlicher Räume für geistliche Musik                    dass Verträge mit Kooperationspartnern
waren ein Konzert in einer Burg sowie                      eine Augenmaßfrage seien, je nach Art
die Idee, das Weihnachtsoratorium in ei-                   des Partners und Größe des Projekts. Als
ner leer stehenden, kathedralengleichen                    psychologische Absicherung könnten die-
Papierfabrik aufzuführen. Als weitere                      se jedoch oft hilfreich sein. Beispielver-
Beispiele für Kooperationen in seiner ei-                  träge und Checklisten sollen demnächst
genen Arbeit nannte Heubach die Einbin-                    auf www.musikland-niedersachsen.de im


     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – Protokoll 5. Treff Musikvermittlungsteam – Seite 2 von 3
Bereich Musikvermittlung zur Verfügung                     gen „key persons“ und die richtige Szene
gestellt werden. Dazu bittet Frau Benjes                   anzusprechen sei die Kunst dabei. Als
die Mitglieder des Teams um Zusendung                      Mittler für unterschiedliche Kultur-
von (Muster-)Verträgen und Arbeitshil-                     Länder-Vereine zu fungieren gelinge
fen, die auf der Plattform veröffentlicht                  nicht immer, notfalls müsse man sich für
werden können.                                             einen Partner entscheiden.

Die Frage nach dem ideellen Gewinn für
Sponsoren eines Projekts wurde mit der
Notwendigkeit der Identifikation eines
Produkts mit örtlichen Partnern beant-
wortet. Mitarbeiterkarten und eine
Imageaufwertung des Unternehmens
seien zudem motivierend für Unterneh-
men, sich für Kulturprojekte einzusetzen.
Es wurde festgestellt, dass in der Koope-
ration mit Schulen persönliche Kontakte
sehr wichtig seien, da allgemeine Anfra-
gen an Schulen oftmals nicht beachtet                      Zur „Stellung und Funktion von Musik-
werden. Bei einer kontinuierlichen Arbeit                  vermittlung innerhalb der eigenen Orga-
sei die Vertrauensbasis leichter herzu-                    nisation“ sprach Hermann Baumann von
stellen als bei einmaligen Projekten oder                  den Internationalen Händel-Festspielen
Festivals.                                                 Göttingen. Musikvermittlung sei aus sei-
                                                           ner Sicht eine gesamtgesellschaftliche,
                                                           politische Aufgabe und nicht allein Sache
Zur Hürde „Zielgruppen“ bot ein Impuls-                    der Institutionen wie der Orchester. Kür-
referat von Christoph Sure, Geschäfts-                     zungen im Musikunterricht könne man
führer des MASALA Welt-Beat Festi-                         deshalb nicht einfach hinnehmen. Auf die
vals/Pavillon Hannover Einblick in die Ar-                 Frage, was Orchester tun könnten, um
beit mit internationalem Publikum. Sure                    zur Bildung im Bereich Musik beizutra-
sprach von der „Marke MASALA“, die in-                     gen, bemerkte Baumann, dass bei
zwischen ein Stammpublikum gefunden                        Klangkörpern wie großen Orchestern ein
hat, aber auch von länderspezifischen                      Programm rund um bestehende Projekte
Fans, die einzelne Konzerte besuchten.                     entwickelt werden müsse. Er ergänzte,
Ausgehend von den Afrikanischen Näch-                      dass man Kinder schon im frühen Alter
ten in den Achtzigerjahren hat sich das                    an die klassische Musik in Konzerten he-
Festival verändert, etabliert und kann in-                 ranführen müsse, indem man beispiels-
zwischen auch Experimente wagen.                           weise eine Kinderbetreuung während ei-
                                                           ner Hälfte der Konzerte anbiete. Als Bei-
Wichtig für die Ansprache der Zielgrup-                    spiel einer Forderung an die Politik wurde
pen eines Konzertes sei es, den richtigen                  die Notwendigkeit einer musikalischen
Ton zu treffen. Auch Plakate und persön-                   Ausbildung für Erzieherinnen von einer
liche Kontakte zu Zielgruppenvereinen,                     Teilnehmerin erwähnt.
wie beispielsweise länderspezifischen
Kulturvereinen, seien unumgänglich.                        Ein Ausblick auf das nächste Treffen des
Ständig Kontakt zum Stammpublikum zu                       Musikvermittlungsteams, das Ende Fe-
halten und gleichzeitig neue Zielgruppen                   bruar/Anfang März 2011 stattfinden
anzusprechen sei das Ideal. Wie Heu-                       wird, beendete die Sitzung.
bach, sprach auch Sure von den Kompe-
tenzen und Interessen der Partner, hier
im Hinblick auf das Publikum. Die richti-                   Das Protokoll führte Mechthild Schlumberger.


     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – Protokoll 5. Treff Musikvermittlungsteam – Seite 3 von 3
Grußwort des Niedersäch-
sischen Ministeriums für
Wissenschaft und Kultur

Referent: Detlef Lehmbruck, Refe-
ratsleiters Musik/Theater im


Sehr geehrte Frau Abgeordnete Behrens,

Sehr geehrter Herr Prof. Kemmelmeyer,
                                                          über Deutschland hinaus gerichtet ha-
Sehr geehrter Herr Werren,                                ben. Die erneut exponentiell angestiege-
                                                          ne Teilnehmerzahl belegt die Unverzicht-
Sehr geehrter Herr Koch,                                  barkeit des Unterfangens.

liebe Musikerinnen und Musiker,                           Nicht zuletzt für das Land Niedersachsen
                                                          ist es besonders erfreulich, dass Sie das
Im Namen von Frau Ministerin Prof. Dr.
                                                          Thema Singen gewählt haben. Nicht weil
Wanka, die heute leider nicht bei Ihnen
                                                          dieses Thema besonders originell wäre –
sein kann, Herrn Staatssekretär Dr. Lan-
                                                          Singen war zu allen Zeiten Thema. Man
ge und Frau Dr. Schwandner freue ich
                                                          könnte auch meinen, es sei alles über
mich sehr, dass ich Ihnen die herzlichen
                                                          das Singen gesagt. Das Musikland Nie-
Grüße der niedersächsischen Landesre-
                                                          dersachsen ist jedoch berechtigterweise
gierung überbringen kann.
                                                          nicht dieser Meinung. Viele historische
Die Jahreskonferenzen von Musikland                       Beispiele des Redens über das Singen
Niedersachsen sind gleichsam die ideal-                   könnten das belegen. Hier mag eines für
typischen Verwirklichungen des Musik-                     viele stehen:
land-Gedankens. Sie leben vor, was ei-
                                                          „Wir haben Schubertlieder gesungen und
ner der Grundgedanken der Projektträ-
                                                          neu gelernt, ach, Du solltest sie hören,
ger von Musikland Niedersachsen war:
                                                          sie sind wunderbar …Den 'Wanderer an
Vernetzung der Musikmacher und fachli-
                                                          den Mond' finde ich immer schöner …
cher Austausch mit dem Ziel, einen an-
                                                          Durch den ganzen ersten Teil der erden-
dauernden Diskurs über Qualitätsmaß-
                                                          schwere Schritt des Wanderers 'Ich wan-
stäbe zu etablieren. Dabei wird sich auch
                                                          dre fremd von Land zu Land, so heimat-
in diesen Tagen erweisen, dass sich Mu-
                                                          los, so unbekannt'. Dann aber lösen sich
sikkultur in ihrer Vielfalt hervorragend
                                                          die Akkorde auf in gebrochene, das
für die Beschäftigung mit best-practice-
                                                          klingt wunderbar frei und so rein, nicht
Beispielen eignet. Man braucht aber lei-
                                                          der leiseste Schimmer irgendeiner Dis-
denschaftliche Musikvermittler, die die
                                                          harmonie noch überschwenglichen Ge-
intime Kenntnis ihres eigenen Musiklan-
                                                          fühls: 'Du aber wanderst auf und ab von
des mit dem offenen Blick über dessen
                                                          Ostens Wieg in Westens Grab'. Und ein
Grenzen hinaus verbinden.
                                                          Schluss, den ich nicht beschreiben kann.
Es ist in erster Linie Ihnen, lieber Herr                 … Es bleibt kein großes Gefühl, weder
Koch, aber auch der gesamten Ge-                          des Trostes noch der Entsagung. Und
schäftsstelle mit Frau Hayes, Frau Benjes                 doch erfreut es so, und tröstet so wie ei-
und Frau Betker zu danken, dass Sie bei                   ne makellose Blume, die blüht, weil sie
der Vorbereitung dieser Konferenz Ihren                   blüht. … Wenn Du kommst, singen wir
Blick weit über Niedersachsen und sogar                   Dir's vor."



     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Grußwort Detlef Lehmbruck (MWK) – S. 1 / 3
Dies ist kein Zitat einer Musikerin der                   und Quandt bewogen hat, sich für den
Romantik. Dies ist ein Zitat aus einem                    Liedwettbewerb zu engagieren. Interes-
Brief einer Nichtmusikerin an einen                       sant ist in unserem Zusammenhang,
Nichtmusiker. Es stammt von Sophie                        dass die Dimension weit über den Lied-
Scholl, geschrieben an ihren Bruder                       gesang hinaus geht. Thomas Quasthoff,
Werner Scholl gleichsam in den russi-                     Franziska Castell und überhaupt allen
schen Feldzug. Beinahe unglaublich mu-                    Anhängern des Kunstlieds ist zweifellos
tet der Zeitpunkt dieses Briefes an: Sie                  bewusst, dass es heute wie zu allen Zei-
schrieb ihn Mitte Februar 1943 wenige                     ten historische Entwicklungen gibt, durch
Tage vor ihrer Verhaftung. Schon das                      die das Singen in der einen Ausprägung
macht den Schlusssatz - „Wenn Du                          an Gewicht gewinnt und in der anderen
kommst, singen wir Dir’s vor“ - zu einem                  Ausprägung an Gewicht verliert. Die
historischen Dokument. Heute, fast 70                     Hausmusikbewegung im 18. und
Jahre später, ist dieser Satz schon in                    19.Jahrhundert und die Singbewegung
seiner Grundaussage historisch gewor-                     als Teil der Jugendbewegung im frühen
den. Eine kaum vorstellbare Verabre-                      20. Jahrhundert stehen beispielhaft hier-
dung, sich etwas vorzusingen, wenn man                    für. Sie sind auch wie wir alle völlig un-
sich sieht. In unserem Zusammenhang                       verdächtig, etwa die positiven Wirkungen
kann es dabei nicht um ein neuerliches                    der vielen Casting Shows unserer Zeit
Lamento über einen vermeintlichen Kul-                    für das Singen und beispielhaft die Inte-
turverlust gehen. Es geht vielmehr um                     gration von jungen Menschen mit Migra-
einen authentischen Einblick in die                       tionshintergrund gering zu schätzen.
selbstverständliche Lebensrealität einer
„normalen“ Familie.                                       Und doch wird eine Haltung bezeichnet,
                                                          die die niedersächsische Landesregierung
Viele von Ihnen waren vergangenen                         teilt: Singen benötigt einen zentralen
Samstag dabei, als der Praetorius Musik-                  Platz im Lebensvollzug der Menschen,
preis 2010 verliehen wurde. Natürlich                     einen Platz, den es früher zu vielen Zei-
war es gleichermaßen traurig und ver-                     ten und an vielen Orten und in vielen
ständlich, dass Thomas Quasthoff seinen                   Bevölkerungsgruppen hatte und auch
Preis nicht persönlich entgegennehmen                     heute andernorts noch hat. Singen sollte
konnte. Es war jedoch ein wunderbares                     den Platz haben, den es für die vielen
Symbol, dass Franziska Castell, die Ge-                   Tausend Chorsänger im Musikland Nie-
schäftsführerin „seines“ Liedwettbewer-                   dersachsen hat. Es muss alles versucht
bes „Das Lied“, für ihn den Preis mit fol-                werden, um ganz jungen Menschen ein
genden Worten entgegennahm:                               Gefühl für die Selbstverständlichkeit des
                                                          Singens zu vermitteln.
„Der Gesang ist die ursprünglichste Form
der menschlichen musikalischen Äusse-                     Daher spielt das Singen eine zentrale
rungen. Aber es wird zu wenig gesun-                      Rolle im niedersächsischen Musikalisie-
gen: in den Familien, in den Kindergär-                   rungsprogramm „Wir machen die Musik“,
ten, in der Schule, aber auch überhaupt                   bei dem gerade Kindergartenkinder
in unserem Lebensvollzug. Dem gilt es                     durch vielfältige Kombinationen von Sin-
entgegenzuwirken.“                                        gen, Spielen und Bewegen erleben sol-
                                                          len, dass Musik einfach dazu gehört. Als
Franziska Castell beschreibt mit diesen                   integraler Bestandteil des Lebensvollzug
Worten, was Thomas Quasthoff motiviert                    wird Singen dann auch in seiner ganzen
hat, die Initiative für einen Liedwettbe-                 Vielfalt praktiziert werden.
werb zu ergreifen. Und sie beschreibt –
das darf man hier im Kreis von Musikför-                  Es wird auch ein steigendes Interesse für
derern sagen – was die Familien Oetker                    die Bedeutung von vertonten Texten ge-


     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Grußwort Detlef Lehmbruck (MWK) – S. 2 / 3
ben, also das, was uns nach nur 70 Jah-
ren so historisch erscheint an dem Brief
von Sophie Scholl: ein Lied Textzeile für
Textzeile zu vermitteln. Denn die Faszi-
nation junger Menschen für vertonte
Texte ist völlig ungebrochen, auch wenn
viele Hits unserer Tage es nicht wirklich
nahelegen. Wer den Beweis sucht, möge
sich umhören, wie viele Jugendliche oh-
ne Zögern auswendig

„ich wollt noch danke sagen doch
ich lieg im Krankenwagen noch
wolln sie mich zwangsbeatmen doch bald
is alles aus und vorbei“

darlegen können – und zwar zur Freude
aller Bildungspolitiker bei voller Erfas-
sung des Inhalts dieser Zeilen.

Ein vielfältiges Musikland wie Nieder-
sachsen braucht einen Ort, in dem die
ganze Musikkultur ihre Heimstatt finden
kann. Daher freuen wir uns sehr, dass
auch die diesjährige Jahreskonferenz in
der neuen Landesmusikakademie statt-
findet, und wir danken dem gesamten
Team für die Gastfreundschaft!

Ich wünsche Ihnen einen fruchtbaren
Austausch und glückliche Erfahrungen
nicht nur über, sondern vor allem auch
beim Singen.




     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Grußwort Detlef Lehmbruck (MWK) – S. 3 / 3
Jahreskonferenz
Musikland Niedersachsen
2010

Eröffnungsvortrag
„Singen heute“
Referent: Klaus Georg Koch,
Geschäftsführer von Musikland
Niedersachsen

I.

Meine Damen und Herren,


im Frühjahr 1984 habe ich das erste Mal                    Man mochte sich vorkommen wie Goe-
Lesotho, die frühere Kolonie Britisch Bet-                 thes Wilhelm Meister und seine Reisege-
schuanaland, im südlichen Afrika bereist.                  fährten, denen auffiel, „daß je weiter sie
Es ist ein bergiges Land, und es war da-                   ins Land kamen, ein wohllautender Ge-
mals auch ein wildes Land, das sich dem                    sang ihnen immer mehr entgegentönte.“
Reisenden nur unter Mühen erschloss. In                    – ich bin schon im Zitat.
ganz Lesotho gab es damals eine einzige                    „Was die Knaben auch begannen, bei
Straße. Sie durchzog im Norden die Low-                    welcher Arbeit man auch sie fand, immer
lands, bog am östlichen Ende nach Sü-                      sangen sie, und zwar schienen es Lieder
den ab und führte ins Gebirge. Darüber                     jedem Geschäft besonders angemessen
hinaus gab es nur Geröllpisten und alte                    und in gleichen Fällen überall diesselben.
Saumpfade, auf denen sich die Einheimi-                    Traten mehrere Kinder zusammen, so
schen zu Fuß und auf Pferden fortbeweg-                    begleiteten sie sich wechselweise; gegen
ten.                                                       Abend fanden sich auch Tanzende, deren
                                                           Schritte durch Chöre belebt und geregelt
                                                           wurden.“ – Sie kennen die Passage am
Der größte Eindruck, den Lesotho damals                    Beginn des zweiten Buches, nur dass
auf mich machte, war, dass die Men-                        dem Singen in Lesotho der vornehme
schen dort sangen. Die Leute sangen in                     Ton des Bildungsromans nicht eigen war.
den Dörfern. Sie sangen im Bus und auf                     Es schien eine schlichte und fröhliche
den Ladepritschen der allradgetriebenen                    Welt. Einen Eindruck davon können Sie
Lastwagen, die sie im Schritttempo durch                   aus dem folgenden Video-Ausschnitt ge-
die Berge brachten. Kinder sangen auf                      winnen.
dem Weg in ihre Missionsschulen und sie
sangen in der Schule. Einen Ziegenhirten                   Videobeispiel 1, „Lesotho women singing,
traf ich, der alleine sang und sich dabei                  beautiful day out there“
mit einer Fiedel begleitete, die er aus ei-
nem Blechkanister, einem Stock und ei-
ner Schnur gebaut hatte. Am Sonntag
sangen die Leute in der Kirche, und
zwar, wie mir schien, häufig die gleichen
Gesänge, die ich während der Woche be-
reits gehört hatte.




                                                           http://www.youtube.com/watch?v=lDkK79AM7iM




     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Einführungsvortrag „Singen heute“ – S. 1 / 7
16 Jahre später bin ich ein zweites Mal                    Das erlaubt uns, einen geschichtlichen
nach Lesotho gekommen. Und während                         Wendepunkt zu beobachten, der in der
ich den Fortschritt doch als etwas Gutes                   westlichen Welt das Datum 1877 trägt.
empfinde – der Bau eines unterirdischen                    In diesem Jahr hat der Franzose Charles
Bahnhofs ist das mindeste, was ich mir                     Cros das Patent für ein Gerät namens
erhoffe – war ich hier schockiert. Ein Teil                Paléophone und der Amerikaner Thomas
des Gebirges war für ein internationales                   Edison das Patent für den Phonographen
Wasserprojekt erschlossen worden, man                      angemeldet. Vor 1877 verklang jeder
hatte Staudämme gebaut, an denen nun                       Laut, der einem Mund entströmte. Das
auch Strom produziert wurde, und wo                        Ziel Edisons war es dagegen, Stimmen
vorher Pfade in die Berge führten, da                      haltbar, Lautäußerungen wiederholbar zu
verlief jetzt eine Straße. Lesotho war laut                machen. „Repetiermaschine“ wurde der
geworden. Sogenannte Minitaxis, oft                        Phonograph deshalb genannt, und auch
überfüllte Kleinbusse, brachten die Leute                  wenn es noch Jahrzehnte dauerte, bis
von den Bergen in die Lowlands und aus                     man etwa eine ganze Sinfonie aufge-
den Lowlands in die Berge. In den Dör-                     nommen hatte, so war es doch mit der
fern waren Märkte aufgebaut mit Waren                      Ruhe vorbei. Der Mensch hatte das Privi-
aus Südafrika und China. Jetzt gab es                      leg verloren, einzig durch die Artikulation
auch Musikanlagen, die in den Taxis und                    seines Körpers stimmlich präsent zu
auf den Märkten mit voller Lautstärke                      sein. Man kann allerdings auch sagen, er
Musik verbreiteten, die ihrerseits ohne                    sei von der Notwendigkeit, zu singen,
elektrischen Strom nicht hergestellt wor-                  befreit worden. Wie mit vielen anderen
den wäre.                                                  Fertigkeiten auch, haben die Menschen
                                                           arbeitsteilig das Singen den Spezialisten
                                                           überlassen und verwenden die frei ge-
Macht also auch hier die Zivilisation das                  wordene Zeit und Energie für etwas an-
Singen überflüssig? Ist das Singen ein                     deres.
Opfer der technischen Entwicklung? Ist
es etwas, worauf wir zurückblicken: Eine
Form von Menschlichkeit, die immer lei-                    Der technische Fortschritt und die Ge-
ser wird, während der Lärm des Fort-                       schichte des Singens stehen allerdings
schritts zunimmt?                                          schon sehr viel länger in einem schwieri-
                                                           gen Verhältnis zueinander. Das späte 18.
Selbstverständlich fährt niemand von uns                   und noch mehr das 19. Jahrhundert
nach Afrika, um dort mit innerer Freude                    bemächtigen sich der Musik in einem
den Stand des technischen Fortschritts                     technischen Sinn: Im Instrumentenbau,
und den beschleunigten Wandel der Le-                      in den wie bei Liszt ins Transzendentale
bensverhältnisse zu besichtigen. Die                       reichenden Spieltechniken, in der physio-
Freude schien mir auf Seiten der Ba-                       logischen Untersuchung der Stimmorga-
sothos, die sich mit ungekannter Leich-                    ne, im Bau von musizierenden Automa-
tigkeit in ihrem Land fortbewegen, einen                   ten aller Art. Letztlich führt ein direkter
Arzt oder eine Apotheke aufsuchen und                      Weg von der Erforschung der Stimmphy-
sich abends im Licht einer elektrischen                    siologie zum Bau mechanischer und elek-
Lampe unterhalten konnten. Wahrschein-                     tromechanischer Wiedergabeapparate.
lich erschien ihnen der technisch ver-
stärkte Lärm als eine Form von Mensch-                     Gleichzeitig – und im Grunde gegen das
lichkeit, die immer stärker wird, als Zu-                  Fortschreiten der Technik – entwickelt
kunftsmusik, die ihnen auch den eigenen                    die Romantik Vorstellungen, nach denen
Fernseher, den eigenen Kühlschrank, das                    das Singen die Geschichte in Richtung
eigene Auto verhieß. Und wahrscheinlich                    der „Ursprünge“ aufhebt. Wird die Fort-
dachten sie noch ohne Wehmut an die                        schrittsgeschichte als Geschichte der
Zeiten, als man selber singen musste,                      Entfremdung verstanden, dann drückt
um nicht an der Stille zu ersticken.                       dagegen das Singen das Gemeinsam-
                                                           Ursprüngliche und das Eigentlich-
                                                           Persönlichste aus. Ja eigentlich noch
Die Geschichte der Elektrizität und die                    dramatischer: Das Singen stellt das Ge-
Geschichte des Singens kreuzen sich in                     meinsam-Ursprüngliche und das Eigent-
diesem Bergland unter unseren Augen.                       lich-Persönlichste her.


     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Einführungsvortrag „Singen heute“ – S. 2 / 7
Was da in der Wertschätzung des Ge-
sangs passiert, möchte ich am Beispiel
des Romans verdeutlichen. Hatte man
zuvor Sänger neben Tänzerinnen und
Schauspielern als zweifel-hafte, wenig
respektable Existenzen betrachtet, so er-
fahren Singen und Sänger – meistens
Sängerinnen – in der Literatur nun eine
Idealisierung. Menschen im Roman sollen
erkannt und verstanden werden, und
nirgends gibt sich der Mensch nach den
Vorstellungen dieser Zeit so wahrhaftig
und vollständig zu erkennen, wie da, wo
er singt. Jetzt ist die Sängerin nicht mehr                Der Philosoph Hartmut Böhme hat in sei-
nur Attraktion und Objekt der Begierde,                    nem Aufsatz „Der sprechende Leib“ für
sondern sie wird durch die Wahrheit ih-                    das spätere 18. Jahrhundert beschrie-
res Singens erkannt – hat der Roman ei-                    ben, welche Herausforderungen der ge-
ne Liebeshandlung, dann am Ende ver-                       sellschaftliche und technische Fortschritt
lässlich vom „Richtigen“, ihrem vorbe-                     für die Menschen bedeuteten. „Denn dies
stimmten Bräutigam.                                        strahlte die Angst des bürgerlichen Jahr-
                                                           hunderts an“, schreibt Böhme: „daß zwi-
In Deutschland hat Wilhelm Heinse 1795                     schen dem, was ein Mensch darstellt,
mit seinem Roman „Hildegard von Ho-                        zwischen seiner Erscheinung, und dem,
henthal“ erstmals Vokal-Ästhetik und                       was er ist, seinem Wesen, ein Riß klafft,
Liebesroman miteinander verschmolzen.                      der das Gefüge des intersubjektiven
Den monumentalsten Sängerinnen-                            Handelns eigentümlich verunsichert.“
Roman hat dagegen vermutlich George                        Dagegen sieht er in der bürgerlichen Un-
Sand mit „Consuelo / La Comtesse de                        terscheidung von Identität und Rolle den
Rudolstadt“ in den Jahren 1843/44 ver-                     „Versuch, ein Authentisches – das sub-
fasst.                                                     jektive Selbst – aus den Systemen der
                                                           Körperzeichen und Verhaltenscodes aus-
Lange, bevor in diesem Roman die Part-                     zuschneiden.“ Dieses Selbst „ist unsicht-
nerschaft zwischen der Sängerin Consue-                    bar, soll sich aber im Ausdruck zeigen“.
lo und dem Grafen von Rudolstadt tat-                      Gegen den rationalistischen Ansatz der
sächlich besiegelt ist, spricht Consuelo                   Aufklärung soll dieses Selbst aus dem
bereits das Motiv des (Wieder-) Erken-                     Körper – aus dem Leib, wie Böhme sagt
nens aus: „Ich bin eine Freundin, die Ihr                  – rekonstruiert werden. Am Beispiel des
lange Zeit erwartet und in dem Moment                      Königsberger Philosophen Johann Georg
erkannt habt, als sie sang“. Ihr späterer                  Hamann (1730 – 1788) zeigt Böhme auf,
Ehegemahl definiert seinerseits das Sin-                   wie „Sprache übersetzter Leib“ und der
gen als Ausnahmesituation vollkomme-                       Leib „inkorporierte Natur“ ist, Sinne, Lei-
ner Offenheit: „Du teilst mir [im Singen]                  denschaften und Begehren wirken darin
Dein ganzes Wesen mit und meine Seele                      als „Stimmen der Natur“.
besitzt Dich in der Freude und im
Schmerz, in der Zuversicht [dans la foi]                   Wenn wir heute in sogenannten unter-
und in der Furcht, im Überschwang des                      entwickelten Ländern – und wohl auch
Enthusiasmus und in der Wehmut der                         bei uns – das Verschwinden des Singens
Träumerei.“ Nicht zufällig sind musikali-                  als Verlust eines Ursprünglich-
sche Charaktere und seelische Empfin-                      Menschlichen empfinden, folgen wir ei-
dung in dieser Beschreibung nicht von-                     nem Wahrnehmungsmuster, dessen Tra-
einander zu unterscheiden. So fiebrig                      dition ins späte 18. Jahrhundert zurück-
und phantastisch im Übrigen der Roman                      reicht. Immer steht der Betrachter dabei
in seinem Verlauf ist – gewidmet hat ihn                   wie Walter Benjamins Engel der Ge-
George Sand einer realen Figur, Pauline                    schichte mit dem Rücken zur Zukunft,
Viardot, einer der größten Sängerinnen                     während der Sturm des Fortschritts ihm
des 19. Jahrhunderts.                                      die Trümmer vor die Füße schleudert. Al-
                                                           le, die die Stimme loben, sind auf dem


     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Einführungsvortrag „Singen heute“ – S. 3 / 7
Rückweg in die Vergangenheit, ob nun                       phonie des Hochmittelalters, durch den
Hamann „die ausgestorbene Sprache der                      Bezug auf die „avancierteste, intellektu-
Natur von den Todten wieder erwecken                       ellste, elitärste“ und eben in Noten ge-
möchte“ oder wenig später Johann Gott-                     setzte Kompositionstechnik“ jener Zeit.
fried Herder die „Töne der Natur“, also                    Dagegen begründen etwa Rousseau und
die in der Stimme sich ausdrückende                        Herder die Vorstellung der Musik als
kreatürliche Regung, der „künstlichen                      „vollkommene Sprache des Herzens“,
Sprache der Gesellschaft“ entgegenstellt.                  und zwar auf der Grundlage des melodi-
                                                           schen Konzepts der Stimme. Ich zitiere
Betrachtet man den öffentlichen Streit                     hier für diese Strömung Daniel Gottlob
um Fortschritt und Herkommen als etwas                     Türk, bzw. seine einflussreiche Klavier-
Politisches, dann ist auch das Lob der                     schule von 1789, in der er schreibt:
Stimme politisch gemeint, und oft findet                   „Denn was sind alle bunten [also virtuo-
es sich mit einer gesellschaftlichen Phan-                 sen und chromatischen] Passagen, wenn
tasie verbunden. Der Kulturwissenschaft-                   es auf wahre Musik ankommt, gegen ei-
ler Hans Georg Nicklaus hat darauf hin-                    nen schmelzenden, herzerhebenden äch-
gewiesen, dass bereits Jean-Jacques                        ten Gesang.“ 50 Jahre später heißt es in
Rousseau mit seinem Ideal der „unité de                    Balzacs Sängerinnen-Novelle „Massimilla
mélodie“, der Einheit der Melodie, ein                     Doni“ noch immer und fast gleichlautend
„politisches Votum“ abgebe, eine „musi-                    mit Rousseau: Nicht die Harmonie, son-
kalische Metapher für ein gesellschaftli-                  dern die Melodie hat die Macht, den ge-
ches Projekt“, nämlich die Rückgewin-                      schichtlichen Abstand aufzuheben“ [C’est
nung einer ursprünglichen gesellschaftli-                  la mélodie et non la harmonie qui a le
chen Einstimmigkeit. Einstimmig heißt                      pouvoir de traverser les âges].
hier: „Die eine Sprache sprechen, die
nicht gedeutet, verstanden, vermittelt
werden muß, aus der vielmehr alle                          II
schöpfen, wie aus einem Brunnen, um
sich zu ernähren, um ein Körper zu wer-                    Meine Damen und Herren, mag der
den. (...) Und die Stimme ist das Organ                    Sturm des Fortschritts dem Engel des
dieser Einheit.“                                           Singens auch ins Gesicht blasen – es
                                                           wird auch bei uns noch immer gesungen,
So stehen Stimme und Singen gegen                          und manches deutet darauf hin, dass
Buchdruck und Buchstaben, die mit der                      heute wieder mehr gesungen wird als,
rationalistischen Aufklärung verbunden                     sagen wir, noch vor zehn Jahren. Dafür
werden, gegen die Vielstimmigkeit der                      sorgen nicht zuletzt Ihre Aktivitäten als
nachrevolutionären Gesellschaften, ge-                     Musikveranstalter, ChorleiterInnen, Mu-
gen die industrielle Produktion, gegen die                 sikpädagogInnen, Politiker und Förderer.
in Tonkonserven gepackte Musik, kurz:                      Viele Ihrer beispielhaften Sing-
Gegen den Lärm des Fortschritts.                           Bewegungen und Sing-Projekte werden
                                                           im Lauf dieser Konferenz zu besichtigen
Diese Positionierung der Stimme verän-                     sein.
derte am Ende selbst das Ideal, das man
sich von der Musik insgesamt machte.                       Es wird sogar so viel gesungen in unse-
Der Musikwissenschaftler Wolfgang                          rer Gesellschaft, dass man sich fragen
Fuhrmann hat in seinem Buch „Herz und                      kann, ob das Gefühl des Verlustes oder
Stimme – Innerlichkeit, Affekt und Ge-                     des Absterbens nicht das Ergebnis einer
sang im Mittelalter“ einen Grund dafür                     habituell eingeschränkten Wahrnehmung
vorgeschlagen, warum der Musik teilwei-                    sei. Zu den am Markt erfolgreichsten Mu-
se bis heute die Vorstellung von etwas                     sik-Publikationen der letzten Zeit gehö-
Kompliziertem oder Elitärem anhaftet:                      ren Sammlungen von „Wiegen-„ und
Der Begriff der „Musik“ und des „Musi-                     „Volksliedern“, die gleich in mehreren
kers“ bedeuteten in spätantiker Tradition                  Aggregatszuständen – zum Lesen, Spie-
zunächst so etwas wie Musiktheorie und                     len und Hören – angeboten werden. Pro-
die die professionelle Kundigkeit dieser                   jekte wie das heute vorgestellte „Lörrach
Theorie. Seine spätere universale prakti-                  singt!“ und „SING! – Day of Song“ bei
sche Bedeutung erlangte der Begriff der                    Ruhr 2010 bringen ganze Gemeinwesen
Musik über die Anwendung auf die Poly-                     zum Singen. Und auch diesseits solcher


     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Einführungsvortrag „Singen heute“ – S. 4 / 7
veranstalteter Bewegungen sind – nicht                      Kindern etwas Sinnvolles anfangen soll-
anders als in vormodernen Zeiten – exi-                     te, liegt ja auf der Hand. Und wie die ge-
stenzielle Fragen des Volkes ohne Ge-                       genwärtige Islam-Debatte vom Zweifel
sang gar nicht vorstellbar: Dazu folgen-                    am rechten Unglauben der eigenen Ge-
des kurze Video aus der Zeit der Fußball-                   sellschaft begleitet wird wie von einem
Weltmeisterschaft in Südafrika, das uns                     Schatten, so folgt die Unruhe über die
von der Dritten zurück in die Erste Welt                    Erziehung der eigenen Kinder der Debat-
führt                                                       te über die so genannte Integration von
                                                            Kindern nicht-deutscher Herkunft. Abge-
Videobeispiel 2, „Uwu Lena - Schland o                      sehen davon, dass Singen Spaß macht,
Schland“                                                    wie der Titelsong von Klasse! Wir singen
                                                            erklärt, bietet es sich auch zur Milderung
                                                            gesellschaftlicher Probleme an. Natürlich
                                                            ist das Singen ein Beitrag zur Integration
                                                            und zum Spracherwerb – für alle Kinder,
                                                            egal woher die Eltern kommen. So wie es
                                                            für Kinder Bewegungsmangel, Vitamin-
                                                            mangel oder Zuwendungsmangel geben
                                                            kann, so gibt es auch den Singmangel,
                                                            das legt die positive Reaktion der Kinder
                                                            auf Sing-Anregungen nahe.

http://www.youtube.com/watch?v=Vscg_QeKdpI                  Nicht zuletzt reagiert die gegenwärtige
                                                            Singbewegung auch auf die Lage, in der
                                                            sich vor allem die Institutionen der so
Hatte bei Rousseau, Herder und den                          genannten ernsten, klassischen oder
Volksliedsammlern des 19. Jahrhunderts                      Kunstmusik befinden. Es muss hier ge-
das Glück in der Früh- und Vorgeschichte                    nügen, nur die Stichworte Überalterung
gelegen, so lautet die Devise unserer ge-                   des Publikums und Rückgang der Nach-
genwärtigen Sing-Bewegung „zurück zu                        frage zu nennen. Das sind die Themen,
den Anfängern“. Die Figur des Rück-                         an denen wir im Musikland arbeiten. Eine
gangs auf etwas Grundlegendes finden                        Reihe von teilweise repräsentativen Stu-
wir hier allerdings auch. Immer mehr                        dien zeigt, dass das Durchschnittsalter
gibt es auch politische Unterstützung für                   des Konzertpublikums derzeit zwischen
den Versuch, das Singen wieder als                          55 und 60 Jahren liegt und dass sich das
menschliche Universalie einzuführen, als                    Verhältnis zwischen dem Angebot an Mu-
konstitutives Element der Ichwerdung,                       sikveranstaltungen und den Besucher-
als Grundform individueller Artikulation                    zahlen scherenartig auseinander entwic-
und sozialer Kommunikation.                                 kelt, wobei das Interesse an klassischer
Projekte wie KiSINGa und Primacanta,                        Musik umso geringer ausfällt, je jünger
wie die Chorklassen Niedersachsen, Klas-                    die Altersgruppe ist.
se! Wir singen und das umfassende An-
gebot des englischen Musikzentrums The                      In dieser Lage erscheint es als außeror-
Sage Gateshead und der National Sin-                        dentlicher Glücksfall, dass sich Kinder
ging Campaign stehen für diesen Ver-                        geradezu naturhaft für das Singen begei-
such, das Singen als Element der Erzie-                     stern können. Denn nichts kann das spä-
hung wieder verbindlich zu verankern.                       tere Interesse an Musik so gut begrün-
Darüber hinaus schlagen Projekte wie                        den, wie möglichst frühe praktische und
Canto Elementar und „Singepaten“ eine                       als erfreulich erinnerte Erfahrungen:
Brücke zwischen der Generation der                          Klasse wir singen – singen macht Spaß.
Großeltern, die häufig noch mit dem Sin-                    Werden diese Erfahrungen überdies in
gen aufgewachsen ist, und den Kindern.                      Gesellschaft gemacht – im Kindergarten,
                                                            in der Schule, in der Familie –, steigt die
An dieser Stelle ist die Versuchung groß,                   Wahrscheinlichkeit noch einmal, dass
die historischen Implikationen oder ein-                    sich das Kind auch später im Leben für
fach den historischen Ballast des Singens                   Musik interessiert und einsetzt.
abzuwerfen. Wahrscheinlich ist es sogar
legitim. Dass die Gesellschaft mit ihren


      Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Einführungsvortrag „Singen heute“ – S. 5 / 7
III.

So ist das Singen aus Sicht der Musik-
land-Idee, eine besonders glückliche mu-
sikalische Sozialform, die es erlaubt, vie-
len Menschen musikalische Angebote zu
machen, die sie erreichen und die er-
reichbar für sie sind. Damit ist es auch
eine Chance für unsere Musikkultur, sich
neu zu gründen. „Neustart durch Sin-
gen“, könnte man sagen, und diese
Chance wollen wir nutzen.

Neben der Vielzahl privater, vom persön-
lichen Engagement angefeuerter Initiati-                     wenden.
ven, stellt auch das Land Niedersachsen                      Heißt das, es gibt so etwas wie eine zeit-
zunehmend mehr Angebote in Kindergär-                        lose Wahrheit über das Singen? Oder
ten und Schulen bereit. Der Koalitions-                      laufen wir mit unserer Singbewegung ei-
vertrag aus dem Jahr 2008 definiert das                      nem historischen, vielleicht veralteten
„Musikland Niedersachsen“ zu einer                           Menschenbild hinterher? Das Land Nie-
Hälfte aus seinen Angeboten zur musika-                      dersachsen hat mit einer umfassenden
lischen Bildung. Wenn das weiter so                          „Musikalisierung“ der Kindergarten- und
geht, dann wird in nicht zu ferner Zu-                       Grundschulkinder im Land begonnen.
kunft „bei uns der Gesang die erste Stufe                    „Musikalisierung“ klingt dabei nicht nur
der Bildung, alles andere schließt sich                      wie „Christianisierung“ und vielleicht
daran und wird dadurch vermittelt. „(...)                    nach Mission, es ist tatsächlich der Ver-
denn indem wir die Kinder üben, Töne,                        such, „in der Fläche“, wie es im politi-
welche sie hervorbringen, mit Zeichen                        schen Jargon heißt, Menschen, ganz jun-
auf die Tafel schreiben zu lernen und                        gen Menschen, Angebote zu machen, ihr
nach Anlaß dieser Zeichen sodann in ih-                      Leben sinnvoll zu gestalten.
rer Kehle wiederzufinden, ferner den
Text darunterzufügen, so üben sie zu-                        Aber auch hier entkommen wir den ge-
gleich Hand, Ohr und Auge und gelangen                       schichtlichen Streitfragen nicht: Gehört
schneller zum Recht- und Schönschrei-                        es zum Menschsein in unserer Zeit,
ben, als man denkt, und da dieses alles                      durch das Singen Erfahrungen und Idea-
zuletzt nach reinen Maßen, nach genau                        le vergangener Zeiten zu aktualisieren
bestimmten Zahlen ausgeübt und nach-                         wie in einem lebendigen Symbol, oder
gebildet werden muß, so fassen sie den                       überzustreifen wie ein klangliches Ko-
hohen Wert der Meß- und Rechenkunst                          stüm – die Fremdheitserfahrungen der
viel geschwinder als auf jede andere                         „Winterreise“, die Partnerschaftsideale
Weise. Deshalb haben wir denn unter al-                      von „Frauenliebe und -Leben“, die Glau-
lem Denkbaren die Musik zum Element                          bensgewissheit einer Bach-Motette, die
unserer Erziehung gewählt, denn von ihr                      Todesschauer eines Berlioz-Requiems,
aus laufen gleichgebahnte Wege nach al-                      die Naturverbundenheit eines Volkslieds?
len Seiten.“                                                 Ist es noch zeitgemäß oder ist es hoff-
                                                             nungslos romantisch, dass Menschen so
Meine Damen und Herren, Sie haben es                         genannte Gefühle kultivieren und diese
bemerkt, ich bin noch einmal auf Goe-                        „ausdrücken“ wollen? Einen Grund wird
thes „Wilhelm Meister“ zurückgekom-                          es doch haben, dass das Kunstlied immer
men. Mich hat frappiert, wie nahe Goe-                       weniger Publikum findet und junge
thes 200 Jahre alte Pädagogik der ge-                        Opernregisseure zunehmend Revuen in-
genwärtigen Debatte steht. Auch Rous-                        szenieren, wo sie die singenden Figuren
seaus Phantasie von der „unité de mélo-                      doch auch hätten ernst nehmen können.
die“, der Einheit der Melodie oder freier                    Wir Alten mögen ja träumen, aber wie
formuliert, der Einheit durch Singen ge-                     vielen Generationen von Kindern soll
gen die Vielstimmigkeit einer modernen                       noch über das Singen das alte Dur-Moll-
Gesellschaft, ließe sich umstandslos auf                     tonale System eingepflanzt werden? Wie
die Diskussion um die Chorklassen an                         lange wollen wir noch so genannte Volks-


       Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Einführungsvortrag „Singen heute“ – S. 6 / 7
lieder singen lassen, deren romantische
Gegenstände mit den Aufgaben unserer
Kinder nichts zu tun haben? Bewahren
wir mit diesem Singen unsere Kinder vor
der Verwilderung? Bewahren wir sie vor
der Vereinnahmung durch die Leistungs-
anforderungen der Moderne? Oder sind
wir einfach nur reaktionär?

Meine Damen und Herren, wer will das
beantworten? Aber vielleicht ist am Ende
das Verantwortungsvolle und das Reak-
tionäre zumindest in der Erziehung das
gleiche, und jede Generation muss ihren
Kindern etwas gut Gemeintes antun, wo-
gegen diese sich anschließend recht-
schaffen auflehnen können.

In diesem Sinn wünsche ich uns zwei an-
regende Tage hier in Wolfenbüttel. Ich
danke für Ihre Aufmerksamkeit.




     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Einführungsvortrag „Singen heute“ – S. 7 / 7
Sozialisierung durch Sin-
gen I
Das hessische Primacan-
ta-Programm
Referent: Thomas Rietschel, Präsi-
dent der Hochschule für Musik und
Darstellende Kunst in Frankfurt am
Main

Primacanta „Primacanta – Jedem Kind
seine Stimme“ ist eine Koooperation der                     Das Programm ist langfristig und nach-
HfMDK Frankfurt und der Crespo Foun-                        haltig gedacht. Mit einem vorläufigen
dation, die Schirmherrschaft haben die a                    Projektzeitraum von 2008 bis 2012 und
cappella Gruppe Wise Guys sowie Frank-                      Projektgeldern von einer Million Euro
furts Oberbürgermeisterin Petra Roth.                       richtet es sich nach derzeitigem Stand an
                                                            ungefähr 120 Lehrer und Lehrerinnen
Anliegen des Programms ist es, das Sin-                     von zunächst dritten und vierten Klassen
gen als zentralen Ausgangspunkt für eine                    in 52 von 56 Frankfurter Grundschulen.
musikalische Bildung zu nehmen. Die                         Eine professionelle Evaluation ist in Ar-
Hochschulen sollten sich für musikalische                   beit. Erwartet werden Ergebnisse, die
Bildung stark machen, so Thomas Riet-                       zeigen, wie sich etwa die soziale Interak-
schel, da diese gewissermaßen der Ast                       tion innerhalb der beteiligten Klassen
ist, auf dem sie sitzen.                                    verbessert hat.




     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Sozialisierung durch Singen“ – S.1/3
Ziele von Primacanta sind zum einen der                     Gesungen wird Liedgut aus verschiede-
Versuch einer nachhaltigen Veränderung                      nen Kulturkreisen, wobei anzumerken
wie auch die Ermöglichung von Erfah-                        ist, dass die Stadt Frankfurt einen Anteil
rungen, die über Wissensvermittlung hi-                     von 60% an Schülern mit Migrationshin-
nausgeht.                                                   tergrund hat.

Das Programm setzt auf das Prinzip des                      In Form von öffentlichen Auftritten wäh-
aufbauenden Musikunterrichts, welches                       rend des Projektzeitraums sowie einem
ein didaktisches Stufenmodell zur nach-                     Abschluss beim Deutschen Chorfest in
haltigen Entwicklung der musikalischen                      Frankfurt 2012 präsentieren die beteilig-
Kompetenz der Kinder ist.                                   ten Klassen, was sie gelernt haben.

In der Praxis beinhaltet Primacanta eine                    Um Nachhaltigkeit zu schaffen, sprach
zweijährige Fortbildungs- und Bera-                         Thomas Rietschel von der Notwendigkeit,
tungsphase für LehrerInnen während der                      die Lehrer zu qualifizieren und nicht in
Unterrichtszeit durch Coaches, qualifi-                     Form eines Events Schülern kurzfristig
zierte Schulmusiker und Hochschullehrer                     das Singen beizubringen.
sowie teilweise durch gut qualifizierte
Grundschulmusiklehrer. Für Schulen oh-                      Bisher gab es viele positive Rückmeldun-
ne Fachlehrer gibt es die „Tandem“-                         gen und Bewertungen des Programms.
Lösung, eine Kooperation mit Musikschu-                     Nachhaltigkeit zeigte sich auch darin,
len. (Ein Hinweis auf die Situation in                      dass sich als Folge des Programms
Hessen erklärt, dass dort wenig ausge-                      Stadtteilchöre in Frankfurt gebildet ha-
bildete Grundschulmusiklehrer unterrich-                    ben.
ten, oft werde das Fach fachfremd ge-
lehrt. Bestrebungen, einen Fächerver-
bund mit dem Übertitel „Ästhetische Bil-
dung“ zu schaffen würde Musik weiter                        Weiterführende Informationen gibt es
schwächen.)                                                 unter www.primacanta.de.




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Sozialisierung durch Sin-
gen II
KiSINGa im Landkreis
Northeim
Referent: Prof. Dr. Gerhard Ropeter

Beim zweiten vorgestellten Modellprojekt
handelt es sich um „KiSINGa – Kinder
singen im Kindergarten“, vorgestellt von
Projektleiter Prof. Dr. Gerhard Ropeter.

Das Programm KiSINGa ist im Landkreis                       lage als das Frankfurter Primacanta-
Northeim in Niedersachsen (Hardeg-                          Programm.
sen/Moringen/Nörten-Hardenberg) ange-                       Mit dem Untertitel Interkommunales Mo-
siedelt. Projektträger ist der gemeinnüt-                   dellprojekt zur Förderung lebendigen
zige Verein Sing-Akademie Hardegsen,                        Singens von Kindern im Kindergarten ist
dessen Vorstand Prof. Ropeter ist. Das                      beschrieben, was das Programm be-
ländliche Gebiet hat geschätzte drei Pro-                   zweckt. Im Zentrum steht die Schulung
zent Kinder mit Migrationshintergrund                       von Erzieherinnen der zwölf Kindergärten
und somit eine völlig andere Ausgangs-                      des Landkreises. Ziel ist die Schaffung

     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Sozialisierung durch Singen“ – S.2/3
einer Singumgebung, in der Singen lang-                      Evaluiert wird das Projekt mit standardi-
fristig regelmäßig und angeleitet durch-                     sierten Bögen, bei denen ErzieherInnen
geführt wird. In zwei Projektphasen von                      und Eltern die selben Fragen zur Selbst-
jeweils 18 Monaten wird das Programm                         und Fremdeinschätzung des Kindes be-
durchgeführt und anschließend evaluiert.                     antworten. Ropeter bemerkte, dass für
                                                             eine umfassende wissenschaftliche Eva-
Anders als bei Primacanta finden die                         luation Kontrollgruppen ohne verstärktes
Weiterbildungstreffen in der Freizeit der                    Singen zum Vergleich eingesetzt werden
Erzieherinnen statt. Die Anmeldung er-                       müssten, dafür stünden jedoch die finan-
folgt freiwillig von Seiten der Kindergär-                   ziellen Mittel nicht zur Verfügung.
ten. Das KiSINGa-Projekt wird vom
Deutschen Institut für Internationale                        Das Projekt wird ausführlich vorgestellt
Pädagogische Forschung (DIPF) evalu-                         auf der Homepage der Singakademie
iert. Projektzeitraum ist vom 1. Septem-                     Hardegsen: http://www.kantorei-
ber 2009 bis 31. August 2012.                                hardegsen.de/129.html

Das Projekt basiert auf drei Prinzipien:                     In der offenen Gesprächsrunde gab es
Grundlegend ist der Montag als Singtag                       den Anstoß einer Teilnehmerin, die mu-
festgelegt. Anfangs wird ein Modellunter-                    sikalische Bildung und Stimmerziehung
richt von Fachkräften der Singakademie                       der ErzieherInnen schon in deren Be-
an den Kindergärten abgehalten. Daran                        rufsausbildung zu fördern. Dies traf den
anschließend bekommen die ErzieherIn-                        Kernpunkt einer Idee von musikalischer
nen eine regelmäßige Weiterbildung, die                      Bildung, welche langfristig, flächendec-
die Bereiche musikalisches Basiswissen,                      kend und grundständig wäre. Bemerkt
Stimmbildung und Methodik der Lieder-                        wurde hierzu, dass Modellprojekte wie
arbeitung umfasst. Zeitnah findet ein                        Primacanta und KiSINGa nötig sind, um
Transfer in die Praxis statt: Die Erziehe-                   in den Medien und durch die wissen-
rInnen üben im dritten Schritt mit ihren                     schaftliche Evaluierung Aufmerksamkeit
Kindergartengruppen Lieder ein. Motiva-                      zu erregen und langfristig das Singen
tion und eigenes Engagement sind                             und eine musikalische Grundausbildung
Grundvoraussetzung für das Projekt.                          in Kindergärten und Schulen wieder zur
                                                             Norm werden zu lassen. Ein Teilnehmer
Nachdem die Anfangsskepsis überwun-                          ergänzte, dass Projekte wie diese eigent-
den worden war, stellte sich die Motiva-                     lich die Reparaturarbeit dessen seien,
tion bei den KindergärtnernInnen von                         was jahrelang versäumt worden war. Die
selbst ein. Die Erkenntnis aus den bishe-                    Aufforderung an die Politik, die musikali-
rigen Praxiserfahrungen ist, dass das                        sche Bildung von Anfang an, und auch in
verstärkte Singen auch den Kindern gro-                      der Ausbildung von LehrernInnen und
ßen Spaß macht und es zu assoziativem                        ErzieherInnen zu fördern, stand ab-
spontanen Singen der Kinder auch un-                         schließend im Raum. Eine solche Institu-
terhalb der Woche und zu Hause kommt,                        tionalisierung müsse allerdings auch mit
welches es zuvor nicht gab. Dabei fällt                      Leben gefüllt werden. Musik eröffnet
kein Unterschied zwischen Mädchen und                        durch sich selbst die Chance, zu begei-
Jungen auf.                                                  stern, so die Meinung der Arbeitsgrup-
                                                             pen-TeilnehmerInnen.
Ergänzende Maßnahmen von Seiten der
Singakademie sind die Erweiterung des
Liedcurriculums; die ErzieherInnen be-
kommen dabei Liedsammlungen und -
blätter zur Verfügung gestellt. Außerdem
gibt es ein KiSINGa-Singfest. Wertbil-
dende Faktoren des Projektes sind neben
einem kompetenten Fachpersonal, das
Vorbild für die ErzieherInnen im Modell-
unterricht sein sollte, eine kontinuierliche
Intervention, wie Nachbesprechungen,
sowie eine stabile Projektorganisation.
                                                             Das Protokoll führte Mechthild Schlumberger.


      Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Sozialisierung durch Singen“ – S.3/3
Mehr Öffentlichkeit für
den Gesang I – Audience
Development beim Rund-
funkchor Berlin
Referent: Hans-Herman Rehberg,                                  Zwischen diesen Produktionen finden
Chordirektor                                                    zwölf Veranstaltungen im Rahmen von
                                                                „Broadening the Scope of Choral Music“
                                                                statt:
Die Initiative „Broadening the Scope of
Choral Music“ des Rundfunkchor Berlin                           •    Broadening in concert (5 Konzerte)
geht auf die Feststellung zurück, dass                          •    Internationale Meisterklasse Berlin (1
der Chor im Kerngeschäft zwar immer                             •    Konzert und 6 Workshoptage)
große Aufmerksamkeit genoss, A-                                 •    KlangKulturen (1 Konzert und 10
Cappella-Konzerte vom gleichen Publi-                                Workshops)
kum jedoch kaum besucht waren. Seit                             •    Liederbörse (1 Konzert und 12
2003 experimentiert der Chor nun mit                                 Workshops)
neuen Konzertformen und findet dabei                            •    LeaderChor (1 Konzert und 3 Work-
heraus, wie mit dem Publikum von heute                               shoptage)
und morgen mehr als bisher möglich                              •    Mitsingkonzert (1 Konzert und 2 Pro-
werden kann.                                                         ben)
                                                                •    Mitsingprobe (2 Veranstaltungen)
Im Jahr 2007 brachte der Rundfunkchor
in der Reihe „Broadening in concert“, Sir                       Im Bereich Education engagiert sich der
John Taverners siebenstündiges Mei-                             Rundfunkchor bereits seit Ende der
sterwerk „The Veil of the Temple“ unter                         1990er Jahre. In seinem jüngsten Pro-
der Leitung von Simon Halsey im Ham-                            jekt war er zu Gast in einer Grundschule
burger Bahnhof in Berlin zur deutschen                          in Berlin-Marzahn. Mit rund 150 Schüle-
Erstaufführung. Als kulturübergreifendes                        rInnen der 5. und 6. Klasse erarbeitete
Riesenwerk in fünf Sprachen erfolgte die                        der Chor über drei Monate ein interdiszi-
Aufführung durch insgesamt fünf Chöre                           plinäres Projekt zu Rodion Shchedrins
und europäische wie außereuropäische                            Chorwerk „Der versiegelte Engel“. Die
Instrumente.                                                    Proben dafür fanden im Musik- und im
                                                                Sportunterricht statt.
Aktuell befindet sich der Rundfunkchor
Berlin in der Planung für das Fest der                          Ein weiteres Projekt der Reihe „Broade-
Kulturen im kommenden Januar in Ber-                            ning in Concert“ fand 2006 mit Christian
lin. Dort werden drei Amateurchöre zu-                          Josts Choroper „Angst“ statt, bei dem
sammen mit dem Chor des türkischen                              der Chor der Träger der Handlung ist.
Konservatoriums sowohl deutsche als                             Dass das Konzept von „Broadening in
auch türkische Werke aufführen. Für ei-                         Concert“ funktioniert, zeigten auch die
nen zweiten Programmteil wurde ein                              Aufführung von Ernst Peppings „Passi-
Gospel-Spezialist eingeladen, um mit ei-                        onsbericht des Johannes“, die 2008
nem Projektchor aus den verschiedenen                           mehrfach das Radialsystem in Berlin füll-
Chorszenen und Kulturen Berlins ein                             te sowie die Johannes-Passion von Ja-
Konzert zu erarbeiten. Im dritten Pro-                          mes MacMillan 2008 und 2009. Die Auf-
grammteil wird der Rundfunkchor die                             tragskomposition von MacMillan band
musikalische Vesper von Sergej Rach-                            den Chor szenisch mit ein und wurde zu-
maninow, unterbrochen von Improvisa-                            sammen mit dem Boston Symphony Or-
tionen auf der armenischen Duduk-Oboe,                          chestra, dem London Symphony Orche-
aufführen.                                                      stra und dem Concertgebouworkest Am-
                                                                sterdam aufgeführt.
Das eigentliche Kerngeschäft des Rund-
funkchors beinhaltet 55 Konzerte und
drei CD-Produktionen in der Saison
2010/2011.



     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Mehr Öffentlichkeit für den Gesang“ S. 1 / 6
Neben der Reihe „Broadening in Concert“                         Damit möchte der Chor dazu beitragen,
und den Education-Aktivitäten gehören                           dass Singen als kreatives Potenzial alle
auch die sogenannten Mitsingkonzerte                            Bereiche des Lebens erreicht.
zum Konzept von „Broadening the Scope
of Choral Music“. In zwei Proben und der                        Auch vor Unternehmen macht der Rund-
Aufführung können dabei 1000 Mitsänger                          funkchor nicht Halt. Im Gegenteil – hier
bei einem großen Chorwerk des Rund-                             findet er sowohl finanzielle als auch
funkchores in der Berliner Philharmonie                         kreative Partner und initiiert Chorgrün-
mitwirken. Oft melden sich dabei ganze                          dungen in Unternehmen. In Mitsingpro-
Chöre und Schulklassen an und die War-                          ben in den Räumen der Unternehmen
teliste ist so lang wie die Liste der be-                       kommen die MitarbeiterInnen mit dem
reits Angemeldeten. Inzwischen hat sich                         Singen in Kontakt. Daneben richtet sich
sogar eine „Industrie“ im Umfeld der                            der so genannte LeaderChor an Füh-
Mitsingkonzerte entwickelt – Chorleite-                         rungskräfte aller Bereiche. Es wurde
rInnen bieten Workshops und Proben zur                          festgestellt, dass Führungskräfte durch-
Vorbereitung auf das Mitsingkonzert an.                         aus singen können, jedoch zu wenig Zeit
Sogar Unternehmen entsenden Mitarbei-                           für regelmäßige Proben haben. Daher
terchöre, die während der Arbeitszeit zu-                       sind sie dankbar, einmal projektweise
sammen dafür proben. Am Ende steht                              wie die Profis mit Simon Halsey zusam-
ein großes gemeinsames Konzerterleb-                            menarbeiten zu können.
nis, das jedes Mal bereits nach 14 Tagen
ausverkauft ist.

Auch für Berliner SchülerInnen gibt es
ein Mitsingangebot des Rundfunkchores.
Mit 300 TeilnehmerInnen kleiner als das
Mitsingkonzert, ist die sogenannte Lie-
derbörse eine Möglichkeit für die Schüle-
rInnen, mit einem professionellen Chor
zusammen zu singen. Dabei dürfen Lie-
derwünsche mitgebracht werden. Dieses
Projekt erfordert ein Jahr Vorbereitung,
in dem SängerInnen des Rundfunkchores
mit den SchülerInnen proben. Dazu
müssen auch immer LehrerInnen gefun-
den werden, die klassenübergreifend
mitmachen.                                                      Damit auch in Zukunft charismatische
                                                                Chorleiter und „Rattenfänger“ wie Simon
Das nächste Projekt des Rundfunkchores                          Halsey diese Arbeit fortsetzen, hat der
im Bereich der kulturellen Kinder- und                          Rundfunkchor die „Internationale Mei-
Jugendbildung wird ein Projekt sein, in                         sterklasse Berlin“ für junge Dirigenten
dem das Singen neu in den Grundschu-                            ins Leben gerufen, bei der man bereits
len etabliert werden soll. In Kooperation                       interessante junge Leute kennen lernen
mit den Landesmusikschulen werden                               konnte. Dabei lernen beide Seiten, Leh-
ChorsängerInnen als Singpaten in zu-                            rende und Lernende, immer auch von-
nächst zwei Grundschulen entsandt.                              einander.




     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Mehr Öffentlichkeit für den Gesang“ S. 2 / 6
Mehr Öffentlichkeit für
den Gesang II – Singende
Flashmobs der Interna-
tionalen A-cappella-
Woche Hannover

Referent: Roger Cericius, Leiter der
Internationalen A-cappella-Woche


Die Internationale A-cappella-Woche                             Facebook ist inzwischen das wichtigste
Hannover ist mit einer Festivalwoche im                         Social Network. Auf Facebook hat die A-
Jahr ein singuläres Ereignis mit in die-                        cappella-Woche inzwischen 291 Fans,
sem Jahr mehr als 7500 Besuchern. Das                           über die statistische Werte über Reaktio-
Konzept sieht den Auftritt weltbekannter                        nen auf das Festival herausgelesen wer-
und auch dezidiert weniger bekannter                            den können. Außerdem gerät man so an
Ensembles vor. Im Vordergrund der Pro-                          Informationen über Themen am Rand
grammgestaltung stehen ein große                                des Festivals; zum Beispiel, wie die Be-
Bandbreite, Vielfalt und Innovation. Der                        sucher morgens aufstehen und den Fe-
Etat beträgt 150.000 Euro im Jahr. Mit                          stivaltag beginnen. Auch bei der Face-
einem Marketingetat, der zehn Prozent                           book-Präsenz gilt, dass sie oft aktuali-
davon beträgt, ist es schwierig, Werbung                        siert werden muss, um für Nutzer attrak-
auf ganzer Breite zu realisieren. Daher                         tiv zu bleiben. Die Arbeit, die Webseiten
setzt das Festival verstärkt auf Werbung                        sorgfältig zu pflegen, lohnt sich, wenn
über das Internet und versucht, Men-                            man einen Kreis ansprechen möchte, der
schen zu Multiplikatoren zu machen. Da-                         im Internet zu Hause ist. Facebook er-
bei lautet die Devise, einfache Bilder für                      möglicht es, die eigenen Fans so genau
Partner und Medien zu produzieren, per-                         wie möglich kennen zu lernen. Um je-
sönlichen Kontakt zu den Menschen auf-                          manden zu erreichen, müssen seine
zubauen und das Internet effektiv zu                            Emotionen erreicht werden, damit er in
nutzen.                                                         das Konzert kommt.

Im Jahr 2008 hatte der Internetauftritt                         In diesem Jahr gab es das Phänomen,
der A-cappella-Woche 50.000 Clicks.                             dass auf einen Aufruf an Chöre, zum
Aufgrund dieser positiven Besucherent-                          Auftakt der A-cappella-Woche irgendwo
wicklung auf der Website vollzog das Fe-                        in Hannover zu singen, ein Flashmob
stival den Einstieg in die Social Net-                          entstand. Die Sänger reisten zum Teil
works. Wichtig bei der Pflege einer Web-                        von weit her an, trafen sich in einem
site ist, sie stets aktuell zu halten und                       großen Einkaufszentrum in Bahnhofsnä-
sie mit News zu füttern sowie gut ver-                          he, sangen zusammen und wurden von
linkt zu sein, um eine gute Position bei                        einigen Menschen gefilmt. Im Internet
der Suchmaschinensuche zu erreichen.                            erreichten die Videos weitere 8.000 Men-
Von den Social Networks sollte man nur                          schen. Auch die Berichterstattung auf
die für das Marketing nutzen, die für das                       SAT1, NDR, in der HAZ und der Bildzei-
eigene Anliegen relevant sind.                                  tung trugen zu einer effektiven und da-
                                                                bei kostenlosen Werbung für die A-
Die A-cappella-Woche nutzt Twitter,                             cappella-Woche bei. Außerdem wurden
Myspace und Facebook. Twitter wird we-                          die Fans auf Facebook durch den Flash-
gen der Schnelligkeit genutzt und wegen                         mob in der Realität haptisch und es war
der Möglichkeit, aus einem Konzert her-                         möglich, mehr über die eignen Fans zu
aus etwas zu berichten. Hier hat die A-                         lernen.
cappella-Woche bereits 90 Followers. Die
Tweets werden direkt in die Homepage                            Um solche Wirkungen zu erzielen, ist es
eingefüttert.                                                   jedoch notwendig, sich jenseits der Kul-
                                                                tur kreativ zu zeigen und etwas anzubie-
                                                                ten, was andere nicht haben. Darüber


     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Mehr Öffentlichkeit für den Gesang“ S. 3 / 6
hinaus kann z.B. der Informationsfluss                           z.B. Backstage-Aufnahmen. Es geht dar-
über Programmankündigungen mit einer                             um, das eigene Publikum so gut wie
besonderen Dramaturgie versehen wer-                             möglich kennen zu lernen, sich auch
den. Außerdem sollten viele bewegte Bil-                         Programmideen aus dem Publikum mit-
der und Details gezeigt werden, die                              teilen zu lassen und sich allen Fragen
sonst nicht gezeigt werden können, wie                           aus dem Publikum zu stellen.



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Diskussion


Markus Lüdke (Moderator): Herr
Rehberg, wie ist das Verhältnis von Auf-
wand und Wirkung bei den von Ihnen
dargestellten Aktivitäten des Rundfunk-
chors? Sie machen viele Konzerte, das
Programm ist gewachsen. Alles, was
über den normalen Betrieb hinausgeht
ist, ist also ein riesiger zusätzlicher Auf-
wand. Wie organisieren Sie das? Gibt es
bei Ihnen eine Stelle dafür?

Hans-Hermann Rehberg: Nein, eine                                 Markus Lüdke: Herr Cericius, es ist be-
Stelle dafür gibt es nicht. Die Arbeit hat                       eindruckend, wie es Sinn macht, sich mit
sich im Laufe der Zeit verändert. Im                             neuen Medien auseinanderzusetzen? Es
Team ist jedem bewusst, dass diese Ak-                           leuchtet ein, dass man etwas über die
tivitäten notwendig sind. Vieles macht                           Kunden lernen kann. Unterscheiden Sie
man aus Leidenschaft und Freude. Au-                             die Zielgruppen was die Programminhal-
ßerdem werden projektweise freie Mitar-                          te anbelangt? Merken Sie, ob das Inter-
beiter engagiert, zum Beispiel für Projek-                       net immer noch ein Medium ist, in dem
te mit Grundschulen. Unser Werbeetat                             sich eher Jüngere tummeln?
ist übrigens auch begrenzt und macht
nur acht bis neun Prozent des Verwal-                            Roger Cericius: Der Vorteil ist, dass
tungsetats aus. Aber mit der Initiative,                         Musik grundsätzlich generationsübergrei-
die losgetreten wurde, gibt es viel Mund-                        fend ist. Was die Nutzung des Internets
zu-Mund-Propaganda. Auch durch die                               angeht, sind wir noch zu frisch dabei, um
Liederbörse erhalten wir viel mehr Auf-                          wirklich eine Aussage darüber treffen zu
merksamkeit in der Presse als für nor-                           können. Natürlich ist der Kreis, der dort
male Konzerte – dadurch multipliziert                            kommuniziert und wirklich interaktiv ist,
sich die Wirkung.                                                noch überschaubar. Die nächste Entwick-
                                                                 lungsstufe für uns ist, eine Beziehung zu
Auch die Ensemblemitglieder sind in die                          beschreiben. Ich hätte gerne eine Ant-
Arbeit eingebunden, sie müssen das Au-                           wort, wie man diese Beziehung beschrei-
dience Development zu ihrer eigenen                              ben kann und pflegt, so dass man an die
Sache machen. Wir machen die Arbeit                              Leute herankommt. Die Basis dafür ist,
seit Mitte der 90er Jahre und es war am                          dass man viel über sie weiß.
Anfang nicht selbstverständlich, dass
diese Dinge notwendig sind. Mit der Zeit                         Wir haben in diesem Jahr versucht, Mit-
und auch durch den Künstlerischen Lei-                           glieder für den Förderverein der A-
ter ist das Verständnis gewachsen. Er                            cappella-Woche zu werben. Ich habe auf
schafft es, eine Basis zu schaffen, auf                          Facebook geschrieben „Wer macht da
der niemand vorgeführt wird, aber auf                            mit?“ – darauf gab es keine einzige Mel-
der jeder vom anderen lernt.                                     dung. Ein paar Tage später habe ich ein-
                                                                 fach nur geschrieben: „Wow!“, und es


      Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Mehr Öffentlichkeit für den Gesang“ S. 4 / 6
gab zehn Meldungen. Sie müssen die                              gar aus Übersee und es ist eine schöne,
Leute mit auf den Weg zu sich nehmen.                           nachhaltige Sache. Natürlich ist auch die
Wir haben viele ehrenamtliche Helfer, die                       Vernetzung mit den Schulen nachhaltig
wir auf diese Weise kennengelernt ha-                           gedacht. Und das ist sie auch in der Rea-
ben. Es gibt viele Begeisterte, die mithel-                     lität, denn immer wieder und auch flä-
fen und die wiederum eine eigene Com-                           chendeckend melden sich Schulen, um
munity haben, die sie zusätzlich mobili-                        mitzumachen. Auch das Singen in den
sieren.                                                         Grundschulen wird bestimmt gut voran-
                                                                kommen. Wir arbeiten dafür mit dem
Markus Lüdke: Wunderbar, Sie haben                              Berliner Sängerbund und dem Deutschen
uns jetzt sehr sinnfällig dargestellt, was                      Chorverband zusammen. Wir haben
es für einen Wert haben kann, sich im                           einmal klein mit den Familienkonzerten
Internet zu engagieren. Herr Rehberg,                           angefangen, die mal funktionierten und
gibt es einen nachweisbaren Fluss von                           mal nicht. Dann kam die Idee, ein Sän-
Menschen, die über die Audience Deve-                           gerfest zu veranstalten. Alle Amateur-
lopment-Aktivitäten zum Chor finden und                         chöre wurden angeschrieben und dann
dann auch in die anderen, regulären                             im Haus des Rundfunks zum Singen ge-
Konzerte gehen?                                                 bracht. Daraus ist dann das Mitsingkon-
                                                                zert in der Philharmonie gewachsen.
Hans-Hermann Rehberg: Ja, wir ha-
ben das Gefühl, dass die Beteiligten der                        Roger Cericius: Alles braucht einen Im-
außerordentlichen Projekte inzwischen                           puls und den hat man in Hannover ge-
auch zur Fangemeinde des Rundfunkcho-                           setzt, obwohl wir inzwischen ein nieder-
res über die Mitsingkonzerte hinaus ge-                         sächsisches Festival sind, das in Hanno-
hören. Seit es das Mitsingkonzert gibt,                         ver stattfindet. Zur Vernetzung ist zu sa-
können wir einen regelmäßigen Anstieg                           gen, dass wir seit vielen Jahren mit der
der Mitglieder des Freundeskreises ver-                         Hochschule für Musik und Theater in
zeichnen. Ich glaube, diese Arbeit zahlt                        Hannover Meisterkurse für klassische
sich aus.                                                       und Jazz-/Rock-/Popmusik veranstalten.
                                                                Wir überlegen, ob wir Projekte mit Ein-
Markus Lüdke: Nun möchten wir das                               richtungen machen, die am Rande das
Gespräch öffnen und dem Plenum die                              Festival streifen, wie z.B. eine Lehrer-
Möglichkeit geben, Fragen zu stellen.                           fortbildung im Beatboxing. Die A-
                                                                cappella-Woche war auch oft ein Impuls
Hans-Jürgen Ollech: Das waren jetzt                             für Chorgründungen. Es gab die letzten
zwei klassische Beispiele, die sich auf                         zwei Jahre ein Open-Air-Konzert auf dem
zwei lokale Städte beziehen. Wenn man                           Platz vor der Marktkirche, zum dem
auf den Verband in Niedersachsen und                            3000 Menschen kamen, die sonst nicht
Bremen schaut, dann sieht die Welt an-                          gekommen wären – das hatte auch eine
ders aus. Herr Rehberg, inwieweit arbei-                        Multiplikationswirkung.
ten Sie auch mit dem Berliner Chorver-
band zusammen und welche nachhaltige                            Hans-Hermann Rehberg: Ein großes
Wirkung hat das Ganze bezogen auf Ber-                          Problem im Hinblick auf Vernetzung ist,
lin? Wird regelmäßig in Schulen und Kin-                        dass viele Institutionen aus Imagegrün-
dergärten gesungen? Auch die A-                                 den nur für sich kämpfen. Wir würden
cappella-Woche in Hannover ist ein                              mehr erreichen, wenn wir unser Ego ab-
Event, das regelmäßig läuft. Welche                             legen und glauben, dass wir gemeinsam
nachhaltige Wirkung hat dieses Festival                         mehr erreichen. In Berlin kann ich mir
im Bereich Hannover?                                            gut vorstellen, mit den Hochschulen zu-
                                                                sammen zu arbeiten. Ich glaube, wir
Hans-Hermann Rehberg: Ich glaube,                               sind stärker zusammen.
das Mitsingkonzert ist ein Beispiel dafür,
dass es nicht nur ein lokales, sondern –                        Roger Cericius: Dabei können die öf-
ohne zu übertreiben – auch ein weltwei-                         fentlichen Einrichtungen auch mehr da-
tes Event ist. Ein Mal im Jahr ist der Pe-                      zulernen, wenn sie begreifen und sehen,
tersplatz nicht in Rom, sondern in Berlin.                      dass Impulse von außen nicht nur etwas
Es kommen Sangesfreudige aus der gan-                           verlangen, sondern auch etwas geben
zen Bundesrepublik, aus Europa und so-                          können.


        Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Mehr Öffentlichkeit f. d. Gesang“ – S. 5/6
Martin Heubach: Benutzen Sie noch                              Es muss immer ein Mix sein. Langfristig
klassische Werbemittel? Schalten Sie An-                       kann man sich jedoch von manchen Me-
zeigen bei Facebook? Haben Sie einmal                          dien verabschieden.
ausgewertet, wie viel Zeit Sie für die                         Beim Mitsingkonzert muss jeder 25 Euro
Pflege der Facebook-Seite investieren?                         bezahlen, egal ob er mitsingt oder nicht.
Sind die Mitsänger in der Philharmonie                         Außerdem muss jeder Sänger die Noten
auch diejenigen, die Eintritt zahlen und                       selbst kaufen.
das Konzert finanzieren?
                                                               Markus Lüdke: Nun möchte ich Sie
Roger Cericius: Ja, wir machen tradi-                          noch um ein letzte Statement bitten: Die
tionelle Werbung in der Stadt, versuchen                       Chorszene ist in erster Linie eine Laien-
aber auch, klassische Werbung umzu-                            szene. Das macht die Kraft dieser Szene
denken. Zum Beispiel haben wir uns mit                         aus, weil sie in der Breite stattfindet. Sie
dem Masala Festival zusammengetan                              haben gezeigt, was man hier als Institu-
und Hannover Marketing überzeugt, die                          tion tun kann. Aber was kann man im
beiden Festivals für ein Imageplakat für                       Alltag eines Laienchores davon umset-
Hannover zu verwenden, das die Festi-                          zen?
vals dadurch nichts gekostet hat. Ban-
nerwerbung im Internet ist ein gutes                           Roger Cericius: Jeder muss seine Ziele
Thema, das werden wir in Zukunft ver-                          und Erwartungen definieren und muss
stärkt machen. Die investierte Zeit für                        strategisch arbeiten. Wenn Sie die Er-
die Pflege der Social Networks beträgt                         wartung haben, einen Nachmittag mit
bei mir eine Stunde am Tag.                                    Singen und Kaffeetrinken zu verbringen,
                                                               dann tun Sie das.
Hans-Hermann Rehberg: Wir machen
auch klassische Werbung, sind aber                             Hans-Hermann Rehberg: Wenn jeder
momentan im Prozess des Umdenkens,                             über seinen Tellerrand schaut und sich
inwiefern wir mehr virale Werbung                              vernetzt, ist viel gewonnen. Wichtig ist,
betreiben sollten. Es gibt zum Beispiel                        dass Profis und Laien voneinander lernen
Bannerwerbung für den kommenden                                und dass es einen Dialog gibt und eine
Gospelworkshop, da wir realisiert haben,                       ganz große starke Gruppe.
wie groß die Community aufgestellt ist.




                                                                          Das Protokoll führte Paul Krüerke.

       Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Mehr Öffentlichkeit f. d. Gesang“ – S. 6/6
SINGEN MIT GENERATIO-
NEN I – Canto elementar

Referentin: Anke Bolz, Seminar- und
Projektleiterin „Il canto del mondo
e. V.”


Canto elementar verbindet singfreudige
Senioren mit Kindergärten, die das Sin-
gen als Element der Alltagskultur ihrer                    Auf eine 20-köpfige Kindergartengruppe
Kinder wiederbeleben wollen. Canto ele-                    kommen ca. zehn Senioren, die idealer-
mentar betrachtet die Entfaltung des                       weise in der näheren Umgebung der Kin-
Singens als gleichbedeutend mit der des                    dergärten wohnen.
Sprechens. Singen wird gleichwertig zum
Erlernen der Sprache verstanden. Das                       Die ErzieherInnen erlernen und erleben
Sprechen gilt dem Projekt als der Motor                    durch die wöchentliche Canto-Stunde
für die Entwicklung des Logos, das Sin-                    das Liedersingen für sich selbst, um es
gen dagegen für die Entwicklung der                        dann verstärkt in den Kita-Alltag einflie-
Emotionen. Ausgangspunkt ist die Beob-                     ßen zu lassen. Schließlich werden die El-
achtung, dass in den meisten Familien                      tern zu Singstunden und besungenen Ki-
nicht („nicht mehr“) musiziert oder ge-                    ta-Festen eingeladen.
sungen wird. in den Kindergärten wen-
den nur („nur noch“) zehn Prozent der                      Das Programm Canto elementar, das von
ErzieherInnen spielerisches Singen an.                     „Il Canto del mondo e. V.“ angeregt und
Dabei ist „Singen Kraftfutter für Kinder-                  begleitet wird, dauert für jede Kinderta-
hirne“ (Prof. Dr. Dr. G. Hüther) und                       gesstätte zwei Jahre. Der Verein hilft bei
schüttet ein Hormon aus, das den Men-                      der Singpatensuche, bei inhaltlichen Fra-
schen bindungsfähig macht. Singen kann                     gen und hält Einführungen ins Projekt für
wie kein anderes medizinisches Mittel                      Singpaten, ErzieherInnen und LeiterIn-
gleichzeitig Angst lösen und Freude                        nen. Weiterhin kümmern sich Mitglieder
wecken (Prof. Dr. Dr. M. Spitzer).                         des Vereins um die Anschaffung des ge-
                                                           meinsamen Liederbuches inklusive CD
Die Kinder, die teilweise weiter weg von                   und besuchen regelmäßig die Kindergär-
ihren eigenen Großeltern leben oder bei                    ten.
denen das Musizieren kein Bestandteil
der familiären Kommunikation ist, sollen                   Eine Kita, bei der alle Kinder einbezogen
ein Singen in großfamilienähnlicher At-                    werden und täglich mindestens 45 Minu-
mosphäre erleben. Dabei verbringen äl-                     ten singen, erhält Urkunden und die Pla-
tere Singpaten gruppenweise 45 Minuten                     kette „Canto-Kita“. Nach der Projektpha-
pro Woche ehrenamtlich in einer Kinder-                    se läuft es oft weiter, die Gruppe der be-
tagesstätte und wirken darauf hin, die                     geisterten Singpaten erneuert sich
Kinder für das regelmäßige Singen „aus                     selbstständig und die ErzieherInnen sind
Herz und Seele“ zu begeistern. Das kön-                    dankbar für eine generationenverbinden-
nen sie am Besten mit Liedgut, das sie                     de Singkultur.
selbst voller Begeisterung im Herzen ha-
ben. Demzufolge erstreckt sich die Lied-                   Canto elementar startet, wenn sich ein
auswahl über Volkslieder, alte Kinderlie-                  Kindergarten oder Eltern, Singpaten oder
der aber auch über das Hören und Erle-                     andere Förderer dazu melden und um
ben von Geräuschen und Lauten sowie                        zweijährige Unterstützung durch den
Fantasiesprache in Form von nonverbaler                    Träger „Il canto del mondo e. V.“ bitten.
Kommunikation. Zum Singen sollte min-                      Die Kosten für die Kita belaufen sich auf
destens ein Pate ein Begleitinstrument                     5 000 Euro über die zweijährige Projekt-
spielen, zum Geräuschwahrnehmen wer-                       zeit für das Material und das beteiligte
den Klangstäbe und Windspiele an die                       Personal. In manchen Einrichtungen be-
Kinder verteilt.                                           teiligt sich ein Förderer wie eine Versi-


     Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Singen mit Generationen“ – S. 1 / 4
Dokumentation jahreskonferenz 2010
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Dokumentation jahreskonferenz 2010

  • 1.
  • 2. Jahreskonferenz Musikland Niedersachsen 2010 5. Treffen Musikvermittlungsteam Herausforderung Musikvermittlung - Werkstatt des Musikvermittlungs- teams zu Hürden im Arbeitsalltag Moderation: Anne Benjes, Musikland Niedersachsen Das Treffen fand am Vormittag des er- sten Tages der Musikland Jahreskonfe- renz 2010 in der Landesmusikakademie Sie sprach von Nöten und Freuden in der Niedersachsen in Wolfenbüttel statt. Mit Kooperationsarbeit. Wichtig sei es, zwei einem Rückblick auf die Aktionswoche grundlegend verschiedene Herange- Ohrenschmaus, welche vom 20. – 26. hensweisen in der Arbeit mit Koope- September 2010 stattgefunden hatte, rationspartnern zu unterscheiden: Ent- wurde die Sitzung eröffnet. Frau Benjes weder eine gute Idee ist vorhanden, zu stellte fest, dass die landesweite Medien- der der passende (ggf. neue) Kooperati- aufmerksamkeit z. B. durch das NDR onspartner gesucht wird oder man geht Fernsehen vielen Projekten zugute kam. von einem langjährigen bewährten Part- Die Woche wurde vom Musikland- ner aus und kreiert das passende Pro- Filmteam begleitet. Ein Video- jekt, z.B. bei veränderten Rahmenbedin- Zusammenschnitt der Projekte ist auf gungen (Bsp. Ganztagsschulen). der Musikland-Homepage einsehbar. Der Wunsch nach einer Fortführung einer Nach dieser Unterscheidung gebe es solchen Aktionswoche wurde ausgespro- mehrere Punkte, die die Kooperationsar- chen, wenn möglich zukünftig mit mehr beit erleichtern könnten: Einen Koopera- Kooperationspartnern und Projekten. tionsvertrag, der langjährig oder für ein- zelne Projekte geschlossen wird, könne Die eigentliche Sitzung widmete sich die Ziele klar formulieren und somit Fra- Hürden der Musikvermittlung im Arbeits- gen wie die Finanzierung, die Dokumen- alltag: möglichen Schwierigkeiten in der tation und Präsentation schon im Voraus Zusammenarbeit mit Kooperationspart- klären. Als weitere Hürden nannte Kahl- nern, Fragen nach Zielgruppen sowie der mann logistische Fragen wie die Bereit- Stellung und Funktion von Musikvermitt- stellung von Instrumenten, Transportfra- lung innerhalb der eigenen Organisation. gen, den Austausch von Kontaktdaten Vier Impulsreferate aus dem Team ga- (beispielsweise mit LehrerInnen und El- ben Einblick in die unterschiedlichen Er- tern) sowie Zeit und Ort einer Veranstal- fahrungen auf diesem Gebiet und stan- tung. Diese Fragen im Voraus zu klären, den stellvertretend für die jeweilige Hür- könne Kollisionen mit Konkurrenzveran- de. Sie gaben Anlass zum Gespräch. staltungen und plötzliche Überraschun- gen vermeiden. Als Tipp riet Kahlmann, Für die „Zusammenarbeit mit Kooperati- auch bei guter Organisation flexibel zu onspartnern“ gab Denise Kahlmann von bleiben sowie, wenn möglich, DozentIn- Musik in Hainholz/Musikzentrum Hanno- nen, LehrerInnen oder Eltern in organi- ver einen Einblick in ihre Arbeit. satorische Fragen einzubinden. Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – Protokoll 5. Treff Musikvermittlungsteam – Seite 1 von 3
  • 3. Das zweite Impulsreferat zur Hürde „Ko- dung unterschiedlicher Ensembles und operationspartner“ wurde von Martin Chöre der Region, aber auch nicht direkt Heubach und Ruth Emanuel von Concer- mit Kulturveranstaltungen in Verbindung to Gandersheim gehalten. gebrachte Partner, etwa Cafés oder örtli- Concerto Gandersheim war durch die che Vereine wie die Feuerwehr. Letztere Gründung eines Trägervereins zusätzlich bringen kulinarische Kompetenzen oder zum kirchenmusikalischen Angebot der Erfahrungen im Organisieren von örtli- Gemeinde Bad Gandersheim in Südnie- chen Festen mit. Durch die Schaffung dersachsen entstanden. Die letzten zehn neuer Kooperationen kann gleichzeitig Jahre galt die Arbeit allen möglichen Mu- auch ein erweitertes Publikum angespro- sikern, vom Kinderchor bis zum profes- chen werden. sionellen Vokalensemble. Martin Heu- bach ist Intendant der Gandersheimer Hilfreich für den Informationsaustausch Dommusiken. und für die Vernetzung von Kulturveran- staltern könne ein Runder Tisch nach Art der „Hauptsache Kultur“-Treffen in Bad Gandersheim sein. Heubach nannte hier die klaren Vorteile für den ländlichen Raum, sich auszutauschen und gegebe- nenfalls ein gemeinsames Marketing zu betreiben. Die Idee, den regionalen Tou- rismus durch Kulturveranstaltungen zu fördern, biete neue Möglichkeiten der Kooperationen auf dem Land. Ausgehend von den Internationalen Abschließend für die Hürde Kooperati- Gandersheimer Dommusiktagen sprach onspartner wurde der Wunsch nach ei- Heubach vom Vorteil eines solchen Festi- nem verstärkten Erfahrungs- und Infor- vals für örtliche Kulturveranstalter auf mationsaustausch der Musikvermittler dem Land, das auch kleineren Veranstal- untereinander angesprochen. Ein ge- tern Aufmerksamkeit bringe, die sie meinsamer Verteiler wurde angeregt, sonst nicht hätten. woraufhin Frau Benjes auf Hans Walter vom Referat „Musikalische und künstleri- Die Kooperationen betreffend, setzt sche Bildung“ des Niedersächsischen Heubach in seiner Arbeit darauf, Kompe- Kulturministeriums verwies, welcher in- tenzen des jeweiligen Partners zu er- teressierte Musiklehrer regelmäßig mit schließen und zu nutzen, was Synergie- Informationen versorgt und über einen Effekte mit sich bringe. Kooperationen funktionierenden Verteiler verfüge. Ein mit der Wirtschaft beispielsweise bieten Terminabgleich, wie es beispielsweise oftmals finanzielle Förderung, jedoch das Chorleitertreffen Hannover macht, auch die Möglichkeit, ungewöhnliche Auf- wurde hauptsächlich für urbane Räume führungsorte zu bespielen. Beispiele für als sinnvoll erachtet. In der Diskussion die Erschließung solcher neuer und un- um Verträge kristallisierte sich heraus, gewöhnlicher Räume für geistliche Musik dass Verträge mit Kooperationspartnern waren ein Konzert in einer Burg sowie eine Augenmaßfrage seien, je nach Art die Idee, das Weihnachtsoratorium in ei- des Partners und Größe des Projekts. Als ner leer stehenden, kathedralengleichen psychologische Absicherung könnten die- Papierfabrik aufzuführen. Als weitere se jedoch oft hilfreich sein. Beispielver- Beispiele für Kooperationen in seiner ei- träge und Checklisten sollen demnächst genen Arbeit nannte Heubach die Einbin- auf www.musikland-niedersachsen.de im Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – Protokoll 5. Treff Musikvermittlungsteam – Seite 2 von 3
  • 4. Bereich Musikvermittlung zur Verfügung gen „key persons“ und die richtige Szene gestellt werden. Dazu bittet Frau Benjes anzusprechen sei die Kunst dabei. Als die Mitglieder des Teams um Zusendung Mittler für unterschiedliche Kultur- von (Muster-)Verträgen und Arbeitshil- Länder-Vereine zu fungieren gelinge fen, die auf der Plattform veröffentlicht nicht immer, notfalls müsse man sich für werden können. einen Partner entscheiden. Die Frage nach dem ideellen Gewinn für Sponsoren eines Projekts wurde mit der Notwendigkeit der Identifikation eines Produkts mit örtlichen Partnern beant- wortet. Mitarbeiterkarten und eine Imageaufwertung des Unternehmens seien zudem motivierend für Unterneh- men, sich für Kulturprojekte einzusetzen. Es wurde festgestellt, dass in der Koope- ration mit Schulen persönliche Kontakte sehr wichtig seien, da allgemeine Anfra- gen an Schulen oftmals nicht beachtet Zur „Stellung und Funktion von Musik- werden. Bei einer kontinuierlichen Arbeit vermittlung innerhalb der eigenen Orga- sei die Vertrauensbasis leichter herzu- nisation“ sprach Hermann Baumann von stellen als bei einmaligen Projekten oder den Internationalen Händel-Festspielen Festivals. Göttingen. Musikvermittlung sei aus sei- ner Sicht eine gesamtgesellschaftliche, politische Aufgabe und nicht allein Sache Zur Hürde „Zielgruppen“ bot ein Impuls- der Institutionen wie der Orchester. Kür- referat von Christoph Sure, Geschäfts- zungen im Musikunterricht könne man führer des MASALA Welt-Beat Festi- deshalb nicht einfach hinnehmen. Auf die vals/Pavillon Hannover Einblick in die Ar- Frage, was Orchester tun könnten, um beit mit internationalem Publikum. Sure zur Bildung im Bereich Musik beizutra- sprach von der „Marke MASALA“, die in- gen, bemerkte Baumann, dass bei zwischen ein Stammpublikum gefunden Klangkörpern wie großen Orchestern ein hat, aber auch von länderspezifischen Programm rund um bestehende Projekte Fans, die einzelne Konzerte besuchten. entwickelt werden müsse. Er ergänzte, Ausgehend von den Afrikanischen Näch- dass man Kinder schon im frühen Alter ten in den Achtzigerjahren hat sich das an die klassische Musik in Konzerten he- Festival verändert, etabliert und kann in- ranführen müsse, indem man beispiels- zwischen auch Experimente wagen. weise eine Kinderbetreuung während ei- ner Hälfte der Konzerte anbiete. Als Bei- Wichtig für die Ansprache der Zielgrup- spiel einer Forderung an die Politik wurde pen eines Konzertes sei es, den richtigen die Notwendigkeit einer musikalischen Ton zu treffen. Auch Plakate und persön- Ausbildung für Erzieherinnen von einer liche Kontakte zu Zielgruppenvereinen, Teilnehmerin erwähnt. wie beispielsweise länderspezifischen Kulturvereinen, seien unumgänglich. Ein Ausblick auf das nächste Treffen des Ständig Kontakt zum Stammpublikum zu Musikvermittlungsteams, das Ende Fe- halten und gleichzeitig neue Zielgruppen bruar/Anfang März 2011 stattfinden anzusprechen sei das Ideal. Wie Heu- wird, beendete die Sitzung. bach, sprach auch Sure von den Kompe- tenzen und Interessen der Partner, hier im Hinblick auf das Publikum. Die richti- Das Protokoll führte Mechthild Schlumberger. Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – Protokoll 5. Treff Musikvermittlungsteam – Seite 3 von 3
  • 5. Grußwort des Niedersäch- sischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur Referent: Detlef Lehmbruck, Refe- ratsleiters Musik/Theater im Sehr geehrte Frau Abgeordnete Behrens, Sehr geehrter Herr Prof. Kemmelmeyer, über Deutschland hinaus gerichtet ha- Sehr geehrter Herr Werren, ben. Die erneut exponentiell angestiege- ne Teilnehmerzahl belegt die Unverzicht- Sehr geehrter Herr Koch, barkeit des Unterfangens. liebe Musikerinnen und Musiker, Nicht zuletzt für das Land Niedersachsen ist es besonders erfreulich, dass Sie das Im Namen von Frau Ministerin Prof. Dr. Thema Singen gewählt haben. Nicht weil Wanka, die heute leider nicht bei Ihnen dieses Thema besonders originell wäre – sein kann, Herrn Staatssekretär Dr. Lan- Singen war zu allen Zeiten Thema. Man ge und Frau Dr. Schwandner freue ich könnte auch meinen, es sei alles über mich sehr, dass ich Ihnen die herzlichen das Singen gesagt. Das Musikland Nie- Grüße der niedersächsischen Landesre- dersachsen ist jedoch berechtigterweise gierung überbringen kann. nicht dieser Meinung. Viele historische Die Jahreskonferenzen von Musikland Beispiele des Redens über das Singen Niedersachsen sind gleichsam die ideal- könnten das belegen. Hier mag eines für typischen Verwirklichungen des Musik- viele stehen: land-Gedankens. Sie leben vor, was ei- „Wir haben Schubertlieder gesungen und ner der Grundgedanken der Projektträ- neu gelernt, ach, Du solltest sie hören, ger von Musikland Niedersachsen war: sie sind wunderbar …Den 'Wanderer an Vernetzung der Musikmacher und fachli- den Mond' finde ich immer schöner … cher Austausch mit dem Ziel, einen an- Durch den ganzen ersten Teil der erden- dauernden Diskurs über Qualitätsmaß- schwere Schritt des Wanderers 'Ich wan- stäbe zu etablieren. Dabei wird sich auch dre fremd von Land zu Land, so heimat- in diesen Tagen erweisen, dass sich Mu- los, so unbekannt'. Dann aber lösen sich sikkultur in ihrer Vielfalt hervorragend die Akkorde auf in gebrochene, das für die Beschäftigung mit best-practice- klingt wunderbar frei und so rein, nicht Beispielen eignet. Man braucht aber lei- der leiseste Schimmer irgendeiner Dis- denschaftliche Musikvermittler, die die harmonie noch überschwenglichen Ge- intime Kenntnis ihres eigenen Musiklan- fühls: 'Du aber wanderst auf und ab von des mit dem offenen Blick über dessen Ostens Wieg in Westens Grab'. Und ein Grenzen hinaus verbinden. Schluss, den ich nicht beschreiben kann. Es ist in erster Linie Ihnen, lieber Herr … Es bleibt kein großes Gefühl, weder Koch, aber auch der gesamten Ge- des Trostes noch der Entsagung. Und schäftsstelle mit Frau Hayes, Frau Benjes doch erfreut es so, und tröstet so wie ei- und Frau Betker zu danken, dass Sie bei ne makellose Blume, die blüht, weil sie der Vorbereitung dieser Konferenz Ihren blüht. … Wenn Du kommst, singen wir Blick weit über Niedersachsen und sogar Dir's vor." Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Grußwort Detlef Lehmbruck (MWK) – S. 1 / 3
  • 6. Dies ist kein Zitat einer Musikerin der und Quandt bewogen hat, sich für den Romantik. Dies ist ein Zitat aus einem Liedwettbewerb zu engagieren. Interes- Brief einer Nichtmusikerin an einen sant ist in unserem Zusammenhang, Nichtmusiker. Es stammt von Sophie dass die Dimension weit über den Lied- Scholl, geschrieben an ihren Bruder gesang hinaus geht. Thomas Quasthoff, Werner Scholl gleichsam in den russi- Franziska Castell und überhaupt allen schen Feldzug. Beinahe unglaublich mu- Anhängern des Kunstlieds ist zweifellos tet der Zeitpunkt dieses Briefes an: Sie bewusst, dass es heute wie zu allen Zei- schrieb ihn Mitte Februar 1943 wenige ten historische Entwicklungen gibt, durch Tage vor ihrer Verhaftung. Schon das die das Singen in der einen Ausprägung macht den Schlusssatz - „Wenn Du an Gewicht gewinnt und in der anderen kommst, singen wir Dir’s vor“ - zu einem Ausprägung an Gewicht verliert. Die historischen Dokument. Heute, fast 70 Hausmusikbewegung im 18. und Jahre später, ist dieser Satz schon in 19.Jahrhundert und die Singbewegung seiner Grundaussage historisch gewor- als Teil der Jugendbewegung im frühen den. Eine kaum vorstellbare Verabre- 20. Jahrhundert stehen beispielhaft hier- dung, sich etwas vorzusingen, wenn man für. Sie sind auch wie wir alle völlig un- sich sieht. In unserem Zusammenhang verdächtig, etwa die positiven Wirkungen kann es dabei nicht um ein neuerliches der vielen Casting Shows unserer Zeit Lamento über einen vermeintlichen Kul- für das Singen und beispielhaft die Inte- turverlust gehen. Es geht vielmehr um gration von jungen Menschen mit Migra- einen authentischen Einblick in die tionshintergrund gering zu schätzen. selbstverständliche Lebensrealität einer „normalen“ Familie. Und doch wird eine Haltung bezeichnet, die die niedersächsische Landesregierung Viele von Ihnen waren vergangenen teilt: Singen benötigt einen zentralen Samstag dabei, als der Praetorius Musik- Platz im Lebensvollzug der Menschen, preis 2010 verliehen wurde. Natürlich einen Platz, den es früher zu vielen Zei- war es gleichermaßen traurig und ver- ten und an vielen Orten und in vielen ständlich, dass Thomas Quasthoff seinen Bevölkerungsgruppen hatte und auch Preis nicht persönlich entgegennehmen heute andernorts noch hat. Singen sollte konnte. Es war jedoch ein wunderbares den Platz haben, den es für die vielen Symbol, dass Franziska Castell, die Ge- Tausend Chorsänger im Musikland Nie- schäftsführerin „seines“ Liedwettbewer- dersachsen hat. Es muss alles versucht bes „Das Lied“, für ihn den Preis mit fol- werden, um ganz jungen Menschen ein genden Worten entgegennahm: Gefühl für die Selbstverständlichkeit des Singens zu vermitteln. „Der Gesang ist die ursprünglichste Form der menschlichen musikalischen Äusse- Daher spielt das Singen eine zentrale rungen. Aber es wird zu wenig gesun- Rolle im niedersächsischen Musikalisie- gen: in den Familien, in den Kindergär- rungsprogramm „Wir machen die Musik“, ten, in der Schule, aber auch überhaupt bei dem gerade Kindergartenkinder in unserem Lebensvollzug. Dem gilt es durch vielfältige Kombinationen von Sin- entgegenzuwirken.“ gen, Spielen und Bewegen erleben sol- len, dass Musik einfach dazu gehört. Als Franziska Castell beschreibt mit diesen integraler Bestandteil des Lebensvollzug Worten, was Thomas Quasthoff motiviert wird Singen dann auch in seiner ganzen hat, die Initiative für einen Liedwettbe- Vielfalt praktiziert werden. werb zu ergreifen. Und sie beschreibt – das darf man hier im Kreis von Musikför- Es wird auch ein steigendes Interesse für derern sagen – was die Familien Oetker die Bedeutung von vertonten Texten ge- Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Grußwort Detlef Lehmbruck (MWK) – S. 2 / 3
  • 7. ben, also das, was uns nach nur 70 Jah- ren so historisch erscheint an dem Brief von Sophie Scholl: ein Lied Textzeile für Textzeile zu vermitteln. Denn die Faszi- nation junger Menschen für vertonte Texte ist völlig ungebrochen, auch wenn viele Hits unserer Tage es nicht wirklich nahelegen. Wer den Beweis sucht, möge sich umhören, wie viele Jugendliche oh- ne Zögern auswendig „ich wollt noch danke sagen doch ich lieg im Krankenwagen noch wolln sie mich zwangsbeatmen doch bald is alles aus und vorbei“ darlegen können – und zwar zur Freude aller Bildungspolitiker bei voller Erfas- sung des Inhalts dieser Zeilen. Ein vielfältiges Musikland wie Nieder- sachsen braucht einen Ort, in dem die ganze Musikkultur ihre Heimstatt finden kann. Daher freuen wir uns sehr, dass auch die diesjährige Jahreskonferenz in der neuen Landesmusikakademie statt- findet, und wir danken dem gesamten Team für die Gastfreundschaft! Ich wünsche Ihnen einen fruchtbaren Austausch und glückliche Erfahrungen nicht nur über, sondern vor allem auch beim Singen. Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Grußwort Detlef Lehmbruck (MWK) – S. 3 / 3
  • 8. Jahreskonferenz Musikland Niedersachsen 2010 Eröffnungsvortrag „Singen heute“ Referent: Klaus Georg Koch, Geschäftsführer von Musikland Niedersachsen I. Meine Damen und Herren, im Frühjahr 1984 habe ich das erste Mal Man mochte sich vorkommen wie Goe- Lesotho, die frühere Kolonie Britisch Bet- thes Wilhelm Meister und seine Reisege- schuanaland, im südlichen Afrika bereist. fährten, denen auffiel, „daß je weiter sie Es ist ein bergiges Land, und es war da- ins Land kamen, ein wohllautender Ge- mals auch ein wildes Land, das sich dem sang ihnen immer mehr entgegentönte.“ Reisenden nur unter Mühen erschloss. In – ich bin schon im Zitat. ganz Lesotho gab es damals eine einzige „Was die Knaben auch begannen, bei Straße. Sie durchzog im Norden die Low- welcher Arbeit man auch sie fand, immer lands, bog am östlichen Ende nach Sü- sangen sie, und zwar schienen es Lieder den ab und führte ins Gebirge. Darüber jedem Geschäft besonders angemessen hinaus gab es nur Geröllpisten und alte und in gleichen Fällen überall diesselben. Saumpfade, auf denen sich die Einheimi- Traten mehrere Kinder zusammen, so schen zu Fuß und auf Pferden fortbeweg- begleiteten sie sich wechselweise; gegen ten. Abend fanden sich auch Tanzende, deren Schritte durch Chöre belebt und geregelt wurden.“ – Sie kennen die Passage am Der größte Eindruck, den Lesotho damals Beginn des zweiten Buches, nur dass auf mich machte, war, dass die Men- dem Singen in Lesotho der vornehme schen dort sangen. Die Leute sangen in Ton des Bildungsromans nicht eigen war. den Dörfern. Sie sangen im Bus und auf Es schien eine schlichte und fröhliche den Ladepritschen der allradgetriebenen Welt. Einen Eindruck davon können Sie Lastwagen, die sie im Schritttempo durch aus dem folgenden Video-Ausschnitt ge- die Berge brachten. Kinder sangen auf winnen. dem Weg in ihre Missionsschulen und sie sangen in der Schule. Einen Ziegenhirten Videobeispiel 1, „Lesotho women singing, traf ich, der alleine sang und sich dabei beautiful day out there“ mit einer Fiedel begleitete, die er aus ei- nem Blechkanister, einem Stock und ei- ner Schnur gebaut hatte. Am Sonntag sangen die Leute in der Kirche, und zwar, wie mir schien, häufig die gleichen Gesänge, die ich während der Woche be- reits gehört hatte. http://www.youtube.com/watch?v=lDkK79AM7iM Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Einführungsvortrag „Singen heute“ – S. 1 / 7
  • 9. 16 Jahre später bin ich ein zweites Mal Das erlaubt uns, einen geschichtlichen nach Lesotho gekommen. Und während Wendepunkt zu beobachten, der in der ich den Fortschritt doch als etwas Gutes westlichen Welt das Datum 1877 trägt. empfinde – der Bau eines unterirdischen In diesem Jahr hat der Franzose Charles Bahnhofs ist das mindeste, was ich mir Cros das Patent für ein Gerät namens erhoffe – war ich hier schockiert. Ein Teil Paléophone und der Amerikaner Thomas des Gebirges war für ein internationales Edison das Patent für den Phonographen Wasserprojekt erschlossen worden, man angemeldet. Vor 1877 verklang jeder hatte Staudämme gebaut, an denen nun Laut, der einem Mund entströmte. Das auch Strom produziert wurde, und wo Ziel Edisons war es dagegen, Stimmen vorher Pfade in die Berge führten, da haltbar, Lautäußerungen wiederholbar zu verlief jetzt eine Straße. Lesotho war laut machen. „Repetiermaschine“ wurde der geworden. Sogenannte Minitaxis, oft Phonograph deshalb genannt, und auch überfüllte Kleinbusse, brachten die Leute wenn es noch Jahrzehnte dauerte, bis von den Bergen in die Lowlands und aus man etwa eine ganze Sinfonie aufge- den Lowlands in die Berge. In den Dör- nommen hatte, so war es doch mit der fern waren Märkte aufgebaut mit Waren Ruhe vorbei. Der Mensch hatte das Privi- aus Südafrika und China. Jetzt gab es leg verloren, einzig durch die Artikulation auch Musikanlagen, die in den Taxis und seines Körpers stimmlich präsent zu auf den Märkten mit voller Lautstärke sein. Man kann allerdings auch sagen, er Musik verbreiteten, die ihrerseits ohne sei von der Notwendigkeit, zu singen, elektrischen Strom nicht hergestellt wor- befreit worden. Wie mit vielen anderen den wäre. Fertigkeiten auch, haben die Menschen arbeitsteilig das Singen den Spezialisten überlassen und verwenden die frei ge- Macht also auch hier die Zivilisation das wordene Zeit und Energie für etwas an- Singen überflüssig? Ist das Singen ein deres. Opfer der technischen Entwicklung? Ist es etwas, worauf wir zurückblicken: Eine Form von Menschlichkeit, die immer lei- Der technische Fortschritt und die Ge- ser wird, während der Lärm des Fort- schichte des Singens stehen allerdings schritts zunimmt? schon sehr viel länger in einem schwieri- gen Verhältnis zueinander. Das späte 18. Selbstverständlich fährt niemand von uns und noch mehr das 19. Jahrhundert nach Afrika, um dort mit innerer Freude bemächtigen sich der Musik in einem den Stand des technischen Fortschritts technischen Sinn: Im Instrumentenbau, und den beschleunigten Wandel der Le- in den wie bei Liszt ins Transzendentale bensverhältnisse zu besichtigen. Die reichenden Spieltechniken, in der physio- Freude schien mir auf Seiten der Ba- logischen Untersuchung der Stimmorga- sothos, die sich mit ungekannter Leich- ne, im Bau von musizierenden Automa- tigkeit in ihrem Land fortbewegen, einen ten aller Art. Letztlich führt ein direkter Arzt oder eine Apotheke aufsuchen und Weg von der Erforschung der Stimmphy- sich abends im Licht einer elektrischen siologie zum Bau mechanischer und elek- Lampe unterhalten konnten. Wahrschein- tromechanischer Wiedergabeapparate. lich erschien ihnen der technisch ver- stärkte Lärm als eine Form von Mensch- Gleichzeitig – und im Grunde gegen das lichkeit, die immer stärker wird, als Zu- Fortschreiten der Technik – entwickelt kunftsmusik, die ihnen auch den eigenen die Romantik Vorstellungen, nach denen Fernseher, den eigenen Kühlschrank, das das Singen die Geschichte in Richtung eigene Auto verhieß. Und wahrscheinlich der „Ursprünge“ aufhebt. Wird die Fort- dachten sie noch ohne Wehmut an die schrittsgeschichte als Geschichte der Zeiten, als man selber singen musste, Entfremdung verstanden, dann drückt um nicht an der Stille zu ersticken. dagegen das Singen das Gemeinsam- Ursprüngliche und das Eigentlich- Persönlichste aus. Ja eigentlich noch Die Geschichte der Elektrizität und die dramatischer: Das Singen stellt das Ge- Geschichte des Singens kreuzen sich in meinsam-Ursprüngliche und das Eigent- diesem Bergland unter unseren Augen. lich-Persönlichste her. Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Einführungsvortrag „Singen heute“ – S. 2 / 7
  • 10. Was da in der Wertschätzung des Ge- sangs passiert, möchte ich am Beispiel des Romans verdeutlichen. Hatte man zuvor Sänger neben Tänzerinnen und Schauspielern als zweifel-hafte, wenig respektable Existenzen betrachtet, so er- fahren Singen und Sänger – meistens Sängerinnen – in der Literatur nun eine Idealisierung. Menschen im Roman sollen erkannt und verstanden werden, und nirgends gibt sich der Mensch nach den Vorstellungen dieser Zeit so wahrhaftig und vollständig zu erkennen, wie da, wo er singt. Jetzt ist die Sängerin nicht mehr Der Philosoph Hartmut Böhme hat in sei- nur Attraktion und Objekt der Begierde, nem Aufsatz „Der sprechende Leib“ für sondern sie wird durch die Wahrheit ih- das spätere 18. Jahrhundert beschrie- res Singens erkannt – hat der Roman ei- ben, welche Herausforderungen der ge- ne Liebeshandlung, dann am Ende ver- sellschaftliche und technische Fortschritt lässlich vom „Richtigen“, ihrem vorbe- für die Menschen bedeuteten. „Denn dies stimmten Bräutigam. strahlte die Angst des bürgerlichen Jahr- hunderts an“, schreibt Böhme: „daß zwi- In Deutschland hat Wilhelm Heinse 1795 schen dem, was ein Mensch darstellt, mit seinem Roman „Hildegard von Ho- zwischen seiner Erscheinung, und dem, henthal“ erstmals Vokal-Ästhetik und was er ist, seinem Wesen, ein Riß klafft, Liebesroman miteinander verschmolzen. der das Gefüge des intersubjektiven Den monumentalsten Sängerinnen- Handelns eigentümlich verunsichert.“ Roman hat dagegen vermutlich George Dagegen sieht er in der bürgerlichen Un- Sand mit „Consuelo / La Comtesse de terscheidung von Identität und Rolle den Rudolstadt“ in den Jahren 1843/44 ver- „Versuch, ein Authentisches – das sub- fasst. jektive Selbst – aus den Systemen der Körperzeichen und Verhaltenscodes aus- Lange, bevor in diesem Roman die Part- zuschneiden.“ Dieses Selbst „ist unsicht- nerschaft zwischen der Sängerin Consue- bar, soll sich aber im Ausdruck zeigen“. lo und dem Grafen von Rudolstadt tat- Gegen den rationalistischen Ansatz der sächlich besiegelt ist, spricht Consuelo Aufklärung soll dieses Selbst aus dem bereits das Motiv des (Wieder-) Erken- Körper – aus dem Leib, wie Böhme sagt nens aus: „Ich bin eine Freundin, die Ihr – rekonstruiert werden. Am Beispiel des lange Zeit erwartet und in dem Moment Königsberger Philosophen Johann Georg erkannt habt, als sie sang“. Ihr späterer Hamann (1730 – 1788) zeigt Böhme auf, Ehegemahl definiert seinerseits das Sin- wie „Sprache übersetzter Leib“ und der gen als Ausnahmesituation vollkomme- Leib „inkorporierte Natur“ ist, Sinne, Lei- ner Offenheit: „Du teilst mir [im Singen] denschaften und Begehren wirken darin Dein ganzes Wesen mit und meine Seele als „Stimmen der Natur“. besitzt Dich in der Freude und im Schmerz, in der Zuversicht [dans la foi] Wenn wir heute in sogenannten unter- und in der Furcht, im Überschwang des entwickelten Ländern – und wohl auch Enthusiasmus und in der Wehmut der bei uns – das Verschwinden des Singens Träumerei.“ Nicht zufällig sind musikali- als Verlust eines Ursprünglich- sche Charaktere und seelische Empfin- Menschlichen empfinden, folgen wir ei- dung in dieser Beschreibung nicht von- nem Wahrnehmungsmuster, dessen Tra- einander zu unterscheiden. So fiebrig dition ins späte 18. Jahrhundert zurück- und phantastisch im Übrigen der Roman reicht. Immer steht der Betrachter dabei in seinem Verlauf ist – gewidmet hat ihn wie Walter Benjamins Engel der Ge- George Sand einer realen Figur, Pauline schichte mit dem Rücken zur Zukunft, Viardot, einer der größten Sängerinnen während der Sturm des Fortschritts ihm des 19. Jahrhunderts. die Trümmer vor die Füße schleudert. Al- le, die die Stimme loben, sind auf dem Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Einführungsvortrag „Singen heute“ – S. 3 / 7
  • 11. Rückweg in die Vergangenheit, ob nun phonie des Hochmittelalters, durch den Hamann „die ausgestorbene Sprache der Bezug auf die „avancierteste, intellektu- Natur von den Todten wieder erwecken ellste, elitärste“ und eben in Noten ge- möchte“ oder wenig später Johann Gott- setzte Kompositionstechnik“ jener Zeit. fried Herder die „Töne der Natur“, also Dagegen begründen etwa Rousseau und die in der Stimme sich ausdrückende Herder die Vorstellung der Musik als kreatürliche Regung, der „künstlichen „vollkommene Sprache des Herzens“, Sprache der Gesellschaft“ entgegenstellt. und zwar auf der Grundlage des melodi- schen Konzepts der Stimme. Ich zitiere Betrachtet man den öffentlichen Streit hier für diese Strömung Daniel Gottlob um Fortschritt und Herkommen als etwas Türk, bzw. seine einflussreiche Klavier- Politisches, dann ist auch das Lob der schule von 1789, in der er schreibt: Stimme politisch gemeint, und oft findet „Denn was sind alle bunten [also virtuo- es sich mit einer gesellschaftlichen Phan- sen und chromatischen] Passagen, wenn tasie verbunden. Der Kulturwissenschaft- es auf wahre Musik ankommt, gegen ei- ler Hans Georg Nicklaus hat darauf hin- nen schmelzenden, herzerhebenden äch- gewiesen, dass bereits Jean-Jacques ten Gesang.“ 50 Jahre später heißt es in Rousseau mit seinem Ideal der „unité de Balzacs Sängerinnen-Novelle „Massimilla mélodie“, der Einheit der Melodie, ein Doni“ noch immer und fast gleichlautend „politisches Votum“ abgebe, eine „musi- mit Rousseau: Nicht die Harmonie, son- kalische Metapher für ein gesellschaftli- dern die Melodie hat die Macht, den ge- ches Projekt“, nämlich die Rückgewin- schichtlichen Abstand aufzuheben“ [C’est nung einer ursprünglichen gesellschaftli- la mélodie et non la harmonie qui a le chen Einstimmigkeit. Einstimmig heißt pouvoir de traverser les âges]. hier: „Die eine Sprache sprechen, die nicht gedeutet, verstanden, vermittelt werden muß, aus der vielmehr alle II schöpfen, wie aus einem Brunnen, um sich zu ernähren, um ein Körper zu wer- Meine Damen und Herren, mag der den. (...) Und die Stimme ist das Organ Sturm des Fortschritts dem Engel des dieser Einheit.“ Singens auch ins Gesicht blasen – es wird auch bei uns noch immer gesungen, So stehen Stimme und Singen gegen und manches deutet darauf hin, dass Buchdruck und Buchstaben, die mit der heute wieder mehr gesungen wird als, rationalistischen Aufklärung verbunden sagen wir, noch vor zehn Jahren. Dafür werden, gegen die Vielstimmigkeit der sorgen nicht zuletzt Ihre Aktivitäten als nachrevolutionären Gesellschaften, ge- Musikveranstalter, ChorleiterInnen, Mu- gen die industrielle Produktion, gegen die sikpädagogInnen, Politiker und Förderer. in Tonkonserven gepackte Musik, kurz: Viele Ihrer beispielhaften Sing- Gegen den Lärm des Fortschritts. Bewegungen und Sing-Projekte werden im Lauf dieser Konferenz zu besichtigen Diese Positionierung der Stimme verän- sein. derte am Ende selbst das Ideal, das man sich von der Musik insgesamt machte. Es wird sogar so viel gesungen in unse- Der Musikwissenschaftler Wolfgang rer Gesellschaft, dass man sich fragen Fuhrmann hat in seinem Buch „Herz und kann, ob das Gefühl des Verlustes oder Stimme – Innerlichkeit, Affekt und Ge- des Absterbens nicht das Ergebnis einer sang im Mittelalter“ einen Grund dafür habituell eingeschränkten Wahrnehmung vorgeschlagen, warum der Musik teilwei- sei. Zu den am Markt erfolgreichsten Mu- se bis heute die Vorstellung von etwas sik-Publikationen der letzten Zeit gehö- Kompliziertem oder Elitärem anhaftet: ren Sammlungen von „Wiegen-„ und Der Begriff der „Musik“ und des „Musi- „Volksliedern“, die gleich in mehreren kers“ bedeuteten in spätantiker Tradition Aggregatszuständen – zum Lesen, Spie- zunächst so etwas wie Musiktheorie und len und Hören – angeboten werden. Pro- die die professionelle Kundigkeit dieser jekte wie das heute vorgestellte „Lörrach Theorie. Seine spätere universale prakti- singt!“ und „SING! – Day of Song“ bei sche Bedeutung erlangte der Begriff der Ruhr 2010 bringen ganze Gemeinwesen Musik über die Anwendung auf die Poly- zum Singen. Und auch diesseits solcher Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Einführungsvortrag „Singen heute“ – S. 4 / 7
  • 12. veranstalteter Bewegungen sind – nicht Kindern etwas Sinnvolles anfangen soll- anders als in vormodernen Zeiten – exi- te, liegt ja auf der Hand. Und wie die ge- stenzielle Fragen des Volkes ohne Ge- genwärtige Islam-Debatte vom Zweifel sang gar nicht vorstellbar: Dazu folgen- am rechten Unglauben der eigenen Ge- des kurze Video aus der Zeit der Fußball- sellschaft begleitet wird wie von einem Weltmeisterschaft in Südafrika, das uns Schatten, so folgt die Unruhe über die von der Dritten zurück in die Erste Welt Erziehung der eigenen Kinder der Debat- führt te über die so genannte Integration von Kindern nicht-deutscher Herkunft. Abge- Videobeispiel 2, „Uwu Lena - Schland o sehen davon, dass Singen Spaß macht, Schland“ wie der Titelsong von Klasse! Wir singen erklärt, bietet es sich auch zur Milderung gesellschaftlicher Probleme an. Natürlich ist das Singen ein Beitrag zur Integration und zum Spracherwerb – für alle Kinder, egal woher die Eltern kommen. So wie es für Kinder Bewegungsmangel, Vitamin- mangel oder Zuwendungsmangel geben kann, so gibt es auch den Singmangel, das legt die positive Reaktion der Kinder auf Sing-Anregungen nahe. http://www.youtube.com/watch?v=Vscg_QeKdpI Nicht zuletzt reagiert die gegenwärtige Singbewegung auch auf die Lage, in der sich vor allem die Institutionen der so Hatte bei Rousseau, Herder und den genannten ernsten, klassischen oder Volksliedsammlern des 19. Jahrhunderts Kunstmusik befinden. Es muss hier ge- das Glück in der Früh- und Vorgeschichte nügen, nur die Stichworte Überalterung gelegen, so lautet die Devise unserer ge- des Publikums und Rückgang der Nach- genwärtigen Sing-Bewegung „zurück zu frage zu nennen. Das sind die Themen, den Anfängern“. Die Figur des Rück- an denen wir im Musikland arbeiten. Eine gangs auf etwas Grundlegendes finden Reihe von teilweise repräsentativen Stu- wir hier allerdings auch. Immer mehr dien zeigt, dass das Durchschnittsalter gibt es auch politische Unterstützung für des Konzertpublikums derzeit zwischen den Versuch, das Singen wieder als 55 und 60 Jahren liegt und dass sich das menschliche Universalie einzuführen, als Verhältnis zwischen dem Angebot an Mu- konstitutives Element der Ichwerdung, sikveranstaltungen und den Besucher- als Grundform individueller Artikulation zahlen scherenartig auseinander entwic- und sozialer Kommunikation. kelt, wobei das Interesse an klassischer Projekte wie KiSINGa und Primacanta, Musik umso geringer ausfällt, je jünger wie die Chorklassen Niedersachsen, Klas- die Altersgruppe ist. se! Wir singen und das umfassende An- gebot des englischen Musikzentrums The In dieser Lage erscheint es als außeror- Sage Gateshead und der National Sin- dentlicher Glücksfall, dass sich Kinder ging Campaign stehen für diesen Ver- geradezu naturhaft für das Singen begei- such, das Singen als Element der Erzie- stern können. Denn nichts kann das spä- hung wieder verbindlich zu verankern. tere Interesse an Musik so gut begrün- Darüber hinaus schlagen Projekte wie den, wie möglichst frühe praktische und Canto Elementar und „Singepaten“ eine als erfreulich erinnerte Erfahrungen: Brücke zwischen der Generation der Klasse wir singen – singen macht Spaß. Großeltern, die häufig noch mit dem Sin- Werden diese Erfahrungen überdies in gen aufgewachsen ist, und den Kindern. Gesellschaft gemacht – im Kindergarten, in der Schule, in der Familie –, steigt die An dieser Stelle ist die Versuchung groß, Wahrscheinlichkeit noch einmal, dass die historischen Implikationen oder ein- sich das Kind auch später im Leben für fach den historischen Ballast des Singens Musik interessiert und einsetzt. abzuwerfen. Wahrscheinlich ist es sogar legitim. Dass die Gesellschaft mit ihren Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Einführungsvortrag „Singen heute“ – S. 5 / 7
  • 13. III. So ist das Singen aus Sicht der Musik- land-Idee, eine besonders glückliche mu- sikalische Sozialform, die es erlaubt, vie- len Menschen musikalische Angebote zu machen, die sie erreichen und die er- reichbar für sie sind. Damit ist es auch eine Chance für unsere Musikkultur, sich neu zu gründen. „Neustart durch Sin- gen“, könnte man sagen, und diese Chance wollen wir nutzen. Neben der Vielzahl privater, vom persön- lichen Engagement angefeuerter Initiati- wenden. ven, stellt auch das Land Niedersachsen Heißt das, es gibt so etwas wie eine zeit- zunehmend mehr Angebote in Kindergär- lose Wahrheit über das Singen? Oder ten und Schulen bereit. Der Koalitions- laufen wir mit unserer Singbewegung ei- vertrag aus dem Jahr 2008 definiert das nem historischen, vielleicht veralteten „Musikland Niedersachsen“ zu einer Menschenbild hinterher? Das Land Nie- Hälfte aus seinen Angeboten zur musika- dersachsen hat mit einer umfassenden lischen Bildung. Wenn das weiter so „Musikalisierung“ der Kindergarten- und geht, dann wird in nicht zu ferner Zu- Grundschulkinder im Land begonnen. kunft „bei uns der Gesang die erste Stufe „Musikalisierung“ klingt dabei nicht nur der Bildung, alles andere schließt sich wie „Christianisierung“ und vielleicht daran und wird dadurch vermittelt. „(...) nach Mission, es ist tatsächlich der Ver- denn indem wir die Kinder üben, Töne, such, „in der Fläche“, wie es im politi- welche sie hervorbringen, mit Zeichen schen Jargon heißt, Menschen, ganz jun- auf die Tafel schreiben zu lernen und gen Menschen, Angebote zu machen, ihr nach Anlaß dieser Zeichen sodann in ih- Leben sinnvoll zu gestalten. rer Kehle wiederzufinden, ferner den Text darunterzufügen, so üben sie zu- Aber auch hier entkommen wir den ge- gleich Hand, Ohr und Auge und gelangen schichtlichen Streitfragen nicht: Gehört schneller zum Recht- und Schönschrei- es zum Menschsein in unserer Zeit, ben, als man denkt, und da dieses alles durch das Singen Erfahrungen und Idea- zuletzt nach reinen Maßen, nach genau le vergangener Zeiten zu aktualisieren bestimmten Zahlen ausgeübt und nach- wie in einem lebendigen Symbol, oder gebildet werden muß, so fassen sie den überzustreifen wie ein klangliches Ko- hohen Wert der Meß- und Rechenkunst stüm – die Fremdheitserfahrungen der viel geschwinder als auf jede andere „Winterreise“, die Partnerschaftsideale Weise. Deshalb haben wir denn unter al- von „Frauenliebe und -Leben“, die Glau- lem Denkbaren die Musik zum Element bensgewissheit einer Bach-Motette, die unserer Erziehung gewählt, denn von ihr Todesschauer eines Berlioz-Requiems, aus laufen gleichgebahnte Wege nach al- die Naturverbundenheit eines Volkslieds? len Seiten.“ Ist es noch zeitgemäß oder ist es hoff- nungslos romantisch, dass Menschen so Meine Damen und Herren, Sie haben es genannte Gefühle kultivieren und diese bemerkt, ich bin noch einmal auf Goe- „ausdrücken“ wollen? Einen Grund wird thes „Wilhelm Meister“ zurückgekom- es doch haben, dass das Kunstlied immer men. Mich hat frappiert, wie nahe Goe- weniger Publikum findet und junge thes 200 Jahre alte Pädagogik der ge- Opernregisseure zunehmend Revuen in- genwärtigen Debatte steht. Auch Rous- szenieren, wo sie die singenden Figuren seaus Phantasie von der „unité de mélo- doch auch hätten ernst nehmen können. die“, der Einheit der Melodie oder freier Wir Alten mögen ja träumen, aber wie formuliert, der Einheit durch Singen ge- vielen Generationen von Kindern soll gen die Vielstimmigkeit einer modernen noch über das Singen das alte Dur-Moll- Gesellschaft, ließe sich umstandslos auf tonale System eingepflanzt werden? Wie die Diskussion um die Chorklassen an lange wollen wir noch so genannte Volks- Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Einführungsvortrag „Singen heute“ – S. 6 / 7
  • 14. lieder singen lassen, deren romantische Gegenstände mit den Aufgaben unserer Kinder nichts zu tun haben? Bewahren wir mit diesem Singen unsere Kinder vor der Verwilderung? Bewahren wir sie vor der Vereinnahmung durch die Leistungs- anforderungen der Moderne? Oder sind wir einfach nur reaktionär? Meine Damen und Herren, wer will das beantworten? Aber vielleicht ist am Ende das Verantwortungsvolle und das Reak- tionäre zumindest in der Erziehung das gleiche, und jede Generation muss ihren Kindern etwas gut Gemeintes antun, wo- gegen diese sich anschließend recht- schaffen auflehnen können. In diesem Sinn wünsche ich uns zwei an- regende Tage hier in Wolfenbüttel. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Einführungsvortrag „Singen heute“ – S. 7 / 7
  • 15. Sozialisierung durch Sin- gen I Das hessische Primacan- ta-Programm Referent: Thomas Rietschel, Präsi- dent der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main Primacanta „Primacanta – Jedem Kind seine Stimme“ ist eine Koooperation der Das Programm ist langfristig und nach- HfMDK Frankfurt und der Crespo Foun- haltig gedacht. Mit einem vorläufigen dation, die Schirmherrschaft haben die a Projektzeitraum von 2008 bis 2012 und cappella Gruppe Wise Guys sowie Frank- Projektgeldern von einer Million Euro furts Oberbürgermeisterin Petra Roth. richtet es sich nach derzeitigem Stand an ungefähr 120 Lehrer und Lehrerinnen Anliegen des Programms ist es, das Sin- von zunächst dritten und vierten Klassen gen als zentralen Ausgangspunkt für eine in 52 von 56 Frankfurter Grundschulen. musikalische Bildung zu nehmen. Die Eine professionelle Evaluation ist in Ar- Hochschulen sollten sich für musikalische beit. Erwartet werden Ergebnisse, die Bildung stark machen, so Thomas Riet- zeigen, wie sich etwa die soziale Interak- schel, da diese gewissermaßen der Ast tion innerhalb der beteiligten Klassen ist, auf dem sie sitzen. verbessert hat. Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Sozialisierung durch Singen“ – S.1/3
  • 16. Ziele von Primacanta sind zum einen der Gesungen wird Liedgut aus verschiede- Versuch einer nachhaltigen Veränderung nen Kulturkreisen, wobei anzumerken wie auch die Ermöglichung von Erfah- ist, dass die Stadt Frankfurt einen Anteil rungen, die über Wissensvermittlung hi- von 60% an Schülern mit Migrationshin- nausgeht. tergrund hat. Das Programm setzt auf das Prinzip des In Form von öffentlichen Auftritten wäh- aufbauenden Musikunterrichts, welches rend des Projektzeitraums sowie einem ein didaktisches Stufenmodell zur nach- Abschluss beim Deutschen Chorfest in haltigen Entwicklung der musikalischen Frankfurt 2012 präsentieren die beteilig- Kompetenz der Kinder ist. ten Klassen, was sie gelernt haben. In der Praxis beinhaltet Primacanta eine Um Nachhaltigkeit zu schaffen, sprach zweijährige Fortbildungs- und Bera- Thomas Rietschel von der Notwendigkeit, tungsphase für LehrerInnen während der die Lehrer zu qualifizieren und nicht in Unterrichtszeit durch Coaches, qualifi- Form eines Events Schülern kurzfristig zierte Schulmusiker und Hochschullehrer das Singen beizubringen. sowie teilweise durch gut qualifizierte Grundschulmusiklehrer. Für Schulen oh- Bisher gab es viele positive Rückmeldun- ne Fachlehrer gibt es die „Tandem“- gen und Bewertungen des Programms. Lösung, eine Kooperation mit Musikschu- Nachhaltigkeit zeigte sich auch darin, len. (Ein Hinweis auf die Situation in dass sich als Folge des Programms Hessen erklärt, dass dort wenig ausge- Stadtteilchöre in Frankfurt gebildet ha- bildete Grundschulmusiklehrer unterrich- ben. ten, oft werde das Fach fachfremd ge- lehrt. Bestrebungen, einen Fächerver- bund mit dem Übertitel „Ästhetische Bil- dung“ zu schaffen würde Musik weiter Weiterführende Informationen gibt es schwächen.) unter www.primacanta.de. ......................................................................................... Sozialisierung durch Sin- gen II KiSINGa im Landkreis Northeim Referent: Prof. Dr. Gerhard Ropeter Beim zweiten vorgestellten Modellprojekt handelt es sich um „KiSINGa – Kinder singen im Kindergarten“, vorgestellt von Projektleiter Prof. Dr. Gerhard Ropeter. Das Programm KiSINGa ist im Landkreis lage als das Frankfurter Primacanta- Northeim in Niedersachsen (Hardeg- Programm. sen/Moringen/Nörten-Hardenberg) ange- Mit dem Untertitel Interkommunales Mo- siedelt. Projektträger ist der gemeinnüt- dellprojekt zur Förderung lebendigen zige Verein Sing-Akademie Hardegsen, Singens von Kindern im Kindergarten ist dessen Vorstand Prof. Ropeter ist. Das beschrieben, was das Programm be- ländliche Gebiet hat geschätzte drei Pro- zweckt. Im Zentrum steht die Schulung zent Kinder mit Migrationshintergrund von Erzieherinnen der zwölf Kindergärten und somit eine völlig andere Ausgangs- des Landkreises. Ziel ist die Schaffung Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Sozialisierung durch Singen“ – S.2/3
  • 17. einer Singumgebung, in der Singen lang- Evaluiert wird das Projekt mit standardi- fristig regelmäßig und angeleitet durch- sierten Bögen, bei denen ErzieherInnen geführt wird. In zwei Projektphasen von und Eltern die selben Fragen zur Selbst- jeweils 18 Monaten wird das Programm und Fremdeinschätzung des Kindes be- durchgeführt und anschließend evaluiert. antworten. Ropeter bemerkte, dass für eine umfassende wissenschaftliche Eva- Anders als bei Primacanta finden die luation Kontrollgruppen ohne verstärktes Weiterbildungstreffen in der Freizeit der Singen zum Vergleich eingesetzt werden Erzieherinnen statt. Die Anmeldung er- müssten, dafür stünden jedoch die finan- folgt freiwillig von Seiten der Kindergär- ziellen Mittel nicht zur Verfügung. ten. Das KiSINGa-Projekt wird vom Deutschen Institut für Internationale Das Projekt wird ausführlich vorgestellt Pädagogische Forschung (DIPF) evalu- auf der Homepage der Singakademie iert. Projektzeitraum ist vom 1. Septem- Hardegsen: http://www.kantorei- ber 2009 bis 31. August 2012. hardegsen.de/129.html Das Projekt basiert auf drei Prinzipien: In der offenen Gesprächsrunde gab es Grundlegend ist der Montag als Singtag den Anstoß einer Teilnehmerin, die mu- festgelegt. Anfangs wird ein Modellunter- sikalische Bildung und Stimmerziehung richt von Fachkräften der Singakademie der ErzieherInnen schon in deren Be- an den Kindergärten abgehalten. Daran rufsausbildung zu fördern. Dies traf den anschließend bekommen die ErzieherIn- Kernpunkt einer Idee von musikalischer nen eine regelmäßige Weiterbildung, die Bildung, welche langfristig, flächendec- die Bereiche musikalisches Basiswissen, kend und grundständig wäre. Bemerkt Stimmbildung und Methodik der Lieder- wurde hierzu, dass Modellprojekte wie arbeitung umfasst. Zeitnah findet ein Primacanta und KiSINGa nötig sind, um Transfer in die Praxis statt: Die Erziehe- in den Medien und durch die wissen- rInnen üben im dritten Schritt mit ihren schaftliche Evaluierung Aufmerksamkeit Kindergartengruppen Lieder ein. Motiva- zu erregen und langfristig das Singen tion und eigenes Engagement sind und eine musikalische Grundausbildung Grundvoraussetzung für das Projekt. in Kindergärten und Schulen wieder zur Norm werden zu lassen. Ein Teilnehmer Nachdem die Anfangsskepsis überwun- ergänzte, dass Projekte wie diese eigent- den worden war, stellte sich die Motiva- lich die Reparaturarbeit dessen seien, tion bei den KindergärtnernInnen von was jahrelang versäumt worden war. Die selbst ein. Die Erkenntnis aus den bishe- Aufforderung an die Politik, die musikali- rigen Praxiserfahrungen ist, dass das sche Bildung von Anfang an, und auch in verstärkte Singen auch den Kindern gro- der Ausbildung von LehrernInnen und ßen Spaß macht und es zu assoziativem ErzieherInnen zu fördern, stand ab- spontanen Singen der Kinder auch un- schließend im Raum. Eine solche Institu- terhalb der Woche und zu Hause kommt, tionalisierung müsse allerdings auch mit welches es zuvor nicht gab. Dabei fällt Leben gefüllt werden. Musik eröffnet kein Unterschied zwischen Mädchen und durch sich selbst die Chance, zu begei- Jungen auf. stern, so die Meinung der Arbeitsgrup- pen-TeilnehmerInnen. Ergänzende Maßnahmen von Seiten der Singakademie sind die Erweiterung des Liedcurriculums; die ErzieherInnen be- kommen dabei Liedsammlungen und - blätter zur Verfügung gestellt. Außerdem gibt es ein KiSINGa-Singfest. Wertbil- dende Faktoren des Projektes sind neben einem kompetenten Fachpersonal, das Vorbild für die ErzieherInnen im Modell- unterricht sein sollte, eine kontinuierliche Intervention, wie Nachbesprechungen, sowie eine stabile Projektorganisation. Das Protokoll führte Mechthild Schlumberger. Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Sozialisierung durch Singen“ – S.3/3
  • 18. Mehr Öffentlichkeit für den Gesang I – Audience Development beim Rund- funkchor Berlin Referent: Hans-Herman Rehberg, Zwischen diesen Produktionen finden Chordirektor zwölf Veranstaltungen im Rahmen von „Broadening the Scope of Choral Music“ statt: Die Initiative „Broadening the Scope of Choral Music“ des Rundfunkchor Berlin • Broadening in concert (5 Konzerte) geht auf die Feststellung zurück, dass • Internationale Meisterklasse Berlin (1 der Chor im Kerngeschäft zwar immer • Konzert und 6 Workshoptage) große Aufmerksamkeit genoss, A- • KlangKulturen (1 Konzert und 10 Cappella-Konzerte vom gleichen Publi- Workshops) kum jedoch kaum besucht waren. Seit • Liederbörse (1 Konzert und 12 2003 experimentiert der Chor nun mit Workshops) neuen Konzertformen und findet dabei • LeaderChor (1 Konzert und 3 Work- heraus, wie mit dem Publikum von heute shoptage) und morgen mehr als bisher möglich • Mitsingkonzert (1 Konzert und 2 Pro- werden kann. ben) • Mitsingprobe (2 Veranstaltungen) Im Jahr 2007 brachte der Rundfunkchor in der Reihe „Broadening in concert“, Sir Im Bereich Education engagiert sich der John Taverners siebenstündiges Mei- Rundfunkchor bereits seit Ende der sterwerk „The Veil of the Temple“ unter 1990er Jahre. In seinem jüngsten Pro- der Leitung von Simon Halsey im Ham- jekt war er zu Gast in einer Grundschule burger Bahnhof in Berlin zur deutschen in Berlin-Marzahn. Mit rund 150 Schüle- Erstaufführung. Als kulturübergreifendes rInnen der 5. und 6. Klasse erarbeitete Riesenwerk in fünf Sprachen erfolgte die der Chor über drei Monate ein interdiszi- Aufführung durch insgesamt fünf Chöre plinäres Projekt zu Rodion Shchedrins und europäische wie außereuropäische Chorwerk „Der versiegelte Engel“. Die Instrumente. Proben dafür fanden im Musik- und im Sportunterricht statt. Aktuell befindet sich der Rundfunkchor Berlin in der Planung für das Fest der Ein weiteres Projekt der Reihe „Broade- Kulturen im kommenden Januar in Ber- ning in Concert“ fand 2006 mit Christian lin. Dort werden drei Amateurchöre zu- Josts Choroper „Angst“ statt, bei dem sammen mit dem Chor des türkischen der Chor der Träger der Handlung ist. Konservatoriums sowohl deutsche als Dass das Konzept von „Broadening in auch türkische Werke aufführen. Für ei- Concert“ funktioniert, zeigten auch die nen zweiten Programmteil wurde ein Aufführung von Ernst Peppings „Passi- Gospel-Spezialist eingeladen, um mit ei- onsbericht des Johannes“, die 2008 nem Projektchor aus den verschiedenen mehrfach das Radialsystem in Berlin füll- Chorszenen und Kulturen Berlins ein te sowie die Johannes-Passion von Ja- Konzert zu erarbeiten. Im dritten Pro- mes MacMillan 2008 und 2009. Die Auf- grammteil wird der Rundfunkchor die tragskomposition von MacMillan band musikalische Vesper von Sergej Rach- den Chor szenisch mit ein und wurde zu- maninow, unterbrochen von Improvisa- sammen mit dem Boston Symphony Or- tionen auf der armenischen Duduk-Oboe, chestra, dem London Symphony Orche- aufführen. stra und dem Concertgebouworkest Am- sterdam aufgeführt. Das eigentliche Kerngeschäft des Rund- funkchors beinhaltet 55 Konzerte und drei CD-Produktionen in der Saison 2010/2011. Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Mehr Öffentlichkeit für den Gesang“ S. 1 / 6
  • 19. Neben der Reihe „Broadening in Concert“ Damit möchte der Chor dazu beitragen, und den Education-Aktivitäten gehören dass Singen als kreatives Potenzial alle auch die sogenannten Mitsingkonzerte Bereiche des Lebens erreicht. zum Konzept von „Broadening the Scope of Choral Music“. In zwei Proben und der Auch vor Unternehmen macht der Rund- Aufführung können dabei 1000 Mitsänger funkchor nicht Halt. Im Gegenteil – hier bei einem großen Chorwerk des Rund- findet er sowohl finanzielle als auch funkchores in der Berliner Philharmonie kreative Partner und initiiert Chorgrün- mitwirken. Oft melden sich dabei ganze dungen in Unternehmen. In Mitsingpro- Chöre und Schulklassen an und die War- ben in den Räumen der Unternehmen teliste ist so lang wie die Liste der be- kommen die MitarbeiterInnen mit dem reits Angemeldeten. Inzwischen hat sich Singen in Kontakt. Daneben richtet sich sogar eine „Industrie“ im Umfeld der der so genannte LeaderChor an Füh- Mitsingkonzerte entwickelt – Chorleite- rungskräfte aller Bereiche. Es wurde rInnen bieten Workshops und Proben zur festgestellt, dass Führungskräfte durch- Vorbereitung auf das Mitsingkonzert an. aus singen können, jedoch zu wenig Zeit Sogar Unternehmen entsenden Mitarbei- für regelmäßige Proben haben. Daher terchöre, die während der Arbeitszeit zu- sind sie dankbar, einmal projektweise sammen dafür proben. Am Ende steht wie die Profis mit Simon Halsey zusam- ein großes gemeinsames Konzerterleb- menarbeiten zu können. nis, das jedes Mal bereits nach 14 Tagen ausverkauft ist. Auch für Berliner SchülerInnen gibt es ein Mitsingangebot des Rundfunkchores. Mit 300 TeilnehmerInnen kleiner als das Mitsingkonzert, ist die sogenannte Lie- derbörse eine Möglichkeit für die Schüle- rInnen, mit einem professionellen Chor zusammen zu singen. Dabei dürfen Lie- derwünsche mitgebracht werden. Dieses Projekt erfordert ein Jahr Vorbereitung, in dem SängerInnen des Rundfunkchores mit den SchülerInnen proben. Dazu müssen auch immer LehrerInnen gefun- den werden, die klassenübergreifend mitmachen. Damit auch in Zukunft charismatische Chorleiter und „Rattenfänger“ wie Simon Das nächste Projekt des Rundfunkchores Halsey diese Arbeit fortsetzen, hat der im Bereich der kulturellen Kinder- und Rundfunkchor die „Internationale Mei- Jugendbildung wird ein Projekt sein, in sterklasse Berlin“ für junge Dirigenten dem das Singen neu in den Grundschu- ins Leben gerufen, bei der man bereits len etabliert werden soll. In Kooperation interessante junge Leute kennen lernen mit den Landesmusikschulen werden konnte. Dabei lernen beide Seiten, Leh- ChorsängerInnen als Singpaten in zu- rende und Lernende, immer auch von- nächst zwei Grundschulen entsandt. einander. Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Mehr Öffentlichkeit für den Gesang“ S. 2 / 6
  • 20. Mehr Öffentlichkeit für den Gesang II – Singende Flashmobs der Interna- tionalen A-cappella- Woche Hannover Referent: Roger Cericius, Leiter der Internationalen A-cappella-Woche Die Internationale A-cappella-Woche Facebook ist inzwischen das wichtigste Hannover ist mit einer Festivalwoche im Social Network. Auf Facebook hat die A- Jahr ein singuläres Ereignis mit in die- cappella-Woche inzwischen 291 Fans, sem Jahr mehr als 7500 Besuchern. Das über die statistische Werte über Reaktio- Konzept sieht den Auftritt weltbekannter nen auf das Festival herausgelesen wer- und auch dezidiert weniger bekannter den können. Außerdem gerät man so an Ensembles vor. Im Vordergrund der Pro- Informationen über Themen am Rand grammgestaltung stehen ein große des Festivals; zum Beispiel, wie die Be- Bandbreite, Vielfalt und Innovation. Der sucher morgens aufstehen und den Fe- Etat beträgt 150.000 Euro im Jahr. Mit stivaltag beginnen. Auch bei der Face- einem Marketingetat, der zehn Prozent book-Präsenz gilt, dass sie oft aktuali- davon beträgt, ist es schwierig, Werbung siert werden muss, um für Nutzer attrak- auf ganzer Breite zu realisieren. Daher tiv zu bleiben. Die Arbeit, die Webseiten setzt das Festival verstärkt auf Werbung sorgfältig zu pflegen, lohnt sich, wenn über das Internet und versucht, Men- man einen Kreis ansprechen möchte, der schen zu Multiplikatoren zu machen. Da- im Internet zu Hause ist. Facebook er- bei lautet die Devise, einfache Bilder für möglicht es, die eigenen Fans so genau Partner und Medien zu produzieren, per- wie möglich kennen zu lernen. Um je- sönlichen Kontakt zu den Menschen auf- manden zu erreichen, müssen seine zubauen und das Internet effektiv zu Emotionen erreicht werden, damit er in nutzen. das Konzert kommt. Im Jahr 2008 hatte der Internetauftritt In diesem Jahr gab es das Phänomen, der A-cappella-Woche 50.000 Clicks. dass auf einen Aufruf an Chöre, zum Aufgrund dieser positiven Besucherent- Auftakt der A-cappella-Woche irgendwo wicklung auf der Website vollzog das Fe- in Hannover zu singen, ein Flashmob stival den Einstieg in die Social Net- entstand. Die Sänger reisten zum Teil works. Wichtig bei der Pflege einer Web- von weit her an, trafen sich in einem site ist, sie stets aktuell zu halten und großen Einkaufszentrum in Bahnhofsnä- sie mit News zu füttern sowie gut ver- he, sangen zusammen und wurden von linkt zu sein, um eine gute Position bei einigen Menschen gefilmt. Im Internet der Suchmaschinensuche zu erreichen. erreichten die Videos weitere 8.000 Men- Von den Social Networks sollte man nur schen. Auch die Berichterstattung auf die für das Marketing nutzen, die für das SAT1, NDR, in der HAZ und der Bildzei- eigene Anliegen relevant sind. tung trugen zu einer effektiven und da- bei kostenlosen Werbung für die A- Die A-cappella-Woche nutzt Twitter, cappella-Woche bei. Außerdem wurden Myspace und Facebook. Twitter wird we- die Fans auf Facebook durch den Flash- gen der Schnelligkeit genutzt und wegen mob in der Realität haptisch und es war der Möglichkeit, aus einem Konzert her- möglich, mehr über die eignen Fans zu aus etwas zu berichten. Hier hat die A- lernen. cappella-Woche bereits 90 Followers. Die Tweets werden direkt in die Homepage Um solche Wirkungen zu erzielen, ist es eingefüttert. jedoch notwendig, sich jenseits der Kul- tur kreativ zu zeigen und etwas anzubie- ten, was andere nicht haben. Darüber Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Mehr Öffentlichkeit für den Gesang“ S. 3 / 6
  • 21. hinaus kann z.B. der Informationsfluss z.B. Backstage-Aufnahmen. Es geht dar- über Programmankündigungen mit einer um, das eigene Publikum so gut wie besonderen Dramaturgie versehen wer- möglich kennen zu lernen, sich auch den. Außerdem sollten viele bewegte Bil- Programmideen aus dem Publikum mit- der und Details gezeigt werden, die teilen zu lassen und sich allen Fragen sonst nicht gezeigt werden können, wie aus dem Publikum zu stellen. ......................................................................................... Diskussion Markus Lüdke (Moderator): Herr Rehberg, wie ist das Verhältnis von Auf- wand und Wirkung bei den von Ihnen dargestellten Aktivitäten des Rundfunk- chors? Sie machen viele Konzerte, das Programm ist gewachsen. Alles, was über den normalen Betrieb hinausgeht ist, ist also ein riesiger zusätzlicher Auf- wand. Wie organisieren Sie das? Gibt es bei Ihnen eine Stelle dafür? Hans-Hermann Rehberg: Nein, eine Markus Lüdke: Herr Cericius, es ist be- Stelle dafür gibt es nicht. Die Arbeit hat eindruckend, wie es Sinn macht, sich mit sich im Laufe der Zeit verändert. Im neuen Medien auseinanderzusetzen? Es Team ist jedem bewusst, dass diese Ak- leuchtet ein, dass man etwas über die tivitäten notwendig sind. Vieles macht Kunden lernen kann. Unterscheiden Sie man aus Leidenschaft und Freude. Au- die Zielgruppen was die Programminhal- ßerdem werden projektweise freie Mitar- te anbelangt? Merken Sie, ob das Inter- beiter engagiert, zum Beispiel für Projek- net immer noch ein Medium ist, in dem te mit Grundschulen. Unser Werbeetat sich eher Jüngere tummeln? ist übrigens auch begrenzt und macht nur acht bis neun Prozent des Verwal- Roger Cericius: Der Vorteil ist, dass tungsetats aus. Aber mit der Initiative, Musik grundsätzlich generationsübergrei- die losgetreten wurde, gibt es viel Mund- fend ist. Was die Nutzung des Internets zu-Mund-Propaganda. Auch durch die angeht, sind wir noch zu frisch dabei, um Liederbörse erhalten wir viel mehr Auf- wirklich eine Aussage darüber treffen zu merksamkeit in der Presse als für nor- können. Natürlich ist der Kreis, der dort male Konzerte – dadurch multipliziert kommuniziert und wirklich interaktiv ist, sich die Wirkung. noch überschaubar. Die nächste Entwick- lungsstufe für uns ist, eine Beziehung zu Auch die Ensemblemitglieder sind in die beschreiben. Ich hätte gerne eine Ant- Arbeit eingebunden, sie müssen das Au- wort, wie man diese Beziehung beschrei- dience Development zu ihrer eigenen ben kann und pflegt, so dass man an die Sache machen. Wir machen die Arbeit Leute herankommt. Die Basis dafür ist, seit Mitte der 90er Jahre und es war am dass man viel über sie weiß. Anfang nicht selbstverständlich, dass diese Dinge notwendig sind. Mit der Zeit Wir haben in diesem Jahr versucht, Mit- und auch durch den Künstlerischen Lei- glieder für den Förderverein der A- ter ist das Verständnis gewachsen. Er cappella-Woche zu werben. Ich habe auf schafft es, eine Basis zu schaffen, auf Facebook geschrieben „Wer macht da der niemand vorgeführt wird, aber auf mit?“ – darauf gab es keine einzige Mel- der jeder vom anderen lernt. dung. Ein paar Tage später habe ich ein- fach nur geschrieben: „Wow!“, und es Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Mehr Öffentlichkeit für den Gesang“ S. 4 / 6
  • 22. gab zehn Meldungen. Sie müssen die gar aus Übersee und es ist eine schöne, Leute mit auf den Weg zu sich nehmen. nachhaltige Sache. Natürlich ist auch die Wir haben viele ehrenamtliche Helfer, die Vernetzung mit den Schulen nachhaltig wir auf diese Weise kennengelernt ha- gedacht. Und das ist sie auch in der Rea- ben. Es gibt viele Begeisterte, die mithel- lität, denn immer wieder und auch flä- fen und die wiederum eine eigene Com- chendeckend melden sich Schulen, um munity haben, die sie zusätzlich mobili- mitzumachen. Auch das Singen in den sieren. Grundschulen wird bestimmt gut voran- kommen. Wir arbeiten dafür mit dem Markus Lüdke: Wunderbar, Sie haben Berliner Sängerbund und dem Deutschen uns jetzt sehr sinnfällig dargestellt, was Chorverband zusammen. Wir haben es für einen Wert haben kann, sich im einmal klein mit den Familienkonzerten Internet zu engagieren. Herr Rehberg, angefangen, die mal funktionierten und gibt es einen nachweisbaren Fluss von mal nicht. Dann kam die Idee, ein Sän- Menschen, die über die Audience Deve- gerfest zu veranstalten. Alle Amateur- lopment-Aktivitäten zum Chor finden und chöre wurden angeschrieben und dann dann auch in die anderen, regulären im Haus des Rundfunks zum Singen ge- Konzerte gehen? bracht. Daraus ist dann das Mitsingkon- zert in der Philharmonie gewachsen. Hans-Hermann Rehberg: Ja, wir ha- ben das Gefühl, dass die Beteiligten der Roger Cericius: Alles braucht einen Im- außerordentlichen Projekte inzwischen puls und den hat man in Hannover ge- auch zur Fangemeinde des Rundfunkcho- setzt, obwohl wir inzwischen ein nieder- res über die Mitsingkonzerte hinaus ge- sächsisches Festival sind, das in Hanno- hören. Seit es das Mitsingkonzert gibt, ver stattfindet. Zur Vernetzung ist zu sa- können wir einen regelmäßigen Anstieg gen, dass wir seit vielen Jahren mit der der Mitglieder des Freundeskreises ver- Hochschule für Musik und Theater in zeichnen. Ich glaube, diese Arbeit zahlt Hannover Meisterkurse für klassische sich aus. und Jazz-/Rock-/Popmusik veranstalten. Wir überlegen, ob wir Projekte mit Ein- Markus Lüdke: Nun möchten wir das richtungen machen, die am Rande das Gespräch öffnen und dem Plenum die Festival streifen, wie z.B. eine Lehrer- Möglichkeit geben, Fragen zu stellen. fortbildung im Beatboxing. Die A- cappella-Woche war auch oft ein Impuls Hans-Jürgen Ollech: Das waren jetzt für Chorgründungen. Es gab die letzten zwei klassische Beispiele, die sich auf zwei Jahre ein Open-Air-Konzert auf dem zwei lokale Städte beziehen. Wenn man Platz vor der Marktkirche, zum dem auf den Verband in Niedersachsen und 3000 Menschen kamen, die sonst nicht Bremen schaut, dann sieht die Welt an- gekommen wären – das hatte auch eine ders aus. Herr Rehberg, inwieweit arbei- Multiplikationswirkung. ten Sie auch mit dem Berliner Chorver- band zusammen und welche nachhaltige Hans-Hermann Rehberg: Ein großes Wirkung hat das Ganze bezogen auf Ber- Problem im Hinblick auf Vernetzung ist, lin? Wird regelmäßig in Schulen und Kin- dass viele Institutionen aus Imagegrün- dergärten gesungen? Auch die A- den nur für sich kämpfen. Wir würden cappella-Woche in Hannover ist ein mehr erreichen, wenn wir unser Ego ab- Event, das regelmäßig läuft. Welche legen und glauben, dass wir gemeinsam nachhaltige Wirkung hat dieses Festival mehr erreichen. In Berlin kann ich mir im Bereich Hannover? gut vorstellen, mit den Hochschulen zu- sammen zu arbeiten. Ich glaube, wir Hans-Hermann Rehberg: Ich glaube, sind stärker zusammen. das Mitsingkonzert ist ein Beispiel dafür, dass es nicht nur ein lokales, sondern – Roger Cericius: Dabei können die öf- ohne zu übertreiben – auch ein weltwei- fentlichen Einrichtungen auch mehr da- tes Event ist. Ein Mal im Jahr ist der Pe- zulernen, wenn sie begreifen und sehen, tersplatz nicht in Rom, sondern in Berlin. dass Impulse von außen nicht nur etwas Es kommen Sangesfreudige aus der gan- verlangen, sondern auch etwas geben zen Bundesrepublik, aus Europa und so- können. Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Mehr Öffentlichkeit f. d. Gesang“ – S. 5/6
  • 23. Martin Heubach: Benutzen Sie noch Es muss immer ein Mix sein. Langfristig klassische Werbemittel? Schalten Sie An- kann man sich jedoch von manchen Me- zeigen bei Facebook? Haben Sie einmal dien verabschieden. ausgewertet, wie viel Zeit Sie für die Beim Mitsingkonzert muss jeder 25 Euro Pflege der Facebook-Seite investieren? bezahlen, egal ob er mitsingt oder nicht. Sind die Mitsänger in der Philharmonie Außerdem muss jeder Sänger die Noten auch diejenigen, die Eintritt zahlen und selbst kaufen. das Konzert finanzieren? Markus Lüdke: Nun möchte ich Sie Roger Cericius: Ja, wir machen tradi- noch um ein letzte Statement bitten: Die tionelle Werbung in der Stadt, versuchen Chorszene ist in erster Linie eine Laien- aber auch, klassische Werbung umzu- szene. Das macht die Kraft dieser Szene denken. Zum Beispiel haben wir uns mit aus, weil sie in der Breite stattfindet. Sie dem Masala Festival zusammengetan haben gezeigt, was man hier als Institu- und Hannover Marketing überzeugt, die tion tun kann. Aber was kann man im beiden Festivals für ein Imageplakat für Alltag eines Laienchores davon umset- Hannover zu verwenden, das die Festi- zen? vals dadurch nichts gekostet hat. Ban- nerwerbung im Internet ist ein gutes Roger Cericius: Jeder muss seine Ziele Thema, das werden wir in Zukunft ver- und Erwartungen definieren und muss stärkt machen. Die investierte Zeit für strategisch arbeiten. Wenn Sie die Er- die Pflege der Social Networks beträgt wartung haben, einen Nachmittag mit bei mir eine Stunde am Tag. Singen und Kaffeetrinken zu verbringen, dann tun Sie das. Hans-Hermann Rehberg: Wir machen auch klassische Werbung, sind aber Hans-Hermann Rehberg: Wenn jeder momentan im Prozess des Umdenkens, über seinen Tellerrand schaut und sich inwiefern wir mehr virale Werbung vernetzt, ist viel gewonnen. Wichtig ist, betreiben sollten. Es gibt zum Beispiel dass Profis und Laien voneinander lernen Bannerwerbung für den kommenden und dass es einen Dialog gibt und eine Gospelworkshop, da wir realisiert haben, ganz große starke Gruppe. wie groß die Community aufgestellt ist. Das Protokoll führte Paul Krüerke. Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Mehr Öffentlichkeit f. d. Gesang“ – S. 6/6
  • 24. SINGEN MIT GENERATIO- NEN I – Canto elementar Referentin: Anke Bolz, Seminar- und Projektleiterin „Il canto del mondo e. V.” Canto elementar verbindet singfreudige Senioren mit Kindergärten, die das Sin- gen als Element der Alltagskultur ihrer Auf eine 20-köpfige Kindergartengruppe Kinder wiederbeleben wollen. Canto ele- kommen ca. zehn Senioren, die idealer- mentar betrachtet die Entfaltung des weise in der näheren Umgebung der Kin- Singens als gleichbedeutend mit der des dergärten wohnen. Sprechens. Singen wird gleichwertig zum Erlernen der Sprache verstanden. Das Die ErzieherInnen erlernen und erleben Sprechen gilt dem Projekt als der Motor durch die wöchentliche Canto-Stunde für die Entwicklung des Logos, das Sin- das Liedersingen für sich selbst, um es gen dagegen für die Entwicklung der dann verstärkt in den Kita-Alltag einflie- Emotionen. Ausgangspunkt ist die Beob- ßen zu lassen. Schließlich werden die El- achtung, dass in den meisten Familien tern zu Singstunden und besungenen Ki- nicht („nicht mehr“) musiziert oder ge- ta-Festen eingeladen. sungen wird. in den Kindergärten wen- den nur („nur noch“) zehn Prozent der Das Programm Canto elementar, das von ErzieherInnen spielerisches Singen an. „Il Canto del mondo e. V.“ angeregt und Dabei ist „Singen Kraftfutter für Kinder- begleitet wird, dauert für jede Kinderta- hirne“ (Prof. Dr. Dr. G. Hüther) und gesstätte zwei Jahre. Der Verein hilft bei schüttet ein Hormon aus, das den Men- der Singpatensuche, bei inhaltlichen Fra- schen bindungsfähig macht. Singen kann gen und hält Einführungen ins Projekt für wie kein anderes medizinisches Mittel Singpaten, ErzieherInnen und LeiterIn- gleichzeitig Angst lösen und Freude nen. Weiterhin kümmern sich Mitglieder wecken (Prof. Dr. Dr. M. Spitzer). des Vereins um die Anschaffung des ge- meinsamen Liederbuches inklusive CD Die Kinder, die teilweise weiter weg von und besuchen regelmäßig die Kindergär- ihren eigenen Großeltern leben oder bei ten. denen das Musizieren kein Bestandteil der familiären Kommunikation ist, sollen Eine Kita, bei der alle Kinder einbezogen ein Singen in großfamilienähnlicher At- werden und täglich mindestens 45 Minu- mosphäre erleben. Dabei verbringen äl- ten singen, erhält Urkunden und die Pla- tere Singpaten gruppenweise 45 Minuten kette „Canto-Kita“. Nach der Projektpha- pro Woche ehrenamtlich in einer Kinder- se läuft es oft weiter, die Gruppe der be- tagesstätte und wirken darauf hin, die geisterten Singpaten erneuert sich Kinder für das regelmäßige Singen „aus selbstständig und die ErzieherInnen sind Herz und Seele“ zu begeistern. Das kön- dankbar für eine generationenverbinden- nen sie am Besten mit Liedgut, das sie de Singkultur. selbst voller Begeisterung im Herzen ha- ben. Demzufolge erstreckt sich die Lied- Canto elementar startet, wenn sich ein auswahl über Volkslieder, alte Kinderlie- Kindergarten oder Eltern, Singpaten oder der aber auch über das Hören und Erle- andere Förderer dazu melden und um ben von Geräuschen und Lauten sowie zweijährige Unterstützung durch den Fantasiesprache in Form von nonverbaler Träger „Il canto del mondo e. V.“ bitten. Kommunikation. Zum Singen sollte min- Die Kosten für die Kita belaufen sich auf destens ein Pate ein Begleitinstrument 5 000 Euro über die zweijährige Projekt- spielen, zum Geräuschwahrnehmen wer- zeit für das Material und das beteiligte den Klangstäbe und Windspiele an die Personal. In manchen Einrichtungen be- Kinder verteilt. teiligt sich ein Förderer wie eine Versi- Musikland Niedersachsen – Jahreskonferenz 2010 – „Singen“ – Protokoll „Singen mit Generationen“ – S. 1 / 4