1. Dezember·Januar | 2015/16
Nacht am Berg: Nach Sonnenuntergang ist auf den Pisten längst nicht Schluss.
Meine S-Bahn: Fahrplan-Quiz lösen und einen unvergesslichen Ausflug gewinnen.
Reise
zu sich selbst
DieMönchevonHauterive.
4. 8
HieristZwischenland:NeuenburgerseeundBielersee
imNordwesten,GenferseeimSüdwestenunddiebei-
den grossen Berner Seen im Südosten. Hier treffen
Grenzenaufeinander,vermischensichSprachen,Kul-
turen und Religionen. Westlich der Saane spricht,
denkt, isst und lebt man Französisch, am entgegen-
gesetztenUferbeginntdieDeutschschweiz.DerFluss
schlängelt sich in verspielten Schlaufen nordwärts,
dem Schiffenensee entgegen. In einer dieser Schlau-
fen unweit von Freiburg im Üechtland liegt das Klos-
ter Hauterive. Ihren Namen hat die Abtei von den ho-
henSandsteinklippenamrechtenUfer.DieSaanehat
sich hier während Jahrmillionen ihr Bett tief aus dem
weichen Molassestein gewaschen und so das «hohe
Ufer» zurückgelassen.
Stillisteshier,nurdenRegenhörtmanandiesemkal-
tenSpätherbsttagleiseaufdieletztenBlätterderBäu-
me trommeln. Der grosse Garten ist fast ganz abge-
erntet.RiesigeKohlköpfeundKopfsalatestehennoch
nebeneinerGruppegebeugter,schwarzblättrigerSon-
nenblumen. Ein riesiger Salbeistrauch tut so, als ma-
cheihmdieKältegarnichtsaus.SeineBlätterriechen
nach Sonne und Mittelmeerküste.
Esistschönhier,alshabejemanddieZeitangehalten,
als sei der Ort aus der Zeit herausgefallen.
Grenzen, Ufer, Übergang, Zwischenland. Das Kloster
fügt sich perfekt in die Natur ein. «Zisterzienser-
klöster sind immer harmonisch mit dem Wasser und
der Natur der Umgebung verbunden», sagt Bruder
Henri-Marie.Der58-jährigeBretoneistvor32Jahren
Ruchbrot und Kräutertee: Bruder
Joseph und Bruder Gabriele-Maria (r.)
bei der Arbeit.
Bernhard von Clairvaux:
Kommentierte die Regel des
heiligen Benedikt.
5. 9
hierher gekommen. Es ist ein anspruchvolles Leben,
das viele Menschen von ausserhalb als entbehrungs-
reich, langweilig oder freudlos bezeichnen würden.
Der Orden der Zisterzienser verlangt viel von jenen,
dieindieserGemeinschaftlebenwollen.WerdieEnt-
scheidung getroffen hat, hier zu leben, tritt eine
lebenslange Reise an: die Reise zu sich selbst.
Direkte Brücke zum Mittelalter
DieTagesindgeprägtvomGebet,demLesenderBibel
und dem Meditieren, der Arbeit und dem gemein-
schaftlichen Leben. Der Wecker geht gegen vier Uhr
morgens, um 4.15 Uhr treffen sich die Brüder zum
erstengemeinsamenGebetdesTages.Insgesamtacht
Mal kommen die Mönche zum gesungenen Gebet in
der Kirche zusammen. Die gregorianischen Gesänge
schlagen eine direkte Brücke ins Mittelalter, zu den
UrsprüngendesOrdens.Geredetwirdnurzubestimm-
tenZeiten,dasEssenwirdschweigendeingenommen,
währenddem ein Mönch aus einem Buch vorliest.
Generationen von Mönchen haben hier seit 1138 nach
derRegeldesheiligenBenediktschongelebt.«Unsge-
ben diese Strukturen Hilfe, um das richtige Mass zu
finden.» Wer hier lebt, weiss um seine Wurzeln.
Bruder Henri-Marie stellt uns Bruder Joseph vor. Der
hatbeiderPäpstlichenSchweizergardegedient,bevor
er nach Hauterive kam. Jetzt mostet er die Äpfel aus
dem eigenen Obstgarten. 400 Liter wird es heute ge-
ben.ZumEigengebrauchseidasgedacht,sagter,lacht
und hantiert mit seinen Schläuchen. Am Samstag
Der Kreuzgang hat sich seit dem
14. Jahrhundert kaum verändert.
Die Tagesstruktur
in Hauterive
04.15Uhr – Vigilien (1 Stunde)
06.30Uhr – Laudes (30 Minuten)
09.15Uhr – Terz (15 Minuten)
11.50Uhr – Sext (15 Minuten)
13.50Uhr – Non (15 Minuten)
17.30Uhr – Vesper (30 Minuten)
19.50Uhr – Komplet (20 Minuten)
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6. dann wird Bruder Joseph Brot backen, ein Ruchbrot.
«Mit Milch», stellt er klar. Die Leute kämen teilweise
von weit her, um einen Laib zu kaufen.
18 Mönche leben hier. 27 Jahre jung der Jüngste, Bru-
derGabriele-Maria,eristvorvierJahrennachHaute-
rive gekommen. Weit über 80 der Älteste, Bruder
Raphaël, er stammt aus der Romandie. Die Männer
kommenausderDeutschschweiz,derRomandie,dem
Tessin, Frankreich, Belgien und Italien. Multikulti
schon seit Jahrhunderten, lange bevor es das Wort
überhaupt gab. Im Klosterladen bietet die Gemein-
schaft Tees und Salben, Biskuits, Holzarbeiten oder
das samstägliche Brot zum Verkauf an. Die Konfitüre
wird aus eigenen Früchten oder aus der Region ge-
kocht, der Wein stammt aus dem ehemals eigenen
RebbergimwaadtländischenLavaux.Dergehörtzwar
seit 1848 dem Kanton Freiburg, «irgendwie hat der
Staatvergessen,ihnunszurückzugeben»,sagtBruder
Henri-Marie und lacht. «Aber immerhin drucken sie
den Hinweis auf den früheren Eigentümer heute auf
dieEtikette.»Bier,HonigoderSeifenkommenvonan-
derenKlösternodervonProduzentenausderGegend.
DasistRegionalitätvomFeinsten.Dasgehtganzohne
Marketing, weil die Qualität stimmt.
Gegenentwurf zur Konsumgesellschaft
Die Zisterzienser von Hauterive, eine «weltfremde
Männertruppe»? Das war der Kommentar einer Kol-
legin, als sie von meinem Besuch hörte. Nichts könn-
te dieser Gemeinschaft weniger gerecht werden. Es
sind Menschen, die sich einem Leben verschrieben
haben,dasmangetrostalsGegenentwurfzuunserem
modernen konsum- und erlebnisorientierten Leben
verstehenkann.AberessindauchMenschen,diesich
für die Aussenwelt interessieren und gerne Gäste
empfangen. Eine andere Welt halt. Aber genauso real
wie die unsere.
abbaye-hauterive.ch
Essen und schlafen in der
Umgebung
Brasserie de la Croix
Blanche, Posieux
In der eigenen Brauerei ent-
stehen hier diverse Biere, vom
Hellen bis zum Weizen. Die
eigene Metzgerei garantiert
beste Qualität, was man im Res-
taurant gleich selber probieren
kann. Wer vor lauter Essen und
Trinken am Abend nicht mehr
heimkommt, bucht ein Zimmer
gleich im Haus.
brasserie-fribourg.com
Auberge «Aux 4 vents»
Das Herrschaftshaus liegt etwas
ausserhalb von Fribourg und hat
acht Zimmer. Künstler haben
jeden Raum individuell einge-
richtet. Der Park ist ein Bijou,
die Küche regional, frisch und
bio, das Ambiente romantisch
unkompliziert.
aux4vents.ch
Das Leben der Mönche kennenlernen
Die Mönche bieten geführte Besuche des Klosters an (Einzelheiten siehe Website
des Klosters). Wer ein paar Tage bleiben will – Männer und Frauen, Einzelpersonen
oder kleine Gruppen – wird im Gästehaus des Klosters aufgenommen für einen
Aufenthalt, der von einem Klima des Gebets und der Einkehr geprägt ist und von
den liturgischen Feiern der Mönche getragen wird. Aber: «Wir sind kein günstiges
Exotikhotel; wer bei uns einige Tage verbringen möchte, muss unsere Regeln
akzeptieren», sagt Bruder Henri-Marie. Deshalb wird vor jedem Aufenthalt zuerst
die Motivation des Gastes abgeklärt. abbaye-hauterive.ch
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