Die vorliegende Arbeit soll Inhabern und Geschäftsführern von Wirtschaftsbetrieben einen aktuellen und pragmatischen Überblick geben, wie sie durch Gestaltung der Arbeitszeit ihr Unternehmen weiter entwickeln können. Hierzu werden besonders die folgenden Fragen beantwortet: Welche Möglichkeiten gibt es, durch Änderung der Arbeitszeitmodelle Kapazität und Produktivität zu erhöhen und flexibel auf variable Kundennachfrage zu reagieren? Welche Grenzen müssen dabei berücksichtigt werden, um beispielsweise die Gesundheit der Mitarbeiter zu fördern oder mindestens nicht zu beeinträchtigen? Da die vorliegende Arbeit einen grundsätzlichen und praktikablen Überblick zum Ziel hat, sind die einzelnen Arbeitszeitmodelle sowie die heranzuziehenden Gesetze und Paragraphen nur grundsätzlich und nicht im Detail genannt oder beschrieben.
Atmender Betrieb durch Gestaltung der Arbeitszeit - Möglichkeiten und Grenzen
1. HINTERGRUND ARBEITSZEITGEWINN
Projektverbund:
Atmender Betrieb durch Gestaltung der
Arbeitszeit – Möglichkeiten und Grenzen
Arbeitszeit ist in Deutschland ein teures Gut. Für Wirtschaftsbetriebe ist daher schon jetzt der Bedarf an aktiver, professi-
oneller Arbeitszeitgestaltung groß – um Kapazität und Produktivität generell zu steigern und um Kapazität flexibel an
Kundennachfrage anpassen zu können.
>>> Einleitung tivität zu erhöhen und flexibel auf variable Kundennach-
frage zu reagieren? Welche Grenzen müssen dabei
Zusätzlich werden die drei im Folgenden beschriebenen berücksichtigt werden, um beispielsweise die Gesund-
Trends Globalisierung, demographische Entwicklung heit der Mitarbeiter zu fördern oder mindestens nicht zu
und Wertewandel den Bedarf an Arbeitszeitgestaltung beeinträchtigen? Da die vorliegende Arbeit einen
weiter erhöhen (3): grundsätzlichen und praktikablen Überblick zum Ziel
hat, sind die einzelnen Arbeitszeitmodelle sowie die
Durch die Globalisierung steigt der Konkurrenz- heranzuziehenden Gesetze und Paragraphen nur
druck, da in der vernetzten Welt Konkurrenzpro- grundsätzlich und nicht im Detail genannt oder be-
dukte und Konkurrenzdienstleistungen rund um die schrieben.
Uhr und zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfü-
gung stehen. In Folge müssen auch hiesige Unter- Die Beschaffung der hier verwendeten Informationen
nehmen ihre Dienst- und Betriebszeiten ausdeh- erfolgt durch Auswertung von Primär- und Sekundärlite-
nen. ratur. Im folgenden zweiten Kapitel wird anhand eines
Praxisbeispiels beschrieben, wie die Volkswagen AG
Die demographische Entwicklung führt zumindest mit der sogenannten atmenden Fabrik Pionierarbeit in
in Westeuropa zu schrumpfender und älterer Be- Sachen Arbeitszeitflexibilisierung geleistet hat. Kapitel 3
völkerung. Bereits heute resultiert hieraus ein beschreibt die Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung
Mangel an qualifizierten Fach- und Führungskräf- und ihren jeweiligen Nutzen, während Kapitel 4 die
ten. Mit passenden Arbeitszeitmodellen, Teilzeitar- Grenzen der Arbeitszeitflexibilisierung darlegt. Ab-
beit oder Lebenszeitarbeit zum Beispiel, lassen schließend folgt in Kapitel 5 das Resümee.
sich neue Arbeitszeitpotenziale erschließen.
>>> Pionier VW: Die atmende Fabrik
Mit dem Wertewandel schließlich wächst der Mit-
arbeiterwunsch nach Individualisierung. Fremdbe- >>> Atmende Fabrik
stimmtes Arbeiten wird weniger werden, selbstbe-
stimmtes Arbeiten und Work-Life-Balance werden Im Jahr 1994 bestand in der Volkswagen AG ange-
Mitarbeitern wichtiger. Unternehmen können sich sichts einer tiefen Absatzkrise in der Automobilindustrie
hier im sogenannten Kampf um die besten Köpfe ein Personalüberhang von etwa 20.000 Beschäftigten
als attraktive Arbeitgeber positionieren, indem ihre (5). Um u.a. auf Kündigungen und Werksschließungen
Arbeitszeitmodelle den Mitarbeitern eine flexiblere verzichten zu können, entwarf der damalige VW-
und individuellere Lebensführung ermöglichen. Arbeitsdirektor Peter Hartz die Konzeption der atmen-
den Fabrik.
Die vorliegende Arbeit soll Inhabern und Geschäftsfüh-
rern von Wirtschaftsbetrieben einen aktuellen und Das wesentliche Element der atmenden Fabrik waren
pragmatischen Überblick geben, wie sie durch Gestal- und sind hochflexible Arbeitszeitmodelle, die sich am
tung der Arbeitszeit ihr Unternehmen weiter entwickeln Nachfrageverhalten der Kunden ausrichten. So wurde
können. Hierzu werden besonders die folgenden Fra- bei VW „die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ab Janu-
gen beantwortet: Welche Möglichkeiten gibt es, durch ar 1994 von 36 Stunden auf 28,8 Stunden in der Woche
Änderung der Arbeitszeitmodelle Kapazität und Produk- … reduziert. Verbunden war dies mit einer Reduzierung
Artikel 2/2011 – 1
2. des Jahreseinkommens der Beschäftigten. Durch ein rücken die sogenannte Innere Uhr des Menschen an
kompliziertes Verrechnungs- und Zulagensystem konn- die zentrale Stelle jeder Arbeitszeitdiskussion. Im Fol-
te erreicht werden, dass die monatlichen Vergütungen genden werden die wichtigsten chronobiologischen
auf dem Stand von Oktober 1993 unverändert blieben; Erkenntnisse über Tagesrhythmus und Wochenrhyth-
es entfielen jedoch die Sonderzahlung (13. Monatsent- mus erläutert.
gelt) und der größte Teil des zusätzlichen Urlaubsgel-
des“ (5). Hier erfolgte eine Entkoppelung von Entgelt Tagesrhythmus
und Leistungserbringung, der Monatslohn wurde trotz
flexiblen Abrufs der Arbeitsleistung nivelliert ausgezahlt Allein die Zu- und Abnahme zweier Messgrößen im
(5). Körper über 24 Stunden hinweg genügen für den Be-
weis, dass der Mensch über einen natürlichen täglichen
1996 wurde die 4-Tage-Woche zur sogenannten VW- Rhythmus verfügt: die Körpertemperatur und der Hor-
Woche weiterentwickelt: „Im Rahmen der jährlichen monspiegel von schlafinduzierendem Melatonin im Blut
Programm- und Arbeitszeitplanung ist es nunmehr nach (8). „We’re genetically programmed to be awake during
der neuen Beschäftigungssicherungsvereinbarung the day and to sleep at night. We operate best – physi-
möglich, die wöchentliche Arbeitszeit ungleichmäßig cally, mentally, emotionally and spiritually – when we
über das Jahr zu verteilen und so den unterschiedlichen align with that rhythm” (8). Auch die sogenannten An-
Auftragsbeständen anzupassen. Die wöchentliche Ar- dechser Versuche haben bewiesen, dass die Menschen
beitszeit kann innerhalb der Volkswagen-Woche … [von über einen natürlichen 25-Stunden-Takt verfügen (12).
regulär 28,8] auf bis zu 38,8 Stunden pro Woche ver- Die beiden wichtigsten Zeitgeber dieses Rhythmus sind
längert werden, ohne dass Mehrarbeitszuschläge anfal- dabei soziale Reize und helles Licht am Morgen (12).
len“ (5).
Da die Beleuchtung eines vorschriftsmäßig beleuchte-
Weitere Anpassungsmöglichkeiten brachte die Festle- ten Großraumbüros etwa 1.000 Lux aufweist, das natür-
gung einer Flexibilitätskaskade, mittels derer die Kapa- liche Licht der Sonne aber eine Lichtstärke von 1.500
zität bedarfsgerecht wie in Eskalationsstufen erhöht bis 100.000 Lux, ist selbst bei Bewölkung oder Nieder-
werden konnte: Erst Arbeitsstunden pro Tag erhöhen, schlag im Winter das Sonnenlicht durch künstliches
dann Schichten pro Tag erhöhen, dann Arbeitstage pro Licht als Zeitgeber nicht ersetzbar (12). Um also Perso-
Woche, dann an Samstagen arbeiten lassen, zuletzt nalkapazität besser zu nutzen und Produktivität zu stei-
Kapazitätsausgleich zwischen Standorten vornehmen gern, ist die wichtigste Maßnahme der Arbeitszeitge-
(5). „Die Volkswagen-Woche erlaubt, mit dem Markt zu staltung überhaupt, sich die tägliche Innere Uhr der
atmen. Sie ermöglicht als Teil der Standort- und Be- Mitarbeiter zunutze zu machen, soviel Arbeit wie mög-
schäftigungssicherung eine weitgehend kostenneutrale lich am Tag verrichten zu lassen, die Nachtarbeit auf
Arbeitszeitflexibilität. Mit der Volkswagen-Woche sind das absolut notwendige Minimum zu beschränken.
wir unseren Kunden ein gutes Stück näher gekommen“
(5). Wochenrhythmus und Schichtarbeit
>>> Atmender Betrieb Wenn unaufschiebbare Kunden- oder Versorgungsbe-
darfe, technische Gründe oder Gründe der Anlagenaus-
Da der Begriff der atmenden Fabrik missverstanden lastung den Verzicht auf Nachtarbeit unmöglich ma-
werden könnte als ausschließlich auf Produktion oder chen, dann ist eine Schichtplanung nach den aktuellen
Fertigung bezogen, wird in der vorliegenden Arbeit vom ergonomischen Erkenntnissen einzurichten: Die Anzahl
atmenden Betrieb gesprochen. Sämtliche im Folgenden der Nachtschichten in Folge sollte auf maximal drei,
getroffenen Aussagen finden sowohl auf Produktions- besser zwei, optimal eine beschränkt werden: „Schlafen
betriebe als auch auf Dienstleistungsbetriebe ihre volle wir ein oder auch zwei Nächte weniger, als unser Opti-
Anwendbarkeit. mum es vorsieht, können wir das gut kompensieren.
Auf Dauer jedoch macht zu wenig Schlaf schlicht und
>>> Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung einfach krank“ (12). Das Rollieren der Schichten sollte
im Regelfall vorwärts erfolgen, da dies die Pause bei
>>> Innere Uhr nutzen Schichtwechseln verlängert.
Die zunehmende Bedeutung der individuellen Work-
Life-Balance sowie wissenschaftliche Erkenntnisse
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3. >>> Arbeitsdauer steuern >>> An individuelle Lebensphasen anpassen:
Teilzeit u.a.
Willingen u.a. stellen fest, dass mit der Arbeitszeitdauer
das Risiko gesundheitlicher Beeinträchtigungen, erhöh- Im Laufe seines Arbeitslebens durchläuft ein Mitarbeiter
ter psychischer Belastungen, kardiovaskulärer Krank- verschiedene Lebensphasen, die vor allem durch seine
heiten und die Quote von Arbeitsunfällen steigt (11). persönliche und familiäre Situation geprägt sind. So
„Nicht außer acht zu lassen ist … , dass sich mit der besteht üblicherweise nach der Ausbildung und vor
Verlängerung von Arbeitszeiten gleichzeitig die Rege- einer eventuellen Elternschaft eine besonders große
nerationsphasen und Möglichkeiten zu sozialen Kontak- Leistungsbereitschaft, während zum Beispiel bei Eltern-
ten, also protektive Faktoren reduzieren. Deutlich wird schaft vor allem junger Kinder oder mit zunehmendem
hier, dass die Forderungen des Arbeitszeitgesetzes (in Alter des Mitarbeiters Leistungsbereitschaft und Leis-
der Regel 8 Stunden Arbeit pro Tag, Höchstarbeits- tungsvermögen des Mitarbeiters sich ändern. Um be-
grenze 10 Stunden pro Tag, maximale Wochenarbeits- sonders auf die individuellen Lebensphasen von Mitar-
zeit 60 Stunden) in Übereinstimmung mit den For- beitern eingehen zu können, eignen sich die folgenden
schungsergebnissen zu gesundheitlichen Folgen über- Arbeitszeitmodelle:
langer Arbeitszeiten stehen und als vernünftiger Rah-
men für gesundheitsgerechte Arbeitszeitgestaltung Teilzeitarbeit:
gelten können“ (11). Laut § 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz ist die re-
gelmäßige Wochenarbeitszeit kürzer als bei einem
>>> Pausen steuern vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer
(9). Dauer und Lage der Arbeitszeit sind individuell
Gemäß § 4 des Arbeitszeitgesetzes muss die Arbeit bei vereinbart.
einer Arbeitszeit von mehr als 6 Stunden durch eine im
Voraus feststehende Ruhepause von mindestens 30 Job-Sharing:
Minuten unterbrochen werden, bei einer Arbeitszeit von Ein oder mehrere Teilzeit-Mitarbeiter teilen sich ei-
mehr als 9 Stunden um mindestens 45 Minuten (2). nen Arbeitsplatz und die Arbeitszeit.
Studien deuten darauf hin, dass kürzere Arbeitsinterval-
le mit kürzeren Pausen vorzuziehen sind gegenüber Altersteilzeit:
langen Arbeitsintervallen mit langen Pausen, und dass Gemäß Altersteilzeitgesetz können Arbeitnehmer
Pausen tendenziell zu spät gemacht werden. Ein guter ab dem vollendeten 55. Lebensjahr ihre Arbeitszeit
Ansatzpunkt ist sicherlich, die Pausen nach Möglichkeit auf die Hälfte verringern (1).
in die Zeiträume zu legen, in denen nach der Inneren
Uhr der Mitarbeiter keine Höchstleistungen möglich >>> An schwankende Nachfrage anpassen:
sind. Jahresarbeitszeit
Der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, dass nach Bei der Jahresarbeitszeit wird die Mitarbeiterkapazität
heutigem Stand der Wissenschaft der tägliche Mittags- an schwankende Nachfrage im Jahresverlauf ange-
schlaf von maximal 30 Minuten Länge, „Power Nap“ auf passt. Die Entgeltzahlung wird dabei entkoppelt, auf
neuhochdeutsch, als sinnvolle Maßnahme angesehen Basis des geplanten Jahresarbeitsanfalls werden zwölf
wird. „Unabhängig voneinander stellten alle [beteiligten gleiche Monatsbeträge ausgezahlt.
Forscher] fest, dass Versuchspersonen nach einem
Nickerchen bei ihrer Arbeit schneller reagieren, auf- >>> Verantwortung delegieren:
Von Gleitzeit bis Vertrauensarbeitszeit
merksamer und konzentrierter arbeiten und besser
gelaunt sind als Kollegen ohne Mittagsschlaf, und zwar
Für wachsende, an Komplexität zunehmende Unter-
nachhaltig. Das gilt sogar für ein Schläfchen am frühen
nehmen, die zudem als attraktive und moderne Arbeit-
Abend direkt vor der Nachtschicht: in diesem Fall ma-
geber wahrgenommen werden wollen, ist ein starres
chen die Leute in der Nachtschicht weniger Fehler und
Arbeitszeitmodell über alle Abteilungen hinweg unan-
arbeiten produktiver“ (12). Schlafende Personen im
gemessen. Wenn wenig Leerlauf auf der einen und
Pausenraum gelten also nicht mehr als Ausdruck über-
wenig Überlastung auf der anderen Seite auftreten
nächtigter, demotivierter Mitarbeiter, sondern vielmehr
sollen, dann ist eine zumindest teilweise Delegation von
als Beweis einer chronobiologisch sensiblen Beleg-
Arbeitszeitverantwortung auf die Abteilungen und Mit-
schaft.
arbeiter geboten. Üblicherweise werden auf der opera-
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4. tiven Ebene hierzu bessere Entscheidungen getroffen, >>> Umsetzung: Die Einführung neuer Arbeits-
weil die Mitarbeiter vor Ort den schwankenden Arbeits- zeitmodelle
anfall und die individuelle Verfügbarkeit ihrer Kollegen
viel besser einschätzen können als Führungskräfte oder Die Einführung neuer Arbeitszeitmodelle in Wirtschafts-
gar eine Zentralabteilung. „Empowerment“ neuhoch- betriebe kann, wenn sie langfristig Erfolg haben soll,
deutsch (!) ist oftmals der wesentliche Durchbruch zur nur partizipativ, also unter Teilnahme der Betroffenen,
Produktivitätssteigerung. Die folgenden Arbeitszeitmo- erfolgen. Führungskräfte und Mitarbeiter müssen von
delle dienen diesem Zweck: Anfang an beteiligt werden, um einerseits das für das
Unternehmen individuell beste Arbeitszeitmodell zu
Gleitzeit: definieren, und um andererseits die für einen Erfolg
Die Gleitzeit, eingeführt in den sechziger Jahren erforderliche Akzeptanz in Führungskreis und Beleg-
des vorigen Jahrhunderts, war der Einstieg in die schaft zu gewährleisten. Mitarbeiterbefragungen, Ein-
Flexibilisierung der Arbeitszeit (3). Dabei herrscht zelgespräche, Workshops in Projektgruppen und Be-
in einer sogenannten Kernarbeitszeit Anwesen- triebsversammlungen sind die gebotenen Mittel der
heitspflicht, während die übrige Arbeitszeit inner- Partizipation.
halb eines definierten Rahmens individuell be-
stimmt werden kann (3). >>> Grenzen der Arbeitszeitgestaltung
Wahlarbeitszeit: >>> Arbeiten entgegen dem Tagesrhythmus der
Inneren Uhr
Die Mitarbeiter können ihre Arbeitszeit individuell
wählen. Dabei wird „die Personalstärke in Abhän-
„Die [Innere Uhr] schaltet vor allem gegen drei, vier Uhr
gigkeit vom Kundenverhalten wöchentlich, täglich
morgens, aber auch am früheren Nachmittag auf
und stündlich unterschiedlich geplant. Das bedeu-
‚Schongang‘. Wenn wir uns anstrengen, können wir ihre
tet: für Zeiten mit erfahrungsgemäß stärkerem Ar-
Vorgaben überspielen. Das aber hat einen Preis: Wir
beitsanfall wird im Voraus mehr Personal einge-
sind nicht nur subjektiv müde, sondern leisten objektiv
plant … Der sich so ergebende Personalbedarfs-
weniger und machen mehr Fehler“ (12). In einer reprä-
plan wird für alle Beschäftigten sichtbar ausge-
sentativen Untersuchung von schweren Autounfällen in
hängt, damit diese ihren Arbeitseinsatz je nach
Folge von Einschlafen am Steuer stellte sich heraus,
persönlichen Vorlieben und dem vertraglich ver-
dass weit mehr dieser Unfälle zu Zeitpunkten der biolo-
einbarten Arbeitszeitvolumens eintragen können.
gischen Tiefs im Tagesverlauf erfolgten: In den frühen
Dabei sprechen sich die Arbeitskräfte untereinan-
Morgenstunden und nachmittags gegen 14:00 Uhr (12).
der oder mit der Führungskraft ab“ (3).
Als eine Grenze der Arbeitszeitgestaltung muss also
anerkannt werden, dass in den ersten Stunden des
Funktionszeit:
Tages oder am frühen Nachmittag chronobiologische
Bei der Funktionszeit übernehmen Teams oder
Tiefs die Arbeitskraft und die Konzentration erheblich
Abteilungen autonom die Verantwortung darüber,
einschränken.
dass ihr Verantwortungsbereich im Unternehmen
funktionsfähig ist. Eine grundsätzliche Anwesen-
>>> Nachtarbeit
heitspflicht in bestimmten Zeitfenstern entfällt.
Vielmehr übernimmt das jeweilige Arbeitsteam die Nachtarbeit verstößt gegen die tägliche Innere Uhr stets
Verantwortung über die adäquate Personalbeset- in doppelter Weise: Es wird gegen die Innere Uhr bei
zung zu jedem gegebenen Zeitpunkt. Nacht gearbeitet und es wird gegen die Innere Uhr bei
Tag geschlafen. Nachgewiesen ist, dass der Schlaf von
Vertrauensarbeitszeit: Nachtarbeitern subjektiv schlechter und kürzer ist und
Die Vertrauensarbeitszeit bildet die höchste Form weniger Tiefschlaf enthält (12). Die oft geäußerte
der Verantwortungsübernahme der Mitarbeiter Selbsteinschätzung von Nachtarbeitern, besonders von
über ihre Arbeitszeit. Ausgehend von Arbeitszielen Arbeitern der Dauernachtschicht, man habe sich an die
und erwarteten Arbeitsergebnissen ist den Mitar- Nachtarbeit gewöhnt, die Innere Uhr sei sozusagen
beitern Dauer und Lage ihrer Arbeitszeit freige- umgestellt, ist damit widerlegt.
stellt.
Zudem wird ein Schlafdefizit regelmäßig nicht erkannt.
Der Schlafforscher David Dinges erläutert, dass Men-
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5. schen mit Schlafentzug ihre eigenen Einschränkungen beitsüberlastung münden, eine der Hauptursachen für
nicht erkennen: „It’s convenient to say, ‚I’ve learned to das stark zunehmende Krankheitssyndrom Burnout (7).
live without sleep,‘ … But you bring them into the labor-
atory and we don’t see this adaption” (8). „Like a drunk, Festzuhalten bleibt also, dass Beschäftigte in flexible-
a person who is sleep-deprived has no idea how func- ren Arbeitszeitmodellen grundsätzlich unter höherem
tionally impaired he or she truly is. Most of us have Leistungsdruck stehen und daher unbedingt unterstüt-
forgotten what it really feels like to be awake” (8). zender Führung bedürfen, um einer Überlastung in
Folge von Arbeitszeitflexibilisierung vorzubeugen. Aktu-
>>> Mehrarbeit elles Beispiel: In der Formel 1, der Sportart mit exorbi-
tanten finanziellen Interessen und dem Nimbus echter
Wingen u.a. berichten, dass in deutschen, englischen Kerle, harter Männer ist die Sorge um Überforderung
und schwedischen Studien ein exponentiell ansteigen- der Mitarbeiter in Folge übermäßig flexibilisierter Ar-
des Unfallrisiko nach der 8. Arbeitsstunde nachgewie- beitszeiten angekommen: Laut Frankfurter Allgemeine
sen werden konnte (11). In einer zusammenfassenden Sonntagszeitung vom 20. März 2011 wurde mit den
Auswertung von 52 Berichten, die den Zusammenhang Regeln der Rennsaison 2011 für die Mechaniker eine
zwischen langen Arbeitstagen und Krankheiten, Verlet- Sperrstunde an den Rennwochenenden eingeführt, „um
zungen, gesundheitsbewusstem Verhalten und Arbeits- sie [die Mechaniker] vor Übermüdung und damit auch
leistung untersuchen, kommen Caruso u.a. zu den fol- vor Fehlern zu schützen“ (10).
genden Aussagen: „Overtime was associated with poo-
rer perceived general health, increased injury rates, >>> Resümee
more illnesses, or increased mortality in 16 of 22 stu-
dies … A pattern of deteriorating performance on psy- Vom arbeitszeittechnischen Entwicklungsstand betrach-
chophysiological tests and injuries while working long tet sind fixe Arbeitszeiten „steinzeitlich“, während Gleit-
hours was observed across study findings, particularly zeitmodelle eher als „mittelalterlich“ zu bezeichnen sind.
in very long shifts and when 12-hour shifts were com- Wie schon das Beispiel von VW zeigt, ist die aktive
bined with more than 40 hours of work a week” (4). Gestaltung der Arbeitszeit das wesentliche Element des
atmenden Betriebs – mit dem Nutzen
>>> Überforderung durch Flexibilisierung
höherer Flexibilität am Markt,
Wingen u.a. berichten, dass Beschäftigte in sogenann-
ten Normalarbeitszeitverhältnissen „durchweg weniger besserer Kapazitätsauslastung,
über gesundheitliche Beschwerden klagen als die Be-
schäftigten außerhalb der Normalarbeitszeit“ (11). Als höherer Produktivität,
Normalarbeitszeitverhältnis bezeichnen die Autoren
dabei eine Vollzeitbeschäftigung von montags bis frei- Erhaltung oder Förderung der Gesundheit der
tags tagsüber, die in der Arbeitszeitlage nicht variiert. Mitarbeiter.
Weiter führen die Autoren aus: „Besonders deutliche
Unterschiede sind beim Belastungsfaktor Termin- und Die Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung beginnen
Leistungsdruck festzustellen. Die Beschäftigten mit mit der Berücksichtigung und Nutzung der Inneren Uhr
Überstunden und Schichtarbeit, Arbeitszeitkonten und des Menschen – durch Gestaltung des Tagesrhythmus,
Gleitzeitarbeit fühlen sich durch Termin- und Leistungs- des Wochenrhythmus, der Schichtarbeit. Dabei werden
druck stärker belastet als Beschäftigte im Normalar- auch die aktuellen Erkenntnisse über optimale Arbeits-
beitszeitmodell“ (11). dauer und Pausen verwertet. Mit Modellen der Teilzeit-
arbeit, des Job Sharing, der Altersteilzeit können Ar-
Hellert und Sträde befinden, dass für Mitarbeiter neben beitgeber in besonderer Weise auf die individuellen
den positiven Effekten der Selbstorganisation die Lebensphasen ihrer Mitarbeiter eingehen und sich so
selbstgemachte Überforderung durch das Gefühl droht, im sogenannten Kampf um die besten Köpfe als attrak-
für nicht erreichbare Ziele persönlich verantwortlich zu tive Arbeitgeber positionieren. Das Modell der Jahres-
sein: „Falsch verstandene Flexibilität, also ‚Arbeiten arbeitszeit ermöglicht eine nivellierte Monatsentlohnung
ohne Ende‘ führt zudem bei immer mehr IT-Fachleuten der Mitarbeiter trotz stark schwankenden Abrufs der
zu chronischen Erschöpfungszuständen, gesundheitli- Mitarbeiterkapazität.
chen Beeinträchtigungen und vorzeitigen Leistungsein-
bußen“ (6). Die stärkere Belastung kann schnell in Ar-
Artikel 2/2011 – 5
6. Wer zum Zweck der Produktivitätssteigerung mehr Ver- >>> Literatur
antwortung an seine Mitarbeiter delegieren möchte,
kann zwischen allen Graden der Mitarbeiterselbstorga- (1) Altersteilzeitgesetz (2009): Altersteilzeitgesetz
nisation auswählen: von Gleitzeit über Wahlarbeitszeit vom 23.7.1996 (BGBI. I S. 1170) mit allen späte-
und Funktionszeit bis zu Vertrauensarbeitszeit. Zur ren Änderungen in der Fassung vom 15.7.2009. In:
Umsetzung der Einführung neuer Arbeitszeitmodelle ist BGBI. I S. 1939.
zu beachten, dass sie nur partizipativ erfolgen kann, (2) ArbZG (2009): Arbeitszeitgesetz vom 6.6.1994
also unter aktiver Einbindung der Mitarbeiter und Füh- (BGBI. I S. 1078) mit allen späteren Änderungen in
rungskräfte. Als Grenzen der Arbeitszeitgestaltung gilt der Fassung vom 28.3.2009. In: BGBI. I S. 634.
erstens das Arbeiten entgegen der Inneren Uhr: wäh- (3) Beermann, B., Brennscheidt, F. (2008): Im Takt?
rend der ersten Stunden des Tages oder am frühen – Gestaltung von flexiblen Arbeitszeitmodellen,
Nachmittag, Nachtarbeit, Mehrarbeit über 8 Stunden Dortmund-Dorstfeld 2008.
hinaus. Genauso bedeutend ist zweitens die Erkennt- (4) Caruso, C., Hitchcock, E., Dick, R., Russo, J.,
nis, dass Mitarbeiter mit flexiblen Arbeitszeiten grund- Schmit, J. (2004): Overtime and Extended Work-
sätzlich eine höhere Arbeitsbelastung empfinden. Bei shifts: Recent Findings on Illnesses, Injuries, and
jeder Flexibilisierung von Arbeitszeit ist daher zur Ver- Human Behaviors, Cincinnati, OH, USA 2004.
hinderung von Überlastung die unterstützende Mitarbei- (5) Hartz, P. (1996): Das atmende Unternehmen,
terführung dringend geboten. Frankfurt am Main, Wolfsburg 1996.
(6) Hellert, U., Sträde, K. (o.J.): Lebensphasenge-
rechte Prävention bei der Arbeit in kleinen und mit-
telständischen IT-Unternehmen, o.O., o.J.
(7) Maslach, C., Leiter, M. (2001): Die Wahrheit über
Burnout, Wien, AU 2001.
(8) Schwartz, T., Gomes, J., McCarthy, C. (2010):
The Way We’re Working Isn’t Working, London,
U.K. u.a. 2010.
(9) TzBfG (2007): Teilzeit- und Befristungsgesetz vom
21.12.2000 (BGBI. I S. 1966) mit allen späteren
Änderungen in der Fassung vom 19.4.2007. In:
BGBI. I S. 538.
(10) O.V. (2011): Fahrt ins Ungewisse, in: Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung 2011, Nummer 11,
Seite 19.
(11) Wingen, S., Hohmann, T., Bensch, U., Plum, W.
(2004): Vertrauensarbeitszeit – Neue Entwicklung
gesellschaftlicher Arbeitszeitstrukturen, Dortmund,
Berlin, Dresden 2004.
(12) Zulley, J., Knab, B. (2009): Unsere Innere Uhr,
Frankfurt am Main 2009.
Impressum:
Herausgeber: RKW Rationalisierungs-und Innovationszentrum
der Deutschen Wirtschaft e.V.
Kompetenzzentrum
Düsseldorfer Straße 40, 65760 Eschborn
Autor: Richard Meier-Sydow
(AblaufLotse, www.ablauflotse.de)
Stand: März 2011
Die Reproduktion dieser Veröffentlichung für nichtkommerzielle
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